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07. Juli 2016 Dr.-Ing. Gerhard Saupe Heidestraße 83 73733 Esslingen Nachfragen und Kritikpunkte zum Klimagutachten der Fa. Ökoplana zur geplanten Bebauung des Gewanns Greut Diese Stellungnahme erfolgt ohne spezielle klimatologische Expertise unter allgemein-ingeni- eurwissenschaftlichen Gesichtspunkten. Damit soll hauptsächlich aufgezeigt werden, inwie- fern noch weiterer wissenschaftlicher Untersuchungsbedarf besteht, und welche Kriterien beim politischen Entscheidungsprozess beachtet werden sollten. Die nachfolgende Auflistung ist ein Zwischenstand und erfolgt ohne Anspruch auf Vollstän- digkeit. Inhalte: 1 Absicherung der Qualität des ausführenden Büros Ökoplana und des vorliegenden Klimagutachtens Greut ....................................................................................................... 2 1.1 Frage nach einer Zertifizierung oder Akkreditierung des Büros Ökoplana .................... 2 1.2 Verquickungen des Büros Ökoplana mit Bau-Interessenten in Esslingen und mit der Stadtverwaltung Esslingen ......................................................................... 3 2 Validierung der Berechnungen mit dem Kaltluftabflussmodell KLAM_21, Version 2.010 . 4 3 Validierung der Berechnungen mit dem Modellsystem ENVI-Met .................................... 8 4 Berücksichtigung des Klimawandels ................................................................................... 8 4.1 Sind die Gegebenheiten des Klimawandels im Ökoplana-Gutachten berücksichtigt? .. 8 4.2 Erfüllen die Handlungsempfehlungen von Ökoplana die heute allg. thematisierten Anforderungen an eine „klimawandelgerechte Stadtentwicklung“ ?! .......................... 8 5 Für die Ablehnung der Bebauung sprechende Aspekte im Ökoplana-Gutachten.............. 9 5.1 Beispiel 1: Kompensationsbedarf für belastete Luftströme aus Richtung Südosten..... 9 5.2 Beispiel 2: Kaltluftvolumenstrom Richtung Neckartal ................................................... 9 5.3 Beispiel 3: Funktion als Kaltluft-Leitbahn ..................................................................... 10 5.4 Beispiel 4: Kaltluftvolumenstrom über dem Planungsgebiet....................................... 10 5.5 Beispiel 5: „Vermehrte Berücksichtigung klimaökologischer Belange“ ....................... 11 6 Einzelne Kritikpunkte am Ökoplana-Gutachten................................................................ 11 6.1 Zur prognostizierten Abnahme des Kaltluftvolumenstroms ........................................ 11 6.2 Zur Eindringtiefe des Kaltluftstroms in bebautes Gebiet bei kleinen Volumenströmen ....................................................................................... 12 6.3 „Klimaökologische Empfehlungen“ zur Gestaltung der Bebauung (ab S. 29) .............. 12

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07. Juli 2016

Dr.-Ing. Gerhard Saupe Heidestraße 83

73733 Esslingen

Nachfragen und Kritikpunkte zum Klimagutachten der Fa. Ökoplana

zur geplanten Bebauung des Gewanns Greut

Diese Stellungnahme erfolgt ohne spezielle klimatologische Expertise unter allgemein-ingeni-

eurwissenschaftlichen Gesichtspunkten. Damit soll hauptsächlich aufgezeigt werden, inwie-

fern noch weiterer wissenschaftlicher Untersuchungsbedarf besteht, und welche Kriterien

beim politischen Entscheidungsprozess beachtet werden sollten.

Die nachfolgende Auflistung ist ein Zwischenstand und erfolgt ohne Anspruch auf Vollstän-

digkeit.

Inhalte:

1 Absicherung der Qualität des ausführenden Büros Ökoplana und des vorliegenden

Klimagutachtens Greut ....................................................................................................... 2

1.1 Frage nach einer Zertifizierung oder Akkreditierung des Büros Ökoplana .................... 2

1.2 Verquickungen des Büros Ökoplana mit Bau-Interessenten in Esslingen

und mit der Stadtverwaltung Esslingen ......................................................................... 3

2 Validierung der Berechnungen mit dem Kaltluftabflussmodell KLAM_21, Version 2.010 . 4

3 Validierung der Berechnungen mit dem Modellsystem ENVI-Met .................................... 8

4 Berücksichtigung des Klimawandels ................................................................................... 8

4.1 Sind die Gegebenheiten des Klimawandels im Ökoplana-Gutachten berücksichtigt? .. 8

4.2 Erfüllen die Handlungsempfehlungen von Ökoplana die heute allg. thematisierten

Anforderungen an eine „klimawandelgerechte Stadtentwicklung“ ?! .......................... 8

5 Für die Ablehnung der Bebauung sprechende Aspekte im Ökoplana-Gutachten .............. 9

5.1 Beispiel 1: Kompensationsbedarf für belastete Luftströme aus Richtung Südosten..... 9

5.2 Beispiel 2: Kaltluftvolumenstrom Richtung Neckartal ................................................... 9

5.3 Beispiel 3: Funktion als Kaltluft-Leitbahn ..................................................................... 10

5.4 Beispiel 4: Kaltluftvolumenstrom über dem Planungsgebiet....................................... 10

5.5 Beispiel 5: „Vermehrte Berücksichtigung klimaökologischer Belange“ ....................... 11

6 Einzelne Kritikpunkte am Ökoplana-Gutachten ................................................................ 11

6.1 Zur prognostizierten Abnahme des Kaltluftvolumenstroms ........................................ 11

6.2 Zur Eindringtiefe des Kaltluftstroms in bebautes Gebiet

bei kleinen Volumenströmen ....................................................................................... 12

6.3 „Klimaökologische Empfehlungen“ zur Gestaltung der Bebauung (ab S. 29) .............. 12

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6.3.1 Beispiel 1: Höhe der Baukörper .......................................................................... 13

6.3.2 Beispiel: 2: Nord-Süd-Ausrichtung der Baukörper, Ventilationsachsen und

Belüftungsachsen ................................................................................................ 13

6.3.3 Beispiel 3: Empfehlung zu „hellen Fassadenfarben“ .......................................... 14

7 Einzelne Fehler im Ökoplana-Gutachten .......................................................................... 14

8 Noch offener Begutachtungsbedarf .................................................................................. 14

8.1 Unabhängige wissenschaftliche Evaluation des vorliegenden Ökoplana-

Klimagutachtens auf fachliche Stimmigkeit, Plausibilität der Schlussfolgerungen und

Übereinstimmung mit dem Normenwerk .................................................................... 14

8.2 Generell: Absicherung der Begutachtung durch unabhängige Zweit- bzw.

Drittgutachten notwendig ............................................................................................ 15

8.3 Aus Sicht der betroffenen Bürgerschaft durch ergänzende Gutachten abzuklärende

Einzelfragen .................................................................................................................. 15

8.3.1 Zur Kaltluftentstehung ........................................................................................ 15

8.3.2 Zum Kaltluftabfluss ............................................................................................. 15

8.3.3 Zur Simulation des Kaltluftabflusses ................................................................... 16

8.3.4 Zur Eindringtiefe der Kaltluft in das bebaute Gebiet des Geiselbachtales ......... 16

9 Fazit ................................................................................................................................... 17

1 Absicherung der Qualität des ausführenden Büros Ökoplana und

des vorliegenden Klimagutachtens Greut

1.1 Frage nach einer Zertifizierung oder Akkreditierung des Büros Ökoplana

Da die klimaökologischen Gutachten wissenschaftlichen Anspruch haben und auch quantita-

tive Aussagen von allergrößter Bedeutung (z.B. Analysen und Prognosen von Temperaturen

und Windgeschwindigkeiten) beinhalten, stellt sich die Frage nach einer Qualitätssicherung

für diese Firma als Institution und ebenso für die einzelnen Gutachten. Es kann ja nicht sein,

dass sich eine folgenschwere Entscheidung wie die Bebauung von Frischluftschneisen auf

bloße gutachterliche Behauptungen stützt, welche keiner Qualitätssicherung unterliegen.

