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AC05 Molekülchemie und Metallorganische Chemie David Scheschkewitz 1 © 2011 David Scheschkewitz SS 2013 David Scheschkewitz Bachelor-Studiengang Chemie Molekülchemie und Metallorganische Chemie (AC05) 1 SWS Vorlesung (12 Einzeltermine à 45 Minuten) 1 SWS Seminar (12 Einzeltermine à 45 Minuten)

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AC05 – Molekülchemie und Metallorganische Chemie David Scheschkewitz

1 © 2011 David Scheschkewitz

SS 2013

David Scheschkewitz

Bachelor-Studiengang Chemie

Molekülchemie

und

Metallorganische Chemie (AC05)

1 SWS Vorlesung (12 Einzeltermine à 45 Minuten)

1 SWS Seminar (12 Einzeltermine à 45 Minuten)

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GLIEDERUNG Kapitel 1: Vorbemerkungen 1.1 Literaturempfehlungen

Anorganisch-chemische Lehrbücher

Nachschlagewerke

Hauptgruppenchemie

Komplexchemie 1.2 Einleitung

Abgrenzung von Molekülen und Komplexen gegenüber Festkörpern und Polymeren

Metalle, Nicht-Metalle, Halb-Metalle

Einteilung der Elemente

Ableitung Bändermodell

Einfluss der Temperatur auf die elektr. Leitfähigkeit

Oktettregel, Oxidationszahlen und Formalladungen Kapitel 2: Hydride, Halogenide und Chalcogenide 2.1. Gruppen 17 und 18

Interhalogene

Edelgashalogenide (Darstellung und Eigenschaften)

Molekülstrukturen (VSEPR)

Hydrolyse und andere Reaktivitäten: Edelgasoxide und -organyle 2.2. Gruppen 14 bis 16 (Halogenide)

Darstellung von Halogeniden der Gruppe 14

Hyper-koordinierte Verbindungen

Niedervalente Halogenide

Reinstsilicium-Darstellung 2.3. Gruppen 14 bis 16 (Hydride)

Darstellungsmethoden

Struktur (Pyramidalisierung) von EX3 (X = Halogen oder Wasserstoff)

Bindungsstärke, -polarität und Reaktivität

Marshsche Probe

CVD von Silanen, amorphes Silicium und Germanium 2.4. Gruppe 13

Halogenborane (Lewis-Acidität, niedervalente Vertreter, thermodynamische Stabilität)

Reaktivität (Donor-Akzeptor, Hydrolyse)

at-Komplexe (schwach koordinierende Anionen)

2-Elektronen-3-Zentren-Bindung

Borane und Carborane (Wade’sche Regeln, Neutroneneinfangtherapie) Kapitel 3: Metallorganik der Hauptgruppen-Metalle und Halb-Metalle 3.1. Gruppen 1 und 2

Synthese und Reaktivität von Lithiumorganylen

Schlenk-Gleichgewicht bei Grignardverbindungen

Carbenoide (Köbrich, Boche)

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3.2. Gruppe 13

Hydroborierung und Hydroaluminierung

Carbalane

Diborane(4) und Dianionen

Verbindungen der Oxidationsstufe +I

3.3. Gruppen 14 und 15

Synthese und Verwendung

Müller-Rochow Verfahren („Direkt“-Synthese)

Silikone

Cyclopentadienyl-Verbindungen (Austauschphänomene, Cp*Si-Kation) Kapitel 4: Metallorganik der Nebengruppenelemente 4.1. Carbonyle der Nebengruppen

ein- und zweikernige Carbonyle

Synthese (am Beispiel Mond-Prozess)

MO-theoretisches Bindungsmodell der M-CO-Bindung 4.2. Fischer und Schrock-Carbene

Bindungsmodell

Unterscheidungskriterien

Synthesemethoden

Alken-Metathese 4.3. Alken und Alkin-Komplexe

Dewar-Chatt-Duncanson Modell

Olefin-Polymerisierung nach Ziegler-Natta 4.4. Metallocene und verwandte Verbindungen

Ferrocene: Synthese, Struktur und Reaktivität

Halbsandwichkomplexe: Pianostuhl-Struktur

Petit’s Cyclobutadien-Komplex

Benzolkomplexe 4.5. Elementarreaktionen

oxidative Addition und reduktive Eliminierung

agostische Wechselwirkungen

- und -Hydridelimierung

oxidative Kupplung

Insertion von CO, Carbenen und Alkenen

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1. Vorabbemerkungen

1.1 Literaturempfehlungen

Riedel (Hrsg.), Alfasser, Janiak, Klapötke, Beyer, Moderne Anorganische Chemie,

3. Auflage, de Gruyter Verlag, Berlin 2007.

Ein durchaus umfassendes Lehrbuch, welches sich dadurch auszeichnet, dass die

verschiedenen Kapitel (Nichtmetallchemie, Festkörperchemie, Komplexchemie,

Organometallchemie, Bioanorganische Chemie) von anerkannten Experten ihres

jeweiligen Gebiets verfasst wurden. Sicherlich in vielerlei Hinsicht ein nützlicher

Begleiter für Fortgeschrittene. Enthält eine CD-Rom mit Übungsaufgaben. Nicht zu

verwechseln mit dem eher an Studenten im Nebenfach gerichteten Werk des Herausgebers.

Hollemann, Wiberg, Lehrbuch der Anorganischen Chemie, 102. Auflage, de

Gruyter Verlag, Berlin 2007.

Diese „Institution“ der Anorganischen Chemie ist nach über 100 Jahren so

umfassend geworden, dass es inzwischen von vielen eher als Nachschlagewerk

gesehen wird. Nils Wiberg schreibt selbst im Vorwort, es handele sich eigentlich um

drei Lehrbücher in einem, was sich auch im Umfang von fast 2000 Seiten

niederschlägt. Allerdings sind viele Kapitel des Buches so hinreißend gut

geschrieben und zeugen von der Leidenschaft des 2007 verstorbenen Autors zur

Chemie, dass eine über das Nachschlagen herausgehende Lektüre dringend empfohlen wird.

Insbesondere auch für die Nichtmetallchemie unentbehrlich.

Elschenbroich, Organometallchemie, 6. Auflage, Teubner Verlag, Wiesbaden 2008.

Das deutsche Standardwerk zur Organometallchemie für Hauptgruppenelemente

und Übergangsmetalle. Eines der wenigen Werke, das die Zusammenfassung dieser

beiden Teilgebiete vorexerziert und so den Inhalt dieser Vorlesung in weiten Teilen

abdeckt (Kapitel 3 und 4). Sehr zu empfehlen auch und besonders für Informationen

bezüglich der Elementarreaktionen von Übergangsmetallorganylen in katalytischen

Cyclen.

Gade, Koordinationschemie, 1. Auflage, Wiley-VCH, Weinheim 1998.

Ein anspruchsvolles Lehrbuch, das sich eindeutig an fortgeschrittene Studenten und

Forscher wendet. Die theoretischen Grundlagen der Komplexchemie sind ausführlich

erörtert. Nur begrenzt geeignet für diese Veranstaltung, da die metallorganische

Chemie der Nebengruppenelemente nur am Rande behandelt wird.

Steinborn, Grundlagen der metallorganischen Komplexkatalyse, 2. Auflage,

Teubner, Wiesbaden 2010.

Ein detailliertes Lehrbuch über die homogene Katalyse, dessen Hauptbestandteil

allerdings mit den verschiedenen Katalysecyclen außerhalb des Themenkreises

dieser Lehrveranstaltung liegt. Allerdings gibt es einem umfangreichen Abschnitt über

die metallorganischen Elementarreaktionen, der als Begleitmaterial sehr hilfreich sein

dürfte.

Steudel, Chemie der Nichtmetalle, 3. Auflage, de Guryter, Berlin 2008.

Auch wenn dieses Buch eine in meinen Augen irreführende Definition von Nichtmetallen hat (es

umschließt unter anderem Silicium, Germanium, Selen, und Tellur), auf der Basis, dass die Chemie

dieser Elemente typische Nichtmetallchemie wäre (was ist das?), ist es genau in den Abschnitten am

stärksten, wo es um die Behandlung von eindeutigen Nichtmetallen geht. Eine Fülle von Zitaten aus

der Primar- bis Tertiärliteratur (Originalliteratur, Referateliteratur, zusammenfassende Literatur) macht

das Buch zum Weiterlesen sehr nützlich.

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1.2 Einleitung

Moleküle und Übergangsmetall-Komplexe zeichnen sich durch eine diskrete Molekülstruktur aus, d.h.

räumlich abgeschlossene Formeleinheiten, die auch im festen Zustand nur durch schwache

Wechselwirkungen (van-der-Waals oder Dispersionskräfte, Wasserstoffbrückenbindungen, etc.)

zusammengehalten werden. Für Moleküle kann somit ein physikalisch definiertes Molekulargewicht

angegeben werden. Historisch war die Eigenschaft eines Elements Moleküle zu bilden ein wichtiges

Kriterium zur Einordnung als Nichtmetall. Nichtmetalle wurden daher auch als Molekülbildner

bezeichnet. Seit dem Aufkommen der Komplexchemie nach Alfred Werner Ende des 19.

Jahrhunderts ist aber diese Einordnung weitgehend obsolet, da natürlich auch viele

Übergangsmetallkomplexe diskrete Moleküle darstellen.

Im Gegensatz zu Molekülen und Komplexverbindungen haben Festkörper zwar oft eine definierte

stöchiometrische Zusammensetzung, die allerdings der Einfachheit halber willkürlich auf das kleinste

gemeinsame Vielfache reduziert wird. Dieser empirischen Formel kommt in der Regel keinerlei

physikalische Bedeutung zu, da in den meisten Fällen nicht einmal Übereinstimmung mit der

Wiederholungseinheit des Festkörpers, der Elementarzelle, besteht.

Anders verhält es sich bei polymeren Verbindungen. Hier kann in der Regel keine exakte empirische

Formel festgelegt werden, da die Polymere zwar aus Molekülen bestehen, nämlich aus meist

kettenförmigen Wiederholungen einer bestimmten Formeleinheit, aber keine definierte Molekülgröße

aufweisen und auch oft in ihrer Struktur zahlreiche Variationen, z.B. in Form von Verzweigungen,

aufweisen. In diesem Sinne ist ein Polymer strenggenommen keine Reinsubstanz, sondern ein

Gemisch verschiedener Verbindungen. Allerdings gibt es auch für Polymere bestimmte

charakteristische Parameter, die eine adäquate Einordnung erlauben (z.B. die

Molekulargewichtsverteilung).

In dieser Vorlesung werden wir uns auf molekulare Verbindungen beschränken und allenfalls dann

auf Polymer- oder Festkörperstrukturen Bezug nehmen, wenn es der Zusammenhang erfordert (z.B.

bei den Silikonen, Kap. 3.3.).

Abbildung 1: Periodensystem der Elemente mit Einteilung in Nichtmetalle, Halbmetalle und Metalle.

Ein insbesondere aus der Sicht des Synthese (Reagenzien, Katalyse), aber zunehmend auch in der

Materialchemie wichtiger Zweig der Molekülchemie ist die metallorganische Chemie in all ihren

Ausprägungen. Eine Verbindung gilt dann als metallorganisch, wenn sie eine Metall-Kohlenstoff-

Bindung enthält.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18

1 H He

2 Li Be B C N O F Ne

3 Na Mg Al Si P S Cl Ar

4 K Ca Sc Ti V Cr Mg Fe Co Ni Cu Zn Ga Ge As Se Br Kr

5 Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Ru Rh Pd Ag Cd In Sn Sb Te I Xe

6 Cs Ba La Hf Ta W Re Os Ir Pt Au Hg Tl Pb Bi Po At Rn

7 Fr Ra Ac

Nichtmetall(halb)metallisches

Allotrop bekanntHalbmetall oder

Metalloid

Übergangsmetall

(Erd)Alkalimetall

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Was aber ist ein Metall? Die gängige Definition verlangt, dass ein Metall als Element metallischen

Glanz aufweist und den elektrischen Strom und Wärme gut leitet. Da diese Kriterien gradueller Natur

sind, resultieren für das Periodensystem in etwa die in Abbildung 1 wiedergegeben Einordnungen.

Wir wollen daher eine etwas quantitativere Definition nach der elektronischen Struktur treffen.

Zunächst einmal erinnern wir uns daran, dass die Leitfähigkeit von Metallen mit dem Vorliegen eines

Gitters aus Metall-Kationen und dazwischen frei beweglichen Elektronen (einem Elektronen-„Meer“

oder -Gas) veranschaulicht werden kann (Abbildung 2a). Diese Vorstellung ist allerdings mit einem

modernen quantenmechanischen Verständnis kaum zu vereinbaren. Eine geeignetere Beschreibung

gelingt auf Basis der MO-Theorie mit dem sogenannten Bändermodell.

(a)

(b)

Abbildung 2: (a) Vorstellung eines Elektronengases in z.B. Lithium; (b) MO-theoretisch veranschaulichtes Bändermodell am Beispiel des

Berylliums. Der Einfachheit halber wird die dreifache Entartung des 2p-Niveaus in dieser simplen Betrachtung ignoriert.

Das Bändermodell lässt sich sehr gut ausgehend von den Orbitalen eines Metallatoms, z.B. des

Berylliums, veranschaulichen. Wir erinnern uns, dass die Linearkombination der Orbitale zweier

Atome die gleiche Anzahl an Molekülorbitalen erzeugt, von denen die eine Hälfte bindend und die

andere Hälfte antibindend ist. Wenn wir nun immer mehr Be-Atome einander näher bringen, erzeugen

wir gewissermaßen eine immer größere Anzahl an energetisch verschiedenen Molekülorbitalen.

Ohne den Versuch unternehmen zu wollen, dies streng mathematisch zu begründen, kann man leicht

einsehen, dass es bei einer gegen unendlich gehenden Anzahl von Atomen in der Größenordnung

der Avogadro-Zahl unmöglich wird diskrete Energieniveaus zu unterscheiden. Damit folgt zwanglos

eine Bandstruktur wie sie in Abbildung 2b dargestellt ist. Elektrische Leitfähigkeit resultiert bei

Vorliegen eines halbgefüllten Valenzbandes wie es z.B. bei Alkalimetallen der Fall ist oder bei

energetischer Überlappung von Valenz- und Leitfähigkeitsband wie im dargestellten Fall des

Berylliums. Die hohe elektrische Leitfähigkeit von = 106 bis 10

4 S cm−1

(Siemens pro cm ≡ Ω−1

cm−1) ist das wichtigste Kriterium für das Vorliegen eines Metalls.

Abbildung 3: Schematische Darstellung der Valenz- und Leitfähigkeitsbänder eines Nichtleiters bei 298 K und eines Halbleiters bei 0K und

298 K.

Natürlich kann sich zwischen einem gefüllten Valenzband und dem leeren Leitfähigkeitsband auch

eine mehr oder weniger große energetische Lücke auftun, die als Bandlücke bezeichnet wird. Je

nach Größe der Bandlücke unterscheidet man zwischen Halbleitern und Nichtleitern bzw.

Isolatoren. Halbleiter haben typischer Bandlücken zwischen 0.5 und 2.5 eV (z.B. Galliumarsenide

GaAs mit ca. 1.4 eV), während Nichtleiter größere Bandlücken aufweisen, z.B. der Diamant ca 5.5 eV

(Abbildung 3).* Halbleiter weisen trotz der vorhandenen Bandlücke eine signifikante elektrische

* Die gängigste Energieeinheit bei der Beschreibung von Halbleitern ist das Elektronenvolt (eV). Zur Erinnerung (1 eV ≡

1.602×10−19

J).

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Leitfähigkeit = 10 bis 10−6 S cm−1

auf (zum Vergleich Nichtleiter: = 10−10 bis 10−22

S cm−1). Dies ist

darauf zurückzuführen, dass die Bandlücke in einer Größenordnung liegt, in der aufgrund der zu

erwartenden Fermi-Dirac-Verteilung (einem Spezialfall der Boltzmann-Verteilung für Fermionen wie

z.B. Elektronen) eine deutliche Population des Leitfähigkeitsbandes zu Ungunsten des Valenzbandes

stattfindet (Abbildung 3). Dadurch steigt die Leitfähigkeit des Materials an. Hieraus leitet sich auch

das Hauptkriterium zur Unterscheidung von Leitern und Halbleitern ab. Da mit steigender Temperatur

das Leitfähigkeitsband immer stärker populiert wird, wird die elektrische Leitfähigkeit bei Halbleitern

mit steigender Temperatur größer, während die Leitfähigkeit von Metallen mit steigender Temperatur

sinkt.

Was bedeutet das für die Molekülchemie von Halbmetallen? Wie wir sehen werden, weist die

Molekülchemie von Halbleiterelementen (oder Halbmetallen) einige interessante Besonderheiten auf.

So spiegelt sich zum Beispiel die kleine Bandlücke der Halbleiterelemente im elementaren Zustand in

einem vergleichsweise geringen HOMO-LUMO-Abstand in vielen Verbindungen wieder. Da die

Grenzorbitale natürlich im starken Maße Einfluss auf Struktur und Reaktivität von Verbindungen

nehmen, ist dies ein entscheidender Punkt, der zur Erklärung vieler der zahlreichen Besonderheiten

schwererer Hauptgruppenelemente ab der 3. Periode herangezogen werden kann. Wie so oft verläuft

natürlich der Übergang zwischen Nichtmetallen, Halbmetallen und Metallen in der Praxis fließend, so

dass gerade in der Molekülchemie diese Einteilung sich als mehr oder weniger willkürlich erweist. Oft

genügt für eine Betrachtung in erster Näherung, wenn wir uns auf grundlegende Formalismen der

Elektronenbuchhaltung aus den ersten Semestern besinnen. Als da sind die 8-Elektronen-Regel,

Oxidationszahlen, formale Ladungen. Diese wollen wir daher an dieser Stelle kurz wiederholen.

Die Hauptgruppenelemente befinden sich im s- und p-Block des Periodensystems, da diese Elemente

nur über s- und p-Valenzelektronen verfügen. Es erweist sich in simplen quantenchemischen

Rechnungen und bestätigt sich in den empirischen Erfahrungen, auf denen das Periodensystem

basiert, dass z.B. das 4s-Niveau energetisch günstiger liegt, als das 3d-Niveau. Tatsächlich liegen die

d-Orbitale jeder einzelnen Schale energetisch so hoch, dass sie erst in der nächsthöheren Periode

mit Elektronen besetzt werden. Dies ist die Basis der 8-Elektronen-Regel, die besagt, dass jedes

Hauptgruppenelement acht Elektronen in seiner Valenzschale anstrebt und zur Vervollständigung

dieser acht Elektronen chemische Wechselwirkungen mit anderen Elementen oder sich selbst

eingeht. Wir werden insbesondere in Kapitel 1.1 und 1.2 Beispiele für Verbindungen antreffen, die

scheinbar diese Regel verletzen, aber im Einklang mit allen quantenchemischen Befunden eine

einfache Erklärung anbieten, die die Einhaltung der 8-Elektronen-Regel erlaubt. Die 8-Elektronen-

Regel gilt in auch nur annähernd realistischen Verbindungen ohne jede Ausnahme.

Abbildung 4: (a) Formale heterolytisch Bindungsspaltung zur Ermittlung von Oxidationszahlen; (b) formale heterolytische

Bindungsspaltung zur Ermittlung von Formalladungen.

