MZ Die Abgründe der Diven -...

1
KULTUR AZ_KUL_3 25 MUSIK, GLEICH UM DIE ECKE Für den einen ist eine Blumenwiese ein Hau- fen Gras, für den an- dern sind es blühende Individuen, die alle einen Namen haben. Der italienische Schlagzeuger Roberto Gatto ist ein musikalischer Botaniker, er hat offene Sinne und Ohren, und deshalb findet er seine Mu- sik gleich um die Ecke. Es sind nicht hochgezüchtete Orchideen und Gerbera, Gatto findet sim- ple Wiesenblumen, wunder- schön in ihrer Einfachheit. Und zusammen mit seinen Gärtner- kollegen, u.a. Paolo Fresu und Stefano Bollani, bindet er dar- aus einen bunten Sommer- strauss, leicht und luftig, farbig und überraschend. BEAT BLASER Roberto GattoThe Music Next Door. Emarcy. ★★★★COLTRANE NEU BELEUCHTET Steve Kuhns neueste Einspielung für ECM ist eine faszinierende musikalische Ver- beugung vor John Coltrane. Man er- innert sich: Der 21-jährige Kuhn war 1960 während dreier Mona- te Pianist in Coltranes Experi- mentierphase, die – allerdings mit McCoy Tyner am Piano – zu einer der wichtigsten Combos der Jazzgeschichte werden sollte. Eine Idee davon, wie das Coltrane-Quartett mit Kuhn statt Tyner hätte klingen können, liefert «Mostly Coltrane»; das Steve Kuhn Trio mit dem gros- sen und in seinem Eklektizismus originellen Joe Lovano. Kuhn und Lovano interagieren auf der Basis von 11 Coltrane-Klassikern auf gleicher Ebene, die Rolle von Solist und Begleiter in ei- nem faszinierenden Ansatz völ- lig ignorierend. JÜRG SOMMER Steve Kuhn Trio with Joe Lovano Mostly Coltrane. ECM/Phonag. ★★★★★ jazz aktuell US-Fotograf Tom Wilkes gestorben Der amerikanische Fotograf Tom Wilkes, der in den 60er- und 70er-Jahren mit Plat- tencovern für die Beatles, Janis Joplin, The Rolling Stones oder Joe Cocker be- kannt geworden ist, erlag im Alter von 69 Jahren einem Herzinfarkt. Dies teilte die «New York Times» am Samstag mit. Ge- storben sei Wilkes jedoch bereits am 26. Juni, wie seine Tochter bekannt gab. (MZ) Die Abgründe der Diven Stars machten die Eröffnung des Menuhin Festival in Gstaad zum viel besuchten Ereignis. Doch nicht alles war goldig, was am Alpenfirn glänzte. CHRISTIAN BERZINS, GSTAAD Als Christoph Müller am Freitagmor- gen beim ersten Blick aus dem Fenster das Rüeblihorn anblinzelte, da hatte er noch keine Ahnung, in welche Ab- gründe er wenige Stunden später blicken würde. «Schauen Sie hinein!», fordert um 11 Uhr die weltberühmte Mezzosopra- nistin Vesselina Kasarova resolut – und sperrte den Mund auf. Tatsächlich: al- les erschreckend gerötet, ein Auftritt unmöglich. Festivaleröffnung, Radio- direktübertragung, geladene Gäste! Das ganze Glück von Festivalleiter Mül- ler ein roter Abgrund? In Saanen gibts zwar einen Flugplatz, aber woher soll- te eine Sängerin, die auf Weltniveau Haydn-Arien singen kann, binnen vier Stunden eingeflogen werden? Sopranistin Elena Mosuc sitzt in Zürich, überlegt, was sie kochen soll, als der Anruf aus Gstaad kommt. Sie überfliegt ihre Bibliothek, zieht Mo- zarts «Exultate Jubilate» heraus, ver- spricht, zusätzlich zwei Arien aus «Don Giovanni» zu singen, nimmt eine Konzertrobe aus dem Schrank – und lässt sich von ihrem Manager nach Gstaad fahren. Um 18 Uhr steht sie für eine kurze Probe vor dem Orchester. Dass auf den Notenständern die richti- gen Noten liegen, ist ein logistisches Festspielwunder. WURDE AUF DER einen Seite mit fie- bernder Aufregung nach Lösungen ge- sucht, nahm auf der anderen alles sei- nen schönen Lauf: Um 19 Uhr werden im «Bernerhof» die letzten Dessert- variationen serviert, dann verschiebt sich der Tross der Klassikfreunde nach Saanen. Die