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2,7 Millionen … K Überstunden hat die Bundespolizei 2015 geleistet A Ausländer sind 2015 nach Deutschland eingewandert Q Wähler hatte die AfD am 13. März in Sachsen-Anhalt Na ja, sagt Bundesfinanzminister Schäuble, wenn es um Forderun- gen nach mehr Geld aus dem Bundes- haushalt geht. Für Arbeit und Soziales stelle er 2016 immerhin Z 31 Milliarden Euro zur Verfügung H 130 Milliarden Euro zur Verfügung Y 310 Milliarden Euro zur Verfügung Sechs Prozent mehr verlangen ver.di und Beamtenbund bei den Tarifverhandlungen für den Öffentlichen Dienst. Es geht um Lohnzuwachs für I 2,3 Millionen Beschäftigte des Bundes und der Kommunen Ü 2,3 Millionen Beamte, Richter und Staatsanwälte T 2,3 Millionen Auszubildende Proteste gibt es auch gegen die Unternehmenspolitik bei real. Vorgeworfen wird der Handelskette D Steuerflucht S Tarifflucht W Stadtflucht Der Kurznachrichtendienst twitter wurde zehn Jahre alt. Wessen Seite hat dort in Deutschland mit Abstand die meisten Abonnenten, die Follower genannt werden? Ö Angela Merkel R Günther Jauch N Mesut Özil Großbritannien droht mit dem Aus- tritt aus der eu und will die Briten darüber am 23. Juni abstimmen lassen. Deren Votum hängt auch von einem heftigen Streit um eine von Brüssel fest- gesetzte Steuer ab, und zwar der auf X Pale Ale J Gewinne beim Pferderennen E Tampons Womit drohte Donald Trump Ende März nach den Anschlägen von Brüssel für den Fall seiner Wahl zum us-Präsidenten? U den Euro abzuschaffen C Terrorverdächtige mit Waterboarding und Schlimmerem zum Reden zu bringen G die Regierung in Mexiko zu stürzen Bei uns schnuppern Mitglieder der AfD in bereits drei Landespar- lamenten an der politischen Macht. Wenn man sie ließe, sagen sie, würden sie N die Frauenquote abschaffen L Gewerkschaften verbieten O die Mauer wieder aufbauen preisrätsel

Transcript of nationalist seele - publik.verdi.de · erichgrisar:Ruhrgebietsfotografien 1928–1933 „Langsam...

erich grisar: Ruhrgebietsfotografien1928–1933„Langsam gehen die Wochen. Lange Tage bringen sie, viel Arbeit undeinen kurzen Feierabend“, schrieb Erich Grisar Anfang 1930 in seinemRoman Ruhrstadt über seine Heimatstadt Dortmund. Der Roman wur-de zu seinen Lebzeiten nicht mehr veröffentlicht, genauso wenig wiedie meisten seiner Fotografien aus den Jahren 1928 bis 1933. Insgesamt200 dieser Bilder, die auch ein Porträt der Stadt im Revier zeichnen,zeigt jetzt erstmals das Ruhr Museum in Essen. Schwarzweiß-Fotogra-fien, die vor allem das Leben der Menschen im Dortmunder Nordendokumentieren, die ihren oft armseligen Alltag rund um die Zechen derStadt bestritten.

Je älter die Menschen auf diesen Fotos sind, desto mehr bedrücken dieBilder. Kinder hingegen, die vor seiner Kamera teils regelrecht posieren,gewinnen der Tristheit um sich herum immer wieder auch ein Stück Le-bensfreude ab. Wenn sie nicht den Spielzeugkran eines Freundes bestau-nen, führen sie in gepflegten Kleidern Gänse aus, basteln sich aus Schuttund Schrott einen Panzer oder strahlen einfach in die Linse. Doch auchihr kleines Glück wird immer wieder gebrochen von Bildern täglicherLast. Wenn etwa ein Knirps einen Karren mit Pferdemist von der Straßefüllen und ziehen muss, der fast genauso groß ist wie er selbst.