Kann dieses Büro also ein Qualitätsmanagement-System aufweisen? Verfügt es außerdem

über eine Akkreditierung für sein Tätigkeitsgebiet, z.B. gemäß DIN EN ISO/IEC 17025 (Allge-

meine Anforderungen an die Kompetenz von Prüf- und Kalibrierlaboratorien)?

Dazu gibt es auf der Homepage der Firma keine Aussagen. Stattdessen wird in Form einer

langen Referenzenliste unter dem Titel „Bauträger, Investoren, Planungsbüros“ darauf hin-

gewiesen, in wessen Auftrag man bereits tätig war. Das mag eine Empfehlung gegenüber

den nächsten potenziellen Auftraggebern sein, die ihrerseits auch ein Neubauvorhaben

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durchbringen wollen. Die Bürgerschaft einer Stadt erwartet aber von einem klimaökologi-

schen Gutachten unabhängige, qualitätsgesicherte wissenschaftliche Arbeit, bei der ggfs.

auch einmal eine negative Begutachtung zu einem nicht akzeptablen Bauvorhaben heraus-

kommen kann.

Zum Vergleich, als zufällig herausgegriffenes Beispiel: Die Fa. GEO-NET, Umweltconsulting

GmbH, www.geo-net.de, mit dem Tätigkeitsspektrum Stadt- und Regionalklimaanalyse, me-

teorologische Messkampagnen, klimaökologische und lufthygienische Fachgutachten, Kon-

zepte und Fachgutachten zum Klimaschutz, Strategien und Fachgutachten zur Klimafolgen-

anpassung“ verfügt nach eigenen Angaben über ein Qualitätsmanagementsystem gemäß

DIN EN ISO 9001:2008, u.a. in Bezug auf Umweltplanung, Klima- und immissionsökologische

Analysen und Gutachten, und außerdem für einen Teilbereich ihrer Aktivitäten noch über

eine Akkreditierung gemäß EN ISO/IEC 17025:2005 (DAkkS*1, ILAC*2).

Natürlich garantieren auch solche freiwilligen Qualitätssicherungsmaßnahmen keine unab-

hängige Gutachtertätigkeit, so wie man es von einer übergeordneten Behörde wie z.B. der

Landesumweltanstalt oder dem Umweltbundesamt erwarten würde. Aber sie sind immerhin

eine vertrauensbildende Maßnahme, denn ein solchermaßen zertifizierter bzw. akkreditier-

ter Betrieb muss sich bis zu einem gewissen Grad in die Karten schauen lassen.

1.2 Verquickungen des Büros Ökoplana mit Bau-Interessenten in Esslingen und

mit der Stadtverwaltung Esslingen

Das Büro Ökoplana ist seit vielen Jahren ein zuverlässiger Partner der Stadtverwaltung Esslin-

gen, immer dann, wenn es um die positive Begutachtung von geplanten Baumaßnahmen

geht.

So hat Ökoplana bereits 2003 (Thema Festo-Erweiterung Gewann Rohräcker) und 2009

(Thema weitergehende Festo-Erweiterung in die vormalige Grünzäsur hinein) klimaökologi-

sche Untersuchungen für Esslingen vorgelegt. Der Tenor war in beiden Fällen, wenn auch

eingehüllt von einsichtsvoll klingenden Randnotizen1: Die massive Bebauung von Grünzäsu-

ren, Kaltluftentstehungsgebieten und Kaltluftleitbahnen ist letztlich kein Problem, wenn man

nur die eine oder andere „Ausgleichsmaßnahme“ in Betracht zieht.

Es muss sich also niemand darüber wundern, wenn sich das Stadtplanungsamt die Unbe-

denklichkeit der von dort seit längerem forcierten Greut-Bebauung nun ausgerechnet wieder

von dem diesbezüglich bewährten Büro Ökoplana bescheinigen lässt.

1 Zitat aus dem Gutachten von 2009: „Für die Frischluftzufuhr des Neckartales kommt diesem Kaltluftabfluss

eine besondere Bedeutung zu, da sie in den Sommermonaten bereits kurz vor Sonnenuntergang zu einem rascheren Abbau der bioklimatischen Belastung führt. Die Frischluftzufuhr ist daher auf Dauer zu erhalten.“ [Quelle: Grünordnungsplan zum Bebauungsplan L 1192 Rohräcker, Büros Vogt/Prof. Schaller, Okt. 2012]

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2 Validierung der Berechnungen mit dem Kaltluftabflussmodell

KLAM_21, Version 2.010

Dieses Kaltluftabfluss-Modell ist eines der beiden für das Ökoplana-Klimagutachten benutz-

ten Rechenwerkzeuge. Es ist eine Entwicklung von U. Siewers vom DWD und wird hier für

„mesoskalige Kaltluftabflussberechnungen“ verwendet.

Die quantitativen Prognosen des Ökoplana-Gutachtens wurden hauptsächlich mit KLAM_21

errechnet. Allerdings ist aus dem Gutachten nicht ersichtlich, ob die Simulationsmodelle und

die Prognosedaten systematisch validiert bzw. verifiziert wurden.

Die Begriffe „Validierung“ und „Verifizierung“ tauchen im Gutachten überhaupt nicht auf.

Dessen ungeachtet werden die Ergebnisse der Simulationsrechnungen fortgesetzt als nicht

weiter zu hinterfragende „Wahrheit“ ausgegeben.

Diese unkritische Darstellungsweise erfüllt den Anspruch der Wissenschaftlichkeit nicht.

Die Ergebnisse der Simulationsrechnungen sind vielmehr in mehrerlei Hinsicht in Frage zu

stellen:

1. Das verwendete Programm scheint den Entwicklungsstand 2005 aufzuweisen, das ist

jedenfalls der Stand der schriftlichen Dokumentation in dem zugehörigen DWD-Be-

richt 227 und ebenso der Stand der aktuell verbreiteten Demo-Version (Download

26.06.2016). Ist es wirklich so, dass es seit 2005 keine wesentlichen Fortschritte in

der Entwicklung von Stadtklima-Simulationsprogrammen mehr gegeben hat, z.B. mit

weniger vereinfachenden Annahmen, und mit der Möglichkeit zu feinerer räumlicher

und zeitlicher Auflösung und insgesamt höherer Prognosezuverlässigkeit?

2. Die Durchführung der Modellrechnungen müsste u.a. in Bezug auf die Qualität der

zur Verfügung stehenden Eingangsdaten (v.a. Windmessdaten und Geländemodellie-

rung), die Größe des Untersuchungsgebietes und die Maschenweite des räumlichen

Netzes systematisch validiert werden. Dazu findet sich in der VDI-Richtlinie 3783,

Blatt 7 und Blatt 9, eine detaillierte Anleitung. Ohne eine solche Validierung sind die

Simulationsergebnisse weitgehend wertlos, ein Zusammenhang der veröffentlichten

Daten mit der Wirklichkeit ist durch überhaupt rein gar nichts belegt.

3. Dem Ökoplana-Bericht entstammen viele der für die Simulationen benutzten Ein-

gangsdaten, insbesondere die Daten für Windrichtungen und Windstärken, einer ein-

zelnen Messkampagne aus dem Jahr 2002. Die Aussagekraft dieser nun 14 Jahre al-

ten, speziellen Daten ist unklar: Stimmen deren statistischen Parameter, d.h. wurden

Korrelationen zu Langfristverläufen hergestellt? Außerdem: Die örtliche Bebauung

hat sich ebenso wie das Klima mittlerweile wesentlich verändert. Können die alten

Datensätze also noch sinnvoll auf die heutige und vor allem auf die künftige Situation

angewendet werden (s. dazu auch Abschnitt 4.1)?

