MITTENDRIN November-Dezember-Januar 15|16

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Kulturverein Prenzlauer Berg e.V. | November – Januar 2015/16 | kostenlose Ausgabe Magazin für Kultur und Bildung in Prenzlauer Berg mittendrin Ich will doch nur spielen!

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Magazin für Kultur und Bildung in Prenzlauer Berg

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Kulturverein Prenzlauer Berg e.V. | November – Januar 2015/16 | kostenlose Ausgabe

Magazin für Kultur und Bildung in Prenzlauer Bergmittendrin

Ich will doch nur spielen!

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INHALT

THEMA

Ich will doch nur spielen! 3

Spiel ist keine Spielerei 5Einen Platz in der Welt fi nden

Die Angst vor dem Nichts überwinden 6Improtheater: Spiel ohne doppelten Boden

SHORTSTORIES

Achtzehn Raubtiere 8Eine Kurzgeschichte von Astrid Düerkop

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel 10Das waren die Pankower Theatertage

Bewegte Kunst bewegt die Herzen 11Mit dem Krachlichtermobil auf Tour

WORT UND BUCH

Wenn das alles ein Spiel ist, sind wir verloren. 12Juli Zeh: Spieltrieb

Entschuldigung, sammeln Sie Flaschen? 14Überleben in der Stadt

Erlesenes für Kinder 15Viele Bücher machen klücher

KIEZ & KULTUR

Der Bauch Berlins 16Schlachthof

Höchstens siebeneinhalb 18Die Lesebühne Crazy Words

Stadtnatur-Filmfestival 20Dokureihe im Museum Pankow am Wasserturm

Made in Zvizzchi 22Yad Chanah unterstützt internationalen Kulturaustausch

Kolumne: Der Springende Punkt 23... geht spielen

DAS LETZTE

Wat? Wo steht denn ditte? 24Bilderrätsel

Impressum 24

EDITORIAL

»Wir spielen alle,

wer es weiß, ist klug«

(Arthur Schnitzler)

Schluss mit Effi zienz, Zielorientiertheit und Produk-

tivität: Wir wollen spielen! Beim Spielen gönnen wir

uns eine Auszeit vom unserem ach so rationalen

Alltag. Wir können uns nach Herzenslust austoben,

Zeit vorsätzlich verschwenden, virtuelles oder echtes

Geld verjubeln, in andere Rollen schlüpfen, kurzum:

so richtig über die Stränge schlagen. Mit Gefühlen

zu spielen, ist wiederum Wahnsinn, schenkt man

Wolle Petry Glauben. Trotzdem tun wir es immer wie-

der. Mal vorsätzlich, mal unbewußt spielen wir mit

Menschen, ihren Ängsten und Träumen. Was macht

eigentlich den Reiz des Spiels und des Spielens aus,

fragen wir uns in dieser Ausgabe.

Auch bei Juli Zeh, der wir diesmal unseren Buchtipp

(S. 12) widmen, steht das Spiel, genauer der „Spiel-

trieb“, im Fokus ihres lesenswerten Romans. Und was

noch? Wir laden Sie herzlich ein ins Museum Pankow

zum Stadtnatur-Filmfestival (S. 20), das nicht nur mit

interessanten Beiträgen sondern auch mit freiem

Eintritt lockt. Außerdem machen wir eine Reise in

die Vergangenheit und erwecken den alten Bauch

Berlins zu neuem Leben (S. 18), sind dabei, wenn das

per Defi ntionem lautstarke Krachlichtermobil Fahrt

auff nimmt (S. 11) und folgen der Fährte des Sprin-

genden Punkts (S. 23).

Viel Spaß beim Lesen!

Barbara Schwarz und Frauke Niemann

(Redaktion MITTENDRIN – ein Magazin des Kulturverein Prenzlauer Berg)

Inhalt

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| 3 Thema

Alle Menschen sind Spieler, könnte man demnach zu-gespitzt formulieren, oder

andersherum: der Spieltrieb ist eine menschliche Konstante. Schon Götterbote Hermes konnte seinen

Der moderne Mensch (Homo sapiens) ist vernunft begabt, lernen wir im Biologieunter-richt. Dass er seine Fähigkeit zu denken auch gerne mal vernachlässigt, steht auf einem anderen Blatt. Das Denkenkönnen ist aber nicht die einzige Zuschreibung, die die Wis-senschaft für unsere Spezies bereithält. Auch das Vermögen, seine Umwelt aktiv zu ver-ändern, macht den Menschen aus, sagen Anthropologen und sprechen daher vom Homo faber, dem tätigen Menschen, dem Handwerker. Das treff e es noch nicht, lies Mitte des 20. Jahrhunderts der Kulturphilosoph Johan Huizinga verlauten und prägte den Begriff Homo ludens, übersetzt: der spielende Mensch. Huizinga defi niert das Spiel als Grund-kategorie menschlichen Verhaltens, sieht gar den Ursprung der Kultur im Spiel.

Ich will doch nur spielen!

Drang zu spielen nicht bezwingen. Er gilt als Erfinder des Würfelspiels und der Weissagung durch Wür-fel. Wer glaubt der Ausruf „Bingo!“ halle nur durch Altersheime der Neuzeit, hat damit zwar recht, die

Chinesen führten allerdings bereits vor zweitausend Jahren ein Spiel mit sehr ähnlichem Regelwerk ein, das Zahlenlotto „Keno“. Vermutlich die erste staatliche Lotterie überhaupt – sie finanzierte nichts Geringeres

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als den Bau der Chinesischen Mau-er. Manche Spiele sind eben zeitlos. Bestimmte Mechanismen leider auch: Das Prinzip „Brot und Spie-le“ funktioniert im alten Rom ge-nauso gut wie heute, nur sind die Gladiatoren des Hier und Jetzt weniger glamourös: Massenunter-haltung à la Schlag den Raab erfüllt heute wie damals den Zweck, das Volk zu zerstreuen, damit es sich nicht mit elementaren gesellschaft-lichen Missständen auseinander-setzt.

Natürlich tun wir dem Spiel mehr als Unrecht, stempeln wir es kurzer-hand als nichtsnutzige, ziellose Zer-streuung ab. Ohne die Lust am Spiel hätten sich Gesellschaftsbereiche wie Kunst, Philosophie, Recht und Religion überhaupt nicht entwi-ckelt, sagt Huizinga in seinem Buch „Homo Ludens – Vom Ursprung

der Kultur im Spiel“. Spielend entwi-ckelt der Mensch seine Fähigkeiten, lernt soziales Verhalten, erkundet seine Umwelt und bildet kulturelle Techniken aus. Der Mensch wird erst durch das Spiel zum Menschen. Oder wie es der Literat und Phi-losoph Friedrich Schiller formu-liert: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

Aber, was reizt uns so am Spiel? Es eröffnet uns einen neuen Raum. Wir können uns ausprobieren, neu erfinden, so tun als ob, uns abgren-zen vom gewöhnlichen Leben, von Alltagszwängen und Routinen. Im Spiel sind wir frei, das zu tun, was wir wollen, nähern uns unse-ren Wünschen ebenso wie unseren Ängsten. Der Zweck des Spiels liegt nur im Spiel selbst, es unterliegt

Mal verliert man, mal gewinnen die anderen.

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genau wie der Spieler selbst, nicht dem Zwang produktiv zu sein. Im Gegenteil, beim Spielen können wir verschwenderisch sein oder (ha!)mutwillig unvernünftig, ohne uns vor den Konsequenzen fürchten zu müssen. Und noch etwas hält das Spiel bereit: Einen Nervenkitzel, nämlich den des ungewissen Aus-gangs, des offenen Endes.

Und doch bleibt das Gefühl, dem Phänomen Spiel in seiner Viel-schichtigkeit nicht richtig beikom-men zu können. Worüber sprechen wir eigentlich, wenn wir von Spielen sprechen? Roger Caillois, ein fran-zösischer Soziologe, hat sich daran gemacht, die Grundkategorien des Spiels zu definieren. Er macht vier Elemente aus: den Wettkampf, das Glückspiel (gekennzeichnet durch das Zufallsmoment), das Verstel-lungsspiel (das es uns ermöglicht in andere Rollen zu schlüpfen) und das rauschhafte Spiel (das uns die Reali-tät vergessen lässt). Jedes Spiel ist laut Caillois eine Mischform eben dieser vier Elemente. Lernspielen hat er keine eigene Kategorie zugedacht. Denn das Schöne am Spielen ist ja gerade seine Selbstgenügsamkeit. Lerneffekte entstehen ganz neben-bei. Sie sind quasi Nebenprodukte des Spielens. Kinder und Erwach-sene lernen beim Spielen en passant sich zu konzentrieren, vorausschau-end zu handeln, strategisch zu agie-ren oder auch ganz schlicht, sich mit der Tatsache zu arrangieren, dass man nicht immer Erster sein kann.

