n u Mikroschadstoff -Strategie d S · Am 10.9.2016 waren weltweit 119.748.799 chemische Sub-stanzen...

10
Mikroschadstoff -Strategie Standpunkt Juni 2017 11

Transcript of n u Mikroschadstoff -Strategie d S · Am 10.9.2016 waren weltweit 119.748.799 chemische Sub-stanzen...

Page 1: n u Mikroschadstoff -Strategie d S · Am 10.9.2016 waren weltweit 119.748.799 chemische Sub-stanzen gemeldet. Diese Zahlen zeigen, dass bei der not-wendigen Verminderung von Mikroschadstoffen

Mikroschadstoff-Strategie

Standpunk

t

Juni 201711

Page 2: n u Mikroschadstoff -Strategie d S · Am 10.9.2016 waren weltweit 119.748.799 chemische Sub-stanzen gemeldet. Diese Zahlen zeigen, dass bei der not-wendigen Verminderung von Mikroschadstoffen

Inhalt

1. Anlass 3

2. Priorisierung zur Minderung der Mikroschadstoff-Einträge 4

3. Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Minimierung des Eintrages von Mikroschadstoffen in den Wasserkreislauf 5

4. Minimierung der Mikroschadstoffe im Abwasser 6

5. Öffentlichkeitsarbeit 8

6. Maßnahmenvergleich 9

2 BUNDstandpunkt

Page 3: n u Mikroschadstoff -Strategie d S · Am 10.9.2016 waren weltweit 119.748.799 chemische Sub-stanzen gemeldet. Diese Zahlen zeigen, dass bei der not-wendigen Verminderung von Mikroschadstoffen

3Mikroschadstoff-Strategie

In letzter Zeit mehren sich Befunde, wonach empfind-liche Arten wirbelloser Tiergruppen (z.B. Eintagsflie-gen, Steinfliegen, Köcherfliegen) in Fließgewässern bei

Konzentrationen von Mikroschadstoffen verschwinden,die (im unteren Nanogramm-Bereich) niedriger sind alsErgebnisse aus Laboruntersuchungen erwarten lassen. Dasbedeutet, dass festgelegte Umweltqualitätsnormen, die inder Regel auf den Ergebnissen von Laboruntersuchungenberuhen, solche Arten nicht zu schützen vermögen.

Eine plausible Erklärung dafür ist, dass die meisten Stu-dien über die Auswirkungen von Substanzen auf Wasser-organismen die Wirkung eines Einzelstoffes erfassen. InGewässern wirken meist mehrere Verbindungen gleich-zeitig auf Flora und Fauna. Dazu zeigen Untersuchungen,dass Mischungen mehrerer Wirkstoffe negative Effekte zei-gen, auch wenn die Einzelsubstanzen in denselben Kon-zentrationen wirkungslos sind. Hinzu können Effekte derAnreicherung von organischen Schadstoffen an Mikro-plastik kommen, die als Nahrung von Wassertieren auf-genommen wird.

Renaturierungsmaßnahmen sind darauf ausgelegt, Lebens-räume für empfindliche Arten zur Neubesiedlung anzu-bieten. Bei der Kontrolle von 58 bundesweit durchgeführ-ten Renaturierungsprojekten ergaben sich keine signifi-kanten Verbesserungen des Makrozoobenthos und nurgeringe Effekte bei Fischen und höheren Pflanzen. Einmöglicher Grund dafür sind zu hohe Konzentrationen anMikroschadstoffen in den Gewässern. Der anzustrebendegute ökologische Zustand lässt sich damit nicht erreichen.Aus dem Hessischen Ried (Südhessen) liegen Untersu-chungsergebnisse aus Fließgewässern und dem Grund-wasser (zur Trinkwassergewinnung) von Mikroschadstof-fen vor, die gesundheitliche Orientierungswerte über-schreiten. Diese Verhältnisse dürften auch in anderenRegionen Deutschlands mit Sandböden und Fließgewäs-sern mit hohem Abwasseranteil ähnlich sein. Bei der dar-gestellten Problemlage ergibt sich aus Naturschutzgrün-den und zur Vorsorge in Bezug auf die menschlicheGesundheit die Notwendigkeit zur Verminderung derMikroschadstoff-Einträge in die Gewässer.

