Nationalsozialismus: Aufstieg und Herrschaft

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    Informationen zur politischen Bildung Nr. 314/2012

    Inhalt

    Volksgemeinschaft? .................................................................... 4

    Aufstieg ...................................................................................................... 5

    Anfnge der NSDAP in Mnchen ........................................................ 5

    Krisenjahr 1923 .......................................................................................... 11

    Erste Erfolge ................................................................................................ 12

    Das Ende der Weimarer Republik ..................................................... 22

    Machteroberung 1933 ................................................................... 28Terror und Zustimmung ....................................................................... 34

    Zerschlagung der Gewerkschaften .................................................. 41

    Auflsung der Parteien ......................................................................... 42

    Entmachtung der SA .............................................................................. 45

    Volksgemeinschaft .................................................................... 46Integration der Arbeiterschaft ............................................................ 51

    Rstungskonjunktur .............................................................................. 53

    Frauen .......................................................................................................... 58

    Jugend ......................................................................................................... 60

    Gefhlte Gleichheit .............................................................................. 62

    Verfolgung ........................................................................................... 64Polizei ........................................................................................................... 65

    Konzentrationslager .............................................................................. 67

    Zwangssterilisation ............................................................................... 68

    Verfolgung der Juden ............................................................................ 69

    Literaturhinweise .......................................................................... 80

    Internetadressen ............................................................................. 82

    Der Autor ............................................................................................... 83

    Impressum ........................................................................................... 83

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    Editorial

    Fast achtzig Jahre sind vergangen, seit die Nationalsozialisten unter Adolf Hitler die Staatsgewalt bernahmen undDeutschland binnen weniger Monate von einem Rechtsstaatin eine Diktatur verwandelten. Im Namen einer rassistischen,

    menschenverachtenden Ideologie wurden willkrlich Terrorund Gewalt gegen Menschen ausgebt, von denen sich viele bisdahin als akzeptierte Mitglieder der deutschen Gesellschaft gewhnt hatten.

    Wie konnte das geschehen? Wie gelang es dem Regime, sichdie Duldung, Billigung oder aktive Komplizenschaft weiter Kreise der Bevlkerung zu sichern?

    Ein Deutungsangebot, das in diesem Heft gemacht wird, istder Begriff der Volksgemeinschaft. Schon in der Zeit der Weimarer Republik von allen politischen Richtungen genutzt, umSolidaritt einzufordern und die gesellschaftliche Spaltung zuberwinden, wurde er anschlieend zum Konstrukt der NS-Propaganda, mit dem eine tief verwurzelte Sehnsucht nach

    nationaler Einheit ausgentzt wurde, um den Griff, in dem dasRegime die Gesellschaft hielt, zu festigen organisatorisch wiepsychologisch (Ian Kershaw).

    Tatschlich konnte, wie diese Darstellung anschaulich machen soll, die Idee der Volksgemeinschaft viele Menschen mobilisieren, die durch die innere Zerrissenheit der Weimarer Zeitabgestoen waren und in gemeinsamer Anstrengung dem imErsten Weltkrieg besiegten Deutschland zu neuem Ansehenund sich selbst zu einem besseren Leben verhelfen wollten.

    Die Kehrseite des Begriffs Volksgemeinschaft und auch dasarbeitet die Darstellung heraus war jedoch die brutale, radikale Ausgrenzung all derer, die gem der NS-Ideologie nicht zurGemeinschaft gehren sollten. Diese Ausgrenzung mit all ihrer

    Menschenverachtung geduldet, akzeptiert oder untersttzt, vonihr profitiert oder sie aktiv betrieben zu haben, bedeutete dengrten Zivilisationsbruch der neueren deutschen und europischen Geschichte.

    Wie weit auf individueller Ebene die Zustimmung wirklich ging,ob sie breit, gar nicht oder mglicherweise nur punktuell von Fallzu Fall empfunden wurde, unterliegt letztlich der individuellenDeutung der jeweilig betroffenen Zeitgenossen und ist auch vonder historischen Forschung nur annherungsweise nachprfbar.

    Doch es gibt schriftliche Selbstzeugnisse, Tagebcher oderZeugenberichte sowie Bildaufnahmen, die das Spektrum der ge

    lebten Verhaltensmglichkeiten auffchern. Sie kommenin diesem Heft in reprsentativer Auswahl zur Geltung,

    um ein Bewusstsein dafr zuschaffen, dass es in Extremsituationen auf jeden Einzelnen ankommt und dass imEinzelfall fast immer alternative Handlungsoptionen offenstehen: von vorauseilendem Gehorsam, aktiver Mitwirkung,duldender Anpassung bis zum aktiven Widerstand.

    Liest man die Berichte von Opfern des Regimes oder betrachtetman die Bilder ihrer ffentlichen Demtigung, berkommt einen noch heute ein Schaudern. Deutlich wird auch, wie schwierig es mitunter sein konnte, sich als Einzelner der herrschendenMeinung zu widersetzen und die eigene Individualitt undMenschlichkeit zu behaupten.

    Inwieweit ist das Thema heute noch relevant? Leben die Deutschen nicht inzwischen in einer gefestigten Demokratie, umgeben von Nachbarn, die zu Freunden wurden und unter demSchutz und Geleit eines Grundgesetzes, das Frieden, Freiheit,Menschenwrde und die Achtung vor Andersdenkenden zumallgemein anerkannten Grundsatz des gesellschaftlichen Zusammenlebens erhoben hat?

    Aktuelle Vorkommnisse belegen stets aufs Neue, dass auchauf Teile unserer heutigen Gesellschaft extremistische Ideologien und Protagonisten nach wie vor Attraktivitt ausben.Zudem ist immer wieder zu beobachten, wie in Krisenzeiten latente Vorurteile gegen Minderheiten von Demagogen benutztwerden, um dem Volkszorn Sndenbcke zu prsentieren.

    Daher gilt es, in der Beschftigung mit dem Nationalsozialismus beispielhaft die Mechanismen aufzuzeigen, die dazu fhren knnen, dass Gesellschaften in die Barbarei abstrzen. WieBundesprsident Joachim Gauck betont, mssen wir jederzeitdas Unvorstellbare einkalkulieren, denn Humanitt ist nieim sicheren Hafen. Sie zerfllt oder wird beschdigt, wenn Ratiound Moral gegeneinander stehen. Unsere Zivilisation ist nichtGeschichte im Endstadium, sondern vorbergehend gesicherteExistenzform.

    Christine Hesse

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    Michael Wildt

    Volksgemeinschaft?

    Zugehrigkeit und Gleichheit in der Volksgemeinschaft

    versprechen die Nationalsozialisten unzhligen Whlern,

    die von der krisengeschttelten Weimarer Republik ent

    tuscht sind. Doch diese Verheiung gilt nicht fr alle:

    Fr diejenigen, die nicht der NS-Ideologie entsprechen,

    bedeutet es Ausgrenzung und Gewalt.

    Whrend eine berwltigende Mehrheit bei einem Werftbesuch AdolfHitlers 1936 die Arme zum Deutschen Gru hebt, verschrnkt ein einzelner Arbeiter seine Arme.

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    Ein genauer Blick auf das Umschlagfoto lohnt! Es zeigt Arbeiter der Hamburger Werft Blohm & Voss beim Stapellaufdes Marineschulschiffs Horst Wessel am 13. Juni 1936. Zu demEreignis war selbst der Fhrer und Reichskanzler Adolf Hitlerangereist, ebenso wie etliche ranghohe Militrs und Parteiobere, des Weiteren waren Ehrenkompanien der Wehrmacht, der SA

    und der SS angetreten. Zum Hhepunkt der Groveranstaltung,als das Schiff zu Wasser gelassen und die Nationalhymne gespielt wurde, hoben alle den Arm zum sogenannten deutschenGru nur einer nicht. Auf dem Bild ist ein Mann zu erkennen,der die Arme verschrnkt hlt. Wer dieser Mann ist, lsst sichnicht eindeutig feststellen. Irene Eckler meinte ihren Vater August Landmesser zu erkennen, der seine jdische Verlobte IrmaEckler wegen der Nrnberger Rassengesetze von 1935 nicht heiraten durfte. Die Tchter Ingrid und Irene kamen auerehelich

    zur Welt. August Landmesser wurde 1938 denunziert, wegen

    Rassenschande zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt und dannals Soldat an die Front geschickt, wo er seit 1944 als verschollen

    galt. Irma Eckler wurde 1938 ins Frauen-Konzentrationslager

    Ravensbrck gebracht und 1942 ermordet.

    Aber auch eine andere Hamburger Familie glaubte, in demMann mit den verschrnkten Armen ihren Verwandten GustavWegert identifizieren zu knnen, der nachweislich als Schlosser bei Blohm & Voss gearbeitet hatte und als glubiger Christaus religiser berzeugung den Hitler-Gru verweigerte.

    Doch unabhngig davon, um wen es sich bei diesem Arbeiter handelt, besitzt dieses Bild eines unbekannten Fotografeneine starke Aussagekraft. Denn es zeigt zum einen die hoheBereitschaft mitzumachen, den Arm zum Hitler-Gru zuheben, wenn es verlangt war, und zum anderen die durchaus vorhandenen, alltglichen Handlungsmglichkeiten, sichdem Druck zur Gleichfrmigkeit zu entziehen. Selbst bei den

    vielen erhobenen Armen lassen die individuellen Haltungenauf ganz unterschiedliche Grade der Zustimmung schlieen.

    Die nationalsozialistische Volksgemeinschaft war so einheitlich nicht, wie die nationalsozialistischen Machthaberglauben machen wollten. Trotz aller Gleichheitspropaganda

    gab es nach wie vor groe soziale Unterschiede, und die nationalsozialistische Politik selbst schuf neue, rassistische Ungleichheiten, indem sie bestimmten Gruppen, allen voran denJuden, die Zugehrigkeit zur Volksgemeinschaft absprach.Durch Ausgrenzung und Gewalt wurde die nationalsozialistische Volksgemeinschaft definiert. Antisemitismus, Juden

    feindschaft, bildete ihren radikalisierenden Kern.Dennoch bot die Formel von der Volksgemeinschaft, dieGleichheit und Gerechtigkeit versprach und in der WeimarerRepublik von nahezu allen Parteien im Mund gefhrt wurde,gengend Anknpfungspunkte fr die Nationalsozialisten, umZustimmung fr sich zu mobilisieren. Endlich sollte der Parteienkrieg der ungeliebten Republik berwunden, das Parlamentals Schwatzbude beseitigt und die Regierung einem starkenFhrer bertragen werden, der von sich behauptete, zu wissen,was das Volk wolle. Alle Probleme einer modernen Gesellschaft,in der sich viele ohnmchtig und verloren fhlten, sollten durchdie Volksgemeinschaft aufgehoben sein. Was macht eine Demokratie, fragte der Zeitgenosse und Publizist Sebastian Haff

    ner, wenn eine Mehrheit des Volkes sie nicht mehr will?Aufstieg und Herrschaft des Nationalsozialismus, Zustimmung und Terror, Volksgemeinschaft und Ausgrenzung, Zugehrigkeit und Verfolgung sind die Themen dieses Heftes. DerSieg des Nationalsozialismus 1933 war kein unausweichlicherProzess, ebenso wie die groe Zustimmung zum NS-Regimekeineswegs bedeutete, dass nicht auch Widerstand, Ablehnungund alltgliche Zivilcourage mglich waren. Militarisierung undGewaltttigkeit waren bereits im Kaiserreich angelegt, wurdendurch den Ersten Weltkrieg verstrkt und prgten auch die Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik. Aber erst die nationalsozialistische Herrschaft schuf gewaltsame Strukturen, diedie deutsche Gesellschaft zunehmend bestimmten. Der Novem

    berpogrom 1938 legte offen, wie sehr sich diese Gesellschaft imNationalsozialismus innerhalb weniger Jahre verndert hatte,wie gewaltttig scharf die Grenzen zwischen der Volksgemeinschaft und den Fremdvlkischen und Gemeinschaftsfremden schon in der Vorkriegszeit gezogen worden waren.

