MITTENDRIN Dezember-Januar-Ausgabe 14|15

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KREATIVITÄT Kulturverein Prenzlauer Berg e.V. – Dezember | Januar 14/15 – kostenlose Ausgabe Magazin für Kultur und Bildung in Prenzlauer Berg

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Magazin für Kultur und Bildung in Prenzlauer Berg

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KREATIVITÄTKulturverein Prenzlauer Berg e.V. – Dezember | Januar 14/15 – kostenlose Ausgabe

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Thema »»Kreativität««

Das Geheimnis der Kreativität 3Kann man Kreativität lernen?

»Kreativität ist ein Umgehen mit der Wirklichkeit« 4Interview mit Keramikmeister Chajim Harald Grosser

Von Kopff üßlern und Jungen Wilden 6Jeder möchte Spuren hinterlaasen

Shortstories

Hüttenzauber 8Do it yourself!

Galerie unter der Treppe: Neue Fotoausstellung 9»Alltag auf den Chars – Leben auf den Flussinseln in Bangladesch«

Der Anzug unseres Lebens 10...oder die Frage nach dem "Ich"

Taube II 10Eine Erzählung von Astrid Düerkop

Buchtipp

Vom kreativen Imperativ 12Andreas Reckwitz: Die Erfi ndung der Kreativität

Bildung

Erlesenes für Kinder 14Viele Bücher machen klücher

Willkommenskultur für Zuwanderer 15Mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt mit Ayekoo

Musik liegt in der Luft 16Musikalische Früherziehung in der Kita

(Kiez-)Kultur

Zimmer 16 18Kleinkunst ist Feinkust

Kolumne: Der springende Punkt 20...macht Urlaub

Vielleicht hatten Sie schon mal einen unerwarteten, nennen wir ihn archimedischen, Geistesblitz!? Ob Sie dabei nun in der Badewanne saßen und "Heureka" gerufen oder im Ohrensessel, der Straßenbahn oder ganz woanders je nach Mundart ein wissendes "Deibel noma, i hob´s" oder "Kiek an, so sieht ditte aus" von sich gegeben haben. So oder so, Ihnen ist in diesem Moment die Erfahrung zuteilgeworden, dass die Lösung eines Problems sich gerade dann off enbart, wenn man am wenigsten mit ihr rechnet, sie nicht herbeidenkt, sondern im Gegenteil sogar eine Grübelpause einlegt. Dem Geheimnis kreativer Prozesse versuchen wir in dieser Ausgabe auf die Schliche zu kommen. Auch Andreas Reckwitz, dem wir diesmal unseren Buchtipp widmen, nimmt die Kreativität aufs Korn. In seinem Buch "Die Erfi ndung der Kreativität" beschreibt er ihre erstaunliche Karriere, ihre Allgegenwart und ihren Brückenschlag von der heren Kunst zum Altäglichen. Und sonst? Wie immer stellen wir Ihnen kulturelle Kiezschmankerl vor. Dazu gibt es Interessantes aus dem Vereinsleben und unseren pädagogischen und sozialen Einrichtungen.

Wir wünschen schöne Feiertage, einen kreativen Start ins neue Jahr und natürlich:

Viel Spaß beim Lesen!

Barbara Schwarz und Frauke Niemann(Redaktion MITTENDRIN – ein Magazin des Kulturverein Prenzlauer Berg)

Jung und abstinent in Berlin 21Neue Selbsthilfegruppe

Vorgestellt: Abgeordnete aus dem Kiez 22Stefanie Remlinger: Bündnis 90/Die Grünen

Das Letzte

Wat? Wo steht denn ditte? 24Bilderrätsel

Impressum 24

IN MITTENDRIN

»»Kreativität fängt da an, wo der Verstand aufhört, das Denken zu behindern.««

(Unbekannt)(Unbekannt)

EDITORIAL

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Kreativität

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Das Geheimnis der Das Geheimnis der KreativitätKreativität

MManche Menschen sind wahre Ideenschleudern. anche Menschen sind wahre Ideenschleudern. Auf Zuruf zünden sie ein kreatives Feuerwerk, Auf Zuruf zünden sie ein kreatives Feuerwerk, das einem Hören und Sehen vergeht. das einem Hören und Sehen vergeht.

Aber welche Kräfte sind hier am Werk? Kann man Aber welche Kräfte sind hier am Werk? Kann man Kreativität lernen, oder heißt es warten, bis einen die Kreativität lernen, oder heißt es warten, bis einen die sprichwörtliche Muse küsst? Und was, wenn man den sprichwörtliche Muse küsst? Und was, wenn man den Spieß umdreht und versucht, der Muse zuvorzukommen? Spieß umdreht und versucht, der Muse zuvorzukommen?

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Kreativität

MITTENDRIN: Chajim, was ist für dich

Kreativität?

Chajim Harald Grosser: Kreativität ist das, was mich am Leben erhält. Ich bin mit 74 Jahren ja nicht mehr ganz jung. Ich denke, Kreativität ist ein Umgehen mit der Wirk-lichkeit und für sich in dieser Wirklichkeit einen Weg zu fi nden. Kreativität heißt für mich in gewisser Weise auch, trotzdem le-ben zu können. Dieses „trotzdem“ ist ein wesentlicher Punkt, der mit meiner Geschichte zusam-menhängt. Von 100 jüdischen Kindern ha-ben sieben den Zweiten Weltkrieg über-lebt. Ich bin eines davon. Meine Mutter hat zu mir gesagt: „Dir wurde das Leben zum zweiten Mal geschenkt. Also nutze es.“ Ich muss für mich leben, aber auch für die 93 mit, die nicht überlebt haben. Kreativität bedeutet für mich, das Leben nicht als eine Last zu betrachten, sondern als eine Möglichkeit. Im Judentum gibt es innerhalb der Segenssprüche die Formel „Sei gepriesen, du Quelle des Lebens“. Aufmerksamkeit zu empfi nden für das, was ist, ist die Quelle der Kreativität. Und es hat auch damit zu tun, etwas aus einer Situation zu machen. Mit dem Ma-terial Ton ist es ähnlich. Ich habe ein Stück

»Kreativität ist ein

Umgehen mit der

Wirklichkeit«

Chajim Harald Grosser ist Leiter der

Keramik-werkstatt Yad Chanah, einer

Einrichtung des Kulturverein Prenzlau-

er Berg e.V., in der Schönfl ießer Straße.

Meister Chajim stammt aus einer ech-

ten Porzelliner Familie Meißens, lernte

dort sein Handwerk und setzt seit über

zwanzig Jahren ihre Tradition fort.

Gibt es so etwas wie Gesetze der Kreati-vität, denen wir uns unterordnen müs-sen, oder können wir sie mit bestimmten Methoden aus der Reserve locken? Ent-puppt sich Kreativität gar als weißes Ka-ninchen, das man – hat man den Zauber-trick erstmal verinnerlicht – nach Bedarf einem staunenden Publikum präsentie-ren kann?

So einfach, so unwahrscheinlich – leider. Die Sozialpsychologin Simone Ritter, die an der Radboud-Universität im nieder-ländischen Nimwegen kreative Prozesse erforscht, hat einen kreatives Netzwerk im Gehirn ausgemacht, das sogenann-te Default Mode Network. Es erstreckt sich über mehrere Gehirnareale und ist immer dann aktiv, wenn wir unsere Ge-danken nicht auf etwas fokussieren, beim Tagträumen zum Beispiel. Ritters Studie zeigt, dass dieses Netzwerk bei kreativen Menschen stärker ausgeprägt ist. Zumin-dest ein Hinweis darauf, dass unterbe-wusste Abläufe eine nicht unwesentliche Rolle im keativen Prozess innehaben. Ar-chimedes lässt grüßen!

Das heißt natürlich im Umkehrschluss nicht, das Inspiration uns in der Regel ohne eigenes Zutun aus dem nichts über-fällt. Derjenige, den die Muse öfter küsst, oder der einen großen kreativen Coup landet, hat meist einiges an Wissen "in-tus", das den kreativen Prozess befeuert, oder sich im Vorfeld zumindest ausgiebig mit seinem Thema auseinandergesetzt. Auch bestimmte Attribute schreibt man den besonders Kreativen zu: u.a. die Fä-higkeit zum Perspektivwechsel und den Mut zur Grenzüberschreitung. Bildlich gesprochen, ist man also gut beraten, das Pferdvon Zeit zu Zeit von hinten auf-zuzäumen.Nur wer sich traut, Gelerntes, Angenommenes oder scheinbar Festste-hendes zu hinterfragen, hat die Chance, Dinge neu zu denken.

Einen Schritt weiter geht der Künstler Sal-vador Dali, indem er das subversive Elemt der Kreativität ins Zentrum stellt: »Man muss systematisch Verwirrung stiften – das setzt Kreativität frei«. (fn)

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Ton vor mir und gebe ihm eine Form. Da-mit spreche ich zu anderen Menschen, trete in Kontakt. In uns rumort es immer. Wir haben Dinge, die wir mit uns herum-tragen. Die Beschäftigung mit Ton kann auch eine gute ausgleichende Beschäfti-gung sein.

Ist jeder kreativ?

Ich denke, sehr viele Menschen sind kre-ativ, aber ihnen fehlt die Geduld. Sie blei-ben sehr häufi g nicht bei einem Gedanken und loten diesen ganz tief aus, sondern springen gleich weiter zum nächsten Ge-danken. Kreativität ist ein Prozess, aber auch eine Frage der Übung. Ich habe es an mir selbst gemerkt, ich wollte ein Dichter werden, wenn möglich ein großer. Es fl oss aus meiner Feder, man hätte es fast Inkon-tinenz nennen können. Was mir fehlte, war die Eigenschaft, mit den Dingen sparsam umzugehen, auszu-wählen. Vielleicht vergleichbar mit einem Obstbaum, der wächst und wächst. Die ordnende Hand des Gärtners greift ein und schneidet. Am Ende wird man mit einer ertragreicheren Ernte und großen, gesunden Früchten belohnt. Ein anderer schöpferischer Prozess ist es, in Dinge etwas hineinzusehen. Ich habe im Mittel-

meerraum viele Steine aus glasigem Kalk-stein gesammelt, die alle ein Loch haben. Zu Halloween habe ich meinen Schulkin-dern welche mitgebracht. Die Aufgabe war es, etwas in den Steinen zu sehen. Also haben sie gedreht und gewendet.