1. Anlass

Page 4: n u Mikroschadstoff -Strategie d S · Am 10.9.2016 waren weltweit 119.748.799 chemische Sub-stanzen gemeldet. Diese Zahlen zeigen, dass bei der not-wendigen Verminderung von Mikroschadstoffen

4 BUNDstandpunkt

Aus der Vielzahl der Substanzen, die als Mikro-schadstoffe in den Wasserkreislauf gelangen, sindbisher nur vergleichsweise wenige auf ihre

Umweltwirkungen untersucht worden. Für noch wenigersind Schutznormen festgelegt. So sind in Deutschland 275Wirkstoffe in 775 Pflanzenschutzmittel-Produkten zuge-lassen. Für 23 von ihnen gibt es in der Europäischen Union(EU) Umweltqualitätsnormen. Bei Bioziden sind in der EU285 Wirkstoffe in 30.000 Produkten im Einsatz. VonREACH regulierte Chemikalien sind 350.000 vorregistriert,davon 10.000 registriert. In der EU gibt es dafür 31Umweltqualitätsnormen. An Tierarzneimitteln sind inDeutschland 430 Wirkstoffe in 2.295 Präparaten zugelas-sen. Davon gelten 270 als umweltrelevant. Bei den Huma-narzneimitteln gibt es in Deutschland 2.300 zugelasseneWirkstoffe in 30.791 Medikamenten. Davon sind 2.100 alsumweltrelevant eingestuft. Für die Wirkstoffe in Tier- undHumanarzneimitteln gibt es keine Umweltqualitätsnor-men.

In der Oberflächengewässer-Verordnung gibt es 67 Um -welt qualitätsnormen für flussgebietsspezifische Schad-stoffe zur Beurteilung des ökologischen Zustandes und desökologischen Potenzials sowie 46 Umweltqualitätsnormenzur Beurteilung des chemischen Zustandes.

Für 49 Verbindungen gibt es gesundheitliche Orientie-rungswerte, zusätzlich für 19 nicht relevante Metabolitevon Pflanzenschutzmitteln.

Am 10.9.2016 waren weltweit 119.748.799 chemische Sub-stanzen gemeldet. Diese Zahlen zeigen, dass bei der not-wendigen Verminderung von Mikroschadstoffen Prioritä-ten gesetzt werden müssen.

Folgende Schadstoffe sind auf der Grundlage bestehen-der rechtlicher Regelungen vorrangig zu vermeidenbzw. zu minimieren:

2.1 prioritär gefährliche Stoffe, deren Einleitung nach Art.4 (1a)iv) in Verbindung mit Art. 16 (8) WRRL beendetwerden muss (Phasing-Out-Strategie);

2.2 prioritäre Stoffe, deren Einleitung nach Art.4 (1a)iv)in Verbindung mit Art. 16 (8) WRRL vermindert wer-den muss (Minimierungssstrategie);

2.3 Stoffe, die nach den Meeresschutz-Abkommen Con-vention for the Protection of the Marine Environmentof the North-East-Atlantic (OSPAR Convention) undConvention on the Protection of the Marine Environ-ment of the Baltic Sea Area (HELCOM) reguliert sind;

2.4 Stoffe, die in den Oberflächengewässer-, Grund- undTrinkwasser-Verordnungen reguliert sind;

2.5 Stoffe, deren gemessene Konzentration gesundheitli-che Orientierungswerte überschreiten;

2.6 Biozid-Wirkstoffe, für die Ausnahmen von den Aus-schlusskriterien nach Art. 5 (1) der EU-Biozid-Ver-ordnung gelten.

Zusätzlich sind auf Grundlage des Vorsorgeprinzips fol-gende in Messprogrammen bereits nachweisbare Stoffezu vermeiden bzw. zu minimieren:

2.7 Stoffe, deren gemessene Konzentrationen die Kon-zentration überschreiten, bei der kein Effekt auf Was-serorganismen beobachtet werden kann (no observedeffect concentration (NOEC));

2.8 Stoffe, deren gemessene Konzentrationen die Kon-zentration überschreiten, die keinen Effekt auf Was-serorganismen erwarten lässt (predicted no effect con-centration (PNEC)).