4. Für eine ganze Anzahl aussagekräftiger Situationen müssten Simulationsergebnisse

mit in der Realität gewonnenen Messwerten verglichen werden, um die Simulations-

genauigkeit abschätzen und die Modelle justieren zu können. Ohne eine solche we-

nigstens punktuelle Kontrolle von Simulationsergebnissen sind die Rechenwerte weit-

gehend nur Spekulation. Bei der Projektierung von Windkraftanlagen ist ein solches

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Vorgehen vollkommen selbstverständlich und wurde auch an der vorderen Schur-

waldkante so gehandhabt: nach den rechnerischen Abschätzungen hat man einen

Messmast gebaut und über längere Zeit hinweg mit einer Vielzahl von Sensoren be-

trieben. Wenn solcher Aufwand für den vergleichsweise unproblematischen Bau von

Windkraftanlagen gerechtfertigt ist (die beabsichtigten Investitionen betragen nur

wenige Mio. €, die Anlagen sind bei Bedarf jederzeit wieder demontierbar), dann ist

es nicht nachzuvollziehen, dass über Ewigkeitsentscheidungen wie Neubaugebiete

auf der Basis spekulativer Simulationsrechnungen ohne solche Nachprüfungen ent-

schieden werden soll.

5. Das Rechenmodell KLAM_21 ist von Grund auf nur zweidimensional angelegt. Die

tatsächlichen Luftbewegungen über profiliertem Gelände sind aber inhomogen und

nur in Form dreidimensionaler Strömungsfelder korrekt und vollständig zu beschrei-

ben. Eine auf zwei Dimensionen beschränkte Lösung der zugrundeliegenden physika-

lischen Gleichungen kann daher nur stark vereinfachte bzw. schematisierte Lösungen

erbringen. Die Wirklichkeit ist sehr viel komplexer (allerdings wäre demzufolge auch

der Rechenaufwand bei dreidimensionalem Ansatz um ein Vielfaches höher).

6. Die von Ökoplana mit KLAM_21 durchgeführten Simulationsrechnungen berücksichti-

gen nicht den ganzen Jahresverlauf mit seinen vielfältig veränderlichen Bedingungen,

sondern nur einen sehr speziellen Fall (s. S. 15): „Vorausgesetzt wurde die für Kalt-

luftabflüsse optimale Situation, d.h. eine klare und windschwache Nacht mit einer

schwachen nördlichen Regionalströmung (1.5 m/s). Das Modell berechnet die zeitli-

che Entwicklung der Kaltluftströmung bei gegebener zeitlich konstanter Kaltluftpro-

duktionsrate.“

Was würde sich also ergeben bei bedecktem Himmel, bei überlagertem böigem Süd-

wind, und bei wetterbedingt zeitvariabler Kaltluftproduktion? Darauf geben die Öko-

plana-Simulationen überhaupt keine Antwort!

Was es für eine halbwegs sichere gutachterliche Aussage brauchen würde, wäre eine

Ganzjahressimulation mit validierten Test-Reference-Year-Daten. Davon sind die bis-

her vorliegenden Modellrechnungen sehr weit entfernt. Unter anderem deswegen:

7. Eine weitere situative Einschränkung ist bereits von dem Simulationsprogramm

KLAM_21 selbst vorgegeben: „Der Start der Simulation liegt kurz vor Sonnenunter-

gang. Zu diesem Zeitpunkt wird eine annähernd adiabatisch geschichtete Atmo-

sphäre vorausgesetzt, in der keine horizontalen Gradienten der Lufttemperatur und

der Luftdichte vorhanden sind. Es werden während der gesamten Nacht gleichblei-

bend gute Ausstrahlungsbedingungen, das heißt eine geringe Bewölkung, angenom-

men. … Der Simulationszeitraum von 8 Stunden entspricht der mittleren Andauer ei-

ner Sommernacht. … Die physikalische Basis des Modells bilden eine vereinfachte

Bewegungsgleichung und ….“2.

2 Quelle: Deutscher Wetterdienst, Das Kaltluftabflussmodell KLAM_21 (Kurzzusammenfassung vom März

2016)

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Zusammengefasst also: Vereinfachungen, Verkürzungen, Idealisierungen gegenüber

der Wirklichkeit! Die konkreten Auswirkungen einer Greut-Bebauung auf das Gei-

selbachtal und die Innenstadt können auf diesem Weg nicht realistisch vorherbe-

rechnet werden!

8. Vor dem Hintergrund der vorgenannten Punkte ist es nicht verwunderlich, dass bei

der Gegenüberstellung von KLAM_21-Simulationsergebnissen mit der Wirklichkeit

zum Teil erhebliche Diskrepanzen zutage treten. Hier nur einige willkürlich herausge-

griffene Beispiele aus einer entsprechenden Forschungsarbeit, bei der man den ext-

rem hohen Aufwand der messtechnischen Nachprüfung von klimatologischen Simula-

tionsrechnungen tatsächlich einmal getrieben hat3:

Windrichtungsabweichungen bei den Stundenwerten bis fast 150° !

3 Quelle: Oberth, Ulfrid; Untersuchung der lokalen Windsysteme im Raum Feldbach unter besonderer Be-

rücksichtigung von Kaltluftabflüssen; Masterarbeit an der Karl-Franzens Universität Graz, 2010. Download von www.wegenernet.org/misc/MA_Oberth_2010_WegernerNet_Wind.pdf am 27.06.2016

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Eingeschränkter Berechnungszeitraum,

und Windrichtungabweichungen von ca. 90°!

Eingeschränkter Berechnungszeitraum,

und Windgeschwindigkeitsabweichungen von bis zu 1 zu 5 !

Die gemeinsame Botschaft dieser drei Darstellungen ist: die Simulationsergebnisse

von KLAM_21, hier in Bezug auf Windrichtungen und Windgeschwindigkeiten, kön-

nen ganz erheblich von der Wirklichkeit abweichen.

Der Autor der genannten Validierungsstudie schreibt dazu (Hervorhebungen durch G.

Saupe):

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„Obwohl an sich für die Anwendung des Kaltluftabflussmodells KLAM_21 keine grund-

legenden Einschränkungen hinsichtlich der Anwendbarkeit genannt werden, zeigen

die durchgeführten Auswertungen doch sehr deutlich, dass die Wahl des Modellgebie-

tes entscheidenden Einfluss auf die Qualität der Simulationsergebnisse hat. So ist

allgemein zu erkennen, dass die höchste räumliche Maschenweite in Form eines

10x10m Rasters in Kombination mit der größtmöglichen räumlichen Ausdehnung von

1500x1500 Zellen sich für das gewählte Untersuchungsgebiet als ungeeignet erweist.

Das in dieser Form simulierte Windfeld wird hinsichtlich der Windrichtungsverteilung,

vor allem bei zusätzlich differenzierter Landnutzung, sehr komplex. Dadurch wird die

allgemeine Struktur der Kaltluftbewegung durch unzählige kleinräumige Abweichun-

gen überlagert und es steigt dementsprechend die Anfälligkeit für Bereiche fehler-

hafter Simulationsergebnisse. Neben der Wahl einer geeigneten Gitternetzauflösung

wird das Ergebnis der Simulation verbessert, wenn das Modellgebiet mit Rücksicht auf

die Ausdehnung von Kaltlufteinzugsgebieten deutlich größer gewählt wird als für das

eigentliche Kernuntersuchungsgebiet notwendig wäre. Die Auswahl eines geeigneten

Modellausschnittes ist mitunter nur durch mehrere Vergleichssimulationen mög-

lich.“

3 Validierung der Berechnungen mit dem Modellsystem ENVI-Met

Dieselben Hinterfragungen wie zuvor für das Simulationsprogramm KLAM_21 müssten auch

für das von Ökoplana in geringerer Intensität verwendete dreidimensionale Modellsystem

ENVI-Met angestellt werden. Dafür reicht leider meine Zeit jetzt nicht mehr!