Erich Grisar kannte diese Lasten ausder eigenen Kindheit. Er stammteselbst aus einer armen Arbeiterfami-lie. Er hatte das Glück, eine Lehreals Vorzeichner absolvieren und sichnach dem ersten Weltkrieg als Ar-beiterschriftsteller und Journalisteinen Namen machen zu können.Aber er hat nie vergessen, woher erkam. Mit Block, Stift und Kamerakehrte er immer wieder zurück,prangerte in Sozialreportagen dieLage der malochenden Arbeiter/in-nen an. Es dauerte nicht lange, bisder bekennende Sozialdemokratauf dem Index der Nationalsozialisten stand.

Aufhalten und abhalten konnten sie den fotografierenden Schriftstellernicht. Er hat stets ein Auge auf die Arbeitenden behalten. „Und einmalin der Woche ist Sonntag. Dann scheint die Sonne und die Arbeitersetzen sich, froh, einen Tag nicht im Lärm und Ruß der Fabriken sein zumüssen, an das offene Fenster, sehen den Kindern, die auf den Straßenspielen, zu und den Männern, die im besten Anzug und mit gebügelter

Seele zur Kirche eilen. Andere gehen zur Versammlung ihres Verbandes.Oder zum Frühschoppen, aus dem nicht selten ein Dämmerschoppenwird. Manche sitzen auch den ganzen Tag zu Haus“, schrieb er in seinemDortmund-Roman. Und hielt das alles auch mit der Kamera fest. In Bil-dern, die entdeckt werden wollen. Petra Welzel

ruhr museum, geLsenkirchener str. 181, essen, bis 28. august,tgL. 10-18 uhr

RE:BELLION |RE:LIGION | RE:FORMUmbrüche, Entwicklungen, Einbrüche,Kriege, Katastrophen, alles, was Gesell-schaften verändert oder bedroht, er-zeugt immer auch Abbilder in der Kunst.Manchmal nehmen Kunstwerke Entwick-lungen voraus, meistens jedoch reagie-ren sie auf Situationen, spiegeln sie oderversuchen, Einfluss auf sie zu nehmen.Das Städtische Kunstmuseum Spend-haus in Reutlingen spannt in seiner Aus-stellung einen Bogen über 500 Jahre, inder der Papstesel von Lucas Cranach in

Gestalt eines weiblichen Akts mit Esels-kopf und Hahnenkopfschwanz nebenLichtarbeiten von Daniel Rode über den

sogenanntenArabischen Früh-ling in Ägyptenfür dasselbe Phä-nomen stehen:Nämlich, dassoft religiöse Aus-einandersetzun-

gen gesellschaftliche Konflikte begleitenoder gar auslösen. Künstler/innen ste-hen hier mit ihren Mitteln häufig aufder Schneide zwischen Parteinahme

oder Rebellion. Die Ausstellung in Reut-lingen macht gerade auch wegen derweltweit anhaltenden Auseinanderset-zungen erfahrbar, welche Macht dieSprache der Bilder hat. Petra Welzelstädtisches kunstmuseum sPendhaus,sPendhausstr. 4, reutLingen, bis 5. Juni,di-sa 11-17, do 11-19, so/feiertags11-18 uhr

Father Figures arehard to findVaterfiguren sind nur schwer zu finden,das ist natürlich völlig untertrieben. Ein

Blick in die Kunstgeschichte überhäufteinen geradezu mit männlichen Vorbil-dern. Aber den Künstler/innen in dieserAusstellung der Neuen Gesellschaft fürbildende Kunst geht es tatsächlich da-rum, die richtigen Vaterfiguren zu fin-den. Ausgehend von der Annahme, dasssich kein Mensch ohne Vorbilder und Au-toritäten entwickelt, haben die teilneh-menden internationalen Künstler/innenVaterfiguren geschaffen, die nicht dasschlichte Schema von Vater, Mutter,Kind bedienen. Dabei haben sie sich dieFrage gestellt, was überhaupt eine Vater-figur sein kann? Was passiert mit unse-

ren eigenen Vätern? Oder auch: Waswird aus dem Vater Unser? Herausge-kommen sind dabei Werke, die manch-

mal schmunzelnlassen, aberganz oft tiefberühren undweitere Fragenaufwerfen. Vorallem die nachdem eigenen

