Motive der Literatur Die Rezeption des Robinsonmotivs ... · Dieter Petzold: "Robinson Crusoe" als...

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Robinsonade Lehren und Lernen online Motive der Literatur Die Rezeption des Robinsonmotivs durch Rousseau und von Campe Verschiedene Materialien und Arbeitsblätter Gert Egle © Konstanz 2003 – Version 1.0– www.teachsam.de Bestellen Sie über die Webseite von teachSam. www.teachSam.de - Lehren und Lernen online © teachSam – Alle Rechte vorbehalten 1

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Robinsonade

Lehren und Lernen online

Motive der Literatur Die Rezeption des Robinsonmotivs durch Rousseau und von Campe

Verschiedene Materialien und Arbeitsblätter

Gert Egle

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Robinsonade

Inhaltsverzeichnis

Reif für die Insel? 3

Die Ambivalenz des Inselbegriffs 4

Titelbildgestaltungen: Daniel Defoe, Robinson Crusoe 5

Rehm/Kohlschmidt 1977: Robinsonade 6

Elisabeth Frenzel: Die Geschichte des Robinsonmotivs 9

Fragen und Antworten zu Elisabeth Frenzel: Die Geschichte des Robinsonmotivs 11

Gattungsmerkmale der Robinsonade 12

Dieter Petzold: "Robinson Crusoe" als Kinderbuch 13

Die Robinsonade im Dienste einer pädagogischen Idee. Die Jugendrobinsonade Joachim Heinrich von Campes (1779) 15

Die Funktion der Robinsonade bei Rousseau und von Campe 16

Textauswahl 17

Robinsons Bilanz nach vier Jahren Inselaufenthalt (aus: Daniel Defoe, Robinson Crusoe) 18

Folie: Robinsons Bilanz nach vier Jahren Inselaufenthalt (aus: Daniel Defoe, Robinson Crusoe) 21

Robinsons Bilanz nach seiner Rettung aus Seenot (aus: Daniel Defoe, Robinson Crusoe) 22

Jean Jaques Roussea: Die beste Abhandlung über die natürliche Erziehung 25

Joachim Heinrich von Campe: Das ideale Kinderbuch 28

Krusoe heuert an (aus: Joachim Heinrich von Campe, Robinson der Jüngere, 1779) 30

Seenot auf der Reise nach London (aus: Joachim Heinrich von Campe, Robinson der Jüngere, 1779) 32

Robinsons Umgang mit der Natur (aus: Joachim Heinrich von Campe, Robinson der Jüngere, 1779) 34

Aspekte der Inhaltswiedergabe und Textgliederung 36

Parteien-/Gruppenbildung in der "Diskussion" der Kinder 37

Die Beziehung des Hausvaters zu den Kindern 38

Otto Zimmermann: Wider den pädadogischen Robinson1906 39

Literarische Erörterung 40

Zitate 41

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Robinsonade

Reif für die Insel?

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Robinsonade

Die Ambivalenz des Inselbegriffs

Insel als Asyl (Paradies)

Insel als Exil

Aussteigen aus der Gesellschaft

Aufhebung von Zwängen

Reflexionsrahmen für (Um-)Orientierungen im individuellen, sozialen, gesellschaftlichen und politischen Bereich

Rückkehr zu einer natürlicheren Lebensform (Naturzustand vs. Kulturzustand, Natur vs. Zivilisation)

Abenteuer

Eskapismus oder Utopie ?

Isolation Ausgeliefertsein, Leere keine Kommunikations-

möglichkeiten psychische

Verkümmerung

Gefängnis und psycho-soziale Deformation?

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Robinsonade

Titelbildgestaltungen Daniel Defoe, Robinson Crusoe

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Robinsonade

Robinsonade Rehm/Kohlschmidt 1977

§ 1. Als einziger der eingebürgerten Gattungsbegriffe ist der der R. von einem Eigennamen abgeleitet, Das sollte zur Vorsicht mahnen gegenüber der Versuchung, den Terminus spekulativ theoretisch vorzubelasten. Wenn irgendwo, dann ist hier empirisch zu verfahren. Defoes "Robinson Crusoe" (1718) ist der Ausgangspunkt der Bezeichnung. Das Werk enthält bereits in sich die wesentliche Problematik der Bezeichnung "Robinsonade": die Überkreuzung mit anderen Gattungen des Romans wie die Modellform für spätere R.n. Defoes Werk ist, grob gesehen, die Geschichte vom verlorenen Sohn in Abenteuerform. Der Schauplatz, eine Insel im Südmeer, vertritt dabei das Elend (ellende) des verlorenen Sohnes bei den Säuen. Doch ist bei Defoe das "Elend" voller Chancen und Reize der Abenteuerlichkeit. Damit fällt auch das Schwergewicht der Erzählung auf das Insel-Dasein und auf die Spannung, die im Motiv, es zu meistern, liegt. Dennoch bleibt das Motiv des verlorenen Sohns weltanschauliches Fundament. So ist zuerst Defoes "Robinson" ein Bekehrungsroman im Geiste der

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Dissentertums1 und des dt. Pietismus2. Er ist zweitens Abenteuer- und Reiseroman und mit dessen Spannungsmomenten durchsetzt. Er ist drittens Utopie und doch mehr als diese; nicht weil er eine Anti-Welt gegen die "böse" Welt im staatsrechtlichen Sinne aufbaut wie die eigenständige Gattung der Utopie, sondern weil er die Utopie des Von-vorne-Anfangens außerhalb der Kulturwelt durchexerziert. Hier ist dies noch vorrousseauisch. Nach Rousseau wird dieses Element sich verstärken, in Analogie zu dessen Erziehungsromanen. Aber auch bei Defoe ist die pädagogische Seite (Erziehung durch Vernunft und Natur) schon vorhanden. Aus alledem resultiert die Schwierigkeit, die R. sauber abzugrenzen gegen die eben genannten Romantypen (Abenteuer- und Reiseroman, Bekehrungs- und Erziehungsroman, utop. Roman). Die R. enthält schon bei Defoe Elemente aller dieser Gattungen. […] Die R. ist also eine Mischgattung, mit besonderer Affinität freilich für bestimmte Epochen wie Aufklärung und "Biedermeier". Das erklärt sich aus der oben genannten "Chance", die die R. dem Autor wie dem Leser bietet: die Chance des Neubeginns und Von-vorn-Anfangens unter dem Zeichen von Vernunft und Natur, deren epische Ausgestaltung einen ganz eigenen phantastischen Reiz bietet. Dieser gehört sozusagen auch zur Geschichte des Kulturpessimismus und eröffnet damit, wie die Praxis es belegt, weite kulturhistorische Perspektiven. Unter den Romangattungen ist daher die R. eine der gemischtesten Formen, die übrigens auch soziologisch zu den interessantesten gehört, unter anderm wegen ihres dezidiert bürgerlichen Charakters, der sich, wie man festgestellt hat, mit der Zeit noch immer intensiviert. § 2. Das Robinsonmotiv gehört, schon vor Defoe, der Weltliteratur an und findet sich zunächst in morgenländischen Erzählungen; in Ansätzen geht es bis zum hellenistischen Reiseroman zurück. […] Als erster verleiht Grimmelshausen in der "Continuatio des Simplicissimus" (1668) dem Motiv eine religiös-ethische Bedeutung. Reine R. ist die Episode nicht (über die Quellen vgl. M. Günther GRM. 10,1922,S.36 ff.); denn Simplicius, in seiner Erkenntnis, dass "aller Wahn treugt", bleibt freiwillig auf der Insel zurück, der Welt als Mensch des Barock in christlich-asketischem Sinne entsagend, da er inneren Frieden gefunden hat. Ihm ist die Insel nicht Exil, wie allen andern, besonders dem Robinson Defoes, sondern, mit starker Betonung des idyllischen Moments, wahrhaftes Asyl vor der sozialfeindlichen Kultur der

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Welt und ihrer Kabale und zugleich - das unterscheidet ihn von den späteren - Asyl vor den Versuchungen, die diese Welt ihm bietet, wie er es selbst ausspricht (ed. Borcherdt II, 269).

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§ 3. Daniel Defoe schafft das eigentliche Werk, das der Gattung den Namen gibt und zugleich ihr reinster und eindeutigster Ausdruck durch seinen exil- und inselhaften Charakter ist. 1719 erschien, zunächst ohne Namen, "The life and strange surprizing adventures of Robinson Crusoe", sich stützend auf wirkliche Erlebnisse des Matrosen Alexander Selkirk (vgl. H. Ullrich „Der Robinsonmythus“, ZfBüchfr. 8,1904, 8.1 ff.), ein realistischer, psychologischer Roman mit bewusster, aber nicht aufdringlich lehrhafter Art. Im Leben Robinsons auf der Insel spiegelt sich, in kleinem Ausschnitt der Kulturgang der Menschheit bis zur Staatenbildung: keine Utopie im politischen Sinne, sondern, echt englisch, eine Kolonie, die Verwirklichung zunächst einer wirtschaftlichen, dann eines ethisch-kulturellen Ideals, das Genügsamkeit predigen soll. Das bloß Abenteuerliche wird hier über das rein Didaktisch-Moralische hinaus in anderer Richtung als beim "Simplicissimus" zum ersten Mal einem großen philosophischen Kulturgedanken unterstellt. Trotz allem, auch Robinson strebt fort von der Insel, die ihm zutiefst doch Exil ist, nicht Asyl. Der unglaubliche Erfolg Defoes erklärt sich daraus, dass der Roman der praktisch-utilitaristischen wie der religiös-pietistischen Strömung der Zeit entgegenkam; in alle Sprachen wurde „Robinson Cursor“ übertragen, in allen Sprachen, Ländern, Provinzen nachgeahmt und bearbeitet. […] Neben den sich häufenden Übersetzungen geht auch in Deutschland eine Reihe von R.n. her, die von sehr unterschiedlichem literarischen Wert - mit Defoe kann sich keine messen - schließlich in den großen Strom des Abenteuerromans mündet. Allen ist gemein, mehr oder minder stark ausgeprägt, der inselhafte Charakter des Aufenthalts, der stets als Exil empfunden wird - keine Weltflucht, keine Idylle; das gesellschaftliche Motiv taucht auf, nicht einer, sondern mehrere werden verschlagen. […] § 4. Es ist Joh. Gottfr. Schnabels "Insel Felsenburg", deren 1. Band 1731 anonym wie alle vorhergehenden R.n zu Nordhausen erschien unter dem Titel "Wunderliche Fata einiger Seefahrer …" (Neudr. hg. v. H. Ullrich, 1902), gleich wichtig als erster bedeutender Roman des 18. Jh.s mit psychologischem Einschlag wie als Ausdruck der seelischen Struktur seiner Zeit. […] Vertiefte Seelenschau geht zusammen mit einer veränderten ethischen Einstellung zur Welt und den Mitmenschen, mit einer neuen humanen Gesinnung, einem neuen sozialen Bewusstsein, das Schnabel als erster ahnt und darstellt. Entscheidend ist, dass wie Simplicius nun auch der Altvater Albertus Julius und die Seinigen ihre Insel nicht als Exil, sondern als Asyl auffassen vor einer unsozialen, rücksichtslosen Welt mit ihrem "politischen" Menschen, wie ihn das Zeitalter Ludwig XIV. geschaffen hatte, als "Ruheplatz redlicher Leute". Scharf stehen sich zwei Zeitalter gegenüber, das der individuellen Willkür, der Kabale, und das der sozialen Gebundenheit, der Humanität; auf diesem weltanschaulichen Gegensatz baut sich der Roman auf, der durch seinen asylhaften Charakter den eigentlichen R.n nur bedingt zugehört, vielmehr in seinem Hauptteil der kulturellen, patriarchalischen Utopie sich nähert, die ein gesellschaftlich-ethisches Ideal verwirklichen will. So weicht Schnabel von Defoe ab, dem er nur im Allgemeinsten verpflichtet ist, mit dem er aber den erziehlich-praktischen Zug teilt. […] § 6. Nach 1750 beginnt ein merklicher Umschwung; das philosophische, philanthropische Jahrhundert lässt sich diese literarische Gattung nicht entgehen; sie nutzt diese als Mittel für ihre aufklärerischen Absichten, um so mehr als Defoe selbst in der matten Fortsetzung seines Romans das erziehliche Moment immer stärker betont und Rousseau vor allem

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Robinsonade

im "Emile" auf den unvergleichlichen Erziehungswert dieses Buches hingewiesen hatte. Die R. wird nun zum ausgesprochen pädagogischen Lehrmittel und allmählich zum wichtigen Bestandteil der Jugendliteratur (5. d.). Verschiedentlich bearbeitete man "Robinson Cursor" in dieser Hinsicht, so J. C. Wezel (1779), aber alle übertraf Joachim Heinrich Campe mit seinem "Robinson der Jüngere, zur angenehmen und nützlichen Unterhaltung für Kinde" (1779-80) an durchschlagendem Erfolg (120 Auflagen, in 25 Sprachen übersetzt), der dem inneren Gehalt dieser moralisch-pädagogischen, praktisch-nüchternen Erzählung bei weitem nicht entsprach. Der krasse Nützlichkeitsstandpunkt des 18. Jh.s. nur konnte zu dieser langweiligen Umbildung des dadurch ganz beiseite geschobenen Originals führen; ausdrücklich richtet sich Campe gegen die "Seelenseuche" der Zeit, gegen das "leidige Empfindsamkeitsfieber". […]

