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Neue Theologische Grundrisse

Herausgegeben von

Christian Albrecht, Ingolf U. Dalferth, Peter Gemeinhardt,Konrad Schmid und Jens Schröter

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Volker Leppin

Geschichte desmittelalterlichenChristentums

Mohr Siebeck

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Volker Leppin ist Professor für Kirchengeschichte in Tübingen.

ISBN 978-3-16-151709-9 (Leinen)ISBN 978-3-16-150677-2 (Broschur)

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National-bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.deabrufbar.

© 2012 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertungaußerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlagsunzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mik-roverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Das Buch wurde von pagina in Tübingen gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alte-rungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Den Leineneinband besorgtedie Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier.

978-3-16-152098-3e-ISBN

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Vorwort

Das Mittelalter spielt im evangelischen kulturellen Gedächtnis bestenfallseine untergeordnete Rolle. Dort wo mittelalterliche Kirchengebäude durchdie Reformation übernommen und umgestaltet wurden, spürt man seineGegenwart. Manche Heilige wie Elisabeth von Thüringen oder Franz vonAssisi mögen positive Identifikationsfiguren geblieben sein. Und wenn gele-gentlich an die besondere Bedeutung der universitären Theologie für evange-lisches Selbstverständnis erinnert wird, knüpft dies, wenn auch vielleicht un-bewusst, an die Gründungsphase der europäischen Universitäten im 13. Jahr-hundert an. Die Herausgeber der „Neuen Theologischen Grundrisse“ wolltenes bei solchen Erinnerungssplittern nicht belassen. Sie haben dem Mittelaltereinen ganzen Band eingeräumt und mich mit seiner Abfassung betraut. Fürbeides ist Ihnen herzlich zu danken.

Die Arbeit an dem jetzt vorliegenden Band hat mich nahezu ein Jahrzehntbegleitet. In Vorlesungen in Frankfurt, Jena und Tübingen habe ich seinThema behandelt und vertieft. So ist er allmählich gewachsen – und ichhoffe, dass damit auch ein Reifungsprozess verbunden war. Das ganze Manu-skript hat Katharina Bärenfänger einer sprachlichen und inhaltlichen Kritikunterzogen. Mit großer Kollegialität hat auch Christoph Markschies von Be-ginn an durch seine Ratschläge zur Gestaltung des Textes beigetragen. Beidensei herzlich für die vielen hilfreichen Korrekturen und Ergänzungen gedankt.Mit der für einen guten Lektor notwendigen Beharrlichkeit und der ihmeigenen Konzilianz hat Henning Ziebritzki vom Mohr Verlag entschei-dend zur sprachlichen Verbesserung des Buches beigetragen. Hierfür sei ihmherzlich gedankt, ebenso auch Frau Tanja Idler, die die Herstellung des Bu-ches intensiv begleitet hat. Judith Haller und Sabrina Kristall haben die Bi-bliographien überprüft, und Lorenz Kohl hat mit großer Sorgfalt die Korrek-turen der Druckfahnen vorgenommen sowie die Register erstellt – hierfürgilt ihnen allen mein ganz herzlicher Dank.

Vor allem aber möchte ich all jenen Studierenden danken, die mir durchihre weiterführenden Fragen und ihre freundliche Aufmerksamkeit gezeigthaben, dass ein solches Lehrbuch über das mittelalterliche Christentum aufihr Interesse hoffen darf. Ihnen sei das nun abgeschlossene Buch gewidmet.Ich hoffe, dass es ihnen in ihrem Studium nützlich sein kann.

Tübingen, Pfingsten 2012 Volker Leppin

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V

Die wichtigsten Quellensammlungen für dasStudium des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11. Evangelische Zugänge zum Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Abgrenzung und Einteilung des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . 113. Methodik der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Kapitel 1: Genese der christlichen Gesellschaftdes lateinischen Mittelalters (ca. 500–750) . . . . . . . . . . . . . . 15

§ 1 Konstituierung einer neuen Geographie . . . . . . . . . . . . . . . . 151. Völkerwanderung und Ethnogenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162. Das Römische Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223. Eine neue Religion: Das Vordringen des Islam in Ost und West . . 23

§ 2 Gestalten des Christentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271. Die Reichsorthodoxie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282. Die Entstehung der altorientalischen Kirchen . . . . . . . . . . . . . 353. Der Subordinatianismus der Germanen . . . . . . . . . . . . . . . . 374. Die Durchsetzung des katholischen Christentums . . . . . . . . . . 415. Römisches, keltisches und angelsächsisches Christentum

auf den britischen Inseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486. Missionswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

§ 3 Christliche Sozialformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651. Das Eigenkirchenwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662. Die kirchliche Hierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683. Klöster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

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Inhaltsverzeichnis

§ 4 Das neue christliche Zeichensystem im lateinischen Europa . . . . . 801. Kulturelle Transformation des Christentums . . . . . . . . . . . . . . 812. Traditionswahrung im Kloster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 823. Individuum und Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 844. Christusbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 945. Repräsentation des Heiligen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 976. Christliches Ethos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Kapitel 2: Verfestigung christlicher Lebensformenzwischen Diesseits und Jenseits (ca. 750–1050) . . . . . . . . . . . 107

§ 5 Ein neues Machtgeflecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1071. Der Aufstieg der Karolinger mit der Kirche als Machtbasis . . . . . 1082. Das Bündnis von Karolingern und Papsttum . . . . . . . . . . . . . 1133. Expansion und Mission im Norden und Osten . . . . . . . . . . . . 1184. Die Selbstkonstitution des Westens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1225. Die Kaiserkrönung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1256. Karls Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1287. Das Papsttum in der späten Karolingerzeit . . . . . . . . . . . . . . . 130

§ 6 Das christliche Europa des Westens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1331. Die christliche Durchformung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . 1342. Hofschule und karolingische Renaissance . . . . . . . . . . . . . . . 1393. Theologische Debatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1474. Die benediktinische Klosterreform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1535. Frommer Dienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