4 Berücksichtigung des Klimawandels

4.1 Sind die Gegebenheiten des Klimawandels im Ökoplana-Gutachten berück-

sichtigt?

Auf Seite 8 wird zwar der Klimawandel auch für Esslingen als Faktum dargestellt: „Mittelfris-

tige Prognosen deuten darauf hin, dass die sommerliche Wärmebelastung (→ Häufung som-

merlicher Hitzeperioden) im Zuge des globalen Klimawandels auch im Raum Esslingen a. N.

zunehmen wird (Quelle: www.klimafolgenonline.com). So wird für den Zeitraum 2021 –

2050 eine auffallende Zunahme der Sommertage (ca. + 16 Tage) und der heißen Tage (ca. +2

bis +3 Tage) prognostiziert.“

Es ist aber nicht ersichtlich, wie dieser Umstand z.B. in Bezug auf Gesundheitsfolgen für die

Bevölkerung bewertet wird, und ob und in welcher Weise das in die nachfolgende Begutach-

tung, insbesondere in die konkreten Handlungsempfehlungen eingeht. Tatsache ist aber,

dass der Begriff „Vorsorge“ im gesamten Ökoplana-Gutachten nicht vorkommt.

4.2 Erfüllen die Handlungsempfehlungen von Ökoplana die heute allg. themati-

sierten Anforderungen an eine „klimawandelgerechte Stadtentwicklung“ ?!

(S. dazu z.B. http://www.stadtklimalotse.net/ )

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Entsprechende Abschnitte sind im Gutachten nicht zu finden. Die generelle Argumentations-

linie ist vielmehr die, dass zwar viele klimatische Gegebenheiten mittlerweile sehr ernst und

kritisch sind, dass aber alle zu erwartenden Zusatzbelastungen trotzdem noch erträglich sind

und hingenommen werden müssen und somit einer weiteren Bebauung von Freiflächen

nichts Grundsätzliches im Weg steht.

5 Für die Ablehnung der Bebauung sprechende Aspekte im Öko-

plana-Gutachten

5.1 Beispiel 1:

Kompensationsbedarf für belastete Luftströme aus Richtung Südosten

Siehe S. 11: „Der in nahezu jeder Strahlungsnacht zu registrierende Neckartalabwind sorgt

innerhalb der Talbebauung zwar für eine Intensivierung der talspezifischen Ventilation (mitt-

lere Windgeschwindigkeit bis ca. 1.2 m/s), führt jedoch von Südosten auch thermisch und

lufthygienisch vorbelastete Luftmassen (u.a. aus Altbach, Deizisau, Plochingen) heran. Die

hiervon ausgehenden klimaökologischen Negativeffekte werden durch die Kalt- und Frisch-

luftzufuhr aus Seitentälern (z.B. Körschtal, Hainbachtal, Geiselbachtal) reduziert, was deren

Bedeutung für das Stadtklima von Esslingen a. N. unterstreicht.“

Nächtliche Frischluftströme durch das Geiselbachtal müssen also vor allem im Bereich der

nördlichen Innenstadt nicht nur für den regulären Luftaustausch sorgen, sondern zusätzlich

auch noch einen Ausgleich für den belasteten Zustrom in Talrichtung schaffen.

5.2 Beispiel 2: Kaltluftvolumenstrom Richtung Neckartal

Siehe Seite 17, in Bezug auf den Beginn der ersten Nachthälfte: „In Richtung des bioklima-

tisch hoch belasteten Neckartals (= Kaltluftzielgebiet) fließt über das Profil A – A* südlich des

Kreuzungsbereichs Krummenackerstraße / Hellerstraße, ein Kaltluftvolumenstrom von ca.

4.927 m³/s ab“, und in Bezug auf die zweite Nachthälfte:„In Richtung des Kaltluftzielgebiets

Neckartal strömt durch das Profil A – A* südlich des Kreuzungsbereichs Krummenackerstraße

/ Hellerstraße, ein Kaltluftvolumenstrom von ca. 7.718 m³/s ab (Abbildung 12.4). Wie in Kap.

4 [des Ökoplana-Gutachtens] angeführt, ist laut VDI-Richtlinie 3787-Blatt 5 (2003) ein Kalt-

luftvolumenstrom ab etwa 10.000 m³/s erforderlich, um kleinere Siedlungen zu durchströ-

men4. Der recht eng begrenzte Wirkungsbereich der Geiselbachtalkaltluft südlich der Augusti-

nerstraße wird offenbar. Für den Abbau hoher bioklimatischer Belastungen im Geiselbachtal

ist der bilanzierte Kaltluftvolumenstrom jedoch als noch ausreichend zu bewerten.“

4 Auszug aus VDI-Richtlinie 3787 Blatt 5 (2003), Abschnitt 3.3.2 Bebauung: „Der strömungshemmende Einfluss der Bebauung richtet sich nach deren Flächenausdehnung, Gebäudeanordnung sowie -höhe. Gruppen von Ein-zelgebäuden und kleinere Siedlungen werden von Kaltluftabflüssen mit einem Volumenstrom ab etwa 10 000 m³s–1 durch-, um- oder überströmt. Bei größeren Orten und/oder dichterer Bebauung wird die Kaltluft durch die vergrößerte Rauigkeit abgebremst und erwärmt. Die Strecke, ab der die in die Bebauung einfließende Kalt-luft keine merkliche Untertemperatur mehr gegenüber der Umgebungsluft hat, wird als maximale Eindringtiefe bezeichnet. Die Eindringtiefe von Kaltluft in bebautes Gebiet hängt somit wesentlich von der Bebauungsaus-dehnung und -dichte, der anthropogenen Wärmefreisetzung (siehe Abschnitt 2.2) sowie der advektierten Kalt-

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Wie darf man so eine Äußerung denn verstehen? Für die Durchströmung kleinerer

Siedlungen bräuchte man gem. VDI-Richtlinie bereits mehr als 10000 m³/s (der Kom-

plex unteres Geiselbachtal / Innenstadt muss aber wohl eher als „größere“ Siedlung

angesehen werden?!). Jedenfalls strömen durch den gesamten Querschnitt des Gei-

selbachtals nach den Ökoplana-Daten schon heute nur 49 % bzw. nur 77 % des VDI-

Richtwertes. Und trotzdem sieht man das kurzerhand als „noch ausreichend“ an,

wohl nicht im Sinne allgemeiner Gesundheitsvorsorge, aber doch immerhin „für den

Abbau hoher bioklimatischer Belastungen“. Und man sieht sogar nochdas Potenzial

zu unbedenklichen weiteren Verschlechterungen (s. S. 22). Und auf keinen Fall er-

kennt man in diesem massiven Luftmengendefizit ein Argument gegen eine weitere

Belüftungseinschränkung durch die Bebauung des Greut!

Hier wird der Verdacht genährt, dass seitens Ökoplana keine unabhängige und ergeb-

nisoffene Begutachtung erfolgt, sondern dass diese Bebauung „gesetzt“ ist, und dass

Fakten, die dem klar entgegenstehen, beiseite gewischt werden.

5.3 Beispiel 3: Funktion als Kaltluft-Leitbahn

Siehe S. 23: „Wie die Ergebnisse der ortsspezifischen Messungen und mesoskaligen Modell-

rechnungen belegen, ist das Planungsgebiet derzeit noch Teil eines Freigefüges im Geisel-

bachtal, das als Kaltluftleitbahn funktioniert. Damit die thermischen Verhältnisse in der be-

stehenden Bebauung im Planungsumfeld nicht nachhaltig negativ beeinträchtigt werden, ist

aus Sicht der Klimaökologie bei der baulichen und grünordnerischen Gestaltung des Wohn-

baugebietes zu fordern, dass der von der Bebauung und von den versiegelten Flächen ausge-

hende kleinräumige „Wärmeinseleffekt“ sowohl von seiner Intensität als auch von seiner

räumlichen Ausdehnung („Wärmeaura“) möglichst gering ist bzw. eng begrenzt bleibt.“

Das kann man ja einfach mal so fordern - die Belastungen sollten „möglichst gering

sein“ und „eng begrenzt bleiben“! Aber einer Bebauung mit einer Vielzahl von vierge-

schossigen Baukörpern sollte das nach Meinung der Ökoplana-Autoren trotzdem nicht

im Wege stehen!

