Molekülketten als kleinste mechanische Resonatoren

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TREFFPUNKT FORSCHUNG 162 Phys. Unserer Zeit 4/2014 (45) www.phiuz.de © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim NANOPHYSIK | Molekülketten als kleinste mechanische Resonatoren Nanomechanische Resonatoren sind winzige vibrierende Balken, die bei sehr hohen Frequenzen schwingen. Ihre Schwingungsfrequenz hängt empfindlich von ihrer Masse und Steifigkeit ab, was eine Detektion von winzigen Objekten, wie Molekülen oder Viren, durch eine genaue Fre- quenzmessung ermöglicht. Unserer Gruppe ist die Herstellung und Charakterisierung der kleinsten nanomechanischen Resonatoren gelun- gen, die aus nur vier einzelnen Molekülen bestehen. Dadurch eignen sie sich besonders als Sensoren mit Einzelmolekül-Empfindlichkeit. Resonatoren sind schwingungsfähige Systeme, die in einem schmalen Fre- quenzbereich (Eigenfrequenz) be- sonders stark schwingen können, bei anderen Frequenzen jedoch nicht. Beispiele aus dem Alltag kennt man in Pendeluhren oder Gitarrensaiten. Resonatoren bilden das frequenz- selektive Herzstück von Oszillatoren und haben große technische Bedeu- tung, beispielsweise als Taktgeber in Computern, Mobiltelefonen und GPS- Geräten, aber auch als massenemp- findliche Sensoren für Mikrowaagen, Schichtdickenmesser oder „elektroni- sche Nasen.“ Je kleiner die schwin- gende Masse ist, desto empfindlicher reagiert ein mechanischer Resonator auf geringste Störungen, etwa durch äußere Krafteinwirkung oder Massen- änderung. Unserer Forschungsgruppe an der Johannes Kepler Universität Linz gelang kürzlich die Herstellung und Vermessung der bislang kleins- ten mechanischen Resonatoren [1, 2]. Sie bestehen aus nur vier einzelnen Molekülen (Abbildung 1). Mit einer Breite von 1 nm und einer Länge von 2 nm sind sie um eine Größenordnung kleiner als die kleinsten bisher bekannten, frei- stehenden mechanischen Resona- toren. Unsere Nanoresonatoren entste- hen durch Aneinanderreihung weni- ger paramagnetischer Moleküle (BDPA, C 33 H 21 , stabiles p-Radikal) auf einer Goldoberfläche, ähnlich den Perlen in einer Kette [3, 4]. Die Herstellung solcher Molekülketten erfolgt unter Ultrahochvakuum- Bedingungen (Druck =10 –10 mbar) durch thermisches Verdampfen der Moleküle auf die Oberfläche eines Einkristalls aus Gold und anschlie- ßendes Abkühlen auf 5 K (–268 °C). Mit einem Rastertunnelmikroskop (Scanning Tunneling Microscope, STM) werden die Molekülketten sichtbar gemacht (Abbildung 1a). Überraschenderweise genügt eine Erwärmung um 20 K, um die Molekülketten in periodische Schwin- gungen zu versetzen (Abbildung 1b). Meist ist ein Kettenende durch Nach- barmoleküle festgehalten (gepinnt), so dass nur das andere Ende frei schwingen kann. Da die Schwin- gungsperiode um ein Vielfaches kürzer ist, als die Aufnahmezeit eines STM-Bildes, erscheint das frei schwin- gende Kettenende im Bild verbrei- tert. Wie wir zeigen konnten, spielt die Anregung durch Gitterschwin- gungen der obersten Atomlage (Oberflächenphononen) des Gold- Einkristalls eine Schlüsselrolle [1]. Die Messung der Schwingungs- frequenz der Molekülketten gelang uns mithilfe eines eigens für diesen Zweck entwickelten STM-Systems [1] und stellt eine weitere Besonderheit dar (Abbildung 2): Das freie Ketten- ende schwingt abwechselnd unter die STM-Spitze und wieder heraus; dadurch wird der Tunnelstrom perio- disch mit der Schwingungsfrequenz moduliert. Um die hohen Frequen- zen im 100-MHz-Bereich messen zu können, koppeln wir die Hochfre- quenzkomponente des Tunnelstroms aus und messen sie mit einem emp- findlichen Frequenzanalysator. Die Schwingungsfrequenz der Kette aus vier Molekülen liegt mit 127 MHz im Radiofrequenzbereich. Fügt man nur ein einziges BDPA-Molekül (Masse etwa 7 · 10 –25 kg) der Kette hinzu, so sinkt die Schwingungsfrequenz um Abb. 1 Bei einer Temperatur von 5 K lagern sich einzelne Moleküle zu eindimensio- nalen Ketten zusammen a). Das STM-Bild zeigt ein einzelnes BDPA-Molekül (links) und eine Kette aus vier Molekülen (rechts) auf der (111)-Oberfläche eines Gold- Einkristalls. Das obere Ende der Kette ist durch Nachbarmoleküle festgehalten (gepinnt). Nach Erwärmung auf 25 K schwingen die Molekülketten parallel zur Oberfläche b). Das freie (nicht gepinnte) Ende der abgebildeten Vierer- (links) und Siebener-Molekülkette (rechts) erscheint verbreitert. Der Farbbalken zeigt die Höhe über der Ebene an.