»Der eigene Weg ist der schöpferische«

Ein Gespenst ist im Stein zwar nicht ent-halten, aber dass es doch entdeckt wird, ist ein kreativer Vorgang. Auch die Kunst-rezeption ist also ein kreativer Prozess. Ich kann in ein Kunstwerk "einsteigen" und dort die wunderbarsten Dinge entdecken. Dazu bedarf es natürlich Bildung.

Und Off enheit und Freiheit. Kann man

denn lernen, das Besondere herauszufi l-

tern, und – um bei deinem Bild zu blei-

ben – selbst der Gärtner zu sein?

Das ist eine Frage des Machens. Das kann ich bei den Kindern, die meine Keramik-kurse besuchen, abgucken. Vor allem bei den Kleinsten. Die haben ein Anliegen, z.B. Rotkäppchen zu formen. Sie formen

Interview: Barbara Schwarz, Frauke Niemann, Foto: Gertrud

Völlering

alle Einzelheiten. Am Ende ist das Ganze ein Klumpen, und man kann beim besten Willen nicht erkennen, was es sein soll. Die Kinder aber wissen genau, wie ihre Figur aussehen soll, wollen sie auch gestalten. Sie haben nur noch nicht die technischen Möglichkeiten. Der eigene Weg ist der schöpferische, der wirklich kreative.

Glaubst Du, dass das Material Ton Krea-

tivität in ganz besonderer Weise freiset-

zen, oder befördern kann?

Ich glaube, dass Ton ein Material ist, das es einem besonders leicht macht, zu einem Ergebnis zu kommen. In unserer Werkstatt erhält man bestimmte technische Fertig-keiten, wie z.B. Daumenschälchen herzu-stellen. Formt man zwei kleine Schälchen und setzt sie zusammen, wird es ein Kör-per, dann ein Kopf. Auch Tiere können so entstehen. Kinder fi nden das wunderbar. Es ist eine gute Methode, das Handwerk vermittelt zu bekommen. Und das Ma-terial ist vielgestaltig, ich kann Figuren machen, aber auch Praktisches oder Abstraktes. Ich glaube, dass sich viele Leu-te da wiederfi nden können.

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Kreativität

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Ein Kopff üßler par Excellence.Karin Kerkmann in Aktion. Foto: Anja Weber

Einmal pro Woche stür-men "Junge Wilde" das Atelier im Dachgeschoss

des ZENTRUM danziger50. Seit 2008 bietet die bildende Künstlerin Karin Kerkmann hier Kreativkurse für Kinder an. Jeden Mittwoch um halb fünf malt, bastelt und klebt die kleine Gruppe aus Drei-

bis Sechsjährigen, was das Zeug hält. Eine Stunde später werden sie von den "Picasso-Kids" abgelöst, nicht minder Kreative zwischen sieben und vierzehn.

MITTENDRIN: Was reizt

dich künstlerisch an der

Arbeit mit Kindern?

Dass Kinder eine über-sprudelnde Phantasie ha-ben. Sie sind von Grund auf kreativ, off en und neugierig und probieren viel aus.

Mit Löff eln kann man es-sen, aber auch Musik ma-chen oder etwas bauen. Es gibt nicht immer nur eine Funktion

von Dingen, sondern viele. Und das Tolle an kleinen Kindern ist, dass sie nicht bewerten. Sie sind so in ihrem Tun und Machen gefangen: Diese Freude ist eine Art Selbstausdruck.

Was ist für dich Kreativität?

Für mich persönlich? Der größte Schatz, den ich habe! Ein unge-heurer Raum, der sich öff net. Es geht nicht nur ums Malen oder Zeichnen. Meine Kurse nenne ich Kreativkurse, weil es vor allem ums kreative Arbeiten und Entfalten geht, das ist mir wichtig. Bei mir hat ein bewusstes Auseinandersetzen damit mit fünf, sechs Jahren ange-fangen. Ich habe mit Moos, Stöcken und Steinen gespielt. Und während meines Spiels habe ich erfahren, dass ich mir eine ganz eigene Welt erschaff en kann. Und welche Kraft ihr innewohnt.

War das deine künstlerische Initialerfah-

rung?

Ja, ich habe begriff en, welchen Reichtum mir diese Welt eröff net.

Das scheint dich nicht mehr losgelassen

zu haben. Du hast dann später auch den

Kunstweg eingeschlagen?

Genau, ich habe hier in Berlin an der HdK Bildende Kunst studiert und meinen Meis-terschülerabschluss bei Leiko Ikemura ge-macht. Davor war ich ein Jahr am Fashion Institute of Technology und an der Arts Student League in New York, habe ge-zeichnet und klassisch gemalt. Beim Ma-len arbeite ich assoziativ, ich gehe oft von einem Fleck oder einem Gesicht aus, der oder das sich dann im Prozess des Malens wieder aufl öst oder sich in etwas Neu-es verwandelt. Ich arbeite gern mit dem kreativen Zufall, den das Material vorgibt. Beim Fotografi eren oder Videodrehen ist es ähnlich. Ich sehe Dinge, die mich interessieren. Dann versuche ich, sie ab-zubilden und den Punkt herauszufi ltern,

Von Kopff üßlern und „Jungen Wilden“

Jeder möchte Spuren hinterlassen

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Aquarell: Karin Kerkmann

Foto : Frauke Niemann

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den ich gerade daran spannend fi nde. Das ist bei mir oft der, an dem eine Ver-wandlung stattfi ndet. Mich interessieren Grenzüberschreitungen, Zwischenwelten und das Spannungsverhältniss zwischen Innen- und Außenwelt. Ich hinterfrage die Wirklichkeit und unsere Wahrnehmungs-mechanismen. Meine Videos und Raum-installationen konzentrieren sich auf räumliche Grenzbereiche. Dabei arbeite ich mit den Mitteln der Fragmentierung sowie der Veränderung von Licht und Größenverhältnissen. Grundlage bilden Fragmente des fotografi schen Abbildes vom menschlichen Körper, Landschaft und Architektur. Man kann meine Bilder oft nicht sofort einsortieren, glaube ich. Und das ist gut so, denn so entsteht ein Dialog, eine Auseinandersetzung.

Was ist das Besondere am kreativen Ar-

beiten mit Kindern?

Dass es nicht festgelegt ist. Es gibt Mög-lichkeiten und Materialien vor. Kinder können sie erkunden und mit ihnen ex-perimentieren. Es gibt nicht nur eine Art zu arbeiten. Man kann die Finger nehmen, man kann mit dem Pinsel spritzen, die Füße und Finger bemalen. Mit allen Sin-nen die Umwelt begreifen.

Kinder sind von Natur aus kreativ. Ich gebe ihnen einfach nur Anregungen und einen Raum, in dem sie frei arbeiten können. Sie lernen spielerisch. Man muss nur off en sein, und sie unterstützen. Beispielsweise beim Farben mischen. Sie haben blau und gelb und plötzlich ist da grün. Das ist eine spielerische Art zu begreifen.

Also ist deine Aufgabe, das zu erkennen

und den Kindern zu assistieren, ohne da-

bei Vorgaben zu machen?

Ja, und zu vermitteln, dass es keine rich-tige oder falsche Art gibt, etwas zu tun. Durch das eigene Ausprobieren begreifen sie viel mehr, als wenn ihnen etwas vorher gesagt wird. Natürlich antworte ich ihnen, wenn sie etwas Bestimmtes wissen wol-len, aber es ist wichtig, dass sie die Freiheit haben, Dinge selbst herauszufi nden.

Malerei als Erlebnis?

In jedem Fall. Für mich ist es das sinnliche Begreifen von Farbe, das Spiel, das Leuch-ten. Der Spaß dabei, Farben nebeneinan-der zu setzen. Für Kinder ist es auch das Zeigen der Innenwelten. Die Kinder ma-len nach ihren eigenen Vorstellungen. Sie malen ihre eigenen Welten und Univer-sen. Sie spüren, dass sie etwas auslösen und bewegen, dass sie Spuren hinterlas-sen und etwas von sich zeigen können. Sie gehen völlig auf in ihrem Schaff en und es entstehen ihre eigenen Geschichten. Die Kraft und Ernergie, die aus ihren Bil-dern kommt, macht mich jedes Mal froh und überrascht mich immer wieder aufs Neue.

Was stellst du in Bezug aufs Alter fest?

Verändert sich die Herangehensweise

der Kinder?

Bei den Kleinen, den "Jungen Wilden", geht es vor allem um den gestalterischen Prozess an sich. Da kann es passieren, dass Bilder am Ende nochmal ganz umgearbei-tet werden, sodass vom anfangs Bunten

nur noch eine graue Fläche übrigbleibt. Kleine Kinder machen erst mal Spuren. Kritzeleien. Später beginnen sie dann deren Sinn zu benennen. Dann kommen in der Regel die Kopff üßler ins Spiel. Sie malen einen Kopf, von dem aus direkt die Beine oder Arme abgehen. Es gibt da ganz verschiedene Entwicklungsschrit-

te. Mit den "Picasso-Kids", den älteren Kindern, rückt das Ergebnis mehr in den Vordergrund. In diesem Kurs bringe ich Arbeiten von bildenden Künstlern mit, z.B. Collagen von Hannah Höch, Aquarel-le von Emil Nolde oder Zeichnungen von David Hockney. Ich frage sie dann, wie der Künstler dies oder jenes gemacht hat, und was sie in den Bildern sehen. Dazu bringe ich passende Materialien mit, lasse ihnen auch die Freiheit, im Anschluss zu malen, was sie wollen. Meist kommen sie dann auf den vorgestellten Künstler zurück. Ei-nes ist klar: Alle Kinder haben Talent. Es ist nur die Frage, wie sehr das gefördert wird, und ob ihnen genug Raum gelassen wird, so dass sie in ihrem Tun bestärkt werden.

Kreativ-Mal-Kurs für Kinder

Junge Wilde - drei bis sechs Jahre-

Mittwoch, 16.30 bis 17.30 Uhr

Picasso-Kids- sieben bis 14 Jahre -

Mittwoch, 17.30 bis 18.30 Uhr

Weitere Infos und Anmeldung bei:

Karin Kerkmann

Telefon: 030 – 6280533

E-Mail: [email protected]

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Shortstories

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H ü t t e n z a u b e rDo it yourself

Die beherzt vorgertragene These "Es ist kinderleicht ein Haus zu bauen!" ruft beim Gegenüber vermutlich erstmal Kopfschütteln hervor. Vielleicht ringt er sich auch zu einem

abschätzigen Lächeln in Verbindung mit einem „Ist klar!" durch. Doch wird er seine Skepsis über Bord werfen müssen, denn die Kita Gleimstrolche in der Gleimstraße hat hinreichend Beweise gesam-melt, welche besagte These untermauern. Das schlagendste Argu-ment ist etwa zwei Meter hoch, aus Lehm und hat die Form eines leicht windschiefen Zuckerhutes.