§ 7 Verschiebungen in der christlichen Landkarte Europas . . . . . . . . 1611. Die Entstehung von West- und Ostfrankenreich . . . . . . . . . . . 1612. Neukonstitutionen in England, Italien und Spanien . . . . . . . . . 1633. Das Aufkommen der Wikinger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1664. Mission in Skandinavien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1685. Die slawische Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

§ 8 Intensivierung des Christlichen im monastischen Leben . . . . . . . 1731. Klöster im Banne weltlicher Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1742. Cluny und die Freiheit der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1753. Andere monastische Reformansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179

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§ 9 Der eine Leib Christi und seine beiden diesseitigen Häupter . . . . 1821. Das Papsttum als Spielball des lokalen Adels . . . . . . . . . . . . . 1832. Die Restitution des Ostfrankenreichs: die Ottonen . . . . . . . . . . 1863. Konflikte und Stabilisierung von Kaiser und Päpsten . . . . . . . . . 1904. Kirche und Herrschaft unter den Ottonen . . . . . . . . . . . . . . . 1925. Vision eines europäischen Gesamtreiches: Otto III. . . . . . . . . . . 1966. Geistliches Kaisertum: Heinrich II. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

Kapitel 3: Christliche Einheit und ihre Strittigkeit(ca. 1050–1215) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207

§ 10 Grenzziehungen zwischen weltlicher und geistlicher Sphäre . . . . 2071. Die Stabilisierung des Papsttums unter Heinrich III. . . . . . . . . . 2082. Das Aufkommen des Reformpapsttums . . . . . . . . . . . . . . . . 2133. Gregor VII. und der Konflikt mit Heinrich IV. . . . . . . . . . . . . 2194. Die Lösung im Wormser Konkordat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2285. Auswirkungen des Reformpapsttums auf das übrige Europa . . . . 229

§ 11 Kulturelle Zentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2331. Das Aufkommen der Städte und die Kathedralschulen . . . . . . . . 2352. Klösterliche Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2503. Neue Orden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

§ 12 Päpstliche Oberhoheit über die Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . 2661. Die Vertiefung des Grabens zwischen Ost und West . . . . . . . . . 2672. Die Kreuzzugsbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2683. Expansion des Christentums in Nord- und Mitteleuropa . . . . . . 2724. Die päpstliche Macht im polyzentrischen Europa . . . . . . . . . . . 273

§ 13 Klerikale und laikale Kultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2791. Heraushebung des Klerus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2812. Laikale Frömmigkeitskulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2853. Kontrollierte Frömmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3044. Juden in der christlichen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 4: Reale Kirche und ideale Kirche (ca. 1200–1325) . . . . 315

§ 14 Armutsfrömmigkeit zwischen Integration in die Kirche und Protest 3151. Franziskaner und Dominikaner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3162. Die Spiritualenbewegung und der Armutsstreit . . . . . . . . . . . . 3253. Weitere Bettelorden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330

§ 15 Geistliches Leben in der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3311. Ausstrahlung des Armutsideals in die Welt . . . . . . . . . . . . . . 3322. Die Beginenbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3353. Mystik in der Beginenseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3414. Stabilisierung des sakramental orientierten Frömmigkeitslebens . . 344

§ 16 Die Neuordnung der politischen Landschaft . . . . . . . . . . . . . 3471. Friedrich II., der Stupor mundi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3482. Das Aufkommen Frankreichs und der neue Konflikt mit dem Papst 3503. Die Entwicklungen im Osten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

§ 17 Neue Wissensformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3571. Die abendländische Universität und ihre Lehrformen . . . . . . . . 3582. Die Aristotelesrezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3593. Die Infragestellung des Aristoteles und neue Denkansätze . . . . . . 364

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371

Kapitel 5: Polaritäten im späten Mittelalter (ca. 1300–1500) . . . 375

§ 18 Päpstliches Zentrum und dezentrale Kräfte . . . . . . . . . . . . . . 3751. Das avignonesische Papsttum und die Entstehung des Schismas . . 3772. Theologische Neuorientierung in nationalen Kontexten . . . . . . . 3833. Die Konzilien von Pisa, Konstanz und Basel . . . . . . . . . . . . . . 3904. Territorien auf dem Weg zur Verselbständigung . . . . . . . . . . . . 3945. Stabilisierung des Papsttums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3996. Der Verlust Konstantinopels und die osmanische Bedrohung . . . . 401

§ 19 Frömmigkeitskulturen zwischen Veräußerlichungund Verinnerlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4031. Die christliche Existenz zwischen Diesseits und Jenseits . . . . . . . 4042. Quantifizierungen der Frömmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4073. Innerliche Frömmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409

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Inhaltsverzeichnis

§ 20 Die Sozialgestalt der Kirche zwischen klerikaler Leitungund Partizipation der Laien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4161. Sakramentale Heilsvermittlung und Antiklerikalismus . . . . . . . . 4182. Intensivierung der Ordensfrömmigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 4213. Partizipation der Laien in den städtischen Kulturen Europas . . . . 4234. Universitäre Wissenschaft und humanistische Wissenskultur . . . . 429

Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439

Kapitel 6: Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441

Quellenangaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443

Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445

Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456

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Die wichtigsten Quellensammlungen für das Studiumdes Mittelalters

Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Darm-stadt 1955ff. (Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe) = FSGA; zweisprachigeSammlung wichtiger Quellentexte zur deutschen Geschichte, neben allgemeinhisto-rischen Themen findet sich hier auch eine Fülle kirchenhistorisch relevanter Texte.

Gustav Adolf Benrath (Hg.), Wegbereiter der Reformation. Bremen 1967; Über-setzung von spätmittelalterlichen Texten. Grundlage der Auswahl ist der shang mitder späteren reformatorischen Entwicklung.

Corpus Christianorum. Series Latina. Turnhout 1954ff. = CChr.SL; wichtige latei-nische Quellentexte von der Patristik bis ins frühe Mittelalter in moderner Edition

Corpus Christianorum. Continuatio Mediaevalis.Turnhout 1971ff. =CChr.CM; Fortsetzung von CChr.SL für das Mittelalter.

Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum. Wien 1866ff. = CSEL; in derAnlage ähnlich wie CChr.SL, aber auf einem älteren Editionsstand.

