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MURAD W. HOFMANN KORAN

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KOMPAKT

DIEDERICHS

MURAD W.HOFMANN

KORAN

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Die Deutsche Bibliothek – CIP-EinheitsaufnahmeHofmann, Murad Wilfried:

Der Koran / Murad Wilfried Hofmann. – Kreuzlingen ; München :

Hugendubel, 2002(Diederichs kompakt)ISBN 3-7205-2316-0

© Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen / München2002

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Zembsch’ Werkstatt, MünchenTextredaktion: Loel Zwecker, München

Produktion: Maximiliane SeidlSatz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer,

GermeringDruck und Bindung: Huber, Dießen

Printed in Germany

ISBN 3-7205-2316-0

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INHALT

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

Editorische Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

DER KORAN ALS HEILIGE SCHRIFT . . . . . . . . . . . . . 10

DER KORAN ALS OFFENBARUNGSSCHRIFT . . . . . . . 12DIE ENTSTEHUNG DES KORANS . . . . . . . . . . . . . . . 13

Wie die Offenbarung begann . . . . . . . . . . . . . . . . 13Wer war Muhammad? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16Muhammad im Koran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22

DIE SAMMLUNG DES KORANS . . . . . . . . . . . . . . . . . 24Der Koran zu Lebzeiten des Propheten. . . . . . . . 24Die Standardfassung des Korans. . . . . . . . . . . . . . 26Fehlende Verse?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

Schiitische Zweifel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28Satanische Verse?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29‘Umars Steinigungsvers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

Überflüssige Verse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32Frühe Koran-Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

DIE ORGANISATION DES KORANS . . . . . . . . . . . . . . 37Formale Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

1. Teile, Suren, Verse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372. Namen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373. Basmala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384. Zeitliche Ordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395. Periodisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406. Ordnung nach Surenlänge . . . . . . . . . . . . . . 417. Alternative Gliederungen? . . . . . . . . . . . . . . 43

Inhaltliche Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431. Thematische Schwerpunkte . . . . . . . . . . . . . 432. Die »10 Gebote«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443. Strukturanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

DIE SPRACHE DES KORANS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48Poesie und Schönheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48Schwurformeln und Flüche. . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

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Allegorien und Metaphern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52Offenes und Verborgenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55Grammatikalische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . 56Sprachliche Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57Rätselhaftes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61Unnachahmlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

GESCHAFFEN / UNGESCHAFFEN? . . . . . . . . . . . . . . 64

DIE AUSLEGUNG DES KORANS . . . . . . . . . . . . . . . . 66Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66Koran und Sunna. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69Koran-Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70Arabische Koran-Kommentare . . . . . . . . . . . . . . . 73Nicht-arabische Koran-Kommentare. . . . . . . . . . 76

DER KORAN ALS RECHTSQUELLE . . . . . . . . . . . . . . 78Scharia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78Prinzipien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80Idschtihad. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80

DIE BIBEL UND DER KORAN . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82Dogmatische Verknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82Sprachliche Verknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83Inhaltliche Verknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84Widersprüche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

DER KORAN UND DIE WISSENSCHAFT . . . . . . . . . . 89Naturwissenschaftliche Kompetenz? . . . . . . . . . . 89Orakelbuch Koran? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

DIE WISSENSCHAFT UND DER KORAN . . . . . . . . . . 93

DER KORAN IN DER KUNST. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97Kalligraphie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99Rezitation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

VOM UMGANG MIT DEM KORAN. . . . . . . . . . . . . . 103Der Koran im Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103Koran-Schulen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107Chronologische Reihenfolge der Suren . . . . . . . . . 111Zum Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112

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EINLEITUNG

Der Koran ist ein sprechendes Universum. Das Universum ist ein schweigender Koran.

(Islamischer Weisheitsspruch)

Es kommt mir heute recht leichtfertig vor, dass ich michzum Verfassen einer »Einführung in den Koran« bereiterklärte. Hält sich, wer in ein Sachgebiet einführt, nichtfür den Beherrscher der Materie? Davon kann beim Ko-ran nun wirklich nicht die Rede sein:

Sprich: »Wäre das Meer Tinte für die Worte mei-nes Herrn, wahrlich, das Meer wäre erschöpft,bevor die Worte meines Herrn versiegen, selbstwenn wir noch einmal soviel dazu brächten.

(18: 109; ähnlich 31: 27)

Tatsächlich reichen die Bildung eines Einzelnen und sei-ne Lebensspanne nicht aus, diesem Buch auch nur halb-wegs gerecht zu werden. Doch auch die Zusammenarbeitvon Wissenschaftlern – Theologen, Philosophen,Historikern, Anthropologen, Psychologen, Soziologen,Literaturwissenschaftlern, Physikern, Biologen und Ara-bisten – verspräche kein abschließendes Ergebnis; dennder Koran bietet jedem Individuum und jeder Gesell-schaft in jeder Epoche neue Erkenntnisse. Er ist dasjederzeit relevante Buch par excellence.