Und, wer sich trotzdem nicht da-gegen wehren kann, verlieren doof zu finden, dem hilft vielleicht Sepp Herberger weiter: „Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!“

» Der Mensch spielt nur, wo er in voller

Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er

ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“

Text: Frauke Niemann

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| 5 Thema

Auch wenn es nicht immer so aussieht: Spielen ist Arbeit!

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Spiel ist keine SpielereiEinen Platz in der Welt fi nden

Immer nur spielen. Ob das gut geht? Und ob! Spielen bedeu-tet für Kinder Arbeit, ganz

unbewusste, aber alle Sinne fordern-de Arbeit. Spielen ist die bedeut-samste und wirkungsvollste Art des Lernens, schenkt man dem Berli-ner Bildungsprogramm glauben. Viele schlaue Köpfe haben sich mit dem Spiel und seiner Bedeutung für den einzelnen und die Gesell-schaft auseinandergesetzt: Päda-gogen von Fröbel bis Piaget, Phi-losophen von Kant bis Freud und unzählige andere verschiedener Fachrichtungen. Kinder haben ein „Recht auf Spiel“, festgehal-ten in Artikel 31 der UN-Kinder-rechtskonventionen. Immerhin sind Kinder unsere Zukunft und „der Lärm spielender Kinder ist Zukunftsmusik“, so Horst Köhler, Bundespräsident a.D.

Wir befragten die Fachleute in der KUBI Kitagruppe*, wie sie das Spiel

in der Kita einordnen, und was sie erfahren, wenn sie die Kinder beim Spielen – mit oder ohne Spielzeug – beobachten:

Das Spiel füllt den größten Teil des Kita-Tagesablaufs aus. Impulse sind wichtig, Neugier sollte erkannt bzw. geweckt, Alltagsgegenstände ins Spiel miteinbezogen werden. Durch das Spielen finden Kinder ihren Platz in der Welt. Alle Sinne sind be-teiligt, die Kinder setzen all ihre kör-perlichen und geistigen Fähigkeiten ein. Die Aufgabe der Erwachsenen ist es, passende Dinge bereitzustel-len, oder auch bewusst auf diese zu verzichten, die richtige Waagschale zu finden zwischen „Laufen lassen“ und dem Erkennen und Aufgrei-fen der Spielabsichten der Kinder. Interessant ist, dass Kinder im Säuglingsalter kaum Spielmaterial

benötigen, sie beschäftigen sich mit allem, was sich in der unmittelbaren Umgebung befindet, also sie selbst und das Gegenüber. Später beginnt das Miteinanderspielen, wächst die sprachliche Kompetenz, kommen die Rollenspiele hinzu. Der Entwicklungspsychologe Jean Piaget ordnet das Spiel des Kindes als einen permanenten Versuch ein, sein Umfeld in das eigene Denken, Handeln und Gestalten einzubezie-hen, um Erlebtes zu verstehen und aktiv mitbestimmen zu können. Spiel ist also nicht gleich Spielerei!

TEXT: BARBARA SCHWARZ

Fragen Eltern nach

dem Kitabesuch ihre

Kinder, was sie gemacht

haben, kommt oft gar

nichts, oder ein Schulter-

zucken. Vielleicht, weil es

Kindern als seltsame Frage

erscheint. Na, was soll ich

schon gemacht haben?

Ich war da – und ich hab

gespielt.

* Zur KUBI KITA GRUPPE der

KVPB Kindertagesstätten gGmbH

gehören sechs Kindertagesstätten

mit kulturellem Profi l in den Bezirken

Pankow und Mitte.

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6 | Thema

Die Angst vor dem Nichts überwinden

MITTENDRIN: Was macht Impro-theater aus?

FREI.WILD: Improtheater heißt spielen von Moment zu Moment. Premiere und Derniere sind eins. Nichts kann wiederholt werden. Al-les wird im Moment neu erfunden und erlebt. Die Inspirationen kom-

men aus den Zuschauern, die Vor-gaben machen dürfen und sollen, um die Spieler herauszufordern. Sie entscheiden darüber, was sie sehen möchten. Improvisationstheater kann schnell sein: Theatersport, zwei Teams treten gegeneinander an und spielen kurze knackige Forma-te. Oder langsam: Über eine ganze

Spielhälfte wird nur an einer Ge-schichte gestrickt.

DIE TUMORISTEN: Wir machen Playback-Theater. Das ist eine spe-zielle Form des Improvisations-theaters. Die Schauspieler bringen Geschichten aus dem Alltag, die ein Bühnenleiter vom Publikum er-fragt, auf die Bühne. Jede Geschich-te wird mit ihren wesentlichen Aus-sagen zurück gespielt, deswegen

„Improtheater ist wie

Sporttraining: Man trai-

niert Schnelligkeit und

Flexibilität im Denken,

muss den Druck der

Perfektion überwinden

und einfach machen.“

frei.wild verwandelt die Inspiration der Zuschauer in aufregende Bühnengeschichten.

Improtheater: Spiel ohne doppelten Boden

FREI.WILD

frei.wild – das heißt frei im Kopf und

wild auf der Bühne! Seit 2006 steht

frei.wild auf den Brettern, die die

Welt des Improvisations-Theaters

bedeuten. Ob daheim in Berlin oder

auf Festivals j.w.d. – 9 Spieler, drei

Pianisten und ein Techniker improvi-

sieren vom klassischen Theatersport

über Langformen, Musikshows und

Impro-Märchen für Kinder bis hin

zum Auftritt auf Bestellung bei Jubi-

läen und Tagungen. Dabei sind die

Berliner stets darauf bedacht, nie das

Küken im Bären zu vergessen…

www.frei-wild-berlin.de

Improtheater ist Spielfreude pur, immer unverfälscht, im-mer überraschend, oft urkomisch, manchmal tieft raurig. Davon, was es sonst noch sein kann, erzählen die Berliner Improgruppen FREI.WILD und DIE TUMORISTEN.

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| 7 Thema

das Unerwartete – denn nichts von dem, was auf der Bühne passiert, ist vorhersehbar. Jeder Mensch, der sich auf andere einlassen und auf-merksam zuhören kann, wird wie wir den Spaß am Spiel empfinden – das haben zahlreiche Workshops gezeigt, die wir für Interessenten durchgeführt haben.

FREI.WILD: Wir stellen fest, dass bei den Gruppen, die wir unterrich-ten die Motivation oft recht unter-schiedlich ist: Einige wollen Impro-theater für ihren Beruf nutzen, um z.B. schlagfertiger zu werden, an-dere wollen einfach nur abschalten nach einem Tag im Büro und viel und herzlich lachen!

„play back“. unser Anspruch ist es, die Essenz des Erlebens in ei-ner künstlerisch-ästhetische Form darzustellen. MITTENDRIN: Was ist für euch „Spielen“ im Allgemeinen und im Speziellen das Spiel auf der Büh-ne?

DIE TUMORISTEN: Das Spiele-rische geht den meisten Menschen im Laufe des Erwachsenwerdens verloren, gehört aber doch ele-mentar zum Leben. Menschen, die in der Lage sind, zu spielen, bereichern ihr Leben. Denn Spiel bringt Freude, Kommunikation und regt die Fantasie an. Das Spiel auf der Bühne bereichert, erwei-tert unseren Horizont und fördert den Mut, sich in der Öffentlich-keit zu zeigen.

FREI.WILD: Spielen ist Lebens-freude und Lebenslust. Die Angst vor dem Nichts, vor dem Blackout zu überwinden und zu spüren, dass da immer etwas ist. Irgendwo

Ein Schwerpunkt der Tumoristen ist die Krankheitsbewältigung und die Enttabuisie-

rung des Themas Krebs in der Gesellschaft.

ist ein Impuls, eine Idee. Spielen ist die Kommunikation mit den Publi-kum. Spielen heißt auch, ganz ein-fach den Moment zu erleben. Wir haben nicht die Zeit, wochenlang an einer Figur zu arbeiten. Wir sprin-gen einfach rein. Magie passiert und man sagt Sachen und tut Dinge, auf die man vorher nie gekommen wäre, weil die Figur sofort lebt. Sie ist da.

MITTENDRIN: Braucht man be-stimmte Voraussetzungen fürs Improtheater? Ins kalte Wasser zu springen, liegt bestimmt nicht je-dem.

FREI.WILD: Improtheater ist wie Sporttraining: Man trainiert Schnel-ligkeit und Flexibilität im Denken, muss den Druck der Perfektion überwinden und einfach machen. Je mehr man trainiert umso freier und schneller wird man.

