Narziß und Goldmund. Erzählung - Die Onleihe

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Hermann Hesse Narziß und Goldmund Suhrkamp

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Narziß und Goldmund. Erzählungeiner mittelalterlichen Zeitlosigkeit zu schweben, die
dem poetischen Bedürfnis dieses der rohen Aktualität
widerstrebenden Geistes entspricht, ohne darum
seine schmerzliche Fühlung mit den Problemen der
Gegenwart zu verleugnen … ein wunderschönes Buch
mit seiner Mischung aus deutsch-romantischen und
modern-psychologischen, ja psychoanalytischen Ele-
durchaus einzigartige Romandichtung.
Su h
rk am
Erstes Kapitel
or d e m v o n Doppelsäulchen get ragenen R u n d b o g e n
V des Klos te re inganges v o n Mar i ab ronn , dicht am Wege, stand ein Kas t an ienbaum, ein vereinzelter S o h n des Südens , von einem Rompilger vor Zeiten mitgebracht, eine Edelka­ stanie mit starkem Stamm; zärtlich hing Ihre runde K r o n e über den Weg, a tmete breitbrüstig im Winde, ließ im Früh­ ling, wenn alles ringsum schon grün war und selbst die Klo ­ sternußbäume schon ihr rötliches Junglaub trugen, noch lange auf ihre Blätter warten, trieb dann um die Zeit der kür­ zesten Nächte aus den Blattbüscheln die matten, weiß grünen Strahlen ihrer fremdartigen Blüten empor, die so mahnend und beklemmend herbkräftig rochen, und ließ im Oktober, wenn Obst und Wein schon geerntet war, aus der gilbenden Krone im Herbstwind die stacheligen Früchte fallen, die nicht injedemjahr reif wurden, u m welche die Klosterbuben sich balgten und die der aus dem Welschland stammende Subprior Gregor in seiner Stube im Kaminfeuer briet. Fremd und zärtlich ließ der schöne Baum seine Krone überm Ein­ gang z u m Kloster wehen, ein zartgesinnter und leicht frö­ stelnder Gast aus einer anderen Zone, verwandt in geheimer Verwandtschaft mit den schlanken sandsteinernen Doppel­ säulchen des Portals und dem steinernen Schmuckwerk der Fensterbogen, Gesimse und Pfeiler, geliebt von den Wel­ schen und Lateinern, von den Einheimischen als Fremdling begafft.
Unter dem ausländischen Baume waren schon manche Generationen von Klosterschülern vorübergegangen; ihre Schreibtafeln unterm Arm, schwatzend, lachend, spielend, streitend, je nach der Jahreszeit barfuß oder beschuht, eine Blume im Mund, eine N u ß zwischen den Zähnen oder einen Schneeball in der Hand. Immer neue kamen, alle paar Jahre
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w a r e n es andere Gesichter , die meisten einander ähnlich: b lond und kraushaar ig . M a n c h e bl ieben da, w u r d e n N o v i ­ zen, w u r d e n M ö n c h e , b e k a m e n das Haar geschoren, t r agen K u t t e und Str ick, lasen In B ü c h e r n , unterwiesen die K n a b e n , w u r d e n alt, starben. A n d r e , w e n n Ihre Schülerjahre vo rbe i w a r e n , w u r d e n v o n Ihren El te rn he lmgehol t , In Ri t te r ­ burgen , In K a u f m a n n s - und Handwerke rhäuse r , liefen In die Welt und trieben Ihre Spiele und G e w e r b e , k a m e n e t w a ein­ ma l zu e inem B e s u c h Ins K l o s t e r zurück, M ä n n e r g e w o r d e n , brachten kleine Söhne als Schüler zu den Patres, schauten lä ­ chelnd und gedankenvo l l eine Welle z u m Kas tan ienbaum empor , ve r lo ren sich wiede r . In den Ze l l en und Sälen des Klos te r s , zwischen den runden schweren Fensterbogen und den s t r ammen Doppe l säu len aus ro t em Stein w u r d e gelebt, gelehrt , studiert, ve rwal te t , regiert; vielerlei K u n s t und W i s ­ senschaft w u r d e hier getr ieben und v o n einer Genera t ion der andern vererbt , f r o m m e und wel t l iche , helle und dunkle . B ü c h e r w u r d e n geschr ieben und komment i e r t , S y s t e m e er­ sonnen, Schriften der A l t e n gesammel t , Bi lderhandschri f ten gemal t , des Volkes G l a u b e gepflegt , des Volkes G l a u b e belä­ chelt. Ge lehr samke i t und F r ö m m i g k e i t , Einfal t und V e r ­ schlagenheit , Weisheit der E v a n g e l i e n und Weisheit der Gr iechen , we iße und schwarze M a g i e , v o n al lem gedieh hier e twas , für alles w a r R a u m ; es w a r R a u m für Einsiedelei und B u ß ü b u n g ebenso w i e für Gesel l igkei t und Wohlleben; an der Person des j e w e i l i g e n A b t e s und an der j e w e i l s herrschen­ den S t r ö m u n g der Z e l t lag es, ob das eine oder das andere ü b e r w o g und vorher rschte . Zuze i ten w a r das K l o s t e r b e ­ rühmt und besucht w e g e n seiner Teufelsbanner und D ä m o ­ nenkenner , zuzeiten w e g e n seiner ausgezeichneten M u s i k , zuzeiten w e g e n eines hei l igen Vaters, der He l lungen und Wunder tat, zuzeiten w e g e n seiner Hech tsuppen und H i r s c h ­ leberpasteten, ein j edes zu seiner Ze l t . U n d I m m e r w a r unter der Schar der M ö n c h e und Schüler , der f r o m m e n und der lauen, der fastenden und der feisten, I m m e r w a r zwischen den vie len, w e l c h e da kamen , lebten und starben, dieser und
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j e n e r E inze lne und B e s o n d e r e g e w e s e n , einer, den alle liebten oder alle fürchteten, einer, der auserwähl t schien, einer, v o n d e m noch lange gesprochen w u r d e , w e n n seine Ze i tgenossen vergessen w a r e n .