So machte etwa der evangelische Theologie-ProfessorPaul Schwarzenau die Erfahrung, dass sich ihm der Ko-ran aus seinen »disparaten Teilen« zusammensetzte zueinem »von innen erleuchteten, unendlich facettierten,übergroßen Juwel, das, nach allen Richtungen strah-lend, sich in einer unendlichen Drehung befindet«. Erfand, dass »in jedem Anschliff des Steins ein archetypi-sches Bild aufleuchtet« (»Korankunde für Christen«, 7

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1982). Schwarzenau hatte die »Sprachewerdung Got-tes« erlebt.

Andererseits macht der Koran die Begegnung mit ihm nicht gerade leicht, wegen seiner scheinbaren Un-ordnung, dem unvermittelten Nebeneinander von Bil-dern, Appellen, Erzählungen und praktischen, erdnahenHandlungsanweisungen. Wie soll man ein Buch ertra-gen, das sich in Wiederholungen ergeht und in dem esständig zum abrupten Wechsel der Thematik, Stim-mung und Zeitenfolge und sogar des grammatikalischenSubjekts kommt? In der Tat ist eine gefühlsbetonteAblehnung des Buches häufig. Auch Johann Wolfgangvon Goethe fand sich bei der Lektüre des Korans hin-und hergerissen. Nach einer Notiz zum »West-Östli-chen Divan« war er für ihn ein Buch, »das uns, so oftwir auch daran gehen, immer von neuem anwidert, dannaber anzieht, in Erstaunen setzt und am Ende Vereh-rung abnötigt«.

Man kann über den Koran nicht sprechen, ohne etwasvon Muhammad zu wissen, und von beiden nicht, ohneauf die Religion des Islam einzugehen. Ich habe michtrotzdem bemüht, diese Einführung so weit wie möglichauf den Koran einzugrenzen, zumal es als Gegenstückdazu meine 2001 ebenfalls bei Diederichs erschienene»Einführung in den Islam« gibt.

Andererseits wird mit der vorliegenden Einführungnicht versucht, die eigene Lektüre des Korans zu erübri-gen. Im Gegenteil: Bei der Lektüre sollte man eine Ko-ran-Übersetzung zur Hand haben.

Istanbul, im Spätsommer 2001Murad Wilfried Hofmann

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EDITORISCHE NOTIZ

1. Zitate aus dem Koran wurden folgender Ausgabe ent-nommen: »Der Koran«, aus dem Arabischen von MaxHenning, überarbeitet und herausgegeben von MuradWilfried Hofmann, München: Heinrich HugendubelVerlag (Diederichs) 3. Aufl. 2001.

2. Bei Zitaten aus dem Koran werden die Nummern vonSure und Vers durch einen Doppelpunkt getrennt. »2:185« bezieht sich beispielsweise auf den 185. Vers der2. Sure. In Bibelzitaten sind Kapitel und Vers durchKomma getrennt.

3. Das arabische Wort »Allah« wurde als »Gott« wie-dergegeben, um zu unterstreichen, dass es für alleMenschen nur ein und dasselbe Höchste Wesen gibt.Doch muss man berücksichtigen, dass der muslimi-sche Begriff von Gott frei von christlichen Assoziatio-nen wie Dreifaltigkeit ist.

4. Wenn Muslime den Namen eines Propheten wie Mo-ses, Jesus oder Muhammad aussprechen, fügen sie ei-ne Segensformel (»Der Friede Gottes sei mit ihm!«)hinzu. In Büchern, die sich vorwiegend an Muslimerichten, wird im Text darauf hingewiesen. Hier wurdeim Vertrauen darauf verzichtet, dass Muslime keinersolchen Erinnerung bedürfen.

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DER KORAN ALS HEILIGE SCHRIFT

Gott ist der in Seinen Erscheinungen Unerschie-nene. (Martin Buber)

Mythen, Sagen, Orakel, Legenden, Weisheitssprüche,religiöse Hymnen und Beschwörungsformeln sind dasGedächtnis der Völker. Manches davon hat Schriftformangenommen. Und manche aus vorgeschichtlicher Zeitüberlieferte Schriften genießen den Rang heiligerBücher.

Aus dem indischen Kulturkreis gehören dazu die Ve-den (»Wissen«), einschließlich ihres Kommentars(Schruti), die esoterischen Upanishaden, die 36 Bücherder Puranas (»Das Frühere«) sowie das Epos Mahabha-rata mit seinen 100 000 Doppelversen und dem religiösenLehrgedicht Bhagavadgita. Sie mögen zwischen 1200und 1000 v. Chr. entstanden sein.

Die buddhistische Welt kennt ebenfalls heilige Schrif-ten, darunter den in einem mittelindischen Dialekt ver-fassten Pali-Kanon mit drei lehrhaften »Körben« (Tripi-taka), den (bruchstückhaften) Sanskrit-Kanon sowieSchriften wie Lalitavistara, Mahavastu, Saddharmapun-darika und Prajnaparamita. Diese haben zwar alle im his-torischen Buddha einen historischen Bezugspunkt – Sid-dharta Gautama lebte von 560–480 v. Chr. –, aber keineeindeutigen Verfasser. Manche Schriften sind erst nachChristus aufgetaucht.

