Nachruf

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Nachruf auf meinen Bruder Roland Gurski. Ein Berliner Schicksal ist abgeschlossen.

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Roland Walter Gurski (1948 - 2008)

Mein Bruder – Sein Leben– Unser Umfeld

Von Almuth Hauptmann-Gurski (2009)

Roland wurde in den Hungerjahren in Plauen in der SowjetischenBesatzungszone in eine Familie geboren, die schon damals auf tönernenFüßen stand.

„Ich dachte, ein zweites Kind würde die Ehe kitten. Als ich denAlten so weit hatte, war er schon unterwegs“, antwortete unsere Muttermir auf die Frage, warum sie denn noch ein zweites Kind in einewackelige Ehe gesetzt hatte.

Meine Frage war von den nicht endenden Klageliedern ausgelöstworden, die unsere Mutter kennzeichneten und die unseren „verachtens-würdigenden“ Vater, dessen geldgierige „Halbwelt“-Familie, Geldmangel,zu viel Hausarbeit usw. zum Inhalt hatten.

Ich habe es meinem Bruder nie gesagt, dass er mit dieser Hypothekgeboren wurde. Nicht lange nach seiner Geburt hatte unser Vater mitder sowjetischen Kommandantura Schwierigkeiten und wir flüchtetennach West Berlin, wo unseres Vaters Mutter, deren Schwestern undseine Schwestern waren.

Nach ein paar Monaten fanden wir eine nur halb nach den Bom-benschäden hergerichtete Wohnung in der Duisburger Straße inWilmersdorf, wo wir dann aufwuchsen. Die Wohnung war ganz obenund mir Dreikäsehoch fiel es schwer, die 100 Stufen hinaufzulaufen.Roland wurde getragen, denn der Fahrstuhl wurde erst 1953 wieder inBetrieb genommen.

Ich teilte mit meinem Bruder das „Kämmerchen“, aber meineErinnerungen daran sind nicht sehr deutlich. Im Zuge des Wiederaufbausvon 1953 wurde auch der Rest unserer Wohnung wiederhergerichtet,so dass wir 4 Zimmer plus Kämmerchen hatten.

Roland war ein charmanter, unruhiger kleiner Junge, der manchmalStrahlemännchen genannt wurde. Seine langen Augenwimpern riefenviel Neid hervor. Später stießen sie an die Brillengläser, was ihm dannnicht so gefiel. Er ging in den Kindergarten, von wo ich ihn oft abholte,besonders, wenn unsere Mutter es vergessen hatte. Da musste ich mich

2010 Nachtrag Seite 15:

Entmietung! Mord, Selbstmord?

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dann entschuldigen und nicht sie. Roland war damals zwischen vierund sechs, ich zwischen acht und zehn. Wir gingen die Eisenzahnstraßeherauf, über die Brandenburgische Straße mit den Straßenbahngleisenund kamen dann in unsere ruhige Wohnstraße, wo Kinder auf derFahrbahn spielten. Ich glaube, Roland war auch dabei gewesen, als wirSteine auf die Straßenbahngleise legten, und uns dann an dem Knallder vorbeifahrenden Straßenbahn delektierten.

Zu Hause war es nicht so einfach, denn Mutter und Vater benah-men sich wie Hund und Katze. Ich weiß nicht, wieviel Roland davongemerkt hat, aber seine Unausgeglichenheit und Unruhe könnten gutdaher gerührt haben, dass die Luft bei uns fast immer zum Schneidenwar.

Einmal bin ich mitten in der Nacht aufgestanden und mit demTeppichklopfer nach vorn in Vaters Zimmer gestiefelt, um die Streit-hammel zu verhauen. Die Mutter hatte mich öfter mit dem Teppich-klopfer verhauen, daher. Ich kann wohl nicht älter als zehn gewesensein, also war Roland sechs.

Roland ging zur Schule, war aber nicht besonders gut. Heute würdeman wohl sagen, er sei etwas dislexic, aber damals wurde das mit Unfähig-keit gleichgesetzt. Ich hatte die Grundschule mit links gemacht und dawaren die mangelnden Leistungen des Kronprinzen wohl eine echteEnttäuschung. Unser Vater war ja ein Doktor der Physik und seineDissertation war offensichtlich bahnbrechend, denn seine Arbeit überSelenphotoelemente ist nach bald 70 Jahren immer noch im Angebotwissenschatlicher Literatur.

1957, Roland war neun Jahre alt, sah die Trennung unserer Eltern:Vorn in seinem Zimmer der Vater, im hinteren Teil der Wohnung,hinter der abgeschlossenen Zwischentür, unsere Mutter, Roland undich. Wir fuhren in dem Jahr zusammen in die Sommerferien in einDorf in der Rhön, wo Roland auf einem Bauernhof und ich in einerFamilie untergebracht waren. Seit dieser Zeit musste ich meine Wäscheselbst, natürlich mit der Hand, waschen. Unsere Mutter verschlepptedas Waschen meiner Kleidung bis ich mich daran gewöhnt hatte, dassich da immer selbst zur Tat schreiten musste.

Zu dieser Zeit, in der vierten Klasse, waren dann Rolands Schul-leistungen so schlecht, dass er diese Klasse noch einmal machen musste.Im folgenden Jahr zog unser Vater aus und wir mussten ihn einmal imMonat an einem Sonntag besuchen. Wir fuhren mit der Straßenbahn

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zum Hochhaus am Lietzensee, wo er eine kleine Neubauwohnung hatte.Um 12 Uhr Mittags mussten wir bei ihm klingeln; um 19:00 Uhr musstenwir bei der Mutter zurück sein – wehe, wenn da überzogen wurde!Roland und ich nahmen das alles mit Achselzucken hin. Eigentlichhätten wir lieber gemacht, was wir wollten als da herumgeschoben zuwerden. Trotzdem hat es natürlich Spaß gemacht, wenn sich der Vatermal einen Käfer mietete und wir die Gelegenheit hatten, einmal ineinem Auto zu fahren.