Vaterbild. Petra Welzelneue geseLLschaft fÜr biLdende kunst,ngbk, oranienstr. 25, berLin, bis 30. aPriL,tgL. 12-19, mi-fr 12-20 uhr

www.spargel.netCumulus, Ramires, Raffaelo und Burgun-dine – so heißen nicht etwa die Hauptfi-guren einer Operette. Es sind vielmehr dieNamen von Spargelsorten, mal weiß, malgrün, mal violett. Doch wichtiger noch alsdie einzelnen Bezeichnungen zu kennen,ist es, über deren richtige Zubereitung Be-scheid zu wissen. Warum darüber hinausder Spargel so gesund ist – kaum Fett und

Kalorien, dafürkalium- und vita-minhaltig – undweshalb die Spar-gelsaison traditio-nell am 24. Juniendet, darüberinformiert spar-

gel.net. Auf der sehr aufgeräumten undansehnlich aufgemachten Webseite gehtes wirklich um nichts anderes als um Spar-

gel, und so erfährt man auch vieles zuAnbau, Aufzucht und Ernte des beste-chenden Gemüses, das auch als Heilpflan-ze dient. Wer sich als Spargelanbauer/inversuchen will, kann hier auch hilfreichesWerkzeug zum Stechen und Schälen be-kommen. Zudem finden sich zahlreicheSpargelrezepte, mal bekannt-klassisch,mit Schinken und Sauce Hollandaise, malungewöhnlich, wie etwa für eine kalteSpargelsuppe. Henry Steinhau

www.pilgern-bewegt.dePilgern wird immer populärer. Machtensich beispielsweise Ende der 80er, An-fang der 90er Jahre jährlich zwischen500 und 1.000 Deutsche auf den be-rühmten Weg ins spanische Santiagode Compostela, waren es 2007 schonknapp 14.000 und 2015 sogar knapp

19.000. Insgesamt registrierte das Erzbis-tum in Santiago 2015 gut 250.000 Pilge-er/innen. Da ist zu vermuten, dass esnicht allen auf demWeg primär um Reli-gion und Glauben geht, auch wenn dieKirchen das vielleicht gern so hätten.Vielmehr suchen die Wandernden innereEinkehr, Bewegung in der Natur, histo-risch beladene Nachlauferlebnisse undspirituelle Erfahrungen. Auch in Deutsch-land gibt es mehrere traditionelle Pilger-

wege, etwa vonStralsund nachBremen (Hanse-Route), von Han-nover nach Köln(Bischofsroute),von Koblenznach Konstanz

(Weinroute) oder von Chorin nach Dres-den (Fontaneroute). Mehr über den Ver-lauf dieser Routen – samt Karten zum He-

runterladen – und das Pilgern als solcheserfährt man auf der Webseite pilgern-be-wegt.de. Hinter dem Angebot steht einVerein in Kassel, dem auch die barriere-freie Nutzung von Pilgerwegen ein Anlie-gen ist. Henry Steinhau

http://uebermedien.deKritik an der Arbeit von Medien undJournalisten ist so eine Sache. In Zeitun-gen, Zeitschriften, Radio und Fernsehenfindet sie selten und in Nischen statt.Das neue Online-Magazin Übermedienhingegen kennt keine Beißhemmungen,denn es ist vor allem eins: unabhängig.Gründer sind die erfahrenen Medien-journalisten Stefan Niggemeier (Bild-blog) und Boris Rosenkranz (Zapp, Extra3), die Finanzierung basiert auf Leser-Abos, bewusst gibt es weder Werbungnoch Sponsoring. Zudem richtet sich