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§ 7. In Deutschland kam man zunächst mehr zu einer eigenen neuen Gestaltung des Robinsonmotivs; man überließ dies dem Ausland und gab selbst nur Bearbeitungen und Nachahmungen. In England gelang dem Kapitän Fr. Marryat mit seinem "Masterman Ready" (1841) ein glücklicher Wurf; unter dem Titel "Sigismund Rüstig" kam die beliebte Erzählung seit 1843 in die deutsche Jugendliteratur. In dieser literar. Schicht blieb die R. fortan, sie konnte das pädagogische Gewand nicht mehr abstreifen und fand den Weg, den sie gekommen, nicht mehr zurück. Einzig Jules Verne, der große franz. Neuschöpfer des Reiseromans, führte in drei seiner Romane ("L’ile mystéreux" 1874, "L'école des Robinsons" 1882, "Deux ans de recance" 1888) das Robinsonmotiv wieder zurück in den alten Abenteuerroman, dem es entstammt. Erst die unmittelbare Gegenwart greift das Robinsonmotiv unter dem Einfluss der neuen politisch-staatlichen und sozialen Umwälzungen und Unmöglichkeiten wieder auf, verleiht seiner künstlerischen Gestaltung den mehr oder weniger deutlichen kulturkritischen und tendenzhaften Charakter und nähert sich so mitunter stark der Gattung des utopischen Staatsromans: so etwa N. Jacques Robinsonade "Piraths Insel" (1917), A. Petzolds "Alter Abenteuerroman" "Sevarinde" (1923), E. Reinachers "Robinson" (1919) und überlegen Gerhart Hauptmann: "Insel der großen Mutter" (1924), eine geistreich durchgeführte satirische Parodie auf die R. wie auf die moderne Frauenbewegung. […] (Walther Rehm u. Werner Kohlschmidt: in: Reallexikon der Deutschen Literaturgeschichte, hrsgg. v. Werner Kohlschmidt und Wolfgang Nohr, 3. Bd., 2. Aufl., 1977, S.475ff.)

WORTERKLÄRUNGEN:

1Dissentertum: Dissenter ist eine nicht der anglikanischen Staatskirche in Englang angehörige Person anderen protestantischen bzw. römisch-katholischen Glaubens 2Pietismus: protestantische Bewegung des 17. und 18. Jahrhunderts, die sich durch vertiefte Frömmigkeit und tätige Nächstenliebe auszeichnet und dadurch die Orthodoxie überwinden will

Arbeitsanregung

Fassen Sie die Aussagen in Form eines übersichtlichen Exzerptes zusammen.

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Robinsonade

Die Geschichte des Robinsonmotivs Elisabeth Frenzel

Robinson. Die Geschichte Robinson Crusoes, ein nach Kapitän Rogers’ Bericht über den fünfjährigen Aufenthalt des schottischen Matrosen Selkirk auf einer Insel des Juan-Fernandez-Archipels von Daniel DEFOE

frei ausgesponnener Roman (The Life and Strange Surprising Adventures of Robinson Crusoe of York, Mariner 1719), ist die berühmteste Formung eines alten Themas, das allerdings erst in ausgesprochenen Zivilisationsepochen bewegend werden konnte: die freiwillige oder erzwungene Rückversetzung des zivilisierten Menschen in einen Naturzustand durch Weltflucht, Einsiedelei, Schiffbruch, Aussetzung. Die zu Beginn des aufgeklärten Jahrhunderts erschienene Geschichte eines Menschen, der nüchtern und überlegen Schritt für Schritt über die Wildnis siegt und sich ein geregeltes, sinnvolles Leben schafft, auch die Freundschaft eines Wilden, Freitag, und diesen der europäischen Kultur und Humanität gewinnt, kam den rationalistischen wie sentimental Rousseauischen Strömungen der Zeit entgegen, wurde von Rousseau selbst als »Grundbuch aller Erziehung« angesehen und fand durch Umarbeitung des Pädagogen J. H. CAMPE in ein Gespräch zwischen Erziehern und Kindern (Robinson der Jüngere,1779) Eingang in die Jugendliteratur, zu deren Grundbestand es, von der dozierenden Form Campes allerdings wieder befreit, noch heute gehört.

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Verbreitung und Wirkung des Robinson-Stoffes geschah jedoch nicht in Form einer Stoffentwicklung, sondern wie bei manchem anderen, vom Zeitgeschmack besonders bestimmten Erfolgsbuch ( Don Quijote, Werther) in Form der Nachahmung, durch die so genannten Robinsonaden (vor allem: J. G. SCHNABEL, Die Insel Felsenburg 1731-43; J. R. WYSS, Der schweizerische Robinson, 1812-13). Die Robinsonade ist nicht eine Neuinterpretation des Robinson-Stoffes, entzündet sich nicht an der spezifischen Robinson-Fabel, am Plot, sondern ist Wiederholung einer gleichen Grundsituation - Inseldasein eines Schiffbrüchigen - an ganz anderen Personen; noch in G. HAUPTMANNS Insel der großen Mutter (1924) klingt das Robinson-Motiv nach. Überträgt man den Begriff auf Werke ähnlicher Thematik früherer Zeit, so kann man sogar von »vordefoeschen« Robinsonaden sprechen (z. B. GRIMMELSHAUSEN, Continuatio des abenteuerlichen Simplicissimi 1669). Eine Geschichte der Robinsonaden ist Gattungs- oder auch Motiv-, aber nicht Stoffgeschichte. Defoe selbst gab mit seinen Fortsetzungen des Romans, The Farther Adventures of Robinson Crusoe (1719), die den erneuten Besuch Robinsons und Freitags auf der Insel, den Kampf mit Eingeborenen und Freitags Tod erzählen, und The Serious Reflections… of Robinson Crusoe (1720) mit seiner Vision der Welt der Engel, Ansätze zu einer Stoffgeschichte. Das Theater hat, abgesehen davon, » dass es, wie der Roman, die Robinson-Situation auf andere Personen übertrug (K. v. HOLTEI Staberl als Robinson 1845; L. FELDMANN / BERTRAM Der neue Robinson oder das goldene Deutschland 1852; L. FULDA, Robinsons Eiland 1895), die farbige, aber ausgesprochen epische Handlung für Ballette, Pantomimen, Maskenzüge und Opern verwandt (L.A. PICCINI, Melodram; H. SCHMIDT / M. HOGUET, Pantomimisches Ballett 1837; F. FORTISCUE, Operatic Drama 1822; M. M. CORMON / H. CREMIEUX / J. OFFENBACH 1867). Dramatiker haben das Thema mehrfach umspielt, so etwa A. G. OEHLENSCHLÄGER in Robinson i England (1819), einem Lustspiel, das die Auseinandersetzung des heimgekehrten Selkirk mit Defoe wegen dessen vermeintlicher Unterschlagung des Tagebuches

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Robinsonade

behandelt, F. FORSTER (Robinson soll nicht sterben, 1932), der eine Revolte der Jugend gegen den Tod ihres unsterblichen Helden in Szene setzte, und S.SUPERVIELLE (1949), in dessen Märchen der junge Robinson aus Verzweiflung über die vermeintliche Untreue eines Mädchens die Heimat verlässt und bei der Rückkehr deren Tochter gewinnt. Zu den Weiter- und Umdichtungen der ursprünglichen Handlung gehört auch die Dichtung des SAINT-JOHN PERSES, Images à Crusoe (1909), die einen in , die Großstadt zurückgekehrten. in einer Dachstube hausenden Robinson vorführt, der viel verlassener ist als auf seiner Insel; dort war er mit Gott allein, hier gibt es keinen Gott mehr. H. v. HOFMANNSTHAL ließ seinen Filmentwurf Defoe in der Begegnung Defoes mit Robinson, in dem er sich selbst wieder zu erkennen glaubt, und in der Niederschrift von Robinsons Erzählungen ausklingen (postum 1935). Der Franzose M. TOURNIER (Vendredi, on Limbes du Pacifique, R.,1967) wiederholte das Robinson-Abenteuer an einem hundert Jahre später stattfindenden Schiffbruch und an einem wesentlich modernen Menschen, einem Typ des Massenzeitalters, der sich erstaunlich gut anpasst, sich schnell wandelt und der Schwierigkeiten sowohl denkerisch als auch organisatorisch Herr wird. […]

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(aus: Elisabeth Frenzel, Stoffe der Weltliteratur, Stuttgart: Alfred Kröner-Verlag 1976, 4. Aufl., S.637ff.)

Arbeitsanregungen:

1. Auf welche Quelle geht das Robinson-Motiv zurück?

2. Was ist das Thema der Robinsonaden?

3. Was versteht man unter Robinsonaden?

4. Erläutern Sie E. Frenzels These: „Eine Geschichte der Robinsonaden ist Gattungs- oder auch Motiv-, aber nicht Stoffgeschichte.“

5. Welchen Sinn geben Rousseau (1712-1778) und von Campe (1748-1818) der Robinsonade?

6. Wie gestalten Saint-John Perses (1909) und M. Tournier das Robinsonmotiv?

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Robinsonade

Elisabeth Frenzel: Die Geschichte des Robinsonmotivs Fragen und Antworten

Die Fragen zu Elisabeth Frenzels Text »Die Geschichte des Robinsonmotivs« lassen sich u. a. wie folgt aus dem Text heraus beantworten:

1. Auf welche Quelle geht das Robinson-Motiv zurück?

Kapitän Rogers Bericht über den 5-jährigen Aufenthalt des Matrosen Selkirk auf einer Insel des Juan-Ferdinand-Archipels

2. Was ist das Thema der Robinsonaden?

Thema: freiwillige oder erzwungene Rückversetzung des zivilisierten Menschen in einen Naturzustand durch Weltflucht, Einsiedelei, Schiffbruch, Verbannung, Aussetzung, Katastrophen... u. ä. m.

3. Was versteht man unter einer Robinsonade?

Nachahmung des Robinsongeschichte durch Beibehaltung der charakteristischen Grundsituation bzw. durch deren leichte Modifizierung (Inseldasein eines Schiffbrüchigen)

4. Erläutern Sie die These Elisabeth Frenzels: " Eine Geschichte der Robinsonaden ist Gattungs- oder auch Motiv-, aber nicht Stoffgeschichte."

Stoffgeschichte hätte zum Inhalt, dass die von Defoe erzählte Fabel im wesentlichen übernommen, weiter- und/oder umerzählt worden wäre, im Sinne einer Entwicklung des Stoffes;

dies ist jedoch bei den meisten Robinsonaden nicht der Fall; Robinsonaden übernehmen also in der Regel nur das zentrale Grundmotiv der Robinsongeschichte und gestalten daraus eine von der ursprünglichen Robinsongeschichte ganz verschiedene Fabel;

als Gattungsgeschichte zu verstehen, wenn man diese Motivgleichheit zur Grundlage der systematischen Erfassung wählte;

5. Welchen Sinn geben Rousseau ((1712-1778) und von Campe (1748-1818) der Robinsonade?

Rousseau sieht in Defoes "Robinson Crusoe" das "Grundbuch der Erziehung" schlechthin

von Campe arbeitet Geschichte um in ein Gespräch zwischen Erziehern und Kindern, dozierender Charakter der Darstellung

6. Wie gestalten Saint-John Perses (1909) und M. Tournier (1967) das Robinsonmotiv?

Peres Robinson ist in die Großstadt zurückgekehrt und lebt in einer Dachstube ein Dasein ohne Gott

Tournier wiederholt Robinsongeschichte an einem hundert Jahre später stattfindenden Beispiel: ein Mensch unserer modernen Zivilisation, der es überraschend schnell versteht, sich an die neue Situation anzupassen und ihre Probleme und Schwierigkeiten geistig und praktisch zu meistern

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Robinsonade

Gattungsmerkmale der Robinsonade

Thema

Stoff Motiv

Freiwillige Rückversetzung oder erzwungene Zurückversetzung d. zivilisierten Menschen in einen Naturzustand durch Welt-

flucht, Einsiedelei, Schiffbruch, Aussetzung …

Robinson-Stoff: Selkirk-Geschichte

Inseldasein eines Schiff-brüchigen als Grundsituati-on

Robinsonaden als Motiv- und Gattungsgeschichte • spezifische Robinsongeschichte wird nicht weitergeführt • lediglich das dahinter stehende Motiv wird weiterentwickelt bzw.

nachgeahmt

Defoe bezieht von Rogers den Stoff (Selkirk), be-arbeitet den Stoff, indem er die stofflich vorgege-bene Situation (Einzeldasein eines Ausgesetzten auf einer Insel) zu einem Motiv: „Inseldasein ei-nes Schiffbrüchigen“ gestaltet.