Die Oma, unseres Vaters Mutter, spielte in unserem Leben keinegroße Rolle und andere Großeltern hatten wir nicht, da die mütterlichenGroßeltern bei unserer Mutter Geburt 45 bzw. 60 Jahre alt gewesenwaren. Oft habe ich in den letzten Jahren daran gedacht, dass das eineungesunde Familienstruktur war, denn die Mutter war schon zu alt, umihrer Tochter, unserer Mutter, gelegentlich zur Seite zu stehen. DieEnkelkinder solcher alten Eltern lernen natürlich auch die Großelternnicht mehr kennen.

Auf unseres Vaters Seite soll es wohl noch Gurski Verwandte(Architekten) gegeben haben, aber es hieß, sie hätten nach des GurskiGoßvaters Tod 1913 mit unserer Großmutter gebrochen. Unsere TanteWally Gurski, die zehn Jahre lang Skatmeisterin gewesen war, wussteauch von unserer Familie nichts, denn ich erinnere mich an eine Bemer-kung ihrerseits „vielleicht stammen wir von russischen Adligen ab“,was garantiert Einbildung war, aber zeigte, dass auch ihr nichts gesagtworden war.

Bis 1956 gingen wir zu Heiligabend zur Oma. Sie hatte ja signi-fikanten Hausbesitz, jeder tanzte nach ihrer Pfeife – und für denRückweg spendierte sie ein Taxi. Das war die einzige ‚Veranstaltung‘,wo unsere Eltern zusammen aus dem Haus gingen.

Roland ist aber auch einmal allein dorthin gefahren. Ich habe einehandgeschriebene Notiz von vielleicht 1955 oder 56 „Bin bei Oma“. Daist er im Alter von 7 oder 8 Jahren mit der Straßenbahn 3 von Wilmers-dorf nach Schöneberg gefahren.

Insgesamt war Roland leider unausgeglichen und nicht leicht zuleiten. Er kam zu den evangelischen Pfadfindern. Die Mutter glaubte,dass dieses Gruppenerlebnis dazu führen würde, dass er sich leichtereinfügte.

An einem Sonntag hatten sie ein ganztägiges Pfadfindertreffenund als Roland gegen Abend mehr als eine Stunde überfällig war,

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beunruhigten wir uns. Er kam dann aber doch noch vor Dunkelheitnach Hause und erzählte, dass er in die richtige Straßenbahn aber falscheRichtung eingestiegen sei. Es war ihm schon eine Weile komischvorgekommen und dann tauchten Vopo-Wachhäuschen auf. Die Straßen-bahn war offensichtlich auf dem Weg in den Ostsektor. Da ist er schnellausgestiegen.

Da er kein Geld für eine neue Fahrkarte gehabt hatte, sei er anden Gleisen entlang in die entgegengesetzte Richtung gelaufen. Irgend-wann kam er an eine Weiche und wusste natürlich nicht, wohin ergehen sollte. Er fragte einen Passanten, in welche Richtung Wilmersdorfsei. Da Wilmersdorf von dieser Stelle SEHR weit war, erkundigte sichder Mann, warum Roland dies wissen wollte. Er gab Roland netterweise15 oder 20 Pfennig, damit er sich eine Fahrkarte kaufen könne.

Unser Leben war von Sparsamkeit gekennzeichnet, denn unserVater schickte unserer Mutter nur ein paar Mark über der Sozialhilfe.Wir trugen abgelegte Kleidung und mehrere Male am Tage hörten wir,dass wir für dieses und jenes kein Geld haben, weil der Vater das Geldlieber für sich behält. Unsere Mutter hatte auch seine Unterlagengefunden, aus denen hervorging, dass er auf etwas sparte – sein Lebenohne uns. Trotz verschiedener Versuche war es nicht möglich, unserdurch Geldmangel gewissermaßen kastriertes Leben zu verbessern. Umuns herum brach das Nachkriegswirtschaftswunder aus, bei uns nicht.‚Man schickt doch eine Mutter nicht zur Arbeit,‘ sagte sie. Gerichtlichkam man da nicht heran, solange er den Sozialhilfesatz zahlte.

In diese Zeit fielen auch die von unserem Vater angestrengtenScheidungsprozesse, insgesamt vier, oder zwei durch beide Instanzen.Die Stimmung war schlecht im Haushalt und Roland war damalszwischen neun und 12 Jahre alt. Der Vater war zwar nicht mehr da, aberdie negative Stimmung der Mutter blieb.

In der Schule war Roland immer noch nicht gut und als dann 1961die Grundschule vorbei war, wurde er nicht für das Gymnasium vorge-schlagen. Unsere Mutter war entsetzt, denn „der Vater muss ein Studiumbezahlen“. Also ging sie zu den verschiedenen Gymnasien bis sie einesfand, dass sich bereit erklärte, ihn aufzunehmen.

Ich habe mehrfach versucht, ihr klar zu machen, dass Rolandnicht das Sitzefleisch für das Abitur habe. Ich habe versucht, ihr klar zumachen, dass dies nichts mit Intelligenz sondern mit Sitzefleisch zu tunhabe.