Kleinbusse laden ihre Gäs- te auf dem Dorfplatz aus. Die Chalet- besitzer rollen in ihren Karossen an. Tröstlich ists, dass auch Blaublütige unter dem Regenschirm Schutz su- chen müssen: Der Stimmung tuts kei- nen Abbruch, ja das Leuchten der Au- gen von Gräfin Setsuko Klossowska de Rola – der Witwe des Malers Balthus – entschädigt für den ausbleibenden Al- penblick. Schon bald mahnt Glocken- schellen zum Eintritt in die engen Saaner Kirchenbänke. Bequem ists hier nicht, aber stimmungsvoll und wundersam intim wirkt dieser Zau- berraum. Ob die traditionellen, sal- bungsvollen Pfarrer-Worte die pochen- den Herzen der Musiker beruhigen? Diese Aufregung wurde zur beben- den Erregung: Mit mächtigem Ton stieg Elena Mosuc in Donna Annas ers- te Arie ein. «Nun kennt Du den Namen des Mörders!» Gewiss, da ist Dramen- potenzial drin – doch so viel? Ein De- tail, denn die Linien waren wunder- bar ausgeformt, Mosucs Timbre von prächtig überreifem Himbeerrot ge- prägt. Mozarts Kirchen-Kantate «Exul- tate Jubilate», dieses Koloratur-Bijou des jungen Mozart, schien besser als die Opernarien ins Programm zu pas- sen. Und Mosuc sang zwar weniger an- dächtig als brave Schweizer Sopranis- tinnen der Vergangenheit, dafür aber mit glühendem Furor und katholi- scher Inbrunst. Dieser Furor war be- grüssenswert, da das bemitleidens- werte Basler Kammerorchester wegen der fehlenden Proben kaum mehr Im- pulse setzen konnte – und vom Diri- genten keine erhielt. Komponist, Tau- sendsassa und Dirigent HK Gruber stand vor den Musikern, als dirigierte er Fahrstuhlmusik. Was für Abgründe, welch Geheim- nisse, welche Spannung lägen in der Einleitung der 22. Sinfonie von Joseph Haydn! Gruber liess auch hier brav spielen, betonte zwar ein paar Effekte, aber erkannte keine Innenarchitektur. Ja selbst seinem eigenen Violinkonzert von 1988 hätte man einen anderen Verwalter gewünscht. Da mochte sich Solistin Julia Schröder, normalerweise Konzertmeisterin des Basler Kammer- orchesters, noch so kühn in Grubers Konzert stürzen. NOCH MEHR BESUCHER als die Eröff- nung zog der zweite Abend an, da nun auch auf dem Podium hinter dem Flü- gel Platz war: Frankreichs Klavierstern Hélène Grimaud spielte Bach und Beethoven. Von Bach hatte sie zur Hälfte Bearbeitungen ausgewählt – von Busoni, Liszt und Rachmaninow. Und darin suchte sie nicht nach Bach, sondern nach den Romantikern, nach den Bearbeitern. Legitim, doch wenig reizvoll, wenn die Technik nur gut, aber nicht hinreissend ist. Gewiss brachte Grimaud gewaltige Klang- schichtungen zum Glänzen, aber die selbst in den Bearbeitungen immer lockende Bachsche Klarheit wurde mit gar viel Pedalgebrauch vernebelt. Er- staunlicherweise gestaltete Grimaud Bachs Originalwerke gar nicht so an- ders: das Virtuose suchend, die Klar- heit verwischend. Und wo Beethoven in seinem op. 109 nur schlicht ist, sucht Grimaud nach Ausdruck; selbst wo die Architektur im Vordergrund stehen sollte, will die Französin ro- mantische Klangentfaltung. VOLLKOMMENHEIT lautet das Thema des 53. Menuhin Festival. Gewiss, in der Musik, in der Kunst, gibt es sie zuletzt. Doch bemitleidenswert jener Festivalgast, der sie nicht sucht – und für sich persönlich trotz Kritiker fin- det. Menuhin Festival Zahlreiche Konzerte in Kirche(n) und Zelt bis 5. September. STREBT NACH VOLLKOMMENHEIT Hélène Grimaud am Samstagabend in der völlig ausverkauften Kirche von Saanen. HELENE DODET / MENUHIN FESTIVAL Superstar Prince setzte Montreux die Krone auf Als einzigen Auftrittsort weltweit wählte Prince dieses Jahr die Schweiz. Am Montreux Jazzfestival begeisterte der 50-Jährige am