2. Priorisierung zur Minderung der Mikroschadstoff-Einträge

Page 5: n u Mikroschadstoff -Strategie d S · Am 10.9.2016 waren weltweit 119.748.799 chemische Sub-stanzen gemeldet. Diese Zahlen zeigen, dass bei der not-wendigen Verminderung von Mikroschadstoffen

5Mikroschadstoff-Strategie

Um die genannten Ziele zu erreichen, sind die folgendenMaßnahmen unverzichtbar und dringlich.

3.1 Phasing-Out-StrategieDie Herstellung von Stoffen, die von der Phasing-Out-Strategie erfasst sind, ist 2018 einzustellen, sodass sie frist-gerecht nicht mehr in die Gewässer gelangen können.

3.2 Datenerfassung, BewertungAlle bei Herstellern und Importeuren vorhanden sowie vonanderer Seite gewonnenen öko- und humantoxikologi-schen Daten von Mikroschadstoffen sind einer neutralenzentralen Stelle (z. B. Umweltbundesamt) für Auswer-tungszwecke zur Verfügung zu stellen und öffentlich zu -gänglich zu machen.

Die Gewässerverträglichkeit und der Einfluss auf die Trink-wassergewinnung ist von neutraler Stelle nach transpa-renten Kriterien zu bewerten.

3.3 Ersatz von MikroschadstoffenMikroschadstoffe, die für ihren Einsatzzweck durch gewäs-serverträglichere Stoffe ersetzt werden können, sind zuverbieten.

3.4 Zulassungsverfahren für ArzneimittelIn das Arzneimittel-Zulassungsverfahren ist die Gewäs-serverträglichkeit als Kriterium aufzunehmen. Neue Arz-neimittel sind nicht zuzulassen, wenn auf dem Marktgewässerverträglichere Erzeugnisse mit demselben thera-peutischen Nutzen vorhanden sind. Neue Medikamentesollen auf dem Markt befindliche Präparate mit demsel-ben therapeutischen Nutzen ersetzen, wenn sie gewässer-verträglicher sind. Anwendungsbeschränkungen sind indiesem Sinne zu prüfen.

3.5 Patentrechtliche Handhabung von ArzneimittelnBei Arzneimitteln mit gewässerschädlichen Wirkstoffensoll die Dauer des Patentschutzes halbiert werden.

3.6 AnwendungsbeschränkungenBei nicht ersetzbaren Mikroschadstoffen ist von neutralerStelle zu prüfen, ob Anwendungsbeschränkungen zu einersignifikanten Verminderung des Stoffflusses in den Was-serkreislauf führen können. Ist dies der Fall, sind sie ver-bindlich umzusetzen.

Dies gilt auch für Arzneimittel. So sind z.B. Diclofenac-haltige Salben verschreibungspflichtig zu machen, da siemissbräuchlich zur Vermeidung nicht auszuschließenderSchmerzen, z.B. im Hobbysport-Bereich, auf die Haut auf-getragen werden und von dort beim Duschen direkt insAbwasser gelangen.

3.7 WerbeverboteDie Werbung für Erzeugnisse, die Mikroschadstoffe in denWasserkreislauf abgeben, ist zu verbieten.

Die häufig suggestive Fernsehwerbung, z.B. für Diclofe-nac-haltige Salben, verleitet zum Missbrauch (siehe 3.6).

3.8 Verschärfung des WasserrechtesGemäß dem Fortschritt des wissenschaftlichen Erkennt-nisstandes über die Auswirkungen von Mikroschadstoffenauf die Gewässer-Lebensgemeinschaften und ihre Artensind die relevanten deutschen Rechtsvorschriften, insbe-sondere die Oberflächengewässer- und die Grundwasser-Verordnung fortlaufend anzupassen, d.h. in der Regel zuverschärfen.

3. Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Minimierungdes Eintrages von Mikroschadstoffen in denWasserkreislauf

Page 6: n u Mikroschadstoff -Strategie d S · Am 10.9.2016 waren weltweit 119.748.799 chemische Sub-stanzen gemeldet. Diese Zahlen zeigen, dass bei der not-wendigen Verminderung von Mikroschadstoffen

4.1 Minimierung des Mikroschadstoff-Eintrages in denBetrieben

Die Betriebe sind zu verpflichten, die eingesetzten Ver-fahren unter dem Gesichtspunkt zur Minimierung des Ein-trages von Mikroschadstoffen auszuwählen. Diese Arbeits-weise ist von den Überwachungsbehörden fortlaufendunangemeldet zu kontrollieren.

Die Weiterentwicklung gewässerschonender Technik istdurch Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zu fördern.Die Anhänge der Abwasserverordnung des Bundes sindhinsichtlich einer Aufnahme von Beschränkungen fürbranchenspezifische Mikroschadstoffe zu überprüfen. Diebisherige Praxis, diese Stoffe als chemischen Sauerstoff-bedarf zu erfassen, ist völlig unzureichend. Hierbei kommtdie Aufnahme spezifischer Mikroschadstoffe bei bereits imAnhang der Abwasserverordnung aufgeführten Wirt-schaftszweigen in Betracht. Es muss auch die Aufnahmeweiterer Branchen dann erfolgen, wenn diese spezifischhohe Belastungen des Abwassers mit Mikroschadstoffenverursachen können.

4.2 AbwasserreinigungAuch wenn Maßnahmen zur Vermeidung des Eintragesvon Mikroschadstoffen effizienter im Vergleich zur Abwas-serreinigung sind, ist bei der Entwicklung der Mikro-schadstoff-Strategie zu beachten, dass es nie gelingen wird,die vorhandenen Tausende von negativ wirkenden Ver-bindungen durch gewässerneutrale zu ersetzen. Daher sol-len Mikroschadstoffe in folgenden Fällen bei der Abwas-serreinigung entfernt werden.

4.2.1 Im Einflussbereich der Abwasserreinigungsanlagewird Trinkwasser gewonnen.

Dies betrifft sowohl die Trinkwassergewinnung aus Ober-flächengewässern als auch aus Grundwasser, wenn es alsUferfiltrat entlang von Oberflächengewässern, in Karstge-bieten oder bei sandigen Böden aus Fließgewässern mithohem Abwasseranteil gespeist wird (Beispiele: Berlin, Hes-sisches Ried). In diesen Fällen kommt es vor, dass die Kon-zentrationen von Mikroschadstoffen im Grundwasser undim Rohwasser von Trinkwasserbrunnen ähnlich hoch sind

wie die in den sie speisenden Oberflächengewässern. Eskommt zu Überschreitungen von Richt-, Orientierungs-,Grenz- und Schwellenwerten sowie gesundheitlichen Ori-entierungswerten.

Mit einem Multibarrierensystem ist die Trinkwassergewin -nung vor Schadstoffen so zu schützen, dass die Rohwas-seraufbereitung mit einfachen naturnahen Verfahren mög-lich wird bzw. bleibt.

Die derzeit übliche Praxis, dass die Wasserversorger die vor-geschriebenen Höchstkonzentrationen durch Verdünnungmit saubererem Wasser aus der Umgebung unter schre i ten,oder durch Anschluss an eine Fernwasserversorgung, wasdem im Wasserhaushaltsgesetz vorgegebenen Vorrang derregionalen Wasserversorgung wider spricht, ist keine Pro-blemlösung. Als letzte Alternative bleibt die teure techni-sche Aufbereitung belasteten Rohwassers.

4.2.2 Der Abwasseranteil des aufnehmenden Fließ -gewässers ist so hoch, dass rechtlich vorgegebeneoder wissenschaftlich begründete Höchstkonzen -trationen – insbesondere bei Niedrigwasser –überschritten werden oder die Wahrscheinlichkeitdafür groß ist.