Zwei Formalismen sind für eine funktionierende Elektronenbilanz von übergeordneter Bedeutung: die

Oxidationszahl und die Formalladung (Abbildung 4). Während die Ermittlung der Oxidationszahl auf

einer heterolytischen Bindungsspaltung beruht, nimmt man bei Prüfung auf ggfs. vorliegende

Formalladungen an, dass die Bindungselektronen gleichmäßig zwischen den Bindungspartnern

aufgeteilt sind (homolytische Bindungsspaltung). Im Anschluss wird dann die für jedes Atom

erhaltene Elektronenzahl von der Zahl der dem Element gemäß seiner Stellung im Periodensystem

theoretisch zustehenden Zahl an Elektronen abgezogen. Das Ergebnis entspricht je nach Art der

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formalen Bindungsspaltung entweder der Oxidationszahl oder der Formalladung (in Abbildung 4 am

Beispiel des Kohlenmonoxids grob wiedergegeben). Es sei eindrücklich darauf hingewiesen, dass die

Beherrschung dieser beiden Formalismen „im Schlaf“ eine notwendige Bedingung für eine

erfolgreiche Tätigkeit als Chemiker darstellt.

2. Hydride, Halogenide und Chalcogenide der Hauptgruppenelemente

Wir werden im Rahmen dieser Vorlesung weitgehend darauf verzichten, die Nichtmetallchemie zu

wiederholen, die in früheren Veranstaltungen abgedeckt wurde, und uns stattdessen auf die Hydride,

Halogenide und Chalcogenide beschränken. Ein deutlicher Schwerpunkt wird dabei auf

Verbindungen der Metalle und Halbmetalle des p-Blocks liegen, da sie (insbesondere die Halogenide)

Ausgangsmaterialien für eine reiche element- bzw. metallorganische Chemie bilden. Wir beschreiten

daher das Periodensystem vom Ende, d.h. von den Nichtmetallen, her und nähern und so

schrittweise den Metallen, dem eigentlichen Gegenstand dieser Vorlesung.

2.1 Gruppen 17 und 18

Die Elemente der Gruppe 17, d.h. die Halogene X, zählen in ihrer elementaren Form als zweiatomige

Moleküle zu den reaktivsten Elementen. Sie sind gemäß der vorherrschenden Trends im

Periodensystem sehr elektronegativ, wobei die Elektronegativität vom Fluor zum Iod (Astat sei hier

als künstliches Element mit verschwindend geringem praktischen Nutzen ausgeklammert) abnimmt.

Daher zeigen sie mit elektropositiven Elementen in der Regel stark ionische Bindungen (Halogen =

Salzbildner). In Form der Elemente bilden sie zur Vervollständigung des Elektronenoktetts in der

Valenzschale zweiatomige Moleküle mit thermodynamisch relativ schwachen X-X-Einfachbindungen.

Die Schwäche der Halogen-Halogenbindung ist leicht einzusehen, bedenkt man das Vorliegen von je

drei freien Elektronenpaaren und daher signifikanter Coulomb-Abstoßung der nicht-bindenden

Elektronen (Abbildung 5).

Abbildung 5: Zweiatomige Halogenmoleküle und ihre Dissoziation in die Elemente (Halogenradikale); Werte für

Bindungsdissoziationsenergie von Sanderson übernommen.1

Infolge der Schwäche der Halogen-Halogenbindung (Einfachbindung im Gegensatz zu den Gruppen

15 und 16) sind Halogene im atomaren Zustand, d.h. als Radikale, relativ stabil, was die Präferenz für

Radikalkettenreaktion von Halogenen zwanglos erklärt (z.B. zahlreiche Halogenierungen in der

Organischen Chemie). Allerdings bedarf der Bindungsbruch in der Regel entweder eines

Radikalstarters, der Bestrahlung (z.B. mit Sonnenlicht) oder der Erwärmung. Letzteres ist z.B. bei

Zündung eines Chlorknallgasgemisches (Wasserstoff und Chlor im Verhältnis 1:1) der Fall. Wir

werden hier allerdings auf eine Besprechung der Halogenhydride (besser Halogenwasserstoffe)

verzichten und uns stattdessen direkt den Interhalogenen zuwenden.

Übungsaufgaben Seminarteil

1) Ermitteln Sie die Oxidationszahlen der Sauerstoffatome in den folgenden Verbindungen und Ionen: a) O2, b) O3, c) CO2, d) OF2, e) XeO2, f) ClO4

−, g) PO3

3−.

2) Ermitteln Sie die Oxidationszahlen der Zentralatome in folgenden Verbindungen und Ionen: a) XeF4, b) ClF3, c) H2S, d) Cl3SiSiCl3, e) IO3

−, f) HC≡CH, g) SO2

3) Bestimmen Sie alle evtl. vorhandenen Formalladungen folgender Verbindungen unter der Annahme das die Oktettregel streng gültig ist: a) O3, b) H3BNH3, c) H2BNH2, d) BF3, e) XeF6, f) PCl5, g) SO4

2−.

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Die Interhalogenverbindungen sind präparativ auf direkte, wenn auch nicht einfache Weise

zugänglich. In der Regel genügt einfaches Mischen der Elemente im richtigen Verhältnis (das

allerdings nicht notwendig das stöchiometrische sein muss!) sowie die Einstellung der richtigen

Drucks und der Temperatur (die allerdings auch nicht unbedingt strengen Gesetzmäßigkeiten folgt,

sondern empirisch optimiert werden muss). Die Trennung erfolgt durch fraktionierende Destillation

oder Kristallisation.

Bis auf I2Cl6 enthalten alle Vertreter der Interhalogene (außer den zweiatomigen Vertretern, Tabelle 1)

Chlor, Brom oder Iod als Zentralatom und das elektronegativste aller Halogene, das Fluor, als

Liganden. Da die Interhalogene sehr empfindlich gegenüber Hydrolyse sind, müssen sie mit

derselben Sorgfalt und identischen Sicherheitsvorkehrungen wie in der Chemie des elementaren

Fluors oder gasförmigem Fluorwasserstoff gehandhabt werden (Toxizität, Korrosivität).

Tabelle 1: Schmelz- und Siedepunkte sowie Farben von Interhalogenen im Vergleich mit denen von zweiatomigen, homonuklearen Halogenmolekülen

Mp [°C] Bp [°C] Farbe

F2 -219.6 -188.1 gelblich

Cl2 -101.5 -34.0 gelbgrün

Br2 -7.3 59 rostrot

I2 113.7 184.3 violett

ClF -155.6 -100.1 farblos

BrF -33 20 blass-braun

BrCl -66 5 rotbraun

ICl 27.2 100 rubinrot

IBr 41 116 schwarz

ClF3 -76.3 11.8 farblos

BrF3 8.8 125.8 beige

I2Cl6 101 - hellgelb

ClF5 -103 -13.1 farblos

BrF5 -60.5 41.3 farblos

IF5 9.4 104.5 farblos

IF7 6.5 4.8 farblos

Die Interhalogene folgen der allgemeinen Formel XFn, wobei n eine ungerade Zahl zwischen 1 und 7

darstellt. Warum keine Interhalogene mit einer geraden Anzahl Liganden? Die Elektronenbilanz

ergibt rasch, dass solche Verbindungen Radikale wären, deren Reaktivität naturgemäß hoch sein

sollte. Auch thermodynamisch wäre eine Disproportionierung solcher hypothetischer Radikale

(gemäß 2 XFn XFn+1 + XFn−1) daher vermutlich vorteilhaft.

Die Struktur von Interhalogenen in der Gasphase (!) lässt sich in den meisten Fällen mit dem VSEPR

Modell beschreiben.* So zeigen z.B. alle Halogentrifluoride T-förmige Strukturen und Pentafluoride

eine quadratisch-pyramidale Koordinationsumgebung. Im planaren I2Cl6 werden die beiden Iodatome

durch zwei der Chloridliganden verbrückt, was man als doppelte Donor-Akzeptor-Wechselwirkung

zwischen zwei monomeren ICl3-Einheiten auffassen kann (Abbildung 6a).

Abbildung 6: (a) Strukturen von Halogentrifluoriden und –pentafluoriden, sowie die dimere Struktur von ICl3. (b) Selektive Fluorierung von

Thioethern mit BrF3. (c) Gleichgewicht von ClF3 mit Fluorradikalen.

* Zur Erinnerung: das von Gillespie und Nyholm entwickelte VSEPR-Modell besagt, dass sich Zentren von Elektronendichte

(Bindungen oder Elektronenpaare; Doppel- und Dreifachbindungen sind jeweils nur ein solches Zentrum) weitest möglich „aus dem Weg gehen“. Demnach wird die sog. Pseudo-Struktur eines Moleküls durch einen Polyeder bestimmt, dessen Eckenzahl der Anzahl an Zentren der Elektronendichte entspricht. Die beobachtete Struktur erhält man durch Ignorieren jener Ecken, die durch ein freies Elektronenpaar besetzt sind.

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Eine bemerkenswerte chemische Eigenschaft von Interhalogenen kann am Beispiel von BrF3

demonstriert werden. Durch die Abwesenheit protischer Reagentien oder Lösungsmittel (BrF3 darf

nie in protischen oder donorhaltigen Lösungsmitteln wie Wasser, Alkoholen oder Ethern gehandhabt

werden, sondern nur in Halomethanen wie Chloroform oder Methylenchlorid) wird das in BrF3

enthaltene Fluorid ausgesprochen nukleophil, wohingegen das Bromatom als eine sehr weiche

Lewis-Säure wirkt (Abbildung 6b). Diese Kombination macht BrF3 zu einem hochselektiven

Fluorierungsagenz in der organischen Synthese.2 Generell zeichnen sich die Interhalogene oft durch

sehr hohe Aktivität als Fluorierungsreagentien aus. ClF3 kann z.B. zur direkten Darstellung von

Uranhexafluorid aus Uran(IV)sulfat benutzt werden.3

In diesem Fall ist die bereits bei

Raumtemperatur hohe Reaktivität vermutlich auf ein Gleichgewicht mit ClF und Fluoratomen (bzw. -

radikalen) zurückzuführen (Abbildung 6c). Sowohl Chlor-, als auch Bromtrifluorid sind aufgrund ihrer

Bedeutung in der Synthese kommerziell erhältlich.

Edelgasverbindungen sind insofern mit den Interhalogenen verwandt, als dass sie im wesentlichen

über das elementare Fluor und dessen hoher Oxidationskraft zugänglich wurden. Die Chemie der

Edelgase nahm allerdings ihren Ausgang in der Beobachtung, dass das O2-Molekül sich mit

elementarem Fluor in Gegenwart von Platin zum entsprechenden Monokation oxidieren lässt

(Abbildung 7).4

Dies ermunterte Bartlett wegen der Ähnlichkeit der Ionisierungspotentiale von

Sauerstoff und Xenon zur Umsetzung von Platinhexafluorid mit dem bis dahin als inert geltenden

Edelgas. Auch wenn sein Vorschlag für die Konstitution der Verbindung sich später als falsch

herausstellte – das Produkt bestand vermutlich aus einem Gemisch von XeF+ PtF6

− and XeF

+ Pt2F11

– hatte er ohne jeden Zweifel die erste chemische Verbindung eines Edelgase überhaupt dargestellt.

Abbildung 7: Reaktionen von Sauerstoff und Xenon mit Platin(VI)fluorid (bei der Reaktion mit O2 in situ aus Platin und Fluor erzeugt).

In der Folge erwies sich, dass schon simples Stehenlassen eines Kolbens mit einem 1:1-Gemisch

aus Xenon und Fluor am Sonnenlicht ausreicht, die Reaktionsträgheit von Xenon zu überwinden.

Farblose Kristalle von Xenondifluorid scheiden sich bei diesem Experiment nach einigen Wochen ab

(Abbildung 8a). Zur Darstellung der höheren Xenonfluoride bedarf es erheblich drastischerer

Bedingungen: Mit fünf Äquivalenten Fluor bei erhöhtem Druck und Temperatur wird bevorzugt

Xenon(IV)fluorid gebildet. Mit einem großen Überschuss Fluor erhält man in Anwesenheit von

Nickelfluorid Xenon(VI)fluorid. In jedem Fall bedarf es aber einer Aufarbeitung der stets im Gemisch

anfallenden Xenonfluoride.

Abbildung 8: (a) Darstellung und (b) Reinigung von Xenonfluoriden aus den Elementen mit optimierten Reaktionsbedingungen (nicht-

stöchiometrisch).

Im Fall von XeF4 erfolgt die Trennung mit Vorteil unter Ausnutzung der Tatsache, dass das

Tetrafluorid ein relativ schlechter Fluorid-Donor ist. Zusammen mit Arsenpentaflourid bilden sowohl

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das Difluorid, als auch das Hexafluorid in BrF5-Lösung kationische und damit nichtflüchtige AsF6−

Salze, so dass Xenontetrafluorid bequem im Vakuum abkondensiert werden kann (Abbildung 8b).

Alle Xenonfluoride sind mehr oder weniger gegen Hydrolyse empfindlich, wobei die Geschwindigkeit

der Reaktion mit Wasser mit dem Fluorgehalt zunimmt. Während XeF2 langsam unter Zerfall in

Xenon, Sauerstoff und HF hydrolysiert, können durch (kontrollierte) Hydrolyse der höheren

Xenonfluoride eine Reihe von Xenonoxiden und Oxyfluoriden erhalten werden (Abbildung 9).

Abbildung 9: (a) Langsame Hydrolyse von Xenondifluorid. (b) schnelle Hydrolyse von Xenontetrafluorid zu Xenontrioxid. (c) Hydrolyse von

Xenonhexafluorid zu Xenonoxytetrafluorid und dessen Komproportionierung mit Xenontrioxid zu Xenondioxydifluorid.

Die gesamte Chemie des Xenons (die Chemie des Kryptons ist weit weniger entwickelt) ist zu

umfangreich um hier behandelt zu werden. Bei Interesse sei auf den exzellenten Übersichtsartikel

von Atwood verwiesen.5 Nur kurz erwähnt sei, dass es unter der Vielzahl von ionischen Verbindungen

mit Xenonkationen oder Xenaten (den Oxoanionen des Xenons) inzwischen auch Salze oder

salzartige Verbindungen mit Xe-N und Xe-C-Bindungen gibt. Ein besonders spektakuläres Beispiel

aus jüngerer Zeit wurde von der Seppelt-Gruppe in Berlin realisiert: Xenon als Ligand in einem

Übergangsmetallkomplex (Abbildung 10).6

Die Umsetzung von Gold(III)fluorid mit Xenon im

supersauren Milieu (HF/SbF5) liefert in einer Redox-Reaktion in nicht-spezifizierter Ausbeute einen

dikationischen Gold(II)komplex, in dem das Goldzentralatom in quadratisch-planarer

Koordinationsgeometrie von vier neutralen Xenonliganden umgeben ist.

Abbildung 10: (a) Darstellung eines Gold(II)-Kations mit vier neutralen Xenon-Liganden. (b) Struktur im Festkörper mit zwei langen

Kontakten zum den beiden Gegenionen ([Sb2F11]−)2.

Übungsaufgaben Seminarteil

1) Ermitteln Sie die Struktur folgender Verbindungen oder Ionen nach dem VSEPR Modell

und unter Anwendung Ihrer chemischen Kenntnisse und Intuition: a) Xe2F3+, b) SF4, c)

XeO64−

, d) BrF4−, e) PhICl2, f) (C5H5N)BrF3.

2) Stellen Sie stöchiometrische Gleichungen für folgende Reaktionen auf und diskutieren

Sie die geometrische Struktur der Produkte: a) XeOF4 mit 1 eq. SbF5, b) XeO3 mit 1 eq.

CsOH, c) BrF3 mit BrF3

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2.2 Gruppen 14 bis 16 (Halogenide)

Die schwereren Elemente der Gruppen 14 bis 16 zeigen alle halbmetallischen oder metallischen

Charakter, mit Ausnahme des Schwefels dessen Halogenide wir hier aber der Vollständigkeit halber

mit behandeln werden.* Grundsätzlich gibt es in der Chemie der Halbmetalle gewisse Ähnlichkeiten

und sie sollen daher zusammen erörtert werden. Die meisten ihrer Halogenide werden mehr oder

weniger direkt aus den Elementen dargestellt. Bisweilen werden dabei allerdings scheinbare Umwege

beschritten, um die Bildung unerwünschter Nebenprodukte zu minimieren, da bei der Direktsynthese

oft die höchstmöglichen Oxidationsstufen bevorzugt realisiert werden.

Schwefelhexafluorid ist ein ungewöhnlich reaktionsträges, farbloses Gas, das nur unter extremen

Bedingungen, z.B. durch Radiolyse einer wässrigen Lösung,7 zur Reaktion gebracht werden kann

(Abbildung 11). Selbst in geschmolzenen Alkalihydroxiden bei 500°C bleibt es erhalten. Aus dieser

Inertheit resultiert auch seine Ungiftigkeit, weshalb SF6 als Isolatorgas in Hochspannungsanlagen

(z.B. Transformatoren) Verwendung findet.

Selenhexafluorid ist demgegenüber hochtoxisch, obwohl es in reinem Wasser nicht hydrolysiert. Dies

wurde auf die langsame Hydrolyse zu HF im leicht basischen Milieu der Atemwege zurückgeführt.8

Tellurhexafluorid hydrolysiert bereits in neutralem, wässrigem Milieu zu verschiedenen Oxyfluoriden.

Die erhöhte Reaktivität ist mit Sicherheit kinetischen Ursprungs: Der höhere Atomradius des Selens

und vor allem des Tellurs erlaubt den nukleophilen Angriff, z.B. von Fluoridionen, wie durch die

Darstellung der Tellurate(VI) mit einem oder zwei Äquivalenten Fluorid gezeigt werden konnte. Die

Lewis-Acidität von TeF6 ist hinreichend für die praktisch irreversible Anlagerung eines Fluorids zum

pentagonal-bipyramidalen Heptafluorotellurat(VI), das in Anwesenheit eines Überschusses an Fluorid

im Gleichgewicht mit quadratisch anti-prismatischen Octafluortellurat(VI) steht.9 Erwartungsgemäß

werden auch mit anderen Lewis-Basen wie Aminen Lewis-Säure-Base Addukte gebildet. Generell

zeigen Selen und Tellur eine hohe Tendenz zur Ausbildung von at-Komplexen.

Die Halogenverbindungen niedrigerer Oxidationsstufen sind stets von höherer Reaktivität aufgrund

des deutlich verringerten räumlichen Anspruchs der Halogensubstituenten; sie hydrolysieren lebhaft

unter Bildung der entsprechenden Halogenwasserstoffe und Schwefeloxosäuren über intermediäre

Oxyhalogenide. Schwefeltetrafluorid, ein selektives Fluorierungsmittel in der Organischen Chemie,

entsteht durch Erhitzen von Cobalt(III)fluorid mit elementarem Schwefel. Aufgrund seiner

Wippenstruktur ist es ein Paradebeispiel für die Vorhersagekraft des VSEPR-Modells. Da die

Pseudostruktur die einer trigonalen Bipyramide ist, sind für SF4 im 19

F-NMR grundsätzlich zwei

Signale zu erwarten (für die äquatorialen und axialen Liganden). Allerdings erfolgt ein rascher

Austausch bei Raumtemperatur gemäß einer Berry-Pseudorotation (siehe unten), wodurch im Mittel

nur ein Signal beobachtet wird. Zahlreiche weitere Halogenide des Schwefels, Selens und Tellurs

sind bekannt, von denen einige auch E-E-Bindungen aufweisen, bei Interesse sei auf die

einschlägigen Lehrbücher verwiesen.

Abbildung 11: Beispiele für Darstellungsmethoden für Elementhalogenide der Gruppe 16 und Lewis-Acidität von Tellur(VI)fluorid.

* Vom metallischen Polonium, dem schwersten Element der Gruppe 16, sind nur radioaktive Isotope bekannt. Daher ist die

Chemie nicht annähernd so umfassend untersucht wie bei seinen leichteren Homologen, Schwefel, Selen und Tellur. Interessanterweise ist wie kürzlich erkannt wurde auch das einzige natürlich vorkommende Isotop des Bismuts radioaktiv, allerdings ist die Halbwertszeit so groß, dass Bismut für praktische Belange als stabiles Isotop gelten darf (P. de Marcillac, N. Coron, G. Dambier, J. Leblanc, J.-P. Moalic, Nature 2003, 422, 876. http://dx.doi.org/10.1038/nature01541

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Phosphorpentafluorid wird in der Regel nicht direkt aus den Elementen, sondern durch Umsetzung

des industriell bedeutsameren PCl5 mit Fluoriden, z.B. CaF2, dargestellt (Abbildung 12a). Das

Pentachlorid wird seinerseits durch oxidative Addition von elementarem Chlor an PCl3 dargestellt.