A u c h je tz t gab es i m K l o s t e r M a r i a b r o n n z w e i Einze lne und B e s o n d e r e , einen Al t en und einen J u n g e n . Z w i s c h e n den vie len B r ü d e r n , deren S c h w ä r m die Dormente, K i r c h e n und Schulsäle erfüllte, gab es z w e i , v o n denen j ede r wuß te , au f die j e d e r achtete. E s gab den A b t Danie l , den Al ten , und den Z ö g l i n g Narz iß , den J u n g e n , der erst seit k u r z e m das N o v i ­ ziat angetreten hatte, aber seiner besonderen G a b e n w e g e n gegen alles H e r k o m m e n schon als Lehre r v e r w e n d e t w u r d e , besonders i m Griechischen. D ie se beiden, der A b t und der N o v i z e , hatten Ge l tung I m Hause , w a r e n beobachtet und w e c k t e n N e u g i e r d e , w u r d e n bewunde r t und beneidet und auch he lml ich gelästert .
D e n A b t l iebten die meisten, er hatte keine Feinde, er w a r v o l l Gü te , v o l l Einfal t , v o l l D e m u t . N u r die Gelehr ten des Klos te r s mischten In Ihre L iebe e twas v o n Herablassung; denn A b t Danie l moch te ein He i l ige r sein, ein Gelehr ter j e ­ doch w a r er nicht. I h m w a r j e n e Einfal t eigen, we l che Weis­ heit Ist; aber sein Latein w a r bescheiden, und Gr iechisch konnte er überhaupt nicht.
J e n e w e n i g e n , w e l c h e gelegent l ich die Einfal t des Ab te s et­ w a s belächelten, w a r e n desto m e h r v o n Narz iß bezaubert , d e m Wunderknaben , d e m schönen J ü n g l i n g mi t d e m e legan­ ten Gr iechisch , mi t d e m ritterlich tadellosen B e n e h m e n , mi t d e m stillen, e indringl ichen Denke rb l i ck und den schmalen, schön und streng gezeichneten L ippen . D a ß er w u n d e r b a r Gr iech isch konnte , l iebten die Gelehr ten an Ihm. Daß er so edel und fein w a r , l iebten beinahe alle an Ihm, vie le w a r e n In Ihn ver l lebt . D a ß er so sehr still und beherrscht w a r und so höfische Man ie ren hatte, nahmen manche Ihm übel .
A b t und N o v i z e , j e d e r t r ag au f seine A r t das Schicksal des A u s e r w ä h l t e n , herrschte auf seine A r t , litt auf seine A r t . J e ­ der der beiden fühlte sich d e m andern mehr v e r w a n d t und
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mehr zu Ihm h ingezogen als zürn ganzen übr igen K l o s t e r ­ v o l k ; dennoch fanden sie nicht zueinander, dennoch konnte keiner be im andern w a r m w e r d e n . D e r A b t behandelte den J ü n g l i n g mi t größter Sorgfa l t , mi t größter Rücks ich t , hatte u m Ihn S o r g e als u m einen seltenen, zarten, vielleicht al lzu­ früh gerelften, viel leicht gefährdeten B r u d e r . D e r J ü n g l i n g n a h m j e d e n Befeh l , j e d e n Ra t , j edes L o b des Ab te s mit v o l l ­ k o m m e n e r Ha l tung entgegen, wide r sp rach niemals , w a r nie ve r s t immt , und w e n n das Ur te i l des Ab te s über ihn richtig und sein einziges Las ter der H o c h m u t w a r , so wuß te er dies Las ter w u n d e r b a r zu ve rbe rgen . E s w a r gegen ihn nichts zu sagen, er w a r v o l l k o m m e n , er w a r allen über legen. N u r w u r ­ den w e n i g e Ihm w i r k l i c h Freund, außer den Gelehrten, nur u m g a b seine Vornehmhe i t Ihn w i e eine erkältende Luft .