Dies kommt besonders dort vor, wo große oder mehreremittlere oder kleine Kläranlagen ihr gereinigtes Abwasserin abflussarme Bäche oder Flüsse einleiten. Deshalb zei-gen die Analysen von Nebengewässern der großen Strö-me häufig höhere Konzentratioen als die aufnehmendenHauptgewässer wie z.B. Rhein oder Donau. In solchen Fäl-len wird sich der gute ökologische Zustand trotz guterGewässerstruktur nicht einstellen (siehe 1). Die Einleiterder relevanten Stoffe sind von der zuständigen Aufsichts-behörde zu verpflichten, geeignete Maßnahmen zu ergrei-fen, damit die rechtlich vorgebenen oder wissenschaftlichbegründeten Höchstkonzentrationen im Gewässer sichereingehalten werden können.

6 BUNDstandpunkt

4. Minimierung der Mikroschadstoffe im Abwasser

Page 7: n u Mikroschadstoff -Strategie d S · Am 10.9.2016 waren weltweit 119.748.799 chemische Sub-stanzen gemeldet. Diese Zahlen zeigen, dass bei der not-wendigen Verminderung von Mikroschadstoffen

7Mikroschadstoff-Strategie

4.2.3 Das Rohabwasser im Zulauf einer Kläranlage hat einen überdurchschnittlich hohen Anteil anMikroschadstoffen.

In solchen Fällen ist zu prüfen, ob es zweckmäßg ist, die-jenigen Teilabwasserströme von Indirekteinleitern mitüberdurchschnittlich hohen Mikroschadstoff-Konzentra-tionen auf eigene Kosten separat reinigen zu lassen, bevorsie die Kläranlage erreichen.

4.2.4 Die ggf. erforderliche Ertüchtigung von Kläran -lagen ist nicht auf eine bestimmte Größenklassezu beschränken.

Die Bevölkerung des ländlichen Raumes verwendet Haus-haltschemikalien, Biozide und Arzneimittel ähnlich wiedie von Ballungsräumen. Auch Pflanzenkläranlagen kön-nen gute Reinigungsleistungen in Bezug auf Mikroschad-stoffe erbringen.

4.2.5 Es gibt in Deutschland 17 kommunale Kläran la -gen, die zur Reinigung von Mikroschadstoffen imRegelbetrieb ausgerüstet sind (Stand: Juni 2016).

Sie sind seit 1992 in einer Größe von 13.000 bis 725.000Einwohnergleichwerten ausgebaut. Ein großer Anteil vonArzneimittelwirkstoffen lässt sich zu über 70% entfernen.Es kommt dabei im Hinblick auf den ökotoxikologischenEffekt nicht auf die Konzentrationsverminderung jedesEinzelstoffes an, sondern auf die Verminderung der Wirkungen auf die menschliche Gesundheit und Wasser-organismen. Mit empfindlichen Biotests lassen sich Reak-tionen wie die allgemeine Stressanwort, oxidativer Stress,Umwandlung von Fremdstoffen, Regulierung des Immun-systemes, hormonelle Wirkung und Reaktionen aufSchwer metalle messen. Es lassen sich bei der Abwasser-behandlung zur Mikroschadstoff-Minimierung ähnlicheReaktionsmuster wie bei Kontrolltieren ohne Abwasser-Beeinflussung erreichen. In der Kläranlage Mannheim ließsich die östrogene Aktivität des gereinigten Abwassers um85 % vermindern. Dabei können mit chemischen Einzel-stoff-Analysen weniger als zwei Prozent dieses Effekteserklärt werden. Der überwiegende Anteil der östrogenenAktivität lässt sich hier also nur auf unbekannte Verbin-dungen zurückführen.

Wie Untersuchungen am Bodensee-Zufluss Schusssen zei-gen, gibt es unterhalb von zwei seit 24 Jahren sehr effizientmit Pulveraktivkohle arbeitenden Kläranlagen keineEmbryo- oder Gentoxizität, einen exzellenten Gesund-heitszustand von Leber und Kiemen bei Fischen, eine intak-te Populationsstruktur mit allen Altersklassen und eineintakte Struktur der Makrozoobenthos-Gemeinschaft. Posi-tive Entwicklungen lassen sich wenige Jahre nach derErtüchtigung von Kläranlagen zur Mikroschadstoff-Elimi-nation analytisch und anatomisch bei Fischen nachweisen.