DIE TUMORISTEN: Die Grund-voraussetzung ist der Mut, sich zu präsentieren, sich einzulassen auf

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DIE TUMORISTEN

In Berlin gibt es ein Theaterensemble

ganz besonderer Art: Die Akteure

sind Menschen mit Krebserfahrun-

gen und spielen Playbacktheater und

Improvisationstheater. Dabei kombi-

nieren sie das Improvisationstheater

des Engländers Keith Johnstone mit

dem Playbacktheater des Amerika-

ners Jonathan Fox - zwei verschie-

dene Formate, die in kombinierter

Form so noch nicht auf der Bühne zu

sehen waren.

www.tumoristen.de

„Das Spielerische geht

den meisten Menschen

im Laufe des Erwach-

senwerdens verloren,

gehört aber doch ele-

mentar zum Leben.“

Interview: Barbara Schwarz, Frauke Niemann

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8 | Shortstories

Angefangen hat das Ganze an einem heißen Sommer-tag. Wir tranken Eli-Lilly-

Löwenbrause, dazu aßen wir Kin-derriegel, verpackt in Folien mit Löwenmotiv. Zum Nachtisch gab es Schoko- und Vanille-Eis. Die Verpackungen waren erst achtlos auf den Tisch geflogen, bis Frau Krüger plötzlich fragte: „Wieso sind eigentlich Löwen auf Eiscremever-packungen?“

„Warum keine Eisbären oder Eisvö-gel?“, dachte sie laut als Frau San-nemann den Wunsch nach einem weiteren Eis äußerte. Aber es gab kein zweites Eis am Stiel, weder für sie, noch für irgendwen anders. Die Verpackungen lagen noch auf dem Tisch. Jetzt war es Frau Steinbiel, die fragte: „Wieso sind eigentlich Löwen auf Eisverpackungen?“ Ach! Ich nehme die leeren Plaste-Hüllen einfach mit, ihr werdet es sehen,

Im Angesicht des Löwen

zum Kaffee ist die Frage beantwor-tet! Zu allen Mahlzeiten traf sich die Tischrunde im Speiseraum wie-der. In meinem Zimmer angekom-men hieß es jetzt: Ausschneiden. Die kleinen Löwenfiguren wurden sauber und exakt extrahiert. Dann klebte ich die Löwen-Torsos auf, aber blank auf weißem Notizkar-ton sah das Ganze irgendwie dürftig aus. Also malte ich um die Löwen herum eine Geschichte, und schrieb auf die Rückseite einen passenden Text.

Ich nenne dies meine Roma-Tech-nik. Vor einiger Zeit war ich in einer sehr beeindruckenden Austellung im Instituto Cervantes in der Ro-senstraße: „An die Grenze gehen“, Malerei, Fotos, Installationen, Bild-hauerei und Videos von Roma-Künstlern aus ganz Europa. Auch Textbänder waren zu lesen:

Achtzehn RaubtiereEine Kurzgeschichte von Astrid Düerkop

„Out of time – In der

gewöhnlichen Zeit, der

auf der Uhr, gibt es ei-

nige bestimmte Dinge,

die man versteht. Wenn

man die Zeit loslässt,

versteht man einige

Andere. - En el tiempo,

el del reloj, hay unas

cuantas cosas que se

entienden. Cuando se

suelta el tiempo, se en-

tienden algunas otras.“

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| 9Shortstories

„Und irgendwo gehn Löwen noch und wissen, solang sie herrlich sind, von keiner

Ohnmacht.“ (Rainer Maria Rilke)

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Eine der Künstlerinnen hatte eine große Wandfläche mit streichholz- oder briefmarkengroßen Miniatur-bildern bekleidet. Produktbildchen aus ganz Europa waren der Colla-gen-Grund kleiner Kunstwerke, die kalligraphisch, oft mit schwarzem Scriptol um die ausgeschnittenen Elemente herum, verziert waren.

Beim nachmittäglichen Kaffeetrin-ken waren die ersten zwei Löwen-Karten mit dabei. Der grüne Apfel-löwe und die blaue Flaschenlöwin. Das Gelächter und die Zuschrei-bungen begannnen. Nr.1: Der grüne Apfellöwe ist ein ganzer Kerl, mit dem an deiner Seite haut dich nichts um, der haut nämlich alles weg, was dir in die Quere kommt. Nr. 2: Die blaue Flaschenlöwin ist eine Tänze-rin, mit der an deiner Seite, kannst du jeden bezaubern. Alle liegen dir zu Füßen.

So fing es an, unser Spiel. Nach den ersten drei Flaschen Kinderlimo-nade und mehreren klebrig-süßen Schokoladenriegeln, hatten wir 14 Tiere im Kartenspiel. Zum Herbst-anfang kam dann die Flaute. Einer nach dem anderen musste ins Kran-kenhaus. Endlich, zu Weihnachten, waren es 18 Karten. Auf der Rück-seite aller Bilder waren die Texte geschrieben und mit schwarzem Textmarker hatte ich zum Schluß vorsichtig alle Bilder umrahmt. Das Löwen-Spiel, es hatte den Namen „Arche Noah“ bekommen.

Als ich meine Tischrunde endlich wieder traf, war es still und leise. Ein Sitzplatz blieb leer. Frau Krüger war

von ihrem letzten Krankenhausauf-enthalt nicht mehr zurückgekehrt, sie war an einem der Feiertage ver-storben.

Manchmal spiele ich jetzt mit ande-ren dieses Spiel. Es macht mich im-mer ein wenig melancholisch. Fast jedesmal wenn ich eine Karte in der Hand halte, muß ich an Straß-furt denken. „Straßfurt. Der Ort, an dem die Fernseher zu DDR-Zeiten produziert wurden“, pflegte Frau Krüger immer zu sagen, wenn sie gefragt wurde, woher sie kommt.

Von dort war sie als alte Dame nach Berlin geholt worden, und verspür-te ein dauerndes Heimweh. Auch ihre Fantasie und unsere häufigen Albernheiten, konnten dieses Ge-fühl nicht vertreiben. Es ist vielen Menschen, die sich auf einem lan-gen Weg in die Ungewissheit be-

wegen, zu eigen. Dies Gefühl der Entwurzelung.

Die Karte des heutigen Tages ist Karte Nr. 3: der Zwerg-Flug-Löwe. Dieser Löwe mit seinem fliegenden Teppich bringt alle und alles zum Schaukeln. Er fliegt dicht über dem Boden entlang. Neben ihm sind schon die Blitze eines nahenden Unwetters sichtbar. Er selbst schaut den Betrachter gelassen an.

ÜBER DIE AUTORIN:

Während der letzten Berufsjahre ist

aus Schreiben und Gedankensam-

meln nur noch Zuhören und Lesen

geworden. Erst mit dem langsa-

meren Lebenstempo seit 2001 und

dem Genuss an kleinen Wegen und

Begebenheiten fand Astrid Düerkop

zurück zum Geschichtenerzählen.

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10 | Shortstories

Das waren die Pankower Theatertage | ptt 2015

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel

Die Pankower Theatertage 2015 liegen nunmehr zwei Monate hinter uns und es ist Zeit, einen Blick zurückzuwerfen. An vier Ta-gen Ende September fanden über 60 Theaterveranstaltungen an 20 Spielorten statt. Kein Wunsch blieb unerfüllt: Puppen-, Kinder- und Sprechtheater, Tanzaufführungen und Musikperformances – auf den ersten ptt hatten die Zuschauer die Qual der Wahl. Für jeden gab es Neues zu erleben und die Möglich-keit, die Theaterkunst im Bezirk Pankow zu entdecken. Spielorte und freie Gruppen konnten zeigen, wer sie sind und gewannen zusätzliche Aufmerksamkeit.

Ein ganz hinreißendes Beispiel da-für gab es in der Brotfabrik am letz-ten Tag der ptt-2015. Dort fand eine Vorstellung der Schauspiel-Grup-pe „Kolonastix“ statt mit ihrem sehr empfehlenswerten Kinder-stück „Das kleine Gespenst“. Sehr

viele aufgeregte Kinder und Fa-milien konnte man schon vor dem Eingang sehen. Die kleine Brotfabrik platzte im wahrsten Sin-ne des Wortes aus allen Nähten. An der Kasse wurde gesagt, dies sei ganz ungewöhnlich und unverhofft. Was kann man sich mehr wünschen für dieses Projekt!