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    Michael Wildt

    Aufstieg

    Die Folgen des verlorenen Krieges, Wirtschaftsprobleme und

    der mangelnde Rckhalt der Bevlkerung schwchen die

    Weimarer Republik. Diesen Umstand nutzt die NSDAP durch

    geschickte Propaganda und kann so ihre Stimmenanteile

    bei Wahlen erheblich steigern. Bald wenden sich immer mehr

    Menschen den Nationalsozialisten zu.

    Bescheidene Anfnge: Gem Ausweis war Adolf Hitler das 55. nicht, wie sp-ter behauptet, das siebte Mitglied der DAP. Um eine hhere Untersttzerzahlvorzutuschen, begann die Registrierung mit der Nummer 500.

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    Anfnge der NSDAP in Mnchen

    Der Nationalsozialismus entwickelte sich aus dem Geist undder Gewalt des Ersten Weltkriegs. In vielen Lndern Europasentstanden nach dem Krieg faschistische Bewegungen, die

    sich in ihrer antikommunistischen Storichtung, in ihremFhrerglauben, ihrer gewaltttigen Politik und ihremradikalen Nationalismus sowie in ihrer Ablehnung einerbrgerlich-liberalen Gesellschaft durchaus hnelten. Ihr gemeinsames Vorbild war der italienische Faschistenfhrer

    Benito Mussolini, der als ehemaliger Sozialist 1919 die Fascidi combattimento (Kampfbnde) gegrndet hatte und 1922an die Macht gelangt war.

    Adolf Hitler, der zuvor ein unbedeutendes Bohemienleben gefhrt hatte, fhlte sich durch die Mobilmachung frden Krieg 1914, die er in Mnchen erlebte, wie auferweckt.

    Mir selber kamen die damaligen Stunden wie eine Erlsung aus den rgerlichen Empfindungen der Jugend vor,formulierte er zehn Jahre spter in Mein Kampf. Wie Zehntausende anderer junger Mnner meldete er sich freiwilligzum Militrdienst und tauchte ein in jenes trgerisch-gro

    Adolf Hitlers frhe Jahre

    Adolf Hitler, am 20. April 1889 in dersterreichischen Stadt Braunau geboren,

    stammte aus kleinen Verhltnissen.Sein Vater war Zollbeamter, hinterlieaber, als er 1903 starb, so viel Geld,dass seine Witwe und sein Sohn davonihren Lebensunterhalt bestreitenkonnten. Hitler brach die Schule nach der9. Klasse ab und blieb zunchst beiseiner Mutter, an der er sehr hing, in Linzwohnen. Ihr Tod im Dezember 1907bedeutete zweifellos die einschneidendste Zsur in seiner Jugend. Er zog danach nach Wien, scheiterte jedoch mitseinen Versuchen, an der Wiener Kunst

    akademie als Student aufgenommenzu werden. So fhrte er als Knstler undSchriftsteller ein orientierungsloses,miggngerisches, krgliches Leben, ver-diente sich Geld mit Gelegenheitsar

    beiten und dem Verkauf selbst gemalter Ansichtspostkarten, wohnte inMnnerwohnheimen, las vlkischeund antisemitische Broschren, besuch

    te politische Veranstaltungen und hrteleidenschaftlich Wagner-Opern in derWiener Staatsoper. Ob Richard WagnersAntisemitismus Hitler beeinflusst hat,ist in der Geschichtsschreibung strittig.Immer wieder wird allerdings daraufaufmerksam gemacht, dass die ffentliche theatralische Inszenierung der Poli

    tik, wie sie spter zum Beispiel aufden Reichsparteitagen praktiziert wurde,durchaus mit dieser frhen Theaterleidenschaft Hitlers verbunden war.Auch die spteren gigantischen Baupl

    ne fr die Reichshauptstadt Berlin lassensich auf die Wiener Jahre zurck-fhren, in denen Hitler von sich glaubte,

    ein begabter Knstler und Architektzu sein.

    Als 1913 der Einberufungsbefehl in diesterreichische Armee drohte, setztesich Hitler nach Mnchen ab, weil er alssich Deutschland zugehrig fhlender

    Nationalist in keinem Fall fr das sterreichische Vielvlkerimperium kmpfen

    wollte. Stattdessen meldete er sich inMnchen Anfang August 1914 als Freiwilliger. Der Krieg gab ihm die Ordnung,die seinem Leben fehlte. Hitler machtebeim Militr keine Karriere, sondern bliebGefreiter, ein unterer Dienstgrad. Offenkundig war er ein verlsslicher, wenig auf-

    fallender Soldat. Entgegen seiner

    eigenen Selbststilisierung in der 1925/27erscheinenden programmatischenSchrift Mein Kampf war er allerdings

    kaum an der Front eingesetzt gewesen,und die Auszeichnung mit dem Eiser

    nen Kreuz I. Klasse verdankte er der Fr-sprache Hugo Gutmanns, eines jdischen Offiziers.

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    artige Erleben der Volksgemeinschaft 1914, in das Gefhlvon Einheit und Siegesgewissheit, das realittsnahe Erwartungen zum Charakter und zur Dauer des Krieges verschwinden lie.

    Als Hitler im Herbst 1916 an der Westfront durch einen Angriff zum ersten Mal verwundet wurde, waren seine Illusio

    nen ber einen raschen Sieg verflogen, der Glaube an dieUnbesiegbarkeit Deutschlands jedoch keineswegs. Aus demLazarett an die Front zurckgekehrt, wurde er im Oktober1918 Opfer eines Giftgasangriffs, erblindete kurzzeitig underlebte das Kriegsende im Krankenbett. Erst wenige Wochenvor dem Ende, Anfang Oktober 1918, hatten die fhrendenGenerle Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff eingestanden, dass der Krieg verloren sei. Doch entzogen sie sichihrer Verantwortung und berlieen es der zivilen Reichsregierung, am 3. Oktober 1918 bei den Siegermchten um einenWaffenstillstand zu bitten.

    Ausrufung des Kriegszustandes vor der Mnchner Feldherrenhalle. HeinrichHoffmann, NSDAP-Mitglied seit 1920 und alleiniger Fotograf Hitlers, nahmdieses Bild am 2. August 1914 auf und montierte vor der Erstverffentlichungin einer NS-Propagandabroschre 1936 mglicherweise Hitler, der dort nacheigenem Zeugnis teilgenommen hatte, nachtrglich hinein.

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    Anfangs herrschte Zuversicht, dass der Krieg nur von kurzer Dauer sei.

    Deutsche Soldaten auf dem Weg zur Front

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    Bundesarchiv

    Doch im zermrbenden Stellungskrieg verlieren Millionen ihre Illusionen,ihre Gesundheit und ihr Leben. Otto Dix' Radierung Verwundeter von 1916

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    Mitte 1918 zeichnet sich die endgltige Niederlage ab: deutsche Kriegsge-fangene in einem franzsischen Auffanglager im August 1918

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    DolchstolegendeFr Hitler wie fr Millionen anderer Deutscher war die Armee unbesiegt geblieben und angeblich von hinterhltigenVerbrechern an der Heimatfront verraten worden. In diesen Nchten wuchs mir der Hass, der Hass gegen die Urheberdieser Tat, schrieb Hitler in Mein Kampf und hielt unmissverstndlich fest, wer fr ihn die Urheber waren: Mit demJuden gibt es kein Paktieren, sondern nur das harte Entweder Oder. Ich aber beschloss, Politiker zu werden.

    Selbstverstndlich erschuf Hitler hier seine eigene Legende. Seine tatschliche Entscheidung, in die Politik zu gehen,fiel erst zwei Jahre spter. Und natrlich waren nicht Juden

    verantwortlich fr die Niederlage Deutschlands. Aber es istkennzeichnend, dass er diese Wende in seinem Leben aneben jenem historischen Punkt ansetzte, als das DeutscheReich seine bis dahin tiefste Niederlage erlebte. Aus demMoment der absoluten Ohnmacht heraus, der Empfindung,Opfer zu sein und Vergeltung ben zu mssen, erwuchs seinEntschluss. Nicht konstruktiver politischer Gestaltungswillen, sondern Hass bildete die Emotion, mit der Hitler seinenEintritt in die Politik begrndete.

    Schon whrend des Krieges hatte der Antisemitismus,

    insbesondere der Vorwurf, jdische Schieber und Kriegsgewinnler verdienten Millionen, whrend die Bevlkerung

    hungern msste, rasch an ffentlicher Resonanz gewonnen.

    Tatschlich aber hatte imperialistische berheblichkeit dasDeutsche Reich in den Krieg getrieben, und die Siegesgewissheit war schnell in den frchterlichen Schlachten desWeltkrieges zerstoben. Da das Reich nicht auf einen lngerenKrieg vorbereitet war, mangelte es bald an Lebensmitteln und

    anderen Versorgungsgtern. Und schon seit 1915 protestierten die Arbeiter mit Streiks gegen die schlechten Lebens- und

    Arbeitsbedingungen. Antisemiten machten die Juden zu

    Sndenbcken und verdchtigten sie sogar, sich vor dem Militrdienst zu drcken. Deshalb wurde im Oktober 1916 eineoffizielle Judenzhlung im deutschen Heer durchgefhrt. Dadiese Manahme willkrlich und ohne Konzept vorgenommen wurde und die Zahlen dieses antisemitische Vorurteil

    vermutlich blostellten, wurden die Ergebnisse nicht verffentlicht, was die antisemitische Kampagne noch verstrkte.

    Als sich nach dem unerwarteten Eingestndnis der Obers-ten Heeresleitung Ende September 1918, dass der Krieg nichtmehr gewonnen werden knne, pltzliche Ernchterung

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    einstellte, wurden vielfach die Juden ebenso wie die politische Linke, die die Arbeiter zu Streiks aufgewiegelt habe, fr

    die Niederlage verantwortlich gemacht. Revolutionre mitjdischer Herkunft wie Rosa Luxemburg, Hugo Haase oderEugen Levin schienen die antisemitische wie antikommunistische Weltsicht zu besttigen, dass es jdische Bolschewisten seien, die dem deutschen Heer einen Dolch in den

    Rcken gestoen htten und nun den Umsturz wollten.Diese Sicht und seine Chance, sich damit aus der Verantwor

    tung zu stehlen, untersttzte der inzwischen im Ruhestandbefindliche Ex-Generalfeldmarschall von Hindenburg durcheine entsprechende Erklrung vor dem Untersuchungsausschuss der Nationalversammlung zur Kriegsschuldfrage am18. November 1918.

    Krieg und Niederlage verndern die deutsche Nachkriegsgesellschaftder Weimarer Zeit. Kriegskrppel von Otto Dix, Radierung, 1920

    Bonn2012

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    Verantwortlich fr die Niederlage 1918 sind in den Augen vieler nicht die Militrs,sondern Demokraten und Juden. Die Dolchstolegende als Postkarte um 1923

    Berlin

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    Samml

    Unbewltigte Kriegstraumata

    [...] Der Erste Weltkrieg zerstrte die altenherrschaftlichen und gesellschaft

    lichen Strukturen Mittel- und Osteuropas.Am Ende standen Hunger, Niedergang,Chaos und Not, Dumpfheit und Hass. Aufdeutscher Seite waren zwei Millionenzumeist junge Mnner gefallen, ein Viertel von ihnen whrend der letztenKriegsmonate. Millionen Menschen fristeten ihr Leben als Kriegskrppel,Witwen und Halbwaisen. Infolge der britischen Seeblockade waren 500 000 Deutsche verhungert. 1917 standen pro Einwohner in den Stdten durchschnittlich1400 Kalorien pro Tag zur Verfgung.

    Das Schlangenstehen vor den Lebensmittelgeschften der Stdte machte dieZermrbten wild und aufsssig und vorallem grimmig gegen die Reichen, die sichhinten herum besser ernhrten.

    Hunderttausende starben an Tuberkulose, an Grippeepidemien und allgemeiner Entkrftung vor ihrer Zeit. Kinderlitten an Unterernhrung und Rachitis.Demobilisierte Soldaten, verzweifelte, ausgemergelte Frauen irrten durch ihrschwieriges Leben.