„Ich bin kein Klein-Mensch, niemand der sich gern mit fi ligranen Dingen beschäftigt“, sagt Manuela Deubel, die Leiterin des Haus 2, lachend. „Als wir uns überlegt haben, ein Projekt mit Kindern und Eltern auf die Beine zu stellen, kam schnell die Idee auf, selbst eine Spielhütte zu bauen. Lehm ist dafür ein tolles Material und für die Kinder war es ein Abenteuer, mit Händen und Füßen am Bau mit-zuwirken.“ Zuerst machten sich die kleinen Gleimstrolche mit Un-terstützung von Erzieherinnen und Eltern daran, das Gerüst aus Weidenzweigen in die richtige Form zu bringen und miteinander zu verweben. Wer sich traute, durfte dann den Lehm mit Füßen treten und in großen Bottichen die Baupaste gefügig machen. Da-bei erhielt das Material nach und nach die gewünschte Konsistenz. Dann war ein bisschen Fingerspitzengefühl von Nöten. „Der Lehm wird von der einen Seite zwischen die Weidenzweige gedrückt und kommt auf der anderen wieder heraus", erklärt Manuela Deubel. „Dort wird erstmal dagegen gehalten, damit der Lehm eine Struk-tur bekommt." Alles in allem hat es fünf Wochen gedauert, die

Hütte fertigzustellen, der Lehm ist nun getrocknet und dank der Versiegelung mit Leinölfi rnis wasserdicht. Mittlerweile ist das Häus-chen spielerprobt und beliebte Kitagarten-Anlaufstelle. „Wir fi nden unsere Hütte schön, auch wenn sie vielleicht ein bisschen aus der Form geraten ist. Sie ist eben eigensinnig. Ursprünglich sollte sie planrund werden wie ein Iglu und nicht so schmal zulaufen. Sie oben zu schließen, war eine wirkliche Herausforderung", erzählt Manuela Deubel.Das nächste Bauprojekt ist schon in Planung und soll im kommen-den Frühjahr in Angriff genommen werden. Von Seifenkisten bis zur Würstchengreifmaschine – der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. (fn)

Fotos : Manuela Deubel

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Neue Fotoausstellung mit Arbeiten von Kai Fritze

»Alltag auf den Chars - Leben auf den Flussinseln in Bangladesch«

Das Leben im Norden Bangladeschs ist ab-hängig von den großen Flüssen: Jährlich bringt die Regenzeit Überschwemmun-

gen mit sich. Diejenigen, die an den Flüssen oder sogar in den Flüssen auf Schwemmlandinseln siedeln, verlangen die Fluten höchte Flexibili-tät ab. Oft sind diese so stark, dass Familien in-nerhalb weniger Wochen mehrmals umziehen müssen, um ihr Hab und Gut nicht an die Flüsse zu verlieren. Gleichzeitig bringt das Wasser eine unvergleichbare Fruchbarkeit der Böden mit sich. Bleiben die Überschwemmungen aus, hat dies verheerende Folgen für Kleinbauern und Famili-en, die Selbstversorger sind.

Die Ausstellung "Alltag auf den Chars - Leben auf den Flussinseln in Bangladesch" ist vom 09. Ja-nuar bis 20. Februar in der GALERIE UNTER DER TREPPE im ZENTRUM danziger50 zu sehen.

09|01|2015 19|00|Uhr Vernissage

Die GALERIE UNTER DER TREPPE

Ein Treppenhaus ist praktisch. Denn Stufen brin-gen den Besucher an den Ort der Wahl: Jeder Treppenlauf hat eine Unterseite, die erst mal kei-ne Verwendung hat. Diese Fläche sollte aber im ZENTRUM danziger50 nicht ungenutzt bleiben. Seit 2011 hat kulturbus.net e.V. den praktischen Aspekt dieses Treppenhauses um einen ästheti-schen erweitert. Zwei Stahlseile, sind an den Trep-penunterseiten gespannt, an denen große und kleine Kunstwerke ihren Platz fi nden. Bislang ist diese Art, Kunst zu präsentieren, einzigartig. Die Macher sind sich aber sicher, dass es viele Trep-penhäuser gibt, denen ein ästhetischer Anstrich gut täte und würden es sehr begrüßen, wenn die-se Idee weiterverbreitet würde!

GALERIE UNTER DER TREPPE - Kunst kann luftige Höhe vertragenWechseln Sie den Blickwinkel, richten Sie den Blick nach oben und entdecken Sie Kunstwerke

aus einer neuen Perspektive.

Infos und Kontakt: Barbara Schwarz, [email protected]

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Shortstories

Taube II

Eine Erzählung von Astrid Düerkop

Die Sonne scheint bereits mil-der, vorgestern sind die ersten Zugvögel gestartet. Gestern, es war noch früh am Morgen,

hörte ich zum Frühstück ein Lied von Nabiha Yazbeck. Später, bei meinem Obst-Einkauf, ging ich in einen kleinen, bis un-ter die Decke vollgestellten Laden. Neben Obst, Gemüse, Broten, Oliven, Schafs- und Ziegenkäse, kleinen Kuchen, gibt es dort Samoware, Teegläser, Koranhalter, Lam-pen, einfach gebundene Besen, es gibt scheinbar alles. Jedes Mal, wenn ich dort meine 100g Oliven bezahle, oder wie ges-tern ein Bündel extra-scharfer Peperoni kaufen möchte, und in den Laden trete, ist es, als ob ich durch die Tür hindurch, wie durch eine Zeit- und Raumschleuse, in ein anderes Land gelange, in den Libanon.

.....................

Es duftet würziger als auf der Straße, es hängen bunte Schnüre an den Wänden mit Mini-Koranen als Anhänger, und häu-fi g führen die Kunden mit den Verkäufern gerade ein lebhaftes Gespräch, alle Tüten sind auf dem Boden abgelegt, der Krach der Hauptstraße ist plötzlich gedämpft. Dort läuft im Hintergrund meistens irgendeine arabische Musik, manch-mal kommen auch die Gebetsrufe eines Muezzins vom Tonband. Gestern war es ein Lied von Nabiha Yazbeck, genau je-nes, welches ich schon zum Frühstück im Radio hörte.

Astahel.Es handelt von den Wunden einer

enttäuschten Liebe.

Meine Hände, meine Arme,

meine Beine, mein Körper und

ich das Unveränderliche, unzer-

störbare Selbst: Ich.

Der Mittelpunkt, der Zellkern

der gesamten menschlichen

Zellkultur. Bin ich? Ist Ich in

jeder Zelle?

[„Redukt“; Einstürzende Neubauten]

Die Künstlerin Julia Gebauer star-tete Anfang Juli 2014 gemein-sam mit jungen Frauen aus der Mutter-Kind-Einrichtung

„Betreutes Wohnen – (NICHT) ALLEIN MIT KIND in der Kollwitzstraße das Kunst-

projekt „Der Anzug unseres Lebens“. Im Fokus standen die Themen „Ich, Selbst und Identität“. Die Projektteilnehmerin-nen kehrten Inneres nach außen und machten visuell sichtbar, was sonst nie-mandem zugänglich ist, sich nur im Kopf abspielt. Weiße Maleranzüge wurden auf diese Weise zu persönlichen „Identitäts-anzügen“. Darauf zu sehen: Gedanken, Bilder, Wünsche und Visionen, die aus der Vorstellungsebene an die Oberfl äche ge-holt wurden.

Der Kurs ermöglichte den Teilnehmerin-nen einen freien Erfahrungsraum, ein off enes Experimentierfeld. Er bot ein „He-raustreten“ aus den erschaff enen Selbst-Konstruktionen an. Im September wurde dieses Projekt im Rahmen der RENNSATI-ON am Weißen See vorgestellt. Eine wei-tere Projektpräsentation fand Anfang Ok-tober im Atelier des ZENTRUM danziger50 statt. (bs)

ICH sehe was, was du nicht siehst, und das bin ICH, oder?

Der Anzug unseres Lebens...oder die Frage nach dem "Ich"...oder die Frage nach dem "Ich"

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Foto: Barbara Schwarz

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Als ich meine Verwunderung kundtat, hatte ich einen Pfeil abgeschossen. Dies ist eine der momentan größten Sängerin-nen aus dem Libanon, einfach toll! Sesam öff ne Dich. Sogleich erzählt mir jeder ein wenig über diese Frau, ich verstehe zwar nicht viel, ich kann ihre Sprache nicht, aber, als ich gehe, rufen mir alle aus dem kleinen La-den „Ma salam“ hinterher. Die 40 Räuber sind auch aufgetaucht. Gegen Abend, ich saß bereits bei weit geöff netem Fenster

in meinem Zimmer, gab es einen lauten, nicht zu überhörenden Knall, und heu-te am Sonntag war zu sehen, die ganze Front-Scheibe dieses kleinen Ladens ist zersprungen.

.....................