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In den folgenden Jahren, bis Roland etwa 20 Jahre war, wechselteer die Schule mehrfach, mindestens vier Mal. Die Resultate bessertensich nicht. Sein Widerspruchsgeist verstärkte sich. Roland war in eineBahn gezwungen, die ihm nicht lag.

In dieser Zeit gab es auch eine Phase, in der er in West-Berlin ineinem Internat war. Man glaubte, dort werde er lernen, sich einzufügen.Am Wochenende durften die Internatsschüler nach Hause. Rolandverbrachte die Wochenenden meist bei einer befreundeten Familie inMariendorf, wohin er mit dem Fahrrad fuhr.

Im Nachblick ist das nicht verwunderlich, denn bei uns wurde jaam Wochenende nichts unternommen, da wir für nichts Geld hatten.Früher hatten wir mal Karten oder Brettspiele gespielt, aber das warnicht aufregend genug für einen Jungen dieser Altersklasse.

In diesen Jahren, meiner Oberstufe auf dem Gymnasium, vergrubich mich in Lesen, Klavierspielen, Schularbeiten und gab Nachhilfe-stunden. Ab 1962 nahm ich jede Gelegenheit wahr, eine Mark zuergattern. Unser Leben hatte sich auf Sparflamme abgespielt und dashat ja auch Roland bald zum Jobben geführt. Ich hatte in diesen Jahrennicht viel Zeit für Roland, bedauere dies heute, aber es waren meineTeenagerjahre, in denen ich bereits im Wettlauf mit dem Vorankommenstand und nicht genug Atempausen hatte, weise Entscheidungen zutreffen.

Seit 1961 brauchten wir unseren Vater nicht mehr am Lietzenseezu besuchen, denn nun fuhren wir einmal im Jahr einzeln für eineWoche nach München, wohin der Vater inzwischen versetzt wordenwar. Zum Muttertag 1962 sagte unsere Mutter: „Der Alte ist ja nunnicht mehr da. Ihr geht zur Oma.“ Da fuhren wir also beide mit derStraßenbahn nach Schöneberg. und bekamen dann dort Sekt zu trinken!Die Oma war so freundlich als kennte sie uns, hatte aber schon einenSchlag weg: „Ihr kennt doch meinen Sohn den Dr. Walter Gurski.“Selbstverständlich kannten wir unseren Vater. Die Verwirrung der Omahinderte aber den Notar unserer Tante nicht, ihr volle Zurechnungs-fähigkeit zu bescheinigen und eine Art Rache-Zusatztestament zudokumentieren. Ich weiß nicht mehr, wann die Oma gesagt hatte, siehabe drei Häuser und drei Kinder, so dass jeder eines bekommen könnteund es keinen Streit gäbe. Die Tante hat das durchbrochen, Schadenund Zwietracht gesät, die Folgen für Roland hatten.

Roland fühlte sich in dem Internat nicht wohl und als ihn unsere

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Mutter nicht herausnehmen wollte, tat er etwas, um sich hinauswerfenzu lassen. Und wieder ging es auf ein neues Gymnasium.

Seit er ein kleiner Junge war, hatte er auf die Frage, was er denneinmal werden wolle, geantwortet: „Etwas mit Autos“. Wieder riet ichmeiner Mutter, ihn in eine KFZ-Lehre zu geben, aber nein, sie wolltedie Mutter von Akademikern sein und gestattete dies nicht, obwohlRolands Leistungen auf der Schule nicht ausreichten und die Zeitinzwischen drängte, da er nun etwa 16 oder sogar 17 war.

Er kam wieder nach Hause in unsere Wohnung an der Uhlandstraßeund verbrachte natürlich seine Wochenenden weiterhin nicht wie ichmit Schularbeiten, sondern bei der befreundeten Familie in Mariendorf.

Leider konnte er zu Hause keinen Frieden halten; oder konnteunsere Mutter keinen Frieden halten? Es war extrem schwierig mit derMutter, denn sie saß einem ständig im Nacken mit irgendwelchenForderungen.

„Frieden halten“, hätte in diesem Fall bedeuten müssen, die Ohrenauf Durchzug zu stellen, wenn wieder eine Tirade kam und das danndurch Nichtantworten sich totlaufen zu lassen. Ich hatte auch Schwierig-keiten damit, konnte es aber trotzdem großenteils anwenden. Rolandgab immer Widerworte, schlug auch schon einmal etwas kaputt.

Anfang 1966 ging es wieder einmal hoch her im Flur. Ich hatte zudieser Zeit Schwierigkeiten mit meinem Soziologie Studium und fandes sehr schwer, alles unter einen Hut zu bringen: Studieren, Geldverdienen, meine Wäsche waschen, saubermachen und dazu noch For-derungen nach ständig mehr Hausarbeit abzuwehren. Vorhaltungen,dass sie ihrer Mutter jeden Wunsch von den Augen abgelesen hätte,nervten mich, denn ich stand ja schon fast im Lebenskampf durchmein Universitätsstudium. Lebensfreude kam da nicht auf, meineLeistungen auf der Universität rutschten von schwach zu nichtausreichend – und dann der Unfrieden zwischen den beiden Wohnungs-genossen, die nicht nachgeben konnten.

Es riss mir die Geduld. Ich suchte die Zeitung mit den Stellungs-annoncen heraus und bewarb mich in Frankfurt/Main bei der AssociatedPress. Glücklicherweise war unsere Mutter in den Tagen, als ich michim Berliner Büro vorstellen sollte in einer Verschickung von der Kirche,so dass ich in etwas augeglichener geistiger Verfassung war.