Samstag seine Fans mit zwei spannenden Konzerten, in denen er viele eher unbekannte, ältere Stücke spielte. STEFAN KÜNZLI Nach der Uraufführung des Klavier- Gipfeltreffens von Lang Lang und Her- bie Hancock ist das Doppelkonzert von Prince der zweite grosse Coup des Mon- treux Jazzfestival 2009. Der einzige Auf- tritt Seiner Majestät weltweit in diesem Jahr. Der künstlerische Wert war bei Prince aber um ein Vielfaches grösser als bei den beiden Klavierstars. PRINCE STARTET seinen Marathon um 19.30 Uhr, mit einer halben Stunde Ver- spätung. «My name is Prince», schallt es über die Lautsprecher und der Super- star betritt, ganz in Rot gekleidet, die Bühne. Für Montreux hat er eine exqui- site, Prince-erprobte, mit allen Wassern des Funks, Souls und Jazz gewaschene Band zusammengestellt: Bassistin Rhon- da Smith, die in letzter Zeit auch mit Candy Dulfer unterwegs war, der spek- takuläre Drummer John Blackwell, der auch bei Justin Timberlake den Takt an- gibt, Keyboarder Morris Hayes und der Brasilianer Renato Neto an Piano und Keyboards. Im ersten Set ist das Tempo eher ver- halten. Balladen und Mid-Tempo-Stücke mit schwerelosem Sound dominieren. Viel Platz und Raum für Interaktion unter den Musikern, aber auch mit dem euphorischen Publikum. Auch der 50-jährige Sänger und Gitarrist ist glän- zend aufgelegt und wirkt erstaunlich jugendlich. Vor allem das erste, rund anderthalbstündige Set ist, speziell für Montreux, sehr jazzig ausgefallen. In den swingenden Passagen zeichnet sich Neto mit vielen brillanten Soli aus. Auch Prince soliert auf seiner roten Fen- der (passend zum Anzug) mehr als üb- lich. Doch die swingenden Sechzehntel- Kaskaden sind nicht seine Sache. Der vom Blues geprägte Gitarrist biegt und dehnt die Töne. Er lässt seine Gitarre singen und bietet damit einen wunder- baren Kontrast zu Neto. Das zweite Prince-Konzert beginnt kurz vor Mitternacht wie das erste mit dem unbekannten Song «When I Lay My Hands On You» (vom Album «High», 2000, das nur online verfügbar ist). Doch dann legt Prince in einer Serie von Cover-Versionen einen Zacken zu. Mit Power-Jazzrock von Billy Cobhams «Stratus», «All Shook Up» von Elvis und «Spanish Castle Magic» von Jimi Hen- drix geht die Party los. NUR KNAPP DIE HÄLFTE der Songs spielt Prince in beiden Sets. Darunter das jazzige «In a Large Room With No Light», das der Meister speziell für Mon- treux geschrieben hat. Dazu leistet er sich den Luxus, dass er nur zwei seiner Superhits spielt: «Nothing Compares To You» und «Purple Rain» jeweils als letzte Zugaben. Dafür relativ viel unbekann- tes, älteres Material oder gar solches, das nur im Netz oder aber gar nicht erhält- lich ist. Dazu interpretiert er die Stücke immer wieder neu. Oder verändert den Text: «All the Critics Love You In New York» aus dem Album «1999» wird dem Standort Montreux angepasst. Prince machts auch hier anders als alle anderen. Er hintertreibt die Erwar- tungen des Publikums und widersetzt sich auch am Konzert den vermeintli- chen Regeln des Erfolgs. Dazu verzich- tet er auch darauf, sein fantastisches neues Dreifach-Werk «Lotusflower» live prominent vorzustellen. Nur gerade drei Songs spielt er – auch das gilt im Business als Todsünde. Überraschung, nicht Wiedererkennung ist das Leitmo- tiv von Prince in Montreux. Das Konzert wird zum Erlebnis, zum musikalisch spannenden, hochstehenden Abenteu- er. Musikalische Sternstunden zum Ab- schluss des Montreux Jazzfestival 2009. DER STAR Prince nach seinem Auftritt unterwegs zum Hotel. Beim Konzert sel- ber durfte nicht fotografiert werden. REUTERS Montag, 20. Juli 2009 MZ 25