    Die deutschen Mnner hatten umsonst

    gelitten. Wie soll man weiterleben,fragten sie sich, wenn alles vergeblichwar. Ihre Frauen hatten umsonstgehungert. Mit den Kriegsanleihen, diedas Brgertum in vaterlndischem

    Pflichtgefhl gezeichnet hatte, verlorendie gehobenen Mittel- und Oberschichten erhebliche Teile ihres Vermgens. Daskaiserliche Feldheer war geschlagen.

    Folglich konnten die Schrecken der Front,konnten die schweren psychischenVerletzungen der elf Millionen heimkehrenden Soldaten nicht in Siegesfeierngewrdigt, abgebaut und verarbeitet werden. Trommelfeuer, Giftgasalarm,Granatsplitter und Tod, kurz: die Kriegstraumata fraen in ihnen. [...]

    Voller Wut und Gram mochten diemeisten der geschlagenen Soldaten dieSinnlosigkeit ihres Kampfes nichteinsehen. Stattdessen vergruben sie sichin dem Gefhl, ihr seit dem 9. Novem

    ber 1918 demokratisch regiertes Vaterland behandle sie mit maloser Undankbarkeit. [...]

    Den Friedensvertrag von Versailles, dendie deutschen Abgesandten im Sommer 1919 ohne jede Diskussion und unterAndrohung militrischer Gewalt unterzeichnen mussten, empfanden die Besiegten als ungeheuerliche Ungerechtigkeit. Sie vergaen dabei freilich,was sie nach einem vergleichsweise kleinen Krieg von 1870/1871 mit120 000 gefallenen deutschen und

    franzsischen Soldaten Frankreich anGebietsverlusten und Kontributionen zugemutet und dass sie im Januar1918 derjungen Sowjetunion einen Frieden diktiert hatten, der die Hrten

    des Versailler Vertrags deutlich bertraf. [...]

    Den von Wilson verkndeten undvon Deutschland im Oktober 1918 akzep

    tierten Kerngedanken eines Friedensohne Sieger verletzte insbesondereArtikel 231 des Versailler Vertrages. Erschob den Deutschen die alleinigeKriegsschuld zu und bildete die Grundlagefr die Reparationsforderungen. Diesesollten nicht wie bis dahin bei Friedensvertrgen blich als gewissermaennatrliche Folge der Niederlage bezahltwerden, sondern aufgrund einer zuvor anerkannten schweren Schuld. [...]

    Der Kriegsschuldparagraph fhrtedazu, dass sich die Deutschen bald mehr

    heitlich darauf verstndigten, jedeMitschuld am Krieg zu leugnen. So konntedie NSDAP spter erfolgreich die Mrverbreiten: Die Unschuld Deutschlandsam Weltkrieg ist heute urkundlich nachjeder Richtung hin erhrtet. Einegleichfalls ungute psychologische Wirkungentfalteten die extrem hohen Reparationsforderungen. Sie erlaubten denDeutschen, jede Mitverantwortungfr Kriegsfolgen, Inflation, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise von sich zuweisen und die Misere fremden, nicht zu

    letzt angeblich weltweit vernetztenjdischen Krften anzulasten. [...]

    Gtz Aly, Warum die Deutschen? Warum die Juden? Gleichheit,Neid und Rassenhass 1800-1933, S. Fischer Verlag Frankfurt/M.2011, S. 152 ff.

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    Brden der Republik

    Die Revolution 1918/19 hatte Hoffnungen auf eine demokratischeund soziale Republik geweckt. So deutlich die im November undDezember 1918 rasch im ganzen Reich gebildeten Rte fr eineparlamentarische Regierung votiert hatten, so vernehmlich hat

    ten sie zugleich Forderungen nach einer Reform der militrischenStrukturen sowie nach einer Sozialisierung der Schwerindustrie,nach der Demokratisierung der Betriebe und einem Acht-Stunden-Arbeitstag erhoben. Noch inmitten der revolutionren Wirrenmachten die Unternehmer sozialpolitische Zugestndnisse, indem sie den zurckkehrenden Soldaten den alten Arbeitsplatz garantierten, die freien Gewerkschaften als einzigen Verhandlungspartner bei Tarifverhandlungen akzeptierten und die Einfhrungdes Acht-Stunden-Tages bei vollem Lohnausgleich versprachen.

    Weitergehende Reformen des Wirtschaftslebens blieben jedochaus. Der Rat der Volksbeauftragten aus Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) und Unabhngigen Sozialdemokraten (USPD), die sich1917 wegen der Untersttzung des Krieges durch die sozialdemo

    kratische Mehrheit abgespalten hatten, wehrte die Forderungennach Sozialisierung der Schwerindustrie ab. Ebenso traute die sozialdemokratische Fhrung in Berlin eher der alten militrischenElite zu, die Sicherheit der Republik zu gewhrleisten. Sie unterlie es daher, eigene republiktreue Militrverbnde aufzubauen.Stattdessen bildeten sich aus den Gruppen von demobilisiertenSoldaten, die nicht ins Zivilleben zurckkehren wollten, sogenannte Freikorps, die im Baltikum oder in den umstrittenen stlichen Gebieten, die von Polen wie von Deutschen beanspruchtwurden, weiterkmpften.

    Diese Versuche der MSPD, die revolutionre Dynamik abzubremsen, stieen auf den Widerstand der Linken, die insbesondere nach Grndung der Kommunistischen Partei am 1. Januar

    1919 immer wieder versuchte,nach dem Muster der bolschewistischen Oktoberrevolution in Russland die Macht zu ergreifen.Aber auch viele Arbeiter waren von der Politik der MSPD enttuscht, zumal die Berliner Regierung die linken Aufstnde mitbrutaler Gewalt durch jene Freikorpsverbnde niederschlagenlie, die aus ihrer republikfeindlichen, konterrevolutionrenGesinnung keinen Hehl machten.

    Die kurze Einmtigkeit, die sich in den Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 uerte, in denen die MSPDstrkste Partei wurde und zusammen mit dem katholischenZentrum und der liberalen Deutschen Demokratischen Parteieine verfassungstreue Regierung bilden konnte, war rasch vorbei. Die Rechte, ermuntert durch die militrischen Erfolge gegen

    linke Aufstndische, glaubte die Zeit reif fr den Staatsstreich.Im Mrz 1920 marschierte das Freikorps Ehrhardt mit Untersttzung des Reichswehrchefs in Berlin, General Walther Freiherrvon Lttwitz, in die Reichshauptstadt ein. Doch brach der Putschversuch am zivilen Widerstand der Beamten zusammen, die denAnweisungen der selbst ernannten Regierung nicht folgten. EinGeneralstreik im ganzen Reich brachte die Putschisten endgltigzu Fall; der Staatsstreich von rechts war durch eine republikanische Loyalitt von unten verhindert worden.

    Gewerkschaften und streikende Arbeiter sahen nun die Gelegenheit gekommen, um grundlegende Reformen durchzusetzen,und fhrten den Streik fort. Im Ruhrgebiet bernahmen sogarbewaffnete Arbeitermilizen rtlich die Macht. Wieder lie die

    Regierung Freikorps, darunter jene Einheiten, die eben nochgegen die Republik geputscht hatten, gegen die Streikendenmarschieren und vor allem im Ruhrgebiet den Aufstand blutigniederschlagen. ber tausend Tote waren auf Seiten der Aufstndischen zu beklagen. Als am 6. Juni 1920 der erste Reichs-

    tag gewhlt wurde, erlitt die MSPD eine schwere Niederlage,whrend die linke USPD ihre Stimmen mehr als verdoppelte.Ebenso gewannen rechte Parteien deutlich an Zustimmung.Der republikanische Konsens war zerbrochen.

    Und doch fanden auch in der Folgezeit immer wieder eindrucksvolle Manifestationen zugunsten der Weimarer Republikstatt. Nach dem Mordanschlag auf Auenminister Walther Rathenau durch rechtsradikale Terroristen am 24. Juni 1922 riefendie Gewerkschaften einen eintgigen Generalstreik aus; berallim Reich demonstrierten Menschen gegen die Terrorpolitik von

    rechts und fr die Republik.Aber der jungen Republik waren auch schwere Brden aufer

    legt, allen voran der Versailler Vertrag. Ohne dass eine deutscheDelegation hatte mitverhandeln knnen, wurde ihr im Mai 1919das Ergebnis prsentiert, das massive Gebietsabtretungen vorsah,

    Im Mrz 1920 putscht die Rechte. Soldaten der Marinebrigade Ehrhardtverteilen Flugbltter der Regierung Kapp zur Information an die Berliner.An den Helmen der Freikorpssoldaten befinden sich Hakenkreuze.

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    Dem rechtsradikalen Terror fllt Auenminister Walter Rathenau im Juni

    1922 zum Opfer. Tausende nehmen vor dem Reichstagsgebude Abschied.

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    was mit einem empfindlichen Verlust von Kohle-, Erzvorkommenund industriellen Ressourcen einherging. Westpreuen kam zuPolen, Frankreich erhielt Elsass-Lothringen zurck. Die ehemaligen Kolonien wurden unter das Mandat des Vlkerbundes gestellt, ebenso das Saarland, dessen Bevlkerung fnfzehn Jahrespter entscheiden sollte, ob sie zu Frankreich oder Deutschland

    gehren wollte. Fr Oberschlesien wurde eine Volksabstimmungim Jahr 1921 beschlossen, in der eine Mehrheit fr die Zugehrigkeit zu Deutschland votierte. Dennoch teilten die Alliierten dieRegion und schlugen die industriellen Teile Oberschlesiens Polenzu. Das knftige deutsche Heer sollte hchstens 100 000 Mannumfassen. Dem Reich wurden hohe Reparationszahlungen auferlegt, und es hatte zu akzeptieren, dass es die alleinige Kriegsschuldtrug. Der sozialdemokratische Ministerprsident Philipp Scheidemann sagte, dass einem deutschen Politiker die Hand verdorrenmsse, wenn er diesen Vertrag unterschriebe, und trat zurck.

    Doch die Drohung der Alliierten, in Deutschland einzumarschieren, wenn der Vertrag nicht unterschrieben wrde, lieder Reichsregierung keine Wahl. Nachdem der Reichstag mehr

    heitlich fr die Annahme gestimmt hatte, wurde der Vertragam 28. Juni 1919 vom sozialdemokratischen AuenministerHermann Mller und dem Zentrumspolitiker Johannes Bell imNamen der Reichsregierung unterzeichnet.

    Obwohl die britische und die US-amerikanische Regierung dieNotwendigkeit von Nachverhandlungen ber den Zahlungsmodus der Reparationsforderungen anerkannten und verhindernwollten, dass das Deutsche Reich durch eine hohe Schuldenaufnahme konomisch in die Krise geriet, war der Versailler Vertrageine schwere Belastung fr die Republik. Denn die Rechte mobili

    sierte mit aller Kraft gegen das Schanddiktat von Versailles undnutzte jede Gelegenheit, republiktreue Politiker als Erfllungspolitiker,Novemberverbrecher und Handlanger der Alliierten zudiffamieren. Auch die Mordanschlge auf den frheren Reichsfinanzminister und Unterzeichner des Waffenstillstandes MatthiasErzberger (Zentrum), den Industriellen und Reichsauenminister

    Walther Rathenau (DDP) und andere zielten darauf, im aufgebrachten politischen Klima den Brgerkrieg zu provozieren.