Heinrich Denzinger/Peter Hünermann (Hg.), Kompendium der Glaubensbe-kenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. Freiburg i.Br. u.a. 402005 = DH;zweisprachige Ausgabe wichtiger normativer Texte. Es handelt sich um eine „offi-ziöse“, keine offizielle Sammlung, die unter dem Gesichtspunkt heutiger Nachwir-kung zusammengestellt wurde und daher historisch nicht ganz vollständig ist.

Kurt Flasch (Hg.), Mittelalter. Stuttgart 1988 (= Rüdiger Bubner [Hg.], Geschichteder Philosophie in Text und Darstellung. Bd. 2); Übersetzungen von Texten, diefür die Philosophiegeschichte bedeutsam sind, vielfach aber auch theologischenBezug haben.

Wilfried Hartmann (Hg.), Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Bd. 1:Frühes und hohes Mittelalter. Stuttgart 1995; Jean-Marie Moeglin/RainerA. Müller (Hg.), Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Bd. 2: Spät-mittelalter. Stuttgart 2000; Übersetzungen von verschiedenen Quellen mit vorwie-gend allgemeinhistorischem Bezug, ausgerichtet auf Deutschland.

Carl Mirbt (Hg.), Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katho-lizismus. Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Tridentinum, völlig neu bearbeitet vonKurt Aland. Tübingen 61967; Auswahl wichtiger Texte für die mittelalterliche Kir-che in Originalsprache.

Monumenta Germaniae Historica. Hannover u.a. 1826ff. = MGH; die zentraleQuellensammlung für die deutsche Allgemeingeschichte des Mittelalters, auch mitzahlreichen kirchenhistorischen Quellen.

Patrologiae cursus completus. Series Latina. Hg. v. Jacques Paul Migne. Paris1844–1855 = PL; umfangreiche Ausgabe lateinischer Quellentexte von der Antikebis zum hohen Mittelalter, freilich auf veraltetem editorischen Stand. Wo neuereEditionen zur Verfügung stehen, sind diese vorzuziehen.

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Quellensammlungen

Adolf Martin Ritter/Bernhard Lohse/Volker Leppin (Hg.), Mittelalter. Neu-kirchen-Vluyn 2001 = KThGQ 2; Quellenausschnitte zur mittelalterlichen Kirchen-geschichte in Übersetzung, orientiert am theologischen Examenswissen.

Sources Chrétiennes. Paris 1952ff = SC; zweisprachige (originalsprachliche undfranzösische) Sammlung von Quellen von der Antike bis ins hohe Mittelalter.

ÜberblicksliteraturGerd Althoff, Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden

und Fehde. Darmstadt 1997Arnold Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter. Darmstadt 42009Arnold Angenendt, Grundformen der Frömmigkeit im Mittelalter. München 22004

(EDG 68)Morris Ashcraft (Hg.), Medieval Christianity. Nashville 1981Constance Hoffman Berman (Hg.), Medieval Religion. New Approaches. New

York u.a. 2005Michael Borgolte, Die mittelalterliche Kirche. München 22004 (EDG 17)Otto Brunner, Sozialgeschichte Europas im Mittelalter. Göttingen 21984Peter Dinzelbacher, Religiosität und Mentalität des Mittelalters. Klagenfurt 2003Peter Dinzelbacher (Hg.), Handbuch der Religionsgeschichte im deutschspra-

chigen Raum. 2 Bde. Paderborn 2000–2011Gillian R. Evans (Hg.): The Medieval Theologians. An Introduction to Theology

in the Medieval Period. Oxford u.a. 2001Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte. Die katholische Kirche. Köln 51972Kurt Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin bis Macchia-

velli. Stuttgart 22011 (= Stuttgart 22001)Isnard Wilhelm Frank, Kirchengeschichte des Mittelalters. Düsseldorf 31994Germania Sacra. Historisch-statistische Darstellung der deutschen Bistümer, Dom-

kapitel, Kollegiat- und Pfarrkirchen, Klöster und der sonstigen kirchlichen Insti-tute. Berlin u.a. 1929ff.

Manfred Gerwing, Theologie im Mittelalter. Personen und Stationen theologisch-spiritueller Suchbewegung im mittelalterlichen Deutschland. Paderborn 22002

Hans-Werner Goetz, Gott und die Welt. Religiöse Vorstellungen des frühen undhohen Mittelalters. Teil I, Bd. 1: Das Gottesbild. Berlin 2011 (Orbis mediaevalis 13,1)

Martin Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode. 2 Bde. Berlin 1988(= Freiburg i.Br. 1909–1911)

Martin Grabmann, Mittelalterliches Geistesleben. Abhandlungen zur Geschichteder Scholastik und Mystik. 3 Bde. Hildesheim 1984 (= München 1926–1956)

Bernard Guillemain, Die abendländische Kirche des Mittelalters. Aschaffenburg21966

Bernard Hamilton, Die christliche Welt des Mittelalters. Der Osten und der Wes-ten. Düsseldorf u.a. 2004

Albert Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands. Bd. 1–5. Berlin 91958Ulrich Köpf (Hg.), Theologen des Mittelalters. Darmstadt 2002Raymund Kottje u.a. (Hg.), Ökumenische Kirchengeschichte. Bd. 1–2. Darmstadt

2006–2008Jacques Le Goff, Der Gott des Mittelalters. Eine europäische Geschichte. Gespräche

mit Jean-Luc Pouthier. Freiburg i.Br. u.a. 2005

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Quellensammlungen

Gordon Leff, Heresy, Philosophy and Religion in the Medieval West. Aldershot u.a.2002

Ulrich Gottfried Leinsle, Einführung in die scholastische Theologie. Paderbornu.a. 1995

Volker Leppin, Theologie im Mittelalter. Leipzig 2007 (KGE I/11)Lexikon des Mittelalters. 10 Bde. Darmstadt 2009Henri de Lubac, Exégèse médiévale. Les quatre sens de l’écriture. 4 Bde. Paris 1959–

1964Matthias Meinhardt u.a. (Hg.), Mittelalter. München ²2009Jean-Marie Mayeur (Hg.), Die Geschichte des Christentums. Bd. 3–7, Freiburg i.Br.

u.a. 2010Bernard McGinn (Hg.), Geschichte der christlichen Spiritualität. Bd. 1: Von den

Anfängen bis zum 12. Jahrhundert. Würzburg 1993Jill Raitt (Hg.), Geschichte der christlichen Spiritualität. Bd. 2: Hochmittelalter und

Reformation. Würzburg 1995Kurt Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik. 4 Bde. München 1990–1999Klaus Schreiner (Hg.), Frömmigkeit im Mittelalter. Politisch-soziale Kontexte, vi-

suelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen. München 2002Hermann Josef Sieben, Die Konzilsidee des lateinischen Mittelalters. Paderborn

u.a. 1984Beryl Smalley, The Study of the Bible in the Middle Ages. Oxford 31983Richard W. Southern, Kirche und Gesellschaft im Abendland des Mittelalters.