Die jüdische Religion basiert auf der Bibel, der»Heiligen Schrift« par excellence. Die hebräische Bibelist allerdings ein Sammelwerk von Schriften sehr ver-schiedenen Alters, aus unterschiedlichen Quellen undÜberlieferungsströmen, über rund 1800 Jahre hinwegentstanden.

In der Regel sind die Verfasser biblischer Bücherunbekannt, jedenfalls aber nicht mit den im Titel angege-benen Namen identisch. 10

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Auch wenn man außer Acht lässt, dass die christlichenKirchen das Alte Testament anders gliedern als die Judenund um 27 Schriften des Neuen Testaments ergänzten,kommt man zu dem Schluss, dass es Bücher recht unter-schiedlichen Inhalts gibt, die sich sämtlich »Die Bibel«nennen; kein Wunder, dass es Katholiken bis 1965 verbo-ten war, andere Versionen als die katholische zu lesen(»Bibelverbot«).

Für Christen ist neben dem Alten vor allem das NeueTestament (NT) Glaubensgrundlage. Dabei handelt essich um 27 Schriften unterschiedlicher Autoren, zuunterschiedlicher Zeit – zwischen 50 und 130 nachChristus – entstanden:

Auf diesen Kanon hatte die Kirche sich nach langemAussonderungsprozess in der 2. Hälfte des 4. Jahrhun-derts geeinigt.

Diese Schriften waren nicht in Jesu Sprache, dem Ara-mäischen, sondern auf Griechisch verfasst worden. Demversucht die christliche Theologie durch Postulierung ei-ner Redequelle »Q« abzuhelfen, einer als verschollen ver-muteten Sammlung von Worten Jesu (Logia Jesu).

Heute besteht unter christlichen Bibelforschern keinZweifel daran, dass keines der vier Evangelien, keiner derKatholischen Briefe und auch die Apokalypse nicht vonihren angeblichen Verfassern stammen. Keiner der unbe-kannten Verfasser war ein Jünger Jesu. Die ältesten undeinzigen voll authentischen Bestandteile des NT stam-men allerdings ausschließlich von Paulus. Doch dieserhatte Jesus niemals gesprochen, ja niemals gesehen.

Jetzt versteht man, dass es sich beim Koran um eineeinzigartig authentische heilige Schrift, ein Buch sui gene-ris ohne Beispiel handelt. • Der Koran ist im vollen Licht der Geschichte des 7.

Jahrhunderts entstanden.• Er ist sofort nach Entstehung schriftlich fixiert wor-

den.• Er hat nicht mehrere oder gar unbekannte Autoren,

sondern wurde einem einzigen Menschen, Muham-mad, übermittelt, dessen Lebensdaten vollständig be-kannt sind. 11

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• Er existiert in derjenigen Sprache, in der er vermitteltwurde: Arabisch.

• Nichts davon ist seither verloren gegangen.

DER KORAN ALS OFFENBARUNGSSCHRIFT

Wenn Schriften als »heilig« bezeichnet werden, ist damitmeist übernatürliche Herkunft, fraglose Wahrheit undbindende Autorität gemeint. In diesem Sinne kann heutenur noch der Koran als »heilig« gelten. Denn der Islamist die einzige Religionsgemeinschaft, die in ihrem Grün-dungsdokument weiterhin eine Verbaloffenbarung Gottessieht: Satz für Satz und Wort für Wort Sein herabgekom-menes Wort (kalam Allah), Seine unmittelbare, Sprachegewordene Mitteilung (tanzil). Alle übrigen als heiligerwähnten Schriften werden heute – außer von einerkleinen Minderheiten von jüdischen und christlichenFundamentalisten – nicht mehr als unmittelbare, verbaleMitteilung Gottes betrachtet, sondern allenfalls als vonGott »inspirierte« oder nur als »weise« Schriften. Inspi-ration (ilham) unterscheidet sich jedoch radikal vonOffenbarung. Ein inspirierter Mensch, wie der junge Al-bert Einstein, hat plötzliche richtige Einfälle, ohne ihreHerkunft zu kennen. Offenbarung hingegen, ob unmit-telbar oder mittelbar, lässt Gott als Quelle erkennen.

Die Anerkennung des Korans als Gottes Wort ist fürden Muslim konstitutiv. Wer dies nicht glaubt, ist keinMuslim. Muslime als »Fundamentalisten« zu bezeich-nen, weil sie als »Islamisten« politisch aktiv sind, ist da-her irreführend. Denn wenn unter Fundamentalismusnach ursprünglicher Definition Schriftgläubigkeit verstan-den wird, sind alle wahren Muslime notwendig Funda-mentalisten.