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Gattungsmerkmale von Robinsonaden

1. Variation der Grundsituation: "Inseldasein eines Schiffbrüchigen" 2. Isolation eines oder mehrerer Menschen verursacht aus

unterschiedlichsten Gründen wie Schiffbruch, Flugzeugabsturz, Atomkatastrophe ....

3. Entwicklung von Überlebensstrategien 4. Prozess der Selbstfindung bzw. Neubestimmung 5. explizite oder implizite Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von

Natur und Zivilisation 6. räumliche Distanz fördert Entwicklung einer neuen Haltung gegenüber

der Welt

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Robinsonade

"Robinson Crusoe" als Kinderbuch Dieter Petzold

Spätestens um die Mitte des 18. Jahrhunderts war die Mode der Robinsonaden abgeebbt, und auch um das Original war es still geworden. Das heißt nicht, dass es nicht mehr gelesen worden wäre: wie in England, so sind auch in Deutschland immer wieder Neuauflagen erschienen (freilich nicht so viele wie dort); aber Robinson war kein Thema mehr für die Gebildeten und literarisch Interessierten, die höchstens auf das Buch herabsahen als "elende(n) Zeitvertreib [...] vor Handwercks-Pursche". Um so überraschender mag für viele europäische Intellektuelle gewesen sein, dass Jean-Jacques Rousseau, geschmähter und umjubelter Avantgardist und enfant terrible des kulturellen Lebens, auf Robinson Crusoe nicht nur wieder aufmerksam machte, sondern das Buch in einem ganz neuen und überaus positiven Lichte sah. Im dritten Buch seines epochemachenden Erziehungsromans Emile ou de l'education (1762) empfiehlt Rousseau als einzige Lektüre seines hypothetischen Zöglings Emile ausgerechnet Robinson Crusoe. [...] Für Rousseau darf Erziehung nicht bedeuten, das Kind möglichst reibungslos in die bestehende Gesellschaft einzugliedern; Erziehung bedeutet vielmehr Förderung und behutsame Formung der natürlichen Anlagen, den jeweiligen kindlichen Fähigkeiten und Interessen gemäß, und eine schrittweise Hinführung in historisches Bewusstsein, moralisches Verhalten und religiöse Überzeugung als Formen gesellschaftlichen Seins. Die Erfahrung der real-gegenständlichen Welt kommt dabei zeitlich vor der moralischen und religiösen Erziehung, und sie geschieht weitgehend im Spiel. In dieser frühen Phase der "Realitätsbewältigung" setzt Rousseau en pädagogischen Wert des Robinson Crusoe an. Robinson ist vor allem deshalb Anreger und Vorbild, weil er, wie das Kind unter idealen Bedingungen, durch praktische Erfahrungen die Natur zu verstehen und sich nutzbar zu machen lernt. Die Isolation Robinsons fasziniert Rousseau in diesem Zusammenhang als Grundlage einer modellhaften Situation: Aus dem Kontext seiner gesellschaftlichen Bindungen gerissen, scheint Robinson "als Mensch an sich" der Natur gegenüberzustehen - einer Natur, die ihm unnachsichtig, aber nicht feindlich gegenübertritt: kurz, als ideale Lehrmeisterin. Mit Rousseau rücken zwei entscheidende Aspekte in den Mittelpunkt der Robinson Crusoe-Rezeption: die Inselepisode wird als das zentrale Robinson-Motiv erkannt, und ihr Wert wird als ein primär pädagogischer begriffen. Das hat weitreichende Folgen, die bis zum heutigen Tage wirksam geblieben sind. Rousseaus Verständnis des Robinson Crusoe ist ein schöpferisches Missverständnis; er ignoriert Defoes Intentionen, indem er das Buch kurzerhand zum Kinderbuch erklärt und alle Elemente, die sich dieser Funktion nicht unterordnen wollen, für "tout son fatras", "allen übrigen Schwulst" ansieht, den man getrost beiseite lassen kann. Damit gibt er das Signal für jene zahllosen Jugendbearbeitungen, die das Robinson-Verständnis des breiten Lesepublikums für die nächsten zweihundert Jahre bestimmen sollten. Gewiss war Robinson Crusoe auch vorher schon bearbeitet und gekürzt worden, zumal in England; aber diese Kürzungen wurden ausnahmslos aus kommerziellen Gründen vorgenommen. Und sicherlich wurde die Geschichte des schiffbrüchigen Insulaners auch vor Rousseau schon von Kindern gelesen. Von den englischen Chapbook-Versionen darf dies auf jeden Fall angenommen werden. Doch erst Rousseau wies Robinson Crusoe eine feste Funktion in einem elaborierten pädagogischen Konzept zu. (...) Pädagogische Absichten sind gewiss auch in diesen frühen Jugendbuch-Bearbeitungen zu erkennen; doch sie äußern sich nur in der Betonung moralischer Maximen (wie z. B. des Gehorsams gegenüber den Eltern in der Newbery-Version) und in der Kürzung oder Abänderung der religiösen Reflexionen. (Obwohl nicht für Kinder bestimmt, enthält ja schon das Original viele didaktische Momente.) Ansonsten setzt man auf den Unterhaltungswert des Abenteuerlichen. In der Tat hätte auch der enorme Einfluss Rousseaus aus Robinson Crusoe wohl kaum ein Kinderbuch machen können, wenn nicht der Stoff selbst für Kinder attraktiv wäre.

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Robinsonade

Worin besteht nun jenes "Beiwerk", von dem Rousseau das Buch gereinigt sehen wollte, bevor es als Erziehungsmittel für seinen Emile taugte? Liebs hat Rousseaus "hypothetische Bearbeitungsmaßnahmen" folgendermaßen zusammengefasst: 1. 2. 3. 4.

Reduktion auf die Inselepisode Unterschlagung sämtlicher vorgegebener Werkzeuge Eliminierung aller religiösen Reflexionen Bagatellisierung der Freitag-Episode

Dies sind in der Tat einschneidende Änderungen, die in Rousseaus theoretischen Überlegungen impliziert sind. Sie erklären sich zunächst einmal aus dem entwicklungspsychologischen Modell, das der Autor des Emile entwickelt hat. Danach ist das Kind im "Robinson-Alter" (der Begriff wird erst eineinhalb Jahrhunderte später von Charlotte Bühler geprägt, die Idee aber ist schon bei Rousseau vorgebildet) noch nicht an religiösen Fragen oder zwischenmenschlichen Beziehungen interessiert, und deshalb stören die religiösen Reflexionen und das Zusammenleben Robinsons mit anderen Menschen nur.

(aus: Petzold, Dieter: "Robinson Crusoe" als Kinderbuch, aus: Werner Petzold, Petzold, Dieter (1982): Daniel Defoe, Robinson Crusoe, München: Fink, 1982, 106 S. (Text und Geschichte / Modellanalysen zur englischen und amerikanischen Literatur ; 2 ) ( UTB ; 1154 ), S.42-45, gekürzt)

Arbeitsanregungen:

Arbeiten Sie heraus:

1. Von welchen entwicklungspsychologischen Überlegungen lässt sich Rousseau bei seiner Robinson-Rezeption leiten?

2. Wie wirken sich diese Überlegungen hinsichtlich der von Rousseau empfohlenen Stoffbehandlung aus?

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Robinsonade

Die Robinsonade im Dienste einer pädagogischen Idee Die Jugendrobinsonade Joachim Heinrich von Campes (1779)

Tafelanschrieb/Folie

Die Robinsonade im Dienste einer pädagogischen Idee

Die postrousseauistische Jugendrobinsonade Heinrich von Campes (1746-1818): Robinson der Jüngere

• in Anlehnung an Jean Jacques Rousseaus pädagogische Rezeption des "Emile" starke Instrumentalisierung des Robinsonstoffes für die bürgerliche Erziehung

• Betonung des erzieherischen Werts der Lektüre o durch Wiederentdeckung der natürlichen

Bedürfnisse o durch die Vermittlung der Erkenntnis vom Glück

des "geselligen" Lebens o im Ggs. zu Rousseau Reduzierung auf den einen

Lernaspekt (keine Immunisierung gegen gesellschaftliche Unterdrückung, Realienwissen statt komplexer Welterfahrung)

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Robinsonade

Die Funktion der Robinsonade bei Rousseau und von Campe Die Funktion der Robinsonade bei Rousseau und von Campe

Leseart und pädagogischer Wert der Robinsonadebei Jean-Jaques Rousseau (1762) und Joachim Heinrich von Campe (1779)

• Robinsongeschichte alsVehikel zur Vermittlung rationalbegründeten lexikalischenWissens und des bürgerlichenWertehorizonts

• Robinsongeschichte alsliterarisches Arrangement eineridealtypischenErziehungssituation

• fantasiebetonte Vermittlung derRobinsongeschichte

Joachim Heinrich v. CampeRobinson der Jüngere, 1779

Jean-Jaques RousseauEmil, 1762

• Zulassen eskapistischer undevasorischer Lese-/Erzählarten, in deren Verlaufaber kognitive Prozesse imUmgang mit Dingenstattfinden.

• Kollektives, distanziertes Lesen/Erzählen in Form einerLinearinterpretation derGeschichte

• auktorialer Erzähler derRobinsongeschichtepatriarchalischer Vater, der diewissens- und wertkonformeDeutung durch die Kindersteuert

Kindheitsvorstellung:• Aufklärung (vernunftgemäßes Wissen)• Anpassung, Unterwerfung unter

bürgerlichen Wertekodex

Kindheitsvorstellung:• individuelle seelische Entwicklung des

Kindes• Stärkung der kindlichen Autonomie

durch spielerischen Umgang mit denDingen

Entwicklung und Förderung"natürlicher" Anlagen des Kindesals Voraussetzung für dieEntstehung eines autonomen"bürgerlichen" Subjekts

rational bestimmte Übernahmevorgegebener bürgerlicherDeutungsmuster alsVoraussetzung für die Anpassungdes "bürgerlichen" Subjekts imaufgeklärten Absolutismus

"Leseart"

Rezeptionsaspekte

Erziehungsziel

Leseart und pädagogischer Wert der Robinsonadebei Jean-Jaques Rousseau (1762) und Joachim Heinrich von Campe (1779)

• Robinsongeschichte alsVehikel zur Vermittlung rationalbegründeten lexikalischenWissens und des bürgerlichenWertehorizonts

• Robinsongeschichte alsliterarisches Arrangement eineridealtypischenErziehungssituation

• fantasiebetonte Vermittlung derRobinsongeschichte

Joachim Heinrich v. CampeRobinson der Jüngere, 1779

Jean-Jaques RousseauEmil, 1762

• Zulassen eskapistischer undevasorischer Lese-/Erzählarten, in deren Verlaufaber kognitive Prozesse imUmgang mit Dingenstattfinden.