Es ist Sonntag. Mah sallah. Das ist wunder-bar? Gegen Mittag ging ich, wie auch am letzten Sonntag, zusammen mit B., in den kleinen Imbiss neben unserem Wohnhaus. Heute ist der dritte Besitzer da. Seine Frau und seine Kinder sind sonntagsfein, das Kopftuch der Frau hat viele kleine runde Kugeln, sie liegen genau über der Stirn. Wenn jetzt ein Windhauch käme, dann würden 20 verschiedene Töne aus die-sen kleinen Kugeln kommen, und den Raum mit einem wundersamen Lied ver-zaubern. Sie geht später fort, ihr Kind ist in der Karre eingeschlafen, ihr Kopftuch

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leuchtet tiefblau in der prallen Mittags-sonne. Wenn ich die Augen schließe, draußen auf der Holz-Bank sitzend, höre ich ein neues Lied von Nabiha Yazbeck, es handelt von den Kindern des Ali Baba, sie genossen ihr Glück mit weiser Mäßigung. „Weißt Du noch“, sagt B. plötzlich zu mir, „wie es damals war, als wir gemeinsam in einem kleinen Dorf ankamen?“ Mitten in einer sandig-staubigen Landschaft, nach einer Wanderung, die viele Stunden dau-erte, wir hatten Durst und die Sandwege,

zwischen meterhohen Binsen, dort sollte es angeblich noch Schildkröten geben, nahmen kein Ende, später führte uns ein schmaler Pfad zu diesem Dorf. Wir kamen an einem kleinen Brunnen vorbei, an dem Leute mit Kanistern ihr Wasser abholten, und genau in der Mitte des Dorfes, wie ein Magnet, lag eine Taverne. Als wir vor unserem Essen sitzend, noch an unseren Teegläsern nippen, kommen zwei Stadt-tauben und beim Aufpicken der Brotres-te nähern sie sich bis auf 30 Zentimeter. „Stell, Dir vor“, sagt B., „im Park sind Leute beim Taubenfüttern von den Social Cops erwischt worden, sie müssen jetzt eine Geldbuße zahlen, weil sie nicht einsichtig waren!“ „Weißt Du noch", sage ich, „Trafal-gar Square.“ Dabei denke ich an die Tau-ben in Rom.Gestern, auf dem schmalen Schlauchweg des Hauses Schwarzenberg, auf dem ich damals so oft entlang gegangen bin, saß

auf einer Mauer eine weiße Taube. Im Hintergrund klappert der alte Blechvogel noch wie 1998, und als mich jetzt einige Touristen auf Englisch ansprechen, erzäh-le ich ihnen, was unten in dem Monster-keller passiert, die Ausstellung dort ist ge-rade auf Wanderschaft. Ich habe ihnen nicht erzählt, welche Fami-lien sich früher in diesem Haus versteck-ten, dafür eine Postkarte gekauft, have a tea with me, und dabei an den stillen Besitzer aus dem kleinen Imbiss gedacht,

er hatte mir einmal zur Begrüßung eine wun-derschöne lange Minze-Pfl anze gezeigt, dieser Tee hatte ein köstliches Aroma.

................

Später Ecke Sophienstra-ße, habe ich geweint, für Dich und für mich. Einmal, es war ein wun-derschöner Tag, hast Du mich auf den Armen ein Stück auf dieser Straße entlang getragen, wie auf Deiner Postkarte mit den beiden grauen

Hasen, deren lange Ohren herumschla-ckern, und die irgendwie total besoff en aussehen, und scheinbar nur noch den Weg entlang torkeln konnten. Unser Es-sen wird gebracht, die Sonne wärmt mir den Rücken, wieviel Zeit schon vergangen ist? Ein großer, kunstvoll verzierter Falafel-teller mit frittierten Kichererbsen-Bällen, Soßenmuster, Salat und einem fl achen handtellergroßen Kreis aus Kichererbsen-Paste, zwei schwarzen Oliven-Augen, einer Möhren-Raspel-Nase und einem küssenden, fi ligran geschnittenen roten Tomatenstreifen-Mund lacht uns entge-gen.Als wir gehen, wünscht der Besitzer uns einen wunderschönen Sonntag und sagt: „Sie kommen doch morgen wieder?“

Ja – Aiwa.

Foto: © Radka Schöne, PIXELIO

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Buch

tipp

Vom kreativen ImperativAndreas Reckwitz: Die Erfi ndung der Kreativität

Andreas Reckwitz startet in seinem Buch "Die Erfi ndung der Kreativität" mit der These, dass

es in der Gegenwartskultur ein absurder Wunsch sei, nicht kreativ sein zu wollen. Nicht kreativ sein zu können, ja, das erscheine denkbar, aber seine kreativen Potenziale bewusst ungenutzt zu lassen, sei heute schwer vorstellbar.

Kreativität ist in unserer Gegenwart sowohl ein soziales, als auch privates und individuelles

Phänomen. Der Autor klärt schnell, was er mit Kreativität meint. Er schreibt ihr eine dop-

pelte Bedeutung zu. „Zum einen verweist sie auf die Fähigkeit und die Realität, dynamisch

Neues hervorzubringen. Zum anderen nimmt Kreativität Bezug auf ein Modell des `Schöp-

ferischen`, das sie an die moderne Figur des Künstlers, an das Künstlerische und Ästhetische

insgesamt zurückbindet.“

Reckwitz untersucht, ab wann die Debatte in Philosophie und Geisteswissenschaft innerhalb

der Ästhetisierung um den Komplex der Kreativität bereichert wurde. Mitte des 18. Jahrhun-

derts wurde das Adjektiv „ästhetisch“ parallel zur Diskussion um die Kunst geprägt. Die klas-

sische Gesellschaftstheorie – hier vertreten durch die Philosophen und Soziologen Karl Marx,

Max Weber und Émile Durkheim – ist sich trotz aller tiefgreifenden Diff erenzen stillschwei-

gend einig, „dass die moderne Gesellschaft im Kern entästhetisierend wirkt“. Für diese These

und in ihren Analysen des Sozialen können vier Grundstrukturen ausgemacht werden: Die

Industrialisierung (Durkheim, Marx), die Kapitalisierung (Marx), die rationale Versachlichung

(Weber) und die funktionale Diff erenzierung (Durkheim, Weber, Luhmann). Eine fünfte Struk-

tur ist die absolute Separierung von Menschenwelt und Dingwelt (Latour).

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Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts hat der Begriff der Ästhetik

eine wechselvolle Geschichte durchlaufen, wird dann wieder re-

aktiviert und auch erweitert, z.B. durch das Performative, oder die

Ökologie. In der Moderne macht Reckwitz fünf sogenannte „Äs-

thetisierungsagenten“ fest. Dazu gehören:

1) Der Expansionismus der Kunst, womit die Entwicklung ab 1800

gemeint ist. Kunst bekommt einen so hohen Stellenwert, dass

eine fast private Interaktion zwischen Leben und Kunst entsteht.

2) Die Medienrevolution, beginnend mit dem Buchdruck, fort-

geführt mit den audiovisuellen Techniken der Reproduktion seit

1830 und verstärkt seit Ende des 19 Jahrhunderts. Sie bewirkt

eine grundsätzliche Umwälzung der Rahmenbedingungen für die

menschliche Ästhetik.

3) Die Kapitalisierung, welche durch die neue Sichtweise auf das

Produkt „Ware“ ästhetische Konsumgüter hervorbringt und unter-

stützt.

4) Die Objektexpansion: Die Moderne zeichnet sich aus durch

eine Menge an dinglichen Neuerungen, Erfi ndungen und neuen

Artefakten. Hier entsteht eine ganz eigene Ästhetik und es gibt ers-

te Verbindungen zu Ästhetisierungsagent 2 und 3.

5) Schließlich die Subjektzentrierung, welche den Einzelnen zu

konsequenter Selbstbeobachtung und zur Fokussierung auf das

Selbst veranlasst unterstützt durch Diskurse der neuen Humanwis-

senschaften, wie z.B. der Psychologie. Seit Anfang des 20. Jahrhun-

derts verdichtet sich eine bestimmte Version der Ästhetisierung.

Diese fünf umrissenen "Agenten" sind Wegbereiter des Kreativi-

tätsdispositivs. Dabei ist das Besondere, dass „eine Ästhetisierung

forciert wird, die auf die Produktion und Rezeption von neuen äs-

thetischen Ereignissen ausgerichtet ist“. Sehr kleinschrittig nimmt

Reckwitz den Leser mit auf seine Reise durch die Geisteswissen-

schaften, Kunstwissenschaften und Soziologie. Es wird ausgelotet,

was an der Kunst sozial ist, welchen Wert und welche Macht Kunst

hat und wo Kunstpraktiken enden und etwa Künstlerperönlichkei-

ten beginnen. Der Geniegedanke wird genauso einbezogen, wie

der urbane Aspekt der funktionalen und der kulturorientierten

Stadt. Gesellschaftstheorien und eine systematische Betrachtung

des Kreativitätsdispositivs bilden eine strukturelle Klammer, zwi-

schen der sich viele Beispiele aus der Welt der Ästhetik und Kreati-

vität fi nden, um das Thema lebendig werden zu lassen.

Unterm Strich:Reckwitz versteht es, einen sehr vielschichtigen Einblick in das

Thema Kreativität zu geben, der auch den Nicht-Soziologen an-

stachelt, sich tiefergegend mit Ästhetik und deren Sichtweisen zu

beschäftigen. Schön ist, dass der Text dem Leser immer wieder den

Freiraum lässt, sich selbst zu fragen, wie weit es mit seiner eigenen

Kreativität bestellt ist. (bs)

Andreas Reckwitz: Die Erfi ndung der KreativitätAndreas Reckwitz: Die Erfi ndung der Kreativität

suhrkamp taschenbuch, 2012suhrkamp taschenbuch, 2012

408 Seiten, 18 Euro408 Seiten, 18 Euro

Cover: © suhrkamp

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Erlesenes für Kinder

Schwestervon Jon Fosse

Ein vierjähriger Junge lebt mit seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester an einem Fjord in Norwegen. Eines Morgens wird er früh wach und hat Sehnsucht nach dem Wasser. Also macht er sich im Schlafan-zug auf den Weg, legt sich ins hohe Gras an den Fjord und – schläft wieder ein. Als er Stunden später aufwacht, sind seine Eltern außer sich vor Angst, und seine Mutter schimpft. Er bekommt Hausarrest und versteht nicht, warum. Er war doch nur draußen und hat sich den Himmel und die Wolken angesehen! Das Besondere an "Schwester" ist die ungefi lterte Vermittlung der Kindersicht auf die Welt. Drei Tage tauchen wir in die Gedankenwelt des kleinen Protagonisten ein, nehmen Erlebnisse und Beobachtungen unmittelbar aus seiner Perspektive wahr und erleben seine Konfrontation mit den Erwachsenen, wenn er die Welt auf eigene Faust entdeckt und dabei die Grenzen seiner Freiheit auslotet. Jon Fosse stellt in „Schwester“ die kindliche Entdeckerfreude unkommentiert den Ängsten und Verboten der Erwachsenen gegenüber. Zum Glück ist da noch die kleine Schwester, die das Unverstandenfühlen, das aus diesem Konfl ikt resultiert, ein wenig eträglicher macht.

Jon Fosse: Schwester. Bajazzo Verlag. Zürich 2006, 12,95 Euro, geb. Altersempfehlung: ab 4 Jahren.