5.4 Beispiel 4: Kaltluftvolumenstrom über dem Planungsgebiet

Siehe S. 28: Hier wird eine Abnahme des Kaltluftvolumenstroms über dem Planungsgebiet

um 60 – 62 % prognostiziert. Und das trotz der später empfohlenen Ventilationsachsen, und

trotz eines behaupteten Übergleitens der Bebauung durch die Hangkaltluft.

Damit ist die massive Barrierenwirkung der geplanten Bebauung doch klar genug doku-

mentiert!

luftmenge ab. Die Eindringtiefe bewegt sich typischerweise in einem Bereich zwischen 100 m und 1000 m. Klei-nere Siedlungen haben nur einen geringen Einfluss auf stark ausgeprägte Kaltluftströmungen, sowohl was das Fließverhalten als auch die Erwärmung anbelangt. Bei größeren Siedlungsgebieten dagegen wird die Kaltluft sowohl dynamisch als auch thermisch großflächig beeinflusst und kann sogar am Rauigkeitssprung auf die Stadthindernisschicht aufgleiten.“ [Hier dann Verweis auf die Quelle Kuttler, W.: Aspekte der Angewandten Stadtklimatologie. Geowissenschaften 14 (1996), S. 221/ 228].

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Stellungnahme zum Ökoplana-Klimagutachten v. 31.05.16 G. Saupe Entwurfsstand 07.07.2016 Seite 11 von 19

5.5 Beispiel 5: „Vermehrte Berücksichtigung klimaökologischer Belange“

Siehe Seite 28: „Da in den letzten Jahrzehnten entlang des Geiselbachtals bereits klimaökolo-

gische Ausgleichsräume baulich in Anspruch genommen wurden und aus heutiger Sicht nicht

sichergestellt [gemeint ist wohl: „ausgeschlossen“, Anm. Saupe] werden kann, dass zukünf-

tig im Kaltlufteinzugsgebiet des Geiselbachtals weitere städtebauliche Entwicklungsmaßnah-

men erfolgen, sollten am Planungsstandort dennoch klimaökologische Belange vermehrt Be-

rücksichtigung finden“.

Was für eine vornehme Formulierungsweise! „Bauliche Inanspruchnahme“! „Städtebau-

liche Entwicklungsmaßnahmen“! Aber abgesehen davon: „Klimaökologische Belange

sollten vermehrt Berücksichtigung finden“! „Vermehrt“ in Bezug worauf? In Bezug auf

den heutigen Zustand? Das müsste ja dann wohl mindestens heißen: keinerlei Bebau-

ung, aber besser noch klimaökologische Verbesserung des bereits hoch belasteten Um-

feldes!

6 Einzelne Kritikpunkte am Ökoplana-Gutachten

6.1 Zur prognostizierten Abnahme des Kaltluftvolumenstroms

S. S. 28: In einem schmalen Querschnitt nahe beim Planungsgebiet beträgt die Reduktion 60

% (erste Nachthälfte) bzw. max. 62 % (zweite Nachthälfte) – in dem sehr viel breiteren Quer-

schnitt auf Höhe des Hellerweges dann nur noch max. 1 %.

Einmal ganz abgesehen davon, dass diese Zahl 1 % nur ein durch nichts belegtes bzw.

validiertes Simulationsergebnis ist, das angesichts der groben Ungenauigkeiten im Si-

mulationsmodell (s. Abschnitt 2, Unterpunkt 8) völlig ungesichert ist:

Was für eine absurde Bilanzierung ist das denn? Natürlich verliert sich der Einfluss

der starken lokalen Einschränkung am Flaschenhals Greut in einem von ca. 100 m auf

1000 m aufgeweiteten Querschnitt weiter unten zum Teil wieder, u.a. weil man dort

ja noch weitere Zuströmungen hat. An der Pliensaubrücke wäre es dann vielleicht nur

noch eine Abnahme um 0,0001 % - also vollends kein Grund zur Sorge mehr??

Es versteht sich von selbst, dass der Einfluss der Greut-Bebauung für das Weltklima

minimal ist, aber es geht doch hier um das Mikroklima für die betroffenen Bürger di-

rekt vor Ort!

Eine weitere Kritik zu diesem Punkt muss aber sein, dass die VDI-Richtlinie 3787 Blatt 5

(2003) bei solchen durch Bebauung bewirkten Volumenstromminderungen vorgibt, dass

nicht nur ein irgendwie bestimmter einzelner prozentualer Reduktionssatz betrachtet wird,

sondern die Kombination von prozentualer Reduktion und Häufigkeit des Auftretens (in Jah-

resstunden):

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Wenn also z.B. in mehr als 10 % der Zeit (und das ist nicht sehr viel) durch die Bebauung eine

Volumenstromreduktion um mehr als 10 % eintritt, dann gilt das bereits als eine „hohe“ Zu-

satzbelastung!

Zu diesen Werte-Kombinationen wird im Ökoplana-Klimagutachten aber überhaupt keine

Aussage gemacht, und nach der dort angewandten Methode (Simulationsrechnung nur für

eine einzige spezielle Beispielsituation) kann dazu auch gar keine qualifizierte Aussage ge-

macht werden.

6.2 Zur Eindringtiefe des Kaltluftstroms in bebautes Gebiet bei kleinen Volumen-

strömen

Siehe S. des Ökoplana-Gutachtens: „Laut VDI-Richtlinie 3787-Blatt 5 (2003) ist ein Kaltluftvo-

lumenstrom ab etwa 10.000 m³/s erforderlich, um kleinere Siedlungen zu durchströmen. Die

Eindringtiefe an Stadträndern bewegt sich typischerweise in einem Bereich bis ca. 1.000 m.

Aber auch Kaltluftvolumenstrommengen ab ca. 1.000 m³/s bewirken bzgl. der Belüftung und

Abkühlungswirkung klimaökologisch bedeutsame Positivwirkungen. Als grobe Faustregel gilt,

dass die Eindringtiefe von Kaltluft je 1.000 m³/s ca. 100 m beträgt. Bei markanter Barriere-

wirkung der Randbebauung kann die Eindringtiefe jedoch auch deutlich geringer sein.“

Durch diese Formulierungen wird der Eindruck erweckt, als ob auch der beruhigende zweite

Teil („…auch Kaltluftvolumenstrommengen ab ca. 1.000 m³/s bewirken klimaökologisch be-

deutsame Positivwirkungen“) aus der VDI-Richtlinie 3787 Blatt 5 entnommen sei. Das ist

aber nicht der Fall. Die Herkunft dieser These ist unklar und durch nichts belegt.

6.3 „Klimaökologische Empfehlungen“ zur Gestaltung der Bebauung (ab S. 29)

Hierbei geht es um die Nord-Süd-Ausrichtung der Baukörper, um eine maximal viergeschos-

sige Bebauung („3 Geschosse + Dach- bzw. Staffelgeschoss“), um zwei „Ventilationsachsen“

von 15 – 20 m Breite in Nord-Süd-Richtung, um Belüftungsachsen in Ost-West-Richtung von

mindestens 10 m Breite, um ein gewisses Maß an „Vegetationsbedeckung“ (auch mittels

„extensiver Dachbegrünungen“) sowie um die Wahl „heller Fassadenfarben“.