Übermedien nicht an Medienmacher,sondern an das Publikum. Die Autorenberichten und urteilen über Fernsehfil-me, Talkshows, Reportage- und Livesen-dungen, Nachrichten- und Boulevard-Journalismus, ob der nun On Air, Onlineoder auf Papier stattfindet. Ihre Kritikzielt auf die Qualität und den Gehaltvon Sendungen und Artikeln, sie deckenNachlässigkeiten oder zweifelhafteHaltungen von Redakteuren auf. In der

Masse der Me-dien eine wichti-ge Stimme, diesich der gesell-schaftlichenDiskussion um„Lügenpresse“,öffentlich-recht-

lichen Rundfunk und den Wert des Jour-nalismus stellt. Henry Steinhau

ensemble fisfüz: BosaiEine deutsch-türkische Freundschaft,wie man sich sie auch im größeren Maß-stab wünscht: Seit nunmehr 20 Jahrenformen Anette Maye (Klarinette), MuratCoskun (Percussion) und Gürkan Balkan(arabische Laute Oud und Gitarre) austürkischer, mediterraner, arabischer und

südindischerMusik ihren un-verwechselbarenOrient-Sound.MusikalischeAbenteuerlust,hohe Improvisa-tionskunst und

eine niemals versiegende Neugier fürdas Fremde, das Andersartige kenn-zeichnen ihr Trio FisFüz. „20 years ofOriental Jazz“ lautet der ergänzende CD-Titel. Vom Wörtchen „Jazz“ soll sich nie-mand irritieren lassen, denn mit Jazz imherkömmlichen Sinn hat der ganz eige-ne FisFüz-Sound wenig zu tun. Stattdes-

sen überzeugt das Trio mit seinem weitverästelten und dennoch homogenenBeziehungsgeflecht verschiedenster Ein-flüsse und trägt der veränderten, multi-kulturellen Lebenswelt in der Bundesre-publik Rechnung. Damit ist FisFüz demMainstream diesbezüglicher Diskussio-nen um Lichtjahre voraus. Wenn Musikdazu beitragen könnte, Gräben zu über-winden, dann sind die drei von FisFüzauf dem besten Wege dahin. Peter Rixencd, Pianissimo / edeL

the kills:Ash & IceFolgt man der Regenbogenpresse, kannman erfahren, dass das britische Super-model Kate Moss sich neu verliebt hat,und zwar in den deutschen Grafen Niko-lai von Bismarck. Folgt man der Musik-presse, dann ist zu erfahren, dass Moss’baldiger Ex-Ehemann Jamie Hince eineböse Verletzung an der Hand, die er zumGitarrespielen braucht, überstanden hat.Ersteres ist auf Ash & Ice von The Kills,

der gemeinsamen Band von Hince undAlison Mosshart, nicht sofort zu hören,letzteres allerdings deutlich. Der 47-jäh-rige Jamie Hince musste sein Instrumentvollkommen neu erlernen, entsprechendreduziert und spartanisch, aber auch ef-fektiver und kraftvoller klingt sein Gitar-renspiel nun. Dafür ist der Gesamtsounddes Duos, das bislang nahezu allein auf

das rohe Zusam-menspiel vonGitarre und Stim-me setzte, üppi-ger geworden,sind mehr Klang-farben als je zu-vor zu hören. Ge-

nerell klingen The Kills lange nicht mehrso kühl und sachlich wie einst, sondernsehr viel emotionaler, auch weicher undverletzlicher, passend zu Mossharts Tex-ten, die von Liebesleid und Selbstzerstö-rung künden. Ganz passend zur Lebens-krise von Jamie Hince, die demnächst,wie auch schon der Boulevard bereits

frohlockt, in einen Scheidungskrieg mün-den könnte.