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DIE ENTSTEHUNG DES KORANS

Der Koran ist zugleich das letzte antike und daserste moderne Buch. (Paul Schwarzenau)

WIE DIE OFFENBARUNG BEGANN

Muhammad, gerade 40, hatte sich Ende Ramadan 610wieder einmal fünf Kilometer nordöstlich von Mekka indie geliebte, meditative Einsamkeit des Jabal Nur (Bergdes Lichts) zurückgezogen, um in der Höhle Hira nach-zusinnen und zu beten. Im Schlummer hatte er plötzlichdie Vision, daß ein Engel (Gabriel) mit dem Befehl vorihn trat: »Lies!« Muhammad antwortete: »Ich kannnicht lesen!« Da umfasste der Engel ihn, bis ihm schierdie Sinne vergingen, und wiederholte seinen Befehl.Dies wiederholte sich dreimal. Dann sagte der Engel:

Trage vor im Namen deines Herrn, Der erschuf –den Menschen erschuf aus einem sich Anklam-mernden! Trage vor! Denn dein Herr ist gütig,Der durch die Schreibfeder gelehrt hat – den Men-schen gelehrt hat, was er nicht wußte. (96: 1–5)

In dieser »Nacht des Schicksals« (lailat al-qadr), am 25.,27. oder 29. Ramadan, begann die koranische Offenba-rung, das die Religion des Islam begründende Wunder.

Muhammad kehrte verwirrt und zitternd zu seinerFrau Khadidscha zurück: »Deck mich zu! Deck michzu!« Als er seine Fassung zurückgewonnen hatte, beganner um seinen Verstand zu fürchten. Noch konnte er sichnicht vorstellen, für den Empfang überirdischer Mittei-lungen ausgewählt und würdig zu sein.

Seine Zweifel daran wuchsen ins kaum Erträgliche, alsMuhammad während der nächsten drei Jahre keine wei-tere göttliche Mitteilung erhielt. Die Offenbarung schien 13

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abgebrochen (fatra al-wahy). Doch dann hörte er Gabri-el sagen:

Wahrlich, Wir werden dir ein gewichtiges Wortanvertrauen! (73: 5)Und: Du bist begnadet von deinem Herrn undnicht besessen! (68: 2) Und: O du Bedeckter! Steh auf und warne. Undverherrliche deinen Herrn ... (74: 1–3) Und: Dein Herr hat dich nicht verlassen und Er verabscheut dich nicht ... Und dein Herr wirddir gewiß bald geben, und du wirst zufrieden sein.Fand Er dich nicht als Waise und nahm dich auf?Und fand Er dich nicht verirrt und leitete dich?

(93: 3, 5–7)

Von da an hatte Muhammad insgesamt 23 Jahre lang im-mer wieder Offenbarungen, bis kurz vor seinem Tod imJahre 632. Muhammad war darüber zum Propheten undStaatsmann geworden und die ihm zugekommenen Mit-teilungen hatten als »Qur’an« (das Vorzutragende) Buch-form angenommen.

Offenbarungen erreichten den Propheten auf unter-schiedliche Weise: Im wachen Zustand und im Schlaf (alsreale Vision), im Ruhezustand und selbst während desReitens. Nur in zwei Fällen erschien ihm Gabriel inLichtgestalt. Muhammad schilderte: »Manchmal erreichtes mich wie Glockengeläute. Das ist für mich am härtes-ten. Wenn es mich verläßt, behalte ich im Gedächtnis,was gesagt wurde.« Offenbar wurde Muhammad währendeiner Offenbarung von »gewichtigen Worten« (73: 5),Worten jenseits seiner selbst erfasst. Seine Frau ‘A’ischabeobachtete, dass ihr Mann während einer Offenbarungauch an bitterkalten Tagen in Schweiß ausbrach.

Als reale Vision erlebte Muhammad 621 eine nächt-liche Reise nach Jerusalem (isra’), gefolgt von einer Himmelsreise (miradsch). Im Koran (17: 1, 60; 53: 1–18) kommt dieses Offenbarungserlebnis ergreifendzum Ausdruck als ein Zustand, in dem der Prophet»außer sich« und doch intellektuell klar war, ergrif-fen, ja überwältigt und doch aufmerksam beobachtend:14

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Beim dem Stern, wenn er sinkt!Euer Gefährte irrt nicht und wurde nicht getäuscht.Noch spricht er aus eigenem Antrieb.Er [der Koran] ist nichts anderes als eine geoffen-barte Offenbarung, die ihn der überaus Mächtigegelehrt hat, der überaus Weise. Aufrecht stand er da am höchsten Horizont.Dann näherte er sich und kam nahe bis auf zweiBogen(schüsse) entfernt oder noch näher und offen-barte seinem Diener, was er zu offenbaren hatte.Sein Herz erlog nicht, was er sah.Wollt ihr ihm denn bestreiten, was er sah?Und wahrlich, er sah ihn noch ein zweites Mal beidem Lotosbaum am äußersten Ende, neben demGarten der Geborgenheit, als den Lotosbaum ver-hüllte, was ihn verhüllte.Da wich der Blick nicht aus, noch schweifte er ab.Wahrlich, er sah einige der größten Wunder seinesHerrn. (53: 1–18)