»Narz iß« , sagte der A b t nach einer Be ich te zu Ihm, »Ich bekenne mich eines harten Ur te i l s über dich schuldig. Ich habe dich oft für h o c h m ü t i g gehalten, und vielleicht tat ich dir dami t unrecht . D u bist sehr allein j u n g e r B r u d e r , du bist e insam, du hast B e w u n d e r e r , aber keine Freunde. Ich w o l l t e w o h l , Ich hätte An laß , dich zuwei len zu tadeln; aber es Ist kein An laß . Ich w o l l t e w o h l , du wäres t manchma l unart ig, w i e es j u n g e Leu te deines Al te r s sonst leicht sind. D u bist es nie. Ich so rge mich zuwei l en ein w e n i g u m dich, Narz iß .«
D e r J u n g e schlug seine dunklen A u g e n zu d e m Al t en auf. »Ich w ü n s c h e sehr, gnäd ige r Vater , E u c h keine S o r g e zu
machen . E s m a g w o h l sein, daß ich hochmüt ig bin, gnäd iger Vater . Ich bitte E u c h , m ich dafür zu strafen. Ich habe selbst zuzeiten den Wunsch, m ich zu strafen. Schickt mich in eine Einsiedelei , Vater, oder lasset m ich niedere Diens te tun.«
»Für beides bist du zu j u n g , l ieber B r u d e r « , sagte der A b t . »Überd ies bist du der Sprachen und des Denkens in h o h e m G r a d e fähig, me in Sohn ; es w ä r e eine Ve rgeudung dieser Got tesgaben , w o l l t e ich dir niedere Diens te auftragen. Wahr­ scheinlich w i r s t du w o h l ein Lehre r und Gelehr ter w e r d e n . Wünsches t du dies nicht selbst?«
»Verzeiht, Vater, Ich we iß über meine Wünsche nicht so
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sehr genau Besche id . Ich w e r d e stets Freude an den Wissen­ schaften haben, w i e sollte es anders sein? A b e r Ich g laube nicht, daß die Wissenschaften mein einziges Gebie t sein w e r d e n . E s m ö g e n j a nicht I m m e r die Wünsche sein, die e i ­ nes M e n s c h e n Schicksal und Sendung bes t immen, sondern anderes, Vorbes t immtes .«
D e r A b t horchte und w u r d e ernst. D e n n o c h stand ein L ä ­ cheln au f se inem alten Gesicht , als er sagte: »Sov ie l Ich die M e n s c h e n habe kennenlernen, ne igen w i r , zumal In der J u ­ gend , alle ein w e n i g dazu, die Vorsehung und unsere W ü n ­ sche mite inander zu ve rwechse ln . A b e r sage mir , da du deine B e s t i m m u n g vo rauszuwi s sen glaubst , ein Wort dar­ über . Wozu denn glaubst du bes t immt zu sein?«
Narz iß schloß seine dunklen A u g e n halb, daß sie unter den langen schwarzen W i m p e r n ve r schwanden . E r s c h w i e g .
»Spr ich, me in S o h n « , mahnte nach l a n g e m Warten der A b t . M i t leiser S t i m m e und gesenkten A u g e n begann N a r ­ ziß zu sprechen.
»Ich g laube zu wissen , gnäd ige r Vater, daß Ich v o r a l lem z u m Klos te r leben bes t immt bin. Ich w e r d e , so g laube Ich, M ö n c h w e r d e n , Priester we rden , Subpr lo r und vielleicht A b t w e r d e n . Ich g laube dies nicht, w e l l Ich es w ü n s c h e . M e i n Wunsch geht nicht nach Ä m t e r n . A b e r sie w e r d e n mi r auferlegt werden .«
L a n g e s c h w i e g e n beide. »Warum hast du diesen Glauben?« fragte zögernd der
A l t e . »Welche Eigenschaf t In dir, außer der Gelehrsamkei t , Ist es w o h l , die In d iesem Glauben zu Wort k o m m t ? «
»Es Ist die E igenschaf t« , sagte Narz iß l angsam, »daß Ich ein Gefühl für die A r t und B e s t i m m u n g der M e n s c h e n habe, nicht nur für meine eigene, auch für die der andern. D iese Eigenschaf t z w i n g t mich , den andern dadurch zu dienen, daß Ich sie beherrsche. W ä r e Ich nicht z u m Klos te r leben g e ­ boren , so w ü r d e Ich Rich te r oder Staatsmann w e r d e n m ü s ­ sen.«
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