• Kollektives, distanziertes Lesen/Erzählen in Form einerLinearinterpretation derGeschichte

• auktorialer Erzähler derRobinsongeschichtepatriarchalischer Vater, der diewissens- und wertkonformeDeutung durch die Kindersteuert

Kindheitsvorstellung:• Aufklärung (vernunftgemäßes Wissen)• Anpassung, Unterwerfung unter

bürgerlichen Wertekodex

Kindheitsvorstellung:• individuelle seelische Entwicklung des

Kindes• Stärkung der kindlichen Autonomie

durch spielerischen Umgang mit denDingen

Entwicklung und Förderung"natürlicher" Anlagen des Kindesals Voraussetzung für dieEntstehung eines autonomen"bürgerlichen" Subjekts

rational bestimmte Übernahmevorgegebener bürgerlicherDeutungsmuster alsVoraussetzung für die Anpassungdes "bürgerlichen" Subjekts imaufgeklärten Absolutismus

"Leseart"

Rezeptionsaspekte

Erziehungsziel

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Robinsonade

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Robinsonade

Textauswahl

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Robinsonade

Robinsons Bilanz nach vier Jahren Inselaufenthalt (aus: Daniel Defoe, Robinson Crusoe)

Unter diesen Arbeiten ging das vierte Jahr, das ich auf der Insel verbrachte, zu Ende. Ich feierte den Jahrestag mit der gewohnten Andacht und ebenso zufrieden wie zuvor. Denn durch meine regelmäßige, ernsthafte Beschäftigung mit Gottes Wort und vermöge seiner Gnade hatte ich mir ganz andere Erkenntnisse erworben, als ich vordem besaß, und meine Ansichten über das Leben hatten sich gründlich gewandelt. Auf die Welt sah ich herab wie auf etwas ganz Fernes, mit dem ich nichts mehr zu tun, von dem ich nichts zu erwarten hatte und auch nichts mehr verlangte; mit einem Wort: sie ging mich nichts an, und ich wollte nichts von ihr. So, stelle ich nur vor, schauen wir vielleicht einmal aus der Ewigkeit auf sie hinunter, nämlich auf einen Ort, wo wir einst gewohnt, den wir aber verlassen haben, und ich möchte, wie Vater Abraham zum reichen Manne, sagen: „Zwischen mir und euch ist eine große Kluft befestigt.“

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Vor allem lebte ich hier allen Schlechtigkeiten der Welt entrückt, für mich gab es weder die Fleischeslust noch die Augenlust noch die Eitelkeit des Lebens. Ich kannte keinen Neid, denn ich besaß alles, was mir jetzt Freude machen konnte, ich war der Herr dieses ganzen Gebietes, und ich konnte mich, wenn es mir gefiel, König und Kaiser des ganzen Landes nennen, das ich in Besitz hatte. Für mich gab es keine Rivalen, keinen Nebenbuhler, niemanden, der meine Herrschaft angefochten oder sie mir streitig gemacht hätte. Ganze Schiffsladungen Korn konnte ich produzieren, aber ich hatte ja keine Verwendung dafür; so ließ ich nur soviel wachsen, dass mein eigener Bedarf gedeckt war. Ich hatte genug Wasser- und Landschildkröten zur Verfügung, doch eine ab und zu war alles, was ich überhaupt verwerten konnte; ich besaß genug Holz, um eine ganze Flotte zu bauen, und Trauben für die Wein- oder Rosinenbereitung wuchsen hier in solcher Fülle, dass ich diese ganze Flotte dann leicht hätte damit beladen können. Nur was ich verwerten konnte, besaß für mich Wert. Ich hatte genug, um mich zu ernähren und meine Bedürfnisse zu befriedigen, was sollte ich mit mehr? Schlachtete ich mehr Fleisch, als ich selbst verzehren konnte, so musste ich es dem Hund geben, oder es kam um; säte ich mehr Korn, als ich essen konnte, so verdarb es mir; die Bäume, die ich füllte, blieben am Boden liegen und verfaulten, ich konnte sie höchstens zu Brennholz gebrauchen, und auch davon bloß soviel, wie ich zum Kochen meiner Mahlzeiten benötigte. Mit einem Wort, Naturbeobachtung und Erfahrung lehrten mich, wenn ich es genau bedenkte, dass alle Güter dieser Welt nur insoweit Wert für uns haben, als wir Gebrauch davon machen können, und was wir auch an Schätzen um uns anhäufen, es kommt wirklich nur andern zugute, wir selbst haben bloß an dem Genuss und Freude, was wir selbst verbrauchen können, und an nichts weiter. Der habgierigste Geizhals der Welt wäre vom Laster des Geizes geheilt worden, wäre er an meiner Stelle gewesen. Ich besaß ja unendlich viel mehr, als ich überhaupt verwenden konnte. Es blieb mir nichts zu wünschen übrig, und was mir vielleicht noch fehlte, waren Kleinigkeiten, die freilich für mich von großem Nutzen gewesen wären. Ich hatte, wie ich früher bereits erwähnte, einen Beutel voll Geld, Gold und Silber, im Wert von über sechsunddreißig Pfund Sterling. Himmel, da lag nun das widerliche, traurige, unnütze Zeug! Ich konnte nichts damit anfangen, und oft dachte ich bei mir, für ein Schock Tabakspfeifen oder für eine kleine Mühle zum Kornmahlen würde ich gern eine Handvoll davon hergeben;

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Robinsonade

ach nein, alles hätte ich hingegebenen für ein bisschen armselige Rüben- und Karottensaat aus England, für eine Handvoll Erbsen und Bohnen, für eine Flasche Tinte! Hatte ich doch in meiner Lage nicht den geringsten Nutzen oder Vorteil davon.

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Da lag es nun in einer Lade und wurde während der Regenzeit in der feuchten Höhle unansehnlich, und hätte ich selbst die ganze Lade voll Diamanten gehabt, es wäre um kein Haar anders gewesen; da ich sie nicht verwenden konnte, hätten sie nicht den geringsten Wert für mich besessen. Nun hatte ich mir das Leben schon weit behaglicher gemacht, als es früher war, und ich fühlte mich seelisch und körperlich bedeutend wohler. Dankerfüllt setzte ich mich oft zu den Mahlzeiten hin und bewunderte die göttliche Vorsehung, die mir in dieser Einöde den Tisch so reich gedeckt hatte. Ich lernte mehr die Lichtseiten meiner Lage zu sehen als mir ihre Schattenseiten auszumalen, ich lernte mehr auf das achten, was mir Freude machte, als auf das, was mir noch fehlte - und das erfüllte mich oft mit einem heimlichen Glücksempfinden, wie ich es gar nicht beschreiben kann. Ich erwähne das alles zum Nutzen jener unzufriedenen Menschen, die sich an Gottes reichen Gaben nicht erfreuen können, weil sie den Blick immer nur gierig auf Dinge richten, die er ihnen versagt hat. Unsere ganze Unzufriedenheit über das, was uns fehlt, kommt ja wohl nur daher, dass wir nicht dankbar genug sind für das, was wir besitzen. Und noch eine Betrachtung war mir von größtem Gewinn und wäre es auch für jeden anderen gewesen, der in meine traurige Lage geraten würde, nämlich der Vergleich meiner jetzigen Verhältnisse mit dem, was ich anfangs hier zu erwarten hatte, oder vielmehr mit dem Leben, das mir bevorgestanden hätte, wäre nicht durch Gottes gütige Fügung das Schiff wie durch ein Wunder so nahe an den Strand getrieben worden, dass ich es nicht nur erreichen, sondern mir auch zu meiner Erleichterung alles nur Denkbare daraus an Land holen konnte. Ich hätte sonst keine Werkzeuge gehabt, auch keine Waffen und Munition, um mich zu verteidigen oder mir Nahrung zu verschaffen. Ganze Stunden, ja ich darf sagen ganze Tage brachte ich damit zu, mir in den lebhaftesten Farben auszumalen, wie sich mein Leben wohl gestaltet hätte, wenn ich aus dem Schiff nichts hätte retten können. Außer Fischen und Schildkröten würde ich nichts zu essen gehabt haben und wäre längst, bevor ich diese fand, umgekommen, oder ich hätte wie ein Eingeborener leben müssen, wenn ich nicht verhungern wollte. Ich hätte wohl mit etwas Geschick eine Ziege oder einen Vogel töten können, aber das Tier abhäuten, aufbrechen, ausnehmen und das Fleisch zerlegen, das hätte ich nicht zuwege gebracht; wie ein Raubtier hätte ich es mit Zähnen und Nägeln zerreißen müssen. Solche Betrachtungen machten mich für die Güte der Vorsehung recht empfänglich, aber auch dankbar für meine jetzige Lage trotz all ihrer Härte und Widrigkeiten. Und ähnliche Gedanken möchte ich denen ans Herz legen, die so gern in Stunden des Leides ausrufen: „Gibt es ein schlimmeres Elend als das meine?“ Mögen sie daran denken, wie erbärmlich es oft anderen ergeht, wieviel schlimmer es aber vielleicht auch ihnen ergehen könnte, hätte es die Vorsehung so gewollt. Auch noch eine andere Überlegung trug dazu bei, mein Gemüt mit Trost zu erfüllen, ein Vergleich nämlich meiner jetzigen Lage mit jener, die ich eigentlich verdient hätte und daher nicht ohne Grund aus der Hand der Vorsehung erwarten musste. Ich hatte ein schreckliches Leben geführt, ein Leben ohne Gotteskenntnis und Gottesfurcht. Wohl hatten mir meine Eltern die rechten Unterweisungen zuteil werden lassen, es auch nicht versäumt, mir frühzeitig Gottesfurcht, Pflichtbewusstsein und

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Robinsonade

einen Begriff vom Sinn des Lebens einzupflanzen. Aber leider bin ich schon bald unter das Seefahrervolk geraten, unter jene Leute, die am allerwenigsten Gottesfurcht kennen, obwohl sie doch seine Allmacht in den Naturgewalten ständig vor Augen haben. Ich geriet also frühzeitig in ihre Gesellschaft, und das geringe religiöse Empfinden, das ich mir noch bewahrt hatte, wurde mir von den Kameraden mit Hohn und Spott ausgetrieben; über die Gefahren wurde nur gelacht und der Tod nicht mehr ernst genommen. Mir fehlte ja jede Gelegenheit, mit anderen Menschen außer meinesgleichen zusammenzukommen und Gutes zu hören oder ein Streben nach dem Guten zu beobachten.

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Ich stand allem Guten so ferne und wusste so wenig über mich selbst oder wie ich eigentlich sein sollte. Auch bei den wunderbarsten Glücksumständen, die ich erleben durfte, wie bei meiner Flucht von Salé und meiner Aufnahme durch den portugiesischen Kapitän, dem prächtigen Gedeihen meiner brasilianischen Pflanzungen, dem günstigen Absatz meiner englischen Waren und ähnlichem, kam mir nicht ein einziges Mal ein „Gott sei gedankt!“ in den Sinn oder gar auf die Lippen, und selbst in der allergrößten Not war mir nicht eingefallen, ihn anzurufen oder zu bitten: „Herr, erbarm dich meiner!“ Nein, nicht ein einziges Mal hatte ich den Namen Gottes in den Mund genommen, es sei denn bei einem Fluch oder einer Gotteslästerung. Viele Monate lang bedrückte mich, wie gesagt, die Erinnerung an mein wüstes, rohes Leben schrecklich. Blickte ich aber jetzt um mich und dachte darüber nach, mit welch ausnehmender Güte mich Gott seit meiner Ankunft hier beschützt, wie reich er mich beschenkt, wie er mich nicht nur gemäß meiner Schlechtigkeit gestraft, sondern noch obendrein überreich gesegnet hatte, so wuchs doch auch in mir die Hoffnung, Gott habe meine Reue angenommen und mir seine Gnade erwiesen.

(aus: Daniel Defoe, Robinson Crusoe, Bd. I. Aus dem Englischen von Franz Riederer, München: Winkler-Verlag 1978)

Arbeitsanregungen:

1. Arbeiten Sie heraus, wie Robinson Crusoe seine Lage und Entwicklung nach vierjährigem Inselaufenthalt einschätzt.

2. Untersuchen Sie dabei, worauf er sein „Durchhaltevermögen“ zurückführt.

3. Zeigen Sie auf, welche aufklärerischen und kultur- bzw. zivilisationskritischen Überlegungen Robinson anstellt und beurteilen Sie diese Kultur- bzw. Zivilisationskritik.

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Robinsonade

Folie: Robinsons Bilanz nach vier Jahren Inselaufenthalt Folie: Robinsons Bilanz nach vier Jahren Inselaufenthalt (aus: Daniel Defoe, Robinson Crusoe) (aus: Daniel Defoe, Robinson Crusoe)

Daniel Defoe, Robinson Crusoe:

Robinsons Bilanz nach vier Jahren Inselaufenthalt

• Zufriedenheit, glückliches Dasein

• Beschäftigung mit Gott als Möglichkeit der Selbsterfahrung

• autarke Wirtschafts- und Lebensform

• neue Erkenntnisse über den "Wert" der Dinge (Gebrauchswertorien-tierung)

• Getrenntsein von den "Schlechtigkeiten" der Welt ("Fleischeslust", "Augenlust", Eitelkeiten des Lebens)

• Zivilisationskritik: Gier, Habgier

• mit Gottes Hilfe vor dem Absinken in den "Naturzustand" eines Eingeborenen (Wilden) bewahrt

Inseldasein als Heilungsprozess, Besserungsvorgang und als Läuterungserfahrung

Inseldasein als Lebensform

ermöglicht das Erkennen des Guten

macht Selbsterfahrung möglich

und stiftet (Lebens-) Sinn

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Daniel Defoe, Robinson Crusoe:

Robinsons Bilanz nach vier Jahren Inselaufenthalt

• Zufriedenheit, glückliches Dasein

• Beschäftigung mit Gott als Möglichkeit der Selbsterfahrung

• autarke Wirtschafts- und Lebensform

• neue Erkenntnisse über den "Wert" der Dinge (Gebrauchswertorien-tierung)

• Getrenntsein von den "Schlechtigkeiten" der Welt ("Fleischeslust", "Augenlust", Eitelkeiten des Lebens)

• Zivilisationskritik: Gier, Habgier

• mit Gottes Hilfe vor dem Absinken in den "Naturzustand" eines Eingeborenen (Wilden) bewahrt

Inseldasein als Heilungsprozess, Besserungsvorgang und als Läuterungserfahrung

Inseldasein als Lebensform

ermöglicht das Erkennen des Guten

macht Selbsterfahrung möglich

und stiftet (Lebens-) Sinn

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Robinsonade

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Robinsonade

Robinsons Bilanz nach seiner Rettung aus Seenot (aus: Daniel Defoe, Robinson Crusoe)

[…] Dieser Mangel an Werkzeug machte jede Arbeit, die ich begann, schwierig und langwierig, und es dauerte fast ein ganzes Jahr, bis ich meinen kleinen Bezirk oder meine gefestigte Wohnung völlig umzäunt hatte. Ich brauchte viel Zeit, bis ich die Pfähle oder Stecken, die so schwer waren, dass ich sie gerade noch heben konnte, im Wald ab- und zurechtgehauen, und noch länger, bis ich sie nach Haus geschleppt hatte, so dass ich manchmal zwei Tage zum Hauen und Heimtragen eines einzigen Pfahls brauchte, und einen dritten Tag dazu, ihn in den Boden zu treiben. Zu diesem Zweck verwandte ich anfangs ein schweres Stück Holz, später verfiel ich auf eine der eisernen Brechstangen, aber auch damit war das Hineintreiben der Pfähle oder Pfosten eine mühselige und langwierige Arbeit. Doch was brauchte ich mich über die ermüdende Arbeit zu grämen, wo ich doch so viel Zeit dafür hatte, als ich wollte? Es wartete auch, nach Beendigung dieser, keine andere Arbeit auf mich, soweit ich sehen konnte, außer, die Insel auf der Suche nach Nahrung zu durchstreifen, was ich mehr oder weniger jeden Tag tat.