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162 Phys. Unserer Zeit 4/2014 (45) www.phiuz.de © 2014 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

N A N O PH YS I K |Molekülketten als kleinste mechanischeResonatoren

Nanomechanische Resonatoren sind winzige vibrierende Balken, die beisehr hohen Frequenzen schwingen. Ihre Schwingungsfrequenz hängtempfindlich von ihrer Masse und Steifigkeit ab, was eine Detektion vonwinzigen Objekten, wie Molekülen oder Viren, durch eine genaue Fre-quenzmessung ermöglicht. Unserer Gruppe ist die Herstellung undCharakterisierung der kleinsten nanomechanischen Resonatoren gelun-gen, die aus nur vier einzelnen Molekülen bestehen. Dadurch eignen siesich besonders als Sensoren mit Einzelmolekül-Empfindlichkeit.

Resonatoren sind schwingungsfähigeSysteme, die in einem schmalen Fre -quenzbereich (Eigenfrequenz) be-sonders stark schwingen können, beianderen Frequenzen jedoch nicht.Beispiele aus dem Alltag kennt manin Pendeluhren oder Gitarrensaiten.Resonatoren bilden das frequenz-selektive Herzstück von Oszillatorenund haben große technische Bedeu-tung, beispielsweise als Taktgeber inComputern, Mobiltelefonen und GPS-Geräten, aber auch als massenemp-findliche Sensoren für Mikrowaagen,Schichtdickenmesser oder „elektroni-sche Nasen.“ Je kleiner die schwin-gende Masse ist, desto empfindlicher

reagiert ein mechanischer Resonatorauf geringste Störungen, etwa durchäußere Krafteinwirkung oder Massen-änderung.

Unserer Forschungsgruppe ander Johannes Kepler Universität Linz gelang kürzlich die Herstellungund Vermessung der bislang kleins -ten mechanischen Resonatoren [1, 2]. Sie bestehen aus nur viereinzelnen Molekülen (Abbildung 1).Mit einer Breite von 1 nm und einerLänge von 2 nm sind sie um eineGrößenordnung kleiner als diekleinsten bisher bekannten, frei -stehenden mechanischen Resona -toren.

Unsere Nanoresonatoren entste-hen durch Aneinanderreihung weni-ger paramagnetischer Moleküle(BDPA, C33H21, stabiles p-Radikal) aufeiner Goldoberfläche, ähnlich denPerlen in einer Kette [3, 4]. DieHerstellung solcher Molekülkettenerfolgt unter Ultrahochvakuum-Bedingungen (Druck =10–10 mbar)durch thermisches Verdampfen derMoleküle auf die Oberfläche einesEinkristalls aus Gold und anschlie-ßendes Abkühlen auf 5 K (–268 °C).Mit einem Rastertunnelmikroskop(Scanning Tunneling Microscope,STM) werden die Molekülkettensichtbar gemacht (Abbildung 1a).

Überraschenderweise genügteine Erwärmung um 20 K, um dieMolekülketten in periodische Schwin-gungen zu versetzen (Abbildung 1b).Meist ist ein Kettenende durch Nach -barmoleküle festgehalten (gepinnt),so dass nur das andere Ende freischwingen kann. Da die Schwin-gungsperiode um ein Vielfacheskürzer ist, als die Aufnahmezeit einesSTM-Bildes, erscheint das frei schwin-gende Kettenende im Bild verbrei-tert. Wie wir zeigen konnten, spieltdie Anregung durch Gitterschwin-gungen der obersten Atomlage(Oberflächenphononen) des Gold-Einkristalls eine Schlüsselrolle [1].

Die Messung der Schwingungs -frequenz der Molekülketten gelanguns mithilfe eines eigens für diesenZweck entwickelten STM-Systems [1]und stellt eine weitere Besonderheitdar (Abbildung 2): Das freie Ketten -ende schwingt abwechselnd unterdie STM-Spitze und wieder heraus;dadurch wird der Tunnelstrom perio -disch mit der Schwingungsfrequenzmoduliert. Um die hohen Frequen-zen im 100-MHz-Bereich messen zukönnen, koppeln wir die Hochfre-quenzkomponente des Tunnelstromsaus und messen sie mit einem emp-findlichen Frequenzanalysator. DieSchwingungsfrequenz der Kette ausvier Molekülen liegt mit 127 MHz imRadiofrequenzbereich. Fügt man nurein einziges BDPA-Molekül (Masseetwa 7 · 10–25 kg) der Kette hinzu, sosinkt die Schwingungsfrequenz um