Thomas Winklercd, domino records/goodtogo

violent femmes:WeCanDoAnythingDie Kritiker liebten sie. Die Schrägen lieb-ten sie, die Ungeliebten und die Seltsa-men. Die, die anders sein wollten, liebtensie erst recht. Trotzdem – oder geradedeshalb, was ja nur logisch wäre – bliebden Violent Femmes der umfassende Er-folg immer verwehrt. Die 1980 in der us-amerikanischen Bierhauptstadt Milwau-kee gegründete Band verkaufte zwarallerhand Platten, landete aber nie einenMainstream-Hit. Stattdessen stand diedrei Mal aufgelöste und drei Mal wieder-vereinigte Combo wie kaum eine anderefür die Gegenkultur. Die Violent Femmeswaren verwurzelt im Punk, haben denIndie-Rock entscheidend geprägt, denLo-Fi-Sound begründet und die America-

na für die Nachwelt gerettet. Und sieklingen trotz der Last dieser Geschichteauch im vierten Jahrzehnt ihrer Bandge-schichte aufWe Can Do Anything, ihremerst neunten Album, immer noch erstaun-lich rostfrei. Oder eben gerade so klapprigwie ein altersschwacher Camping-Stuhl.Frontman Gordan Gano singt über die Iro-nie von großen Autos, die Lächerlichkeit

des HeiligenGeists und dieÜberflüssigkeitdes Reisens, aberviel wichtiger:Die Songs sindso leidenschaft-lich hingerotzt

wie eine ungeliebte Klassenarbeit. Als dieViolent Femmes begannen, dachten ihreFans noch, man könnte die Welt retten,wenn die Musik nur kaputt genug klingenwürde. Heute ist die Welt so kaputt, wiedie Femmes damals klangen und heuteimmer noch klingen. Thomas Winklercd, Pias / rough trade

Die KommuneDas Experiment, eine Wg zu gründen,lässt sich gut an. Anna und Erik sind nichtauf Untermieter angewiesen, aber dieneuen Mitbewohner bringen Schwung inihren Alltag. Sie diskutieren, feiern, strei-ten, saunieren und haben Spaß. Regis-seur Thomas Vinterberg, der in dieseGeschichte auch eigene Erfahrungen ein-bringt, erinnert sich indes nicht nur ver-gnüglich, sondern vor allem ambivalent

an alternativeLebensformenim Kopenhagender 1970er Jahre,entlarvt Lügen,Selbstbetrug undfragwürdigeIdeale der Acht-

undsechziger. Die Affäre mit einer Stu-dentin bringt es mit sich, dass Eriks ego-zentrische, chauvinistische Seite zumVorschein kommen. Hemmungslos und

ohne Rücksicht auf Frau und Tochterquartiert der Architekt seine neue Freun-din in der Kommune ein. Anna akzeptiertdiese Zumutungen verständnisvoll, dochplötzlich versagt der toleranten Nachrich-tensprecherin vor laufender Fernsehka-mera die Stimme. Es tut weh, die eigent-lich starke Frau so leiden zu sehen. Diegroßartige Trine Dyrholm lässt ihre Hel-din sehr ergreifend zu Boden gehen.Aber zum Glück steht sie auch wiederauf. Kirsten Liesedk 2015. r: thomas Vinterberg. d: trinedyrhoLm, uLrich thomsen, heLene r. neu-mann. 111 min. kinostart: 21.aPriL

Kein ZickenfoxDiese Musikdoku wartet mit spannenderzählten Portraits von Musikerinnen inallen Lebenslagen zwischen 21 und Mitte80 auf. Vor 13 Jahren haben sich 66 Frau-en aus Berlin-Kreuzberg und Neukölln zudem weltweit einzigartigen sinfonischen

Frauenblasorchester zusammenge-schlossen. Auf der diesjährigen Berlinalewurde ihr Film präsentiert – und heimsteprompt einen Publikumspreis ein. Es sinddie knappen, unverstellten Statementsder Frauen, die in die Doku hineinziehen.Eine Sozialarbeiterin um die 60, die Frau-en im Knast betreut (anrührend) und imOrchester das Saxofon bläst, oder dieSchlagzeugerin (mit Supersoli), die ihrHaus schlagzeuggerecht umbaut. Um ei-ne(n) geschehen ist es jedoch, wenn die

Gruppe mit ihrenMusical-Hits liveaufspielt – wie inder Berliner Ura-nia in diesemFrühjahr. Nachder Filmvorstel-lung rissen die

Frauen 850 Zuschauer/innen im – aus-verkauften – Kinosaal zu Begeisterungs-stürmen hin. Also, den Film unbedingtanschauen. Oder gleich ein Instrument

kaufen und loslegen. Denn der Rat-schlag der Musikerinnen klingt nach inden Ohren: Wann, wenn nicht jetzt!