Ein Ziel der Pankower Theatertage war und ist es, die teilnehmenden

Das kleine Gespenst von Kolonastix treibt sein Unwesen: Eine von vielen tollen Acts

auf den Pankower Theatertagen | ptt 2015

Künstler und Spielorte miteinander zu vernetzen und auf diese Weise eine besondere Ebene finden, zu-sammen zu agieren und Neues zu kreieren. Über unsere Facebook-Seite facebook.com/pankower-theatertage gibt es unter anderem die Möglichkeit dazu. Dort sehen wir fast täglich Neues über unse-re Teilnehmer, wann sie wo spie-len, welche neuen Projekte geplant sind oder welche Veranstaltungen und interessante Theaterstücke uns demnächst erwarten. Ein Blick darauf lohnt sich also immer!

Wir, das Team der ptt, möchten allen Sponsoren, Partnern, Un-terstützern, Besuchern, allen Mit-streitern und natürlich unserem Schirmherrn, Bezirksbürgermeister Matthias Köhne, nochmal herzlich danken - ohne ihr Engagement und Mitwirken wären die ptt nicht mög-lich gewesen!

Der Blick in die Zukunft verheißt viel Spannendes. Eins ist klar: Die Pankower Theatertage sollen keine Eintagsfliege bleiben.

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Schee war´s! Die ersten

Pankower Theatertage

sind Geschichte. Was

bleibt? Die Vorfreude

auf eine mögliche

Fortsetzung in 2016,

neue spannende Ge-

schichten, Orte, Men-

schen und Aktionen!Text: ptt-Team

Das ptt-Team v.l.n.r.: Barbara Schwarz,

Thilo Schwarz-Schlüßler, Beatrice-Fea

Schirmacher, Frauke Niemann

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| 11 Shortstories

Bewegte Kunst bewegt die HerzenMit dem Krachlichtermobil auf Tour

Jedenfalls, wenn es nach Jean Tinguely geht. Diesen bewegten Künstler nahmen sich die Kin-

der, Eltern und Erzieher des Famili-enbereich „überbrücken“ zum Vor-bild, und schufen ein lärmendes, bewegtes Kunstwerk: Das Krach-lichtermobil. Mit diesem zogen sie pünktlich zur Langen Nacht der Familien von der Kita Kiezeulen, dem Weddinger Standort des Fami-lienbereichs zum zweiten Standort in Prenzlauer Berg, der Kita Gleim-strolche (HAUS 2).Während der Arbeit am bunten Gefährt war eines schnell klar, es macht Spaß, ein Geräuschobjekt zu bestaunen, aber vor allem auch,

Schrott macht Spaß! Das Krachlichtermobil nimmt Form an.

selbst eins herzustellen. An vier Tagen trafen sich Kinder und El-tern, um am „Krachlichtermobil“ zu werkeln. Die Kinder entdeck-ten die Materialien und testeten die unterschiedlichen Lautstärken, Töne und Frequenzen der Gegen-stände aus, bevor sich kleine Grup-pen aus Kindern und Erwachsenen zusammenfanden, um die Einzeltei-

le zusammenzufügen. Hier begann der Prozess des Ausprobierens, Pla-nens und Verwerfen der Ideen. Wie lässt sich aus einem bunten Sam-melsurium an Dingen eine Skulptur formen, eine bewegliche noch dazu? Kabelbinder, Paketband, Schnur, Knete, Schrauben und Nägel kamen zum Einsatz und nach und nach nahm das Krachlichtermobil Form an. Beim großen Showdown zur-Langen Nacht der Familien machte es seinem Namen alle Ehre.

Eine Radauveranstaltung, die Jean Tinguely wahrscheinlich gefallen hätte!

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Fahrradschlauch und Lampenschirm, Nudelsieb und Gießkanne, Badeschlauch und

Armatur, Blumenkette und Teesieb, Kronkorken und Puppenbuggy: Auf den ersten Blick

eine Ansammlung von Haushaltsschrott, auf den zweiten Blick das perfekte Material für

ein Kunstspektakel!

»„Wenn ich

Schrott berüh-

re, entsteht

Magie.“

(Jean Tinguely)

KINETISCHE KUNST In der Bildenden Kunst gibt es

verschiedene Künstler, die sehr

technikaffi n sind und kinetische

Objekten erschaff en haben. Der

Schweizer Maler und Bildhauer Jean

Tinguely (1925-1991) gilt als einer

der Hauptvertreter der kinetischen

Kunst. Er wurde vor allem durch

seine beweglichen Maschinens-

kulpturen bekannt, die häufi g auch

Töne erzeugen konnten. Gemeinsam

mit seiner Frau Niki de Saint Phalle

und anderen Objektkünstlern wie

z.B. Daniel Spoerri erschuf er wahre

Kunstspektakel, die als ebenso ver-

spielte wie ironische Kommentierung

des technischen Zeitalters gelten

können.

Text: Barbara Schwarz

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12 | Wort und Buch

Es ist nicht Bösartigkeit, die das ungleiche Zweiergespann antreibt. Es ist vielmehr die

Abwesenheit von Sinn, Werten und Glauben, die Ada und Alev zu Spie-lern in einem moralfreien Raum macht. „Wissen Sie, was übrig bleibt, wenn man dem Menschen alle Wertvorstellungen nimmt? Sagen Sie nichts, ich sehe Ihnen an, dass Sie es wissen. Der Spieltrieb bleibt.“

Das Spiel ist ihnen Selbstzweck und letztmögliche Seinsform. Sein Regelwerk tritt an die Stelle von Grundgesetz oder Bibel, weltlichen oder überweltlichen Instanzen. Mit Alevs Worten: „Der Spieltrieb er-setzt die Religiosität, beherrscht die Börse, die Politik, die Gerichts-säle, die Pressewelt, und er ist es, der uns seit Gottes Tod mental am

tek fortan jeden Freitag zur Wie-derholung des Aktes zu zwingen. Smutek ist Idealist und Menschen-freund und gerade daher das per-fekte Opfer. Er soll lernen, dass Ideale und Überzeugungen wertlos sind, nicht mehr und nicht weni-ger. Sprachgewaltig und unerschro-cken stellt Juli Zeh die Tradition der Schülertragödien des 20. Jahrhun-derts auf den Kopf. Hier drangsalie-ren nicht Lehrer ihre Schüler, hier treiben Schüler ein Machtspiel mit ihrem Lehrer.

Smuteks Lieblingsbuch, der Mann ohne Eigenschaft en, ist nur eine von vielen gezielten literarischen Anleihen in „Spieltrieb“. Nicht umsonst heißt die hochgebilde-te, kettenrauchende, mit Apho-rismen nur so um sich schleu-

Leben hält.“ Ada und Alev spielen, weil sie es können. Anything goes! Die Rolle der Spielfi gur fällt dem Deutsch- und Sportlehrer Smu-tek – auf polnisch der Ausdruck

Wenn das alles ein Spiel ist, sind wir verloren.Wenn nicht, erst recht.

Buchtipp

Das Prinzip Hoff nung regiert nicht am Ernst-Bloch-Gymnasium in Bonn, Schauplatz des

Romans „Spieltrieb“ von Juli Zeh. Das lassen Ada und Alev, zwei ebenso intelligente wie

skrupellose Zehntklässler, nicht zu. Ihren philosophisch geschulten Verstand nutzen sie

für ein perfi des Spiel: Ihre Antwort auf die Leerstellen der Gegenwart.

Juli Zeh: Spieltrieb

für Traurigkeit – zu. Ada verführt ihn in der Turnhalle, was Alev mit der Kamera festhält, um Smu-

Nihilisten

glaubten im-

merhin, dass

es etwas gebe,

an das sie

nicht glauben

konnten.

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Page 13: MITTENDRIN November-Dezember-Januar 15|16

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dernde Hauptfi gur Ada. Die Assoziation mit Nabokovs gleich-namiger Romanheldin drängt sich förmlich auf. Nicht minder scharf-sinnig als scharfzüngig, verachtet Ada all die „Miniaturprinzessin-nen“, die das Ernst-Bloch-Gymna-sium bevölkern, diese „samt- und seidenweichen Mädchen, deren Ge-burt durch langsam anschwellende Musik begleitet worden war wie das hochfahrende Windowsbetriebssys-tem von seiner Begrüßungsouvertü-re“. Adas Beine sind ebenso schnell wie ihr Kopf, geschult in der „Kunst des Davonlaufens“, die Ada pfl egt, wann immer es Anlass dazu gibt, also täglich.