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Ich begann nun, meine Lage und den Zustand, in den ich geraten war, ernsthaft zu überlegen, und machte eine schriftliche Übersicht über die Sachlage, weniger, um sie irgendwelchen Nachkommen zu überlassen, denn es sah nicht so aus, als ob ich viele Erben haben würde, sondern vielmehr, um meine Gedanken, die sich täglich damit abquälten und mein Gemüt belasteten, zu befreien. Und da meine Vernunft langsam Herr über meinen Kleinmut wurde, tröstete ich mich selber, so gut ich konnte, und setzte das Gute dem Übel gegenüber, damit ich meinen gegenwärtigen Zustand von einem noch schlimmeren unterscheiden könnte; ich setzte also ganz unparteiisch, wie Soll und Haben, die Annehmlichkeiten meiner Lage den Leiden und Mühseligkeiten entgegen, und zwar wie folgt:

Übel Gut

Ich bin auf eine einsame Insel verschlagen, ohne Hoffnung, je wieder fortzukommen.

Aber ich bin doch am Leben, und nicht ertrunken wie alle meine Kameraden.

Ich bin ausgesondert, unter allen Menschen zu lauter Unglück ausgewählt.

Aber ich wurde auch unter der ganzen Schiffsbesatzung ausgesondert, um dem Tod zu entgehen, und er, der mich auf wunderbare Weise vom Tod errettet hat, kann mir auch aus diesem Zustand helfen.

Ich bin von allen Menschen getrennt, ein Einsiedler, verbannt aus aller menschlichen Gesellschaft.

Aber ich bin doch nicht Hungers gestorben und verdorben an einem unfruchtbaren Ort, der keine Nahrung bietet.

Ich habe keine Kleider, mich zu bedecken.

Aber ich bin auf eine Insel verschlagen worden, wo ich keine wilden Tiere erblicke, die mir schaden könnten, wie ich solche an der Küste von Afrika gesehen. Und wie wärs mir ergangen, wenn ich dort Schiffbruch erlitten hätte?

Ich habe nichts, um mich gegen Überfälle von wilden Tieren oder Menschen zu beschützen.

Aber ich bin in einem heißen Landstrich, wo ich kaum Kleider tragen könnte, auch wenn ich welche

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Robinsonade

hätte.

Ich habe keine Menschenseele, zu der ich sprechen und bei der ich Trost finden könnte.

Aber Gott sandte das Schiff auf wunderbare Weise so nahe an die Küste, dass ich mir viele nötige Dinge daraus holen konnte, durch die ich versorgt bin oder mit deren Hilfe ich mich werde versorgen können, solange ich lebe.

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Alles in allem war das ein unanzweifelbares Zeugnis dafür, dass es kaum einen Zustand auf der Welt gibt, und sei er noch so elend, der neben dem Üblen nicht auch etwas Gutes hat, dafür man dankbar sein kann; und lasst dies eine Mahnung sein aus der Erfahrung von einem, der in das größte Elend geraten, das es auf dieser Welt gibt: dass wir nämlich in jeder Lage noch etwas finden können, was uns Trost gibt und was wir bei der Aufzählung von Gut und Böse auf die Habenseite setzen dürfen. Nachdem ich nun mein Gemüt ein wenig mit meinem Zustand versöhnt und auch darauf verzichtet hatte, weiterhin gar so fleißig aufs Meer nach einem Schiff zu spähen, ich sage, nachdem ich diese Dinge aufgegeben hatte, fing ich an, mir mein Leben einzurichten und mir alles so bequem wie möglich zu machen. Meine Wohnung habe ich bereits beschrieben, dass sie nämlich aus einem Zelt im Schatten eines Hügels bestand, umgeben mit einem starken Zaun aus Pfosten und Tauen, den ich besser einen Wall nenne, denn ich schichtete an der Außenseite etwa zwei Fuß dick Torfstücke auf, und nach einiger Zeit, es wird nach etwa anderthalb Jahren gewesen sein, lehnte ich von diesem Wall aus lange Sparren gegen den Felsen und bedeckte sie mit Zweigen und anderen Dingen, wie ich sie eben finden konnte, um den Regen abzuhalten, der zu gewissen Zeiten des Jahres sehr heftig fiel. Ich habe schon beschrieben, wie ich alle meine Besitztümer in die Einfriedung und in den Keller gebracht, den ich hinter mir gegraben. Aber ich muss noch erwähnen, dass dies anfänglich ein wirrer Haufen von allerhand Sachen war, der, da alles ohne Ordnung durcheinander lag, so viel Raum für sich beanspruchte, dass ich mich kaum umdrehen konnte; deshalb ging ich daran, meinen Keller zu vergrößern und weiter in den Felsen vorzudringen, denn es war ein lockeres, sandiges Gestein, das meiner Bemühung leicht nachgab; und als ich so weit war, dass ich mich vor Raubtieren sicher fühlte, arbeitete ich mich seitwärts rechter Hand in den Felsen hinein, wandte mich dann wieder nach rechts, grub mich ins Freie und machte mir so außerhalb meiner Umzäunung oder Festung einen Ausgang. Auf diese Weise hatte ich nicht nur einen Ein- und Ausstieg, ja eigentlich einen Hintereingang zu meinem Zelt und meinem Lager, sondern auch Raum genug, um meine Sachen ordentlich zu verstauen. Und nun ging ich daran, mir solche Dinge zu verfertigen, die ich am dringendsten brauchte, wie vor allem einen Stuhl und einen Tisch, denn ohne diese konnte ich die wenigen Annehmlichkeiten, die ich auf der Welt hatte, nicht genießen: Ohne Tisch konnte ich weder mit Vergnügen schreiben noch essen, noch eine ganze Reihe anderer Dinge tun. Also ging ich ans Werk; und hier muss ich anmerken, dass, gleichwie Vernunft das Wesen und der Ursprung der Mathematik ist, so auch ein jeder Mensch imstande sein sollte, durch Abwägung und Abmessung jeden Dinges nach der Vernunft so wie durch verständiges Urteil mit der Zeit ein jedes Handwerk zu meistern. Ich hatte mein Lebtag kein Werkzeug in der Hand gehabt und fand gleichwohl, dass ich mit der Zeit, durch Mühe, Fleiß und Findigkeit alles anfertigen konnte, was ich brauchte, vor allem, wenn ich das richtige Werkzeug hatte. Vieles brachte ich auch ganz ohne Werkzeug zustande, manches wiederum mit keinem anderen Werkzeug als Axt und Beil, was wohl nie zuvor auf diese Art gemacht worden war, alles aber mit unendlicher Mühe. Wenn ich zum Beispiel ein Brett brauchte, blieb mir nichts anderes übrig, als einen Baum zu fällen, ihn mit der Schmalseite vor mir aufzustellen und auf beiden Seiten mit der Axt flach zu

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Robinsonade

behauen, bis er dünn wie eine Planke war, und ihn dann mit dem Beil zu glätten. Auf diese Art konnte ich aus einem Baum freilich nur ein Brett machen, aber dagegen hatte ich kein anderes Mittel als die Geduld, ebenso wenig wie ich eines gegen den ungeheuren Aufwand an Zeit und Mühe besaß, den mich die Herstellung einer Planke oder eines Brettes kostete. Aber meine Zeit und meine Mühe waren nicht viel wert, und ich konnte das eine so gut damit anfangen wie etwas anderes.

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Zuerst machte ich mir, wie schon gesagt, einen Tisch und einen Stuhl, und zwar aus den kurzen Brettern, die ich auf meinem Floß vom Schiff gebracht hatte. Als ich dann einige Bretter in der oben beschriebenen Weise bearbeitet hatte, machte ich anderthalb Fuß breite Simse, eines über dem anderen die ganze Kellerwand entlang, um Werkzeug, Nägel, Eisenwerk darauf zu legen und um, mit einem Wort, jedem Ding seinen geräumigen Platz zu geben, so dass ich es leicht erreichen konnte; in die Felswand schlug ich Pflöcke, um daran meine Flinten und alles, was sich aufhängen ließ, aufzuhängen. Wer jetzt meinen Keller gesehen hätte, hätte ihn für ein Haupt-Magazin aller lebensnotwendigen Dinge halten können; alles lag griffbereit da, und es machte mir viel Vergnügen, alle Dinge so geordnet und vor allem meinen Vorrat an allem Notwendigen so groß zu sehen. Zu diesem Zeitpunkt fing ich erstmals an, Buch über meine tägliche Beschäftigung zu führen, denn am Anfang war ich in zu großer Unruhe gewesen, nicht allein wegen der Arbeit, sondern wegen der Unordnung meines Gemüts, und so wären viele abgeschmackte Sachen hineingekommen. Zum Beispiel hätte ich schreiben müssen: „30. Sept. Nachdem ich an Land gekommen und dem Ertrinken entronnen und als erstes die große Menge von Salzwasser, die in meinen Magen geraten war, wieder ausgebrochen und mich ein wenig erholt hatte, lief ich, anstatt Gott für meine Errettung zu danken, auf dem Strand auf und ab und rang die Hände und schlug mir auf den Kopf und ins Gesicht und jammerte über mein Elend und schrie: »Ich bin verloren! verloren!«, bis ich mich müde und schwach auf den Boden legen musste, um auszuruhen, aber nicht zu schlafen wagte aus Angst, von wilden Tieren verschlungen zu werden. Wiederum einige Tage später, nachdem ich bereits an Bord des Schiffes gewesen und alles noch irgendwie Brauchbare herausgeholt hatte, konnte ich mich nicht zurückhalten, sondern stieg auf den Gipfel eines Hügels in der Hoffnung, auf dem Meer ein Schiff zu entdecken; dann bildete ich mir ein, ich sähe weit in der Entfernung ein Segel, schwelgte schon in der Hoffnung, und wenn ich dann fest darauf gestarrt und mich fast blind geschaut hatte, hatte ich es völlig verloren, und dann setzte ich mich nieder und weinte wie ein Kind und vergrößerte so mein Unglück noch durch meine Torheit. Aber jetzt, da ich über diese Dinge einigermaßen hinweggekommen war, mir Haushalt und Wohnung aufgebaut, Tisch und Stuhl angefertigt und alles so behaglich als möglich eingerichtet hatte, jetzt begann ich mein Tagebuch zu führen, von dem ich hier eine Abschrift geben will (obgleich darin alle diese Einzelheiten noch einmal erzählt werden), so weit es nämlich reicht; denn als ich keine Tinte mehr hatte, war ich gezwungen, damit aufzuhören.

(aus: Daniel Defoe. Robinson Crusoe, München 1977, S.91ff. (London 1719))

Arbeitsanregung

1. Untersuchen Sie Robinsons Bilanz und stellen Sie fest, wovon seine Erfahrung der Situation abhängt.

2. Zeigen Sie auf, welche Überlebensstrategie er entwickelt.

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Robinsonade

Die beste Abhandlung über die natürliche Erziehung Jean-Jaques Rousseau

Es ist derselbe Naturtrieb, der die verschiedenen Fähigkeiten des Menschen belebt. Dem Drang des Körpers, sich zu entwickeln, folgt der Drang des Geistes, sich zu bilden. Zuerst sind die Kinder nur in Bewegung, dann werden sie neugierig. Wird diese Neugier gut geleitet, ist sie die Triebfeder in dem Alter, bei dem wir jetzt angelangt sind. Wir müssen nur immer die natürlichen Neigungen von denen unterscheiden, die aus einer Mode kommen. Es gibt einen Wissenseifer, der nur dem Wunsch entspringt, als Gelehrter zu gelten. Es gibt einen anderen, der der menschlichen Wissbegier entspringt, alles Nahe und Ferne kennen zu lernen. Das angeborene Verlangen nach Wohlbefinden und die Unmöglichkeit, diesen Wunsch vollkommen zu befriedigen, lassen ihn ständig nach neuen Mittel suchen, diesen Wunsch zu befriedigen. Das ist das Urprinzip der Wissbegier: ein natürliches Prinzip, das sich nur im Verhältnis zu unseren Leidenschaften und unseren Einsichten entwickelt. Man stelle sich einen Gelehrten vor, der mit seinen Instrumenten und Büchern auf einer einsamen Insel gestrandet ist und weiß, dass er den Rest seiner Tage hier verbringen muss. Er wird sich kaum noch um das Weltsystem, die Gesetze der Anziehungskraft oder die Differentialrechnung kümmern. Er wird vielleicht kein einziges Buch mehr aufschlagen, aber er wird die Insel unablässig bis in den letzten Winkel absuchen, wie groß sie auch sein möge. Schließen wir also aus unseren Studien noch alle jene Erkenntnisse aus, an denen der Mensch keinen natürlichen Geschmack findet, und beschränken wir uns auf jene, die der Instinkt uns zu suchen treibt. [...]