Ulla Spiekermannd 2016/dagmar Jäger & kerstin PoLte/mitW: frauenbLasorchester berLin/69 min., kinostart: 17.3.2016

Sing StreetBekannt wurde er mit seinem anrühren-den Film Once über einen verliebtenStraßenmusiker. In Sing Street setzt derirische Regisseur John Carney auf einenTeenager mit Ambitionen. Zwar kannConor weder singen noch Instrumentespielen, geschweige denn sich durchset-zen. Aber um sich seiner Traumfrau zunähern, wirbt er sie für das Musikvideoseiner noch nicht existierenden Britpop-band an. Die Motivation zu musizierensteigt. Die Band rekrutiert er einfach undoptimistisch aus Schulbekanntschaften.Es funktioniert, scheue Schüler mausern

sich zu kecken Jungmusikern. Sing Streetzeigt das Dublin vor dem Celtic Tiger,dem Nationalstolz stiftenden Wirt-schaftsboom. Conor revoltiert gegensein rückständiges Land, gegen Schul-tyrannen, Liebeskummer und den Haus-verkauf der Eltern, die die Verarmung ineine Trennung treibt. Alles ergibt Stofffür Conors Songtexte. Dem Schnitt undder in Conor vernarrten Kamera gibt esGelegenheit für einen Mix aus Wunsch-träumen, den herrlich dilettantischen

Musikvideos derBand undschließlich derenProfiversionen.Nicht nur Filmkri-tiker lachen vorGlück.

Jutta VahrsonirL 2016. r: John carney. d: ferdiaWaLsh-PeeLo, Jack reynor, Lucy boyn-ton, maria doyLe kennedy, 106 min., ki-nostart 26. 5. 16

2,7 Millionen…

K Überstunden hat die Bundespolizei2015 geleistet

A Ausländer sind 2015 nach Deutschlandeingewandert

Q Wähler hatte die AfD am 13. März inSachsen-Anhalt

Na ja, sagt BundesfinanzministerSchäuble, wenn es um Forderun-

gen nach mehr Geld aus dem Bundes-haushalt geht. Für Arbeit und Sozialesstelle er 2016 immerhinZ 31 Milliarden Euro zur VerfügungH 130 Milliarden Euro zur VerfügungY 310 Milliarden Euro zur Verfügung

Sechs Prozent mehr verlangenver.di und Beamtenbund bei den

Tarifverhandlungen für den ÖffentlichenDienst. Es geht um Lohnzuwachs fürI 2,3 Millionen Beschäftigte des Bundesund der Kommunen

Ü 2,3 Millionen Beamte, Richter undStaatsanwälte

T 2,3 Millionen Auszubildende

Proteste gibt es auch gegen dieUnternehmenspolitik bei real.

Vorgeworfen wird der HandelsketteD SteuerfluchtS TariffluchtW Stadtflucht

Der Kurznachrichtendienst twitterwurde zehn Jahre alt. Wessen Seite

hat dort in Deutschlandmit Abstand diemeisten Abonnenten, die Followergenannt werden?Ö Angela MerkelR Günther JauchN Mesut Özil

Großbritannien droht mit dem Aus-tritt aus der eu und will die Briten

darüber am 23. Juni abstimmen lassen.Deren Votum hängt auch von einemheftigen Streit um eine von Brüssel fest-gesetzte Steuer ab, und zwar der aufX Pale AleJ Gewinne beim PferderennenE Tampons