Neben Ada nimmt sich Alev trotz weltmännischem Gehabe und ein-deutig diabolischer Züge („Seine

Unterm Strich:

Juli Zehs Roman „Spiel-

trieb“ hat schon ein

paar Jährchen auf dem

Buckel. Das sollte aber

niemanden davon

abhalten ihn zu lesen,

denn das Thema, das

hier verhandelt wird, ist

zeitlos. Zeh hat keine

Angst vor großen Fra-

gen. Die Antworten die

sie ihren Protagonisten

in den Mund legt, ha-

ben es verdient, Gehör

zu fi nden. Dass sich

nicht nur Zehs Figuren

dem Spieltrieb hinge-

ben, sondern auch die

Autorin selbst, wird

bei der Lektüre schnell

deutlich: virtuos (und

an der einen oder an-

deren Stelle auch etwas

überambitioniert) jong-

liert sie mit literarischen

Zitaten, Metaphern und

Denkmodellen.

Juli Zeh

Spieltrieb

Verlag btb

Taschenbuch, 576 Seiten,

10,99 Euro

Cove

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Ver

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Wort und Buch

Text: Frauke Niemann

Augen, die wie bei einer Sphinx auf die Schläfe zielten, waren leicht geschlitzt. Die Brauen bildeten breite, schwarze, seitlich auffwärts strebende Striche [...].“) eher blass aus. Zwar füllt der Diplomaten-sohn, der nie längere Zeit an einer Schule, geschweige denn in einem Land verbracht hat, seine Rolle als teuflischer Verführer durchaus aus, doch ist Ada ihm intellektuell weit überlegen. Am deutlichsten zeigt sich das in ihrem ausufernden Plä-doyer im fulminanten Finale des Romans, in dem sich alle Spielbe-teiligten vor Gericht wiederfinden. Die Richterin, die dem Leser nur als kalte Sophie vorgestellt wird, muss vor Ada kapitulieren. Ihr Urteil erhält die Aufforderung, das Versa-gen des Rechts offiziell zur Kenntnis zu nehmen.

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14 | Wort und Buch

Entschuldigung, sammeln Sie

Flaschen?

Überleben in der Stadt

Flaschensammler sind aus Großstädten nicht wegzu-denken, sie gehören zu unse-

rem Stadtbild. Und doch wissen wir nichts über sie.

Philipp Catterfeld und Alban Knecht, Sozialforscher aus Mün-chen, wollten dies ändern und starteten ein unorthodoxes For-schungsprojekt. Im Mittelpunkt stand die Frage „Warum sammeln Menschen Flaschen?“ Catterfeld und Knecht schickten zwei Semes-ter lang 35 Studenten Hochschule München „ins Feld“ um Antwor-ten darauf zu finden. Die Flaschen-sammlerinnen und -sammler, die die Studenten ansprachen, erwiesen

sich als überaus auskunftsfreudig. Das Ergebnis der Feldforschung findet sich im 180 Seiten starken Sammelband „Flaschensammeln. Überleben in der der Stadt.“ mit 22 Beiträgen, die einen bewegen-den Einblick in die Seelenlage und Motivation der Befragten geben. Transkribierte Interviews stehen neben protokollierten Selbstversu-chen und eigenen Beobachtungen. Renter, die sich ein Zubrot verdie-nen wollen, kommen ebenso zu Wort wie Migranten ohne Papiere, für die das Sammeln von Pfand-

flaschen die einzige Möglichkeit ist, überhaupt Geld zu verdienen und ihre Existenz zu sichern oder Akademiker, die nach dem Verlust ihres Jobs keine neue Stelle mehr finden.

Für viele ist Flaschensammeln eine absolute Notlösung in Ermangelung von Alternativen. Flaschensammeln sei dreckig ekelig, abwertend, ver-abscheuungswürdig und Menschen verachtend, sagt Herr M., ehemals Diplomingeneur. „Ich sammle, weil ich das Geld brauche! Wenn ich am Tag meine drei bis vier Euro nicht bekomme, dann habe ich am Abend auch nichts zu essen.“ Es finden sich auch positive Sichtweisen: Manche sehen Flaschensammeln als Zeit-vertreib an der frischen Luft oder als Möglichkeit, den Tag zu struk-turieren. Doch weitaus häufiger handeln die Gespräche von Scham, vom Ausgestoßensein, vom Leben am Rand der Gesellschaft.

Das Kompendium lenkt die Auf-merksamkeit auf die „Klasse der Unterversorgten“, die die „Reste des in der Öffentichkeit feiernden und trinkenden Mittelstands“ abräumt. Die Äußerungen der Sammler sind ebenso differenziert und vielfältig wie ihre Strategien zum Überleben in der Stadt.

Philipp Catterfeld, Alban Knecht (Hg.): Flaschensammeln. Überleben in der Stadt.

UVK Verlag, Konstanz 2015, 184 Seiten, 24,99 Euro

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Text: Barbara Schwarz, Frauke Niemann

Das Geld liegt auf der Straße, sagt eine Redensart. Für

Menschen, die Flaschen sammeln, ist der geldwerte Abfall,

den sie in Parks, U-Bahnhöfen oder Mülleimern fi nden, oft

überlebenswichtig.

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| 15Wort und Buch

Diese Bücher wurden auf die Probe gestellt, haben einen zweifachen Kinder-TÜV pas-

siert. Seit einiger Zeit gibt es im Familienbereich der Kita Kiezeulen und Gleimstrolche

das „Lesen für Kinder“. Wir stellen Ihnen ausgewählte Schätze dieser Vorlesestunden vor.

Kasimir hat einen Vogelvon Wolfdieterich Schnurre

Kasimir Grünspan ist Schneider. Er schneidert Kostüme, näht Hosen und fl ickt Westen. Manche Men-schen sagen, bei ihm piept‘s wohl. Er habe einen Vogel, so hört man. Eines Tages bekommt Kasimir tat-sächlich Vogelbesuch. Dieser fühlt sich so wohl bei ihm, dass er nicht mehr weggeht. Am liebsten sitzt er auf Kasimir Grünspans Kopf, den jetzt Tag und Nacht ein Hut ziert wegen der scharfen Krallen seines neuen, ein wenig menschenscheu-en Freundes. Der Vogel kann es gar nicht leiden, wenn Kasimir an seinen Kunden Maß nimmt. Und auch die Leute beschweren sich bei Kasimir: Wer einen Vogel hat, kann doch kein Schneider sein! Das macht Kasimir traurig. Er liebt sei-nen Beruf und inzwischen auch den Vogel. Was soll Kasimir jetzt bloß tun?

Aufbau Verlag

gebunden, 32 Seiten

Altersempfehlung: 4-6 Jahre

Ein Haus für den Bärenvon Barbara Ortelli

Im Land Baobab leben alle fried-lich zusammen – in einem einzi-gen Baum, jeder in seinem Haus. Der Biber sammelt Holz und macht Feuer. Maus und Wildschwein pfl ü-cken Beeren, aus denen der Fasan Marmelade herstellt. Das Chamä-leon wechselt die Farbe, wenn den Bewohnern Baobabs Gefahr droht. Als es eines Tages lila wird, ma-chen sich die anderen Sorgen, dass es vielleicht krank ist. Doch was ist das? Am Baumstamm lehnt plötz-lich ein riesiges fremdes Tier. „Ich bin ein Bär. Und ich weiß nicht, wo ich bleiben soll“, brummt es. Auf Baobab ist er nicht erwünscht: zu groß, kein Platz. Der Frosch wirft ein, dass der Bär bestimmt auch et-was gut kann. „Fische fangen“, sagt der Bär und alle sind begeistert. Am nächsten Tag beginnen sie, ein Haus für den Bären zu bauen.

Verlag MINEDITION

gebunden, 32 Seiten

Altersempfehlung: 3-6 Jahre

Doddlmoddlvon Wolfdieterich Schnurre

Doktor Doddlmoddl kümmert sich um Tiere, die alle das gleiche Krank-heitsbild aufweisen: Sie leiden an Menschen. Doddlmoddls unortho-doxe Heilmethoden verfolgen vor allem ein Ziel: „Das Wichtigste ist, dass die Tiere wieder begreifen ler-nen, sie haben einen eigenen Wil-len.“ So verabschieden sich seine geheilten Wellensittiche postwen-dend von der Käfi gstange und ma-chen sich auf in den Urwald. Tiere die noch nicht ganz soweit sind, können u.a. beim Ausfl ug in die Stammkneipe des Tierarztes ihre neue Freiheit beim Selbstbestellen erproben. Nach und nach besinnen auch sie sich auf ihre ungezähm-te Natur, da ist sich Doddlemoddl sicher. So wie sein ambitionierter Vorzeigepatient, der ihm 23 Tage Gefängnis einbrockt. Ein ausgezei-chetes Ergebnis, fi ndet der Tierarzt.