Berlin u.a. 1976John A. F. Thomson, The Western Church in the Middle Ages. London u.a. 1998John van Engen (Hg.), Religion in the History of the Medieval West. Aldershot

2004André Vauchez, Gottes vergessenes Volk. Laien im Mittelalter. Freiburg i.Br. u.a.

1993.

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Einleitung

1. Evangelische Zugänge zum Mittelalter

Die Rede vom „finsteren“ Mittelalter ist schon so klischeehaft geworden, dassman fast fürchten muss, auch der Widerspruch, so finster sei dieses Zeitalterdoch gar nicht gewesen, könnte ins Klischeehafte abgleiten. Ohnehin stehtden negativen Verzeichnungen des Mittelalters auch ein öffentliches Interesse,ja, gelegentlich sogar eine Begeisterung entgegen, die sich vor allem in großenhistorischen Ausstellungen etwa zu den mittelalterlichen Herrschergeschlech-tern, aber auch in belletristischen Werken – etwa Umberto Ecos „Name derRose“ von 1980 – niedergeschlagen hat. Hierin spiegelt sich wohl nicht nureine flache Romantik wider, sondern auch das Bewusstsein von der uneinhol-baren Bedeutung des Mittelalters: Gut tausend Jahre – die Hälfte der bisheri-gen Geschichte des Christentums – umfasst diese Epoche nach traditionellerZählung. In ihr entsteht, was heute „christliches Europa“ heißen kann – unddoch handelt es sich um eine Zeit, zu der evangelische Theologie kein ganzungebrochenes Verhältnis hat und haben kann.

Gerade die Selbstabgrenzung der Reformation und des Humanismus vonder vorhergehenden Zeit hat deren Bezeichnung als „Mittelalter“ hervorge-bracht, die in der deutschen Sprache erstmals 1538 bei dem Schweizer Histori-ker Aegidius Tschudi (1505–1572) begegnet; vorbereitet war dies durch latei-nische Begriffe wie media tempestas (1469 bei Giovanni Andrea Bussi [1417–1475]) oder media antiquitas (bei Angelo Poliziano [1454–1494]). Der für dieSchweizer Reformation so wichtige St. Galler Gelehrte Joachim Vadian (1484–1551) sprach 1522 von der media aetas. Reformation und Humanismus be-stimmten mit solchen Konzepten ihren eigenen historischen Ort. Gegenüberder im Mittelalter vorherrschenden Selbstinterpretation im Sinne einer unge-brochenen Kontinuität wollten sie die Diskontinuität zur unmittelbaren Ver-gangenheit und die Wiederanknüpfung an die wahren und eigentlichen Ur-sprünge betonen. Für den in der Renaissancekultur geistig prägenden Huma-nismus bedeutete dies literarisch und philosophisch den Anschluss an diepagane Antike, besonders an solche Stränge in ihr, die in den Jahrhundertenzuvor weniger rezipiert worden waren. Gegenüber dem für das Mittelalterbestimmenden Philosophen Aristoteles (gest. 322 v.Chr.) rückte man dahernun Plato (gest. 348/47v.Chr.) in den Vordergrund, statt lateinischer Überset-zungen oder Versatzstücken in Florilegiensammlungen las man das Originalin Ursprache. Sofern dies lateinische Autoren betraf, wurde verstärkt die Dis-

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Absetzung vomMittelalter inHumanismusund Reformation

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Einleitung

krepanz zwischen dem klassischen Latein und der Gebrauchssprache des Mit-telalters empfunden, die Antike nicht nur als denk-, sondern auch als stilprä-gend erfahren.

Diese Bestrebungen waren in der Regel nicht so säkular und fern vomChristentum, wie es Jacob Burckhardt in seiner erstmals 1860 erschienenengroßen Darstellung der Kultur der Renaissance in Italien verstanden deutete1.Nach der neueren Humanismusforschung (Paul Oskar Kristeller2 u.a.) stan-den die humanistischen Gedanken vielmehr im Horizont einer Grundauffas-sung, die in großer Weite das Erbe der paganen Antike aufgriff, es aberin einen christlichen Gesamtentwurf integrierte. Explizit wurde der christli-che Horizont besonders dort, wo man sich innerhalb der Antike den christli-chen Schriften zuwandte: den Kirchenvätern oder der Bibel selbst. Angesichtsder von der jüngeren Forschung herausgearbeiteten christlichen Grundorien-tierung des Humanismus insgesamt sind freilich Versuche, einen eigenen„Bibelhumanismus“ innerhalb des geistigen Gesamtstroms zu identifizie-ren3, wenig hilfreich. Zurück zur Bibel in der originalen Sprache zu gehen,war Teil eines Programms, das insgesamt dem Ruf zurück zu den Quellenfolgte. Gleichwohl sind es für die Geschichte des Christentums markanteEreignisse, dass mit dem „Novum Instrumentum“ des Erasmus von Rotter-dam (gest. 1536) 1516 und der Complutensischen Polyglotte 1520 Anfangdes 16. Jahrhunderts Bibelausgaben veröffentlicht wurden, die programma-tisch auf den originalen griechischen und hebräischen Text zurückgriffenund so den seit Jahrhunderten maßgebenden lateinischen Text der Vulgatarelativierten.