Diese Bücher wurden auf die Probe gestellt, haben gewissermaßen einen Kinder-TÜV passiert. Seit einiger Zeit gibt es im Familienbereich der Kita Kiezeulen die Veranstaltung „Lesen für Kinder“. Wir stellen Ihnen ausgewählte Schätze dieser Vorlesestunde vor.

Viele Bücher machen klücher…

Lotte in New Yorkvon Doris Dörrie

Lotte geht auf Reisen. Zusammen mit ihrer Mutter besucht sie ihre Patentante Ella in New York. Mit dabei Schlafschaf Erich, ein Geschenk ihrer Tante und somit ein waschechter New Yorker. Waschecht hin oder her, „Erich müff elt“, sagt Mama. Aber Lotte sieht das ganz anders. Erich riecht nach Erich, Waschen kommt nicht in Frage, denn dann riecht Erich nicht mehr nach Erich, sondern wie ein ganz fremdes Schaf, basta. Erich ist immer an Lottes Seite im Flugzeug, im Taxi, im Hotel. Nur auf ihre Erkundungstour durch New York darf Erich Lotte nicht begleiten. Sie hat Angst ihn zu verlieren und ohne Schaf kein Schlaf. Groß ist ihre Verzweifl ung, als sie abends im Hotel feststellt, dass Erich spurlos verschwunden ist. Doch die Suche nach dem Schaf bleibt erfolglos. Bis der Hotelmanger klopft und dem Spuk ein Ende bereitet. Erich ist mitsamt der Wäsche im Waschsalon gelandet. Ob er jetzt immer noch so gut nach Erich riecht?

Doris Dörrie: Lotte in New York. Ravensburger Buchverlag. Ersterscheinung 1999. 14,95 Euro, geb. Mit Bildern von Julia Kaergel. Derzeit vergriff en, nur gebraucht erhältlich. Altersempfehlung: ab 4 Jahren.

Geh nie mit einem Fremden mitvon Trixi Haberlander

Lisa ist sechs Jahre alt. Sie spielt gerne und oft mit ihrem Freund Peter. Eines Tages liest ihr der Vater aus der Zeitung vor, dass ein Kind entführt worden ist. Das nehmen die Eltern als Anlass, mit ihrer Tochter über ein wichtiges Thema zu sprechen: „Geh nie mit einem Fremden mit!“, denn – so versuchen die Eltern Lisa zu vermitteln – nicht alle Erwachsenen meinen es gut mit Kindern. Lisa hat ihre Lektion gelernt, geht nicht alleine an die Tür, wenn es klingelt und steigt auch nicht in fremde Autos, auch wenn sie noch so freundlich dazu eingeladen wird. Aber der Mann am Sandkasten, der ihr von seinen Häschen erzählt, dem kann man doch vertrauen, oder? Lisa geht mit ihm in seine Wohnung und erschrickt: keine süßen Tierchen weit und breit. Sie bekommt Angst. Ihr Freund Peter hat kein gutes Gefühl und geht zu Lisas El-tern. Die Polizei wird alarmiert, und weil Peter so gut aufgepasst hat, fi nden sie schnell die Wohnung mit dem alten Rad davor, das der Mann geschoben hat, als er mit Lisa weggegangen ist. Die Polizei stürmt die Wohnung und Lisa ist verstört. Erst als Mama sie in den Armen hält, ist alles wieder gut.

Trixi Haberlander: Geh nie mit einem Fredmden mit. Heinrich Ellermann Verlag. Ersterscheinung 1985, 9,90 Euro, geb. Altersempfehlung: ab 4 Jahren.

Bildung

Cover: © Ravensburger Buchverlag

Cover: © Bajazzo Verlag

Cover: © Heinrich Ellermann Verlag

Page 15: MITTENDRIN Dezember-Januar-Ausgabe 14|15

15

Die Motivation unserer heutigen Mitar-beiter ist letztendlich immer noch die gleiche wie die der Gründer vor sieben Jahren. Sie hängt auch mit persönlichen Erfahrungen zusammen. Viele unserer Mitarbeiter sind nach ihrem Studium längere Zeit auf Reisen gewesen, haben einen Partner aus einem anderen Land, einer anderen Kultur. Sie haben selbst im Ausland gelebt und die Erfahrungen ge-macht, wie schwer es ist, dort berufl ich Fuß zu fassen. Im umgekehrten Fall, dass Zuwanderer aus dem Ausland in Berlin bzw. Deutschland Arbeit suchen, ist es zum Teil noch sehr viel schwerer. Es geht um Fragen der Anerkennung, um Fragen der individuellen Berufsfeldfi ndung, um Fragen der Bewerbungskultur – natür-lich auch um sehr viele formelle Dinge. Dazu kommt das Thema der deutschen

Sprache. Hier haben Unternehmen, Insti-tutionen und auch Vereine einen sehr per-fektionistischen Anspruch. Das führt dazu, dass schon das Bewerben eine Qual für einen Zuwanderer ist – egal ob Fachkraft oder ungelernt. Hier eine Hilfestellung zu leisten ist unser Anliegen.

Wie fi nanziert ihr eure Projekte?

In unserer Projektarbeit sind wir natürlich immer von der Bewilligung von Geldern abhängig. Derzeit realisieren wir LSK- und PEB-Projekte. LSK steht für "Soziales Lo-kales Kapital". Das Programm unterstützt Projekte in Berlin fi nanziell, die den sozi-alen Zusammenhalt stärken und lokale Beschäftigungschancen verbessern. Das Förderprogramm "Partnerschaft-Entwick-lung-Beschäftigung", kurz PEB, setzt auf die Stärkung lokaler Partnerschaften und will so neue Beschäftigungsfelder und -potenziale erschließen. Alle Projekte wer-den über den Europäischen Sozialfonds auf der einen und über bezirkliche Gelder auf der anderen Seite fi nanziert. Ein erstes großes PEB-Projekt hat Ayekoo im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf umgesetzt. Dort haben wir um die 300 Menschen aus etwa 90 verschiedenen

Willkommens-Willkommens-kultur für kultur für

Zuwanderer Zuwanderer

Ländern beraten. Daraus haben sich die verschiedenen Projekte entwickelt, die wir heute in den Bezirken Pankow, Neu-kölln, Spandau, Tempelhof-Schöneberg, Charlottenburg-Wilmersdorf umsetzen.

Was war euch in den einzelnen Projekt-

phasen wichtig in Bezug auf Ayekoo als

Gesamtprojekt?

Dass in den letzten Jahren, die durch Wachstum, aber auch Projektpausen, geprägt waren, die Grundidee unserer Arbeit nicht verloren gegangen ist. Die Menschen, die zu uns kommen, wollen ar-beiten. Sie haben Ausbildungen, Sprach- und Kulturkompetenzen, Qualifi kationen und häufi g einen anderen Blick auf Frage-stellungen und Probleme. In diesem Sinne bereichert Zuwanderung die Gesellschaft und damit auch die Wirtschaft. Hier eine andere Form von Willkommenskultur zu prägen ist Antrieb für Ayekoo.

Gibt es so etwas wie das "Herzstück" von

Ayekoo?

Das gibt es. Es setzt sich zusammen aus Respekt und Empathie für Menschen, einer ganzheitlichen Beratung von Zu-wanderen, die die Erwerbsbiographie und Ausbildung im Herkunftsland be-rücksichtigt, der Konzentration auf einen berufl ichen Einstieg auf dem ersten Ar-beitsmarkt und nicht zuletzt der engen Zusammenarbeit mit lokalen und überre-ginoalen Unternehmen.

Gibt es Pläne für die Zukunft?

Das nächste Jahr wird nicht ganz einfach für kleine Vereine wie Ayekoo. Die ESF-Förderperiode ist vorbei, alle unsere be-gonnenen Projekte laufen bis zum Som-mer 2015 aus. Für die neue Förderperiode werden voraussichtlich erst 2016 Gelder fl ießen. Dies bedeutet, dass wir uns nach neuen Finanzierungsquellen umsehen müssen. Wir sind dabei, die Weichen zu stellen und hoff en uns im nächsten Jahr auch ohne ESF-Gelder behaupten zu kön-nen. Thematisch werden wir uns treu blei-ben.

Mehr Informationen zu aktuellen Projekten und zum Verein:

www.ayekoo.de

Mehr Chancen auf dem

Arbeitsmarkt mit Ayekoo

Ayekoo ist ein Ausdruck aus

der Sprache der Ewe aus dem

südlichen Ghana und Togo

und bedeutet soviel wie "gut

gemacht". Der gleichnamige Berliner

Verein möchte Menschen aus aller Welt

beim Einstieg in das Berufsleben hel-

fen. Mehr über ihr Anliegen erzählt uns

Ayekoo im Interview.

MITTENDRIN: Seit wann gibt es Ayekoo?

Ayekoo: Seit 2007. Ayekoo wurde mit dem Ziel gegründet, vor allem Jugendliche und Erwachsene mit Migrationshintergrund bei ihrem Berufseinstieg zu begleiten. Dazu bieten wir in verschiedenen Projekten ein individuelles Coaching an. Wir arbeiten mit verschiedenen Vereinen, Schulen und Institutionen zusammen und werden auch von vielen Unternehmen vor Ort als Partner bei der Besetzung von Ausbil-dungs- und Arbeitsplätzen um Hilfe gebe-ten.

Wer nimmt eure Dienste in Anspruch?

Es sind vor allem zwei Zielgruppen, mit denen wir besonders eng zusammenar-beiten: die Zuwanderer aus der afrikani-schen Community und die Gruppe der spanischsprachigen MigrantInnen. Außer-dem bekommen wir immer wieder Anfra-gen von KünstlerInnen aus dem Ausland. Aus der klassischen Berufsberatung fällt diese Gruppe heraus. Deswegen haben wir die beiden Projekte "It’s Possible" und "Walk of Fame" entwickelt, in denen wir zugewanderten KünstlerInnen anbieten, sie ein Jahr lang intensiv zu begleiten, für Auftrittsmöglichkeiten sorgen und die Außendarstellung verbessern.

Was gab 2007 die Motivation für den

Start von Ayekoo?