Im Festkörper liegt PCl5 als Ionenpaar aus [PCl6]−-Anionen und [PCl4]

+-Kationen vor. Die Chlorierung

von weißem Phosphor P4 bleibt auf der Stufe des dreiwertigen Halogenids stehen, wenn die Reaktion

in bereits vorgelegtem, siedendem PCl3 durchgeführt wird. Anders als im Fall der Gruppe 16-

Halogenide sind alle Phosphorhalogenide gegenüber der Hydrolyse mit Wasser empfindlich. Die

Phosphortrihalogenide werden weiterhin leicht zu den entsprechenden Phosphor(V)oxyhalogeniden

oxidiert. Inzwischen kennt man auch eine Reihe von Polyphosphorhalogeniden, die P-P-Bindungen

enthalten (z.B. das dem Bicyclobutan analoge P4Br2), die allerdings über den Status von

Laborkuriositäten bisher nicht hinausgekommen sind.

Arsen-, Antimon- und Bismuttrichloride werden üblicherweise aus den entsprechenden Oxiden durch

Umsetzung mit Chlorierungsagentien wie Thionylchlorid oder wässrige HCl-Lösung dargestellt. Hierin

kommt der stärker metallische Charakter dieser Elemente zum Ausdruck der eine erhöhte Basizität

der Oxide mit sich bringt, so dass die Chloride im Prinzip in simplen Säure-Base-Neutralisationen

zugänglich sind. Dies bedeutet keineswegs, dass die Chloride nicht feuchtigkeitsempfindlich sind;

allerdings können sie oft durch simplen Zusatz von Salzsäure regeneriert werden. Die fünfwertigen

Halogenide von Arsen und Antimon beschränken sich auf die Fluoride und Chloride, vom Bismut ist

sogar nur das Fluorid bekannt. Sie werden in der Regel aus den Trihalogeniden durch Umsetzung mit

elementarem Halogen dargestellt. Ähnlich wie beim Phosphor können Pentachloride durch

Umsetzung mit salzartigen Fluoriden oder Flußsäure in die entsprechenden Fluoride überführt

werden (Abbildung 12b). Die Kombination aus HF und SbF5 ist als „magische Säure“ bekannt

geworden, da das aus Fluorid und Antimonpentafluorid gebildete komplexe Anion ausgesprochen

gering nukleophil ist und damit die korrespondierende extrem schwache Base einer Supersäure

darstellt.

Abbildung 12: (a) Beispiele für Darstellungsmethoden von Phosphorhalogeniden. (b) Arsen und Antimonhalogenide und ihre Lewis-

Acidität.

Die trigonal-bipyramidalen P(V)-Verbindungen sind ein weiteres Standardbeispiel für die Gültigkeit

der Oktettregel. So lässt sich z.B. PF5 mit einer teilweise ionischen Grenzformel problemlos unter

Einhaltung dieser Regel beschreiben (Abbildung 13a). Da die insgesamt acht bindenden Elektronen

nun auf fünf Bindungen verteilt sind, ergibt sich eine Bindungsordnung von 4/5 für jede einzelne P-F-

Bindung. Die Berücksichtigung dieses ionischen Anteils an den Bindungen in PF5 veranschaulicht

zudem, warum stark elektronegative Substituenten besonders geeignet sind, hyperkoordinierte

Spezies zu stabilisieren.* Weiterhin wird eine zwanglose Erklärung für die konfigurative Instabilität der

* Elektronegative Atome haben energetisch niedriger liegende Atomorbitale, wodurch natürlich auch die Molekülorbitale der

involvierten Bindungen abgesenkt werden. Insgesamt werden so die antibindenden *-Orbitale erreichbarer und können leichter bindende Wechselwirkungen mit den zusätzlichen Liganden eingehen.

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trigonalen Bipyramide geliefert: obwohl die Fluoratome in axialen und äquatorialen Positionen

offensichtlich chemisch inäquivalent sind, findet man im 19

F-NMR Spektrum selbst bei −150°C nur ein

Resonanzsignal.10

Dies wird durch eine Tunnelprozess, die bereits erwähnte Berry-Pseudorotation,

erklärt, bei der die beiden axialen Fluor-Liganden (F1) sich nach „unten“ bewegen, während zwei

äquatoriale Fluoratome (F2) nach „oben“ klappen (Abbildung 13b). Dies geschieht über einen

quadratisch-pyramidalen Übergangszustand. Es muss aber betont werden, dass dieser Prozess

zweifellos intramolekular abläuft und nicht etwa, wie man aufgrund des zuvor Erläuterten auch

vermuten könnte, intermolekular über ionische Zwischenstufen.11

Abbildung 13: (a) Negative Hyperkonjugation zur Beschreibung von hyperkoordinierten (nicht „hypervalenten“ - sic!) Verbindungen am

Beispiel des Phosphorpentafluorids. (b) Berry-Pseudorotation.

Da wir hier Brom- und Iod-Verbindungen weitgehend ausklammern, sei eine Bemerkung zur Stärke

der Lewis-Acidität erlaubt. Generell nimmt die Acidität der Halogenverbindung als Funktion des

Halogens in der Reihe F < Cl < Br < I ab, da die Orbitalüberlappung des vakanten Orbitals des

Elementhalogenids (das ja dessen Lewis-Acidität bedingt) mit den freien Elektronenpaaren des

Halogens und damit die Stärke der sogenannten -Rückbindung mit zunehmender Größe des

Halogenatoms schlechter wird. Allerdings ist gleichzeitig die Stabilisierung der Hyperkoordination von

der Elektronegativität der Substituenten abhängig, so dass die pentavalenten Brom- und

Iodverbindungen sehr instabil werden oder gar - wie im Fall des Arsen, Antimons und Bismuts - gar

nicht bekannt sind. In diesen Fällen ist eine reduktive Eliminierung elementaren Halogens zum

dreiwertigen Elementhalogenid energetisch begünstigt.

Dies mag man als ersten Hinweis darauf nehmen, dass sich für Hauptgruppenelemente allgemein

eine Zunahme der Stabilität der niedrigeren Oxidationsstufen von den leichteren zu den schwereren

Elementen einer Gruppe zu beobachten ist (allerdings ist z.B. in der Gruppe 16 keine klare Tendenz

erkennbar). Dieser Effekt ist besonders stark zwischen der 3. und 4. Periode (also vom Si zum Ge

und vom P zum As) sowie zwischen der 5. Und 6. Periode (also vom Sn zum Pb und vom Sb zum Bi).

Hierfür wurde gemeinhin die Kontraktion der Valenzorbitale aufgrund des erstmaligen Auftretens der

d- bzw. f-Schalen verantwortlich gemacht, deren Elektronen die Kernladung nur unvollkommen

abschirmen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der Übergangsmetall- und

Lanthanoidenkontraktion. Da aufgrund ihres kernnahen Anteils an Elektronendichte besonders die

s-Orbitale von der höheren effektiven Kernladung betroffen sind (vgl. radiale

Elektronendichteverteilung), stehen sie für die Bindungsbildung bei den schwereren Elementen der

Hauptgruppen nur noch eingeschränkt zur Verfügung (Inert-Pair-Effekt).

Abbildung 14: Entwicklung der Ionisierungsenergie der s-Valenzorbitale in den Gruppen 13 bis 15 und Perioden 2 bis 6.

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Allerdings gibt es gute Gründe diese Erklärung als unzureichend abzulehnen. Zum Beispiel folgt aus

der Beobachtung, dass die s-Orbitalionisierungsenergien zwar drastisch von der 2. zur 3. Periode

abnehmen, aber ansonsten nur geringfügig variieren, eine nur unwesentliche energetische

Absenkung der s-Valenzorbitale von der 3. zur 6. Periode (Abbildung 14). Tatsächlich ist die Stabilität

kleiner Oxidationsstufen bei den schwereren Elementen wohl eine Kombination aus relativistischen

Effekten (Spin-Bahn-Kopplung) und des Einflusses der Substituenten (Orbitalüberlappung und

Elektronegativitäten).12

Letzterer ist aller Wahrscheinlichkeit nach der dominierende Effekt. Im

Rahmen dieser Vorlesung mag es aber genügen, das bloße Vorhandensein eines solchen Effektes

zu konstatieren.*

Ähnlich wie im Fall der Gruppen 17 und 18 nehmen die Oxidationsstufen in den Gruppen 14 bis 16 in

Zweierschritten ab, beginnend von der größtmöglichen Oxidationsstufe gemäß der Position im

Periodensystem (Vermeidung von Radikalen). Jedoch beobachtet man aufgrund der sich

verringernden Zahl der freien Elektronenpaare (und folglich der geringeren elektrostatischen

Abstoßung) von der Gruppe 17 hin zur Gruppe 14 eine zunehmende Tendenz zur Ausbildung von

Element-Element-Bindungen (deren homolytische Spaltung ja eben die erwähnten Radikale erzeugt).

Halogenide mit Element-Element-Bindungen spielen also zunehmend eine Rolle, wodurch formale

Oxidationsstufen außerhalb der gerade beschriebenen Zweierschritte möglich werden.

In der Gruppe 14 ist der Trend zu niedrigeren Oxidationsstufen erstmalig so ausgeprägt, dass er auch

präparativ nutzbar wird. Tatsächlich spielen Verbindungen der Oxidationsstufe +II eine entscheidende

Rolle als Intermediate in vielen großtechnischen Prozessen. Einen dieser Prozesse, den Siemens-

Prozess zur Darstellung hochreinen Siliciums (Abbildung 15), werden wir an dieser Stelle besprechen

und die Rolle der Verbindungen niedriger Oxidationsstufen anhand eines vereinfachten Beispiels

beleuchten.

Abbildung 15: Fließdiagramm des Siemens-Prozesses zur Darstellung hochreinen Siliciums.

Im Siemensprozess wird das im Lichtbogenverfahren metallurgisch gewonnene Rohsilicium mit

Chlorwasserstoffgas bei ca. 300°C zu Trichlorsilan und Wasserstoff umgesetzt. Als leichtflüchtige

Flüssigkeit (Sdp. 32°C) lässt sich Trichlorsilan hervorragend durch fraktionierende Destillation über

lange industrielle Kolonnen auf sehr hohe Reinheiten bringen. Im Anschluss erfolgt dann

elektrothermische Zersetzung in Anwesenheit von Wasserstoff bei ca. 1000°C an einer

stromdurchflossenen Siliciumbrücke (zur Erinnerung: die Leitfähigkeit von Halbleitern nimmt mit der

Temperatur). Hierbei bildet sich neben dem elementaren Silicium auch HCl-Gas, das - wie auch der

Wasserstoff - im Kreis zurückgeführt wird. Auf diese Weise wird ein geschlossenes System etabliert,

wodurch die Stoffbilanz des gesamten Prozesses in der Theorie ganz ausgezeichnet wäre. In der

Praxis werden allerdings nicht unerheblich Mengen an Nebenprodukten und Begleitstoffen gebildet.

* In der Vorlesung AC06 „Metallorganische Chemie“ im Masterstudiengang werden wir versuchen, den Inert-Pair Effekt durch

qualitative MO-theoretische Betrachtungen zu erklären.

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Insbesondere die zur Erzielung hoher Reinheitsgrade erforderliche mehrfache Destillation schlägt in

der Energiebilanz der Siliciumaufreinigung ungünstig zu Buche.

Die Rolle des Wasserstoffs bei der thermischen Zersetzung von Trichlorsilan verkompliziert

mechanistische Betrachtungen, so dass wir uns der Einfachheit halber eine wasserstoffreie Variante

des Siemens-Prozesses anschauen wollen, in der das Trichlorsilan direkt zu Silicium,

Chlorwasserstoff und Tetrachlorsilan zersetzt wird.* Hierbei wird pro Mol elementaren Siliciums ein

Mol Tetrachlorsilan gebildet. Der erste und elementarste Schritt ist die Eliminierung von HCl, wobei

Silicium(II)chlorid gebildet wird, auch unter der Bezeichnung Dichlorsilylen bekannt. Dichlorsilylen ist

das schwerer Homologe von Dichlorcarben, das in der organischen Synthese in Anwesenheit einer

Base wie z.B. Hydroxid aus Chloroform gebildet wird, und mit seinem formalen Elektronensextett eine

Elektronenmangelverbindung darstellt. Dieser Elektronenmangel bewirkt eine hohe Affinität zu

externen Donoren (vgl. Halogenide der Gruppen 15 und 16). Die Rolle des Donors spielen in diesem

Fall in Ermangelung von grundsätzlich besser geeigneten Basen (wie z.B. Aminen) die -Bindungen

der im Produktgemisch vorhandenen Moleküle. Im Endeffekt führt das zur oxidativen Addition dieser

-Bindungen an Dichlorsilylen. Dieser Vorgang der Silylen-Bildung gefolgt von oxidativer Addition

einer Si-Cl-Verbindung wird beliebig oft wiederholt, so dass im Verlauf der Abscheidungsreaktion das

Siliciumgerüst sukzessive erweitert wird (Abbildung 16). Die Komplexität der ablaufenden Prozesse

könnte vermuten lassen, dass eine Reihe von Nebenprodukten anfällt, jedoch sorgt fortwährende

Equilibrierung aller stattfindenden Reaktion im Endergebnis für ein hochreines Produkt.

Abbildung 16: (a) Die direkte thermische Zersetzung von Trichlorsilan in Abwesenheit von Wasserstoff. (b) Die ersten Schritte des

Mechanismus der Abscheidung elementaren Siliciums aus der Gasphase frei nach Krasnova.13

Viele der höheren Silane wie Disilane und Trisilane stellen unter Ausschluss von Sauerstoff und

Feuchtigkeit stabile Verbindungen dar. Zwar stellt die gezielte Synthese solcher Verbindungen den

präparativen Chemiker oft vor Selektivitätsprobleme, dennoch kennt man ähnlich wie bei den Alkanen

verzweigte Vertreter wie z.B. iso-Pentan-Analoga oder auch polycyclische Derivate wie ein

adamantanartiges Persiladerivat (Si9R16, Ausschnitt aus der diamantartigen Struktur des elementaren

Siliciums).14

Im Falle von Silicium und Germanium sind im Gegensatz zu den Gruppen 15 und 16

selbst längste homonukleare Ketten relativ stabil, die sog. Polysilane, die interessante elektronische

Eigenschaften aufweisen und in der AC06 Vorlesung im Masterstudiengang behandelt werden. Die

relative Stärke der Si-Si-Einfachbindung ist zwanglos auf die Abwesenheit von sich abstoßenden

freien Elektronenpaaren zurückzuführen.

* Auf den ersten Blick mag dieses Verfahren weniger ökonomisch erscheinen. Da aber das Tetrachlorsilan in die Trichlorsilan-

Darstellung zurückgeführt werden kann, ist es durchaus konkurrenzfähig. Im übrigen lässt sich die Bildung von Tetrachlorsilan wie auch höherer Silane nicht völlig vermeiden.

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Das Auftreten von Silicium(II)chlorid als wichtiges Intermediat industrieller Prozesse ist ein weiterer

Beleg für die steigende Stabilität kleinerer Oxidationsstufen im Fall schwerer werdender Elemente der

Gruppe 14. Während Trichlorsilan bei Raumtemperatur sehr starker Basen (wie N-heterocyclischer

Carbene) bedarf, um die Eliminierung von HCl zu forcieren, genügt im Falle von Trichlorgerman

bereits die schwache Base Dioxan, um in guten Ausbeuten GeCl2·Dioxane-Addukt zur erhalten

(Abbildung 17). Für Zinn und Blei sind die Chloroform-Analoga bereits so instabil, dass sie bei

Raumtemperatur nicht existenzfähig sind. Zinn(II)chlorid bildet eine im Festkörper polymerartig

vernetzte Struktur und ist in Alkoholen und Ethern gut löslich, während Blei(II)chlorid eine ionische

Struktur aufweist (PbCl2-Typ), in der jedes Pb2+

-Kation von neun Chlorid-Ionen umgeben ist (vgl. auch

die Salzsäuregruppe im Kationentrennungsgang).

Abbildung 17: Die Stabilität von Element(II)chloriden der Gruppe 14.

2.3 Gruppen 14 bis 16 (Hydride)

In der Gruppe 16 kennt man nur die zweiwertigen Hydride, was als Beleg dafür gelten mag, dass zur

Stabilisierung der höheren Oxidationsstufen elektronegative Substituenten erforderlich sind

(Absenkung der *-Niveaus). Die Acidität der Gruppe 16 Hydride steigt vom Wasser (das nicht

Gegenstand dieser Vorlesung sein soll) zum Tellurhydrid als Folge der durch den hohen s-Charakter

der drei freien Elektronenpaare verringerten Basizität des Anions, also der konjugierten Base. Dieser

Trend findet sich in den Gruppen 14 und 15 reproduziert, allerdings sinkt die Acidität in Richtung der

Kohlenstoffgruppe (Tabelle 2, vgl. Trends im Periodensystem). Besonders auffällig ist, dass die

Bildungsenthalpie der Hydride mit dem Atomgewicht der Elemente dramatisch zunimmt, so dass bis

auf H2S alle schwereren Hydride der Gruppen 14 bis 16 bezüglich des Zerfalls in die Elemente

endotherme Verbindungen darstellen, ein Umstand der zur Verwendung in der

Gasphasenabscheidung der entsprechenden Metalle oder Halbmetalle günstig sein sollte.

Übungsaufgaben Seminarteil

1) Ordnen Sie die folgenden Halogenide nach Ihrer Acidität: PF5, PF3, TeF6, TeF3. Schlagen

Sie vor, wie die Reihenfolge experimentell überprüft werden könnte.

2) Warum ist PbCl2 in verdünnter Salzsäure praktisch unlöslich, aber gut löslich in

konzentrierter Salzsäure?

3) Für welche Elemente E der Gruppe 14 läuft die folgende Reaktion freiwillig ab?

EO2 + 4 HCl ECl4 + 2 H2O

4) Wie reagiert Schwefeltetrafluorid mit den folgenden Reagenzien: a) SbF5; b) Me4NF;

c) ClF; d) H2O?

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Tabelle 2: Schmelz- und Siedepunkte, pKs-Werte (1. Dissoziationsstufe) sowie Bildungsenthalpien der Hydride der Gruppen 14 bis 16 in wässriger Lösung.15

pKs Bp [°C] Mp [°C] Hf[kJ mol-1]

H2O 15.7 100 0 -242

H2S 7 -60.5 -83 -20

H2Se 3.7 -41.5 -66 30

H2Te 2.6 -4 -51

pKs Bp [°C] Mp [°C]

H3N 35 -34 -78 -46

H3P 27 -88 -134 +10

H3As 23 -63 -117 +66

CH4 55 -162 -183 -75

H4Si 35 -111 -185 +34

H4Ge 25 -88 -165 +91

Alle Hydride der Gruppen 14 bis 16 sind generell hochreaktiv und daher sehr giftige Verbindungen,

was ihre großtechnische Nutzung nicht unproblematisch macht. Daher finden sie trotz ihrer hohen

Flüchtigkeit und der mehr oder weniger leichten Zersetzung nur sporadisch Verwendung (Ausnahme:

Silane zur Abscheidung von amorphen Silicium). In der Gruppe 16 ist die Gasphasenabscheidung

direkt aus den Elementen weiter verbreitet, was z.B. beim Selen und Tellur aufgrund der niedrigen

Siedepunkte problemlos machbar ist (Se: 685°C, Te: 988°C). Im Übrigen wird in der Regel nicht, wie

man erwarten könnte, das Element abgeschieden, sondern die bei weitem überwiegende Menge als

Übergangsmetall-Chalcogenide. Der Halbleiter Cadmiumtellurid (CdTe) kommt z.B. zur Darstellung

von Solarzellen sowohl in kristalliner als auch amorpher Form zum Einsatz.16

Phosphan PH3, Arsan AsH3 und Stiban SbH3 sind wegen ihrer dem Silan SiH4 ähnlichen

physikalischen Eigenschaften ideale Beimischung bei der Abscheidung von n-gedoptem amorphem

Silicium. Die Beimischung der fünfwertigen Atome zum Silicium erzeugt einen Elektronenüberschuss

im Leitfähigkeitsband und modifiziert so die Leitfähigkeit des Materials. Alle schwereren Hydride der

Gruppe 15 sind, wie Silan, hochentzündlich (selbstentzündlich außer bei SbH3) und hochgiftig

(knoblauchartiger Geruch). Arsan und Stiban sind wegen ihrer endothermen Bildungsenthalpie

instabil gegen die Zersetzung in die Elemente, worauf die Marsh’sche Probe zum Nachweis von

Arsen und Antimon beruht, wobei deren basischen Oxide durch Umsetzung mit elementarem Zink in

salzsaurer wässriger Lösung in die Hydride und letztlich die Elemente überführt werden (Abbildung

18).