Wichtig an den koranischen Darstellungen und den vonder islamischen Überlieferung detailgetreu festgehal-tenen Schilderungen ist vor allem, dass• Muhammad von seinem Offenbarungserlebnis über-

rascht und verwirrt wurde: er hatte keine Propheten-karriere für sich geplant;

• das Offenbarungserlebnis nicht mit einem Krankheits-bild (Epilepsie, Schizophrenie) verbunden war: Mu-hammad war geistig und physisch gesund;

• das Erlebnis der Offenbarung im Wesentlichen nichtvisuell war, sondern ein Hörerlebnis. Muhammad warder Typ des auditiven Propheten;

• Muhammad als Analphabet nicht in der Lage war,heimlich religiöse Schrift zu nutzen;

• Muhammad nie als Dichter (scha’ir) oder Seher (ka-hin) öffentlich oder privat in Erscheinung getretenwar; er war nur als Kaufmann bekannt.

Muhammad war zugestoßen, was der Koran wie folgt be-schreibt:

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Es steht gewiß keinem Menschen zu, daß Gott mitihm spricht, es sei denn durch Eingebung (wahy)oder von hinter einem Schleier oder durch Entsen-dung eines Gesandten, um auf Sein Geheiß zuoffenbaren, was Er will ... Und so ließen Wir dir aufUnser Geheiß von Unserem Geist offenbaren. Duwußtest zuvor nicht, was die Schrift und was derGlaube war. Jedoch machten Wir es zu einem Licht,mit dem Wir leiten, wen von Unseren Dienern Wirwollen. Du leitest fürwahr auf den geraden Weg ...

(42: 51–53)

Diese Verse umschreiben eine umfassende Theoriedes Prophetentums.

WER WAR MUHAMMAD?

Über Muhammads Leben seit Beginn der Offenbarungweiß man erstaunlich gut Bescheid, weil er damit einePersönlichkeit der Zeitgeschichte geworden war. Die ers-ten zwei Drittel seines Lebens sind weniger gut doku-mentiert, da er in dieser Zeit keine Aufmerksamkeit er-regt hatte.

Muhammad entstammte dem in Mekka ansässigensüdarabischen Stamm der Koraisch, und zwar der Sippeder Haschimiten. Seit seinem Vorfahren ‘Abd al-Mutta-lib war seine Familie innerhalb der Stadtverwaltung fürdie Ernährung der (heidnischen) Mekka-Pilger und da-mit auch für das Wasser des Brunnens Zamzam im Be-reich des Tempels, der Ka‘aba, zuständig.

Muhammad wurde erst nach dem Tode seines Vaters‘Abdullah im Jahre 569 oder 570 in Mekka geboren. Alser vier Jahre alt war, verbrachte er wie üblich einige Zeitbei Wüstenarabern des Stammes der Banu Sa‘ad, von ei-ner Pflegemutter namens Halima betreut. Seine MutterAmina starb, als er erst sechs Jahre, sein Großvater, als ererst acht Jahre alt war. Von da an kümmerte sich sein ein-flussreicher Onkel Abu Talib, Vater des späteren 4. Kali-fen ‘Ali, um das Waisenkind. Er nahm ihn auf Karawa-16

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nenreisen bis nach Syrien mit und unterrichtete ihn imKaufmannsgewerbe. Dabei hatte er keine Gelegenheit,sich auszuzeichnen, außer in charakterlicher Hinsicht. Inder Tat galt Muhammad als lauter, ehrlich und verläss-lich, was ihm den Rufnamen al-Amin (der Verlässliche)eintrug. Diese Wertschätzung fand besonderen Aus-druck, als die vom Regen zerstörte Ka‘aba 594 wiederaufzubauen war. Als es galt, den Schwarzen Stein (had-schar al-aswad) wieder an seiner alten Stelle anzubringen,einigten sich die aufeinander eifersüchtigen Sippen fürdiese ehrenvolle Tätigkeit auf Muhammad.

Muhammads Familienzweig war so verarmt, dass erkaum an Heiraten denken konnte. Doch da hielt Khadid-scha, die Inhaberin einer Import-Exportfirma, für dieMuhammad zu arbeiten begonnen hatte, 595 um seineHand an (nicht umgekehrt). Sie war bereits zweimal ver-witwet und rund 15 Jahre älter als er. Bis zu ihrem Tod619 führten die beiden, nun auch Geschäftspartner, eineüberaus glückliche, fast 25-jährige Einehe mit sechs Kin-dern, darunter Fatima – als Ehefrau von ‘Ali die Stamm-Mutter aller Nachkommen des Propheten; seine Söhnestarben in frühem Alter.