Nach der vorangegangenen Datenschlacht mit Diagrammen usw. kommen diese „Empfeh-

lungen“ merkwürdigerweise ganz ohne Belege zur quantitativen Auswirkung daher. Erfolgen

diese Empfehlungen also einfach so aus dem Bauch heraus? Oder sind es letztlich nur selbst-

verständliche Gemeinplätze, die man eben noch einmal aufgeschrieben haben will, um mit

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ein paar unverbindlichen „Sollte“-Appellen der besorgten Öffentlichkeit gegenüber Klima-

sensibilität zu dokumentieren – nachdem man gegenüber der Bebauung, Versiegelung und

großflächigen Vegetationszerstörung an sich ja keine Einwendungen formuliert hatte5?

6.3.1 Beispiel 1: Höhe der Baukörper

Zugelassen werden „sollten“, offenbar ganz einheitlich für das gesamte Gebiet, 3 Geschosse

+ DG bzw. Staffelgeschoss, im Endeffekt also 4 Geschosse, dann wäre auch ein „Übergleiten

der zuströmenden Hangkaltluft“ möglich. Das ist ein sehr hemdsärmliger Ratschlag, für den

sich in der Studie kein Beleg findet. Warum gerade vier Geschosse? Und nicht fünf? Oder

zwei? Und warum machen Klimatologen einen Unterschied zwischen Vollgeschossen und

Dachgeschossen und Staffelgeschossen? Klimatologisch ist doch nicht die Zahl und Art der

Stockwerke entscheidend, sondern die Höhe des Daches über Grund, und die Art des Da-

ches, seine Neigung und Orientierung.

Diese ganze Formulierung erweckt somit stark den Verdacht, dass hier eine entsprechende

Vorgabe durch den Bauträger bzw. das Stadtplanungsamt vorliegt. Als Ergebnis einer klima-

tologischen Untersuchung hätte wohl eine nach der genauen Lage differenzierte Höhenbe-

grenzung für die Bauwerke in Metern mehr Sinn gehabt. Aber Bauträger und Stadtplanungs-

amt denken natürlich in Stockwerken …

6.3.2 Beispiel: 2: Nord-Süd-Ausrichtung der Baukörper, Ventilationsachsen und Belüf-

tungsachsen

Diese Maßnahmen sind angeblich notwendig, um eine „Durchströmung des Planungsgebie-

tes mit Hangkaltluft aus der Hangzone nördlich des Greutwegs zu ermöglichen“. Dieser Hin-

weis ist aber in zweifacher Hinsicht merkwürdig:

Erstens wird kurz danach ausgesagt, dass bei nur viergeschossiger Bauweise auch ein „Über-

gleiten der zuströmenden Hangluft“ möglich sei. Vielleicht ist das aber dann doch nicht so

ganz eindeutig? Also doch lieber noch Ventilationsachsen zusätzlich, falls das mit dem Über-

gleiten mal nicht so klappen sollte? Das klingt insgesamt ein bisschen vage.

Und zweitens ist merkwürdig, dass die sogenannten Ventilations- bzw. Belüftungsachsen zu-

gleich auch unbesorgt für Erschließungswege, für Garagen und Carports genutzt werden

können. Das bedeutet also sich aufheizende Asphaltflächen und zusätzliche Baukörper – bei-

des Hindernisse für die Durchströmung.

Diese Empfehlungen klingen also zunächst sehr einfühlsam und beruhigend – man empfiehlt

mit speziellen „Ventilations- und Belüftungsachsen“ wirklich das maximal Mögliche für das

Stadtklima. Aber man will sich andererseits einer baulichen Nutzung auch dieser Achsen kei-

neswegs entgegenstellen - was diese dann in hochsommerlicher Stauhitze für die Durchlüf-

tung noch leisten können, bleibt unklar.

Immerhin gibt es ja dann noch

5 s. S. 28: „Die bioklimatische Lagegunst im Esslinger Stadtgebiet bleibt gesichert. Eine unzumutbare thermi-

sche Zusatzbelastung tritt nicht auf. Aus klimaökologischer Sicht kann somit eine bauliche Inanspruchnahme des Planungsgebietes akzeptiert werden“.

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6.3.3 Beispiel 3: Empfehlung zu „hellen Fassadenfarben“

Deren Wirkung soll ja ganz enorm sein – an Sommertagen eine Halbierung der Oberflächen-

temperaturen gegenüber „dunklen Fassadenfarben“! Offenbar eine sehr pauschale Aussage,

und was dann die klimaökologischen Folgen der Bebauung bei heller Fassadengestaltung

sein werden, bleibt weiterhin im Vagen.

Sollen wir trotzdem darauf hoffen, dass die Summe solcher einfach machbarer und kosten-

günstiger Detail-Optionen den Verlust der Klimafunktionen der naturbelassenen Freifläche

im Greut wieder wettmacht?

7 Einzelne Fehler im Ökoplana-Gutachten

S. 5 Fußnote: Tippfehler: DWD-Bericht 277 anstelle von 227

8 Noch offener Begutachtungsbedarf

8.1 Unabhängige wissenschaftliche Evaluation des vorliegenden Ökoplana-Klima-

gutachtens auf fachliche Stimmigkeit, Plausibilität der Schlussfolgerungen

und Übereinstimmung mit dem Normenwerk

Diese Notwendigkeit besteht u.E. aufgrund der folgenden Umstände (und muss nötigenfalls

gerichtlich eingeklagt werden!):

Die Stadtklimatologie ist eine äußerst komplexe Wissenschaft, dies wird u.a. durch

die umfangreichen Darstellungen in den VDI-Richtlinien 3783, 3785 und 3787 deut-

lich. Weder die Sachbearbeiter in der Stadtverwaltung noch die Gemeinderäte verfü-

gen über ausreichende Expertise, um das vorliegende Gutachten in allen Einzelheiten

verlässlich beurteilen und die Verantwortung für die darin aufgestellten Thesen und

Handlungsvorschläge in aller Konsequenz übernehmen zu können – zumal es auch in

der Stadtklimatologie, wie in jeder Wissenschaft, unterschiedliche Ansätze und Ex-

pertenmeinungen gibt. Daher ist unbedingt eine unabhängige und wissenschaftlich

qualifizierte Evaluation erforderlich, wie in der Überschrift genannt.

Die Stadtverwaltung Esslingen hat im Zusammenhang mit der Greut-Bebauung vorab,

d.h. spätestens ab Ende 2015, klar Partei ergriffen, kooperiert bereits konkret mit ei-

nem bestimmten Investor und scheidet insofern als neutrale Prüfbehörde für das

Ökoplana-Gutachten und neutrale Beratungsinstitution gegenüber dem Gemeinderat

aus. Die Stadtverwaltung ist in diesem Verfahrensablauf eindeutig Partei, und das

von ihr beauftragte Ökoplana-Gutachten ist somit ein Parteigutachten. Das wird u.a.

auch an der zentralen These von S. 28 deutlich: „Aus klimaökologischer Sicht kann so-

mit eine bauliche Inanspruchnahme des Planungsgebietes akzeptiert werden“ (nach-

dem zuvor eine Vielzahl von klimatologischen Verschlechterungen und Richtwertver-

stößen aufgelistet wurden!)

Eine derartige Ja-Nein-Bewertung der Bebaubarkeit kann unter solchen problemati-

schen und also abwägungsbedürftigen Bedingungen nicht Teil des Gutachtens sein.

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Vielmehr dürfte ein neutral und sachlich formuliertes Gutachten lediglich Entschei-

dungsgrundlage für den kommunalpolitischen Abwägungsprozess sein.

Also noch einmal: Ein solches Parteigutachten kann baurechtlich nicht als ausrei-

chend angesehen werden.