Wie der Humanismus war auch die Reformation eine Bewegung, die dieeben vergangenen Jahrhunderte in erster Linie unter negativen Vorzeichensah – noch vor den Thesen gegen den Ablass hat Martin Luther (1483–1546)am 4. September 1517 Thesen gegen die scholastische Theologie vorgelegtund an der Wittenberger Universität disputieren lassen, die vor allem denKirchenvater und Ordenspatron Luthers, Augustin (354–430), mit den Lehrender mittelalterlichen Theologie konfrontierten. Immer deutlicher wurde dieZeit seit der ausgehenden Antike von reformatorischer Seite als eine langdau-ernde Phase des Abfalls vom rechten biblischen Glauben der ersten Jahrhun-derte gesehen, dessen Erneuerung das eigentliche Ziel der Reformation war.Die negative Sicht des Mittelalters gipfelte in Luthers Identifikation des Papst-tums als Antichrist. Den geschichtlichen Anfang dieser verhängnisvollen

1 Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch. Stuttgart122009.

2 Paul Oskar Kristeller, Humanismus und Renaissance I: Die antiken und mittelalter-lichen Quellen, hg. v. Eckhard Keßler, München 1980; vgl. auch den sozialhistori-schen Ansatz von Peter Burke, Die Renaissance, übers. v. Robin Cackett, Berlin 1990.

3 Cornelis Augustijn, Humanismus. Göttingen 2003 (KIG 2 H,2), 47f. 56–58.

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1. Evangelische Zugänge zum Mittelalter

Identität verlegte er wiederholt ins frühe Mittelalter4. So wurde das Mittelalterzu einer Epoche, die ganz unter dem Signum des Antichristen stand. Es wurdeweitgehend zu einer negativen Projektionsfläche, die immer dunkler einge-färbt wurde, je stärker die vergangenen Jahrhunderte mit dem aktuellen Geg-ner, der sich in der Neuzeit als Konfessionskirche konstituierenden römisch-katholischen Kirche, identifiziert wurden.

Auch in diesem Bild wurde allerdings auf Differenzierungen nicht verzichtet.So gestand Luther gelegentlich sogar einem der Päpste des Mittelalters aus-drücklich zu, etwas Richtiges getan zu haben. Nikolaus II. etwa habe, so Luther,recht gehandelt, als er den Mönch Berengar von Tours wegen seiner symboli-schen Abendmahlslehre verurteilt habe5 (→ 238–240). Mehr noch waren eseinzelne Vertreter mittelalterlicher Theologie und Frömmigkeit, denen LutherGutes abzugewinnen verstand. Bernhard von Clairvaux etwa, den zisterziensi-schen Mystiker (→ 263f.)6, oder Elisabeth von Thüringen (→ 333–335)7 hober zeitlebens hervor, und dass ihm in manchem Jan Hus (→ 387–389) vorgear-beitet hatte, hat er spätestens seit der Leipziger Disputation von 1519 erkanntund anerkannt. Aus einer solchen selektiv positiven Wahrnehmung des Mittel-alters wurde bei Matthias Flacius Illyricus (1520–1575) geradezu ein ge-schichtstheologisches Konzept: Er entwickelte den Gedanken, dass es innerhalbder finsteren Geschichte des Antichristen im Mittelalter immer wieder Zeugender Wahrheit (testes veritatis) gegeben habe, die schon vor der Reformationden Antichrist bekämpft haben und so dasselbe Zeugnis abgaben wie die Re-formation selbst. Das grundlegende Schema, das nach der Antike als einerpositiv gesehenen Epoche das Mittelalter negativ zeichnete und die Reforma-tion dann als Erneuerung sah, wurde dadurch mehr bestätigt als unterhöhlt –freilich rechneten Luther und auch noch Flacius im Unterschied zu späterenGeschichtskonstruktionen keineswegs mit einer längeren Dauer des mit derReformation begonnenen Zeitabschnitts. So sahen beide im Kampf gegen denAntichrist, den die neue Botschaft des Evangeliums bedeutete, nicht den Be-ginn eines neuen historischen Zeitalters, sondern das Einläuten des Eschatons.Die weitere Entwicklung allerdings, die nicht das Ende der Welt, sondern dieEtablierung der Konfessionskirchen mit sich brachte, führte zur Ausdehnungder neuen Zeit und, rückblickend für das Mittelalter, dazu, dass dieses nunnicht nur die lange Zwischenphase zwischen der guten ersten und der kurzenletzten Zeit darstellte, sondern eine Epoche zwischen zwei anderen. Die Ge-

4 Martin Luther, Wider das Papsttum zu Rom (WA 54,229,28f).5 Martin Luther, Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis (WA 26,442,39–443,3).6 Theo Bell, Divus Bernhardus. Bernhard von Clairvaux in Martin Luthers Schriften.

Mainz 1993 (VIEG 148).7 Volker Leppin, „So wurde uns anderen die Heilige Elisabeth ein Vorbild“. Martin

Luther und Elisabeth von Thüringen, in: Dieter Blume/Matthias Werner (Hg.),Elisabeth von Thüringen – eine europäische Heilige. Aufsätze. Petersberg 2007, 449–458.

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Einleitung

schichte wurde auch in der säkularen Sicht dreigeteilt und so die Stellung desMittelalters festgeschrieben. Es galt nun als etwas vormodern Unzureichen-des – und zugleich als etwas Abgegrenztes. Die übliche Facheinteilung derGeschichtswissenschaft in Antike, Mittelalter und Neuzeit hat einerseits zuimmer neuen Ausdifferenzierungen der Neuzeit, andererseits zu einer pragma-tisch begründeten, aber fachlich nur selten überbrückten Grenzziehung zwi-schen den innerhistorischen Disziplinen geführt, so dass die Verbindungslinienzwischen den Epochen nicht in den Blick rücken konnten.

Nur gelegentlich wurde die negative Wertung des Mittelalters im 19. Jahr-hundert überwunden – vor allem durch die Romantik. Diese Stimmung er-fasste zwar auch evangelische Kreise, doch überwiegend wurde dabei dasMittelalter als katholisch verstanden – und dadurch, etwa bei dem Schriftstel-ler Ludwig Tieck (1773–1853), auch eine deutliche Sympathie für den Katho-lizismus geweckt. Unter dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV.(1840–1861) trugen solche Neigungen dazu bei, den schwelenden Streit mitkatholischen Untertanen zu schlichten.