    Grndung der NSDAP

    In diesem politischen Umfeld grndeten in Mnchen der Eisenbahnschlosser Anton Drexler und der Journalist Karl Harrer am5. Januar 1919 die Deutsche Arbeiterpartei (DAP), eine von vielenrechtsextremen, vlkischen Gruppen, die den Kampf gegen dieNovemberverbrecher, gegen den jdischen Bolschewismusund Marxismus auf ihre Fahnen geschrieben hatten. In ihrerradikalen Ablehnung des Versailler Friedensvertrages 1919 als

    Diktat und Schande waren die Vlkischen nicht randstndig,denn die harten Bedingungen des Vertrages lehnten auch weiteTeile des Brgertums bis hinein in die Sozialdemokratie ab. In derhmischen Kritik am liberalen Rechtsstaat der Weimarer Republik und am parlamentarischen System unterschied sich die DAPwenig von anderen rechten Gruppierungen. Ebenfalls trieb siewie etliche andere rechtsextreme Organisationen ein radikalerAntisemitismus um. Was indessen die Nationalsozialisten vonanderen Antisemiten unterschied, war die Bereitschaft zur Gewalt. Fr Hitler galt nur ein Antisemitismus der Tat.

    Antisemitismus

    Antisemitismus prgte die Ideologie desNationalsozialismus, aber Judenfeindschaft existierte bereits im christlichenMittelalter in Europa. Juden warengezwungen, in eigenen Stadtbezirken zuwohnen, mussten bestimmte Kleidungtragen und unterstanden einem besonderen Judenrecht. Waren es damals religise Vorurteile wie der Vorwurf, Judenhtten Jesus gettet, die den Juden

    hass bestimmten, so entstand mit demmodernen, naturwissenschaftlichenWeltbild seit dem 18. Jahrhundert eineneue Dimension der Judenfeindlichkeit.

    Der Siegeszug, den die Biologie, insbesondere Charles Darwins Buch ber dieEntstehung der Arten, im europischenDenken nahm, fhrte dazu, auch Menschennach biologischen Kriterien in angeblich hher- und minderwertige Rassen einzuteilen. Darwins Formulierungen wienatrliche Auslese oder berleben derTchtigsten (survival of the fittest)

    wurden politisch missbraucht, um angeblich lebensunwertes Leben zu definieren.Rassismus war durchaus bis in die Wissenschaft hinein verbreitet; die Forderungnach Rassereinheit und nach erbbio

    logischen Manahmen, damit sich nur dieBesten vermehrten und die Minderwertigen sich nicht fortpflanzten, fandenselbst in der Sozialdemokratie Gehr.

    Die traditionelle religise Judenfeindschaft, die sich im 19. Jahrhundert aufgrund der Emanzipation der Juden in derbrgerlichen Gesellschaft auch um denNeid auf deren wirtschaftliche Entwicklungerweiterte, wurde nun auch rassistischbestimmt. Es entstand der moderne Antisemitismus, der glaubt, in den Juden

    eine zersetzende, zerstrerische Rasse zuerkennen, die insbesondere die arischeRasse vernichten wollten. Vor allem derEnglnder Houston Stewart Chamberlainverbreitete mit seinem viel gelesenenBuch Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts diese Ideologie. Chamberlain, der engmit der Familie Richard Wagners verbunden war, traf Hitler Anfang der 1920erJahre in Bayreuth und sah in ihm denkommenden Retter des deutschen Volkes.

    Die wirtschaftlichen Turbulenzen,die sozialen Verwerfungen durch Industri

    alisierung und Urbanisierung lieenden Antisemitismus zu einer in allen gesellschaftlichen Schichten aufzufindendenIdeologie werden, auch wenn sich dieSozialdemokratie offiziell stets von der

    Judenfeindlichkeit distanzierte. Der bekannte preuische Historiker Heinrich vonTreitschke formulierte 1879 ffentlich:Die Juden sind unser Unglck. Die populre Familienzeitschrift Die Gartenlaube verffentlichte antisemitische Artikel. ber 250 000 Brger untersttzten1881 eine Petition der Antisemitenliga,die den Ausschluss von Juden ausdem ffentlichen Dienst und ein Zuwanderungsverbot von Juden aus Osteuropaforderte. Zwischen 1893 und 1898 saen

    16 Abgeordnete antisemitischer Parteienim Reichstag.Zwar verloren antisemitische Parteien in

    den folgenden Jahren an Einfluss, aberder Antisemitismus in der Gesellschaft warkeineswegs verschwunden. In den vlkischen, nationalistischen Verbnden, indenen sich Hunderttausende von Deutschen organisierten, gehrte Antisemitismus zum politischen Repertoire. Undnicht zuletzt zeigten die ffentlichen Werbeschriften von zahlreichen deutschenBadeorten an der Ost- und Nordsee, dass

    sie Juden vom Kurbetrieb ausschlieenwrden, wie tief die alltgliche Judenfeindschaft in die deutsche Gesellschafteingedrungen war.

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    Hitler, der 1919 noch fr die Reichswehr ttig war, um die rechtsradikale Szene in Mnchen zu bespitzeln, erhielt im Septemberden Auftrag, eine Versammlung der DAP zu besuchen. Drexlerentdeckte rasch das Rednertalent Hitlers und warb ihn an, wieauch er in der Gruppe ein Bettigungsfeld fr seine politischenAmbitionen sah. Hitler, der kurz darauf aus der Reichswehr

    ausschied, um sich ganz auf die Parteiarbeit zu konzentrieren, wurde zum Hauptredner der Partei; ber seine ffentlicheAgitation er bestritt jede Woche mehrere Versammlungen gewann die Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands,wie sie seit Februar 1920 hie, zunehmend mehr Mitglieder.

    Im Winter 1919/1920 arbeiteten Drexler und Hitler das Partei-programm aus, das im Laufe der nchsten Jahre fr unabnder-lich erklrt wurde. Viele der 25 Punkte unterschieden sich in ihrerZielsetzung nicht von anderen vlkischen Programmen der Zeit.Gefordert wurden die Aufhebung des Versailler Vertrages, der An-schluss sterreichs, die Rckgabe der Kolonien und die Verstaatli-chung von Grobetrieben. Fr den Mittelstand wurde die Aufl-sung der Warenhuser zugunsten der kleinen Gewerbetreibenden

    verlangt, fr die Bauern in einer schwammigen Formulierungeine den nationalen Bedrfnissen angepasste Bodenreform.Von dem damals bekannten vlkischen WirtschaftstheoretikerGottfried Feder stammte die Forderung nach Brechung der Zins-knechtschaft, was die Abschaffung von Einkommen aus Zinser-trgen bedeuten sollte. Arbeit, vor allem Handarbeit, stand imMittelpunkt und die Parole: Gemeinnutz geht vor Eigennutz.Insbesondere zielte das Programm auf die Herstellung einerVolksgemeinschaft ohne Juden. Unter Punkt 4 hie es klipp undklar: Staatsbrger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksge-nosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rcksicht aufKonfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein.

    Auf einer Groveranstaltung Ende Februar 1920 mit rund

    2000 Menschen im Festsaal des Hofbruhauses prsentierteHitler das Programm, las die einzelnen Forderungen vor underhielt laut Polizeibericht starken Beifall. Hitler entwarf persnlich die Parteifahne mit dem Hakenkreuz in einem weien Kreisauf rotem Grund und verband damit absichtlich ein bekanntesvlkisches Symbol mit der Farbe der Arbeiterbewegung. Baldwar Hitler der hufigste Redner der NSDAP mit mehreren ffentlichen Auftritten in der Woche, der mit seinen Ausfllengegen die Republik, insbesondere gegen die sozialdemokratisch gefhrte Reichsregierung in Berlin, gegen den VersaillerVertrag und gegen die Juden berhaupt rasch bekannt und voneinflussreichen, rechten Kreisen protegiert wurde.

    Die SA profiliert sich durch Aufmrsche und Massenschlgereien innerhalb dernationalistischen Szene der Weimarer Republik. Zum Deutschen Tag in Coburg 1922 wird die Delegation der NSDAP von etwa 800 SA-Mnnern begleitet.

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    Untersttzung fr die NSDAP

    Zwar stellte die NSDAP zu dieser Zeit in Mnchen nur eineunter etlichen vlkischen Gruppen dar. Aber es gab honorigeund vor allem vermgende Gnner der jungen Partei wie denVerleger Julius F. Lehmann, der mit medizinischen Fachbchern viel Geld verdiente, das er rechtsextremen Organisationen zukommen lie, oder Rudolf Freiherr von Sebottendorf,den Vorsitzenden der sogenannten Thule-Gesellschaft. Diesewar ein exklusiver vlkischer Klub, dem unter anderen JuliusF. Lehmann, Gottfried Feder, Rudolf He und Hans Frank angehrten, und zu dem andere, wie der einflussreiche Publizist

    Dietrich Eckart sowie der sptere NSDAP-Fhrer Alfred Rosenberg, Kontakt hielten. Sebottendorf kaufte, um die vlkischeAgitation zu forcieren, die Zeitung Mnchner Beobachter,die im August 1919 ihren Namen in Vlkischer Beobachternderte. Immer wieder untersttzten in diesen frhen Jahren

    wohlhabende Sympathisanten, wie der junge GeschftsmannKurt Ldecke, der Klavierfabrikant Edwin Bechstein oder derVerleger Hugo Bruckmann samt ihrer Ehefrauen, die finanzschwache Partei mit zum Teil betrchtlichen Spenden.

    Aber auch die Verbindung Hitlers zur Reichswehr kam derPartei zugute. Durch seinen frheren militrischen Vorgesetz

    ten Karl Mayr lernte Hitler im Frhjahr 1920 den HauptmannErnst Rhm kennen, der groen Einfluss auf die sogenanntenEinwohnerwehren in Bayern besa, die als bewaffnete Einheiten zur Bekmpfung revolutionrer Umtriebe nach dem Kriegentstanden waren und denen Anfang 1920 mehr als eine Viertelmillion Mitglieder angehrten. Auch finanziell frderte dasMilitr die junge Partei. 3000 NSDAP-Broschren zum Versailler Vertrag, die der Lehmann-Verlag im Juni 1920 lieferte,bezahlte die Abteilung von Hauptmann Mayr. Als Ende 1920die NSDAP den Vlkischen Beobachter bernahm, kamen60 000 Reichsmark, die Hlfte der erforderlichen Kaufsumme,aus einem Reichswehrfonds.

    Hitler, der sich im Kampf um die Macht in der Partei erfolg

    reich gegen Drexler durchsetzte und im Juli 1921 zum Parteivorsitzenden gewhlt wurde, setzte ganz auf Propaganda dashie stets Aufruf zur Tat und Demonstration von Strke durchGewalt. Schon 1920 begann die NSDAP einen Saalschutz aufzustellen, um in Prgeleien mit dem politischen Gegner gewappnet zu sein. Aus dieser Truppe bildete sich die Sturmabteilung(SA) heraus, wie sie ab Oktober 1921 genannt und von Rhmgeleitet wurde. Rhm kmmerte sich darum, die Schlgertruppe in eine paramilitrische Organisation umzuwandeln,wobei der SA zugute kam, dass ihr aus den Freikorpsverbnden erfahrene und ausgebildete Kmpfer zustrmten.

    Zum Deutschen Tag im nordbayerischen Coburg am14./15. Oktober 1922, einem Aufmarsch der Rechtsradikalen aus

    allen Teilen Deutschlands, erschienen Hitler und die brigeParteifhrung in einem eigens angemieteten Sonderzug mitrund 800 SA-Mnnern, die trotz eines polizeilichen Verbotsin geschlossener Formation marschierten, Hakenkreuzfahnen entrollten und eine Massenschlgerei mit sozialistischenArbeitern am Straenrand provozierten. Obwohl die NSDAP-Delegation zu den kleinsten gehrte, hatte sie sich mit Gewalterfolgreich einen Namen in Nordbayern gemacht. Als sichebenfalls im Oktober der einflussreiche vlkische PolitikerJulius Streicher in Nrnberg mitsamt seiner Anhngerschaft

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    der NSDAP unter Hitler anschloss, war die Partei erstmals berMnchen hinausgekommen und hatte ihre Mitgliederzahl aufrund 20 000 verdoppelt.