Khadidscha war der erste Mensch (und Muslim), deran Muhammads göttlichen Auftrag glaubte, noch vorseinem Vetter ‘Ali und seinem engsten Freund Abu Bakr, dem späteren 1. Kalifen. Ihr Kreis erweiterte sichnur langsam, vor allem unter den UnterprivilegiertenMekkas, darunter der schwarze Sklave Bilal, der spätereerste Muezzin. Die Urgemeinde der Muslime traf sichverstohlen unweit der heutigen Großen Moschee ineinem Privathaus namens al-Arkam. Ab 613 begannMuhammad, den Islam öffentlich zu predigen. Stück fürStück wachsend, entwickelte sich der Islam währendseiner mekkanischen Periode zu einer alle anderen Reli-gionen in Frage stellenden Religion mit folgendenHauptaussagen:• Es gibt einen einzigen Gott; dieser ist immanent und

transzendent. (Diese Lehre, tauhid genannt, ist dietheologische Kernaussage des Islam.)

• Gott ist gütig (eine den Arabern fremde Vorstellung). 17

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• Gott hat weder Söhne noch Töchter; wohl aber gibt esEngel und Geister (Dschinn).

• Es gibt ein Leben nach dem Tod, im Himmel (dschan-na) oder in der Hölle (dschahannam). (Auch dies fürAraber eine neue Vorstellung.)

• Über das Schicksal des Menschen im Jenseits entschei-det alleine sein Verhalten während seines Erdenlebens.(Araber neigten zur Schicksalsergebenheit.)

• Jeder ist nur für sich selbst verantwortlich. (In Arabienhaftete jeder für seinen Stamm.)

• Sinn der menschlichen Existenz ist die ErkenntnisGottes und Sein Lob.

• Muhammad ist nur Prophet und als Prophet nur einWarner.

• Er stellt lediglich den unverfälschten MonotheismusAbrahams wieder her, gründet also keine neue Religion.

Dieses waren die überwiegend theologischen Aussagendes »Islam von Mekka«, die später in Medina vor allemum konkretere Kritik an Judentum (Verneinung der Pri-vilegierung als »auserwähltes Volk«) und Christentum(Verneinung von Erbsünde, Erlösungstod, Gottesnaturvon Jesus, Dreifaltigkeit) so wie um zahlreiche Verhal-tensregeln für die islamische Gemeinde (Ritus; Familien-und Erbrecht; Strafrecht und Wirtschaftsrecht) ergänztwurden.

Interessanterweise waren arabisches Juden- und Chris-tentum von den heidnischen Mekkanern nie als Bedro-hung ihrer Werte und ihres Lebensstils empfunden wor-den. Bei Muhammads Botschaft war das anders. Schmäh,üble Nachrede und schließlich immer gewaltsamer wer-dende Anfeindungen ließen nicht auf sich warten.Muhammad wurde als Lügner, Hochstapler und sozialerUmstürzler behandelt, der sich gegen die polytheistischeReligion der Altvorderen versündigte. Das Establishmentvon Mekka fürchtete nicht nur Autoritätsverlust aufGrund der aufsässigen Muslime. Angesichts ihres Egali-tarismus und ihrer Unduldsamkeit gegenüber dem Viel-götterkult der Ka‘aba fürchteten die Stadtväter auch ei-nen empfindlichen Rückgang der (heidnischen) Mekka-18

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Pilgerschaft, von welcher der Wohlstand der Stadt ab-hing.

Vor allem die führende Sippe der Umayaden um ihreFührer Abu Sufyan, Abu Jahl und Abu Lahab, mit demsich die 111. Sure beschäftigen sollte, zeichneten sich inihrer Feindschaft gegenüber den ersten Muslimen aus.Man peinigte sie derart, dass Muhammad 615 der Mehr-heit seiner Muslime nahe legte, beim christlichen Negusvon Abyssinien zeitweilig Asyl zu suchen. Dem Appellfolgten 89 Männer und 18 Frauen.

Solange die Muslime in Mekka blieben, untersagte erihnen, sich der Unterdrückung und Misshandlung mitGewalt zu widersetzen, auch wenn dies durch Notwehrgerechtfertigt gewesen wäre. Das Motto war: Geduld,keine Gegenwehr.

Er selbst widerstand der mekkanischen Politik vonZuckerbrot und Peitsche, die vom Angebot, Muhammadbei Verzicht auf seine Lehre zum König zu machen, biszum Wirtschaftsboykott (616–619) und Mordversuchreichte.

Doch dann – nach dem Tod seines Beschützers AbuTalib und seiner Frau Khadidscha im Jahre 619 – war fürMuhammad und seine Muslime in Mekka kein Bleibenmehr.