Insgesamt blieb in evangelischer Theologie und Frömmigkeit aber die Dis-tanz gegenüber dem Mittelalter bestimmend. Wo affirmativ auf das Mittelal-ter zurückgegriffen wurde, wurden meist einzelne Personen herausgegriffen.So hat schon der Aufklärer Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) in einerausführlichen Schrift jenen oben erwähnten Berengar von Tours zum Kron-zeugen in den evangelischen Abendmahlsstreitigkeiten erhoben und in § 87–90 seiner „Erziehung des Menschengeschlechts“ die Joachiten (→ 264f.;325f.) als Anhänger des Geistes geschildert8. Ein Wiederaufleben des testes-Modells im modernen historiographischen Gewand stellte das Buch „Refor-matoren vor der Reformation“ des Heidelberger Theologieprofessors CarlChristian Ullmann (1796–1865) dar, dessen beide Bände 1841/42 erschie-nen9. Ullmann war besonders an Vertretern der Devotio moderna (→ 413–415) interessiert, die er konsequent theologisch auf die Reformatoren bezog.Gerade weil es sich hierbei um Kirchenkritiker, allenfalls kirchenferneFromme handelte, erschien der auf die Reformation zuführende Strom sodezidiert als Gegenbewegung zur offiziellen mittelalterlichen Kirche. So ein-geschränkt und den Konzepten der Zeit des Konfessionalismus verhaftet die-ser Blick auch war, so sehr öffnete er doch auch neue Perspektiven: Ullmannmachte darauf aufmerksam, dass die Reformation nicht einfach unvorbereitetaufgetreten, sondern vielfach angebahnt war. Das von ihm vertretene Konzeptgewann nicht weit von seinem Wirkungsort bald auch monumentale Gestalt:

8 Gotthold Ephraim Lessing, Die Erziehung des Menschengeschlechts (Gotthold Eph-raim Lessings sämtliche Schriften, hg. v. Karl Lachmann. Dritte, auf ’s neue durchgese-hene und vermehrte Auflage, besorgt durch Franz Muncker. Bd. 13, Leipzig 1897,433f).

9 Carl Ullmann, Reformatoren vor der Reformation. 2 Bde. Hamburg 1841–1842.

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1. Evangelische Zugänge zum Mittelalter

Das Wormser Lutherdenkmal von 1868 zeigt Luther umringt und getragenvon Vertretern der spätmittelalterlichen Kirchenkritik: ein Heros, der gegen„das“ Mittelalter stand – und zugleich von wichtigen mittelalterlichen Kräftenmit hervorgebracht worden war.

Eine umfassendere Würdigung des Mittelalters, vielleicht bis heute diegrößte Leistung evangelischer Mediävistik überhaupt, stammt von dem Leip-ziger Kirchenhistoriker Albert Hauck (1845–1918). Seine fünfbändige Kir-chengeschichte Deutschlands hatte ursprünglich bis zum Augsburger Religi-onsfrieden von 1555 führen sollen, blieb aber unvollendet und wurde post-hum mit dem Baseler Konzil (→ 393f.) abgeschlossen. Als Erbe des Histo-rismus hat Hauck mit großer methodischer Umsicht politische, soziale undreligiöse Entwicklungen ineinander verwoben. Dass er überhaupt in diesemMaße auf die mittelalterliche Kirchengeschichte einging, hatte freilich kauminnertheologische Gründe: Den Rahmen für sein Denken und Schreiben bil-dete, wie der Titel kenntlich macht, eine nationalhistorische Gesamterzählung,in der der langen Epoche des Mittelalters eine zentrale Bedeutung zukam.War hier ein identifikatorischer Blick leitend, so konnte auch eine kritischePerspektive große Forschungspotenziale evangelischer Mediävistik hervor-bringen. Die Dogmengeschichten Adolf von Harnacks (1851–1930)10 undReinhold Seebergs (1859–1935)11 bilden Marksteine in der Erforschung dermittelalterlichen Theologiegeschichte, die sich in beiden Fällen gerade derFreiheit des evangelischen Kirchenhistorikers verdanken, das Mittelalter alseine kirchenhistorische Phase zu betrachten, der für die gegenwärtige Theolo-gie keine Verbindlichkeit zukommt.

Die weitere moderne Erforschung des Mittelalters hat sich im evangeli-schen Raum vor allem auf das späte Mittelalter konzentriert. Wenn der Refor-mation entscheidende Bedeutung für die Konstitution des modernen evange-lischen Christentums zukommt, muss auch ihr Verhältnis zum Mittelalterbehandelt und eine Zuordnung von Kontinuität und Diskontinuität versuchtwerden. Eine solche Fragestellung birgt in sich eine Relativierung und Kritikdes humanistisch-reformatorischen Zeitschemas, denn dieses hatte ja geradeeine Überbrückung der vorauslaufenden Zeit und radikale Diskontinnität be-ansprucht. Da historische Analyse auch in der Kirchengeschichte spätestensseit der Etablierung der „pragmatischen Methode“ durch Lorenz von Mos-heim(1693–1755) immer auch ein Fragen nach dem Woher, nach Abhängig-keiten und innerweltlichen Entwicklungen bedeutet, konnte aber eine solcheBetrachtung gar nicht unterbleiben – nicht zuletzt im Sinne einer kritischenPerspektive auf die eigenen historiographischen Konstrukte, die unter den

10 Adolf von Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte. 3 Bde. Tübingen 41909 (=Darmstadt 1990).

11 Reinhold Seeberg, Lehrbuch der Dogmengeschichte. Bd. 3: Die Dogmenbildung desMittelalters. Leipzig 41930 (= Darmstadt 1974).

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BesondereAufmerksamkeitauf das Spät-mittelalter

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Bedingungen moderner Geschichtsschreibung nicht einfach fortgeschriebenwerden konnten.