Aufbau Verlag

gebunden, 32 Seiten

Altersempfehlung: 4-6 Jahre

Erlesenes für Kinder

© Aufbau Verlag© Verlag MINEDITION© Aufbau Verlag

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16 | Kiez & Kultur

Auf den Spuren eines Industriedenkmals

Auft rieb auf dem Schlacht-hof: Schweine 11.543, Rin-der 2016, Kälber 920, Ham-

mel 14.450. Ein Schlag, hatz, sie liegen.“ In Alfred Döblins Roman Berlin Alexanderplatz spiegelt der Mikrokosmos Zentralschlachthof die Härte und Roheit der Großstadt wider. Ohne Zweifel war es ein blu-tiges Geschäft , das auf dem 50 Hek-tar großen Gelände um die heutige Th aerstraße betrieben wurde. Seit seiner Eröff nung im Jahre 1881 wurden täglich Tausende Rinder, Kälber, Hammel und Schweine aus

Der Bauch Berlins

grassierende Cholera- und Th ypus-epidemien eindämmen sollte – die Folge gedankenloser Entsorgung von Schlachtabfällen und mangeln-der Hygiene bei der Schlachtung selbst. Nach und nach entwickelte sich eine ganze Industrie zur Ver-arbeitung der Fleisch und Neben-produkte auf dem Gelände. Alles wurde verwertet, die Häute zu Le-der gegerbt, Knochen in der Kno-chenmühle zu Seife verarbeitet, aus Talk in der Talkschmelze künstliche Butter hergestellt und das Tier-blut in der Albuminfabrik für die

dem Berliner Umland lebend auf dem Viehhof angeliefert. Mit dem Zug wurden sie aus den östlichen Provinzen des Reiches nach Berlin transportiert, um an einem der zwei wöchentlichen Markttagen verkauft zu werden. Ihr letzter Weg führte sie zum Schlachthof, dort wurden die Tiere getötet, zerlegt und später in der Markthalle auf dem Alexan-derplatz an die Berliner Fleischer verkauft . Hygienisch kontrollier-tes Schlachten war ein Novum, das den schmutzigen Hinterhof-metzgereien ein Ende machen und

Geführte Touren über das Gelände des Zentralvieh- und Schlachthof Berlin bietet das Museum Pankow an.

Die zweistündigen Touren – zu Fuß oder mit dem Rad – kosten 120 Euro pro Gruppe.

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| 17 Kiez & Kultur

pharmazeutische Industrie aufb e-reitet. Die Größe und Modernität der Anlage – es gab eine funktio-nierende Kanalisation, gepfl asterte, beleuchtete Wege und Warmwas-ser, keine Selbstverständlichkeit um 1900 – waren für diese Zeit beachtlich: der Zentrale Vieh- und Schlachthof war einer der größ-ten Europas. Noch vor Beginn des zweiten Weltkrieg hatte er sich zu einer regelrechten Touristenattrak-tion entwickelt, was ein gedruckter Führer bezeugt, der 1910 bereits in sechster Aufl age erschien.

Auf immerhin 110 Jahre sollte es der Zentrale Vieh- und Schlachthof Berlin letztlich bringen. Zu DDR-Zeiten in Fleischkombinat umbe-nannt, stellte er nach dem Fall der Mauer 1991 seinen Betrieb ein. Viele der alten Hallen mussten seit-

Zu Füßen des

Wasserturms,

Garant für

ausreichenden

Wasserdruck für

die vielen Was-

seranschlüsse

auf dem Gelän-

de, wird eine

Gruppe Rinder

zum Schlacht-

haus geführt.

Im Fleischschauamt wurde das Schlachtfl eisch auf Unbedenklichkeit getestet. Nur Fleisch,

das einen Qualitätsstempel erhielt, durfte das Gelände verlassen.

dem einer neuen Bebauung weichen. Einige steinerne Zeugen Berliner Industriegeschichte sind aber noch erhalten. Damit der sogenannte „Bauch Berlins“ nicht in Vergessen-heit gerät, haben sich das Museum Pankow, die Steremat AFS GmbH und das Geschichtsbüro Müller zusammengetan und laden auf www.schlachthof-berlin.de zu ei-nem virtuellen Rundgang über das geschichtsträchtige Gelände ein: Mithilfe einer interaktiven Karte mit zwölf Stationen (s. Bild links unten) kann man sich ausfürlich über die ältere und jüngere Vergan-genheit des Komplexes informieren. Natürlich kann die dort beschrie-bene Tour auch live vor Ort nach-vollzogen werden. Das Museum Pankow bietet auch geführte Touren über das Gelände an.

KONTAKTTelefon: 0178.8384038

E-Mail: [email protected]

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Text: Frauke Niemann

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18 | Kiez & Kultur

Höchstens siebeneinhalbDie Lesebühne „Crazy Words“

Höchstens sieneneinhalb Minuten! So lang darf ein Textbeitrag für die Lesebühne „Crazy Words“ sein.

An jedem 4. Sonntag im Monat trifft sich ein klei-ner Kreis von Stamm-

autoren in Speiches Rock- und Blueskneipe in der Raumerstra-ße, um eigene Texte vorzutra-gen. Natürlich können auch Gäste Selbstverfasstes zu Besten zu ge-ben, oder einfach nur zuzuhören. Jede Veranstaltung wird live auf rockradio.de übertragen.

Rolf Gänsrich hat „Crazy Words“ ins Leben gerufen, er erzählt von den Anfängen der Lesebühne, der Motivation und den Autoren. Eine der Stammautoren von Crazy

kam als Redakteur der Prenzlberger Ansichten, weil ich einen klei-nen Veranstaltungsartikel schrei-ben wollte. Die Truppe und die Atmosphäre waren so anregend, dass ich von da an jede Woche wie-derkam und schließlich ein Dauer-lesegast der Künstlergruppe wurde.

Irgenwann teilte sich die Truppe. Ein Teil blieb „Diesseits im Jenseits“, ein anderer Teil wurde zu den „Be-Ton-Werkern“, die in der Schachkneipe En Passent in der Schönhauser Allee weitermachten. Eine Zeitlang hielt ich „Diesseits im Jenseits“ noch die Stange, dann gründete ich Crazy

Words ist Juliane Beer von rockra-dio, seit 2013 im Boot. Sie spricht sich für mehr Frauenpower auf Berlins Lesebühnen im Allgemei-nen und der Crazy-Word-Bühne im Besonderen aus.

MITTENDRIN: Wie kam es zu Crazy Words?

ROLF GÄNSRICH: Da muss ich etwas ausholen! Ab 2003 veranstal-tete die Künstlergruppe „Diesseits im Jenseits“ immer donnerstags Autorenlesungen mit Livemusik in einer Kneipe in der Raumerstraße, die es heute nicht mehr gibt. Ich

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CRAZY WORDS

Die halboff ene Kleinkunstbühne

Crazy Words fi ndet jeden 4. Sonntag

im Monat statt.

Wo?

Speiches Rock- und Blueskneipe

Raumerstraße 39

10437 Berlin

Wann?

ab 16 Uhr: Stammautoren

ab 17 Uhr: Gastautoren

Kiez & Kultur

Words. Zunächst trafen wir uns in Kreuzberg. 2010 ging es dann in den Prenzlauer Berg in eine Näh-stube in der Schliemannstraße, die leider im Sommer 2013 schließen musste. Auf der Suche nach einem neuen Ort wurden wir dank Thilo Schwarz-Schlüßler im ZENTRUM danziger50 fündig. 2015 wechselten wir dann in Speiches Blueskneipe.

MITTENDRIN: Was motiviert dich weiterzumachen, immer wie-der auf die Bühne zu gehen?

ROLF GÄNSRICH: Erstmal: Dieses Gefühl, auf der Bühne live und qua-si nackt zu stehen, ist unglaublich schön. Genauso wie der Applaus. Zum anderen hole ich mir auf der Bühne die Lockerheit, die ich für meine Hörfunksendung OKbeat bei alex-radio brauche. Und es gibt mir Sicherheit, das Gefühl, alles mode-rieren zu können, selbst wenn Un-vorhersehbares passiert. Außerdem ist meine Triebfeder, jungen Künst-lern, die ich z.B. auch schon in mei-ner Sendung zu Gast hatte, eine Bühne zu bieten, auf der sie auftre-ten können. Oder andersherum: ich lade auch immer wieder neue Leute, die bei Crazy Words auftauchen zu OKbeat, so dass sich beides immer gegenseitig befruchtet.

MITTENDRIN: Bei euch mischen sich alte und neue Hasen auf der Bühne?