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Gibt es denn kein Mittel, die vielen Lehren, die in so vielen Büchern verstreut sind, zusammenzufassen und unter einem allgemeinen, leicht fasslichen und interessanten Gesichtspunkt zu vereinen, der selbst dem Kindesalter als Ansporn dienen kann? Wenn man Umstände erfinden könnte, unter denen sich alle natürlichen Bedürfnisse der Menschen auf eine dem kindlichen Geiste leicht fassliche Weise zeigen und unter denen sich die Mittel zur Befriedigung dieser Bedürfnisse nach und nach mit der gleichen Leichtigkeit entwickeln, dann muss eine lebhafte und natürliche Schilderung dieser Verhältnisse seiner Einbildungskraft als erster Übungsstoff dienen. Nun sehe ich, mein eifriger Philosoph, wie sich auch deine Phantasie entzündet. Streng dich nicht an! Diese Geschichte wurde bereits geschrieben, und zwar - ohne dir Unrecht zu tun - viel besser, als du es hättest tun können: wahrer und einfacher. Da es nicht ohne Bücher geht, so existiert eins, das meiner Meinung nach die beste Abhandlung über die natürliche Erziehung enthält. Das ist das erste Buch, das Emil liest. Für lange Zeit macht es seine ganze Bibliothek aus und wird später immer einen besonderen Platz einnehmen. Es ist der Text, zu dem alle unsere Unterhaltungen über die Naturwissenschaften nur als Kommentar dienen. Es wird der Prüfstein im Fortschritt zur Urteilsfähigkeit sein und, solange unser Geschmack noch nicht verdorben ist, wird uns seine Lektüre immer erfreuen. Welches ist nun dieses wunderbare Buch? Ist es Aristoteles oder Plinius oder Buffon? Nein! Es ist Robinson Crusoe! Robinson Crusoe allein auf einer Insel, ohne Beistand und ohne Werkzeug. Wie er für seinen Unterhalt und für seine Erhaltung sorgt, wie er sich sogar einen gewissen Wohlstand verschafft, das interessiert jedes Alter. Man kann es besonders Kindern auf tausenderlei Weise schmackhaft machen. So lassen wir die einsame Insel, die uns vorher nur als Vergleich gedient hatte, in Wirklichkeit erstehen. Ich gebe zu, dass dies nicht der

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Robinsonade

Regelfall in der menschlichen Gesellschaft ist; Emil wird später wahrscheinlich auch nicht so leben. Aber nach diesen Verhältnissen soll er die anderen messen. Das sicherste Mittel, sich über Vorurteile zu erheben und seine Urteile nach den wahren Verhältnissen der Dinge zu richten, ist, sich in die Lage eines alleinen Menschen zu versetzen und über alles so zu urteilen, wie dieser mit Rücksicht auf seine eigenen Bedürfnisse urteilen muss.

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Dieser Roman muss von seinem überflüssigen Beiwerk befreit werden. Er muss mit dem Schiffbruch Robinsons beginnen und mit der Ankunft des rettenden Schiffes enden. So wird er Emil während der ganzen Zeitspanne, von der hier die Rede ist, Unterhaltung und Belehrung zugleich sein. Ich will, dass er an nichts anderes denkt; dass er sich ständig mit seiner Burg, seinen Ziegen und seiner Pflanzung beschäftigt; dass er in allen Einzelheiten lernt, was man in einem solchen Fall wissen muss, und zwar nicht aus Büchern, sondern von den Dingen selbst. Er soll sich als Robinson fühlen, bekleidet mit Fellen und einer großen Mütze, einem großen Säbel, in dem ganzen abenteuerlichen Aufzug, nur ohne den Sonnenschirm, den er nicht braucht. Er soll sich darum kümmern, was zu tun ist, wenn dieses oder jenes fehlt. Er soll das Verhalten seines Helden prüfen, ob er etwas unterlassen hat oder etwas hätte besser machen können, damit er sich die Fehler merkt und daraus lernt, sie in ähnlicher Lage zu vermeiden. Zweifelt nicht daran, dass er ein ähnliches Abenteuer bestehen will: das ist der wahre Wunschtraum dieses zufriedenen Alters, in dem man kein anderes Glück kennt als ein Leben in Einfachheit und Freiheit.

Welche Hilfsquellen bietet nicht diese Spielerei einem geschickten Mann, der sie nur zu wecken verstand, um Nutzen daraus zu ziehen! In seinem Eifer, sich ein Vorratshaus für seine Insel anzulegen, wird das Kind mehr lernen, als der Lehrer lehren wollte. Es möchte alles wissen, was nützlich ist. Aber auch nur das! Ihr braucht es nicht anzutreiben, nur zurückzuhalten! Beeilen wir uns übrigens, Emil auf seiner Insel unterzubringen, solange es ihm dort gefällt, denn der Tag naht, wo er - wenn überhaupt - dort nicht mehr allein leben will, und Freitag, der ihn jetzt gar nicht interessiert, ihm bald nicht mehr genügen wird.

(aus: Jean-Jaques Rousseau, Emil oder über die Erziehung, Vollständige Ausgabe. In deutscher Fassung besorgt von Ludwig Schmidts, Paderborn: Schönigh-Verlag, 4. Aufl. 1978, S. 158 und 180 (=utb-Uni-Taschenbücher, 115))

Arbeitsanregung

1. Arbeiten Sie heraus, worin Rousseau den pädagogischen Wert der Robinson-Geschichte sieht.

2. Welche Grenzen und Möglichkeiten sehen Sie heute für ein derartiges Modell der "natürlichen" Erziehung?

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Robinsonade

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Praxisbezug und Wertevermittlung • »learning by doing«

• Vorrang für konkret-fassbare, am praktischen Umgang mit Menschen und Dingen orientierte Lerninhalte

• gesellschaftliche Wertevermittlung nachgeordnet

Erziehungsmethoden • Kindgemäßheit

• Förderung natürlicher Anlagen

• Behutsamkeit, Geduld

• spielerischer Umgang mit den Dingen

Idealtypische Situation für "natürliche Erziehung"

• Selbst- und Naturerfahrung eines Einzelnen im praktischen Umgang mit den Dingen

• Isolation als Herausgelöstsein aus gesellschaftlichen Wertekontexten und Verhaltensmustern

Robinson-Rezeption Entwicklungspsychologische Auffassungen

J.-J.Rousseau, Emil, 1762

J.H.v.Campe 1779

"schöpferisches Missverständnis"

1. Inselepisode als zentrales Motiv 2. Unterschlagung sämtlicher Werkzeuge 3. Eliminierung aller religiösen Reflexionen 4. Bagatellisierung der Freitag-Episode

weitere Pädagogisierung

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Die Rezeption der Robinsongeschichte durch Jean-Jaques Rousseau, 1762

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2. Wie beurteilen Sie die Vorstellungen von Campes?

1. Arbeiten Sie heraus, was von Campe von dem "idealen" Kinderbuch erwartet.

Arbeitsanregungen

Das ideale Kinderbuch Joachim Heinrich von Campe

(aus: Joachim Heinrich von Campe, Robinson der Jüngere, Braunschweig 1848)

Indem ich mir das herrliche Bild eines solchen Buches ausmalte und

schüchtern nach dem Manne, der es uns geben könnte,

umherblickte, fiel mir ein, dass schon Rousseau einmal ein ähnliches

Buch gewünscht und wie fing mein Puls an zu pochen!

...ein Buch, welches zwar eben so unterhaltend und anziehend als

irgendein anderes wäre, aber nicht so, wie andere, bloß zu untätigen

Beschauungen, zu müßigen Rührungen, sondern unmittelbar zur

Selbsttätigkeit führte; ein Buch, welches den jungen

Nachahmungstrieb der Kinderseele (den ersten unter allen Trieben,

die bei uns zu erwachen pflegen) unmittelbar auf solche

Gegenstände lenkte, welche recht eigentlich zu unserer Bestimmung

gehören, ich meine auf Erfindungen und Beschäftigungen zur

Befriedigung unserer natürlichen Bedürfnisse; ein Buch, worin diese

natürlichen Bedürfnisse des Menschen mit den erkünstelten und

eingebildeten, so wie die wahren Beziehungen der Dinge in der Welt

auf unsere Glückseligkeit, welches Junge und Alte das Glück des

geselligen Lebens, bei allen seinen Mängeln und unvermeidlichen

Einschränkungen. recht mit Händen greifen ließe, und dadurch alle

zur Zufriedenheit mit ihrem Zustande, zur Ausübung jeder geselligen

Tugend und zur innigen Dankbarkeit gegen die göttliche Vorsehung

ermunterte.

rbehalten

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Robinsonade

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TA/Folie

Ziele:

konkrete Darstellung und Nachvollziehbarkeit

Lenkung des kindlichen Nachahmungstriebes auf wesentliche Gegenstände

unmittelbar zur Selbsttätigkeit führen

nicht nur untätige Beschauung und/oder müßige Rührung hervorrufen

unterhaltend und anziehend

o der natürlichen im Ggs. zu den erkünstelten Bedürfnissen

o wahrer Beziehungen der Dinge in der Welt im Hinblick auf unsere Glückseligkeit

o wahrer Beziehungen der Dinge in der Welt im Hinblick auf das Glück geselligen Zusammenseins

o Erfindungen und Beschäftigungen zur unmittelbaren natürlichen Bedürfnisbefriedigung

Das ideale Buch in der Vorstellung Campes:

3. alle zur innigen Dankbarkeit gegen die göttliche Vorsehung ermuntern

2. alle zur Ausübung der geselligen Tugend 1. alle zur Zufriedenheit mit ihrem Zustande

rbehalten

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Robinsonade

Krusoe heuert an Joachim Heinrich von Campe (1779)

Es war einmal eine zahlreiche Familie, die aus kleinen und großen Leuten bestand. Diese waren teils durch die Bande der Natur, teils durch wechselseitige Liebe genau vereiniget. Der Hausvater und die Hausmutter liebten alle wie ihre eigenen Kinder, ungeachtet nur Lotte, die kleinste von allen ihre leibliche Tochter war; und zwei Freunde des Hauses, R** und B**, taten dasselbe. Ihr Aufenthalt war auf dem Lande, nahe vor den Toren von Hamburg.