Abb. 1 Bei einer Temperatur von 5 K lagern sich einzelne Moleküle zu eindimensio-nalen Ketten zusammen a). Das STM-Bild zeigt ein einzelnes BDPA-Molekül (links)und eine Kette aus vier Molekülen (rechts) auf der (111)-Oberfläche eines Gold-Einkristalls. Das obere Ende der Kette ist durch Nachbarmoleküle festgehalten(gepinnt). Nach Erwärmung auf 25 K schwingen die Molekülketten parallel zurOberfläche b). Das freie (nicht gepinnte) Ende der abgebildeten Vierer- (links) undSiebener-Molekülkette (rechts) erscheint verbreitert. Der Farbbalken zeigt die Höheüber der Ebene an.

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[3] S. Müllegger et al., J. Chem. Phys. C 2012,116, 22587.

[4] S. Müllegger et al., J. Chem. Phys. C 2013,117, 5718.

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beachtliche 29 MHz ab. Eine Fünfer-kette schwingt also nurmehr mit98 MHz. Dies verdeutlicht die enor-me Massenempfindlichkeit derMolekülketten-Resonatoren.

Mit steigender Kettenlänge sinktdie Frequenz weiter ab und folgtdabei einem Verlauf gemäß L–b mitb = 1,3 (Abbildung 3). Dieses Verhal-ten liegt zwischen dem eines klassi-schen Balkenresonators (b = 2) unddem eines Systems diskreter gekop-pelter Schwinger (b = 1). Die überra-schend geringe Steifigkeit der Mole-külketten ist bisher noch nicht voll -ständig verstanden und bildet einzukünftiges Forschungsthema unse-rer Gruppe. Gleichzeitig wollen wirneue Anwendungsfelder für unsereMolekülketten-Resonatoren erschlie-ßen, um einzelne Atome und Molekü-le und die von ihnen verursachtenfundamentalen Kräfte messen zukönnen.

Literatur[1] S. Müllegger et al., Phys. Rev. Lett. 2014,

112, 117201. [2] S. W. Hla, Physics 2014, 7, 26.

KO M M U N I K AT I O N S T EC H N I K |100 Millionen Telefongespräche über einen Frequenzkamm

Optische Frequenzkämme ermöglichen die Übertragung von Daten mithoher Geschwindigkeit und gleichzeitig effizienter Nutzung des verfüg-baren Spektrums. Für die praktische Anwendung müssen allerdingsnoch einige technische Hürden überwunden werden. Unserer deutsch-schweizerischen Forschungsgruppe ist es gelungen, erste kohärenteDatenübertragungsexperimente mit sogenannten Kerr-Frequenzkäm-men zu demonstrieren. Die hierbei erzielte Übertragungsgeschwindig-keit von bis zu 1,44 Tbit/s entspricht – gängige Verfahren zur Sprach-kompression vorausgesetzt – dem Datenaufkommen von mehr als 100 Millionen Telefongesprächen [1].

Die Menge der weltweit erzeugtenDaten wächst stetig und führt insbe-sondere in großen Internetknotenund Rechenzentren zu Kommunika-tionsengpässen. Optische Übertra-gungsverfahren gelten in diesemZusammenhang als der vielverspre-

chendste Ansatz, große Mengen vonDaten schnell und energieeffizient zutransportieren. Dabei kommen soge -nannte Wellenlängen-Multiplexverfah-ren (Wavelength-Division Multiple-xing, WDM) zum Einsatz, bei denenDaten auf optische Träger unter-

schiedlicher Wellenlängen aufmodu-liert und durch eine einzelne Glas -faser übertragen werden.

Als optische Quellen eignen sichhierfür Frequenzkämme. Sie beste-hen aus einer Vielzahl diskreter undexakt äquidistanter Spektrallinien. Im

Stefan Müllegger, Reinhold Koch;Uni Linz

A B B . 2 F R EQ U E N Z M E S S U N G

Ein kommerzielles STM-System wurde so erweitert, dass derHochfrequenzanteil des Tunnelstroms ausgekoppelt werdenkann. Dies geschieht mithilfe spezieller Frequenzweichen(Bias-T) und Hochpassfilter (HP). Ein Frequenzanalysator (A)misst das Hochfrequenzsignal. Der herkömmliche Regelkreisdes STM besteht aus einem I/V-Konverter und -Verstärker, derSignalverarbeitungseinheit (DSP) und einem Tiefpassfilter(LP). Der Gleichstromanteil Idc des Tunnelstroms dient dazu,den Tunnelabstand z zwischen Spitze und Probe konstant zuhalten.

A B B . 3 L Ä N G E N A B H Ä N G I G K E I T

Längenabhängigkeit der Schwingungs-frequenz für Molekülketten aus vier bissieben Molekülen.

Abb. 1 ElektronenmikroskopischeAufnahme eines Siliziumnitrid-Mikro -resonators hoher Güte.