ROLF GÄNSRICH: Ja, unsere Stammautoren sind Juliane Beer, Dave, der von Beginn an mit dabei war, Wolfgang Endler und Wolf-gang Weber und icke natürlich. Es

kann jeder vorbeikommen und im zweiten, offenen Teil von Crazy Words, seine Beiträge darbieten, ganz egal, ob Musik, Text oder ar-tistische Vorführung. Wir verste-hen uns nicht als reine Lesebühne, sondern als Kleinkunstbühne. Da Crazy Words ja auch live bei rock-radio ausgestrahlt wird, müssen wir uns alle an gewisse Hörfunkregeln halten.

Die wichtigste Regel sagt: kein ein-zelner Wortbeitrag sollte länger sein als maximal siebeneinhalb Minuten. Um das hinzubekom-men, muss man ein bisschen üben.1. Tipp: Stellt euch Zuhause vor einen Spiegel und lest laut mit Stoppuhr den eigenen Text 2. Tipp: Siebeneinhalb Minuten ent-sprechen ungefähr einer Textlänge von anderthalb Seiten „Times New Roman“ bei Schriftgröße 12.

MITTENDRIN: Juliane, du bist momentan die einzige Frau im Stammautorenkreis. Hast du eine Idee, warum dass so ist?

JULIANE BEER: Grundsätzlich sind Männer bei Berliner Lese-bühnen überrepräsentiert. Woran das liegt? Vielleicht daran: Männer sind in der Regel selbstbewusster als Frauen. Also trauen sie sich auch eher als Frauen mit einem selbstver-fassten Text auf eine Bühne zu stei-gen. Also, Ladies: Nicht zögern, ihr seid bei uns herzlich willkommen!

Entweder man kommt regelmäßig zur Lesung der Stamm-Autoren ab 16 Uhr, oder man kommt einmalig als Gast-LeserIn zur offenen Bühne

ab 17 Uhr. Wir sind aber gar nicht so streng, wie es jetzt vielleicht aus-sieht – Gast-Leser dürfen auch mal ab 16 Uhr auf die Bühne und um-gekehrt springen wir ab 17 Uhr ein, wenn niemand aus dem Publikum will.

MITTENDRIN: Was wünscht ihr euch für die Zukunft?

JULIANE BEER: Wir hoffen, dass wir noch lange in Speiches Blues- und Rockkneipe bleiben können und im Rahmen dieser kurzweili-gen Sonntagnachmittage noch viele nachdenkliche, amüsante, traurige, alberne und todernste Texte zu hö-ren bekommen!Interview: Barbara Schwarz, Frauke Niemann

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transportiert werden, oder nach China, wo in gewissen Regionen die Blüten bereits von Hand bestäubt werden müssen. Er trifft in Arizona Fred Terry, der sich auf Killerbie-nen spezialisiert hat, in Österreich die Familie Singer, die Königinnen züchtet und in die ganze Welt ver-schickt. Schlussendlich sind wir in Australien, wo das Bienensterben noch nicht angekommen ist und wo die junge Familie Baer-Imhoof ihre Forschung betreibt.

Nach dem Film im Gespräch: Die Berliner

Imkerin Angelika Sust und Museumsleiter

Bernt Roder

Mehr als ein Drittel unserer Nah-rungsmittel ist abhängig von der Bestäubung durch Bienen. Der Physiker Albert Einstein soll gesagt haben: Wenn die Bienen ausster-ben, sterben vier Jahre später auch die Menschen aus. Beginnend bei einem Imker in den Schweizer Ber-gen ist Markus Imhoof rund um die Welt gereist. In die USA, wo die Bienen in industriellem Maßstab von Monokultur zu Monokultur

Kiez & Kultur

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More Than Honey

12. November 2015, 19 Uhr

Stadtnatur-FilmfestDokureihe im Museum Pankow am Wasserturm – Eintritt frei!

Das Museum Pankow lädt zum Doku-Filmfest zum Thema „Stadtnatur“ im

Rahmen der Ausstellung NATUR ENTDECKEN IN BERLIN-PANKOW, PRENZLAUER BERG

UND WEIßENSEE ins Kultur- und Bildungszentrum Sebastian Haff ner. Alle Filmabende

sind kostenlos. Los geht es im November mit „More than Honey“, einer Dokumentation

über das weltweite Bienensterben und seine Ursachen.

Page 21: MITTENDRIN November-Dezember-Januar 15|16

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DIE BERLINER URBAN GARDENING BERWEGUNG

Überall sind sie zu finden, verwil-derte und geordnete, kleine und große Gärten, an Straßenecken, auf alten Brachflächen und nun auch auf den Berliner Dächern. Mit neu-em Bewusstsein setzen sich die Bür-ger für den Wandel ihrer Stadt ein. Sie wollen es grüner haben, ihr eige-nes Obst und Gemüse anbauen und verstärkt in der Gemeinschaft aktiv ihre Stadt mitgestalten. Neben dem sozialen Aspekt spielt oft auch ein politisches Engagement eine Rolle. Diese aktuelle Entwicklung wird im Dokumentarfilm „Sprechende Gär-ten – Die Berliner Urban Gardening Bewegung“ exemplarisch an sieben verschiedenen Gartenprojekten des Berliner Stadtraums gezeigt, ihre Besonderheit und Vielfältigkeit herausgestellt.

Nach dem Film im Gespräch: Die Filme-

macher Teresa Beck und René Reichelt mit

Museumsleiter Bernt Roder

AUSSTELLUNG

NATUR ENTDECKEN

IN BERLIN-PANKOW,

PRENZLAUER BERG

UND WEIßENSEE

Der Bezirk Pankow gilt zu Recht als einer der grünen Bezirke Berlins. Wie viel-fältig und unterschiedlich die Grünflächen und deren Fauna und Flora ausgestat-tet sind und welche Nut-zungsmöglichkeiten für die Berliner und deren Gäste bestehen, zeigt und präsen-tiert mit allen Sinnen ein übergreifendes Ausstellungs-projekt im Museum Pankow. Außerdem widmet sich die Schau den aktuellen Trends und Entwicklungen der ak-tiven Initiative zur Schaf-fung, Pflege und Erhalt des Grüns in der Stadt (Urban Gardening).

Die Ausstellung „Natur ent-decken in Berlin-Pankow, Prenzlauer Berg und Weis-sensee“ wird noch bis zum 7. Februar 2016 dienstags bis sonntags 10-18 Uhr gezeigt.

Kiez & Kultur

DER JÜDISCHE FRIEDHOF BERLIN WEISSENSEE

Im Norden der Stadt, versteckt in einem Wohngebiet, umgeben von Mauern und bedeckt von einem Ur-wald aus Bäumen, Rhododendron und Efeu liegt der Jüdische Friedhof Berlin-Weißensee. Er wurde 1880 angelegt, ist 42 Hektar groß, hat der-zeit 115.000 Grabstellen und immer noch wird auf ihm bestattet. Weder der Friedhof noch sein Archiv sind je zerstört worden – ein Paradies für Geschichten-Sammler. Britta Wauer und ihr Kameramann Kaspar Köp-ke waren immer wieder auf dem Jüdischen Friedhof und haben einen höchst lebendigen Ort vorgefunden. Menschen aus aller Welt kommen dort hin und können von jüdischer, Berliner und zugleich deutscher Geschichte erzählen, von der dieser Ort erfüllt ist.

Nach dem Film im Gespräch: Filmemache-

rin Britta Wauer und Museumsleiter Bernt

Roder

Sprechende Gärten

03. Dezember 2015, 19 Uhr

Im Himmel, unter der Erde

14. Januar 2016, 19 Uhr

MUSEUM PANKOW

AM WASSERTURM

Prenzlauer Allee 227/228

10405 Berlin

www.j.mp/stadtnaturfi lmfest

Plakat: © Amélie Losier/Britzka FilmPlakat: © Teresa Beck

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22 | Kiez & Kultur

Antje Schiff ers

und Wapke

Feenstra von der

internationalen

Künstlergruppe

Myvillages.org

Made in ZvizzchiMyvillages: Die Keramikwerkstatt Yad Chanah

unterstützt internationalen Kulturaustausch

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Mit Unterstützung des Berliner Keramik-meisters Chajim Ha-

rald Grosser entstanden daraus in mehreren Workshops vor Ort Be-hälter für Heilkräuter, Teller und anderes Schönes und Nützliches. Hierfür wurde eigens ein Holz-brandofen gebaut. Die extrem ho-hen Temperaturen beim Brennen, Rauch und Feuer verleihen den Stücken aus Zvizzchi eine ganz eigene Färbung und Oberfläche.

Bis zum 25. Oktober waren die Ke-ramiken zusammen mit anderen Erzeugnissen „Made in Zvizzchi“

im Rahmen der Ausstellung „Na-türlicher Tausch. Internationaler Dorfladen“ in der Moskauer Galerie Bogorodskoje zu sehen. Im März nächsten Jahres soll der „Interna-tionale Dorfladen“ nach Leipzig kommen.