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Der Wahlspruch dieser Familie war: bete und arbeite! und Kleine und Große kannten kein anderes Glück des Lebens, als welches die Erfüllung dieser Vorschrift gewährt. Aber während der Arbeit und nach vollendetem Tagewerke wünschte dann jeder von ihnen auch etwas zu hören, das ihn verständiger, weiser und besser machen könnte. Da erzählte ihnen nun der Vater bald von diesem, bald von jenem. Und die kleinen Leute alle hörten ihm gern und aufmerksam zu. Eine von solchen Abenderzählungen ist die folgende Geschichte des jüngern Robinson. Es war einmal ein Mann in der Stadt Hamburg, der hieß Robinson. Dieser hatte drei Söhne. Der älteste davon hatte Lust zum Soldatenstande, ließ sich anwerben und wurde erschossen in einer Schlacht gegen die Franzosen. Der zweite, der ein Gelehrter werden sollte, hatte einmal einen Trunk getan, da er eben erhitzt war, bekam die Schwindsucht und starb. Nun war also nur noch der kleinste übrig, den man Krusoe nannte, ich weiß nicht warum. Auf den setzten nun der Herr Robinson und die Frau Robinson ihre ganze Hoffnung, weil er jetzt ihr Einziger war. Sie hatten ihn so lieb wie ihren Augapfel: aber sie liebten ihn mit Unverstand. Gottlieb. Was heißt das, Vater? Vater. Wirst es gleich hören. Wir lieben euch auch. wie ihr wisst; aber deswegen halten wir euch zur Arbeit an und lehren euch viele angenehme und nützliche Dinge, weil wir wissen, dass euch das gut und glücklich machen wird. Krusoe's Eltern machten es nicht so. Sie ließen ihrem lieben Söhnchen in allem seinen eigenen Willen, und weil nun das liebe Söhnchen lieber spielen als arbeiten und etwas lernen mochte. so ließen sie es meist den ganzen Tag müßig umherlaufen oder spielen und so lernte es denn wenig oder gar nichts. Das nennen wir andern Leute eine unvernünftige Liebe. Gottlieb. Haha! Vater. Der junge Robinson wuchs also heran, ohne dass man wusste, was aus ihm werden würde. Sein Vater wünschte, dass er die Handlung lernen möchte,: aber dazu hatte er keine Lust. Er sagte, er wolle lieber in die weite Welt reisen um alle Tage recht viel Neues zu hören und zu sehen. Das war nun aber sehr unverständig gesprochen von dem jungen Menschen. Ja. wenn er schon etwas rechts gelernt hätte gehabt! Aber was wollte ein so unwissender Bursche, als dieser Krusoe war, in der weiten Welt machen? Wenn man in fremden Ländern ein Glück machen will, so muss man sich erst viele Geschicklichkeiten erworben haben. Und daran hatte er bisher noch nicht gedacht. Er war nun siebzehn Jahr alt und hatte seine meiste Zeit mit Umherlaufen zugebracht. Täglich quälte er seinen Vater, dass er ihn doch möchte reisen lassen: sein Vater aber antwortete: er sei wohl nicht recht gescheit; und wollte nichts davon hören. "Söhnchen! Söhnchen!", rief ihm dann die Mutter zu, "bleibe im Lande und nähre dich redlich!" Vater. Eines Tages, als er, seiner Gewohnheit nach, bei dem Hafen umherlief, sah er einen seiner Gespielen, der eines Schiffers Sohn war und der eben mit seinem Vater nach London abfahren wollte. Fritzchen. In der Kutsche?

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Dietrich. Nein, Fritzchen, nach London muss man zu Schiffe fahren über ein großes, großes Wasser, das die Nordsee heißt. Nun? 55

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Vater. Der Sohn des Schiffers fragte ihn, ob er mitreisen wolle. "Gern", antwortete Krusoe, "aber meine Eltern werden es nicht haben wollen!" "I", sagte der andere wieder, "mache einmal den Spaß und reise so mit! In drei Wochen sind wir wieder hier und deinen Eltern kannst du ja sagen lassen, wo du geblieben bist." "Aber ich habe kein Geld!", sagte Krusoe. - "Schad't nichts", antwortete der andere: "ich will dich schon frei halten unterwegs." Der junge Robinson bedachte sich noch ein paar Augenblicke; dann schlug er jenem auf einmal in die Hand und rief aus: "Topp, ich fahre mit dir, Bruder! Nur gleich zu Schiffe!" Darauf bestellte er, dass nach einigen Stunden jemand zu seinem Vater gehen und ihm sagen solle: er sei nur ein bisschen nach England gefahren und werde bald wieder kommen. Dann gingen die beiden Freunde an Bord. Johannes. Fi! Den Robinson mag ich nicht leiden. Nikolas. Ich auch nicht! Freund G. Warum denn nicht? Johannes. Ja, weil er das tun kann, dass er so von seinen Eltern weggeht, ohne dass sie's ihm erlaubt haben! (...) Vater. Es war ein angenehmer Tag und der Wind blies so günstig, dass sie in kurzer Zeit die Stadt Hamburg aus den Augen verloren. Am folgenden Tage kamen sie schon bei Ritzebüttel an, wo die Elbe sich ins Meer ergießt. Und nun ging's hinaus in die offene See! Was für Augen der Robinson nun machte als er vor sich nichts als Luft und Wasser sah! Das Land, wo er hergekommen war, verschwand schon nach und nach auch aus seinen Augen. Jetzt konnte er nur noch den großen Leuchtturm sehen, den die Hamburger auf der Insel Heiligenland oder Helgoland unterhalten. Jetzt verschwand auch dieser und nun sah er über sich nichts als Himmel und um sich her nichts als Wasser. Gottlieb. Das mag aussehen! Freund R. Kannst es vielleicht bald einmal zu sehen kriegen! Gottlieb. O, wollen wir hingehen? Freund R. Wenn ihr recht aufmerksam seid, indem wir euch die Erdbeschreibung lehren, dass ihr lernt, wo man hingehen muss, um von einem Orte zum andern zu kommen. Vater. Ja. und wenn ihr durch Aufmerksamkeit und Mäßigkeit im Essen und Trinken euch täglich abhärtet, dass ihr so eine Reise aushalten könnt, so machen wir schon einmal einen kleinen Ausflug nach Travemünde, wo die Ostsee angeht. - Alle. Oh! oh! (…)

(aus: Joachim Heinrich von Campe, Robinson der Jüngere, Braunschweig 1848)

Arbeitsanregungen

1. Untersuchen Sie die Personenkonstellation in der Rahmenerzählung.

Markieren Sie die Textpassagen, die zur Rahmenerzählung gehören.

Arbeiten Sie heraus, wies sich die Figuren der Rahmenerzählung verhalten.

2. Was lässt sich daraus auf die Beziehung von Vater und Kindern schließen?

3. Für von Campe steht die außerordentlich große pädagogische Bedeutung der Robinson Geschichte außer Zweifel.

Untersuchen Sie, welche Erziehungsziele von Campe verfolgt und vergleichen Sie diese mit denen Rousseaus und seiner Rezeption der Robinson Geschichte.

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Robinsonade

Seenot auf der Reise nach London Joachim Heinrich von Campe (1779)

(Während der Fahrt nach London gerät das Schiff auf dem Krusoe angeheuert hat, in Seenot)

Vater. lndess hatte ein anderes Schiff die Notschüsse gehört und schickte ein Boot ab um die Leute, wo möglich, zu retten. Aber das Boot konnte nicht herankommen, weil die Wellen gar zu hoch gingen. Diese warfen es so gewaltsam hin und her, dass es in augenscheinlicher Gefahr war, umgestülpt zu werden. Dennoch wollten die menschenfreundlichen Leute lieber ihr eigenes Leben daran wagen, als ihre Nebenmenschen ohne Hülfe lassen.

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Nikolas. Das waren wohl hamburgische Leute? Vater. Woraus vermutest du das? Nikolas. Ja, weil sie gegen das hamburgische Schiff so dienstfertig waren und sich deswegen sogar in Lebensgefahr begaben. Vater. Muss man denn bloß gegen seine Landsleute dienstfertig sein? Das wolltest du gewiss nicht zu verstehen geben, lieber Nikolas! Oder, wenn da jetzt gleich ein Mensch aus Amerika hier in unsern Teich fiele, würden wir erst fragen, woher er wäre? Würden wir nicht vielmehr alle den Augenblick aufspringen, um ihn zu retten? Nun, eben so menschlich dachten die Leute in dem Bote auch, ungeachtet sie keine Hamburger, keine Europäer, keine Christen sondern - Türken waren, und zwar Türken aus der Stadt Smirna, die in Asien liegt. Johannes. Das hätte ich doch nicht gedacht, dass die Türken so gute Menschen wären! Vater. Lieber Johannes, du wirst immer mehr erfahren, dass es unter allen Völkern, in allen Ländern gute Leute gibt; so wie es unter allen Völkern. in allen Ländern und zu alten Zeiten auch hin und wieder Taugenichtse gegeben hat. (...) (Nach der Ankunft in London gesteht Robinson Krusoe dem Schiffer, dass er ohne Erlaubnis seiner Eltern mitgekommen ist. Daraufhin rät ihm dieser eindringlich, nach Hause zurückzukehren.) Vater. Bald fiel's ihm ein, er wolle noch nicht abreisen, bald dachte er wieder daran, was der Schiffer ihm gesagt hatte, dass es ihm nicht wohlgehen könne, wenn er nicht zu seinen Eltern zurückkehre. Er wusste lange nicht, was er tun solle; endlich aber ging er doch hin nach dem Hafen. Aber zu seinem Vergnügen musste er hören, dass jetzt kein Schiff da war, welches die Fahrt nach Hamburg machen wollte. Der Mann, der ihm diese Nachricht gab, war ein Guineafahrer. Fritzchen. Was ist ein Guineafahrer? Vater. Das lass dir von Dietrich erzählen. der's wohl schon wissen wird. Dietrich. Weißt du noch wohl, dass es ein Land gibt, das Afrika heißt? Nun, die eine Küste davon - Fritzchen. Küste. Dietrich. Ja, oder das Land, das dicht am Meere liegt sieh, ich habe meinen kleinen Atlas eben bei mir! - dieser Strich Landes hier, der da so krumm hinuntergeht, der wird die Küste von Guinea genannt. Vater. Und die Schiffer, die dahin fahren, um etwas daselbst einzuhandeln, heißt man Guineafahrer. Der Mann also, mit dem unser Robinson redete, war ein solcher Guineafahrer, oder der Führer eines Schiffes, welches nach Guinea fahren wollte. Dieser Schiffsführer oder Kapitän fand Vergnügen daran, sich weiter mit ihm zu unterreden, und nötigte ihn daher, mit an Bord zu gehen, um in seiner Kajüte eine Tasse Tee mit ihm zu trinken; und Robinson willigte ein.

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Johannes. Konnte der Mann denn Deutsch sprechen? 55

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Vater. Ich habe vergessen, zu sagen, dass Robinson schon in Hamburg Gelegenheit gehabt hatte, ein wenig Englisch zu lernen, welches ihm jetzt, da er im Lande der Engländer war, sehr wohl zu Statten kam. Da der Kapitän von ihm hörte, dass er so große Lust zu reisen habe, und dass es ihm so Leid tue, schon jetzt wieder nach Hamburg zurückkehren zu müssen, so tat er ihm den Vorschlag, mit nach Guinea zu segeln. Robinson erschrak anfangs vor diesem Gedanken. Aber da ihm jener versicherte, dass die Reise sehr angenehm sein werde, dass er ihn, um einen Gesellschafter zu haben, umsonst mitnehmen und freihalten wolle, so stieg ihm plötzlich das Blut zu Kopfe und die Begierde zu reisen, ward wieder so lebendig in ihm, dass er auf einmal vergaß, was ihm der ehrliche hamburgische Schiffer geraten hatte, und was er kurz vorher tun wollte. (...) Robinson konnte sich nun nicht länger mehr halten. Er vergaß Eltern, Freunde und Vaterland, und rief freudig aus: Ich fahre mit, Herr Kapitän! - Topp! antwortete dieser; und so schlugen sie einander in die Hände, und die Reise war beschlossen. Johannes. Na, nun will ich auch gar kein Mitleid mehr haben mit dem dummen Robinson, und wenn's ihm auch noch so unglücklich geht! Vater. Kein Mitleid, Johannes? Johannes. Nein, Vater; warum ist er so dumm und vergisst schon wieder, was er seinen Eltern schuldig ist? Dafür muss ja wohl der liebe Gott es ihm wieder schlimm gehen lassen! Vater. Und scheint dir ein so unglücklicher Mensch, der seine Eltern vergessen kann und dem der liebe Gott erst durch Strafen bessern muss, kein Mitleid zu verdienen? Freilich ist er selbst schuld an allem, was ihm nun begegnen wird; aber ist er nicht um desto unglücklicher? O, mein Sohn, Gott bewahre dich und alle vor dem schrecklichsten unter allen Leiden, welches darin besteht, dass man fühlt, man habe sich selbst elend gemacht! Aber wo wir von einem solchen Unglücklichen hören, da wollen wir bedenken, dass er unser Bruder, unser armer, verirrter Bruder ist, seine Schuld vergessen und ihm auch helfen, auf den Weg des Rechttuns und der Glückseligkeit zurückzukehren. Alle schwiegen einige Augenblicke; dann fuhr der Vater folgendermaßen fort. Robinson eilte nun mit seinen neun Guineen in die Stadt, kaufte dafür ein, was der Schiffer ihm geraten hatte und ließ es an Bord bringen. Nach einigen Tagen, da ein guter Wind sich erhob, ließ der Schiffer die Anker lichten und so gingen sie unter Segel.

(aus: Joachim Heinrich von Campe, Robinson der Jüngere, Braunschweig: Verlag der Schulbuch-handlung Friedrich Vieweg u. Sohn 1848)

Arbeitsanregungen:

1. Untersuchen Sie die Struktur des Erzähltextes und erläutern Sie diese.

2. Worin unterscheidet sich diese Erzählstruktur von der Daniel Defoes.

3. Untersuchen Sie, welche Erziehungsziele von Campe mit seiner Bearbeitung der Robinson Geschichte verfolgt und vergleichen Sie diese mit den Auffassungen von Jean Jaques Rousseau.

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Robinsonade

Robinsons Umgang mit der Natur Joachim Heinrich von Campe (1779)

Dreizehnter Abend. Am folgenden Abend rief der Vater seine Kleinen etwas früher zusammen, weil er, wie er sagte, erst eine Ratsversammlung mit ihnen halten müsse, bevor er in seiner Erzählung weitergehen könne.