Transcript of MZ Die Abgründe der Diven -...

Page 1: MZ Die Abgründe der Diven - artisticmanagement.chartisticmanagement.ch/wp-content/uploads/2015/11/Mittelland... · mit McCoy Tyner am Piano – zu einer der wichtigsten Combos der

KULTUR

AZ_KUL_3 25

MUSIK, GLEICHUM DIE ECKEFür den einen ist eineBlumenwiese ein Hau-fen Gras, für den an-dern sind es blühende

Individuen, die alle einen Namen haben. Der italienischeSchlagzeuger Roberto Gatto ist ein musikalischer Botaniker,er hat offene Sinne und Ohren,und deshalb findet er seine Mu-sik gleich um die Ecke. Es sindnicht hochgezüchtete Orchideenund Gerbera, Gatto findet sim-ple Wiesenblumen, wunder-schön in ihrer Einfachheit. Undzusammen mit seinen Gärtner-kollegen, u.a. Paolo Fresu undStefano Bollani, bindet er dar-aus einen bunten Sommer-strauss, leicht und luftig, farbigund überraschend. BEAT BLASER

Roberto GattoThe Music Next Door. Emarcy. ★★★★★★

COLTRANENEU BELEUCHTET Steve Kuhns neuesteEinspielung für ECMist eine faszinierendemusikalische Ver-beugung vor JohnColtrane. Man er-

innert sich: Der 21-jährige Kuhnwar 1960 während dreier Mona-te Pianist in Coltranes Experi-mentierphase, die – allerdingsmit McCoy Tyner am Piano – zueiner der wichtigsten Combosder Jazzgeschichte werden sollte. Eine Idee davon, wie dasColtrane-Quartett mit Kuhn statt Tyner hätte klingen können,liefert «Mostly Coltrane»; dasSteve Kuhn Trio mit dem gros-sen und in seinem Eklektizismusoriginellen Joe Lovano. Kuhnund Lovano interagieren auf derBasis von 11 Coltrane-Klassikernauf gleicher Ebene, die Rollevon Solist und Begleiter in ei-nem faszinierenden Ansatz völ-lig ignorierend. JÜRG SOMMER

Steve Kuhn Trio with Joe Lovano

Mostly Coltrane. ECM/Phonag.★★★★★

jazz

aktuell

US-Fotograf TomWilkes gestorbenDer amerikanische Fotograf Tom Wilkes,der in den 60er- und 70er-Jahren mit Plat-tencovern für die Beatles, Janis Joplin,The Rolling Stones oder Joe Cocker be-kannt geworden ist, erlag im Alter von 69Jahren einem Herzinfarkt. Dies teilte die«New York Times» am Samstag mit. Ge-storben sei Wilkes jedoch bereits am 26.Juni, wie seine Tochter bekannt gab. (MZ)

Die Abgründe der DivenStars machten die Eröffnung des Menuhin Festival in Gstaad zumviel besuchten Ereignis. Doch nicht alles war goldig, was am Alpenfirn glänzte.

CHRISTIAN BERZINS, GSTAAD

Als Christoph Müller am Freitagmor-gen beim ersten Blick aus dem Fensterdas Rüeblihorn anblinzelte, da hatteer noch keine Ahnung, in welche Ab-gründe er wenige Stunden späterblicken würde.

«Schauen Sie hinein!», fordert um11 Uhr die weltberühmte Mezzosopra-nistin Vesselina Kasarova resolut – undsperrte den Mund auf. Tatsächlich: al-les erschreckend gerötet, ein Auftrittunmöglich. Festivaleröffnung, Radio-direktübertragung, geladene Gäste!Das ganze Glück von Festivalleiter Mül-ler ein roter Abgrund? In Saanen gibtszwar einen Flugplatz, aber woher soll-te eine Sängerin, die auf WeltniveauHaydn-Arien singen kann, binnen vierStunden eingeflogen werden?

Sopranistin Elena Mosuc sitzt inZürich, überlegt, was sie kochen soll,als der Anruf aus Gstaad kommt. Sieüberfliegt ihre Bibliothek, zieht Mo-zarts «Exultate Jubilate» heraus, ver-spricht, zusätzlich zwei Arien aus«Don Giovanni» zu singen, nimmt eineKonzertrobe aus dem Schrank – undlässt sich von ihrem Manager nachGstaad fahren. Um 18 Uhr steht sie füreine kurze Probe vor dem Orchester.Dass auf den Notenständern die richti-gen Noten liegen, ist ein logistischesFestspielwunder.