    Ein weiteres Ereignis im Oktober 1922 sollte fr die junge NSDAP prgend werden: Mussolinis Marsch auf Rom.Zwar war hinter den Kulissen in Absprache mit dem italie

    nischen Knig die bergabe der Macht an Mussolini bereitseine fest verabredete Angelegenheit gewesen, aber als etwa

    20 000 faschistische Schwarzhemden am 28. Oktober ausverschiedenen Richtungen auf Rom zumarschierten, warder Mythos vom Marsch auf Rom als heldenhafte faschistische Machtergreifung geboren und wirkte sich sofort aufdie rechten, putschbereiten Gruppen in Deutschland aus. Anfang November 1922 verkndete der Vlkische Beobachter,

    dass nun auch Deutschland einen Mussolini habe: Er heitAdolf Hitler.

    Krisenjahr 1923

    Hyperinflation

    Als die Reichsregierung im Herbst 1922 um die Stundung von Reparationszahlungen bat und auch mit den Lieferungen von Koh

    le und Holz in Verzug kam, besetzten franzsische und belgischeTruppen am 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet, um die Lieferung vonKohle und Eisen zu erzwingen. Der daraufhin von der deutschenRegierung ausgerufene passive Widerstand zerrttete Wirtschaft und Staatsfinanzen und trieb die Geldentwertung in einekaum vorstellbare Dimension. Hatte der Wechselkurs der Markzum US-Dollar im Dezember 1922 noch bei 8000 gelegen, stieg erbis zum April 1923 auf 20 000 an und erreichte Anfang August die

    schwindelerregende Marke von einer Million. Danach sank derWert der Reichsmark ins Bodenlose. Vor allem die sozial Schwachen, Soldatenwitwen, Rentner oder Kriegsinvaliden, waren derHyperinflation, die ihre ohnehin krglichen Renten radikal dezi

    mierte, ohnmchtig ausgeliefert. Hingegen minimierte die Hyperinflation ebenso alle Geldschulden. Gerade diejenigen, denenes mit Geschick und Skrupellosigkeit gelang, sich Geld zu leihen,um damit Sachwerte zu kaufen, konnten glnzende Geschftemachen. Alle antisemitischen Ressentiments gegen angeblichjdische Geschftemacher und Spekulanten wurden wieder virulent. Brgerliche Grundstze wie: Gutes Geld fr gute Arbeitoder Sparen heit das Alter sichern zerstoben im Wirbel derHyperinflation, die eben nicht nur die materiellen Sparvermgen vernichtete, sondern auch den Glauben an die Gltigkeit derimmateriellen Werte brgerlicher Gesellschaft. Erst im November 1923 gelang es dem neuen Reichskanzler Gustav Stresemannvon der rechtsliberalen Deutschen Volkspartei (DVP), mit einer

    einschneidenden Whrungsreform die Hyperinflation zu stoppen und wieder die Stabilitt des Geldwertes zu erreichen.

    Reichsmarkschein mit antisemitischem Aufdruck, der den Juden die Verantwortlichkeit fr die Hyperinflation zuweist.

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    Die Hyperinflation lsst die Ersparnisse Millionen Deutscher ber Nachtwertlos werden. In einer groen Tonne wird Papiergeld gesammelt, dasunter Aufsicht verbrannt werden soll.

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    Rheinlandbesetzung

    Politisch geriet der Ruhrkampf zu einer Arena separatistischerwie nationalistischer Extremisten. Insbesondere erregten dieschwarzen franzsischen Soldaten aus den Kolonien die deutschen Gemter. Selbst ein in seinem republikanischen Denkenunzweifelhafter Sozialdemokrat wie Reichsprsident FriedrichEbert uerte im Februar 1923, dass die Verwendung farbigerTruppen niederster Kultur als Aufseher ber eine Bevlkerung

    von der hohen geistigen und wirtschaftlichen Bedeutung derRheinlnder eine herausfordernde Verletzung der Gesetze europischer Zivilisation sei.

    Die franzsische Seite reagierte auf den zivilen Widerstand mitVerhaftungen, Hausdurchsuchungen und Ausweisungen. EndeMrz wurden bei einer Demonstration in Essen 14 Krupp-Arbeitervon franzsischen Truppen erschossen. Als am 26. Mai 1923 derjunge nationalsozialistische Aktivist und ehemalige Freikorpsoffizier Albert Leo Schlageter, der als Fhrer eines Sabotagekommandos Eisenbahnschienen gesprengt hatte, zum Tode verurteilt undhingerichtet wurde, stilisierte ihn die NSDAP zum nationalsozialistischen Mrtyrer. Selbst die Kommunisten versuchten, durchnationale Rhetorik und Lobreden auf den jungen Aktivisten

    Schlageter, der das Richtige gewollt, sich jedoch der falschen Seiteangeschlossen habe, aus der nationalen Welle Gewinn zu ziehen.

    Linke wie Rechte waren bemht, die Krise radikal fr sich zunutzen. Die KPD versuchte im Oktober 1923 mit finanzieller Hilfe der Sowjetunion einen Aufstand, der aber nur in Hamburg

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    Nationalsozialismus: Aufstieg und Herrschaft12

    wenige Tage zu spren war und klglich scheiterte. Die NSDAP,der in diesen Krisenmonaten ber 35 000 neue Mitglieder zustrmten, fhlte sich stark genug, den Marsch auf Berlin zuwagen. In Grokundgebungen hetzten die Nationalsozialistenund andere Organisationen in Mnchen gegen die Novemberverbrecher in Berlin. Zentrale Symbolfigur der vlkischen

    Staatsstreichplne war General Erich Ludendorff, bei demsich die Spitzen der paramilitrischen Organisationen trafenund der Hitler nunmehr Reputation auch auf Reichsebene verschaffte. Die Ernennung Gustav Ritter von Kahrs zum Staatskommissar in Bayern mit diktatorischen Vollmachten durchdie dortige rechtskonservative Regierung, verbunden mit derErklrung des Ausnahmezustands, fachte die kursierendenStaatsstreichplne weiter an.

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    Hitler-Ludendorff-Putsch

    Im November wagte Hitler in Mnchen, die putschbereiten

    Krfte vor vollendete Tatsachen zu stellen. Zusammen mit Ludendorff heckte er den Plan aus, bei einer Versammlung am8. November im Brgerbrukeller, zu der alle prominenten rechten Politiker erscheinen wrden, die bernahme der Regierungzu erklren und die zgernde Rechte zum Mitmachen zu zwingen. Doch schlossen sich weder das Militr noch die Polizei demPutsch an. Hitler, der glaubte, durch eine Demonstration derStrke doch noch zum Erfolg zu kommen, marschierte mit seinen Anhngern am Morgen des 9. November durch die Mnchner Innenstadt. Vor der Feldherrenhalle wurden die Demonstranten von einer Polizeitruppe aufgehalten. Welche Seite zuerstschoss, konnte nie geklrt werden. Im anschlieenden heftigenSchusswechsel kamen vier Polizisten und 14 Putschisten, da

    runter Max Erwin von Scheubner-Richter, der vorne Arm inArm mit Hitler marschiert war, ums Leben. Htte die Kugel nurwenige Zentimeter weiter rechts getroffen, bemerkte der britische Historiker und Hitler-Biograph Ian Kershaw lapidar, wredie Weltgeschichte anders verlaufen.

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    Hitler und die anderen Hochverrter wurden verhaftet undvor Gericht gebracht. Was das endgltige Ende der politischenKarriere Hitlers und der NSDAP htte bedeuten mssen, gerietindessen zur propagandistischen Umdeutung und Mythologisierung der Novemberrevolution von 1923. Der VorsitzendeRichter besa offenkundig viel Sympathie fr die Putschistenund lie den Angeklagten breiten Raum fr deren propagan

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    distische Verteidigung. ber den Prozess und ber die Redender Angeklagten wurde ausfhrlich in den Zeitungen berichtet;als am 1. April 1924 das Urteil verkndet wurde, waren die Zuschauerbnke des Gerichtssaals voll besetzt. Ludendorff wurdefreigesprochen, Hitler zu fnf Jahren Festungshaft verurteilt,aus der er bereits am 20. Dezember 1924 entlassen wurde. Fr

    seine weitere politische Karriere in Deutschland war weit mehrvon Bedeutung, dass er als sterreichischer Staatsangehrigernicht ausgewiesen wurde, was angesichts seiner Straftat eigentlich erwartbar gewesen wre.

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    Bei den bayrischen Landtagswahlen im April 1924 erzieltedas Wahlbndnis Vlkischer Block einen Stimmenanteil von17 Prozent und lag damit gleichauf mit der SPD. Und auch beiden Reichstagswahlen einen Monat spter gaben 16 Prozentder bayrischen Whlerinnen und Whler ihre Stimme den Vlkischen, die reichsweit auf 6,5 Prozent der Stimmen kamen undmit 32 Abgeordneten, darunter zehn Nationalsozialisten, in denReichstag einzogen. Aber trotz des Triumphes vor Gericht undder folgenden, durchaus beachtlichen Wahlergebnisse war klar,

    dass der Weg des Staatsstreiches vorerst an sein Ende gelangtwar und eine neue politische Strategie ausgearbeitet werdenmusste.

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    Erste Erfolge

    Hitler nutzte die Festungshaft in Landsberg, um die politische Taktik der NSDAP nach dem Putschdebakel neu abzustecken. Dabei kam ihm zugute, dass er einerseits innerhalb

    der Partei und der vlkischen Szene mittlerweile die Aura eines unbeugsamen Fhrers errungen hatte, andererseits ausdem Gefngnis heraus nicht in die organisatorischen Tagesgeschfte eingreifen konnte. Also berlie er es der zweitenFhrungsriege, die Partei zu verwalten, zog sich offiziell freine Zeit aus der Politik zurck und konnte sich sicher sein,dass jeder Streit unter den rivalisierenden Gruppen undAnfhrern seinen eigenen Nimbus als Fhrer nur strkenwrde.

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    Er selbst schrieb whrend seiner Haftzeit, in der er bequemmit nahezu unbeschrnkten Besuchs- und Versorgungsmglichkeiten ausgestattet war, den ersten Teil von Mein Kampf.

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    Verfrht und vereitelt: Putschisten um Hitler und Ludendorff in Mnchenbeim Marsch zur Feldherrnhalle am 9. November 1923

    Komfortable Haftbedingungen in der Festung Landsberg 1924: Hitler mit den Mitverschwrern Emil Maurice, Hermann Kriebel, Rudolf He und Friedrich Weber

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    Mein Kampf

    Mein Kampf umfasste zwei Bnde: eine politisch stilisierte Autobiographie Adolf Hitlers und eine programmatische Schrift zu

    smtlichen Aspekten der nationalsozialistischen Weltanschauung:

    eine Abrechnung mit den Novemberverbrechern und dem Parla

    mentarismus, Ausfhrungen zum vlkischen Rassismus, radikalenAntisemitismus, Antimarxismus, zur Lebensraum-Philosophieund zum Fhrerkult.

    Der erste Band wurde 1925, der zweite Ende 1926 verffentlicht. Einesogenannte Volksausgabe in einem Band erschien 1930. Trotz zu

    nchst eher migen Verkaufserfolgen blieb Hitlers Buch nicht unbe

    achtet. Die Reaktionen reichten von intellektueller Geringschtzungber harsche Kritik aus dem konkurrierenden vlkischen Lager, teils

    wohlwollenden Einschtzungen aus konfessionellen Milieus bis hinzu Bewunderung. Ein ungelesener Bestseller, wie Historiker noch

    Mitte der 1960er-Jahre glaubten, war Mein Kampf keineswegs.

    Waren schon 1932 nach den Wahlerfolgen der NSDAP beachtliche90 000 Exemplare verkauft worden, explodierten die Verkaufszahlen

    nach der Machtbernahme 1933. Von 1936 an sollte allen neu ver

    mhlten Ehepaaren eine Ausgabe als Hochzeitsgeschenk berreichtwerden, was aber keineswegs alle Standesmter taten. Ab 1939 ent

    wickelte sich die Wehrmacht zum Groabnehmer des Buches.