Page 16: MITTENDRIN Dezember-Januar-Ausgabe 14|15

16

Dörte Löber schlägt

von Berufs wegen

leise und laute Töne

an. Zusammen mit den klei-

nen „Gleimstrolchen“ unter-

nimmt sie Ausfl üge in die

Welt der Musik. Seit über

zehn Jahren ist die Musikpä-

dagogin im klanglichen Ein-

satz in der Kita Gleimstrolche

und kümmert sich um die

musikalische Früherziehung

der Kinder in Haus 1 und 2.

Die Kita Gleimstrolche ge-

hört zur Kubi-Kita-Gruppe –

fünf Kindertagestätten mit

kulturellem Profi l in Pankow

und Mitte. Im Interview ge-

währt uns Dörte Löber Ein-

blick in ihre Arbeit.

MITTENDRIN: Bestimmt ist es eine Her-

ausforderung, Kinder ganz unterschied-

lichen Alters musikalisch anzusprechen.

Gibt es altersspezifi sche Angebote? Wie

gehst du musikalisch auf die Kleinsten

zu, und wie gewinnst du das Interesse

der Großen?

dert? An deiner Arbeitsweise oder an

den Angeboten?

Natürlich wirken sich die Erfahrungen, die ich gesammelt habe, auf meine Arbeit aus. Ich habe mich in den letzten zehn Jahren der kindlichen Art, Musik zu erfahren und auszuüben, angenähert. Am Anfang fehlte mir vielleicht ab und an die Gelassenheit und Toleranz, die ich jetzt verspüre. Heute geht es mir vor allem darum, dass die Kin-der eine gute Zeit haben, in der sie stress-frei mit Musik in Berührung kommen und sich ausprobieren können. Was die An-gebote angeht: Die Kinder können heute öfter mit Instrumenten hantieren. Früher bin ich von Raum zu Raum gezogen, da konnte ich nicht so viel mitnehmen. Jetzt haben wir einen eigenen Musikraum und damit viel mehr Möglichkeiten. Die Kinder spielen oft auch zwischendurch Gitarre oder Geige und sitzen am Klavier.

Was dient dir als Inspiration für deine

musikpädagogische Arbeit, wo fi ndest

du Anregungen und Materialien?

Ich lese viel, höre Musik und mache mir Gedanken, wie man die Kinder erfreuen oder überraschen kann. Inspiration erhal-te ich z.B. von Liedermachern wie Gerhard Schöne, Zirkus Lila oder Reinhard Lakomy. Oft fi nde ich Anregendes in Zeitschriften zur Musikpädagogik oder Online-Beiträ-gen zu diesem Thema. Aber auch der Blick

Dörte Löber: Die Kleinsten besuche ich mit Gitarre und Handpuppen im Grup-penraum und singe und spiele leichte, eingängige Kinderlieder. Die Handpup-pen nehmen ihnen die Scheu und animie-ren sie mitzumachen. Die Großen lernen Melodien auf dem Xylofon, klatschen Rhythmen nach, können das Walzertan-zen erproben oder sich mit den ersten Schritten des Flöten- oder Gitarrenspiels vertraut machen. Wichtig ist Abwechslung und die richtige Mischung kindgerechter Angebote: Dazu gehört viel Rhythmik auf einfachstem Ni-veau, leichte Lieder mit lustigen Texten, das Heranführen an Noten, Kinderklas-sik mit Bewegung und Tanz, das Erzeu-gen von Dynamik, laut - leise, langsam - schnell.

Gibt es musikalische Leitlinien, die deine

Arbeit durchziehen?

Da wäre an erster Stelle Hinwendung und Toleranz gegenüber den Kindern. Ich ver-suche, durch meine eigene musikalische Präsenz, bei den Kindern Freude am mu-sikalischen Agieren zu erzeugen und sie so anzuregen, selbst aktiv zu werden. Das geht nicht ohne Humor und ohne die Vor-gabe bestimmter Regeln. Außerdem ist mir ein empathisches Miteinander sehr wichtig.

Hat sich im Laufe der Jahre viel verän-

Musik liegt in der Luft

Musikalische

Früherziehung in

der Kita

Bildung

Page 17: MITTENDRIN Dezember-Januar-Ausgabe 14|15

17

über den Tellerrand ist wichtig. Ich lese gerne Artikel über Psychologie, Verhal-tenslehre und Hirnforschung. Interessant fi nde ich in diesem Zusammenhang das Buch "Lernen und Gehirn", herausgege-ben von Ralf Caspary. Es beleuchtet die Wechselwirkung von Pädagogik und Hirnforschung. Auf Grundlage dieser und anderer Theorien erarbeite ich konkrete Spiele, die das Interesse der Kinder an Musik wecken sollen.

Was macht dir am meisten Spaß?

Die Begeisterung der Kinder. Es ist immer sehr schön, wenn die Kinder Spiele oder Lieder gerne wiederholen möchten, weil sie ihnen gefallen, wenn sie stolz darauf sind, im Chor zu singen, wenn sie beim Spiel selbst Ideen entwickeln und Vor-schläge machen. Seit kurzem gibt es – neben dem schon

lange bestehenden gemischten Kin-

derchor – auch einen Knabenchor bei

den Gleimstrolchen. Wie bist Du darauf

gekommen, ihn ins Leben zu rufen?

Die Idee, einen Knabenchor aufzuma-chen, kam mir im vergangenen Jahr. Zum einen, weil das gemischte Chorangebot von Jungen nur selten wahrgenommen wird, zum anderen, weil ich merkte, dass

sich einige Jungen, die daran teilnahmen, augenscheinlich nicht so wohl fühlten. Mir ist früher schon aufgefallen, dass die Musikstunde mit einer reinen Jungen-gruppe etwas anders funktioniert als eine Musikstunde mit Mädchen und Jungen. Die Jungen waren meist allein aktiver und auch leichter anzuleiten. Unser Knaben-chor hat erst dreimal stattgefunden. Aber es gibt regen Zulauf. Wir haben gemein-sam Indianer- und Piratenlieder ausge-wählt, die Jungs singen sie voller Freude und Enthusiasmus. Ich hoff e auf einen Auftritt beim nächsten KITA-Fest.

Gibt es Pläne für die nahe Zukunft?

Wir wollen mehr Garten-Musik machen! Mit einer Vorschulgruppe haben wir die-sen Sommer ein Kräuterbeet gestaltet. Bei schönem Wetter treff en wir uns im Garten schauen uns gemeinsam die Pfl anzen an, ich benenne die Kräuter, und die Kinder schnuppern und gießen. Dazu singen wir das Lied vom Kräuterbeet, das ich geschrieben habe. Im nächsten Frühling möchte ich in dieser Richtung noch mehr ausprobieren. Wir Stadtmenschen sollten es uns so grün wie möglich machen.

Interview: Frauke Niemann, Barbara Schwarz, Foto links: Ellen

Nötzel, Fotos rechts: Frauke Niemann

Page 18: MITTENDRIN Dezember-Januar-Ausgabe 14|15

18

(Kiez-)Kultur

Zimmer 16Zimmer 16 Kleinkunst ist FeinkunstKleinkunst ist Feinkunst

könnte. Das Zimmer 16 ist eine Klein-kunstbühne in der schönsten Straße Pan-kows, der Florastraße. Tja und es ist, wie der Name schon sagt, eben in der Num-mer 16 beheimatet.

MIITTENDRIN: Stefan, was verbirgt sich

hinter dem „Zimmer 16“?

Stefan Greitzke: Kein Hostel oder Gäs-tezimmer, wie man vielleicht vermuten

Seit wann existiert

dieser Kulturort, und

was macht ihn beson-

ders?

Das Zimmer 16 wurde im April 2002 feierlich eröff net. Vielleicht ist es der fortlaufende Wandel über die Jah-re, der das Zimmer 16 ausmacht. Die ur-sprüngliche Idee war es, ein kleines Theater zu etablieren.

Von Beginn an gab es Kindertheater mit drei bis vier Vorstel-lungen pro Woche. Dazu drei off ene Büh-nen. Die erste, in der

so ziemlich alle Genre erlaubt sind, wird seit Mai 2002 bespielt, unsere off ene Liederbühne kam ein knappes Jahr spä-ter hinzu, unsere off ene Lesebühne dann 2009.

St e f a n

Greitzke

ist Ur-

berliner, Foto-

graf, Erzieher

und Medien-

pädagoge. Er

engagiert sich

ehrenamtlich

im Pankower

Zimmer 16.

Was es damit

auf sich hat,

verrät er uns

im Gespräch.

Lesung mit Heinz KahlauBodo Wartke im Zimmer 16

Bär heiratet Tabak – Eine Tschechow-Adaption

Page 19: MITTENDRIN Dezember-Januar-Ausgabe 14|15

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Haben sich denn bestimmte Veranstal-

tungsformen im Laufe der Zeit eher

durchgesetzt als andere?

Über einige Jahre waren fünf Theater-gruppen bei uns beheimatet, aber da es überwiegend Studentengruppen waren, lösten sie sich nach und nach wieder auf, und so mussten wir uns im Laufe der Zeit umorientieren und mehr Konzertver-anstaltungen organisieren. Jetzt ist das Zimmer 16 eine Kleinkunstbühne mit ei-nem großen Konzertanteil. Aber auch Le-sungen und Theater gibt es nach wie vor. Der Konzertbereich ist durch bekannte Künstler aus Berlin, Deutschland und der ganzen Welt geprägt. Es gibt jährlich im November die Weltmusiktage. Von 2005 bis 2011 gab es jeweils im Januar und Juli die Klezmertage Pankow. Wir haben viele hundert Auftrittsanfragen monatlich, die leider nicht alle angenommen werden können.

Das klingt nach einer Menge Herzblut

aber auch nach einem enormen organi-

satorischen Aufwand?

Ja! Das Zimmer 16 wird vom "Förderver-ein MIKADO" e.V. betrieben. Alle arbeiten ausschließlich ehrenamtlich. Es gibt Leu-te, die täglich vor Ort sind und die Veran-staltungen betreuen, die das Booking ma-chen, sich um den Einkauf kümmern, um die Öff entlichkeitsarbeit und nicht zuletzt um die Finanzen. Eben um alles, was zu einem kompletten Veranstaltungsbetrieb gehört.

Kultur hat es ja meistens schwer, oder

wie Karl Valentin sagt „Kultur ist schön,

macht aber viel Arbeit“. Wie steht es um

die Förderbedingungen, speziell in Ber-

lin? Wie sind eure Erfahrungen?