Womit drohte Donald TrumpEnde März nach den Anschlägen

von Brüssel für den Fall seiner Wahl zumus-Präsidenten?U den Euro abzuschaffenC Terrorverdächtige mit Waterboardingund Schlimmerem zum Reden zubringen

G die Regierung in Mexiko zu stürzen

Bei uns schnuppern Mitgliederder AfD in bereits drei Landespar-

lamenten an der politischen Macht.Wenn man sie ließe,sagen sie, würden sieN die Frauenquote abschaffenL Gewerkschaften verbietenO die Mauer wieder aufbauen

3 x den Abhörthriller NSA – Never sayanything von Michael Lüders.

Die Kennbuchstaben der richtigenLösungen, ergeben, neu sortiert,eine Alternative zur Butter aufdem Brot.Bitte schicken Sie eine Postkartemit dem Lösungswort bis zum25. Mai 2016 (Datum desPoststempels) an: ver.di publikPreisrätsel, 10112 Berlin.Letztes Lösungswort:ALLERGIEGewonnen haben: H. Burmeister(Rostock), G. Handkewitz (Herne),H. Ruppert (Allendorf). W. Jansen(Osnabrück), B. Wendeborn(Dessau-Roßlau).Herzlichen Glückwunsch!F

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kulturbeutelver.di publik 3 ·2016

a6

stefan koenig:Tod im KanzleramtKann man sich vorstellen, dass AngelaMerkel einen kleinen syrischen Jungen

adoptiert, dersie natürlichMama nenntund sie dafürhält? Kann mansich vorstellen,dass es gehei-mes us-amerika-

nisches Fracking, jene mit Unmengenvon giftigen Chemikalien versetztenTiefenbohrungen nach Gas, in derUkraine gibt, das bislang unvorstellbarverheerende Klima- und Wetterverän-derungen auslöst? Der Journalist Jür-

gen Bodelle kann das und hat unterseinem Pseudonym Stefan Koenig einirrwitziges Szenario aufgebaut, in demgenau dies passiert: 2019 entsteht wäh-rend eines Kanzlerinnen- und Adoptiv-mutter-Sommerfestes ein nebelartigesUnwetter, in dessen Folge nicht nur diegesamte Elektronik ausfällt, sondernauch mordende Horrorinsekten grauen-haftes Unheil anrichten – Ausgeburteneben jener skrupellosen Naturvernich-tung, die nun Menschen vernichtet.Diese Vorhölle zwischen Buffethäpp-chen und Smalltalk ist bestückt mit„realen“ Menschen des selbstgerechtenBerliner Politik- und Medien-betriebs,sowohl Kanzleramtsminister Altmeierals auch Versicherungsguru Maschmey-er samt Gattin Ferres oder die Journalis-

tinnen Krone-Schmalz, Will und Illnerbevölkern das wahnwitzig-grausigeChaos, das auch und gerade in seinerAbsurdität sehr witzig ist. Der Ich-Autorist als vermeintlicher Biograf der Kanzle-rin in dieser ungewöhnlichen, spannen-den und verrückten Thriller-Satire ganznah, sittet das syrische Kind, rettet man-chen und manchen nicht – und meintdurchaus das eine oder andere Politi-kum bitterernst. Ulla LessmannPegasus bÜcher, 228 s., 14,90 €

michael lüders:NSA –Never say anythingWas geschieht, wenn die Wahrheit nichtans Licht darf? Wenn mächtige Gegnerverhindern, dass Fakten bekannt wer-

den? Das erlebt die Journalistin SophieSchilling, als sie von einer Reise nach Ma-rokko zurückkommt. Für eine harmloseReportage in das Land gereist, war sie inein Massaker geraten. Sie entkommt

schwer verletztund will heraus-finden, wer dieAngreifer warenund warum sieakribisch dieMunition ausden Leichen

schnitten. Ihr Chefredakteur lehnt sol-che Recherchen ab und lässt sie nur ei-nen emotionalen Artikel über ihre Erleb-nisse schreiben. Doch Sophie, die sichden Opfern verpflichtet fühlt, lässt nichtlocker. Sie recherchiert weiter, aber nie-