Die zunehmende Pyramidalität (kleiner H-E-H Winkel) in der Reihe von NH3 < PH3 < AsH3 < SbH3 <

BiH3 ist auf den zunehmenden s-Charakter des freien Elektronenpaares zurückzuführen und hängt im

Übrigen mit dem Inert Pair Effekt zusammen. Eine exaktere Erklärung für dieses Phänomen werden

wir wie bereits erwähnt in der Vorlesung AC06 im Master-Studiengang kennenlernen.

Abbildung 18: Darstellung einiger Hydride der Gruppen 14 und 15.

Auch der Zinnnachweis in der qualitativen Analyse beruht möglicherweise auf der Bildung von

Stannan(IV). In der Leuchtprobe (H2S-Gruppe des Kationentrennungsgangs) werden

Zinnverbindungen zunächst mit naszierendem Wasserstoff (Zn und HCl) behandelt, ein Reagenzglas

in die Mischung getaucht und in die Brennerflamme gehalten. Die blaue Fluoreszenz, die man bei

Anwesenheit von Zinn beobachtet, kann zur quantitativen Analyse von Organostannanen(VI) z.B. in

Muscheln benutzt werden.17

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Eine Ausnahme in Hinsicht seiner Reaktivität stellt GeH4 dar. So ist es gegenüber sauerstoffreiem

Wasser inert. Erst der Zusatz hoher Konzentrationen an Hydroxid-Ionen führt zu seiner Hydrolyse,

während bei SiH4 bereits katalytische Mengen an Base die vollständige Hydrolyse zu Kieselsäure,

Si(OH)4, und Wasserstoff bewirken. Auch von Sauerstoff wird es erst bei 180°C zu GeO2 und Wasser

oxidiert, während Silan mit Sauerstoff explosionsartig reagiert. Die unerwartet hohe Stabilität von

German ließ Allred und Rochow folgern, dass der Unterschied der Elektronegativitäten zwischen

Silicium und Germanium deutlich größer ist als die nach der Pauling-Methode ermittelten Werte

(Pauling: Ge = 2.01, Si = 1.90, C = 2.55). In der von ihnen vorgeschlagenen Skala kommt

Germanium eine Elektronegativität zu, die die Zwischenstellung dieses Elements bezüglich seines

chemischen Verhaltens deutlicher betont (Allred-Rochow: Ge = 2.02, Si = 1.74, C = 2.50).18

Während Trichlorsilan trotz seiner relativen Instabilität bereits ein gutes Beispiel für das beinah

beliebige Verhältnis von Halogenen und Wasserstoff in Silanen darstellt, verhält es sich in den

Gruppen 15 und 16 nicht ganz so einfach. Für Gruppe 16-Verbindungen sind keine stabilen gemischt-

substituierten Verbindungen dieser Art bekannt. Dies ist auf die extrem hohe Neigung zur Abspaltung

von HCl zurückzuführen und damit der Abscheidung des entsprechenden Elements. Eine probate

Methode zur Darstellung längerkettiger Sulfane ist folgerichtig die Umsetzung von H2S mit SCl2 unter

Abspaltung von HCl. In der Gruppe 15 kennt man einige wenige gemischte Hydrid/Fluorid-

Verbindungen vor allem für den fünfwertigen Phosphor, dessen Tendenz zur HF-Eliminierung weniger

stark ausgeprägt ist.

Obwohl einige längerkettige Sulfane bekannt sind, steigt die Tendenz zur Kettenbildung, wie man es

von der zweiten Periode her kennt, deutlich in Richtung der Gruppe 14 an. Wie schon erwähnt gibt es

eine Reihe wohl charakterisierter höherer Silane (Tabelle 3). Die SiH-Funktionalität lässt sich mit

einer Vielzahl von Halogenierungsreagentien (CBr4, SOCl2, N-Halogensuccinimid, etc.) in die

entsprechenden Halogensilane überführen. Die Umkehrung der Reaktion, d.h. die Darstellung der H-

substituierten Silane aus den Halogenderivaten gelingt z.B. mit LiAlH4. Durch geeignete Wahl der

Reagenzien lässt sich erreichen, dass die Reaktionen auf „halber“ Strecke stehen bleiben, und so

partiell halogenierte Silane zugänglich werden.

Tabelle 3: Eigenschaften der höheren Silane (aus Hollemann, Wiberg, Lehrbuch der Anorganischen Chemie).

In jüngster Zeit hat das ursprünglich von Hengge und Mitarbeitern beschriebene Cyclopentasilan19

für

einige Aufmerksamkeit gesorgt. Shimoda und Mitarbeiter entwickelten eine Methode um ein

Cyclopentasilan-basiertes [SiH2]n-Polymer/-oligomer in Toluol-Lösung mit Tintenstrahltechnik auf ein

Glassubstrat aufzubringen. Durch Erhitzen auf 300°C konnten sie so sowohl kristallines, als auch

amorphes Silicium unter Wasserstoffabspaltung in gedruckten Schaltkreisen erzeugten (Abbildung

19).20

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Abbildung 19: Darstellung von Cyclopentasilan (der Vollständigkeit halber aber im teilweisen Vorgriff auf Kapitel 3) und

Photopolymerisierung zum druckbaren Polysilan.

Silicium kristallisiert unter Normalbedingungen in seiner -Modifikation, die identisch mit der

Diamantstruktur ist (Zinkblende (ZnS)-Strukturtyp). Aufgrund der Verwendung des Siliciums in der

Form von „Wafern“ in der Halbleiterindustrie sind besonders die Oberflächen und damit bestimmt

Netzebenen von Interesse. Die Si(100) oder Si(110)-Flächen werden für die Wafer-Oberfläche

verwendet, während Si(111) als sogenannter „Ätzstop“ bezeichnet wird, da sie sich als besonders

resistent gegenüber dem Angriff durch Hydroxid-Ionen erweist (Abbildung 20),* wodurch ein

kontrolliertes Anätzen der Si(100) und Si(110)-Flächen zur Erzeugung isolierender SiO2-Domänen bei

der Herstellung von Mikrochips überhaupt erst ermöglicht wird.

Abbildung 20: Siliciumoberflächen nach der NIST Surface Structural Database.

Die Reaktivität der Oberfläche wird wesentlich von der Zahl der freien Valenzen der einzelnen

Oberflächenatome bestimmt. Während Si(100) zwei freie Valenzen pro Si-Atom aufweist, ist es im

Fall von Si(111) nur eine. Zwar sättigen sich die freien Valenzen durch die sog. Rekonstruktion

formal ab, indem sie untereinander Si-Si-Wechselwirkungen ausbilden, dennoch bedingt der

geringere Sättigungsgrad die höhere Reaktivität von Si(100).

Die Struktur von amorphem Silicium (a-Si) ist unbekannt (amorph). Da die Bandlücke aber signifikant

größer als beim kristallinen Silicium ist, wird angenommen, dass es neben der vom kristallinen

Silicium bekannten diamantartigen Struktur nanoskalige Bereiche mit clusterartigen Substrukturen

gibt. Diese Substrukturen bedingen die größere Bandlücke des amorphen a-Si. Das Ausmaß solcher

Unregelmäßigkeiten in der Struktur kann durch die Abscheidungsbedingungen gesteuert werden,

indem unterschiedliche Menge Wasserstoff als Trägergas bei der Thermolyse von SiH4 eingesetzt

werden.21

Der auf diese Weise variierte Restwasserstoffgehalt des a-Si:H stellt die „Stellschraube“

dar, mit der die Bandlücke beeinflusst wird: je mehr Wasserstoff, desto größer die Bandlücke

(Abbildung 21a).

* Zur Erinnerung: Die drei Zahlen in Klammern hinter dem Elementsymbol (oder der Formel der Verbindung) sind die Miller-

oder auch hkl-Indizes. Sie stehen für die Zahl der Elementarzellen zwischen den Schnittpunkten mit der x- (h), y- (k), und z-Achse des Koordinatensystems und dem Ursprung. Das Thema der Reaktivität von Siliciumoberflächen wird in der Vorlesung AC06 im Master-Studiengang vertieft werden.

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(a)

(b)

Abbildung 21: (a) Lineare Abhängigkeit der optischen Bandlücke vom Wasserstoffgehalt von wasserstoffhaltigem amorphen Silicium, a-Si-

H.21 (b) Auf DFT-Level berechnete Struktur eines Si100H20-Clusters. Hervorgehoben sind ein deltaedrischer Bereich und Si-Atome mit einem,

zweien oder gar keinem H-Substituenten, sowie ein Dimer das jenem der Si(100)-Fläche verwandt ist.22

Aufgrund der Schwierigkeiten mit der Bestimmung der Struktur der clusterartigen Domänen im

amorphen Silicium greift man notgedrungen auf Modellverbindungen zurück. In einer DFT-basierten

Simulation beobachtete man im Laufe der sukzessiven Verkleinerung des Wasserstoffgehalts eines

Si100-Clusters eine zunehmende Verzerrung der Struktur von der diamantartigen des kristallinen

Siliciums. Wie für das amorphe Silicium postuliert, bilden sich deltaedrische Domänen aus und es

zeigen sich terminale Si-Atome mit unterschiedlichem Substitutionsgrad. Selbst der Si(100)

Oberfläche topologisch verwandte Dimere sind im Si100H20-Cluster anzutreffen (Abbildung 21b).22

2.4 Gruppe 13 (Halogenide und Hydride)

Die dreiwertigen Halogenide der Gruppe 13 zeigen bezüglich ihrer Lewis-Acidität eine ähnliche

Tendenz wie in den späteren Gruppen des Periodensystems. Die Acidität nimmt z.B. in der Reihe BF3

< BCl3 < BBr3 < BI3 zu, obwohl die Elektronegativität der Halogene gleichzeitig abnimmt. Dies liegt im

wesentlichen an zwei Faktoren: Zum einen, wird die Überlappung der nichtbindenden Orbitale des

Halogens mit dem vakanten pz-Orbital des Gruppe 13 Elements mit zunehmender Größe schlechter.

Zum anderen, vereinfacht der größer werdende Kovalenzradius des Zentralatoms sowie die längeren

Übungsaufgaben Seminarteil

1) Reihen Sie auf der Grundlage des Gelernten die Gruppe 14 Hydriden nach ihrer

Tendenz zur Deprotonierung an. Warum sind bei den schwereren Elementen der Gruppe

14 praktisch nur Alkalimetallhydride zur Deprotonierung der E-H-Verbindungen geeignet?

2) Die freien Valenzen in elementarem Silicium lassen sich durch Wasserstoff absättigen.

Schlagen Sie Methoden, vor wie die so erzeugten Si-H-Bindungen in andere

Funktionalitäten überführt werden können.

3) Warum kennt man keine homoleptische hyperkoordinierte Elementhydride der Gruppen

14 bis 16?

4) Welche Produkte erwarten Sie bei der Reduktion von Ph2SiCl2 mit elementarem Natrium

in thf?

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B-X-Bindungen die Koordination einer externen Lewis-Base und erhöhen damit die Acidität der

Elektronenmangelverbindung.*

Die geringere Acidität von Bortrifluorid im Vergleich zu den schwereren Halogeniden des Bors schlägt

sich auch in seinem Hydrolyseverhalten nieder. Selbst bei stöchiometrischem Einsatz eines

Äquivalents H2O wird ein komplexes Gemisch verschiedener Borsäuren gebildet,23

aus dem durch

Destillation oder Kristallisation unter geeigneten Bedingungen das Mono- und Dihydrat isoliert werden

können. Tetrafluoroborsäure wird in einem Zwischenschritt aus BF3 und aus teilweise bereits erfolgter

Hydrolyse der B-F-Bindungen stammendem Fluorwasserstoff gebildet (Abbildung 22). Mit einem

Überschuss an Wasser reagieren alle Bortrihalogenide unter vollständiger Hydrolyse zu B(OH)3. Die

relative Geschwindigkeit der Reaktion nimmt aber vom Trifluorid zum Triiodid zu.

Abbildung 22: Hydrolyseverhalten von Bortrifluorid.

Alle im obigen Gleichgewicht vorkommenden Verbindungen stellen sehr starke Brönstedt-Säuren dar.

Die Tetrafluoroborsäure ist in der präparativen Chemie besonders nützlich. Als Supersäure ist ihr

Anion, das Tetrafluoroborat, von ausgesprochen geringer Nukleophilie und gehört damit zur Klasse

der schwach koordinierenden Anionen. Organische Borate wie B(C6F5)4− sind zeigen noch geringere

Nukleophilie und werden in der Vorlesung AC06 vertiefend behandelt werden.

Die subvalenten Halogenide mit einer Oxidationsstufe, die genau um zwei kleiner ist als die

größtmögliche, werden mit steigender Ordnungszahl des Elements stabiler (wie in der

Kohlenstoffgruppe). Dieser Effekt wird, wie bereits erwähnt, am besten unter Zuhilfenahme der MO-

Theorie mit schlechterer Überlappung der Orbitale an Zentralatom und den Substituenten erklärt. Die

höhere Stabilität von Indium und Thallium(I)-Verbindungen lässt sich anschaulich in einem

Kreisprozess auf Basis experimentell zugänglicher Daten darstellen (Abbildung 23).24

Man erkennt,

dass die Disproportionierung von gasförmigem Tl(I) und In(I) zum Element und dreiwertigem

Halogenid in jedem Fall exotherm ist, allerdings für Indium und Thallium in weit weniger starkem

Maße als für Aluminium oder gar Bor. Daraus folgt, dass der hohe Energiegewinn beim Übergang der

Element(I)halogenide von der Gasphase zum Festkörper die Disproportionierungsenergie für

Thallium (und mit Einschränkung auch Indium) mühelos überkompensiert.

Abbildung 23: Thermodynamische Stabilität der einwertigen Halogenide gegenüber der Disproportionierung.

* Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass die Größe der Iodatome in Bortiiodid im Prinzip die Lewis-Acidität verringern

sollte, da die Substituenten sich im Fall des Lewis-Säure-Base-Addukts wegen der formalen sp3-Hybridisierung näher

kommen (idealisierte Bindungswinkel sp3 109.5° vs. 120° für sp

2).

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Alle Halogenide der Gruppe 13 sind Elektronenmangelverbindungen. Dieses Elektronendefizit ist bei

den Monohalogeniden noch stärker ausgeprägt (zwei vakante Orbitale), so dass die Monohalide des

Bors ausschließlich in Form von Clustern bekannt sind, z.B. B9X9.25

Die Natur der in diesen Clustern

enthaltenen Mehrzentrenbindungen werden wir am Beispiel der Hydride näher erläutern (siehe

unten). Bei hohen Temperaturen in der Gasphase allerdings können BF oder BCl durch Reduktion

der Trihalogenide z.B. mit Kupfer in monomerer Form erzeugt werden. Unter geeigneten

Bedingungen reagieren die Monohalogenide mit noch vorhandenem Trihalogenid zu Diboranen(4)*

X2B-BX2 in einer oxidativen Addition, ähnlich der von SiCl2, während der Zersetzung von

Trichlorosilan im Siemens-Prozess (vgl. dort).

Andererseits bilden die Subhalide als starke Lewis-Säuren leicht Donor-Akzeptor Wechselwirkungen

mit Lewis-Basen aus. Die instabilen Monohalogenide des Aluminiums können durch Donoren

hinreichend für eine Charakterisierung bei Raumtemperatur stabilisiert werde. Hierbei gilt es zu

bedenken, dass das einwertige EX-Fragment durch Koordination einer Lewis-Base isoelektronisch zu

den zweiwertigen Subhalogeniden der Gruppe 14 wird. Aus der Kohlenstoffchemie bekannte

Strukturmotive sollten folglich anzutreffen sein. So wurde z.B. die tetramere Struktur des NMe3-

Addukts von Aluminium(I)bromid durch Röntgenbeugung als ein cyclobutanartiger Vierring

bestimmt.26

Es zersetzt sich beim Erwärmen über 90°C zu metallischem Aluminium und AlBr3.

Bezüglich der Hydride der Elemente der Gruppe 13 beschränken wir uns im wesentlichen auf das

Element Bor. Die Hydride der schweren Elemente sind vor allem als at-Komplexe relevant, z.B.

LiAlH4, das in der Organischen Chemie ein gängiges Reagenz zur Reduktion von

Carbonylverbindungen zu Alkoholen darstellt, aber auch (wie im vorangegangenen Abschnitt

gesehen) zur Reduktion von Halogenid-Funktionen zu den entsprechenden Hydriden.

Die Borane stellen ihrerseits das Paradebeispiel für Elektronenmangelverbindungen dar. Da dem

Wasserstoffsubstituenten freie Elektronenpaare zur intramolekularen Befriedigung des

Elektronenbedarfs des Borzentrums fehlen, werden stattdessen sogenannte Zwei-Elektronen-Drei-

Zentren Bindungen (2e-2c) ausgebildet. Diese Erkenntnis geht auf Überlegungen von Longuet-

Higgins aus den 1940er Jahren zurück, die er bereits als Student im zweiten Studienjahr in Oxford

anstellte.27

Die von ihm vorgeschlagene Struktur von Diboran(6) enthält pro Boratom zwei terminale

und ein verbrückendes Wasserstoffatom, wobei in jeder BHB-Brücke zwei Elektronen zwischen den

drei Zentren geteilt werden (Abbildung 24).

Die Synthese der Borane beginnt in der Regel mit Diboran(6), das sich z.B. aus BF3·Diethyletherat

und Natriumborhydrid darstellen lässt. Wie viele Borane ist auch das gasförmige B2H6 an der Luft

pyrophor und daher mit großer Vorsicht zu handhaben. Die hohe Reaktionswärme bei der Oxidation

von Boranen mit Luftsauerstoff wollte man sich in den 1950er Jahren für den Antrieb von Raketen zu

Nutze machen. Diese Anwendung wurde aufgrund des entstehenden festen Boroxids sowie einer zu

raschen Verbrennungsrate allerdings relativ schnell verworfen.

Abbildung 24: Synthese und Struktur von Diboran(6) (B2H6) und die 2-Elektronen-3-Zentren-Bindung (2e3c).

Die höheren Borane, die durch möglichst kontrollierte Thermolyse von Diboran(6) entstehen, waren

zu Zeiten von Longuet-Higgins bahnbrechender Arbeit zwar bekannt, aber physikalische

Informationen, aus denen man Schlüsse auf ihre Struktur hätte ziehen können, waren praktisch nicht

verfügbar. So wundert es kaum, dass Longuet-Higgins und sein Tutor, Ronald Bell, in ihren

Überlegungen zur Struktur dieser Borane völlig falsch lagen. Tatsächlich sind die 2e3c-Bindungen

nicht auf BHB-Brücken beschränkt, sondern treten ebenso in BBB-Einheiten auf. Stabile höhere

Borane sind z.B. Pentaboran(9) (B5H7) oder Hexaboran(12) (B6H10). Angesichts des geringen

* Die Ziffer in Klammern hinter dem Wort „Diboran“ steht für die Zahl der Substituenten. Zur Struktur von Diboran(6) siehe

weiter unten im gleichen Abschnitt.