WURDE AUF DER einen Seite mit fie-bernder Aufregung nach Lösungen ge-sucht, nahm auf der anderen alles sei-nen schönen Lauf: Um 19 Uhr werdenim «Bernerhof» die letzten Dessert-variationen serviert, dann verschiebtsich der Tross der Klassikfreunde nachSaanen. Die Kleinbusse laden ihre Gäs-te auf dem Dorfplatz aus. Die Chalet-besitzer rollen in ihren Karossen an.Tröstlich ists, dass auch Blaublütigeunter dem Regenschirm Schutz su-chen müssen: Der Stimmung tuts kei-nen Abbruch, ja das Leuchten der Au-gen von Gräfin Setsuko Klossowska deRola – der Witwe des Malers Balthus –entschädigt für den ausbleibenden Al-penblick. Schon bald mahnt Glocken-schellen zum Eintritt in die engenSaaner Kirchenbänke. Bequem istshier nicht, aber stimmungsvoll undwundersam intim wirkt dieser Zau-berraum. Ob die traditionellen, sal-bungsvollen Pfarrer-Worte die pochen-den Herzen der Musiker beruhigen?

Diese Aufregung wurde zur beben-den Erregung: Mit mächtigem Tonstieg Elena Mosuc in Donna Annas ers-te Arie ein. «Nun kennt Du den Namendes Mörders!» Gewiss, da ist Dramen-potenzial drin – doch so viel? Ein De-tail, denn die Linien waren wunder-bar ausgeformt, Mosucs Timbre vonprächtig überreifem Himbeerrot ge-

prägt. Mozarts Kirchen-Kantate «Exul-tate Jubilate», dieses Koloratur-Bijoudes jungen Mozart, schien besser alsdie Opernarien ins Programm zu pas-sen. Und Mosuc sang zwar weniger an-dächtig als brave Schweizer Sopranis-tinnen der Vergangenheit, dafür abermit glühendem Furor und katholi-scher Inbrunst. Dieser Furor war be-grüssenswert, da das bemitleidens-werte Basler Kammerorchester wegender fehlenden Proben kaum mehr Im-pulse setzen konnte – und vom Diri-genten keine erhielt. Komponist, Tau-sendsassa und Dirigent HK Gruberstand vor den Musikern, als dirigierteer Fahrstuhlmusik.

Was für Abgründe, welch Geheim-nisse, welche Spannung lägen in derEinleitung der 22. Sinfonie von JosephHaydn! Gruber liess auch hier bravspielen, betonte zwar ein paar Effekte,aber erkannte keine Innenarchitektur.Ja selbst seinem eigenen Violinkonzertvon 1988 hätte man einen anderenVerwalter gewünscht. Da mochte sichSolistin Julia Schröder, normalerweiseKonzertmeisterin des Basler Kammer-orchesters, noch so kühn in GrubersKonzert stürzen.

NOCH MEHR BESUCHER als die Eröff-nung zog der zweite Abend an, da nunauch auf dem Podium hinter dem Flü-gel Platz war: Frankreichs KlaviersternHélène Grimaud spielte Bach undBeethoven. Von Bach hatte sie zurHälfte Bearbeitungen ausgewählt –von Busoni, Liszt und Rachmaninow.Und darin suchte sie nicht nach Bach,sondern nach den Romantikern, nachden Bearbeitern. Legitim, doch wenigreizvoll, wenn die Technik nur gut,aber nicht hinreissend ist. Gewissbrachte Grimaud gewaltige Klang-schichtungen zum Glänzen, aber dieselbst in den Bearbeitungen immerlockende Bachsche Klarheit wurde mitgar viel Pedalgebrauch vernebelt. Er-staunlicherweise gestaltete GrimaudBachs Originalwerke gar nicht so an-ders: das Virtuose suchend, die Klar-heit verwischend. Und wo Beethovenin seinem op. 109 nur schlicht ist,sucht Grimaud nach Ausdruck; selbstwo die Architektur im Vordergrundstehen sollte, will die Französin ro-mantische Klangentfaltung.

VOLLKOMMENHEIT lautet das Themades 53. Menuhin Festival. Gewiss, inder Musik, in der Kunst, gibt es siezuletzt. Doch bemitleidenswert jenerFestivalgast, der sie nicht sucht – undfür sich persönlich trotz Kritiker fin-det.

Menuhin Festival Zahlreiche Konzertein Kirche(n) und Zelt bis 5. September.