    Bis 1945 wurde Mein Kampf in ber zehn Millionen Exemplaren verkauft und in 16 Sprachen bersetzt, wodurch der Autor Adolf Hitler

    Millionen verdiente und 1933 publikumswirksam auf sein Gehalt alsReichskanzler verzichten konnte. Dieses Vermgen diente Hitler unter

    anderem dazu, Wrdentrger des Regimes und Wehrmachtsgenerlemit grozgigen Geldgeschenken an sich zu binden. Werbung fr Mein Kampf in Mannheim 1934 anlsslich der Woche des

    deutschen Buches. 1925-1944 lag die Gesamtauflage des Buches bei 10,9 Mio.,Hitler selbst verdiente an jedem Exemplar zehn Prozent des Erlses.

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    Hitlers Weltbild

    [...] Wenn man die starren Koordinaten[von Hitlers] Weltbild [...] systematischordnet, stt man auf zehn axiomatische Basisberzeugungen.

    1. Hitler verstand die Geschichte alsendlosen sozialdarwinistischen Kampf,in dem sich das Recht des Strkeren,die natrliche Auslese der berlegenen,das berleben der Tchtigsten durchsetzte. Der Krieg wurde als Vater aller

    Dinge glorifiziert. So gesehen verstandHitler seine Politik zuerst als Kriegserklrung, dann als Kriegsfhrung gegendie bestehende Welt und die vorherrschende Weltauffassung.

    2. In diesem welthistorischen Kampfbesa das arische Volk der Deutschendank seiner unbertrefflichen Rassequalitt im Prinzip die berlegenheit, dieihm das Anrecht auf die Eroberung derweltpolitischen Fhrung gewhrte. [...]

    3. Innerhalb dieses von der Natur privilegierten Rassestaats galt das Fhrer

    prinzip. [...]4. Als Handlungseinheit und Loyali

    ttspol, als Integrationszentrum undLebenssinn besa die Nation den hchsten Wert. [...]

    5. Das innere Ordnungsgefge derNation mute zur Volksgemeinschaftumgebaut werden [...].

    6. Mit der Etablierung der Volksgemeinschaft sollte auch der Marxismus,den die NS-Bewegung von Anfangan erbittert bekmpft hatte, endgltigberwunden werden. [...]

    7. Wie die Zielutopie und die Politikaller Linksparteien abgelehnt wurden,gehrten auch Liberalismus undDemokratie in die Rumpelkammer der

    Geschichte. Die Republik und derParlamentarismus muten einer autoritren Staatsform weichen. Dankdieser antiliberalen und antidemokratischen, antirepublikanischen undantiparlamentarischen Grundhaltungwurde der Nationalsozialismus zumErben aller vlkischen und rechtsradikalenStrmungen, aber auch vieler in dieGesellschaft tief hineinreichender antimoderner Traditionen.

    8. Die hchste Prioritt genossen jedochzwei weitere Zielvorstellungen: die

    Entfernung der Juden dieses unverrckbar feststehende letzte Zieldes Antisemitismus hatte Hitler, wie erinnerlich, schon in seinem ersten politischen Schriftstck vom September 1919

    fixiert und die Eroberung von Lebensraum im Osten. [...]

    9. Um den Kampf um die Weltherrschaft, der in diesem wahnhaftenDenken einen so prominenten Platz besa, auch gegen die Intrigen desWeltjudentums durchstehen zu knnen, bedurfte das Dritte Reich einerriesigen kontinentalen Machtbasis, dienur durch die imperialistische Eroberung von Lebensraum in Ruland gewonnen werden konnte. [...]

    10. Judenvernichtung und Lebensraumeroberung sie gehrten zu den essentiellen Bestandteilen von Hitlers Gegenwarts- und Endzeitvorstellung. Nachdem Armageddon der Juden, das derFhrer herbeizufhren bestimmt sei,ffnete sich eine grandiose Zukunft:die Weltherrschaft der Arier, vertreten durch das Grogermanische ReichDeutscher Nation.

    Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte 19141949, C. H. Beck, Mnchen 20 03, S. 577 ff.

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    Nationalsozialismus: Aufstieg und Herrschaft14

    Als Hitler am 20. Dezember 1924 das Gefngnis verlie, be

    fand sich die vlkische Bewegung auf einem Tiefpunkt. In denReichstagswahlen vom 7. Dezember 1924 hatte die Nationalsozialistische Freiheitsbewegung, einer der mannigfaltigen Versuche einer vlkischen Einheitsorganisation unter Einschlussder Nationalsozialisten, nur noch drei Prozent der Stimmen

    erhalten und damit real ber eine Million Whler verloren; dievlkischen Fhrer hatten sich als wenig erfolgreich erwiesenund waren untereinander zerstritten. Whrend es den brgerlichen Weimarer Politikern schien, als sei die vlkische Politik

    erledigt, bot deren Krise Hitler die Chance eines Neubeginnsunter seiner ausschlielichen Fhrung.

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    Am 16. Februar 1925 wurde in Bayern das Verbot der NSDAPund des Vlkischen Beobachters wieder aufgehoben;allerdings hatte Hitler auerhalb Bayerns weiterhin einffentliches Redeverbot. Sogleich verkndete er die Neugrndung der Partei zum 27. Februar 1925, der nur beitretenkonnte, wer einen erneuten Mitgliedsantrag stellte. Damit

    hatte die Parteifhrung eine zentrale Mitgliederkontrolle inder Hand.

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    Erneut kam Hitler ein gnstiger Zufall zugute. Am 28. Februar 1925 starb Friedrich Ebert, der erste und einzige sozialdemokratische Reichsprsident der Weimarer Republik. Sozialdemokraten, Liberale und katholisches Zentrum einigtensich auf den Zentrumspolitiker Wilhelm Marx als Kandidaten, dessen Sieg sicher schien. Fr die politische Rechte gingder 78-jhrige Generalfeldmarschall Paul von Hindenburgins Rennen. Hitler hatte Ludendorff berredet, im erstenWahlgang als Kandidat der extremen Rechten anzutreten,was diesem schmeichelte, aber fr ihn in einer deutlichenNiederlage endete. Ludendorff erhielt nur ein Prozent der

    Stimmen, das war noch einmal ein Rckgang gegenberder Reichstagswahl 1924. In der Stichwahl siegte Hindenburg gegen Marx, weil es ihm gelang, ber das konservativeprotestantische Milieu in Nord- und Ostdeutschland hinausauch katholische Kreise in Sd- und Westdeutschland zu gewinnen.

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    Hitlers Macht konzentrierte sich nach wie vor auf Mnchen und Sddeutschland. Auerhalb Bayerns war er aufeinflussreiche Parteifhrer wie Gregor Straer angewiesen,der die Arbeitsgemeinschaft der nordwestdeutschen Gauleiter, also der dortigen regionalen Parteifhrer, anfhrte, einlockeres Bndnis eher linker Strmungen in der NSDAP.

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    -Sitzung der Organisationsleiter und Gaufhrer der NSDAP zum Auftaktdes Fhrertages der Partei in der NSDAP-Hauptgeschftsstelle Mnchenam 30. August 1928

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    -Der Vertraute des Fhrers: der frhere Bankangestellte und sptere Propagandaminister Joseph Goebbels, hier 1928 bei einer Rede in Bernau

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    Fhrerkult: Der Hausfotograf Hitlers, Heinrich Hoffmann, wusste ihngekonnt in Szene zu setzen hier im Braunen Haus, Mnchen 1930.

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    Dessen Bruder, Otto Straer, gab die Zeitschrift Der Nationale Sozialist heraus und vertrat eine betont sozialistischeLinie. Auch der junge Joseph Goebbels gehrte als Redakteur der Nationalsozialistischen Briefe zur parteiinternenLinken. Erst im Frhjahr 1926 gelang es Hitler, auf einerParteifhrertagung in Bamberg diese konkurrierenden Str

    mungen zurckzudrngen, nicht zuletzt weil Goebbels mitBegeisterung auf Hitlers Seite wechselte. Nun erklrte Hitlerjede programmatische Diskussion fr beendet.

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    Nach Ludendorffs Debakel und dem Sieg ber die innerparteilichen Konkurrenten galt Hitler als anerkannter Fhrer,der fr sich die absolute Herrschaft innerhalb der NSDAPbeanspruchte. Immer strker inszenierte die Partei einenFhrerkult um Hitler. Parteimitglieder hatten nun mitHeil Hitler zu gren; die Jugendorganisation wurde Hitlerjugend genannt; Hitlers Wort galt in der Partei als unumstlich; das Parteiprogramm verschmolz immer mehr mitseiner Person. Insbesondere Goebbels, der 1930 Reichspropagandaleiter wurde, stellte die Auenwirkung der Partei ganz

    entscheidend auf die Person Hitlers ab, der nicht als Fhrer der NSDAP, sondern des ganzen Deutschland prsentiertwurde. Hitlers Machtstellung grndete damit zum einen inder unumstrittenen Fhrungsrolle innerhalb der NSDAP,zum anderen in der auergewhnlichen symbolischen Position eines Fhrers. Die Fhrererwartung breiter gesellschaftlicher Kreise, die sich Orientierung erhofften, traf aufden bewusst inszenierten Fhrerkult, den die Propagandader Partei unaufhrlich betrieb.

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    Zustzlich entstand in den folgenden Jahren ein Netzwerkvon Berufs- und Sonderorganisationen um die NSDAP herum.Neben der Hitler-Jugend grndeten sich 1926 der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund, 1928 der Bund Na

    tionalsozialistischer Juristen, 1929 der Nationalsozialistische Deutsche rztebund und der Kampfbund fr DeutscheKultur, 1929 der Nationalsozialistische Schlerbund, 1930der Agrarpolitische Apparat und die NationalsozialistischeBetriebszellenorganisation (NSBO) (siehe auch Schaubild S. 62).

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    Agitation auf dem Land

    Aber noch stand die NSDAP am Beginn ihres politischen Aufstiegs. Sieger der Reichstagswahl vom 20. Mai 1928 warendie Sozialdemokraten und die Kommunisten. Die SPD wurde mit knapp 30 Prozent der Stimmen strkste Partei und

    erreichte damit ihr bestes Wahlergebnis seit 1919; die KPDerhielt gut zehn Prozent. Dagegen verlor die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) fast ein Drittel ihrer Whler undkam nur noch auf gut 14 Prozent. Die NSDAP, die erstmalsallein antrat, erreichte sprliche 2,6 Prozent der Stimmen,konnte aber dennoch, da es in der Weimarer Republik keine 5-Prozent-Sperrklausel gab, zwlf Abgeordnete in denReichstag entsenden.

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    Vor allem in den Stdten, sieht man einmal von Mnchen,Nrnberg, Koblenz und Weimar ab, wo sie jeweils berzehn Prozent erreichte, waren die Ergebnisse fr die NSDAPmiserabel. In Berlin errang sie zwar ffentliche Aufmerksamkeit, aber noch keine Whlerstimmen und erzielte nur

    1,6 Prozent. Auf dem Land sah die Lage allerdings andersaus. In Franken und Oberbayern lagen die Stimmanteiledeutlich ber dem Durchschnitt, aber auch in den lndlichen Regionen Norddeutschlands, wo sie bislang kaum aktiv gewesen war, hatten deutlich mehr Whlerinnen und

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    Whler als im Reichsdurchschnitt der NSDAP ihre Stimmegegeben. Die Parteifhrung zog daraus den folgerichtigenSchluss und verlagerte das Schwergewicht der Propaganda auf die lndlichen Gebiete und kleineren Stdte, um dieBauern und den Mittelstand zu gewinnen.

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    Die Lage der Landwirtschaft war in dieser Zeit sehr ange

    spannt. Durch die langjhrige Schutzzollpolitik war zwarder Import billigen Getreides vom Weltmarkt abgewehrtund die deutsche Landwirtschaft geschont worden, diesezugleich aber davon abgehalten, ihre Produktionsmethoden an das Weltmarktniveau anzugleichen. Die unabnderlich notwendige Modernisierung der Agrarproduktionwar

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    Auf dem Land waren die Nationalsozialisten zunchst erfolgreicher als inden Stdten. NSDAP-Treffen mit selbstgemalten Hakenkreuzfahnen imWatt vor Bsum, Juli 1930.