Auf jeden Fall ist die Bebauung von Freiflächen eine a) sehr strittige und b) sehr fol-

genreiche Entscheidung. Auch deswegen hat die betroffene Bevölkerung u.E. in sinn-

gemäßer Anwendung des Baurechts, z.B. BauGB § 1, Anspruch auf eine unabhängige

Evaluation des vorliegenden Parteigutachtens.

Alles andere, d.h. wenn es nur bei einem einzigen, nicht evaluierten Parteigutachten bleiben

sollte und die Verfahrensanforderungen somit nur pro forma erfüllt, aber in der Sache nicht

nachvollziehbar und nicht gegengeprüft wären, wäre u.E. ein Verfahrensfehler bzw. ein Feh-

ler in der gesetzlich vorgeschriebenen Abwägung.

8.2 Generell: Absicherung der Begutachtung durch unabhängige Zweit- bzw.

Drittgutachten notwendig

Bei den von Ökoplana zugrundegelegten älteren Messungen und Rechnungen sowie bei den

daraus gezogenen klimaökologischen Schlussfolgerungen besteht eine Vielzahl von Unsicher-

heiten. Das bezieht sich auf die verwendete Datenbasis genauso wie auf die Methoden zur

Modellierung und Simulation.

Daher hat ein einzelnes Gutachten zu diesen sehr komplexen Zusammenhängen grundsätz-

lich nur den Wert einer spekulativen Behauptung.

Analog zum „micro siting“ bei der Projektierung von Windkraftanlagenwäre auch hier eine

Absicherung durch ein vollkommen unabhängiges Zweit- und Drittgutachten erforderlich,

von unabhängigen Sachbearbeitern, ohne Kommunikation untereinander, nach unterschied-

lichen Analyse- und Prognosemethoden, unter Einsatz unterschiedlicher Software-Tools (zur

Vermeidung gemeinsamer Fehlerstrukturen in den Parallelgutachten).

8.3 Aus Sicht der betroffenen Bürgerschaft durch ergänzende Gutachten abzuklä-

rende Einzelfragen

8.3.1 Zur Kaltluftentstehung

Welche Bodenfeuchte liegt in dem Untersuchungsgebiet vor, und welche Auswirkungen hat

das auf die Kaltluftentstehung? Gem. VDI-Richtlinie 3787 Blatt 5 (2003) Abschnitt 2.4 Ermitt-

lung der Kaltluftentstehung hat die Bodenfeuchte eine sehr große Auswirkung, dieser Begriff

kommt im Ökoplana-Gutachten aber überhaupt nicht vor.

8.3.2 Zum Kaltluftabfluss

Welche Eindringtiefe hat die Kaltluftströmung durch das Geiselbachtal in Richtung der Innen-

stadt nach heutigem Stand (s. VDI-Richtlinie 3787 Blatt 5 (2003))? Dies wäre abzuklären

durch eine Messkampagne, zur Erfassung des Ist-Zustandes als unabdingbare Entscheidungs-

grundlage über Veränderungen durch neue Bautätigkeit.

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8.3.3 Zur Simulation des Kaltluftabflusses

Gem. der VDI-Richtlinie 3787 Blatt 5 (2003) haben die Luftströmungsverhältnisse an Hängen

und in Tälern folgende zeitvariable Grundstrukturen:

Quelle [12]: Defant, F.: Der Abfluss schwerer Luftmassen auf geneigtem Boden nebst einigen

Bemerkungen zur Theorie stationärer Luftströme. In: Sitzungsberichte der preußischen Aka-

demie der Wissenschaften, Physikalisch-mathematische Klasse 18 (1933), S. 624/635

Vor diesem Hintergrund ist eigentlich klar und anschaulich, dass eine Modellierung und

Berechnung solcher komplexer Strömungen mit einem 2D-Rechenwerkzeug wie

KLAM_21 die Wirklichkeit auch nicht annähernd abbilden kann. Eine neue Modellierung

und Simulation unter Einsatz eines modernen, umfangreich validierten 3D-Rechenwerk-

zeugs ist daher u.E. unabdingbar.

8.3.4 Zur Eindringtiefe der Kaltluft in das bebaute Gebiet des Geiselbachtales

In der VDI-Richtlinie 3787 Blatt 5 (2003) steht dazu im Abschnitt 7 auf S. 67: „Wenig unter-

sucht ist … auch die Frage nach der Eindringtiefe von Kaltluft in bebautes Gebiet. Erste Resul-

tate aus Messungen liegen hierfür vor [Verweis auf zwei Literaturstellen]. Auch sollte die

Wirkung von Hindernissen auf den Kaltluftabfluss weiter erforscht werden.“ Offenbar gibt es

zu diesem sehr wichtigen Punkt noch keine sehr klaren Erkenntnisse. Für die Belüftung des

unteren Geiselbachtales und der Esslinger Innenstadt und in Bezug auf die Gesundheitsvor-

sorge für die Bevölkerung ist die Frage nach den Eindringtiefen bei verschiedenen Wettersi-

tuationen und vor allem bei hochsommerlichen Extremwetterlagen aber die Schlüsselfrage.

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Um so wichtiger wäre es, dass in Bezug darauf im Klimagutachten nicht nur Vermutungen

angestellt, sondern belastbare Ist-Analysen und Prognosen vorgelegt werden. Diese Anfor-

derung erfüllt das Ökoplana-Gutachten trotz einiger vager Einlassungen auf S. 7 in keiner

Weise.

9 Fazit

Klimaökologische Gutachten wie das jetzt von Ökoplana vorgelegte sind sehr aufwendige

Konstrukte. Hochqualifizierte Fachleute müssen sämtliche Planungsunterlagen durchsehen,

in eine bestimmte Struktur bringen, vorgegebene Kriterienkataloge darauf anwenden, zu-

sätzliche eigene Untersuchungen anstellen und dann Schlussfolgerungen und ergänzende

Empfehlungen formulieren. Das sieht dann insgesamt sehr gehaltvoll und systematisch aus

und kostet entsprechend dem Aufwand auch sehr viel (Steuer-)Geld. Auf den ersten Blick ist

man sehr beeindruckt von der Fachsprache und der wissenschaftlichen Anmutung und hofft

darauf, dass die in den Gutachten verbal und mit einer Vielzahl von Tabellen und Diagram-

men sehr ausführlich thematisierten „Schutzgüter“ wie Klima, Luftqualität, Gesundheit,

Landschaft usw. damit in guten Händen seien.

Immer mehr stellt sich aber heraus, dass die Vorlage von Gutachten dieser Art zu einem

weitgehend hohlen, letztlich wirkungs- und bedeutungslosen Ritual verkommen ist. Ja, sol-

che Gutachten sind gesetzlich vorgeschrieben, diese Pflicht wird pro forma erfüllt. Ja, sie

können dazu beitragen, Besorgnisse und Widerstände bei der betroffenen Bevölkerung ge-

gen weitere Naturzerstörung und Landschaftsverbrauch zu dämpfen – also geben die Bau-

Aktivisten gerne Geld dafür aus. Ja, man kann vor allem weniger gut informierte Bürger da-

mit beeindrucken und zum Schweigen und/oder zur Resignation bringen.

Aber wenn man genau hinsieht: in immer mehr Fällen werden solche Gutachten routinemä-

ßig und nach vorgegebenen Schemata in einem weltfernen Wolkenkuckucksheim erstellt,

haben kaum noch Zusammenhang mit der Realität: die angegebenen Zahlenwerte zu kon-

kreten Kleinklimaveränderungen sind weitgehend Computerspielerei, sie beruhen größten-

teils auf nicht validierten Simulationsmodellen, durch Vergleich mit Messungen ist keine der

vorgelegten Simulationsreihen systematisch bestätigt!

Man kann diese Computer-Rechenergebnisse folglich glauben oder auch nicht. Sie beziehen

sich ohnehin nur auf wenige idealisierte Sondersituationen und nicht auf das reale Wetter-

geschehen im gesamten Jahreslauf, und das alles auch noch in rechentechnisch sehr verein-

fachter Weise. Wenn dann trotzdem Werte herauskommen, die nach den Normen und

Richtlinien nicht in Ordnung sind, so wie hier z.B. für die Belüftung des Geiselbachtales (s.