Im 20. Jahrhundert hat die kritische Erforschung der Kontinuitäten zwi-schen spätem Mittelalter und Reformation ihren Anstoß freilich zunächstvon katholischer Seite bekommen. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg entwarfJoseph Lortz (1887–1975)12 ein Geschichtsbild, das dann Erwin Iserloh(1915–1996)13 weiterentwickelte. Hiernach sollte die Reformation nicht mehrals illegitimer Angriff auf ein kirchlich intaktes Mittelalter gesehen werden,sondern das späte Mittelalter wurde umgekehrt als eine besonders verdorbenePhase der Kirchengeschichte geschildert, in dem die Missstände derart über-hand genommen hatten, dass eine kritische Reaktion in höchstem Maße legi-tim, ja geradezu notwendig gewesen war. Diese Deutung stellte im Vorfelddes Zweiten Vatikanischen Konzils von römisch-katholischer Seite die Gewin-nung eines positiven Blicks auf Martin Luther und die Reformation in Aus-sicht – legte freilich auch eine Perspektive nahe, nach der die reformatori-schen Überzeugungen nicht auf grundsätzlichen theologischen Differenzenberuhten, sondern Reflex auf behebbare Missstände waren, und zwar aufsolche, die dann tatsächlich auf dem Konzil von Trient (1545–1563) behobenworden seien. Nach dessen Abschluss hätte sich dann zwar nicht mehr dieFrage nach der Legitimität der Reformation, wohl aber die nach der Fortdauerreformatorischer Kirchen gestellt. In eigentümlicher Verschiebung wurde da-mit das Grundmuster evangelischer Sicht in ein römisch-katholisches Modellintegriert: Hatte man traditionell von evangelischer Seite das Mittelalter alseine Verdunkelung des guten antiken Christentums geschildert, auf die dannwieder die gute Zeit der Reformation gefolgt sei, wurde nun die Verdüsterungim späten Mittelalter angesetzt und der Reformation die Rolle der Aufde-ckung der Verfehlungen zugedacht. Deren Beseitigung hätte dann ihrerseitswieder zu einer Kirche geführt, die den eigentlichen Wesenskern des als ka-tholisch im Sinne von römisch-katholisch verstandenen mittelalterlichenChristentums fortführte.

Gegenüber dieser römisch-katholischen Abwertung kam es auf evangeli-scher Seite zu einer neuen Würdigung des späten Mittelalters. Sehr dezidierthat Heiko A. Oberman (1930–2001)14 die spätmittelalterliche Theologie nicht,wie im katholischen Raum vielfach üblich, an Thomas von Aquin gemessenund entsprechend negativ beurteilt, sondern als eine eigene Ausformung ge-würdigt, in der sich schon vielfach Anliegen der Reformation und zum Teilauch deren Lösungsansätze zeigten. Was Oberman konzeptionell entwickelte,

12 Joseph Lortz, Die Reformation in Deutschland. Freiburg i.Br. 1939/40.13 Erwin Iserloh, Martin Luther und der Aufbruch der Reformation (1517–1525), in:

HKG (J) 4. Freiburg i. Br. u.a. 1967, 3–114.14 Heiko Augustinus Oberman, Der Herbst der mittelalterlichen Theologie. Zürich

1965 (Spätscholastik und Reformation 1).

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1. Evangelische Zugänge zum Mittelalter

hat dann vor allem Berndt Hamm durch die Vorstellung einer Frömmigkeits-theologie bei wichtigen Vertretern des späten Mittelalters auch im Blick aufdie Intention der entsprechenden Autoren aufweisen können. Stärker auf dieSozial- und Frömmigkeitsgeschichte konzentriert sind die Studien von BerndMoeller15, in denen die Auffassung vertreten wird, das späte Mittelalter sei –im Gegensatz zur traditionellen evangelischen und neuen römisch-katholi-schen Abwertung – eine überaus fromme Zeit gewesen, geprägt durch dasBemühen um das individuelle Heil, das freilich, so der deutliche Tenor, erstdurch die Entdeckung der Botschaft von der Rechtfertigung allein aus Gnadeund allein durch den Glauben in der Reformation angemessen aufgegriffenworden war.

Diese vornehmlich in den sechziger Jahren ausgetragenen Debatten ma-chen deutlich, dass es bei der Deutung des Mittelalters im evangelischen Kon-text immer auch um die Legitimation der Reformation ging; das hat ein genu-ines Interesse am Mittelalter selbst, zumal an seinen früheren Jahrhunderten,nicht gefördert. Vereinzelt wurden zwar im evangelischen Raum auch Studienzum Früh- und Hochmittelalter vorgelegt, doch standen diese ganz im Schat-ten der konfessionellen Selbstverständigungsdebatten. So stammen Gesamt-entwürfe zur Kirchen- bzw. Religionsgeschichte des Mittelalters in jüngererZeit auch eher aus der katholischen Theologie oder der allgemeinen Ge-schichte. Die Arbeiten von Arnold Angenendt und Peter Dinzelbacher sinddabei ganz von einem religiositätsgeschichtlichen Zugriff geprägt, und auchdie Grundlagenstudien von Michael Borgolte stellen mit ihrem erinnerungs-und memorialkulturellen Zugriff die institutionellen Aspekte von Kirche undPolitik in ein breites mentalitätsgeschichtliches Panorama. Diese Gesamtdar-stellungen wie die sie begleitende Fülle von Einzelstudien hat in den vergange-nen Jahren unsere Kenntnisse von mittelalterlichen Glaubenswelten ganz er-heblich erweitert – so muss sich evangelische Theologie Anfang des 21. Jahr-hunderts neu der Frage stellen, aus welchen Gründen und in welcher Weisesie sich sinnvoll mit der Kirchengeschichte des Mittelalters befassen kann.

Ausgangspunkt jeder evangelischen Beschäftigung mit dem Mittelalter istunfraglich, dass die reformatorische Identität sich in einem Abgrenzungspro-zess gegenüber dem entwickelt hat, was als Mittelalter wahrgenommen wurde,und dass evangelische Theologie dieses gebrochene Verhältnis zum Mittelalternicht ignorieren kann. Für vieles, was im Mittelalter Theologie und Frömmig-keit bestimmt, gilt mit gutem Grund, dass es in den evangelischen Kirchennicht fortgeführt wurde – für einiges kann man dies ebenso im Blick auf dierömisch-katholische Kirche sagen. In unterschiedlichem Maße haben beideStränge der lateinischen Christenheit die mittelalterliche Kirche, der sie ent-

15 Bernd Moeller, Die Reformation und das Mittelalter. Kirchenhistorische Aufsätze,hg. v. Johannes Schilling. Göttingen 1991.