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Wasserstoffgehalt dieser Borane kann man aus heutiger Sicht erahnen, dass Mehrzentrenbindungen

in diesen Verbindungen eine Rolle spielen. Die auf diese Weise erhaltenen Strukturen sind mehr oder

weniger kompakte dreidimensionale Gebilde, die eine hohe Zahl an Element-Element-Bindungen

aufweisen und daher als Cluster bezeichnet werden.

Die meisten Borancluster werden relativ leicht zu Anionen deprotoniert. Als am stabilsten erweisen

sich dabei Dianionen der allgemeinen Formel BnHn2−

, deren Strukturen geschlossenen Polyedern

entsprechen, darunter die platonischen Körper Oktaeder und Ikosaeder (nicht aber Würfel oder

Tetraeder). Diese polyedrischen Strukturen dieser Dianionen sind stets aus Dreiecksflächen

aufgebaut. Aufgrund ihres geschlossenen Aufbaus werden sie als closo-Borane bezeichnet. Aus der

Beobachtung, dass neutrale wasserstoff-substituierte Borane immer die eine oder andere Vierecks-

oder Fünfecksfläche enthielten oder gar noch offenere Strukturen zeigten, entwickelten Wade und

Mitarbeiter einen Satz von Elektronenzählregeln, die es erlauben Strukturen von Boranen mit einiger

Verlässlichkeit vorherzusagen und daher als Wade-Regeln Eingang in die Literatur gefunden haben.

Die empfohlene Vorgehensweise beim Abzählen der Gerüstelektronen ist wie folgt:

1) Bestimmen Sie die Zahl der Gerüstatome n.

2) Bestimmen Sie die Gesamtzahl an Gerüstelektronen SE (für engl. skeletal electrons).

Die Gerüstatome tragen zu SE die Zahl ihrer Valenzelektronen minus zwei, also Bor,

Aluminium 1, Silicium 2, Phosphor 3 usw. Vollständig gefüllte d-Schalen werden hierbei

nicht berücksichtigt.*

3) Subtrahieren Sie die Zahl der Ladungen (mit Vorzeichen!).

4) Addieren Sie die Zahl der durch Substituenten zur Verfügung gestellten Elektronen (ein

radikalischer Rest, z.B. eine Methylgruppe oder ein Halogen, stellt ein Elektron zur

Verfügung, ein n-Donor, z.B. ein Phospan deren zwei).

5) Die effektive Zahl an Gerüstelektronen SE als Funktion der Zahl der Gerüstatome n

bestimmt nun den Polyeder des Clusters (Abbildung 25):

SE Cluster-Typ Polyeder

2n hypercloso mit n Ecken

2n + 2 closo mit n Ecken

2n + 4 nido mit n + 1 Ecken, von denen eine unbesetzt bleibt

2n + 6 arachno mit n + 2 Ecken, von denen zwei unbesetzt bleiben

2n + 8 hypho mit n + 3 Ecken, von denen drei unbesetzt bleiben

6) Bei den nido-Spezies wird die Ecke mit der höchsten Konnektivität entfernt.

7) Die arachno-Species wird vom nido-Fall abgeleitet, indem man eine zusätzliche Ecke

entfernt, die der ersten fehlenden Ecke benachbart ist, wobei es vermieden wird

Gerüstatome mit nur zwei Nachbarn zu erzeugen.

* Beachten Sie, dass es eine Reihe von Versionen der Elektronenzählregeln nach Wade gibt. Wir verwenden die Variante, die

sich zwanglos aus dem VSEPR-Modell ableitet: Jedes Gerüstatom setzt a priori zwei seiner Elektronen entweder für eine Bindung zu einem Wasserstoff bzw. einem anderen Substituenten ein oder verwendet sie in einem nach außen gerichteten freien Elektronenpaar. Daher stehen für Clusterbindungen zunächst eine um zwei geringere Zahl an Elektronen zur Verfügung als Valenzelektronen vorhanden sind. Je nach Art des Substituenten werden in einem späteren Schritt 0, 1 oder 2 Elektronen wieder hinzugezählt. Grundsätzlich steht es Ihnen aber völlig frei, beliebige andere Zählsysteme zu verwenden.

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Abbildung 25: Polyeder mit Eckenzahl von vier bis zwölf. Rot hervorgehoben sind vorgeschlagene Zeichenhilfen. Blau und

rote Kugeln kennzeichnen die zu entfernenden Ecken.

Carborane leiten sich formal von den Boranclustern ab, indem eine BH-Einheit durch eine CH-Einheit

austauscht wird. Hierbei sind vor allem die ikosaedrischen Dicarbadodekaborane von Bedeutung. Sie

entstehen durch Umsetzung von B10H14 mit Acetylenen unter Abspaltung von zwei Äquivalenten

Wasserstoff. Das so erhaltene 1,2-Dicarbadodekaboran-Derivat bezeichnet man in Anlehnung an die

Regioisomerie des Benzols als ortho-Isomeres. Die 1,7- und 1,12-Isomere werden dementsprechend

als meta- und para-Isomeres geführt. Sie entstehen bei definierten Temperaturen aus der ortho-

Verbindung. Das para-Derivat ist thermodynamisch am stabilsten.

Carborane werden in 10

B-angereicherter Form wegen ihres hohen Borgehalts und dem großen

Neutroneneinfangquerschnitt des Bors in der sog. Neutroneneinfangtherapie zur Behandlung

bestimmter Krebsarten eingesetzt. Diese beruht auf der Freisetzung eines energiereichen -

Teilchens aus einer angeregten Form von 11

B nach

10

B + n 11

B* 7Li +

4He

2+.

Carborane genießen gegenüber kohlenstoffreien Boranen den Vorzug sich leicht in der

Kohlenstoffposition mit spezifisch wirksamen pharmazeutischen Seitenketten funktionalisieren zu

lassen. Hierdurch können die Borancluster im Körper gezielt dorthin gebracht werden wo die

Bestrahlung mit thermischen Neutronen erfolgen soll (d.h. an den Ort des Tumors oder der

Metastasen).

Übungsaufgaben Seminarteil

1) Welche Struktur leitet sich nach den Waderegeln für folgende Verbindungen ab:

a) C2B4H6; b) B10H8(PMe3)2; c) B7H14; d) Al12Br122−

?

2) Zur Darstellung von 1,2-Dicarbadodekaboran wird B10H14 in Gegenwart einer Lewisbase

mit Acetylen umgesetzt. Diskutieren Sie den Mechanismus dieser Reaktion.

3)

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3. Metallorganik der Hauptgruppen-Metalle und Halb-Metalle

Als Vater der systematischen Organometallchemie gilt der Engländer Edward Frankland, der in seiner

Marburger Zeit bei Robert Bunsen im Jahr 1848 die Organozinkverbindungen Et2Zn und EtZnI durch

Reduktion von Ethyliodid mit metallischen Zink erhielt. (Abbildung 26)* Frankland entdeckte in der

Folge auch Alkylquecksilber-Derivate, RHgCl und R2Hg,28

die für viele Jahrzehnte neben den

Zinkverbindungen die präparativ wichtigste Klasse an Organometallverbindungen darstellten, da sie

durch Transmetallierung eine Reihe weitere Hauptgruppenorganyle zugänglich machten.†

Dimethylquecksilber ist durch die massenweise Vergiftung von Anwohnern der Minamata-Bay

(Hunter-Russell-Syndrom) und resultierende Missbildungen bei Neugeborenen (und Erwachsenen) zu

trauriger Berühmtheit gelangt. Wasserlösliches MeHg+ war durch mikrobiellen Abbau von

elementarem Quecksilber entstanden, das mit dem Abwasser in die Bucht eingeleitet worden war.29

In jüngerer Zeit hat die tödliche Vergiftung der kanadischen Professorin Karen Wetterhahn für

Schlagzeilen gesorgt, die den Berichten nach durch nur wenige Tropfen Me2Hg auf einem

Latexhandschuh hervorgerufen wurde.

Abbildung 26: Synthese und von Alkylzink und -quecksilberverbindungen nach Frankland.

Die Metallorganik der Hauptgruppenmetalle und Halbmetalle verzichtet daher heute gerne auf die

Verwendung der gefährlichen organischen Quecksilberverbindungen. Man beginnt stattdessen

Synthesen oft mit den reaktiven Organylen der Gruppen 1 und 2, die anschließend in einer

Salzmetathese mit geeigneten Elementhalogeniden umgesetzt werden. Die Direktsynthese von

metallorganischen Verbindungen der Gruppen 13 bis 16 gelingt unter Umständen auch, erfordert aber

in der Regel einen beträchtlichen apparativen Aufwand, da das Metall in einer hochreaktiven Form,

z.B. durch Kondensation aus der Gasphase im Ultrahochvakuum, vorliegen muss. Wir wollen daher

die Reihenfolge aus Kapitel 2 umkehren und das vorliegende Kapitel mit der metallorganischen

Chemie der Alkali- und Erdalkalimetalle beginnen.

3.1 Gruppen 1 und 2

Die Organyle der Alkali- und Erdalkalimetalle haben gemeinsam, dass der überwiegende Teil

präparativ nützlicher Derivate sich auf jeweils nur ein Element der Gruppe beschränkt. Bei den

Alkalimetallen finden insbesondere in der organischen Chemie fast ausschließlich Lithium-Organyle

Verwendung, da die schwereren Alkalimetallderivate weniger gut zugänglich sind und gemeinhin

auch als zu reaktiv angesehen werden.

Die ersten Alkaliorganyle (Natrium und Lithium) wurden 1909 von Wilhelm Schlenk sen. und Johanna

Holtz durch Transmetallierung von Alkylquecksilberverbindungen dargestellt.30

Den Durchbruch als

leicht zugängliche Reagenzien verschaffte ihnen aber der von der Olefin-Polymerisation bekannte

Karl Ziegler mit seiner Arbeit zur Direktdarstellung aus organischen Halogeniden und elementarem

Lithium, da diese Methode die Verwendung der giftigen Quecksilberderivate vermied.31

Ziegler

erkannte bereits damals, dass die Polarität und Donorkapazität des eingesetzten Lösungsmittels für

den Erfolg der Synthese von entscheidender Bedeutung ist. Bei Durchführung der Darstellung von

z.B. nBuLi in Diethylether sanken die erzielbaren Ausbeuten wegen der Homokupplung des Produktes

(Wurtz-Kupplung) mit Ausgangsmaterial drastisch.

* Historisch Interessierte können in Franklands Originalarbeit nachschlagen, allerdings nicht ohne sich der altersbedingten,

zahlreichen Fehler in der Publikation bewusst zu sein: E. Frankland, Liebigs Ann. Chem. 1849, 71, 213. http://dx.doi.org/10.1002/jlac.18490710206

† Diese Arbeiten führte Frankland am Imperial College in London durch. Sie kosteten zwei seiner Assistenten das Leben. Für

eine authentische Beschreibung eines Vergiftungsfalls mit Dimethylquecksilber (der Betroffene hatte 6 kg (!) Me2Hg innerhalb von drei Monaten im Labor hergestellt) siehe: J. Pazderová, A. Jirásek, M. Mráz, J. Pechan, Int. Arch. Occ. Env. Health 1974, 33, 323. http://dx.doi.org/10.1007/BF00538936

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Abbildung 27: Synthese und von Aryllithium-Verbindungen nach (a) Schlenk und (b) Ziegler.

Die üblichen Darstellungsmethoden für Alkyllithium-Verbindungen umfassen neben der erwähnten

Direktsynthese und Transmetallierung vor allem die Deprotonierung acider Kohlenwasserstoffe, den

Metall-Halogen-Austausch und die Carbolithiierung von Alkenen und Alkinen.

Tabelle 4: Säurestärke einiger Kohlenwasserstoffe nach Elschenbroich - Organometallchemie (pKs-Werte in aprotischen Medien bestimmt, aber auf die vertrauten Werte im wässrigen Milieu umgerechnet).

Verbindung pKs-Wert Verbindung pKs-Wert

C4H10 44 HC≡CH 24

Benzol 37 Cyclopentadiene 15

Toluol 35 O2N-CH3 10

Ph3CH 30 HCN 9.4

Die Deprotonierung organischer Verbindungen gelingt umso leichter, je acider das zu entfernende

Proton ist. Die Acidität einer Verbindung hängt maßgeblich von der Stabilität des durch

Deprotonierung entstehenden Anions ab. Bei Cyclopentadien z.B. ist das Anion, also

Cyclopentadienid Hückel-aromatisch* und daher besonders stabil, Cyclopentadien damit eine relativ

starke Säure (Tabelle 4). Im Sinne einer Säure-Base-Reaktion besteht in der Regel ein Gleichgewicht

zwischen den beiden involvierten Lithium-Organylen, dass aber aufgrund durch Verwendung von

Reagentien mit leicht flüchtigen Protonierungsprodukten bequem zur Produktseite verschoben

werden kann. Aus diesem Grund, aber auch wegen des sehr hohen pKs-Wertes von Methan (ca. 48),

ist MeLi ein bevorzugtes Deprotonierungsreagenz. Gemäß dem Massenwirkungsgesetz ist die

korrespondierende Base umso stärker, je schwächer die entsprechende Säure ist, d.h. je höher deren

pKs-Wert. Durch Verwendung von Hilfsbasen (wie z.B. N,N‘-Tetramethylethylendiamin, tmeda) kann

die Basizität der Organolithium-Verbindung weiter erhöht werden. Der Einsatz chiraler Hilfsbasen

(z.B. (−)-Spartein, ein zweibasiges chirales Amin) ermöglicht außerdem eine enantioselektive

Reaktionsführung.32

Der Metall-Halogenaustausch findet vor allem zur Darstellung aromatischer Organolithium-

Verbindungen Verwendung und wurde erstmalig von Gilman und Wittig unabhängig voneinander

beschrieben.33

Vor allem dann, wenn in der protonierten Form der carbanionischen Zielverbindung

acidere Protonen vorhanden sind, als das zu entfernende, bietet diese Methode Vorteile. Dies ist zum

Beispiel im Mesitylen der Fall, das neun benzylische und drei aromatische Protonen enthält, womit

auch kinetisch die benzylische Deprotonierung klar bevorteiligt sein sollte. Die Umsetzung von

Mesitylbromid mit Alkyllithium-Verbindungen (z.B. nBuLi) ergibt in guter Ausbeute Mesityllithium, das

zwar auch direkt mit metallischem Lithium zugänglich ist, dann aber vom anfallenden LiBr abgetrennt

werden muss.

Der Mechanismus des Metall-Halogenaustausches wird erstaunlicherweise auch nach über 70

Jahren noch kontrovers diskutiert. Eine plausible Möglichkeit wurde bereits von Wittig vorgeschlagen.

Demnach verläuft die Reaktion im Sinne einer -Bindungsmetathese mit einem viergliedrigem

Übergangszustand (Abbildung 28a). Da die Reaktion in der Regel reversibel ist, muss für eine

vollständige Umsetzung eine Komponente aus dem Gleichgewicht entfernt werden, z. B. unter

Ausnutzung der relativen Schwerlöslichkeit der gebildeten Aryllithium-Verbindung. Eine weitere

Möglichkeit stellt, wie im Fall von tBuLi, der Einsatz von zwei Äquivalenten des Lithiumorganyls dar,

* Im Lithiumcyclopentadienid (und anderen Cp-Verbindungen) liegt meist ein

5-Koordinationsmodus von Cp

− an Li

+ vor. Das

bedeutet, dass alle fünf Kohlenstoffatome gleichermaßen koordinieren: Cp− hat also eine Haptizität von 5. Die Haptizität wir

durch den griechischen Buchstaben Eta (; sprich hapto) mit einer darauf folgenden hochgestellten Zahl ausgedrückt.

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wodurch das Koppelprodukt tBuLi deprotoniert und letztlich als Isobuten und Isobutan aus dem

Reaktionsgemisch entweicht (Abbildung 28b).

Abbildung 28: (a) Metall-Halogen-Austausch und der von Wittig dafür vorgeschlagene Metathese-Mechanismus. (b)

Verwendung von zwei Äquivalenten tBuLi zur restlosen Entfernung des gebildeten

tBuBr aus dem Reaktionsgemisch.

Die Carbolithiierung von C-C-Mehrfachbindungen funktioniert besonders bei elektronenarmen

Alkenen und Alkinen, z.B. solchen mit Phenylgruppen wie Styrol-Derivaten, und konjugierten Dienen.

Dies impliziert einen nukleophilen Additionsmechanismus und tatsächlich wirkt der Zusatz von

mehrzähnigen Donorliganden wie tmeda aufgrund der so erhöhten Nukleophilie des Carbanions auf

die Reaktion beschleunigend. Als Produkte erhält man erhält entsprechend verlängerte Lithium-

Organyle, im Fall der Alkine handelt es sich um substituierte Vinyllithium-Derivate (Abbildung 29).*

Abbildung 29: Carbolithiierung von (a) Alkenen (enantioselektiv mit (−)-Spartein) und (b) konjugierten Dienen. (c) Anionische

Polymerisation von Isopren zu Synthesekautschuk.

Durch Verwendung chiraler Hilfsbasen (z.B. Spartein) kann auch die Carbolithiierung auf

enantioselektive Weise durchgeführt werden.34

Ausgehend von konjugierten Dienen werden durch

Carbolithiierung über Allyllithiumderivate interne Alkene (1,2-disubsituierte C=C-Bindung)

zugänglich.35

Formal findet bei der Reaktion von 1,3-Dienen eine 1,4-Addition statt, was sich z.B. an

der Regioselektivität bei der Produktion von Synthesekautschuk durch anionische Polymerisation von

Isopren festmachen lässt.

Neben den genannten Reaktivitäten, die zur Erzeugung von anderen Lithium-Organylen dienen,

werden Organolithium-Verbindungen vor allem für einfache Additionsreaktion an heteronukleare

Mehrfachbindungen eingesetzt, insbesondere in Carbonyl-Verbindungen (Erzeugung von Alkoholen),

Iminen (Erzeugung von Aminen), Nitrile (Erzeugung von Iminen). Den Synthesemöglichkeiten sind

hier praktisch keine Grenzen gesetzt. Der präparative Wert der Carbolithiierung liegt vor allem auch in

der Möglichkeit zur weiteren Funktionalisierung nach erfolgter Reaktion durch Umsetzung mit

geeigneten Elektrophilen.

Der Strukturchemie der Lithium-organischen Verbindungen kommt eine große Bedeutung für die

Reaktivität zu. Ihr Assoziationsgrad in Lösung, d.h. die Zahl der Moleküle, die in Lösung durch

ionische Wechselwirkungen zu einem clusterähnlichen Oligomeren assoziiert sind, hängt sehr stark

von der Wahl des Lösungsmittels sowie der Anwesenheit etwaiger Hilfsbasen ab. In apolaren

* Terminale Alkine sind für die Carbolithiierung nicht geeignet, da das alkinische Proton so acide ist, dass bevorzugt eine

Deprotonierung zu Alkinyllithium-Verbindungen stattfindet. Die Dreifachbindung des Alkinyllithium-Derivats ist für die Carbolithiierung wegen ihres Elektronenreichtums deaktiviert.

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29 © 2011 David Scheschkewitz

Lösungsmitteln, wie z.B. Kohlenwasserstoffen, werden regelmäßig Oligomere mit einem

Assoziationsgrad > 2 gebildet. So kristallisiert nBuLi aus Kohlenwasserstoffen als Hexamer, MeLi als

Tetramer. Die Struktur von MeLi kann als verzerrter Würfel verstanden werden, ein sog.