Roland und unsere Mutter brachten mich zur Verabschiedungzum Bahnhof Zoo, an diesem 30. April 1966, und das Bild wie sie beide

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neben dem ausfahrenden Zug hinterherliefen, steht noch heute, nach43 Jahren, lebhaft vor meinem inneren Auge.

Aus der Ferne hörte ich dann, dass nun die Streitereien zwischenRoland und der Mutter zunahmen, was mich nicht wunderte, denn eswar mir bewusst gewesen, dass ich als Puffer gedient hatte.

Roland half inzwischen in einem Pelzgeschäft aus und arbeitetewohl mehr, als es dem Schulbesuch gut getan hätte. Leider wirtschafteteder Erbe das Geschäft in die Pleite. Roland schied aus der Schule ausund arbeitete in einer Autowerkstatt. Nach einer Weile wollte er dochwieder auf die Schule gehen, aber auch diesmal war da kein ausreichenderErfolg. Er verlobte sich mit einer Mitschülerin, aber das ging bald wiederin die Brüche. Er suchte sich wieder einen Job in einer Autowerkstattund fand ihn auch.

Ich habe Roland in den folgenden Jahrzehnten oft bewundert, wieer, als Ungelernter, immer wieder einen Job fand. Er sprach später oftdavon, dass er quasi in einer Meisterfunktion arbeitete und so gern denMeister machen würde. Aber selbst wenn er in dem Alter noch eineLehrstelle finden würde, wovon sollte er wohl in den vielen Jahren derLehre und Meisterschule den Lebensunterhalt bezahlen?

Er hatte einen Bekannten, der ihm bei seiner Familie in Nürnbergeinen Job versprach, was sich aber als Klinkenputzen für Anruf-beantworter herausstellte, also war die Nürnberger Episode kurz. Indieser Zeit besuchte Roland uns (meinen Mann und mich) in Frankfurt,als wir ein größeres Konzert (mit unseren Tschaika Kosaken) veran-stalteten.

Bald darauf ging er wieder nach Berlin und heiratete einegeschiedene Frau, die ein paar Jahre älter war als er. Er verkaufte denvon der Oma geerbten Hausanteil in Berlin Neukölln an unseren Vaterund kaufte sich eine Tankstelle, oder vielleicht auch nur einen Anteil.Leider ging das in die Hose, aber warum hat er nicht gesagt. Die Eheging auch in die Brüche und Roland unternahm einen Selbstmordversuch.

Er rappelte sich aber wieder auf und zog in eine kleine, billigereHinterhauswohnung im Erdgeschoss der Ansbacher Straße 61, wo ermit der Frau vorher (1973/74) im dritten Stock in einer größerenWohnung gewohnt hatte. Er jobte kurz im Volkswagenwerk. Er beklagtesich über den geringen Lohn und zog nach Berlin zurück, wo er dieWohnung nicht aufgegeben hatte. Er jobte weiter. Er hielt mit derehemaligen Frau freundschaftlichen Kontakt, die sagte, dass seine Auto-

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reparaturen immer noch die besten seien.1975 starb unser Vater in München. Roland sagte: „Das betrifft

mich nicht.“ Der Vater hatte ihn nach der Tankstellenangelegenheitund dem Selbstmordversuch als unfähig abgeschrieben. Als der Vaterein paar Monate vor seinem Tode eine Woche in Berlin verbrachte, hater den Sohn nicht kontaktiert. Roland kam dann auch nicht zur Beerdi-gung. Vom Nachlass bekam Roland einen Pflichtteil; ich war Alleinerbin,von dem was übrig war, nachdem die Freundin den Hauptanteilbekommen hatte.

Roland versuchte gelegentlich, mit der Mutter doch einmal wiederfreundlichen Kontakt zu haben. Er schenkte ihr einen gebrauchtenFernseher, den sie entrüstet zurückwies. Man muss das so verstehen,dass sie es als Abschieben betrachtete, denn sie wollte ‚umsorgt‘ werden,was uns, die wir im Lebenskampf standen, nicht möglich war.

Vor meiner Auswanderung nach Australien 1983 hatte ich in Berlinetwas zu erledigen. Ich traf mich mit Roland zum Essen und drücktemeine Hoffnung aus, dass er uns hier besuchen würde. Roland fuhrmich auch zu dem Haus in der Kulmer Straße 31, das über 50 Jahre inunserem Familienbesitz gewesen war. Unser Vater hatte es ca 1972 andie Neue Heimat verkaufen müssen, weil diese als Sanierungsträgerbestimmt worden war. Unser Vater hätte das Haus gern der Familieerhalten, aber unterirdische Garagen unter ein bestehendes Mietshauseinzubauen, so die Vorschriften des SPD regierten Senats, konnte ernicht finanzieren. Sanierungsträger war natürlich die Neue Heimat.

Als Roland und ich uns das Haus im Januar 1983 vom Bürgersteigaus ansahen, war da gar nichts saniert. Die Bedingungen, die unseremVater (und seiner Schwester) aufgedrückt worden waren, galten natürlichfür die Neue Heimat nicht. Die Sanierungsgesetzgebung war nichtsanderes als eine Kungelei, wie der Berliner SPD Senat der Neuen HeimatGrundbesitz zuschanzen konnte. Ich bin mir nicht sicher, ob Rolanddiesen Vorgang von Politikerkorruption in seiner Ungeheuerlichkeiterfasste. Roland fuhr mich dann zum Flughafen.

Ein paar Mal rief er in Australien an. Er selbst hatte ja immer aufAnrufbeantworter geschaltet. Ich weiß nicht, warum diese Anrufe dannaufhörten. Vielleicht habe ich da eine Schuld. Unser Leben hier wardamals sehr schwierig. Vielleicht hatte er auch Schwierigkeiten mit seinenJobs und den ständig wechselnden Freundinnen.