Abschnitt 5.1), dann ist das eigentlich auch egal und wird mit beruhigenden Floskeln weg-

kommentiert.

Das Ganze erinnert sehr an die Abgasproblematik bei den Kraftfahrzeugen. Was wurde auch

in diesem Bereich jahrzehntelang ein Aufwand getrieben mit Normen, Vorschriften, Tests,

Gutachten, Verschärfungen, Umwelt-Prämien, Steuererleichterungen usw. usw.. Und was

ist? Die „Abgasmessungen“, die Zulassungsbestimmungen, auf die man bisher bei den Be-

hörden und in großen Teilen der Öffentlichkeit vertraut hat, erweisen sich als realitätsferner

Kokolores. Der eigentliche Zweck davon war, dass immer mehr und immer schwerere Autos

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auf die Straßen gelangen konnten, obwohl das schon lange dem gesunden Menschenver-

stand widersprochen hat. Also wurde die Luftqualität entlang der Straßen immer schlimmer

– trotz der ganzen aufwendigen Inszenierungen zum Thema Schadstoffklassen, Euro-Nor-

men, Umweltzonen usw. leiden immer mehr Menschen unter Stickoxid- und Feinstaubbelas-

tung, vom Lärm ganz zu schweigen.

Genau dasselbe nun, aus genau demselben wirtschaftlichen Druck, in der Baupolitik: immer

mehr Freiflächen sollen überbaut werden, also werden die behördlichen Genehmigungen zu

aufwendigen Inszenierungen erweitert, in deren Rahmen dann hochwisssenschaftlich einige

spezielle Parameter diskutiert werden - und dann aber gutachterlich „bewiesen“ wird, dass

nicht einmal durch die direkte, massive Verbauung von Kaltluft-Leitbahnen irgendein rele-

vanter Umwelt- und Gesundheitsnachteil entsteht.

Hinter solchen wertlos gewordenen Gutachten-Ritualen darf sich niemand mehr verstecken,

weder die Stadtverwaltung, noch der Gemeinderat, noch die Bürgerschaft. Wir alle sind in

aller Ernsthaftigkeit dazu aufgerufen, Verantwortung zu übernehmen:

Die Entscheidung über Bebauen oder Freihalten der Kaltluftbahn Greut ist

eine sehr weitreichende, nicht mehr umkehrbare Entscheidung.

Auch ohne den Ritus aufwendiger Gutachten sagt einem der gesunde Menschenverstand:

Eine umfangreiche Bodenversiegelung in Kombination mit einer vierstöckigen Bebauung

wird auf jeden Fall eine merkliche Verschlechterung der Belüftungssituation im Greut-Gebiet

selbst, im Geiselbachtal und letztlich auch in der Innenstadt nach sich ziehen – das ist übri-

gens auch im Ökoplana-Klimagutachten selbst ausführlich so dargestellt (s. Abschnitt 5).

Aber der spektakulärste Satz im Ökoplana-Gutachten, von Stadtplanungsamt und Esslinger

Zeitung deshalb auch groß herausgehoben, lautet eben (s. S. 28): „Auf Höhe des Hellerwegs

wird im Geiselbachtal zwischen Plan- und Ist-Zustand eine Abnahme des Kaltluftvolumen-

stroms von max. 1% bilanziert.“ Man gibt sich positiv überrascht und glaubt, damit nun die

Einwender beruhigen zu können.

Und tatsächlich scheint „1 % Belüftungsreduzierung“ auf den ersten Blick ein vernachlässig-

barer Wert zu sein – und deshalb fußt darauf auch ganz wesentlich die zentrale Schlussfolge-

rung des Ökoplana-Gutachtens: „Aus klimaökologischer Sicht kann somit eine bauliche Inan-

spruchnahme des Planungsgebietes akzeptiert werden“. Um genau diese These ging es, da-

rauf haben Investor und Stadtplanungsamt gesetzt.

Aber erstens ist dieser kühne Prognosewert „1 %“ in keiner Weise validiert oder verifiziert,

er stellt also lediglich ein Rechenergebnis auf sehr eingeschränkter Grundlage dar, eine

längst noch nicht bewiesene Behauptung.

Zweitens verdeckt dieser Wert, dass die für die Belüftung des Geiselbachtales notwendige

Luftmenge bereits heute, ohne Greut-Bebauung, um bis zur Hälfte kleiner ist, als von der

VDI-Richtlinie empfohlen (s. Abschnitt 5.1). Man hat also bereits deutlich zu wenig, aber of-

fenbar meint man nun im Esslinger Rathaus: „Ein bisschen schlimmer geht immer“?!

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Und drittens geht bei der plakativen Herausstellung dieses scheinbar niedrigen Prozentwer-

tes unter, dass die Strömungsberechnungen des Ökoplana-Gutachtens von optimalen Ab-

flussbedingungen ausgehen6, wie sie in der Realität keineswegs dauerhaft gegeben sind (s.

obigen Abschnitt 2, Unterpunkte 6 und 7.

Die Frage an die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte der Stadt Esslingen ist, ob man die zu

erwartenden Verschlechterungen der Belüftungssituation und die damit verbundene Risiken

für die Bürgerschaft a) vom Rechtlichen her eingehen kann und b) in politischer Entschei-

dung bewusst eingehen will.

Die vorliegenden Berechnungen aus dem Ökoplana-Klimagutachten liefern dafür keines-

falls eine ausreichend solide Datenbasis! Ganz im Gegenteil: wie zuvor in Abschnitt 2 aus-

führlich dargestellt und hier noch einmal zusammengefasst, stellen diese Berechnungen zum

größeren Teil eine pseudo-wissenschaftliche Spekulation dar.

Zuallererst müsste also nun das vorliegende Gutachten fachwissenschaftlich auf seine Aussa-

gekraft untersucht werden, z.B. auf der Basis der VDI-Richtlinie 3783, Blatt 7 und Blatt 9.

Falls es sich dann überhaupt noch lohnt, müssten unabhängige Zweit- bzw. Drittgutachten

eingeholt werden, die aber in gleicher Weise einer unabhängigen Qualitätssicherung unter-

zogen werden müssten.

Die Bezahlung solcher zusätzlicher Gutachten ist Sache der an der Bebauung Interessierten

bzw. der Stadtverwaltung Esslingen. Es kann nicht sein, dass man von der Stadt aus ein ein-

zelnes Gutachten einholt, welches in bereits eingespielter Weise die Bebauung für unbe-

denklich erklärt, von einem Gutachterbüro, das schon seit 13 Jahren die Bebauung von

Grünzäsuren und Frischluftschneisen immer wieder für möglich erklärt hat - und die Quali-

tätssicherung solcher baufreundlicher Gutachten und die Einholung unabhängiger Zweitgut-

achten bleibt dann der Initiative von Privatleuten überlassen.

Schlussendlich, nach einer wesentlich verbesserten gutachterlichen Abklärung und nach ei-

ner ernstgemeinten Bürgerbeteiligung, müssen die Stadträtinnen und Stadträte, jeder ein-

zeln, Verantwortung übernehmen und sich mit allen dauerhaften Folgen entscheiden:

Für oder gegen ein Neubaugebiet mitten in der Kaltluft-Leitbahn im Greut!

6 Zitat von Seite 15 des Ökoplana-Gutachtens: „Vorausgesetzt wurde die für Kaltluftabflüsse optimale Situa-

tion, d.h. eine klare und windschwache Nacht mit einer schwachen nördlichen Regionalströmung (1.5 m/s).“ Und weiter: „Das Modell berechnet die zeitliche Entwicklung der Kaltluftströmung bei gegebener zeitlich konstanter Kaltluftproduktionsrate.“