Heterocuban (Abbildung 30a).

nBuLi kristallisiert je nach Lösungsmittel als Dimer mit einer Li2-verbrückten Struktur (tmeda),

36

Tetramer mit MeLi-analogen Heterocuban-Struktur oder Hexamer mit einem durch n-Butylgruppen

sechsfach überkapptem trigonal-antiprismatisch verzerrtem Oktaeder (Abbildung 30b).37

Als

Faustregel gilt: je höher die Polarität des Lösungsmittels und der sterische Anspruch der organischen

Gruppe, desto geringer der Assoziationsgrad, desto höher die Nukleophilie des Lithiumorganyls.

Die Natur der Li-C-Bindung wie auch evtl. Wechselwirkungen zwischen Lithiumatomen in den

oligomeren Clustern ist nachwievor Gegenstand von Diskussionen. Es erscheint aber klar, dass die

Li-C-Bindung überwiegend ionischer Natur ist, wenn auch signifikante kovalente Anteile (bis zu 30%)

eine Rolle spielen dürften. Bezüglich der Li-Li-Wechselwirkungen herrscht Uneinigkeit, ob der

Zusammenhalt durch rein elektrostatische Anziehung zwischen Anion und Kation bewirkt wird, oder

ob direkte bindende Interaktionen vorhanden sind. Die Fragen sind insofern miteinander verknüpft,

als dass ein höherer kovalenter Anteil in der Li-C-Bindung die Besetzung von Orbitalen am Li

impliziert, die dann naturgemäß in die Lage versetzt würden, clusterartige Bindungen zu unterhalten.

(a)

(b)

Abbildung 30: (a) Struktur des Methyllithium-Tetramers und (b) des nBuLi-Hexamers im Festkörper (nur die -

kohlenstoffatome sind dargestellt), aus Kohlenwasserstoffen kristallisiert.

Die Reaktivität der Lithium-organischen Verbindungen hängt also sehr stark von der Polarität des

Lösemittels ab, gleichzeitig - wie schon Ziegler erkannte - verringert sich auch die Stabilität und

Lagerfähigkeit von Lösungen der Reagentien. In diesem Zusammenhang gilt es einen geeigneten

Kompromiss bezüglich Nukleophilie, Basizität und Reduktionspotential der Lithium-Organyle zu

finden: Besonders in apolaren Lösemitteln muss man die Möglichkeit von

Elektronentransferprozessen - also Redoxchemie - in Konkurrenz zur eigentlich erwünschten

nukleophilen Substitution oder Addition mit berücksichtigen. Ein anderer wichtiger Zersetzungspfad

von Lithium-organischen Verbindungen ist die sogenannte -Hydrid-Eliminierung unter Fällung von

festem Lithiumhydrid und Bildung eines Alkens. Hydride sind keine ausgesprochen guten

Abgangsgruppen, so dass diese Reaktionen üblicherweise langsam verlaufen.

Es gibt inzwischen aber auch eine umfangreiche Chemie funktionalisierter Lithium-Organyle. Wir

beschränken uns hier auf -funktionalisierte Derivate, und zwar genauer auf die sogenannten

Carbenoide. In Carbenoiden trägt das anionische Kohlenstoffzentrum neben dem Lithium-Atom eine

gute Abgangsgruppe wie z.B. ein Halogen. Dieses Gebiet wurde pionierartig von Köbrich in den

1960er Jahren bearbeitet.38

Köbrich gelang die Synthese von Carbenoiden durch Deprotonierung von

z.B. Dichlormethan bei −140°C unter Verwendung eines speziellen Lösemittel-Gemisches mit sehr

niedrigem Schmelzpunkt, der sog. Trapp-Mischung (üblicherweise Et2O, thf und Pentan in variablen

Verhältnissen). Erst in den 1990er Jahren wurden die ersten Kristallstrukturanalysen von Chlor-

Carbenoiden durch Boche und Mitarbeitern vorgelegt.39

Die Chemie der Erdalkalimetall-Organyle wurde bis vor wenigen Jahren fast ausschließlich von den

Grignard-Verbindungen dominiert. Dies ist nicht mehr uneingeschränkt der Fall, wie in der AC06-

Vorlesung im Masterstudiengang gezeigt werden wird. Dennoch machen Ihre leichte präparative

Zugänglichkeit die Grignard-Verbindungen zu bevorzugten Übertragungsreagentien für organische

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Gruppen in der präparativen Chemie. Ihre Darstellung gelingt bequem durch die Direktsynthese aus

geeigneten organischen Halogeniden und elementarem Magnesium, in der Regel in Donor-

Lösemitteln wie Tetrahydrofuran oder Diethylether (Abbildung 31). In Lösung herrscht ein

kompliziertes Gleichgewicht, das erstmalig von W. Schlenk postuliert wurde und daher unter dem

Namen Schlenk-Gleichgewicht Eingang in die Literatur gefunden hat. In diesem Gleichgewicht führt

ein stetiger Austausch von Liganden am Magnesium-Zentralatom zum Vorliegen verschiedener

dimerer Spezies. In diesem Dimeren nehmen die Halogenid-Liganden bevorzugt verbrückende

Positionen ein, aber selbst Alkylgruppen finden sich in den Brücken wieder, wodurch deren

Wanderung von einem Magnesiumzentrum zum anderen zwanglos erklärt werden kann. Die

Diorganylverbindungen können durch Fällung von MgBr2 aus dem Gleichgewicht durch Zusatz von

1,4-Dioxan in reiner Form isoliert werden.

Abbildung 31: Schlenk-Gleichgewicht in Donor-Lösemittel L (L = thf, Et2O; R = Alkyl, Aryl; X = Cl, Br, I).

Bei Vorliegen sehr acider CH-Bindungen können auch Grignard-Verbindungen durch Deprotonierung

erzeugt werden, z.B. werden terminale Alkine in der Regel glatt von EtMgBr deprotoniert, das

seinerseits sehr leicht aus EtBr und Mg-Spänen in Tetrahydrofuran erhalten wird. Eine weitere, eher

spezielle Methode zur Darstellung von Magnesium-Organylen ist die Umsetzung der entsprechenden

Lithium-Verbindung mit frisch hergestelltem MgBr2 im Sinne einer Transmetallierung. Das MgBr2 wird

dabei durch Umsetzung von metallischem Magnesium mit 1,2-Dibromethan in Diethylether

gewonnen, da käufliches MgBr2 mit den gängigen Methoden wie Erhitzen im Hochvakuum kaum

genügend gründlich zu trocknen ist.

Die Reaktivität von Grignard-Verbindungen ähnelt jener der entsprechenden Lithium-Organyle (vgl.

Schrägbeziehung im PSE). Allerdings ist das Reduktionspotential der Magnesiumderivate niedriger

als bei Lithium-Verbindungen, so dass die Redoxchemie hier eine geringere Rolle spielt. Während

Lithium-Verbindungen aufgrund ihrer sehr raschen Oxidation an Luftsauerstoff stets unter einer

Schutzgasatmosphäre gehandhabt werden müssen, sind Lösungen von Grignard-Verbindungen in thf

oder Et2O bei Ausschluss von Luftfeuchtigkeit (z.B. CaCl2-Trockenrohr) in der Regel für den Einsatz

in der Synthese ausreichend stabil.*

* Natürlich reagieren auch Mg-Organyle über längere Zeiträume mit Sauerstoff, dennoch genügt die Verringerung des O2-

Partialdrucks durch den Eigendampfdruck des Lösungsmittels, um die Reaktion gegenüber der präparativ erwünschten hinreichend zu verlangsamen.

Übungsaufgaben Seminarteil

1) Welche Produkte erwarten Sie bei der Umsetzung von nBuLi mit -Diketonen?

2) Machen Sie einen plausiblen Strukturvorschlag für aus Diethylether kristallisiertem 2,4,6-

Trimethoxyphenyllithium. Begründen Sie Ihren Vorschlag. Wie würden Sie die

Verbindung herstellen?

3) Spekulieren Sie, welche Reaktionen Mesityllithium beim Erhitzen in Tetrahydrofuran

eingeht. Begründen Sie einzelne Reaktionschritte.

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3.2 Gruppe 13

In der Borgruppe wird auch die metallorganische Chemie vom intrinsischen Elektronenmangel der

dort befindlichen Elemente bestimmt. Auch in der Gruppe 13 ist die metallorganische Chemie eines

Elements bei weitem am besten entwickelt. Bortrihalogenide und eine Reihe donorstabilisierter

Borane wie H3B·SMe2 sind als Einstiegspunkte in die bororganische Chemie kommerziell erhältlich

oder leicht zugänglich. Waren die organische Verbindungen des Bors zunächst hauptsächlich als

nicht isolierte Zwischenprodukte in der organischen Synthesechemie von Bedeutung, so gibt es heute

eine Vielzahl von Anwendungen stabiler borhaltiger organischer Verbindungen vom Polymer über

Elektrolyte zu Kreuzkupplungsreagentien (Suzuki-Kupplung) und Lewis-sauren (Co-)Katalysatoren.

Nachwievor ist die Hydroborierung eine der wichtigsten Darstellungsmethoden für Organobor-

Verbindungen. Bereits in den 1940er Jahren hatte man beobachtet, dass Diborane(6) in reiner Form

langsam mit Styrol und anderen Alkenen reagiert.40

H. C. Brown fand, dass katalytische Mengen an

Donorlösungsmitteln die Reaktion dramatisch beschleunigen und machte die Methode populär, indem

er die bereits erwähnte einfache Darstellungsmethode für Diboran(6) aus BF3·Etherat und NaBH4

entwickelte. Brown bekam 1979 zusammen mit Georg Wittig den Nobelpreis für Chemie verliehen. In

seinem Nobelvortrag schildert auf eloquente Weise die Rolle des Militärs (insbesondere im

Zusammenhang mit dem Manhattan-Projekt) bei den wie so oft zufälligen Entwicklungen, die zur

systematischen Erforschung der Hydroborierungsreaktion führten.41

Aufgrund der positiven Partialladung am Bor-Atom

verläuft die Addition von Boranen an die C-C-

Mehrfachbindung nach Anti-Markovnikov, d.h. die Boryl-

Gruppe ist an das geringer substituierte Kohlenstoffatom

gebunden.* Bei Verwendung von BH3 (in Form von B2H6

oder Donor-stabilisiert) als Hydroborierungsreagenz ist es

häufig nicht möglich, die Reaktion auf der Stufe der BH2-

Verbindung anzuhalten. Sterisch anspruchsvoll

substituierte Borane lösen nicht nur dieses Problem, sondern erhöhen zudem die Selektivität der anti-

Markovnikov-Addition. Ein besonders populäres Boran ist z.B. 9-BBN (9-Borabicyclo[3.3.1]nonan),

dass auf einfache Weise durch Umsetzung von 1,5-Cyclooctadien mit BH3 erzeugt wird (Abbildung

32). Chirale Borane erlauben eine enantioselektive Reaktionsführung.

In der organischen Synthese werden die Organylborane wegen ihrer Empfindlichkeit gegenüber Luft

und Wasser in den seltensten Fällen isoliert. In einer Eintopfreaktion werden sie direkt in die

entsprechenden Derivate überführt; die meisten dieser Derivatisierungen verläuft bei optisch aktiven

Verbindungen unter Retention der Konfiguration mit guten bis ausgezeichneten

Enantiomerenüberschüssen (Abbildung 33). Zum Einen werden die Primärprodukte der

Hydroborierung so in Alkohole oder Carbonsäuren†

überführt, zum anderen erlauben sie die

Reduktion von Alkenen zu Alkanen unter milden Bedingungen sowie deren reduktive Kupplung. Mit

Chloraminen lassen sich Boryl-Gruppen gegen unterschiedlich substituierte Aminogruppen

austauschen.

* Zur Erinnerung: Halogenwasserstoffe, HX, addieren nach Markovnikov mit umgekehrter Regioselektivität. Dies ist auf die

Polarisierung des Alkens durch den +I-Effekt der Alkylgruppen zurückzuführen bzw. auf die Stabilisierung des Intermediats. † Dies ist natürlich im Prinzip nur eine Durchoxidation des ansonsten entstehenden primären Alkohols mithilfe des stark

oxidierenden Chromats.

Abbildung 32: Darstellung von 9-Borabicyclo[3.3.1]nonan.

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Abbildung 33: Hydroborierung und Folgereaktionen mit den erhaltenen Alkylboranen nach Brown.

Die Hydroborierung von Alkinen verläuft sinngemäß und soll hier nicht näher besprochen werden. Es

sei allerdings auf die zusätzliche Schwierigkeit einer doppelten Hydroborierung der C-C-

Dreifachbindung hingewiesen.

Neben der Hydroborierung werden Organylborane auch mit Vorteil aus Halogen- oder Alkoxyboranen

dargestellt. Als besonders gut geeignet erweist sich, neben den gasförmigen Bortrihalogeniden, das

Diethyletherat des Bortrifluorids, welches in reiner Form einer farblosen, bei 100°C siedenden

Flüssigkeit darstellt. Je nach organischem Rest werden die Substituenten über Lithium- oder

Magnesiumorganyle eingeführt (Abbildung 34a). Hierbei sind mögliche Selektivitätsprobleme

bezüglich der Mono-, Di- und Trisubstitution zu berücksichtigen. Der Einsatz von Trimethoxyboran als

Elektrophil kann bisweilen Abhilfe schaffen, da der Methoxy-Substituent eine schlechter

Abgangsgruppe darstellt und mithin das intermediär auftretende Alkylborat gegenüber der

Eliminierung von Lithium-Methanolat eine gewisse Stabilität aufweist und so die Zweitsubstitution

unterdrückt wird. Zur Zersetzung des Borats kann dann z.B. mit Me3SiCl erfolgen, es reicht mitunter

aber auch die Verwendung von zwei Äquivalenten B(OMe)3 (Abbildung 34b).

Abbildung 34: Alkylborane durch Salzmetathese aus Lithium- und Magnesiumorganylen und Bortrihalogenide oder

Trimethoxyboran.

Grundsätzlich ist im Laboratoriumsmaßstab die Salzmetathese mit Lithium- und Magnesiumorganylen

auch geeignet, die entsprechenden Aluminiumorganyle darzustellen. In der Praxis findet sie aber nur

für exotischere Aluminiumverbindungen mit sperrigen organischen Resten Anwendung, da viele

kleinere Aluminiumorganyle aufgrund ihrer Bedeutung in zahlreichen industriellen Verfahren (z.B.

Ziegler-Natta-Polymerisation von Alkenen) kommerziell erhältlich sind.

Triethylaluminium, AlEt3, wird großtechnisch nach dem Zieglerschen Direktverfahren dargestellt

(Abbildung 35). Hierbei wird metallisches Aluminiumpulver mit Wasserstoff und einem terminalen

Alken (häufig Isobuten) direkt zu Trialkylaluminium umgesetzt.* Das Verfahren basiert auf der

mehrfachen, reversiblen Hydroaluminierung des Alkens. Durch Verwendung eines höheren

* Die Reaktion funktioniert bemerkenswerterweise nur in Gegenwart des eigentlichen Produkts, des Trialkylaluminiums.

Insofern kann man sie als autokatalytische Reaktion auffassen.

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Wasserstoffanteils sind mit dem Direktverfahren auch Dialkylaluminiumhydride zugänglich (z.B. iBuAlH, DIBAL). Da die Stabilität der Trialkylaluminane mit zunehmender Zahl der Verzweigungen in

-Stellung zum Aluminiumzentrum abnimmt (vermutlich sterische Gründe), können ausgehend von

Triisobutylaluminium und terminalen Alkenen eine Vielzahl von Derivaten dargestellt werden.

Mechanistisch läuft dabei eine mehrfache Dehydroaluminierung unter Freisetzung von Isobuten mit

anschließender Hydroaluminierung des vorgelegten terminalen Alkens ab.*

Abbildung 35: Das Direktverfahren zur R3Al-Darstellung nach Ziegler.

Im Gegensatz zu Direktverfahren beruht die Aufbau-Reaktion nach Ziegler, bei der

Triethylaluminium mit ca. 100 bar Ethen bei moderaten Temperaturen von ca. 100°C umgesetzt wird,

nicht auf der Hydroaluminierung sondern auf der konzeptionell verwandten Carboaluminierung, also

der Insertion von Ethen in die Al-C-Bindung (Abbildung 36).† Hierbei wird die C2H4-Einheit wiederholt

in die Al-C-Bindung insertiert, so dass im Endeffekt geradzahlige an das Aluminiumzentrum

gebundene Alkylreste entstehen. Nach Oxidation mit Luftsauerstoff und Hydrolyse erhält man primäre

Alkohole, die als Ausgangsmaterial für biologisch abbaubare Tenside verwendet werden.

Abbildung 36: Die Aufbaureaktion zur Darstellung langkettiger terminaler Olefine bzw. primärer Alkohole nach Ziegler.

Im Vergleich zu jenen der Hydroborierung ist die systematische Untersuchung der primären

metallorganischen Reaktionsprodukte der Hydroaluminierung und der Hydrogallierung ein

ausgesprochen junges Forschungsgebiet. Zwar sind diese Reaktionen als solche in der organischen

Synthese seit langem bekannt, nur schloss man aus der Ähnlichkeit der Folgeprodukte nach

wässriger Aufarbeitung, dass sie nach ähnlichem Muster und mit ähnlichen Zwischenprodukten

verlaufen würde wie die Hydroborierung. Dies trifft im Fall der Alkylaluminane, d.h. den Produkten der

Hydroaluminierung der C-C-Doppelbindungen von Alkenen, in den meisten Fällen zu. Die Reaktionen

sind allerdings unkatalysiert bei Raumtemperatur oft so langsam, dass für praktische Anwendungen

auf hohe Drücke oder Temperaturen zurückgegriffen werden muss (siehe Aufbaureaktion und

Direktverfahren).42

Im Gegensatz zu Trialkylboranen zeigen Trialkylaluminane mit hinreichend kleinen Resten eine

dimere Struktur, in der die beiden Aluminiumatome mit zwei Alkylresten in der Art eines Diborans(6)

verbrückt sind. Offensichtlich ist ein solches Arrangement der einfachen Stabilisierung durch induktive

Effekte überlegen, falls um das Elektronenmangelzentrum genügend Platz vorhanden ist.

* Trimethylaluminium kann aus naheliegenden Gründen nicht nach diesem Verfahren dargestellt werden. Man bedient sich

stattdessen der Umsetzung von MeCl mit Aluminium zum sogenannten Sesquichlorid, Me3Al2Cl3, das anschließend durch Reduktion mit Natrium in AlMe3 überführt wird. Durch partielle Hydrolyse mit substöchiometrischen Mengen an Wasser erhält man aus AlMe3 das sogenannte Methylaluminoxan (MAO), eine schlecht definierte Al-O-Clusterverbindung, die noch unhydrolysierte Al-Me-Einheiten enthält. MAO spielt eine wichtige Rolle als Co-Katalysator der Ziegler-Natta-Polymerisation.

† Die Aufbaureaktion ist heute praktisch vollständig durch Olefinmetathese-Verfahren verdrängt (z.B. Shell Higher Olefine

Process - SHOP)

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Im Gegensatz zu den Alkenen reagieren elektronenarme Alkine in der Regel bereits bei

Raumtemperatur und darunter. Sorgfältige präparative Untersuchungen durch Uhl und Mitarbeiter aus

jüngster Zeit, dass im Fall des Aluminiums clusterartige Verbindungen eine Rolle spielen können, die

in ihrer Struktur an Boran- oder Carboran-Cluster erinnern.43

Zwar liefert die Reaktion von

Phenylacetylen mit Dimethylaluminiumhydrid bei Raumtemperatur zunächst nur ein klassisches*

Aluminylalkin (oder auch Aluminium-Alkinid), da dessen Reaktivität durch den elektropositiven

Aluminyl-Substituenten abgesenkt wird, aber längeres Erhitzen mit einem geeigneten Überschuss an

Me2AlH führt zu Bildung verschiedener Carbalane, von denen eines beispielhaft in Abbildung 37

gezeigt ist.