Irgendwann muss er auch einmal finanzielle Schwierigkeiten gehabt

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haben, denn er sagte: „Dafür stehe ich morgens nicht auf.“ Die Einzel-heiten waren mir nicht bekannt, aber es ging darum, wieviel vomEinkommen pfändbar sei. Ich meine mich zu erinnern, dass es Zah-lungen aus der Tankstellenangelegenheit waren, die seinen Arbeitslohnjahrelang ausbluteten.

Dann kam die Wiedervereinigung von 1989. Ich ließ über einenFrankfurter Anwalt die Ansprüche auf die beiden Häuser im ehemaligenOstberlin einreichen, obwohl mir klar war, dass das eine Haus, dasunsere Großmutter einer Jüdin abgekauft hatte, uns nicht zurückgegebenwürde. Die Großmutter hatte viele Schulden aufgenommen, damit dieseFrau die Reichsfluchtsteuer bezahlen konnte. Nachweislich hatte meineGroßmutter einen normalen Verkehrswert bezahlt und nicht die Situationausgenutzt. Die Jüdin ist nicht mehr rausgekommen; unsere Großmutterstand dann nur noch mit den Schulden da.

Auf das andere Grundstück, an dem unser Vater ein Drittel gehabthatte, hatten die Kommunisten eine Minol-Tankstelle gesetzt.

Als sich bis 1993 nichts bewegte, entschlossen wir uns, den Drei-monatsurlaub meines Mannes in Deutschland zu verbringen, um dieRückgabe des Grundstücks, das unserem Vater und der Großmuttergehört hatte, zu betreiben. Roland zuckte von Anfang an die Achselnund sagte, dass er nicht so viel Geld verdiene, um einen Anwalt zubezahlen.

„Und außerdem steht in Deutschland der kleine Mann immer mitleeren Händen da“, meinte er. Er wollte von den Einzelheiten gar nichtswissen. Da würde schon jemand einen Dreh finden, einen um die Wertezu prellen, und soviel Geld, dass man sich wehren kann, kann mannicht verdienen. Ich gab Geld für einen Anwalt aus.

Für das Grundstück gingen 1994 Angebote zwischen 1.8 und 2Mio DM ein.

Rolands Anteil wären zwar nur gut 200.000 DM gewesen, aber erhätte sich davon eine kleine Bleibe kaufen können.

Im Dezember 1994 trat dann das Investitionsvorranggesetz in Kraftund unsere Rechte wurden nullifiziert. Dass die Minol-Grundstückeder elf Aquitaine bereits 1992 zugeschlagen worden waren, wurde mirerst durch das Internet in den Jahren 2001 und 2002 bekannt.

Als wir 1993 in Berlin waren, um die Grundstücksrückgabe in dieWege zu leiten, brachte uns Roland in seiner bescheidenen Wohnungunter, hielt sich aber meist bei der Freundin auf, die außerhalb Berlins

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bei ihrer Mutter und mit ihren drei Kindern wohnte. Die Großmutter,eine Bauersfrau, bestand darauf, dass die Kinder den Abwasch machten,nicht Schularbeiten. Roland kümmerte sich um die Schulangelegenheitendieser Kinder und spendierte eine Spülmaschine. Warum war er sogroßzügig in anderer Leute Angelegenheiten?

Nicht lange danach half er der Freundin, im ehemaligen Ostberlineine Wohnung zu finden. Es klang, als habe er die Kosten des Woh-nungswechsels getragen, denn die Frau war ja immer auf der Stützegewesen und besaß nichts. Nicht lange danach ging das Verhältnis indie Brüche.

1996 starb unsere Mutter und die Testamentsvollstreckerin übergabihm zu treuen Händen die Familienphotos, die unsere Mutter für michbestimmt hatte. Immer sagte er, er werde sie mir schicken. Ich bot ihmPortogeld an, was er nicht wollte. Ich bat, eine Liste zu schicken, damitich mir klar werden könnte, was sich vielleicht nicht lohnt, nachAustralien zu schicken. Es war nie eine Reaktion. Sein Telefon warimmer auf Anrufbeantworter oder Fax. Ich sprach ein paar mal drauf,schickte von unseren Wohnsitzänderungen ein Fax. Es war nie eineReaktion.

Zu dieser Zeit wurde Roland arbeitslos und in seinem letztenTelefongespräch sagte er mir, dass er sich kein Auto mehr leisten könneund ein Motorrad habe. Er habe auch eine neue Freundin, mehr inseinem Alter und werde ein paar Wochen in Spanien verbringen. Rolandsprach von einem Computerkurs für Arbeitslose und einer Emailadresse,wo ich auch eine Email hinschickte. Eine Antwort kam nicht. Ein paarJahre später schickte ich noch eine Mail, die auch nicht zurückkam,aber auch nicht beantwortet wurde.

Ich wurde ungehalten, kaufte ein paar Kugelschreiber, die ich ihmzu Weihnachten schicken wollte, was ich aber dann sein ließ. Was soll’s,fragte ich mich.

Heute, nachdem er tot ist, glaube ich, er lebte in einer schlechtenSituation und wollte dies nicht zugeben. Im Geldmangel der Arbeits-losigkeit ist das Leben ja eine Strafe, so dass er sicherlich sehr deprimiertwar. Wahrscheinlich bahnte sich auch der Verlust der Wohnung schonan. Wenn der durch Geldmangel kastrierte Lebensstil in der Arbeitslosig-keit eine Strafe ist, so wird durch zusätzliche Wohnungslosigkeit dasLeben komplett witzlos.