STREBT NACH VOLLKOMMENHEIT Hélène Grimaud am Samstagabend in der völligausverkauften Kirche von Saanen. HELENE DODET / MENUHIN FESTIVAL

Superstar Prince setzte Montreux die Krone aufAls einzigen Auftrittsort weltweit wählte Prince dieses Jahr die Schweiz. Am Montreux Jazzfestival begeisterte der 50-Jährigeam Samstag seine Fans mit zwei spannenden Konzerten, in denen er viele eher unbekannte, ältere Stücke spielte.

STEFAN KÜNZLI

Nach der Uraufführung des Klavier-Gipfeltreffens von Lang Lang und Her-bie Hancock ist das Doppelkonzert vonPrince der zweite grosse Coup des Mon-treux Jazzfestival 2009. Der einzige Auf-tritt Seiner Majestät weltweit in diesemJahr. Der künstlerische Wert war beiPrince aber um ein Vielfaches grösserals bei den beiden Klavierstars.

PRINCE STARTET seinen Marathon um19.30 Uhr, mit einer halben Stunde Ver-spätung. «My name is Prince», schallt esüber die Lautsprecher und der Super-star betritt, ganz in Rot gekleidet, dieBühne. Für Montreux hat er eine exqui-site, Prince-erprobte, mit allen Wasserndes Funks, Souls und Jazz gewascheneBand zusammengestellt: Bassistin Rhon-da Smith, die in letzter Zeit auch mitCandy Dulfer unterwegs war, der spek-takuläre Drummer John Blackwell, der

auch bei Justin Timberlake den Takt an-gibt, Keyboarder Morris Hayes und derBrasilianer Renato Neto an Piano undKeyboards.

Im ersten Set ist das Tempo eher ver-halten. Balladen und Mid-Tempo-Stückemit schwerelosem Sound dominieren.Viel Platz und Raum für Interaktionunter den Musikern, aber auch mitdem euphorischen Publikum. Auch der50-jährige Sänger und Gitarrist ist glän-zend aufgelegt und wirkt erstaunlichjugendlich. Vor allem das erste, rundanderthalbstündige Set ist, speziell fürMontreux, sehr jazzig ausgefallen. Inden swingenden Passagen zeichnet sichNeto mit vielen brillanten Soli aus.Auch Prince soliert auf seiner roten Fen-der (passend zum Anzug) mehr als üb-lich. Doch die swingenden Sechzehntel-Kaskaden sind nicht seine Sache. Dervom Blues geprägte Gitarrist biegt unddehnt die Töne. Er lässt seine Gitarre

singen und bietet damit einen wunder-baren Kontrast zu Neto.

Das zweite Prince-Konzert beginntkurz vor Mitternacht wie das erste mitdem unbekannten Song «When I Lay MyHands On You» (vom Album «High»,2000, das nur online verfügbar ist).Doch dann legt Prince in einer Serievon Cover-Versionen einen Zacken zu.Mit Power-Jazzrock von Billy Cobhams«Stratus», «All Shook Up» von Elvis und«Spanish Castle Magic» von Jimi Hen-drix geht die Party los.

NUR KNAPP DIE HÄLFTE der Songsspielt Prince in beiden Sets. Darunterdas jazzige «In a Large Room With NoLight», das der Meister speziell für Mon-treux geschrieben hat. Dazu leistet ersich den Luxus, dass er nur zwei seinerSuperhits spielt: «Nothing Compares ToYou» und «Purple Rain» jeweils als letzteZugaben. Dafür relativ viel unbekann-

tes, älteres Material oder gar solches, dasnur im Netz oder aber gar nicht erhält-lich ist. Dazu interpretiert er die Stückeimmer wieder neu. Oder verändert denText: «All the Critics Love You In NewYork» aus dem Album «1999» wird demStandort Montreux angepasst.

Prince machts auch hier anders alsalle anderen. Er hintertreibt die Erwar-tungen des Publikums und widersetztsich auch am Konzert den vermeintli-chen Regeln des Erfolgs. Dazu verzich-tet er auch darauf, sein fantastischesneues Dreifach-Werk «Lotusflower» liveprominent vorzustellen. Nur geradedrei Songs spielt er – auch das gilt imBusiness als Todsünde. Überraschung,nicht Wiedererkennung ist das Leitmo-tiv von Prince in Montreux. Das Konzertwird zum Erlebnis, zum musikalischspannenden, hochstehenden Abenteu-er. Musikalische Sternstunden zum Ab-schluss des Montreux Jazzfestival 2009.

DER STAR Prince nach seinem Auftritt unterwegs zum Hotel. Beim Konzert sel-ber durfte nicht fotografiert werden. REUTERS

Montag, 20. Juli 2009MZ25