Abbildung 37: Produkte der Reaktion von Phenylacetylen mit Dimethylaluminiumhydrid unter verschiedenen

Reaktionsbedingungen.

In jüngerer Zeit wächst das Interesse für niedervalente Derivate der Gruppe 13, die durch

raumerfüllende Substituenten stabilisiert sind. Im Fall des Bors beruht diese Chemie vor allem auf

Verbindungen der formalen Oxidationsstufe +II. Diese Diborane(4) werden zum einen durch die

bereits geschilderte Hochtemperatursynthese erhalten, zum anderen mit apparativ weniger

aufwendigen Mitteln durch Reduktion von (Me2N)2BCl mit metallischem Natrium. (Me2N)2BCl wird

durch Umsetzen von Bortrichlorid mit vier Äquivalenten Me2NH dargestellt wird.

Tetrakis(dimethylamino)diboran(4) ist eine praktisch luftstabile farblose Flüssigkeit. Sie kann mit

MeOH und etherischer HCl-Lösung in das entsprechende Methoxy-Derivat überführt werden. Ähnlich

wie Trimethoxyboran ist Tetramethoxydiboran(4) hinreichend elektrophil, um mit sterisch

anspruchsvollen Lithium- oder Magnesiumorganylen zu mehr oder weniger stabilen organischen

Derivaten umgesetzt zu werden.

Abbildung 38: Darstellungssequenz von Tetramethoxydiboran(4).

Zahlreiche Diborane(4) sind bekannt und werden in der organischen Synthese für Diborierungen von

Alkenen und Alkinen eingesetzt.44

Hartwig und Mitarbeiter berichteten zudem über die Aktivierung von

CH-Bindungen in simplen Alkanen durch Pinakol-substituierte Diborane(4) in Gegenwart von Iridium

oder Rhodium-Katalysatoren.45

Hierbei wird eine selektive Aktivierung einer terminalen CH-Bindung

unter gleichzeitiger Bildung des Borans, (RO)2BH, beobachtet. Die hohe Reaktivität von Diboranen(4)

beruht auf dem energetisch tiefliegenden LUMO dieser Verbindungen, das -bindenden Charakter

zwischen den beiden Boratomen hat. Dies führt auch dazu, dass alle Diborane(4) leicht zu

Radikalmonoanionen oder gar Dianionen reduzierbar sind.46

Aluminium, Gallium und Indium zeigen, wie bereits diskutiert, eine zunehmende Präferenz für die

Oxidationsstufe +I. Ästhetisch besonders ansprechend sind die tetraedrischen Derivate, die von Uhl

und Mitarbeitern dargestellt wurden (Abbildung 39).47

Während die Gallium-Verbindung in Lösung in

einem konzentrationsabhängigen Gleichgewicht in das monomere Ga(I)R dissoziiert, bleiben sowohl

der In4, als auch der Al4-Tetraeder überraschenderweise nach kryoskopischen

Molmassenbestimmungen in Lösung auch nach Verdünnung erhalten. Alle E(I)-Tetraeder reagieren

leicht mit elementaren Chalkogenen oder Chalkogen-Donoren zu den entsprechenden

* Der Begriff “klassisch“ meint in diesem Zusammenhang, dass nur elektronenpräzise Bindungen vorliegen, also keine

2-Elektronen-Mehrzentrenbindungen.

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Heterokubanen, wobei in jede E-E-Bindung ein Chalkogen-Atom insertiert. Die Heterocubane sind ein

gutes Beispiel für stets wiederkehrende Strukturmotive in der Chemie der Hauptgruppenelemente.

Man vergleiche z.B. mit der Struktur des tetrameren MeLi oder auch mit der Oxidation des P4-

Tetraeders in weißem Phosphor zu P4O6 bzw. P4O10 (dort jedoch Kanten- statt

Flächenüberbrückung).

Abbildung 39: Darstellung der Gruppe 13(I)-Tetraeder sowie ihre Umsetzung mit Chalkogenen oder Chalkogen-Donoren zu

den entsprechenden Heterocubanen (R = C(SiMe)3).

Das entsprechende Thallium(I)-Tetramer zeigt interessanterweise keine regulär tetraedrische

Struktur, sondern ist in der Art verzerrt, dass die organischen Reste deutlich vom Schwerpunkt des

Tetraeders in der Art eines dreidimensionalen „Schaufelrads“ abgewinkelt sind.48

Hierin kommt die

immer geringer werdende Hybridisierungsneigung beim Gang die Gruppe hinab zum Ausdruck, d.h.

das freie Elektronenpaar am Thallium-Zentrum bleibt stereoaktiv.

3.3 Gruppe 14 und 15

Die Metallorganik der beiden Gruppen 14 und 15 weist aufgrund der Schrägbeziehungen im

Periodensystem einige Parallelen auf. Zwar ist aufgrund der Stellung im Periodensystem Silicium das

Element, das man für den Vergleich mit Kohlenstoff gefühlsmäßig als erstes heranziehen würde; nicht

umsonst aber wurde Phosphor als die eigentliche Kohlenstoff-Kopie bezeichnet, da die

Elektronegativitäten dieser beiden Elemente ähnlichere Werte aufweisen.* Neben der äußerst

vielfältigen elementorganischen Chemie des regulär tri-, tetra- oder pentakoordinierten Phosphors,

lässt sich in vielen (teils mehrfach) ungesättigten Strukturmotiven aus der klassischen Organischen

Chemie Kohlenstoff formal durch Phosphor substituieren (Abbildung 40).

* Ein Klassiker bereits nach wenigen Jahren ist das Buch von Dillon, Mathey und Nixon geworden: Phosphorus - The Carbon

Copy, Wiley VCH, Weinheim 1998.

Übungsaufgaben Seminarteil

1) Was für ein Produkt erwarten Sie für die doppelte Hydroborierung des Alkins HC≡CMe in

Abwesenheit eines Katalysators und warum? Wie verhält es sich wohl bei der

metallkatalysierten Diborierung des gleichen Alkins?

2) Durch vollständige Reduktion des Diborans(4), Mes2B-B(Mes)Ph, mit Lithium wird eine

dem Ethen isoelektronische Verbindung erhalten. Welche B-B-Bindungslänge erwarten

Sie für das Produkt im Vergleich zum neutralen Diboran? Begründen Sie Ihre Aussage.

3) Die Heterokubane, die durch Umsetzung der tetraedrischen Element(I)-Organyle der

Gruppe 13 mit Chalkogendonoren entstehen, können ebenfalls als Tetramere aufgefasst

werden. Schlagen Sie vor wie man die entsprechenden Monomere stabilisieren könnte.

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Abbildung 40: Beispiele ungesättigter organischer Verbindungsklassen und ihre Phosphoranaloga.

Allerdings bedarf die Darstellung dieser Phosphoranaloga oft gänzlich verschiedener synthetischer

Protokolle und es gilt naturgemäß stets die um eins höhere Zahl der Valenzelektronen des Phosphors

zu berücksichtigen. Insbesondere müssen bei den niedervalenten Vertretern, die koordinativ

ungesättigten Phosphoratome kinetisch durch sterisch anspruchsvolle Substitution oder

thermodynamisch z.B. durch Koordination an ein Übergangsmetallzentrum stabilisiert werden. Die

Synthese eines stabilen Diphosphens (R = Mes* = 2,4,6-tBu3C6H2) durch Yoshifuji et al. trug Anfang

der 1980er zur Widerlegung der sog. Doppelbindungsregel bei.49

Diese empirische Regel besagte,

dass Elemente ab der 3. Periode (der 2. Langperiode) nur äußerst instabile Mehrfachbindungen

auszubilden in der Lage seien.

Trotz der unzweifelhaft vielfältigen Verwendung von Organophosphor-Verbindungen

(Pflanzenschutzmittel, Photosensitizer, Brandschutzmittel, Vorstufen für Halbleiter etc.) verzichten wir

wegen der Vielzahl der bekannten Synthesen auf eine umfassende Besprechung ihrer Chemie an

dieser Stelle: Oft wird auf Variationen der Wurtz-Kupplung (z.B. PhBr und PCl3 mit Natrium ergibt

PPh3) oder der Addition von PH3 an C-C-Mehrfachbindungen zurückgegriffen (z.B. tBuPH2 durch

säurekatalysierte Addition an Isobuten; Anti-Markovnikov; Abbildung 41a). Auch Direktsynthesen aus

weißem oder rotem Phosphor finden Anwendung. Beispielhaft seien die Umsetzungen von weißem

Phosphor mit PhLi zur Darstellung von Phenylphosphan (Abbildung 41b), sowie die Arylierung von

rotem Phosphor unter Friedel-Crafts-Bedingungen mit Phenyliodid genannt (Abbildung 41c).

Abbildung 41: Einige Darstellungsmethoden von Phosphororganylen: (a) Sauer-katalysierte (Markovnikov)50

und radikalische

Addition (anti-Markovnikov) von PH3 an Isobuten.51

(b) Darstellung von Phenylphosphan durch Addition von PhLi an weißen

Phosphor und anschließender Hydrolyse.52

(c) Durch Lewis-Säure katalysierte erschöpfenden Arylierung von rotem Phosphor

durch Phenyliodid.53

Als Pionier auf dem Gebiet der metallorganischen Chemie des Siliciums gilt Frederick Stanley

Kipping. Er war bereits Anfang des 20. Jahrhunderts daran interessiert Parallelen zwischen

Organischer Chemie und der Chemie des Siliciums aufzuzeigen. Unter anderem bemühte er sich,

Analoga des Ethylens („Silico-Ethylen“; heute: Disilen) darzustellen. Seine irrtümliche Kurznachricht

über die Darstellung von Disilenen54

wurde später von ihm selbst korrigiert und die Produkte der

Reduktion von Dichlorsilanen spekulativ als Cyclotetrasilan und eine nicht näher bestimmte isomere

Verbindung identifiziert.55

Erst drei Jahrzehnte später war es dann Gilman vorbehalten, das

Kippingsche Produkgemisch korrekt als verschiedene cyclische Oligomere (SiPh2)n (n = 4 bis 6) und

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Polysilan zu charakterisieren.56

Kippings Erfolglosigkeit bei der Darstellung von Disilenen war Teil der

empirischen Grundlage der Doppelbindungsregel. Polysilane sind in letzter Zeit aufgrund ihrer

elektronischen Eigenschaften erneut in den Blickpunkt gerückt.57

Abbildung 42: Frederik S. Kipping (links) und die Schwierigkeiten bei der Analyse der Zusammensetzung des

Produktgemisches der Reduktion von Diphenyldichlorsilan.

Einer ähnlichen Fehlinterpretation* unterlag Paul Ehrlich für das Salvarsan, einem Medikament zur

Behandlung der Syphilis, der eine As=As-Doppelbindung als zentrales Strukturelement dieser durch

Reduktion der entsprechenden Dichlorarsonsäure erhaltenen Verbindung vorschlug. Obwohl man

sehr schnell übereinkam, dass die wahre Struktur wohl ringförmige Oligoarsane verschiedener Größe

enthalten müsse, dauerte es bis vor wenigen Jahren bis dies durch Elektrospray-

Massenspektrometrie zweifelsfrei bestätigt wurde.58

Einen weiteren Meilenstein stellen Kippings Versuche zur Erzeugung von Silico-Ketonen dar, für die

er den Begriff Silikone prägte. Durch Eliminierung von Wasser aus Silandiolen (vor allem Ph2Si(OH)2)

sollten Verbindungen mit Si=O-Doppelbindung erzeugt werden. Kipping erkannte bereits, dass diese

„Silikone“ vermutlich oligomerer oder polymerer Natur seien, aber ignorierte ihr hohes

Anwendungspotential zur Kunststofferzeugung.

Die von Kipping verwendeten Organosiliciumverbindungen wurden mit größter Wahrscheinlichkeit

über die von Grignard kurz zuvor beschriebenen Magnesiumorganyle dargestellt,† eine in damaliger

Zeit präparative Komplikation, der das intensivere Studium insbesondere der Silikone zusätzlich zum

Mangel an analytischen Methoden behinderte. Heutzutage sind die Silikone, die bei Weitem

verbreiteteste Klasse anorganischer Polymere. Sie bestehen aus Siloxanbindungen (Si-O-Si), die im

Vergleich zur Ether-Bindung häufig in Richtung Linearität aufgeweitet sind (-Rückbindung in *-

Orbitale) und zudem eine hohe konformative Flexibilität aufweisen. Polysiloxane sind je nach

verwendeten Monomeren linear oder verzweigt, was eine weitgehende Steuerung der

Produkteigenschaften erlaubt. Sie werden folglich in allen Bereichen des täglichen Lebens eingesetzt

(als Zusätze für Farben, Lacke, Pflegeprodukte, Nahrungsmittel oder als Reinstoffe in der Form von

Ölen und Kunststoffen für Dichtmassen, hitzebeständige Formen, medizinische und plastisch-

kosmetische Anwendungen etc.; Abbildung 43).

* Es sei darauf hingewiesen, dass derartige Fehlinterpretationen die Konstitution von Verbindungen betreffend wegen der

damals zur Verfügung stehenden vergleichsweise unbefriedigenden apparativen Möglichkeiten (praktisch keine Spektroskopie, Röntgenographie) keineswegs selten waren.

† Zu jener Zeit war das Zitierverhalten nach heutigem Standard unvollständig. Oft - wie auch in diesem Fall - wurden

Vorarbeiten weitgehend ignoriert und Hinweise zur Darstellung der Ausgangsmaterialien unterblieben häufig.

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38 © 2011 David Scheschkewitz

Abbildung 43: Einige Produkte in verschiedenen Fertigungsstadien auf der Basis von Polysiloxanen (von rechts nach links:

chemikalienresistente Schläuche, hochvernetztes Rohsilikonpolymer, chirurgische Implantate, Silikondichtmittel,

hitzebeständige Pinsel).

Schematisch kann die Darstellung von Polysiloxanen durch die Polykondensation von Silandiolen

verstanden werden. Hierbei wird formal ein Molekül Wasser pro Siloxan-Bindung eliminiert. Die von

Kipping erträumten Silico-Ketone spielen allerdings wohl nicht einmal als kurzlebige Intermediate eine

Rolle.* Tatsächlich greift bei der säurekatalysierten Variante das Sauerstoffatom einer Hydroxygruppe

intermolekular ein zweites durch Protonierung am Sauerstoff aktiviertes Silandiol nukleophil an. Die

anschließende Eliminierung von Wasser aus dem kurzlebigen Dimer mit pentakoordiniertem

Siliciumzentrum führt zur Ausbildung der Siloxanbindung (Abbildung 44). Die Polykondensation wird

ebenso durch Base katalysiert; hier dürfte die Deprotonierung einer Hydroxygruppe der einleitende

Schritt sein.

Abbildung 44: Mechanismus des ersten Schritts der Polykondensation von Silandiolen.

Die Variabilität von Polysiloxanen steht jener der organischen Polymere in nichts nach. Vielmehr

können Modifikationen auf erheblich gezieltere Weise erreicht werden, da 1.) für den

Kondensationsschritt verschiedenartigste Abgangsgruppen auf einfachste Weise eingeführt werden

können (Acetate sind recht beliebt) und 2.) ein theoretisch unbegrenzter Baukasten an vorgebildeten

Siloxan-Monomren für verschiedenste Verzweigungsgrade zur Verfügung steht. Die einfachsten

mononuklearen Bausteine werden üblicherweise nach dem Grad der Funktionalisierung als M, D, T

und Q-Einheiten abgekürzt (Abbildung 45).

Abbildung 45: Einfache mononukleare Polysiloxan-Monomere in der Form der Chloride und ihre gängige Bezeichnung in der

Siloxan-Chemie (R = Me, Ph).

Je nach Verwendung und Anteil der verschiedenen Monomere werden die Polymere bezeichnet. Ein

Polymer aus Monomeren in der Zusammensetzung M: 40%, T: 35%, Q: 25% heißt folglich MTQ-

Polysiloxan.

* Durch Einsatz verschiedener Stabilisierungsstrategien (sterisch, sowie Donor-Akzeptor-Stabilisierung) kennt man heute eine

Handvoll stabiler Derivate, die allerdings für Kondensationsreaktionen nur noch eingeschränkt geeignet sind. Für eine kurze Zusammenfassung aktueller Entwicklungen auf dem Gebiet der Si=E-Doppelbindung (E = Element der Gruppen 15 oder 16) siehe: D. Scheschkewitz, Angew. Chem. 2011, 123, 3174. http://dx.doi.org/10.1002/ange.201007688

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Wegen seiner Sonderstellung als Kettenfortpflanzungseinheit bei der Polysiloxandarstellung ist die

industriell bedeutendste metallorganische Verbindung des Siliciums das Dimethyldichlorsilan.

Heutzutage wird dieses wichtigste Ausgangsmaterial im Megajahrestonnen-Maßstab hergestellt.

Diese imposante Entwicklung seit Kippings Zeiten ist vor allem auf die Einführung des

Direktverfahrens nach Müller und Rochow zurückzuführen, bei dem Methylchlorid direkt mit

gepulvertem Silicium unter Beimengung katalytischer Mengen Kupfer im Wirbelschichtreaktor

umgesetzt wird.

Das Müller-Rochow-Verfahren ähnelt konzeptionell der Darstellung von Trichlorsilan und soll daher

nicht im Detail besprochen werden. Es sei nur erwähnt, dass auch in diesem Fall Silylene, d.h. Si(II)-

Verbindungen als Intermediate eine Rolle spielen dürften und daher ein relativ komplexes

Produktgemisch erzeugt wird. Es besteht hauptsächlich aus Me2SiCl2, sowie den anderen denkbaren

Methylchlormonosilanen, aber auch aus ökonomisch unerwünschten Di- und Oligosilanen. Die

Zusammensetzung des Produktgemisches hinsichtlich der Bedürfnisse der Silikonindustrie kann vor

allem durch Variation der Katalysatorzusammensetzung gesteuert werden.

Bezüglich seiner metallorganischen Verbindungen nimmt das Germanium insofern eine

Sonderstellung ein, als dass aufgrund des hohen Preises bisher praktisch keine Anwendungen

bekannt sind. Zudem sind die Eigenschaften der germaniumorganischen Verbindungen denen der

entsprechenden Siliciumderivate in vieler Hinsicht ähnlich, dass sich der preisliche Mehraufwand

auch für Nischenanwendungen nicht lohnt. Unterschiede gibt es insbesondere in der Stabilität der E-

E und E-C-Bindungen, die vom Kohlenstoff zum Blei hin kontinuierlich abnehmen. So werden z.B.

Alkylsilane von elementarem Chlor in der Peripherie chloriert, wohingegen analoge Alkylgermane

unter Spaltung der Ge-C-Bindung reagieren. Die Verwendung von Zinn- und vor allem Bleiorganylen

ist seit vielen Jahren wegen ihrer hohen Toxizität rückläufig. Tetraethylblei war jahrzehntelang die

meistproduzierte metallorganische Verbindung und fand bis zum Verbot in den 1990er Jahren als

Antiklopfmittel in Ottokraftstoffen Verwendung.

Alkylierte (und sogar teilweise vinylierte und phenylierte) Germanium, Arsen- und

Antimonverbindungen können in einer der Synthese von Dimethyldichlorsilan verwandten Methode

direkt aus den Elementen und organischen Halogeniden hergestellt werden.59

Die Methode versagt

allerdings bei den schwereren Elementen Zinn, Blei und Bismut, so dass diese in der Regel durch

verschiedenen Transmetallierungsreaktionen dargestellt werden.