Na ja, da hat der gute Karl Valentin ganz recht. Wir haben es mehrmals am eigenen Leib erlebt, dass so kleine Spielstätten nicht als förderungswürdig angesehen werden. In den mehr als zwölf Jahren haben wir vielleicht rundgerechnet 9000 Euro vom Bezirk als Förderung und Unter-stützung erhalten.

Aber eben auch unglaub-lich viele Ablehnungen von Senat und Bund. Das Fördergeld war immer nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, und es gab mehrere Situationen, in denen das Zimmer 16 vor dem Aus stand und nur durch persönliches fi nanzielles Engagement gerettet werden konnte.

Wie wichtig ist denn Kre-

ativität neben Durchhal-

tevermögen und dem

persönlichen Einsatz,

den du beschreibst, um

in der Kulturlandschaft

als kleiner Player beste-

hen zu können?

Einiger Kreativität bedarf es natürlich, um immer wieder neue Finanzie-rungsideen auszubrüten, aber natürlich muss es auch ein großes Maß an Kreativität bei der inhalt-lichen Gestaltung des Programms geben. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass das Publi-kum dem Zimmer 16 auf immer verbunden ist und uns dauerhaft die Türen einrennt.

Was ist das Wichtigste

für euch?

Das wesentlichste Ziel ist das Weiterbestehen. Als letzte Kultureinrichtung im Ortsteil Pankow, die tägliches und vielseitiges Veranstaltungs-, Work-shop- und Probenange-bot unterbreitet.

www.zimmer-16.de

Fotos: Stefan Greitzke

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(Kiez-)Kultur

Hallöle,alle mal herhören …

… da bin ich wieder.

In meinem vorigen Bericht hab ich Euch, meine liebe Leserschar, von meinem Urlaub erzählt, wa? War ja traumhaft, muss ich Euch sagen. Ich habs richtig genossen! Was ich aber noch nich erzählen konnte, das war das Ende vom Lied, ähhh, vom Urlaub natürlich. Das war wohl – wie der Volksmund sagt – „dat Jelbe von´s Ei“!

Da lieg ich am letzten Abend noch einmal verträumt auf der Wiese am See, die Augen geschlossen, döse so vor mich hin, denke an nix Besonderes. Und plötzlich wird es um mich herum so farbig … erst gelblich, dann rötlich, dann orange. Hej, war das ein wunderschö-ner Sonnenuntergang! Was hat sich die Natur denn da als Höhe-punkt meiner Ferien für mich ausgedacht, hi,hi,hi. Das is ja sozusa-gen der „i-Punkt“ dieser schönen Tage. Froh und glücklich bin ich dann am späten Abend heimwärts gefahren. Ein paar Tage danach war ich wiedermal in unserer "Zentrale", der Danziger 50. Wie ich so durch die Auslagen und Aushänge stöber, das eine oder ande-re Blättchen und Heftchen an mich reiße, fällt mir doch ein Kärt-chen in die Hand mit der Auff orderung, an einem Fotowettbewerb

teilzunehmen. Es dauerte einen Momang, bis ich „ORA“ und „NGE“ zu „ORANGE“ gedanklich zusammengefummelt hatte. Und woran dachte ich? Natürlich an meinen schönen Sonnenuntergang. Och nee, hätt ich den doch knipsen und mich am Wettbewerb betei-ligen können! Da war ich amtlich sauer! Ein wenig tröstete mich dann doch die Rückseite des Blattes; dort war der Einsendeschluss auf den 31. August festgelegt. Aber es war schon der 4. September.

Es dauerte einige Zeit, da fi el mir das Kärtchen wieder in die Hän-de. Nun war ich aber neugierig geworden. Ich wollte mehr erfahren über den orangen (oder orangenen?) Fotowettbewerb und rief im Internet die Startseite des Kulturvereins auf. Doch was is das??? Is das denn die richtige Seite? Ein breiter Streifen in Orange? Bin ich etwa bei easyJet ,gelandet´ oder bei der BSR? Die sind doch oran-ge! Nein, da steht es doch: „Kulturverein Prenzlauer Berg“. Ich bin richtig, nur mein ehemals blaues Mäntelchen is jetzt weiß, ebenso auch das „KV“-Logo! Na, ich muss zugeben, unser neues „Aushän-geschild“ kommt recht freundlich daher! Vielseitig und interessant zu lesen über unseren Verein und seine Mitglieder, Betriebe und viel Anderes mehr. Auch schöne Bilder. Mann, da hat aber Eine oder Einer eine mächtig kreative Ader kucken lassen!

Und jetzt wird mir auch der Zusammenhang klar: Das is der Auf-hänger für den Fotowettbewerb! Natürlich: „Alles orange“. Und es sind sehr viele Bilder mit unserer neuen Farbe entstanden und ein-geschickt worden. Ich freue mich, dass die Auswahl der Preisträger nich von mir getroff en werden musste. Danke allen, die sich be-teiligt haben. Und der Sieger? Na, da hat doch tatsächlich jemand etwas zeitiger den gleichen Gedanken gehabt wie ich und … den Wettbewerb gewonnen! Die „Glücksgefühle“ haben gesiegt. „Mein“ Sonnenuntergang! Oder war es ein Sonnenaufgang? Keine Ah-nung. Aber ein tolles Bild. Nur schade, dass es nich von mir is. Ich gratulier dem Knipser trotzdem ganz, ganz herzlich zum Sieg und zum Gewinn der Kamera.

Das war´s dann für heute. Wenn ich mich das nächste Mal melde, haben wir Weihnachten schon hinter uns; oh, wie die Zeit vergeht. Na, der nächste Urlaub kommt bestimmt!

Ich spring dann mal wieder los …

„Orange, neue Farbe,

ich überall seh",

doch grau ist der Springende Punkt vom KVPB. (pad)

KOLUMNEDer Springende Punkt

macht Urlaub... ..

Page 21: MITTENDRIN Dezember-Januar-Ausgabe 14|15

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Neue SelbsthilfegruppeJung und abstinent in Berlin

Seit Anfang Oktober gibt es ein neues

Angebot im ZENTRUM danziger50:

die off ene Selbsthilfegruppe "Jung &

Abstinent in Berlin" (JAB). Sie richtet

sich an junge Abstinente mit Interesse

an Theater und Kultur.

Gründer und Moderator der Gruppe ist Ronny Sydow: „Ich bin selbst suchtkrank und habe nach einer Langzeittherapie festge-stellt, dass es für junge Leute in Berlin kaum Selbsthilfeangebote gibt." Selbsthilferegister oder Suchtberatungsstellen verweisen auf Gruppen wie "Vista", die "Guttempler" oder die "Anonymen Al-koholiker". Hier fühlt sich aber nicht jeder gut aufgehoben: „In der ersten Gruppe, die ich besucht habe, waren die Teilnehmer deut-lich älter als ich, 35 Jahre aufwärts. Da ist es für einen jungen Mann Mitte 20 sehr schwer, sich zu öff nen und Vertrauen zu gewinnen. Und der Anschluss nach einer Langzeittherapie ist für Abstinente sehr wichtig", erklärt Sydow. „Daher habe ich nach einer Möglich-keit gesucht, um selbst etwas auf die Beine zu stellen. Zusammen mit dem Kulturverein Prenzlauer Berg, der JAB zweimal wöchent-lich kostenlos einen Raum im ZENTRUM danziger50 zur Verfügung stellt und mir im Vorfeld beratend zur Seite stand, ist mir das ge-lungen. Die Gruppe hat mittlerweile 25 Mitglieder. Das Angebot wird gut angenommen, die Nachfrage ist da."

JAB ist für jeden off en, möchte aber hauptsächlich jungen Absti-nenten eine Anlaufstelle bieten. Dabei umfasst Abstinenz mehr als Alkoholabstinenz. „Es gibt auch Leute, die sind abstinent vom Rauchen oder von der Magersucht. Wir richten uns generell an Suchtkranke und sind auch sehr bedacht darauf, dass wir alle ein-

binden", betont Sydow. "Jung & Abstinent" ist eine dialoge Gruppe. Das heißt, jeder hat das Recht, seine Meinung und seine Wünsche zu äußern. In monologen Gruppen gibt es immer einen Modera-tor, der durchgehend das Wort hat, der bestimmt, wer zu sprechen hat. „Das ist es, was viele abschreckt", so Sydow. Zwar gibt es auch in dialogen Gruppen einen Moderator, er erfüllt aber eine ande-re Funktion. „Es geht vor allem darum, darauf zu achten, dass sich alle mit Respekt behandeln, beim Thema bleiben und sich ausre-den lassen, die Absprachen einhalten. In den Konsumzeiten ist es so, dass man wirklich alle Regeln außen vorlässt. Man unterbricht Strukturen, begeht Fehler, nimmt die Konsequenzen dafür in Kauf. Und um die Suchtkrankheit zu bekämpfen, ist es ganz wichtig, Re-geln nicht zu ignorieren." Das fängt schon bei der roten Ampel an. Das Ignorieren ist eine Widerspiegelung der Konsumzeit und damit auch eine Suchtgefährdung. Regelbruch erzeugt eben auch Druck im Kopf: Man kriegt ein schlechtes Gewissen. Schlechtes Gewissen heißt Verdrängung, heißt Konsum. „Sicher ist das Wissen um die-se Zusammenhänge auch ein Grund, warum das Gespräch in der Gruppe reibungslos funktioniert“, sagt Sydow.

Die Gesprächsrunden sind der eine Teil von "Jung & Abstinent". Der andere beruht auf der Überlegung, dass es im abstinenten Leben besonders wichtig ist, sich zu beschäftigen, wieder Spaß an Dingen zu entwickeln, etwas auf die Beine zu stellen. Deswegen begreift sich JAB auch als kulturelles Forum, das künstlerische Aktivitäten unterstützt. Es gibt viele Abstinente, die versteckte Talente oder künstlerische Ambitionen haben, die sie in Zeiten des Konsums nicht weiterentwickeln und ausleben konnten. „Da wollen wir an-knüpfen und die Lust an Musik, Theater, Schreiben oder anderen Kunstaktivitäten wieder wecken, zumal uns das ZENTRUM danzi-ger50 als langjähriges Veranstaltungshaus eine perfekte Plattform dafür bietet.“ Das persönliche Anliegen von Ronny Sydow ist es, mit JAB ein aufklärendes Theaterstück zu schreiben – ein Langzeitpro-jekt, bei dem jeder Teilnehmer mitarbeiten kann. (fn/bs)

Jung und abstinent in Berlin| Off ene Selbsthilfegruppe |

Sonntag, 14:00 Uhr, Donnerstag, 16:00 Uhr im ZENTRUM danziger50, 10435 Berlin

Seminarraum im Dach

Foto : Ronny Sydow privat

Page 22: MITTENDRIN Dezember-Januar-Ausgabe 14|15

Stefanie Remlinger,

Bündnis 90/Die Grünen, Wahlkreis 9

Diese Serie stellt Frauen und Männer vor, die es 2011 zum

ersten Mal geschaff t haben, als Abgeordnete in das Ber-

liner Parlament einzuziehen und deren Wahlkreise im

Ortsteil Prenzlauer Berg liegen. Stefanie Remlinger, Bündnis 90/

Die Grünen, gehört zu diesen Abgeordneten. Wir treff en uns im

ZENTRUM danziger50 zu einem Gespräch.