mand will ihre brisanten Fakten veröf-fentlichen, denn alle Spuren führen zumamerikanischen Militär. Der Nahostex-perte Michael Lüders hat einen fesseln-den Thriller geschrieben. Er gibt Ein-blicke in die Instrumentarien des ameri-kanischen Geheimdienstes nsa, er zeigtauf, wie leicht eine Existenz zerstörtwerden kann, und fragt auch, inwieweitMedien noch ihrem Anspruch auf In-formation und faktenbasierter Bericht-erstattung nachkommen. Dabei liefertLüders mit jeder Seite spannende undintelligente Unterhaltung.

Martina Schneidersc.h.beck 2016, 367 s., 14,95 €

mit gebügelterseele

kulturbeutelver.di publik 3 ·2016

a7ausstellung

jaroslav rudiš:Nationalstraße„Nein, ich bin kein Nazi“, behauptet Vandam, einTscheche mittleren Alters. Der ehemalige Polizist waraktiv an der samtenen Revolution von 1989 beteiligtund rutschte in den Jahren danach ins soziale Abseits.Er säuft, prügelt sich gerne, und lebt noch immer inder Plattenbausiedlung am Rande von Prag, die seinVater mit aufgebaut hat. „Ich bin ein Patriot“, ruftVandam und schimpft auf Politiker, Europa, Fremdeund „die Weiber“. Er ist ein Verlierer mit großer Klap-pe. Ein frustrierter Nationalist. Und vor allem: einSpiegelbild jener Menschen, die sich zurzeit in Europaim rechten Aufwind fühlen, populistische Parteienwählen und gegen Flüchtlinge hetzen.

Jaroslav Rudiš bedient mit seiner Hauptfigur keineindimensionales Feindbild. Vielmehr versetzt ersich ernsthaft in Vandams Lage und erzählt striktaus seiner Perspektive. Dieser Monolog, in dem sich

Vandam an seinen Sohn wendet, offenbart dieHärte und die Wut dieses Mannes: „Du musststark sein. Trainieren. Du musst kämpfen“, trich-tert er ihm immer wieder ein. Denn das Leben unddie Liebe seien wie Krieg, und die Politik ein mie-ses Spiel, von dem nur Bonzen profitierten.Am liebsten sitzt Vandam in seiner Stammkneipe„Severka“, wo früher auch sein Vater jedesSchichtende begossen hatte. Dass sich sein Vatereinst besoffen vom Balkon der Familienwohnungstürzte, hat Vandam schwer traumatisiert.

Raffiniert ist, dass Rudiš auch die dunkle Vergan-genheit und den herben tschechischen Humorseiner Hauptfigur schildert. So wird Vandam nichtnur als Schläger und Sprücheklopfer entlarvt, son-dern als komplexer Mensch sichtbar. Seine Wutauf Politik und Gesellschaft erscheint gelegentlichsogar verständlich: „Sie labern dich voll, von we-gen du hast Rechte. Sie labern dich voll, Darlehen,Hypotheken, Kredite sind für dich das Beste. Sie

labern dich voll, du sollst kaufen unddich kaufen lassen. Sie labern dich voll,du sollst lächelnd und beschwingt undsorglos und achtsam und liebevolldurchs Leben gehen.“

Im Nachwort notiert Jaroslav Rudiš,dass er ein Buch über Vorurteile, Unsi-cherheit, Hass und Aggression schrei-ben wollte. Darüber, „wie wir die Weltvon unseren Kneipen aus beobachtenund hoffen, alle Kriege und Krisen mö-gen an uns vorbeiziehen“. Das ist Rudišeindrucksvoll gelungen – Nationalstra-ße ist radikal, literarisch und hochaktu-ell. Günter Keil

Luchterhand VerLag, Übersetzung: eVaProfousoVá, 160 s., 14,99 €

der frustriertenationalist

buch