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    Wahlkampfwerbung per Lautsprecherwagen zum zweiten Wahlgang derReichsprsidentenwahl 1932

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    nun mit der ffnung der Mrkte in der Weimarer Republik verbunden mit einem Anstieg der Preise fr Maschinen, Kunstdnger und Gerte und zwang viele Bauern,Kredite aufzunehmen. Zugleich verfielen die Erzeugerpreiseaufgrund einer weltweiten berproduktion insbesonderevon Getreide. Da zahlreiche Hfe nicht mehr in der Lage

    waren, die Zinsen, geschweige denn den Kredit selbst, abzubezahlen, waren Zwangsversteigerungen die Folge. Wiein Schleswig-Holstein, wo die Landvolkbewegung Zehntausende mobilisierte und in einen, zum Teil gewaltttigenWiderstand trieb, setzten sich auch in Ostpreuen die Bauern zur Wehr.

    Die militante Aufkndigung staatsbrgerlicher Loyalitt darf nicht unterschtzt werden. Denn sie war Ausdruck dafr, wie sich der Hass gegen das Weimarer System verstrkte, das anscheinend nicht in der Lage war, diewirtschaftliche Not zu lindern und die bedrngten Bauerngegen die ruinsen Ansprche der Glubiger zu schtzen.Die staatliche Pflicht zur Zwangsvollstreckung, wenn der

    Glubiger vor Gericht die Eintreibung seiner Schulden erstritten hatte, erschien den Betroffenen als Parteinahmedes brgerlichen Staates fr das anonyme, kalte, raffende

    Kapital. Der rasante Aufstieg der Nationalsozialisten innerhalb weniger Jahre ist daher nicht allein mit der sozialenMisere zu erklren, sondern bedurfte auch dieser politischen Ablsung aus der Loyalitt zur brgerlichen Rechtsordnung und der Hinwendung zu Selbsthilfe und Gewalt.

    Ende 1928 schilderte die Wochenzeitung des Centralvereins deutscher Staatsbrger jdischen Glaubens (CV) unter

    der berschrift Nationalsozialistischer Terror! Flaches Landund Kleinstadt werden besonders bearbeitet ber mehrereSeiten hinweg die Gewaltaktionen gegen Juden im Deut

    schen Reich, wobei neben Bayern besonders das angrenzende schsische Vogtland, das Rheinland, Hannover und

    Ostfriesland, Gro-Berlin und Ostpreuen herausgehobenwurden. In der Tat ging die NSDAP aufgrund der Wahlerfolge

    in den lndlichen Gebieten verstrkt dazu ber, in den kleinenund mittleren Orten Prsenz zu zeigen und Strke zu demonstrieren. Dazu wurden regional SA-Einheiten zusammengezogen, die dann in geschlossener Formation durch die Drfermarschierten.

    Sicher bedeutete ein solches Spektakel fr die Dorfbevl

    kerung auch eine willkommene Abwechslung, vergleichbar mit dem Jahrmarkt, einer Filmvorfhrung oder einemZirkusbesuch. Zugleich aber sorgte der stereotype Ablauf,der immer wieder Gelegenheit zu gezielten Gewaltausbrchen bot, dafr, dass der jeweilige Ort fr Stunden von derSA regelrecht beherrscht wurde und die normale Ordnungdes Dorfes auer Kraft gesetzt war: Gefallenenehrung vordem rtlichen Kriegerdenkmal, Propagandamarsch durchdie Kleinstadt, ffentliche Kundgebung, Standkonzert derSA-Kapelle, abendliche Saalveranstaltung und schlielichnchtlicher Fackelmarsch und Zapfenstreich.

    SA-Aufmarsch in Spandau 1932. Vorn marschieren SA-Leute, die in Kmpfen mit dem politischen Gegner verwundet wurden.

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    Bundesarchiv

    PropagandaDie Rednerveranstaltung bildete die Basis der politischenArbeit. 1928 verfgte die NSDAP ber reichsweit 300 Redner, die in diesem Jahr allein 20 000 Veranstaltungenbestritten. Noch im selben Jahr wurde eine zentrale Rednerschule geschaffen, mit deren Hilfe es in den nchstenbeiden Jahren gelang, die Zahl der Redner bis zur Reichstagswahl 1930 auf etwa tausend zu verdreifachen. Seitherfhrte die NSDAP, was die Versammlungsdichte betraf, dieStatistik vor den Kommunisten und Sozialdemokraten an.Gerade in der Provinz traten nationalsozialistische Rednerauf. Eine Denkschrift des Preuischen Innenministeriums

    aus dem Mai 1930 konstatierte, dass kaum ein Tag vergehe,an dem nicht selbst in den entlegenen Bezirken mehrerenationalsozialistische Versammlungen stattfnden. DieRedner seien gut geschult, gingen geschickt mit ihren The-

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    men auf die Zuhrer ein und sorgten nach den Beobachtungen der Polizei fr fast durchweg berfllte Sle und

    Beifall des Publikums. Versammlungen mit 1000 bis 5000Teilnehmern seien in den greren Stdten eine tglicheErscheinung.

    Die zweite wichtige Propagandaform waren die Straendemonstrationen in den Stdten und Werbemrschein der Provinz durch die SA. Die einzige Form, in der sichdie SA an die ffentlichkeit wendet, hie es im SA-BefehlSA und ffentlichkeit (Propaganda) vom November 1926,ist das geschlossene Auftreten. Dieses ist zugleich eine derstrksten Propagandaformen. Neben den Parolen, Kundgebungen und Flugblttern sollte vor allem der SA-Mannselbst das junge Deutschland verkrpern.

    Massenveranstaltungen und Demonstrationen waren

    nicht blo politische Manifestationen, sondern berlegteund organisierte Inszenierungen, die Macht und berlegenheit vermitteln sollten. Komplexe Sachverhalte wurdenauf einfache Slogans und eindeutige Symbole reduziert.Nicht nur bei der NSDAP, die gesamte politische Auseinandersetzung in der Weimarer Republik war ganz wesentlichvon einem neuen Bildmedium geprgt: dem Plakat, das, inhoher Auflage gedruckt, massenhaft vor allem in den Stdten verbreitet werden konnte. Auf einem Plakat konntenBild und Text, Slogan und Symbol, Form und Farbe in wirksamer Weise konzentriert werden. Unser Krieg wird inder Hauptsache mit Plakaten und Reden gefhrt, schriebGoebbels am 1. Mrz 1932 in sein Tagebuch. Im Reichstags

    wahlkampf im Juli 1932 lie allein die Hamburger NSDAPber 77 000 Plakate kleben. Gewaltttige Parolen wie Zerschmettert den Weltfeind (1928) oder Haut sie zusammen! (1930), die durch die Darstellung von kraftstrotzenden Mnnern mit zum Schlag erhobenen Hmmern gegen

    die internationale Hochfinanz oder die brgerlichenParteien bekrftigt wurden, dominierten die Wahlkmpfe1928 und 1930, whrend danach Zukunftsversprechen wieArbeit und Brot und die Fokussierung auf Hitler die Propaganda beherrschten. (siehe auch S. 18 ff.)

    Inhaltlich richtete sich die NS-Propaganda in den Wahl

    kmpfen 1928 und 1930 gegen die Sozialdemokraten, denenVerrat wegen ihrer Zustimmung zum Versailler Vertrag, Korruption und Bonzentum vorgeworfen wurde. Als Bttel der

    jdischen Hochfinanz treibe die SPD Deutschland in denAbgrund. Nicht zuletzt mobilisierten die Nationalsozialisten im Kampf gegen den Marxismus die antikommunistischen ngste des Brgertums auch gegen die Sozialdemokraten. Zwar stand der Antisemitismus nicht ausdrcklichin der Propaganda im Vordergrund, aber Weimarer Republik, Demokratie und Judentum wurden im Kampf gegendas System untrennbar miteinander verknpft. Im Reichstagswahlkampf 1930 wurden die politischen Reprsentanten der Republik als Juden dargestellt und die Forderung

    gestellt: Deutsches Volk, Du hast zu whlen.Ein zunehmend wichtiger werdendes Element in der Propaganda der Partei wurde die Person Adolf Hitler selbst.Mochte es auch noch weiterhin politische Richtungskmpfe und Machtauseinandersetzungen zwischen Partei- undSA-Fhrern gegeben haben, an der Rolle Hitlers als Fhrer,der das divergierende vlkische Spektrum als Symbol derEinheit verkrperte, rttelte niemand mehr. Joseph Goebbels und Rudolf He bemhten sich ihrerseits, den Fhrer-Mythos (Ian Kershaw) zu festigen und auszubauen.

    Dass es eine lange deutsche Fhrertradition gab, die berBismarck, Friedrich II., Luther bis zum Kaiser Barbarossazurckreichte, und nach der Katastrophe des Ersten Welt

    kriegs erst recht nach einem willensstarken, weitsichtigen,tatkrftigen Fhrer verlangt wurde, kam der Inszenierungdes Hitlerbildes durchaus entgegen. Zudem besa er im Unterschied beispielsweise zum greisen ReichsprsidentenHindenburg nicht nur den Vorteil, jung zu sein, sondern vor allem als ein Mann aus dem Volk zu gelten, einer von uns zusein, der zeigt, was in uns steckt, ein Auenseiter jenseits despolitischen Alltagsbetriebes des Kompromisses, jemand, deraus der Routine ausbricht und das Unvorgesehene tut, instinktiv Entscheidungen trifft und etwas wagt.

    Die Mobilisierung der Partei wurde durch die Krise derWeimarer Republik untersttzt. Der weltweite Konjunkturrckgang lie auch in Deutschland die Zahl der Arbeitslo

    sen steigen. Im Februar 1929 waren es erstmals ber dreiMillionen, was die KPD glauben machte, mit einem scharfen Linkskurs die Arbeitermassen revolutionr mobilisierenzu knnen. Trotz des Demonstrationsverbots, das der sozialdemokratische Polizeiprsident von Berlin, Karl FriedrichZrgiebel, nach blutigen Auseinandersetzungen zwischenKommunisten und Nationalsozialisten im Dezember 1928verhngt hatte, demonstrierte die KPD am 1. Mai 1929 undlieferte sich schwere Straenschlachten mit der Polizei.ber 30 Tote, 194 Verletzte und ber 1200 Verhaftungenwaren die Folge dieses Blutmai, wie er in der Agitationder KPD anschlieend hie.

    Zudem wurde die Reparationsfrage neu aufgerollt, als im

    Juli 1929 der sogenannte Young-Plan zwischen den Alliiertenund der deutschen Reichsregierung unterzeichnet wurde,mit dem Reparationszahlungen bis in das Jahr 1988 hineinvereinbart worden waren. Zwar hatte die deutsche Delegation durchaus einiges zugunsten des Reiches in den Verhand-

    Rednerveranstaltungen bildeten die Grundlage der politischen Arbeit.Wahlkundgebung der NSDAP in Berlin 1932

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    lungen erreicht, aber die deutsche Rechte, einschlielich derNSDAP, machte dessen ungeachtet mit aller Gewalt gegenden Young-Plan mobil. Als am 24. Oktober 1929 (Schwarzer Freitag) die internationalen Brsen zusammenbrachenund ein weltweites wirtschaftliches Erdbeben auslsten,war die tiefe konomische wie soziale Krise unbersehbargeworden.

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    Reichsprsidentenwahl 1932: Groflchige Plakate werben fr Hitler und Hindenburg.