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Worüber wollen wir uns denn beratschlagen? riefen die Kleinen, indem sie rund um ihn herum zusammentraten. Vater. Über eine Sache, die unserem Robinson die ganze Nacht hindurch im Kopfe herumgegangen ist und weswegen er kein Auge hat zutun können. Alle. Nun? Vater. Es war die Frage. ob er den alten Brotfruchtbaum, den er gestern gesehen hatte, in der ungewissen Hoffnung, ob er daraus ein Schiff werde machen können, umhauen oder ob er ihn stehen lassen solle. Johannes. Ich hätte ihn hübsch wollen stehen lassen. Dietrich. Und ich hätte ihn umgehauen. Vater. Da sind also zwei entgegengesetzte Meinungen; der eine will den Baum umhauen, der andere will ihn stehen lassen. Lasst doch hören, ihr anderen, was ihr dazu sagt? Gottlieb. Ich halte es mit Johannes. Lotte. Ich auch, lieber Vater; der Baum soll stehen bleiben. Fritzchen. Nein, er soll umgehauen werden, dass der arme Robinson ein Schiff kriegt. Nikolas. Das sage ich auch. Vater. Nun, so stellt euch in zwei Parteien und dann wollen wir hören, was jeder für Gründe zu seiner Meinung hat. - So! Nun, Johannes, mache du den Anfang; warum soll der Baum stehen bleiben? Johannes. I, weil er so schöne Früchte trägt, und weil er vielleicht der Einzige seiner Art auf der ganzen Insel ist. Dietrich. O, es ist schon ein alter Baum; der wird doch nicht lange mehr Früchte tragen! Johannes. Woher weißt du das? Er ist ja nur erst ein wenig hohl, und wie viele hohle Bäume gibt es nicht, die noch manches Jahr Früchte tragen! Nikolas. Robinson darf ja nur recht viele junge Zweige von diesem Baum auf andere Stämme pfropfen; so wird er Brotbäume genug kriegen. Gottlieb. Ja, aber sind sie denn sogleich groß? Darüber können ja wohl vier Jahre hingehen; ehe die gepfropften Bäume anfangen, Früchte zu tragen. Fritzchen. Ist es denn nicht besser, dass er ein Schiff kriegt und wieder zu Menschen fährt, als dass er da immer und ewig auf seiner Insel sitzt und Brotfrucht isst? Johannes. Ja, wenn das Schiff sogleich fertig wäre! Womit will er denn den Baum umhauen, und womit will er ihn aushöhlen, da er nur eine steinerne Axt hat? Dietrich. O, wenn er nur lange genug daran hauet und nicht ungeduldig wird, so wird er schon damit zu Stande kommen! Gottlieb. Aber dann, so hatte er ja noch keine Segel! Was will er denn mit dem bloßen Schiffe anfangen? Nikolas. O, er muss sich mit Rudern helfen!

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Robinsonade

Lotte. Ja! Das wird schon gehen! Weißt du nicht mehr, da wir bei Travemünde auf der Ostsee waren und dem einen Bootsmanne das Ruder brach, wie es uns da beinahe gegangen wäre? Vater sagte ja, wenn das zerbrochene Ruder nicht noch zu gebrauchen gewesen wäre, so hätte uns der andere Bootsmann allein nicht wieder ans Land bringen können.

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Dietrich. O, das war auch ein großer Kahn und waren ja achtzehn Menschen darin! Wenn sich Robinson einen kleinen Kahn und zwei Ruder macht, so wird er ihn schon allein lenken können. Vater. Nun, Kinder, ihr sehet, die Sache ist gar nicht leicht zu entscheiden. Alles, was ihr da gesagt habt, ging dem guten Robinson die Nacht hindurch auch im Kopfe herum; und das nennt man eine Sache überlegen, wenn man nachdenkt, ob es besser sei, sie zu tun oder nicht zu tun. Seitdem Robinson die traurigen Folgen seiner übereilten Entschließung, in die weite Welt zu reisen, empfunden hatte, befolgte er immer die Regel nie wieder etwas zu tun, ohne erst vorher eine vernünftige Überlegung darüber angestellt zu haben. Das tat er also auch jetzt. Nachdem er nun die Sache lange genug hin und her überlegt hatte, so fand er, dass alles auf die Frage ankomme, ob es klug gehandelt sei, einen kleinen, aber gewissen Vorteil hinzugeben, um einen größeren, aber noch ungewissen Vorteil dadurch zu erlangen? [...]

(aus: Joachim Heinrich von Campe, Robinson der Jüngere, Braunschweig: Verlag der Schulbuchhandlung Friedrich Vieweg u. Sohn 1848)

Arbeitsanregungen:

1. Geben Sie den Inhalt des vorliegenden Textauszuges unter Berücksichtigung der inhaltlichen Gliederung des Gesprächsverlaufs wieder.

2. Arbeiten Sie die Beziehung zwischen dem (Haus )Vater und den Kindern heraus und belegen Sie Ihre Ergebnisse mit geeigneten Textstellen.

3. Zeigen und erläutern Sie am Text: Welche Intentionen verfolgt von Campe mit seiner Bearbeitung der Robinson-Geschichte?

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Robinsonade

Joachim Heinrich von Campe (1779): Robinsons Umgang mit der Natur

Aspekte der Inhaltswiedergabe und Textgliederung

Die Wiedergabe des Inhalts der Episode "Robinsons Umgang mit der Natur" in Joachim Heinrich von Campes Jugendrobinsonade »Robinson der Jüngere« sollte folgende Gesichtspunkte berücksichtigen:

1. Autor, Titel. Textart 2. Aussagekern 3. Verwendung der Informationen aus der Einleitung zum Text

o Hausvater o 30 Abendgespräche unter dem Apfelbaum

4. Situativer Kontext: o Am 13. Abend ruft der Vater die Kinder etwas früher als sonst zusammen. o Bgr.: Vor dem Weitererzählen soll eine "Ratsversammlung" der Kinder über

ein Problem beratschlagen o Dieses Problem habe auch Robinson während der Nacht schon stark

beschäftigt. o Der Vater knüpft an den Vortagsabend unmittelbar an, indem er die

Wirklichkeitsebenen/Zeitebenen der Erzählung auf der einen Seite und der zuhörenden Kinder auf der anderen Seite zu einem gemeinsam Zeithorizont verschmelzen lässt (»gestern«).

5. Textgliederung: o 2 große Abschnitte, die sich durch die Darbietungsform des Erzählens

unterscheiden:

I. einführender epischer Textabschnitt

• der die Raum-Zeit-Koordinaten des Erzählens angibt und • in die besonderen Umstände (früher, Ratsversammlung)

einführt. • funktional: Überleitung

II. Form eines Dialogs als Schwundstufe des Erzählens ( Figurenrede, direkte Rede, zeitdeckendes Erzählen)

• Erzähler der Robinsonade (= Hausvater) und Erzähler der Rahmenhandlung

• 4 Teilabschnitte:

1. Bekanntgabe des Themas der "Ratsversammlung" durch den Hausvater und erste Hypothesenbildung und -überprüfung

2. Feststellung einer Meinungsverschiedenheit durch den erzählenden Hausvater; die Kinder entscheiden sich für eine der beiden gegensätzlichen Thesen

3. Es bilden sich Gruppen/Parteien und es kommt zur Diskussion der Kinder untereinander

4. Der Hausvater fasst die Ergebnisse der Betrachtung und Diskussion zusammen.

Lernziel "überlegen" als kognitive Leistung erreicht Lernziel "beurteilen/werten" des Verhaltens von Robinson erreicht Lernziel "Lehre" vermittelt/erkannt

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Robinsonade

Joachim Heinrich von Campe (1779): Robinsons Umgang mit der Natur

Parteien-/Gruppenbildung in der "Diskussion" der Kinder

Johannes, Gottlieb, Lotte Fritzchen, Nikolas, Dietrich

These: Baum ja These: Baum nein

schöne Früchte, einzigartig alter Baum, der nicht mehr lange trägt

alte Bäume, selbst hohle tragen noch manches Jahr (Achtung vor dem Alter)

durch "Propfen" die Art und Erträge halten (rationales Geschick)

dauert zu lange wichtiger: mit einem Schiff wieder menschliche Gesellschaft erlangen können

Schiffsbau ist mangels Werkzeugs zum Baumfällen und Aushöhlen gar nicht möglich (nur steinerne Axt!)

Fleiß und Ausdauer machen dies möglich (Fleiß, Ausdauer)

mit Fleiß und Ausdauer allein kann Robinson keine Segel produzieren dann muss Robinson rudern

Rudern ist unsicher (Gefahr des Ruderbruchs!) und zu beschwerlich (eigene Erfahrungen in Travemünde, Wagemut)

Erfahrungen (Bootsgrößen u. a.) nicht vergleichbar; Boot für Robinson passend einrichtbar

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Robinsonade

Joachim Heinrich von Campe (1779): Robinsons Umgang mit der Natur

Die Beziehung des Hausvaters zu den Kindern

Die Beziehung des Hausvaters zu den Kindern in Joachim Heinrich von Campes Jugendrobinsonade »Robinson der Jüngere« lässt sich an der Episode "Robinsons Umgang mit der Natur" wie folgt herausarbeiten:

Vater

erwartet, dass sich die Kinder trotz zeitlich früher angesetztem Termin widerspruchslos versammeln

wirft das zentrale Problem auf fasst zusammen gibt Anweisungen, wie weiter

vorzugehen ist hält sich zunächst aus der

Diskussion der Kinder heraus spricht die Kinder am Ende mit

"altväterlichem" Gestus des Überlegenen (»nun, Kinder«) an

erlangt die für einen kurzen Augenblick aufgegebene Dominanz zurück

Kinder

gehorsam gegenüber dem Vater

völlig distanziert wirkende, geradezu emotionslose Diskussion (Modell einer "idealen", konfliktfreien Kommunikation, Streit als negatives Verhalten)

eigene lebensweltliche Erfahrungen werden bei der Betrachtung und Bewertung der erzählten Ereignisse kaum berücksichtigt

Linearinterpretation des Textes dient zur der Bestätigung der Wertvorstellungen der vom Hausvater repräsentierten Gesellschaft (affirmativer Charakter)

Die Beziehung des Hausvaters zu den Kindern (von Campe, Robinson der Jüngere)

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Wider den pädadogischen Robinson Otto Zimmermann, 1906

Ach, über euch Schulmeister! Ich sage euch:

zum Erbarmen ist's! Einer lieben, wilden

Blume habt ihr die schönen Kronenblätter

ausgerissen und zwei Dutzend deutscher

Spruchwörter dafür hineingesteckt, die, statt

Schönheit zu predigen, in fetten, gesperrten

Lettern Moral pauken. Einem einfältigen,

guten Kinde habt ihr die Magisterbrille über

die treuherzigen Augen gesetzt und das stille

Eiland Robinsons zum Katheder eurer

diversen Weisheiten gemacht...

(aus: Otto Zimmermann, Wider den pädagogischen Robinson, 1906)

Arbeitsanregungen

1. Arbeiten Sie die Kritik Otto Zimmermanns an den "Schulmeistern" heraus und erläutern Sie den Zusammenhang in Bezug auf die Motivgeschichte der Robinsonade.

2. Zeigen Sie, welchem pädagogischen Modell der Leseerziehung Zimmermann folgt.

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Literarische Erörterung

"Der Robinson unserer Träume ist ein anderer als der des Daniel Defoe. Sein Held lernt auf der Insel das Korbflechten und die Bibellektüre, Gottesfurcht also und die Mühsal der Arbeit. Und doch ist Defoes Roman zum Sinnbild des Eskapismus geworden. Er gab unserem nie versiegenden Bedürfnis abzuhauen aus dem Hier und Jetzt einen Namen." (U. Greiner, in: Zeit-Bibliothek der 100 Bücher, Hg. F.J. Raddatz, 1980) Erörtern Sie die Problematik und beziehen Sie dabei Ihre Kenntnisse über die Motivgeschichte der Robinsonaden mit ein.

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Zitate Robinson Crusoe Harenbergs Lexikon der Weltliteratur Am stärksten weitergewirkt hat der Robinson Crusoe zweifellos als eine Art Mythos von der Überlebensfähigkeit des Menschen unter widrigen Umständen, als allegorisch komprimierte Legende vom Aufbau einer neuen Zivilisation aus den wenigen geretteten Relikten einer untergegangenen Welt. Dabei mischen sich unmittelbar zeitgebundene Auffassungen - das fraglose Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen Kulturen und der kolonisatorische Anspruch auf Inbesitznahme fremder Länder - mit überzeitlichen Fragestellungen wie dem Konflikt zwischen menschlicher Willensfreiheit und göttlicher Vorsehung. (Harenbergs Lexikon der Weltliteratur 1989, Bd.4: S.2461)