Wenn man dann daran denken muss, dass sich elf Aquitaine und

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Kohl & Co an den Werten dick machen, während man selbst vor derObdachlosigkeit steht, was dann?.

Rund acht Jahre vor seiner Arbeitslosigkeit, als ich 1993 in Berlinwar, traf ich die schon recht betagte Hauswirtin, Frau Leipziger. Siesagte: „Ach, Ihr Herr Bruder ist doch so ein netter hilfsbereiter Mensch.Wie schade, dass er keine Frau auf Dauer hat. Ach, wenn Sie dasnächste Mal hier sind, dann kommen Sie doch mal zu einer Tasse Kaffeezu uns.“

Für meinen Mann und mich brachten die Jahre zwischen 1993und 1999 vielerlei Schwierigkeiten. 1999 zogen wir vom Lande in dieStadt Adelaide und im Jahre 2000 mussten wir noch einmal umziehen.

Jeden Neujahrsabend dann, wenn mein Mann und ich sinnierten,dass nun wieder ein weiteres Jahr ins Land zieht, und was es wohlbringen werde, haben wir in den letzten Jahren seine Nummer angewählt,und ihm per Fax oder auf dem Tonband ein gutes neues Jahr gewünscht,obwohl ich über das beharrliche Schweigen ungehalten war.

Am Neujahrstag 2009 gab es keinen Anschluss unter seinerNummer mehr. Auch der Eintrag im Telefonbuch war weg. Ich dachte,er sei vielleicht zu einer Freundin gezogen und werde sich dannirgendwann melden.

Allerdings kam auf dem Netz etwas von Eigentumswohnungenin der Ansbacher Straße hoch, was mich etwas beunruhigte, denn Rolandkonnte sich ja einen Kauf nicht leisten. Er bemerkte 1993, dass dieWohnung zwar nicht viel hermache, aber eine bessere könne er sichnicht leisten. Er sagte auch, es sei sehr wichtig, dass er sich diesesRefugium erhalte, selbst wenn es finanziell oft schwierig sei und erhabe es bisher immer geschafft!

Ende Januar 2009 erhielt ich dann eine Email, mit der Anfrage, obich die Schwester des bei einem Wohnungsbrand verstorbenen RolandGurski sei. Er habe über die Jahrzehnte eine kleine Lebensversicherungzu meinen Gunsten aufrecht erhalten. Die Ämter wollten mich zurErbin machen, aber das habe ich natürlich abgewehrt, weil Haftungs-angelegenheiten sowie Nachlassverzeichnis auch auf Anfrage unbekannteGrößen blieben.

Außerdem ist es ja einfach, einen Brandbericht zu schreiben, derdem Toten Schuld und Haftung zuschiebt. Wenn man sich bei Deut-schen auf Ehrlichkeit verlässt, ist man immer angeschmiert, habe ich inmeinen Jahren in Deutschland lernen und dies dann auch noch aus der

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Ferne erfahren müssen. Der Fall, der meinen Bruder das Leben kostete,die elf Aquitaine Leuna/Minol Kungeleien, ist ein Kardinalbeispiel fürdie deutsche Unehrlichkeit. Dass ein Emporkömmling wie Helmut Kohlseine Macht missbraucht, um seiner Parteiorganisation und seinemFreund Mitterrand etwas auf anderer Kosten zuzuschanzen, ist gewisser-maßen normal. Fast alle, die ein paar Stufen zu viel auf der Leiteremporklettern, unterliegen dieser Versuchung. Dass aber das Systemkeine Kraft der Selbstreinigung hat, das ist die deutsche Unehrlichkeit,ohne die mein Bruder nicht in der Entmeitung hätte sterben müssen.

Auf dem Netz war nichts zu finden, was Rückschlüsse auf denOrt und die Umstände des Wohnungsbrandes zuließ, in dem Rolandgestorben war. Andere Wohnungsbrände waren da. Inzwischen habeich erfahren, dass Suizidfälle bei den Medien der Zensur zum Opferfallen, auch hier in Australien.

Ich wandte mich an die Behörden und nach ein paar Umwegenerreichte mich die Mitteilung der Staatsanwaltschaft, dass die Feuerwehrmeinen Bruder leblos aufgefunden hätte. Mit einer brennbarenFlüssigkeit habe er offenbar den größtmöglichen Schaden anrichtenwollen. Ob dies erfolgt ist, war nicht erwähnt. Hintergrund, so dieStaatsanwaltschaft, war ein Räumungsbeschluss. Roland stand offenbarvor der Obdachlosigkeit. Das muss sich sicherlich eine Weile aufge-baut haben und mit einer solchen Nachricht wollte er mich, scheint es,nicht belasten.

Wir hätten auch kaum helfen können, da wir bis September 2007,den verbesserten australischen Alterspensionen, keine verlässliche Ein-kommenssituation hatten. Wir kamen immer rum, manche Jahre mitSchwierigkeiten, aber den Bruder mitzutragen, wäre nicht möglichgewesen. Zu dieser Zeit, neun Monate vor dem Tod, waren aber RolandsWege gewiss vorgezeichnet. Ich hätte nach den Pensionserhöhungenvielleicht sofort reagieren müssen, musste mich aber erst zurecht-schütteln in der neuen Situation. Dass ich gehofft hatte, ihm zumRentenalter eine Flugkarte nach Australien zu schicken, hat er nichtmehr erfahren.