Die Ausstellung ist Teil des Projek-tes „Myvillages“, das die Künstle-rinnen Wapke Feenstra und Antje Schiffers ins Leben gerufen haben. Es geht darum, lokale Geschichten, sprich Dorfgeschichten, zu erzäh-len und in partizipativen Kunst-projekten erlebbar zu machen, das Wechselverhältnis von Land und

Stadt zu beleuchten und Impulsive-für weitere kreative Aktivitäten zu geben.

Im russischen Dorf Zvizzchi, gelegen im malerischen Ugratal, hat ein Fund für Aufregung

unter den Dorfbewohnern gesorgt: Tonerde direkt vor der Haustür!

Text: Frauke Niemann

Page 23: MITTENDRIN November-Dezember-Januar 15|16

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nur Zeitvertreib is, oder? Natür-lich nich!!! Viele wissenschaft liche Untersuchungen haben längst den Stellenwert des Spiels für die Ent-wicklung von Mensch und Tier nachgewiesen. Spielen ermöglicht gemeinsame Erlebnisse. Kinder ler-nen bei Wettspielen, dass sie nich nur immer Gewinner sein können. Verlierer zu sein, ist zwar nich un-bedingt schön, aber wer rechtzeitig lernt, solche Situationen zu akzep-tieren, der wird im Leben besser zu-rechtkommen. Beim Spiel in Grup-pen lässt sich prima lernen, anderen Gruppenmitgliedern zu helfen, um gemeinsam zum Ziel zu gelangen.

Darauf baut ja auch ein Großteil der Sportarten auf: Ballspiele, Staff el-läufe und andere Wettbewerbe. Gut für die kindliche Entwicklung sind auch viele unterschiedliche Lern-spiele. Besonders wichtig ist das Freispiel, hier können die Kleinen zum Beispiel in Rollenspielen wie „Vater, Mutter, Kind“ Erlebtes nach-spielen und verarbeiten.

Auf Schritt und Tritt begegnen wir dem und den Spielen. Nun gibt es natürlich auch Spiele, die einer al-lein spielt, z.B. eine Patience legen - schweres französisches Wort. Es be-deutet: Geduld, also etwa: geduldig Spielkarten in eine ganz bestimmte Reihenfolge oder Anordnung zu

Kolumne:

ich bin noch ganz außer Atem! Na, ich hab gestern vielleicht eine Ge-schichte erlebt. Da ich lange nich in unseren Kitas war, wollte ich das mal nachholen. Spring ich also los. Auf der Straße hab ich noch ein bisschen in die Schaufenster der Lä-den gekuckt. So hab ich auch nich rechtzeitig bemerkt, dass ein Hund auf mich zukam. Kein allzu großer, aber seine Geschwindigkeit war beachtlich. Frauchen hatte so eine Leine, die immer länger wird, wenn der neugierige Hund es möchte. Glücklicherweise war das Ende der Leine kurz vor mir erreicht! Er bellte mich an, und ich hatte Angst, dass er mich mit einem Schnaufer einatmen würde – so klein, wie ich bin, hi, hi, hi. Und obendrein hör ich doch Frauchen sagen: „Keine Angst, der will doch nur spielen!“ Hä, spielen? Der Hund?? Mit mir???

Aber nachdenklich bin ich doch geworden. Spielen? Der Hund? Na klar, Tiere spielen auch, genauso wie die Kinder in den Kitas. War-um aber spielen Tiere, Kinder und sogar Erwachsene? Das frage ich mich, weil doch heutzutage alles auf Resultate ausgerichtet ist. Spie-len is doch unnütz, weil das doch

Der Springende Punkt

Hallöle,alle mal herhören… da bin ich wieder,

legen. Solche Spiele stärken das geistige Vermögen. Hm, ungedul-dig werde ich, wenn ich die vielen Menschen sehe, die auf der Straße spielen. Die haben so einen kleinen Kasten in der Hand, auf dem sie mit ihren Daumen herumtrommeln.

Liebe Leute, lasst euch sagen: Das is nich gut! Wenn ihr zusätzlich noch Kopfh örer aufh abt, dann kriegt ihr doch von dem ganzen Verkehr nix mehr mit und gefährdet euch und die anderen Passanten und Fahr-zeuge! Aber, da rede ich wohl gegen die sprichwörtliche Wand, wa?

Genug der Belehrung! Ich war ja dann noch in der Kita. Und da er-wartete mich eine Überraschung. Ich hatte gedacht, viele Spielsachen vorzufi nden. Aber denkste! Nix da-von war zu sehen. Die Kinder spiel-ten im Freien mit Ästchen, Sand, Blättern und verschiedenen Sachen, die sie in der Umgebung fanden, be-obachteten Käfer … Ich ging sporn-streichs zur Leiterin, um mich zu beschweren, dass die Kinder kein Spielzeug haben. Doch erfuhr ich von ihr, dass dies ein pädagogisches Konzept is, um die Kreativität der Kinder zu wecken und zu fördern. Sie nennen das „spielzeugfreie Zeit“. Super, kannte ich nich. Is ja so: wenn nix da is, muss ich mir was einfallen lassen. Und den Kindern fällt jede Menge ein, das wissen wir alle.

Und, meine hochgeschätzte Le-serschar, heut am Abend mal die Fernsehberieselung zugunsten eines familiären Würfel- oder Karten-spiels zurückstellen? Wär das nich was? Schreibt mir doch einfach mal, wenn ihr es getan habt, denn

„Das Spiel ist uns wichtig seit eh

und je“, meint der Springende

Punkt vom KVPB. (pad)

... .. Kiez & Kultur

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24 | Das Letzte

Wat? Wo steht denn ditte?

MitTENDRINmachen Impressum

Wer bei dem Kürzel JR nur an Dallas denkt, dem sei geraten, offe-nen Auges durch Berlin zu gehen. Vielleicht sichtet der eine oder an-dere ja dabei den überlebensgroß-en alten Herren, den der französi-sche Street-Art-Künstler JR an eine prominente Hauswand, irgendwo zwischen Mitte und Prenzlauer Berg, tapeziert hat.

„Wrinkles of the city“, heißt sein weltweites Pasting-Projekt, das JR – sein richtiger Name ist nicht be-kannt – u.a. schon nach Cartagena, Shanghai, Los Angeles, Havanna und Istanbul geführt hat.

Die Idee ist ebenso einfach wie be-stechend: JR fertigt überdimensi-onale Schwarzweiß-Portraits von ältern Bewohnern der jeweiligen Städte an und klebt seine großfor-matigen Arbeiten an ausgewählte

Die MITTENDRIN ist das kostenlose Kiezmagazin des

Kulturverein Prenzlauer Berg e.V. Es erscheint alle zwei

Monate in einer Aufl age von 2.000 Stück. Wir freuen uns über

jede Wortmeldung – ob Alltägliches oder Kurioses, kleine

oder größere Aufreger, Lob oder Kritik.

Ganze Artikel sind genauso willkommen wie Themenvor-

schläge, Leserbriefe, Hinweise auf inspirierende Lektüre oder

spannende Veranstaltungen in Prenzlauer Berg. Aktuelle und

vergangene Ausgaben fi nden Sie hier:

www.kvpb.de/mittendrin.

Herausgeber: Kulturverein Prenzlauer Berg e.V.,

Danziger Str. 50, 10435 Berlin | Redaktion: Barbara

Schwarz, Frauke Niemann | ViSdP: Der Vorstand | Layout:

Henriette Anders | Satz und Bildredaktion: Frauke Niemann

Redaktion MITTENDRIN

Barbara Schwarz | Frauke Niemann

Danziger Straße 50 - 10435 Berlin

Tel: 030/346 235 39 | 030/490 852 37

Mail: [email protected]

Gebäuden. Er installiert auf die-se Weise Zeitzeugen der urbanen Transformationen: die Falten der Stadt. Ursprünglich waren es 13 Werke, die die Berliner Straßen schmückten, viele sind der Witte-rung zum Opfer gefallen, wurden abgerissen oder verbaut. Unser Mann hält aber noch die Stellung!

Wenn sie wissen, wo er sich be-findet, senden Sie Ihre Lösung

bitte bis zum 20. Januar 2016 an [email protected]. Unter allen Mitratern verlosen wir ein Neu-jahrsüberraschungpaket.

Des Rätsels Lösung: In der letzten MITTENDRIN-Ausgabe haben wir Karsten E.W. Kunerts Windskulptur gesucht, zu finden auf dem Helmholtzplatz.

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Der Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe ist der 15.01.2016. Ihre Beiträge senden Sie bitte an: [email protected].

Text: Frauke Niemann