622 gab es 400 km nördlich von Mekka in Yathrib(dem späteren al-Madina) bereits 72 Muslime, die sogarschon eine Fassung des bis dahin geoffenbarten Koransbesaßen. Diese Gruppe machte den Muslimen in Mekka621 und 622 in der Nähe von Aqaba das Angebot, in ihreOasenstadt auszuweichen. Grüppchenweise emigriertendaraufhin rund 70 muslimische »Auswanderer« (muhad-schirun) ins medinensische Exil, zuletzt auch Muhammadin Begleitung von Abu Bakr. Wegen dieser weltge-schichtlich epochalen Zäsur beginnt die islamische Zeit-rechnung mit dem Jahr der Auswanderung (hidschra);man bezeichnet die Jahre seither als »n.H.« (nach derHidschra) oder »A.H.« (Anno Hidschri).

Der Prophet verschwisterte in Medina jeweils eineFamilie der Auswanderer mit einer Familie der gastge-benden »Helfer« (ansar) und konföderierte die jüdischen 19

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und arabischen Stämme der Großoase mittels einer vonihm diktierten Verfassungurkunde. Er selbst wurdeStaatsoberhaupt des neuen Stadtstaates; der Koran be-gann jetzt, vom Gehorsam gegen »Gott und Seinen Pro-pheten« zu sprechen (vgl. 8: 46; 47: 33).

Die Hoffnung auf Islamisierung der jüdischen Stämmein Medina – oder doch wenigstens ihrer Neutralität imKampf mit Mekka – trog. Ihre Kollaboration mit Mekkaführte zu ihrer sukzessiven Vertreibung.

Nach Ankunft heiratete Muhammad die blutjunge,hochintelligente ‘A’ischa, Tochter seines besten FreundesAbu Bakr; dem schlossen sich eine Reihe vorwiegenddynastischer Ehen an, mit denen der Prophet seineFreundschaften und sein Staatswesen stabilisierte.

Mekka sah in der Entwicklung des Islam in Medina ei-ne wachsende Gefährdung seiner ideologischen undwirtschaftlichen Machtstellung im arabischen Raum undversuchte daher mehrmals, das Problem Muhammadmilitärisch zu lösen. Die Muslime in Medina befandensich deshalb sowohl strategisch wie taktisch in dauernderDefensive gegenüber Mekka. Jetzt erlaubte Muhammadin Übereinstimmung mit dem Koran die bewaffnete Ver-teidigung. Jetzt war das Motto: Geduld, aber Gegenwehr.

Ein erstes Gefecht im Ramadan 624 (Kräfteverhältnis:324 Muslime, darunter 86 Emigranten, gegen 950 Mek-kaner) führte bei Badr zu einem dramatischen Sieg derMuslime. Dem folgten zwei mekkanische Belagerungenvon Medina: 625 die verlustreiche Schlacht am BergeUhud, bei der Muhammad verwundet wurde (700: 3000),und 627 die Grabenschlacht (khandaq) (1500: 10 000),die mit völliger Demoralisierung der zahlenmäßig haus-hoch überlegenen Mekkaner endete.

Angesichts des damit erzielten Machtgefälles zuguns-ten von Medina konnte Muhammad es schon 628 wagen,mit 1400 Muslimen zu einer kleinen Pilgerfahrt (umra)nach Mekka aufzubrechen: Ein genialer Schachzug, derin Mekka Panik auslöste und im nahe gelegenen Huday-biyya zu einem Waffenstillstand führte, der sich als vor-weggenommene Kapitulation seiner Heimatstadt erwies:Die Muslime erklärten sich bereit, auf Vollzug der Pil-20

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gerfahrt zu verzichten; die Mekkaner versprachen, denmuslimischen Pilgern ihre Stadt im folgenden Jahr zuöffnen. An dieser verschobenen Pilgerfahrt nahmen 629bereits 2000 Muslime teil.

Die Zeit der Kämpfe war damit vorbei. 630 konnteMuhammad, begleitet von 10 000 Muslimen, friedlich inMekka einziehen. Die ganze Stadt und ihre Führung um Abu Sufyan waren wie durch ein stillschweigendes Ple-biszit muslimisch geworden. Die Ka‘aba – von ihren 360 Götzenbildern befreit – wurde wieder monotheis-tisches Gotteshaus wie zu Abrahams Zeiten und alsGebetsrichtung (qibla) aller Muslime geografisches Zent-rum des Islam.

Der Prophet hatte schon vorher mit der Universalisie-rung (oder Globalisierung) des Islam begonnen, indem ersich schon 628 an alle umliegenden Herrscher mit derAufforderung wandte, den Islam anzunehmen: an denbyzantinischen Kaiser Heraclius und den persischenSchah Khosraus II genauso wie an den koptischen Erz-bischof Maukakis von Alexandrien. Die dabei von mus-limischen Gesandten überreichten Briefe des Prophetensind im Wortlaut überliefert; der auf Leder geschriebenean Maukakis ist im Topkapı Museum in Istanbul ausge-stellt.