4.2.6 KostenDie Kosten für die in 4.2 aufgeführten Fällen erforderli-che weitergehende Abwasser-Reinigung dürfen nicht wei-terhin nur der Allgemeinheit angelastet werden. Das Ver-ursacherprinzip ist auch in diesem Bereich konsequentumzusetzen. Beim Abwälzen der Kosten für die Mikro-schadstoff-Entfernung auf die kommunalen Kläranlagen-betreiber besteht ein doppelt negativer Steuerungseffekt.Mikroschadstoffe werden weiter ungehemmt ins Abwas-ser abgegeben, da ja eine Reinigungstechnik nachgeschal -tet ist (ökologisch und volkswirtschaftlich an der ungüns-tigsten Stelle maximaler Verdünnung). Die für die Reini-gung aufzubringenden Mittel belasten nicht die Herstellerund Importeure der Mikroschadstoffe.

4.2.7 KostenverteilungZur Umsetzung des Verursacherprinzips sind die Kostenfür die Abwasserreinigung auch auf die Hersteller undImporteure von mikroschadstoffhaltigen Produkten umzu-legen, die im üblichen dreistufigen Abwasserreinigungs-verfahren für kommunale Abwässer zu weniger als 80%eliminierbar sind. Inzwischen ist durch Forschungs- undEntwicklungsvorhaben für häufig verwendete Schadstof-fe deren Eliminierbarkeit bekannt. Auch die spezifischeWirksamkeit der wichtigsten weitergehenden Reinigungs-verfahren für Schadstoffrückstände ist erprobt. Ebenso gibtes Erfahrungswerte für die spezifischen Zusatzkosten beider Ertüchtigung der Kläranlagen. Insofern ist die Daten-grundlage gegeben, für bestimmte Substanzklassen dieKostenerstattung für die Abwasserreinigung differenziertfestzulegen.

Page 8: n u Mikroschadstoff -Strategie d S · Am 10.9.2016 waren weltweit 119.748.799 chemische Sub-stanzen gemeldet. Diese Zahlen zeigen, dass bei der not-wendigen Verminderung von Mikroschadstoffen

8 BUNDstandpunkt

Es besteht in der allgemeinen Öffentlichkeit, aber auchin Fachkreisen wie im Gesundheitswesen ein gerin-ger Informations- und Bewusstseinsstand über die

Wirkungen von Mikroschadstoffen in Gewässern. So wirdein nicht unerheblicher Anteil nicht verbrauchter Medi-kamente über den Abwasserpfad entsorgt. Um diesemMissstand abzuhelfen, sind in letzter Zeit Aufklärungs-und Fortbildungskampagnen auch für die Ärzte- und Apo-thekerschaft angelaufen. Diese Arbeit muss in Zukunftdeutlich verstärkt werden.

5. Öffentlichkeitsarbeit

Page 9: n u Mikroschadstoff -Strategie d S · Am 10.9.2016 waren weltweit 119.748.799 chemische Sub-stanzen gemeldet. Diese Zahlen zeigen, dass bei der not-wendigen Verminderung von Mikroschadstoffen

9Mikroschadstoff-Strategie

Bei einem Vergleich der oben aufgeführten Maßnah-men zur Verminderung des Mikroschadstoff-Ein-trages in den Wasserkreislauf sind die unter schied -

lichen Zeithorizonte zur Umsetzung und die Wahrschein-lichkeit zu ihrer Verwirklichung in Betracht zu ziehen.