    Wahlerfolg 1930

    In dieser Situation erweckte die politische Klasse in Berlinkeineswegs den Anschein, der schwierigen Lage gewachsen

    zu sein. Im Mrz 1930 brach das sozialdemokratisch gefhrteKabinett, das sich auf eine Reichstagsmehrheit von SPD, DDP,DVP und Zentrum hatte sttzen knnen, an seinen innerenpolitischen Widersprchen auseinander. Die nachfolgendeRegierung unter dem Zentrumspolitiker Heinrich Brningbrauchte sich nicht mehr, so die Zusage des Reichsprsidenten Hindenburg, um parlamentarische Mehrheiten zu kmmern, sondern konnte mit Notverordnungen aufgrund desArtikels 48 regieren, der laut Verfassung nur bei Gefahr derffentlichen Sicherheit und Ordnung angewandt werdendurfte. Als eine Mehrheit des Reichstags am 16. Juli 1930 vonihrem Verfassungsrecht Gebrauch machte und die ersten Notverordnungen zu Steuerfragen zurckwies, lste Brning mit

    einer Vollmacht Hindenburgs den Reichstag auf und setzteNeuwahlen fr den 14. September 1930 fest eine klare Missachtung der verfassungsmigen Rechte des Parlaments. Vonnun an regierten bis 1933 autoritre Prsidialkabinette ohneparlamentarische Mehrheit allein mit der Notverordnungs

    vollmacht des Reichsprsidenten; die parlamentarische Demokratie war faktisch ausgesetzt.Insgesamt hatte sich die politische Landschaft mittlerweile

    nach rechts verschoben. In der Deutschnationalen Volkspartei,die in den Reichstagswahlen 1928 zwar fast ein Drittel ihrerWhler verloren hatte, aber dennoch nach der SPD zweitstrkste Fraktion des Reichstags blieb, hatte der rechtsnationalistische Chef eines weit verzweigten Presse- und Filmkonzerns,Alfred Hugenberg, die Wahlniederlage genutzt, um die bisherige nationalkonservative Parteifhrung abzulsen und sichan die Spitze der Partei zu stellen. Auch im katholischen Zentrum bernahm mit dem Trierer Prlaten Ludwig Kaas einedeutlich national-autoritre Figur die Fhrung der Partei und

    drngte den sozialen Katholizismus an den Rand. Und wer dieWahlen in jenen Monaten aufmerksam beobachtete, konnteden unaufhrlichen Aufstieg der NSDAP kaum bersehen.

    Bei den Landtagswahlen in Sachsen im Mai 1929 stieg derAnteil der NSDAP-Stimmen von 1,6 Prozent auf fnf Prozent, bei den badischen Landtagswahlen im Oktober 1929erreichte sie sieben Prozent und hatte damit die Zahl ihrerWhler versiebenfacht. In Berlin whlten einen Monat spter ber 130 000 Whler, knapp sechs Prozent, die Nationalsozialisten. Damit zogen erstmals 13 NSDAP-Abgeordnetein die Berliner Stadtverordnetenversammlung ein. Und imDezember 1929 gewann die Partei in Thringen ber elfProzent der Stimmen, was dazu fhrte, dass ein Nationalso

    zialist, Wilhelm Frick, als Minister fr Inneres und Volksbildung Mitglied in einer Landesregierung wurde. Als im Juni1930 erneut Landtagswahlen in Sachsen notwendig wurden,verdreifachte die NSDAP ihr Vorjahresergebnis nahezu aufnunmehr ber 14 Prozent.

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    Im Wahlkampf fr die Reichstagswahlen im September 1930, dervon Joseph Goebbels als frisch ernanntem Reichspropagandaleiter gefhrt wurde, waren die Nationalsozialisten beraus aktiv.Im Sommer fanden bis hin in die entlegensten Orte Wahlveranstaltungen der NSDAP statt. Allein in den letzten vier Wochenvor dem Wahltermin waren nicht weniger als 34000 Versamm

    lungen angesetzt. In seinen Reden griff Hitler die parlamentarische Demokratie und die Parteien scharf an, die allesamt nurInteressen vertreten wrden, whrend die NSDAP fr die ganzeVolksgemeinschaft stnde.

    Trotz aller Anzeichen war das Ergebnis der Reichstagswahlenam 14. September 1930 fr viele Beobachter ein Schock. Whrend die SPD im September 1930 zwar Stimmen verlor, mit 24,5Prozent aber immer noch strkste Reichstagsfraktion blieb unddie KPD ihren Anteil auf 13,1 Prozent steigern konnte, erlitt dasbrgerliche Lager dramatische Verluste. Dagegen bertraf derErfolg der NSDAP selbst die eigenen Erwartungen. Ihre Stimmenzahl stieg von gut 800 000 auf ber 6,4 Millionen, das entsprach einem Anteil von 18,3 Prozent. Damit wurde die NSDAP

    auf Anhieb zweitstrkste Partei und zog mit 107 Abgeordnetenin den Reichstag ein ein politischer Erdrutsch, wie es ihn inder Geschichte der parlamentarischen Wahlen in Deutschlandbis dahin noch nicht gegeben hatte.

    Das Plakat ist das neue Bildmedium der Weimarer Zeit. Damitkmpfen rechte Krfte 1929 gegen den Young-Plan ...

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    ... und die NSDAP prsentiert sich 1932 als Baumeister der Zukunft.

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    Whlerinnen und Whler der NSDAP

    Woher kamen die Stimmen fr die NSDAP? Erstens konntendie Nationalsozialisten strker als andere Parteien bisherigeNichtwhler, vor allem in den lndlichen Wahlkreisen, mobilisieren und profitierten vom generellen Anstieg der Wahlbeteiligung. Hatten 1928 gut 31 Millionen Brgerinnen und

    Brger ihre Stimme abgegeben, waren es im Sommer 1932knapp 37 Millionen, bei den Mrzwahlen 1933 sogar 39 Millionen. Rund ein Viertel derjenigen, die 1930 fr die NSDAPvotierten, waren zwei Jahre zuvor nicht zur Wahl gegangen.

    Zweitens konnten die Nationalsozialisten in hohem MaeStimmen aus dem deutschnationalen und rechtsbrgerlichenLager abziehen, wie die drastischen Verluste der Deutschnationalen Volkspartei DNVP und der Deutschen Volkspartei DVPzeigten. Die DNVP, die im Dezember 1924 mit ber sechs Millionen Stimmen bei mehr als zwanzig Prozent gelegen hatte,erreichte jetzt gerade einmal sieben Prozent; die DVP halbierteim selben Zeitraum ihre Stimmenzahl und kam auf nur nochknapp fnf Prozent. berall dort, wo diese Parteien Stimmen

    verloren, gewannen die Nationalsozialisten berdurchschnittlich hinzu. Neben den bisherigen Nichtwhlern speiste sich derErfolg der NSDAP vor allem aus diesem Whlerreservoir. DerZerfall des brgerlich-protestantischen Lagers, das nicht mehrin der Lage war, kontinuierliche politische Bindungen herzustellen, begnstigte das Image der NSDAP als einer jungenVolkspartei, die klassen- und schichtenbergreifend die deutsche Volksgemeinschaft schaffen wollte.

    Entgegen einer immer noch landlufigen Meinung waren eskeineswegs die Frauen, die Hitler und der NSDAP zum Aufstiegverhalfen. Zwar erzielten die Nationalsozialisten bei den Whlerinnen einen berdurchschnittlichen Stimmenzuwachs. AberFrauen gehrten, obwohl sie deutlich mehr Wahlberechtigte

    stellten als die Mnner, eher zu den Nichtwhlern. Und wenn siezur Wahl gingen, stimmten sie mehr fr die konservativen Parteien der Mitte als fr die Radikalen auf der rechten oder linkenSeite. Zwischen 1924 und 1930 wurde die NSDAP deutlich weniger von Frauen gewhlt als von Mnnern. Nach 1932 nderten

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    Unser Krieg wird in der Hauptsache mit Plakaten und Reden gefhrt, so Joseph Goebbels 1932. Ehemalige Weltkriegsteilnehmer,Bauern, Frauen, Arbeiter, Angestellte und Jungakademiker werden umworben in der Weltwirtschaftskrise auch die von Armutbedrohten Whlerschichten. Vielfach gengt der kommentarlose Hinweis auf Hitler Beweis fr dessen gestiegene Popularitt.

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    jedoch viele Whlerinnen ihre Meinung, und der Zustrom weiblicher Stimmen fr die Nationalsozialisten, vor allem bei denReichstagswahlen im Mrz 1933, trug ohne Zweifel zur nochmaligen Steigerung der nationalsozialistischen Stimmenzahl bei.

    Sehr schwer tat sich die NSDAP in den katholischen Gegenden. Deutschland war zu gut zwei Dritteln protestantisch und

    einem Drittel katholisch geprgt, und im Vergleich zur Bundesrepublik zeichnete sich die Weimarer Republik noch durch einehohe konfessionelle Homogenitt in den jeweiligen Regionenaus. Landkreise mit jeweils ber 90 Prozent der einen oder anderen Konfession stellten durchaus keine Seltenheit dar, sondern waren eher die Regel. Aufgrund der Minderheitsposition,die durch die staatlich-protestantische Diskriminierungspolitikvon Reichskanzler Otto von Bismarck Ende des 19. Jahrhunderts,den sogenannten Kirchenkampf, verstrkt worden war, hattesich ein eigenes katholisches Milieu mit Vereinen, Wertnormenund nicht zuletzt einer eigenen politischen Partei, dem Zentrum, gebildet. So war es auch noch in der Weimarer Republik freinen deutschen Katholiken geboten, nicht nach Schicht, Klasse

    oder Region als vielmehr nach konfessioneller Zugehrigkeit zuwhlen. Keine andere Partei hatte eine solche Stabilitt ihrerWhler vorzuweisen wie das Zentrum und die regionale Bayrische Volkspartei. Noch bei den letzten Wahlen der Weimarer Republik im Mrz 1933 konnten diese beiden Parteien ber vierzigProzent der katholischen Whler, und damit eine klare Mehrheit der praktizierenden Katholiken, an sich binden. Allerdingswar der Zenit der Stabilitt des katholischen Milieus damit bereits berschritten, und nach 1933 erodierte die konfessionelleBindungskraft des politischen Katholizismus.

    Weit mehr Erfolg hatten die Nationalsozialisten dagegen inden protestantisch geprgten Gegenden. Bei allen Wahlen nach1928 ist ein starker statistischer Zusammenhang zwischen dem

    Anteil evangelischer Whler und den Wahlerfolgen der NSDAPzu beobachten. Kein anderes Sozialmerkmal hat den Erfolg derNSDAP bei den Wahlen in der Weimarer Republik so beeinflusstwie die Konfession. 1930 stimmten doppelt so viele Protestanten wie Katholiken fr die Nationalsozialisten, im Juli 1932 wardas Verhltnis sogar extremer. Erst in den letzten Monaten derRepublik begann sich der Abstand zwischen katholischen undevangelischen Whlern der NSDAP anzugleichen.Die Grndungdes Deutschen Reiches 1871 war vom protestantischen Preuendominiert worden. Die sogenannte kleindeutsche Lsung, diedas katholische sterreich ausschloss, hatte die Katholiken indie Minderheit gebracht und den Protestanten die kulturelleHegemonie verschafft. Deutscher Nationalismus und Protes

    tantismus waren seither eng miteinander verbunden.Die wichtigste Gruppe der NSDAP-Whler schienen nachzeitgenssischer Ansicht die Mittelschichten zu sein. Nachder Septemberwahl 1930 prgte der Soziologe Theodor Geiger das Schlagwort von der Panik im Mittelstand. Die Arbeiter galten den Zeitgenossen als weniger anfllig fr denNationalsozialismus. Demgegenber ist jedoch festzuhalten,dass keineswegs alle Arbeiter in der Weimarer Republik linkswhlten. Die Arbeiterschaft stellte zwar die grte sozialeGruppe der Wahlberechtigten, aber zu ihr zhlten die ostelbischen Landarbeiter ebenso wie Heimarbeiter aus dem Erzgebirge und Arbeiter in kleinen Handwerksbetrieben. Nur eineMinderheit gehrte zur klassischen Industriearbeiterschaft,

    die berwiegend sozialdemokratisch whlte.Arbeiterstimmen trugen nicht in besonderem Ma zum Erfolg

    der NSDAP bei, sondern sie entsprachen dem durchschnittlichenZuwachs. Bemerkenswert ist auch, dass es nicht die Arbeitslosen, sondern vielmehr die erwerbsttigen Arbeiter waren, die

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