Meine Zeit mit meinem Bruder Roland zieht an meinem innerenAuge vorbei. Er war ein charmanter, beliebter Junge. Aber er war schwerlenkbar, wie alle Kinder, die nicht als Teil einer harmonischenFamilieneinheit aufwachsen. Sie werden früh zu Individualisten, diesich nichts sagen lassen, weil sie von klein auf daran gewöhnt sind, sich

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nur auf sich allein verlassen zu können.In der Waldbühne waren wir mal zu einem Konzert an einem

lauen Sommerabend. Im Olympiastadium waren wir zu den Polizei-festspielen. Wir fuhren gemeinsam nach Ost-Berlin, denn wir hattenPassierscheine für einen Besuch bei unserer Tante dort. An einemSilvesterabend hatte ich bei Bekannten zu viel getrunken und er ‘rettete’mich. Noch heute schäme ich mich dafür. Ob er auch bei Harry Belafonteund Marcel Marceau im Titaniapalast, oder den Donkosaken im Sport-palast mit dabei war, weiß ich heute nicht mehr. Manchmal leisteten wiruns einen Aki-Besuch nach einem Kurfürstendammspaziergang amSonntag.

Unbeantwortete Fragen stehen in der Luft. Hatte er Gerichts-schulden für den Räumungsbeschluss? Warum hat er sich die Lebens-versicherung nicht selbst auszahlen lassen und einen Wohnungswechselfinanziert? Oder hätte Hartz IV ihm das alles abgenommen und erhätte trotzdem keinen Umzug bezahlen können? Wenn man 60 ist und40 Jahre lang Steuern und Abgaben bezahlt hat, kann man da nicht inFrührente gehen, wenn die Aussicht auf einen Arbeitsplatz nichtbesteht? Rund 4000 Euro auf dem Konto – ist das wirklich so wenig,dass man sich das Leben nehmen muss? Hätte er nicht Armenrechtbeantragen können, um seinen Anteil des Minol-Grundstücks vom Staat,der CDU oder der elf Aquitaine zurückzuholen, damit er ein Dachüber dem Kopf haben kann?

Die Zweifel sind nicht ausgeräumt, dass sich jemand um MitternachtZugang zur Wohnung verschafft hat, ihn erstickt oder vergiftet hat unddann eine brennbare Flüssigkeit verteilte, damit es nach Selbstmordund Rache aussah. Der Brand ist offensichtlich sehr schnell gemeldetworden, bevor der darüber liegende Stock in Mitleidenschaft gezogenwar, genau wie man es planen würde.

Es ist mir nun auch klar, warum nichts auf dem Netz und in derPresse war. Das System mag es wohl nicht gern an die große Glockehängen, dass jemand in der ach so wunderbaren Bundesrepublik nachfast 40 Jahren Arbeit vor dem Nichts und der Obdachlosigkeit steht,während sich Helmut Kohl & Co und die Franzosen am geklautenBesitz dick machen. Vielleicht hat es ja auch jemand gewusst, dass erein Opfer der Kohlschen Minol-elf Aquitaine-Kungeleien war, undKohls Untaten müssen ja totgeschwiegen werden. Sollen sich doch dieOpfer umbringen!

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Zweitens möchte natürlich der Hauswirt das auch nicht in derPresse sehen, denn es könnte ja jemand auftauchen, der etwas weiß,gesehen hat und auch sagt. Oh, ich vergaß, dass man in Deutschlandgelernt hat, bei Ungerechtigkeiten und Beschubserei den Mund yu halten.

Mein Bruder Roland Walter Gurskihat 35 Jahre in der Ansbacher Straße 61 gewohnt.

Mein Bruder ist tot.

Wäre er ein Asylant gewesen, hätten sie es ihm vorne und hintenreingesteckt.

Mein Bruder ist tot.

Wäre er ein Jude gewesen, hätte er seinen Grundbe-sitzanteil imehemaligen Ostberlin wiederbekommen und hätte sich eine Bleibe kaufenkönnen.

Mein Bruder ist tot.

Wäre er ein Lebenslänglicher mit Sicherungsverwahrung wieKörppen gewesen, hätten andere für ihn die Gerichtskosten bezahlt.

Mein Bruder ist tot.

Er war nur ein einfacher unbescholtener, Arbeiter, der fast 40Jahre Steuern und Abgaben bezahlt hat.

Freigegeben zur Veröffentlichung ohne Einschränkung.Datenschutz besteht nicht für den Inhalt dieses Nachrufs.

Mitteilung an die Autorin erbeten.Kommentare erwünscht:. [email protected]

Juni 2010

In wenigen Tagen jährt sich der Tod meines Bruders zum zweitenMal. Meine Erinnerung geht zurück. Einen Monat vor unserer Auswan-derung im März 1983, traf ich ihn wie erwähnt in Berlin und zeigte ihmauf der Landkarte, wohin wir in Australien ziehen werden.

Damals habe ich es als selbstverständlich hingenommen, aber heuteweiß ich, dass ich ihm mehr schuldig bin als ich je gegeben habe odergeben könnte.

Er hat dicht gehalten. Zwar hatte er praktisch keinen Kontakt mitunserer Mutter in dieser Phase, aber trotzdem, es hätte ihm versehentlich

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gegenüber einer Plaudertasche entweichen können, dass wir Deutsch-land den Rücken kehren. Unsere Mutter hätte sich garantiert mit denaustralischen Behörden in Verbindung gesetzt, und wer weiss, vielleichthätten sie uns das Visum-Angebot entzogen. Das Visum wird ja erstdann rechtskräftig, wenn man hier ankommt und von den Einwan-derungsbürokraten den Stempel in den Pass bekommt.

Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, was passiert wäre, wennda etwas schief gelaufen wäre und ich heute noch in Deutshland ansässigsein müsste. Aber Roland hat dicht gehalten, man konnte ihm vertrauen.So schwer auch der Tod meines Bruders zu verkraften ist, so stellt sichjetzt perverserweise ein Gefühl der Erleichterung ein, dass sein Leidens-weg vor den neuerlichen Kürzungen durch die Griechenlandkriseendete.

Todesursache: Entmietung

Inzwischen sind mir auch noch aus anderen Quellen nähereUmstände bekannt geworden, die meinem Bruder Roland Gurski dasLeben gekostet haben.

Unbestritten ist, dass es gebrannt hat und eine brennbare Flüssigkeitin der Wohnung ausgegossen worden ist. Die Interpretation war, dasser anscheinend den größtmöglichen Schaden hat anrichten wollen. Dassdies erfolgt ist, ist nicht belegt. Die Feuerwehr kam um ca. Mitternachtvom 23. zum 24. Juni 2008 und fand ihn bereits tot. Es hiess, er hatteeinen Räumungsbescheid, denn das Haus sollte zu Luxus-Eigentums-wohnungen umgebaut werden.

Unbestritten ist auch, dass er mit der Nachbarschaft über denbevorstehenden sozialen Abstieg gesprochen hat, denn er war ja seitetwa 7 oder 8 Jahren arbeitslos, auf Hartz IV, und konnte sich keinenUmzug leisten. Dass es eindeutig Selbstmord war, schrieben die offi-ziellen Quellen nicht, obwohl in einer Mitteilung von zeitlich davor derSelbstmord als gegeben dargestellt wurde. Wenn keine Beweise fürSebstmord oder Mord vorliegen, so muss man allerdings sicherheitshalberSelbstmord erwähnen. Dafür braucht der Schreiber keine Beweise, fürMord schon.

Das Schlüsselereignis ist, dass das Haus verkauft worden war undin Luxus-Eigentumswohnungen umgebaut werden sollte. Dazu musstendie Mieter auf die Strasse verfrachtet werden, im wahrsten Sinne desWortes.

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Da der Baubeginn der Umbauten unverzüglich nach dem zweitenFeuer unter den Versorgungssträngen erfolgte (eine Woche später),müssen die Genehmigungen bereits vorgelegen haben. Der Tod meinesBruders sowie der zweite Brand eine Woche nach seinem Tod machtenden unverzüglichen Baubeginn in der Ansbacher Strasse 61 möglich.

Weder für Mord noch für Selbstmord gibt es Beweise.

Was spricht fuer Selbstmord?• Dass mein Bruder abgekämpft und demoralisiert war durch die

lange Arbeitslosigkeit.• Dass Hartz IV Menschen zu Obdachlosen verdammt.• Dass er die Souveränität des Individuums verloren hatte - wieviele

Niederlagen kann ein Mensch verkraften?Was spricht dagegen?• Konto - Würde man sich nicht von den 4000 Euro auf dem

Konto noch einen schönen Tag machen, bevor man abtritt? Wertritt ab und wirft der deutschen Brutalo-Gesellschaft, die einenimmer nur benutzt und geschröpft hat, noch 4000 Euro in denRachen?

• Uhrzeit - Mitten im Sommer, am 23. Juni, würde man wohl nichtdie Zeit vor Mitternacht für ein Feuer wählen, das den größt-möglichen Schaden anrichten soll. Dazu eignet sich die Zeitzwischen 3 und 4 Uhr morgens sehr viel besser.

• Methode - Die schnelle Entdeckung deutet darauf hin, dassvielleicht ein Fenster offen war und/oder ein Vorhang nichtzugezogen war. So operieren Leute, deren Feuer schnell entdecktund gelöscht werden soll.

• Methode - Wäre es nicht offensichtlich gewesen, die im kleinenZimmer offen an einem Draht hängenden Kleiderbügel mitZeitungen zu behängen, um ein solides Feuer zu erzeugen?

• Der zweite Brand eine Woche nach meines Bruders Tod unterden Versorgungssträngen, wo noch andere Mieter im Haus waren,deutet klar auf Druck durch Dunkelmänner der Hausbesitzerhin, der ja auch erfolgreich war.

• Ebenso wie man Selbstmord nicht ausschließen kann, so kann man auch nicht ausschließen, dass sich Dunkelmänner Zugang zur Wohnung verschafft haben, meinen Bruder überwältigten,

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und dann das Feuer mit einer eilig verteilten brennbaren Flüssig-keit so gelegt haben, dass es schnell entdeckt wurde, aber so aussah,als sei es von meinem Bruder gelegt worden.

An Selbstmord glaube ich nicht mehr. In Berlin werden eben

Leute einfach umgebracht, wenn sie im Wege sind oder wenn

man, wie bei unserer Tante 1970, Geld klauen kann.

Sollten Sie, lieber Leser, einmal durch Berlin-Pankow fahren, und ander Prenzlauer Promenade 191 (Ecke Kissingenstrasse und DettelbacherWeg) vorbeikommen, dann verschwenden Sie bitte einen Gedankendaran, dass der ‘Klau’ des Eckgrundstücks durch die Leuna-Minol-, elfAquitaine-, und Kohl & Mitterrand-Kungeleien ein Leben ausgelöschthat.

Und wenn Sie dann die salbungsvollen Worte einer Trauerfeier zuHelmut Kohls Begräbnis im Fernsehen sehen, dann betrachten Sie bittediese Schmierenkomödie mit einem kleinen Gedanken an die Folgender Kaltschnäuzigkeit der geldgierigen deutschen Kungelklasse.