Alle Maßnahmen außer der Abwasseroptimierung sind vonAkteuren außerhalb des Gewässerschutzes umzusetzen. Sosind die notwendigen Maßnahmen im Bereich der Arz-neimittel von Angehörigen des Gesundheitswesens durch-zuführen. Hier mangelt es noch am Problembewusstsein.Die Einführung der Gewässerverträglichkeit als echtes Kri-terium im Arzneimittel-Zulassungsverfahren (siehe 3.4)setzt eine Änderung im Medizinrecht auf europäischerEbene voraus. Hier stehen außer mangelndem Problem-bewusstsein im Bereich von Pharmazie und Medizin finan-zielle Interessen der sehr einflussreichen Pharmalobby ent-gegen. Deshalb sind hier nur mittel- bis langfristig Ver-änderungen im aufgezeigten Sinne zu erwarten. DerEinfluss der Industrielobby steht häufig auch raschen Ver-besserungen bei der Fortschreibung des Standes der bes-ten verfügbaren Technik im Sinne des Gewässerschutzesentgegen. Hier können mittelfristig Erfolge erwartet wer-den. Eine Erweiterung des Umwelthaftungsrechtes, dienegative Auswirkungen auf die Gewässer durch Mikro-schadstoffe sanktioniert, könnte Verbesserungen beschleu-nigen.

Die o. g. Intensivierung der Öffentlichkeitsarbeit hat aufLänderebene bereits begonnen und muss flächendeckendverstärkt werden. Ihr Erfolg bei weiten Kreisen der Bevöl-kerung ist schwer vorhersehbar.

Für die Phasing-Out-Strategie, basierend auf Meeres-schutz-Abkommen (siehe 2.1), gibt es die Frist 2020. Fürihre Einhaltung sollten die Umweltverbände schon jetztDruck auf Verwaltung und Politik ausüben. Ebenso giltdies für die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie mitden dazugehörenden Regulierungen im Stoffrecht aufnationaler Ebene. Hierfür sind die Fristen zum Erreichendes guten Gewässerzustandes vorgegeben.

Für den Zeitrahmen zur Ertüchtigung der Kläranlagen inden unter 4.2 genannten Fällen gibt es Erfahrungen ausden Umrüstungen zur Phosphat- und Stickstoffeliminati-on. Bei vorhandenem Willen auf kommunaler Betreiber-seite sowie entsprechenden Vorgaben und finanziellerUnterstützung von Seiten der Landeswasserverwaltungenlässt sich ein solches Programm in zehn bis 15 Jahrenumsetzen. Stoffflussanalysen, z.B. für den Neckar und dieNahe, haben ergeben, dass nur alle oben erwähnten Maß-nahmen zusammen auf absehbare Zeit zum notwendigenerforderlichen Ziel, dem guten ökologischen Zustand, füh-ren können.

Nur wenn sich die politisch Verantwortlichen und die Wirt-schaft zu ihrer Gesamtverantwortung bekennen und allebetroffenen Akteure (Verursacher und Stakeholder)gemeinsam im zeitlichen Gleichschritt und ernsthaft dieVerantwortung für ihren jeweiligen Teilbereich überneh-men und entsprechend handeln, kann eine Mikroschad-stoff-Strategie zum Erfolg führen und ihren Beitrag zursignifikanten Verringerung der Einträge und zum Wie-dererreichen des guten ökologischen Zustandes unsererGewässer sowie zur gesundheitlichen Vorsorge bei derTrinkwassergewinnung leisten.

6. Maßnahmenvergleich

Page 10: n u Mikroschadstoff -Strategie d S · Am 10.9.2016 waren weltweit 119.748.799 chemische Sub-stanzen gemeldet. Diese Zahlen zeigen, dass bei der not-wendigen Verminderung von Mikroschadstoffen

10

Impre

ssum

Her

ausg

eber

:Bu

nd fü

r Umwelt u

nd Naturschu

tz

Deutschlan

d e.V. (B

UND)

Friend

s of the Earth German

yAm

Köllnischen Park 1

1017

9 Be

rlin

Tele

fon:

(030

) 275

86-40

Tele

fax:

Fax: (03

0) 275

86-4

40E-

Mai

l: info@

bund

.net

Inte

rnet

: www.bun

d.net

Reda

ktio

n: Lau

ra di V

itorelli

Auto

r: Han

s-Joachim Grommelt,

BUND Arbeitskreis W

asser

ViSd

P:Yvon

ne W

eber

Juli 20

17

www.bund.net