Eine interessante Besonderheit bieten die Cyclopentadienyl-substituierten Derivate. Da alle

schwereren Hauptgruppenelementverbindungen aufgrund der energetisch relativ tiefliegenden *-

Orbitale einen gewissen Lewis-sauren Charakter haben, neigen Sie zur Ausbildung von Donor-

Akzeptorbindungen. Wie wir bereits gesehen haben, sind zur Isolierung solcher hyperkoordinierter

Verbindungen aber sehr elektronegative Substituenten erforderlich. Dennoch resultiert die

Zugänglichkeit der antibindenden Orbitale in einer mehr oder minder schnellen Wanderung der

schweren Elemente über den Cyclopentadienylrest, so dass die C-Atome auf der NMR-Zeitskala

äquivalent werden können. Die Reaktion verläuft nach dem in Abbildung 46 dargestellten

Mechanismus über eine Intermediat/Übergangszustand mit 2-gebundenem Cyclopentadienylrest und

wird als 1,2-metallatrope Verschiebung bezeichnet.60

Abbildung 46: (a) Vermutlicher Mechanismus der 1,2-metallatropen Verschiebung in elementorganischen Cyclopentadienyl-

Derivaten. (b) Jutzis Silicocen und die Abspaltung eines Pentamethylcyclopentadienyl-Restes durch Protonierung.

Die Erweiterung der Koordinationssphäre durch den Cyclopentadienylrest kann zur Darstellung

stabiler Si(II)-Derivate ausgenutzt werden, wie Jutzi und Mitarbeiter gezeigt haben (Abbildung 46b).

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Das stabile Decamethylsilicocene61

wird durch Einwirkung von Supersäuren in ein sehr

ungewöhnliches Si(II)-Kation überführt.62

In diesen Verbindungen sind aufgrund des inhärenten

Elektronenmangels der niedervalenten Siliciumverbindungen die Cp-Reste 5-gebunden.

4. Metallorganik der Nebengruppenelemente

Vor Alfred Werners Arbeiten zur Koordinationschemie von Übergansmetallen aus dem späten 19.

Jahrhundert gab es zahlreiche Bemühungen die Chemie der Übergangsmetalle mit der aus der

organischen Chemie bekannten Wertigkeit und damit konstanten oder multiplen Proportionen und

eine der Wertigkeit entsprechenden Zahl kovalenter Bindungen zu erklären. Nur sehr eingeschränkte

strukturchemische Informationen standen zur Verfügung, wodurch eine Reihe aus heutiger Sicht

bizarrer Vorschläge für den Aufbau z.B. oktaedrischer Ammoniakate der Übergangsmetalle gemacht

wurden.* Die Erkenntnisse von Werner über die dative Natur der Bindung von Liganden an das

Übergangsmetallzentrum lösten dieses Problem mit einem Schlag.

Es ist daher fast ein wenig ironisch, dass man in jüngster Zeit zu erkennen beginnt, dass die

Unterschiede zwischen Hauptgruppenelementen und Übergangsmetallen keineswegs so dramatisch

sind wie Werners Annahmen der Konstitutionstheorie zu implizieren scheinen. Der einzige qualitative

Unterschied liegt in der speziellen Natur der d-Orbitale mit einer zusätzlichen Knotenebene und den

damit verbundenen Folgen für die Symmetrie der betreffenden Fragmentorbitale. Ansonsten bewegen

sich die Unterschiede cum grano salis auf quantitativer Ebene (z.B. Höchstzahl der Liganden).

Gerade in der metallorganischen Chemie der Übergangsmetalle zeigt sich deutlich, dass sowohl die

gängigen Bindungsmodelle als auch die wichtigsten Elementarreaktionen konzeptionell mit jenen der

Hauptgruppenchemie eng verwandt sind. Wir werden uns also in diesem Kurs zunächst auf die

Nebengruppen-Carbonyle konzentrieren, und damit auf die Bindeglieder zwischen der klassischen

Komplexchemie und der Metallorganischen Chemie, die ja oft durch das Vorliegen einer M-C-Bindung

definiert wird.

4.1 Carbonyle der Nebengruppen

Die Chemie der Übergangsmetallcarbonyle geht auf den deutschen Chemiker Ludwig Mond zurück,

der 1890 die Synthese des ersten Metallcarbonyls [Ni(CO)4] entwickelte. Das Mond-Verfahren zur

Reinigung von Nickel nutzt die Bildung des leichtflüchtigen [Ni(CO)4] im Sinne einer Transportreaktion

aus. Dabei wird Nickel im Kohlenmonoxidstrom von kälteren in heißere Bereiche des Reaktors

transportiert und seine Reinheit sukzessive erhöht (Abbildung 47a). Allgemein erfolgt die Synthese

von Metallcarbonylen entweder aus dem Metall selbst im CO-Strom oder durch Reduktion von

* Vgl. Lutz Gade, Koordinationschemie für einen umfassenden historischen Überblick.

Übungsaufgaben Seminarteil

1) Schlagen Sie eine sinnvolle Synthese für Jutzis Decamethylsilicocen vor. Nach welchem

Reaktionsmechanismus verläuft wohl die Umsetzung dieser Verbindung mit einer

Supersäure?

2) Bei der Direktsynthese von Me2SiCl2 nach Müller-Rochow spielen Silylene, also Si(II)-

Verbindungen eine entscheidende Rolle. Entwickeln Sie einen Mechanismus, der sowohl

der Bildung des gewünschten Produktes, als auch von Disilanen Rechnung trägt.

3) Paul Ehrlich nahm fälschlich an, dass Salvarsan eine As-As-Doppelbindung aufweist.

Wie würden Sie heutzutage überprüfen, ob eine von Ihnen synthetisierte Verbindung

eine solche Bindung enthält?

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Metallsalzen in Gegenwart von CO. Mehrkernige Metallcarbonyle lassen sich z.B. durch Bestrahlung

erzeugen (Abbildung 47b). Alle Metallcarbonyle sind auf zweierlei Art giftig, sowohl als Schwermetall-,

als auch als Kohlenmonoxid-Quellen.

Abbildung 47: (a) Schematische Darstellung des Mond-Verfahrens zur Reinigung von Nickel. (b) Weitere Verfahren zur

Darstellung homoleptischer Metallcarbonyle.

Bei allen Metallcarbonylen lässt sich die Stabilität der Komplexe sowie deren Struktur anhand der 18-

Elektronenregel (Sidgwick-Regel) mit gutem Erfolg abschätzen. Die einkernigen Komplexe [Ni(CO)4],

[Fe(CO)5] und [W(CO)6] weisen alle 18 Elektronen in ihrer Valenzschale auf. Beim Übergangsmetalle

mit ungeradzahliger Valenzelektronenzahl bilden bevorzugt Dimere, wie z.B. [Mn2(CO)10], das man

sich als zwei Mn(CO)5-Fragmenten mit je 17 Elektronen, die durch eine Mn-Mn-Bindung verknüpft

sind. Bei mehrkernigen Carbonylen kommen dann verbrückende CO-Einheiten zum Tragen, wenn die

Koordinationssphäre ansonsten unvollständig wäre oder eine unsymmetrische Koordination

erzwungen würde. Strenge Vorhersageregeln gibt es hier nicht, schwerere Übergangsmetalle z.B.

neigen zu unverbrückten Strukturen.

Die M-CO-Bindung besteht aus einer -Hinbindung in vakante d-Orbitale durch das freie

Elektronenpaar am Kohlenstoff und einer Rückbindung von besetzten d-Orbitalen in das antibindende

*-Orbital von CO (Abbildung 32). Diese Verhältnisse implizieren eine Verringerung der

Bindungsordnung der C-O-Bindung und einen gewissen M-C-Doppelbindungsanteil. Tatsächlich

findet man eine gute Korrelation der C-O-Streckschwingung mit der Art des verbleibenden

Metallfragments.

Abbildung 48: Schematische MO-Betrachtung der Bindungsverhältnisse in Übergangsmetallcarbonylen.

Die wirklichen MO-theoretischen Verhältnisse sind komplizierter, immerhin müssen mehrere

Metallcarbonylwechselwirkungen erfasst werden, für die aus Gründen der Symmetrie nicht nur das

dz2-Orbital verantwortlich sein kann. Die M-CO-Bindung ist aber in vielerlei Hinsicht prototypisch für

eine ganze Reihe metallorganischer Liganden und wir kommen daher zu Vergleichszwecken

wiederholt auf sie zurück.

4.2 Fischer und Schrock Carbene

Die Grenzorbitale von Carbenen :CR2 und Kohlenmonoxid weisen deutliche Parallelen hinsichtlich

ihrer Symmetrie auf, sie sind isolobal.* Das HOMO ist in beiden Fällen ein nichtbindendes -artiges

Orbital und das LUMO ein vakantes Orbital mit -Symmetrie. Wie das Kohlenmonoxid sind damit

Carbene gute -Donoren und je nach Art der Substituenten mehr oder weniger gute -Akzeptoren.

* Die Isolobalbeziehung werden wir in der Vorlesung AC06 - Metallorganische Chemie im Masterstudiengang näher kennenlernen. Sie beruht auf der Hoffmannschen Hypothese, dass die Energie und Symmetrie der Grenzorbitale wesentlich die Reaktivität von Verbindungen bestimmen.

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Auf dieser Basis wird grundsätzlich zwischen zwei Hauptklassen an Carbenkomplexen

unterscheiden: den Fischer- und den Schrock-Carbenen.

Fischer-Carbene tragen Donorsubstituenten am Carben-Kohlenstoff, wodurch dessen intrinsischer

Elektronenmangel gemildert wird, d.h. das LUMO energetisch angehoben. Dadurch findet in Fischer-

Carbene nur eine begrenzte Rückbindung vom Metall zum vakanten pz-Orbitals des Carbenzentrums

statt.*

Fischer-Carbene sind z.B. durch nukleophilen Addition von Lithiumorganylen an

Übergangsmetallcarbonyle zugänglich (Abbildung 49).

Abbildung 49: Synthese, elektronische Struktur und Reaktivität von Fischer-Carbenkomplexen.

Bezüglich der Reaktivität ist eine strenge Unterscheidung zwischen mesomeren und induktiven

Effekten zu treffen: Durch die elektronegative Natur vieler -Donorsubstituenten üben diese

gleichzeitig, ebenso wie das elektronenarme Metallfragment, einen substantiellen -I-Effekt aus,

wodurch das Kohlenstoffatom deutlich elektrophilen Charakter erhält. Zum Beispiel reagieren Fischer-

Carbene mit Aminen oder anderen Nukleophilen unter Substitution der Alkoxygruppe am Carben-

Kohlenstoff.

Schrock-Carbenkomplexe werden in der Regel aus Übergangsmetallalkylverbindungen dargestellt,

wobei diese präperativ, genau wie Hauptgruppenalkyle, durch Salzmetathese aus den

entsprechenden Übergangsmetallhalogeniden und Alkyllithiumverbindungen erhalten werden. Inter-

oder intramolekulare Deprotonierung geeigneter Vorläufer liefert neutral oder kationische Carbene

des Schrock-Typs, deren Carbenliganden ohne Donor-Stabilisierung auskommen.

Die prototypische Synthese von (neo

Pent)3Ta=C(H)tBu ist die Umsetzung von (

neoPent)3TaCl2 mit neo-

Pentyllithium, die zur Isolierung des ersten donorfreien Carbenkomplexes durch Richard Schrock

führte.63

Lange Zeit war unklar, ob der homoleptische neo-Pentylkomplex ein Intermediat dieser

Synthese darstellt. Es konnte aber schließlich NMR-spektroskopisch und durch Isotopenmerkierung

gezeigt werden, dass intermediär Pentakis(neo-pentyl)tantal entsteht, welches unter Eliminierung von

iso-Butan (also intramolekularer Deprotonierung) den t-Butylcarben-Komplex bildet.64

Abbildung 50: Synthese des prototypischen Schrock-Carbenkomplexes.

In Schrock Carbenen reagiert das Carbenzentrum als Nukleophil wie durch zahlreiche einfache

Derivatisierungsreaktionen gezeigt werden konnte. In Metathese mit Ketonen, die konzeptionell der

Wittig-Reaktion von Phosphoranen (Yliden) ähnelt, wirken Tantalalkylidene (so der alternative Name

für donorfreie Carbenkomplexe) als Überträger substituierter Methylenfragmente. Die logische

Fortführung dieser Reaktion führte letztlich zur Entwicklung der Alkenmetathese für die Richard

Schrock gemeinsam mit Grubbs und Chauvin im Jahre 2005 den Nobelpreis für Chemie erhielt. Die

Alken-Metathese beruht auf der reversiblen Bildung von Metallacyclobutanen durch [2+2]-

Cycloaddition eines Alkens an ein Schrcok-Carben. Die Umkehrreaktion kann nun entweder zurück

zu den Edukten führen, oder bei Spaltung der anderen beiden Bindungen zu neuen Produkten.

* Weiterhin findet sich in vielen Lehrbüchern ein Hinweis auf die geringe Oxidationsstufe des späten Übergangsmetalls in

Komplexen des Fischer-Typs. Dies erscheint aus didaktischer Sicht wenig hilfreich, da diese beiden Umstände a priori für stärkere Rückbindung des ÜM-Zentrums zum Carbenkohlenstoff sorgen sollten. Man bedenke aber, dass wie stets die wirklichen elektronischen Verhältnisse durch die hier verwandten Modelle nur grob angenähert werden.

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4.3 Alkenkomplexe

Eine freie Koordinationsstelle an einem Übergangsmetallzentrum kann nicht nur durch n-Donoren wie

Phospane abgesättigt werden. -Elektronen sind im Prinzip ebenso gut geeignet. Dies führt zu den

zahlreichen Übergangsmetall-Verbindungen des Cyclopentadienids, das in den meisten Fällen als 5-

Ligand fungiert. Zahlreiche sogenannte Sandwich- und Halbsandwichkomplexen wie z.B. die

Metallocene sind bekannt. In bestimmten Fällen kann selbst der eigentlich stabile 5-gebundene

Cyclopentadienylrest auch als hemilabiler Ligand wirken und so eine freie Koordinationsstelle zur

Verfügung stellen, indem er intermediär in den 3- Koordinationsmodus wechselt. Man spricht dann

von der sog. Ringslippage.

Abbildung 51: Schematische Darstellung der Grenzorbitale der Bindung in Alkenkomplexen, sowie Resonanzstrukturen von p-

Komplex und Metallacyclopropan nach dem Dewar-Chatt-Duncanson Modell

Bezüglich des Bindungsmodells sollen uns hier aber vor allem 2-gebundene Alkene und Alkine

interessieren. Auch hier ergeben sich bemerkenswerte Analogien zu den Bindungsverhältnissen in

der Metall-CO-Bindung. Die -Hinbindung in Alkenkomplexen geschieht durch Donation des HOMOs

des Alkens in ein freies d-Orbital geeigneter Symmetrie. Die Rückbindung geschieht von einem

besetzten d-Orbital in das p*-Orbital des Alkens. Für Alkine gilt eine analoge Bindungssituation.

Mit stärker werdender Rückbindung nimmt nach dem Dewar-Chatt-Duncanson Modell der

Metallacyclopropancharakter des Komplexes zu Ungunsten des -Komplexcharakters zu. Folglich

beobachtet man bei weniger zur Rückbindung befähigten elektronenarmen

Übergangsmetallkomplexen eine geringe Abweichung von der planaren Alkenstruktur (sp2-

Hybdridisierung bleibt erhalten), während die zunehmende Population des antibindenden LUMOs des

Alkens bei elektronenreichen Fragmenten mit starker Rückbindung die Bindungsordnung der C-C-

Bindung verringert (sp3-Hybridisierung, Abwinkelung der Substituenten des Alkens).

Bei der Olefinpolymerisation nach Ziegler und Natta geht man davon aus, dass das Alken in einem

ersten Schritt an den Übergangsmetallkatalysator koordiniert, um anschließend in die M-C-Bindung

der wachsenden Polymerkette zu insertieren (siehe 4.4).

4.4 Elementarreaktionen

In der homogenen Komplexkatalyse gibt es bestimmte Elementarreaktionen, die immer wieder in

katalytischen Cyclen auftauchen (Abbildung 52). Eine grundlegende Beherrschung dieser simplen

Reaktionsschritte erlaubt die rasche Entwicklung spekulativer, katalytischer Zyklen, die dann

experimentell oder theoretisch untermauert werden können.

Abbildung 52: Einige Elementarschritte der homogenen Komplexkatalyse: 1) Komplexierung und Dekomplexierung von

Liganden oder Substraten; 2) agostische Wechselwirkung mit E-H (oder auch E-E) Bindungen; 3) oxidative Addition und

reduktive Eliminierung; 4) Insertion von Carbenen und Alkenen (oder auch CO) in M-H (oder auch M-E) Bindungen.

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Die wichtigste Voraussetzung für eine katalytische Aktivität ist das Vorliegen einer freien

Koordinationsstelle am Übergangsmetall. Diese kann entweder als solche bereits vorhanden sein,

d.h. es liegt ein intrinsischer Elektronenmangelkomplex vor, oder durch Dekomplexierung des

Substrats oder eines labilen Liganden in situ erzeugt werden. In den meisten Fällen ist letzteres der

Fall; insbesondere in katalytischen Zyklen treten intermediär fast immer koordinativ gesättigte

Komplexe auf.

Die freie Koordinationsstelle wird oft zunächst von einer -Bindung des Substrats koordiniert; dies

kann eine E-H-, E-E oder E-X-Bindung sein, wobei E allgemein ein Hauptgruppenelement ab der

ersten Langperiode bezeichnet und X ein Halogen oder andere Abgangsgruppe darstellt (Abbildung

52). Diese Bindungssituation kann wahlweise als agostische Wechselwirkung, -Koordination oder

2e3c-Bindung bezeichnet werden.

Konzeptionell besteht kein wesentlicher Unterschied, nur bezüglich der Verwendung gibt es

bestimmte Präferenzen: während die ersten beiden Bezeichnungen in der Übergangsmetallchemie

gebräuchlicher sind, kennen Sie die letztere im Zusammenhang mit den

Elektronenmangelverbindungen der HG-Elemente wie den Boran oder Carboran-Clustern. Die

agostische Wechselwirkung ist weiterhin eng verwandt mit der Koordination eines Alkens in der Form

eines -Komplexes, die Ausbildung eines Metallacyclopropans nach dem Dewar-Chatt-Duncanson

Modell entspräche demgemäß der folgenden oxidativen Addition.

Der Übergang zwischen agostischer Wechselwirkung und oxidativer Addition kann entweder als

Kontinuum (Resonanzstrukturen) oder als Abschreiten eines Reaktionspfades mit diskreten

Intermediaten aufgefasst werden. Welche dieser beiden Situationen im Einzelfall vorliegt, hängt vom

jeweiligen System ab und kann a priori nicht entschieden werden. Die Umkehrung der oxidativen

Addition wird als reduktive Eliminierung bezeichnet.

Die in Abbildung 52 unter Punkt 4) dargestellten Insertionen von externen Substraten (Carben, Alken

oder Kohlenmonoxid) können mit Vorteil auch als substratzentrierte Reaktionen betrachtet werden.

Eine solche Betrachtungsweise legt nahe, dass es sich hier strenggenommen nicht um eine neue

Klasse von Elementarschritten handelt, sondern stattdessen eine Addition der M-H- oder M-C-

Bindung an das jeweilige Substrat erfolgt. Insbesondere bei Alkenen ist dies sinnvoll: man erkennt,

dass im Grunde eine Hydrometallierung bzw. Carbometallierung der C-C-Doppelbindung vorliegt.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass sämtliche Elementarschritte der homogenen

Komplexkatalyse ihre Entsprechung in Reaktionen aus der metallorganischen Chemie der

Hauptgruppenelemente finden. Eine umfassende Beherrschung des in dieser Vorlesung und dem

dazugehörigen Gelernten ist also nicht nur von akademischem Interesse, sondern erleichtert auch für

diejenigen von Ihnen, die mit der Hauptgruppenchemie in Zukunft nur noch peripher in Kontakt

kommen werden, das Verständnis von Vorgängen weit über den eigentlichen Themenblock hinaus.

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