„Für mich war der Wahlabend besonders spannend. Ich war auf ei-nem Listenplatz, der im Laufe des Abends immer mehr ins Wackeln

kam. Ich wurde natürlich nervös. Als es dann endlich feststand, dass ich es geschaff t hatte, war ich sehr erleichtert.“ Stefanie Rem-linger spricht ruhig und gelassen. „Ich wäre maßlos enttäuscht gewesen, hätte ich es nicht geschaff t. Nach all der Härte im Wahl-kampf möchte man die Früchte ernten.“ Die Neuen wurden gleich in die parlamentarische Arbeit einbezogen, eine Schonzeit gab es nicht. „Meine Zeit in der Bezirksverordnetenversammlung Pan-kow, von 2006 bis 2011, hat mir sehr geholfen, mich in die Abläufe im Parlament hineinzufi nden.“ Stefanie Remlinger, geboren 1970 in Ellwangen (Baden-Württemberg), studierte nach dem Abitur in Würzburg und Passau Sprachen, Wirtschafts- und Kulturraumstu-dien. Sie ist Diplom-Kulturwirtin, lebt seit 1999 in Berlin. Die Stadt interessierte sie besonders, weil hier nach der Wiedervereinigung zwei unterschiedliche Kulturräume zueinander fi nden mussten. Diese Unterschiedlichkeit durchzog alle Bereiche des gesell-

Vorgestellt:Vorgestellt:Abgeordnete aus dem Kiez

(Kiez-)Kultur

22

Page 23: MITTENDRIN Dezember-Januar-Ausgabe 14|15

schaftlichen und persönlichen Lebens, natürlich auch die Sprache. In Berlin prallten zwei Welten aufeinander. „Das war natürlich haut-nah zu spüren, und so habe ich mich von Anfang an mit interkul-turellen Fragen beschäftigt“, sagt Remlinger. Es war ihr ein Dorn im Auge, dass die Westdeutschen so wenig über den Osten wussten. „Auch ich hatte den eisernen Vorhang im Kopf, dachte, dahinter ist alles grau. Und ich wollte nachprüfen, ob das tatsächlich der Fall war.“

»Auch ich hatte den eisernen Vorhang im

Kopf«Stefanie Remlinger wurde 2004 Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Was waren die Gründe für diese Entscheidung? „Friedens-politik, soziale Gerechtigkeit, Bürgerrechte bilden wichtige Grund-säulen grüner Politik. Hinzu kommen natürlich die großen ökologi-schen Fragen des 21. Jahrhunderts, die der Lösung harren. Es war nicht die Frage, in welche Partei ich gehe. Da gab es für mich keine Zweifel. Die Wahl stand fest.“ Ende 2012 wurde Stefanie Remlinger zur stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden ihrer Partei gewählt. Sie ist Sprecherin für Bildungs- und Haushaltspolitik sowie für be-rufl iche Bildung, vertritt die Fraktion in den Ausschüssen Bildung, Jugend und Familie und im Hauptausschuss. In dieser Aufzählung darf die Wahlkreisarbeit nicht fehlen. „Ich habe in der Tat die Ehre, ein ganzes Verantwortungsbündel zu tragen. Im Hauptausschuss bin ich für den Bildungshaushalt zuständig. Ich bin die Bildungs-politikerin, die vielleicht auch weiß, wo man tatsächlich Geld holen kann.“ Remlingers Stimme drückt Selbstbewusstsein aus.

Bildung in den Fokus rücken

Es ist ihr ein besonderes Anliegen, die berufl iche Bildung in den Fo-kus zu rücken, damit junge Menschen jede Unterstützung bekom-men, um über die bestehenden Berufschancen bestens informiert zu sein. Stefanie Remlinger hat sich stark dafür eingesetzt, dass es demnächst Jugendberufsagenturen in Berlin geben wird. Sie hat einen runden Tisch für berufl iche Bildung initiiert, lange Gesprä-che mit Partnern geführt, um Vertrauen aufzubauen. Es dürfe nicht länger sein, dass die Unternehmen sagen, die Schulen seien an der Lehrstellenmisere Schuld, und die Schulen sagen das Gegenteil. Es müsse Schluss sein mit der Vorstellung, dass derjenige, der in der Allgemeinbildung Schwierigkeiten hat, in die Berufsausbildung geht. Deshalb gehören alle Partner an einen Tisch.

Besondere Bedeutung misst Stefanie Remlinger dem dualen Sys-tem, das heißt der Einheit von theoretischer und praktischer Aus-bildung, zu. Das gelte für alle Bereiche der Bildung. Es müsse zur

Selbstverständlichkeit gehören, dass Menschen mit großer Berufs-erfahrung auch ohne Abitur an Hochschulen studieren können.Die Situation an den Berliner Schulen ist höchst unbefriedigend. „In die-sem Jahr mussten 2600 neue Lehrer eingestellt werden, eine Folge des demografi schen Wandels. Man hat an verantwortlicher Stelle zu lange die Augen davor geschlossen. Im nächsten Jahr brauchen wir wieder 1700 bis 2000 neue Lehrkräfte“, sagt Remlinger mit gro-ßer Entschiedenheit. Die Einstellung von Quereinsteigern in den Lehrerberuf könne eine Hilfe sein beim Abbau der Probleme. „Ich habe früh gesagt, es kann auch eine Chance für Schulen sein, mit Quereinsteigern zu arbeiten.“

Stefanie Remlinger war aktive Fußballerin, Libero, berichtet sie stolz. Im Fußball kommt es, wie in jeder Mannschaftssportart, dar-auf an, sich in den Dienst des Teams zu stellen. Das Zusammenspiel mit den anderen ist für den Erfolg verantwortlich. Das triff t auch auf die Politik zu. Die Zusammenarbeit in der Fraktion und mit an-deren Fraktionen muss klappen, um erfolgreiche Arbeit zu leisten.

»Ja, ich habe noch Freunde, die nichts

mit der Politik zu tun haben«

Dabei ist der Arbeitstag für jeden Einzelnen lang. Oftmals muss auch das Wochenende genutzt werden, um Termine wahrzuneh-men oder schriftliche Arbeiten zu erledigen. „Ich arbeite in der Tat sehr viel. Aber ich versuche, einen Ausgleich zu fi nden. Mit großer Freude betätige ich mich als Kleingärtner, und ich gehe gern raus ins Grüne.“ Stefanie Remlinger lächelt. „Ja, ich habe noch Freunde, die nichts mit der Politik zu tun haben.“ Sie sagt, sie sei nicht der Typ, der nur für die Schublade arbeitet, will aus der Opposition he-raus viel verändern. Dazu fi ndet Remlinger auch den Weg in die Se-natsverwaltungen und stellt dort ihre Konzepte vor.

In zwei Jahren fi nden die nächsten Abgeordnetenhauswahlen statt. „Ich habe auf jeden Fall vor, dann wieder für das Abgeordne-tenhaus zu kandidieren“, sagt sie zum Schluss. „Man braucht schon zwei, drei Jahre, um in der Landespolitik Fuß zu fassen.“ Also wer-den sich Gelegenheiten ergeben, mit Stefanie Remlinger weitere Gespräche zu führen.

Text: Claus Utikal, Foto: Stefanie Remlinger privat

Autoreninfo: Claus Utikal, 1949 in Görlitz geboren, ist Diplom-Kulturwissenschaftler. Er war Lektor für Medien und Sport im Funkhaus Berlin und Leiter der Öff entlichkeitsarbeit für The-Ma e.V. Aktuell ist er als Autor und freiberufl icher Publizist tätig.

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BilderrätselDas Letzte

Wat? Wo steht denn ditte?

»Wer nach dem Buchmessemonat Oktober keine Allergie gegen Lesestoff entwickelt hat, kann es ge-

fahrlos wagen, einen vorsichtigen Blick auf die rechte Seite zu werfen. In aufrechter Pose sitzt da ein steinerner junger Mann, auf seinen Beinen eines dieser buchstabenlastigen Exemplare, sein Blick in die Ferne gerichtet.

Wir sprechen in Rästeln? Ganz genau: in Bilderrätseln. Der lesende Knabe, den wir suchen, hat sich ein idyllisches Plätzchen in Weißensee ausgewählt. Hin-ter ihm viel Grün, in der Nähe ein malerischer kleiner Tümpel, der von Trau-erweiden eingerahmt wird und aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Ganz so jugendlich ist der "Knabe" allerdings nicht mehr, seit über dreißig Jahren sitzt er kerzengerade und konzentriert auf seinem Stein.

Sie wissen, wo diese Bronzestatue steht und wer sie erschaff en hat? Dann zö-gern Sie nicht, uns an Ihrem Wissen teilhaben zu lassen. Ihre Lösung senden Sie bitte bis zum 16. Januar 2015 an [email protected]. Unter allen Mitratern verlosen wir ein Neujahrsüberraschungspräsent.

Des Rätsels Lösung: In der letzten Ausgabe haben wir das Heinrich-Böll-Denkmal in der Greifswalder Straße gesucht, das seit 1996 vor der gleichna-migen Bibliothek steht. Ein Werk des Bildhauers Wieland Förster. (fn)

Herausgeber: Kulturverein Prenzlauer Berg e.V., Danziger Str. 50, 10435 Berlin | Redaktion: Barbara Schwarz (bs), Frauke Niemann (fn) | ViSdP: Der Vorstand | Grundlayout:

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der 16. Januar 2015. Ihre Beiträge senden Sie bitte an: der 16. Januar 2015. Ihre Beiträge senden Sie bitte an:

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Fotos: Frauke Niemann