632 führte Muhammad seine einzige große Pilgerfahrt(hadsch) nach nunmehr für alle Zeiten maßgeblichemislamischem Ritus durch, die Abschiedswallfahrt, so ge-nannt, weil er drei Monate später starb. An diesem regio-nalen Großereignis nahmen bereits rund 140 000 Musli-me teil. Muhammad hielt eine bewegende Predigt amBerghügel ‘Arafat, in der er den Muslimen ans Herz leg-te, gut zu ihren Frauen zu sein, und sich von derGemeinde bescheinigen ließ, dass er die jetzt vollendetegöttliche Botschaft lückenlos ausgerichtet hatte. Inzwi-schen war ihm geoffenbart worden, dass er Gottes letzterProphet (khatam) und der Islam wie im Koran festgelegtdie gottgefällige Religion ist (5: 5).

Muhammad starb in den Armen seiner Frau ‘A’ischaam 8. Juni 632 in Medina und wurde in ihrem Hausbegraben. Sein damaliges Anwesen, Garten (ra’uda) ge- 21

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nannt, ist heute in die Große Moschee von Medina soeinbezogen, dass kein rituelles Gebet in Richtung auf dasGrab verrichtet werden kann – war Muhammad doch nurein Mensch.

MUHAMMAD IM KORAN

Muhammad war nicht Autor, sondern nur Übermittlerdes Korans. Auch ist dieses Buch keineswegs eine Biogra-fie des Propheten. Wer sein Leben kennt, kann dafür imKoran Anhaltspunkte finden. Wer es nicht kennt, kann esaus dem Koran nicht rekonstruieren. Von seinen Zeitge-nossen werden nur Abu Lahab und Zaid im Koran er-wähnt, von den Schauplätzen seines Handelns nur Mek-ka (Bacca), Yathrib (Medina), ‘Arafat, Badr, al-Hidschrund Hunayn.

Die Muslime benannten die 47. Sure zwar nach Mu-hammad. Er kommt im Koran allerdings nur viermalnamentlich vor. Gott wendet sich jedoch im gesamten Ko-ran in direkter Anrede an Muhammad, häufig mit der Auf-forderung: »Sprich: ...« (»qul ...«), und nennt ihn Seinen»Gesandten« und »Warner«.

Hinsichtlich Muhammad stellt der Koran vor allem klar,dass er• ein einfacher Mensch ist, der isst und trinkt und »auf

den Markt geht«;• kein Dichter (scha’ir) und kein Weissager (kahin), son-

dern• der letzte unter den Propheten bzw. ihr Siegel (kha-

tam; 33: 40) im Rahmen der jüdisch-christlichenHeilsgeschichte ist,

• der keine Macht hat, Wunder zu wirken, und dessen• Aufgabe lediglich darin besteht, die Botschaft Gottes

auszurichten, nicht aufzuzwingen.

Da, wo von Muhammad im Koran die Rede ist, ist diesfür den Propheten nicht immer schmeichelhaft, wird erdoch von Gott mehrfach gerügt. In 66: 1 wird ihm vorge-22

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worfen: Warum verbietest du, was Gott dir erlaubthat? In 18: 23 f. wird ihm vorgehalten, dass er in Aussichtgestellt hatte, am folgenden Tag eine erläuternde Offen-barung zu bringen, ohne dies in Gottes Ermessen zu stel-len. Doch die 80. Sure enthält die härteste Maßregelung,weil Muhammad die Stirn gerunzelt hatte, als er im Ge-spräch mit einem einflussreichen Mekkaner von einemarmen Blinden unterbrochen worden war:

Was aber ließ dich wissen, daß er sich nicht läuternwollte?Oder Belehrung suchte und die Belehrung ihmgenutzt hätte?Was aber den betrifft, der glaubt, auf niemandangewiesen zu sein, den empfingst du, ohne dichdaran zu stören, daß er sich nicht läutern will!Was aber den betrifft, der voll Eifer zu dir kommtund voll Gottesfurcht ist, um den kümmerst dudich nicht! Nicht so! Dies ist eine wirkliche Ermahnung.

(80: 3–11)

Auf eine vierte Kritik an Muhammad (13: 37) wird imZusammenhang mit den »satanischen Versen« einzuge-hen sein.

Kritik am Fehlverhalten eines Propheten kommt inanderen heiligen Schriften selbst dann nicht vor, wennüber schlimmes Versagen, etwa von David, berichtetwird. Dass der Koran Kritik an Muhammad enthält, istIndizienbeweis dafür, dass er keineswegs Autor des Bu-ches ist, sondern seinen Text als Gotteswort respektierte.

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Wilfried Hofmann

Der Koran

Gebundenes Buch, Broschur, 112 Seiten, 10,5 x 18,0 cmISBN: 978-3-7205-2316-5

Diederichs

Erscheinungstermin: März 2002

* Die authentische Einführung in das heilige Buch des Islam * Von einem prominentendeutschen Muslim und langjährigen Islam-Experten * Die Gebote und Vorschriften, die Poesieund die Spiritualität des Islam * Was sagt der Koran zu Terror, Mord und Selbsttötung?