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Alterität: diebereicherndeBedeutung desMittelalters

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stammten, transformiert. Sie sind in einem komplizierten Ineinander ausKontinuität und Diskontinuität zu neuen Formen des Christentums gewor-den. Evangelischerseits überwiegt dabei zunächst das Moment der Diskonti-nuität, deren theologischer Grund in der Rechtfertigungsbotschaft liegt.

Doch eine evangelische Theologie, die in der Betonung dieser Diskontinui-tät stecken bliebe, würde steril. Für die Methodik der Kirchengeschichts-schreibung bedeutet sie lediglich: Der erste evangelische Blick auf das Mittel-alter ist der einer Fremdheit. Dieses theologisch bestimmte Herangehen ent-spricht durchaus Theorien der modernen Historiographie, in denen unterdem Stichwort der Alterität eben diese Fremdheit nicht nur des Mittelalters,sondern auch anderer vergangener Epochen thematisiert wird16. Lebens- undDenkformen des Mittelalters sind zunächst einmal andere als die der Mo-derne. In religiöser Hinsicht sind sie zunächst einmal andere als die heutigenevangelischen Wahrnehmungsmuster.

Wenn freilich ein Alteritätsbewusstsein im evangelischen Raum auf derGrundlage einer negativen Selbstabgrenzung entstanden und plausibel ist, be-deutet dies nicht, dass solche negativen Wertungen unmittelbar und unge-prägt weitergetragen werden müssen. Der intellektuelle Anspruch jeder Theo-logie, und mit ihr der evangelischen, bringt es auch mit sich, dass eigeneVorannahmen kritisch zu überprüfen sind. So muss eine methodisch adäquateUmsetzung der Alteritätswahrnehmung in der evangelischen Theologie su-chen, jene Andersheit zu verstehen. Gerade weil das Mittelalter dem heutigenevangelischen Theologen fremd ist, gilt für diesen, wenn er historisch zuver-lässig arbeiten will, dass er sich der eigenen Andersheit gegenüber den Quellenbewusst sein muss. Wertungen, theologische Grundannahmen, die für heutigeevangelische Theologie selbstverständlich sind, können nicht ohne weiteresan mittelalterliche Überzeugungen und Lebensformen herangetragen werden,weil sie seinerzeit unter Umständen noch nicht bekannt waren bzw. nicht alsselbstverständlich vorauszusetzen sind. Eine Analyse der Gründe für ebendiese Andersheit der Voraussetzungen muss unter dem wissenschaftstheore-tisch wie theologisch notwendigen Vorbehalt geschehen, dass auch das eigeneVerstehen und seine Voraussetzungen im Angesicht der Wirklichkeit Gottesnur ausschnitthaft sind, dass also möglicherweise in anderen, fremden Vor-aussetzungen Wahrheitselemente enthalten sind, die die eigenenVorstellungenrelativieren oder bereichern können. Dies bedeutet eine geringe und dochwesentliche Verschiebung in der Wahrnehmung des Mittelalters: Wenn für dieReformatoren einzelne Gestalten des Mittelalters positiv besetzt blieben, sowurde innerhalb der Fremdheit Wahres und Vertrautes wahrgenommen. Ge-genüber dem frühneuzeitlichen Schema von dominanter Antichristlichkeit

16 Hans Robert Jauß, Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur, in: ders.:Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsätze 1956–1976. München 1977, 9–47.

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1. Evangelische Zugänge zum Mittelalter

und partiellem prophetischen Kampf dagegen kann eine moderne Sicht stär-ker den Einzelfall in den Blick nehmen und statt der einfachen Gegenüberstel-lung die Vielfalt christlicher Möglichkeiten würdigen. Methodisch wird diesbei einem genauen quellenorientierten Zugriff auch gar nicht anders möglichsein. Betrachtet man eine im Mittelalter so bestimmende Gestalt wie Bernhardvon Clairvaux, so wird man die Elemente, die seine positive reformatorischeWürdigung tragen, gerade nicht von seiner Nähe zum Papst oder seinemAufruf zum Kreuzzug separieren können, sondern wird zunächst einmal un-tersuchen müssen, inwiefern sich diese scheinbar widersprüchlichen Züge ineinem konsistenten Gesamtbild zusammenfügen lassen. Eine Gesamtbeurtei-lung wird dann in Rechnung zu stellen haben, dass es sich hier offenbar umeine Ausprägung des Christlichen handelt, die in aller Fremdheit gegenüberevangelischen Positionen doch auch Vertrautes enthält – und die möglicher-weise im Rahmen der Fremdheit auch ein Erbe repräsentiert, das in die evan-gelische Christlichkeit nicht eingegangen ist, ihr aber gleichwohl auch nichteinfach kontradiktorisch entgegensteht, sondern sie unter Umständen berei-chern kann.

Letztlich wird auch evangelische Theologie nicht bei einer reinen Alteritäts-bestimmung des Mittelalters stehen bleiben können, sondern sich der Fragezu stellen haben, in welcher Weise diese Epoche trotz der betonten Entgegen-setzung in den Anfängen der Reformation auch für den Protestantismus dau-erhaft konstitutiv geblieben ist. Das gilt natürlich – hierin kann man an dietraditionellen Anliegen der evangelischen Kirchengeschichtsschreibung an-knüpfen – zunächst einmal für solche Strömungen im Mittelalter, die be-stimmten Formen offizieller Kirchlichkeit entgegenstanden, für häretisiertePersonen und Gruppen oder für religiöse Auffassungen, denen eine offizielleAnerkennung versagt blieb. Eine solche Sicht wird unweigerlich wiederumdem späten Mittelalter besondere Aufmerksamkeit schenken, da sich hier dieKontinuitäten besonders deutlich zeigen lassen: Die Umgestaltung der Kirchein Böhmen, die im Gefolge der hussitischen Streitigkeiten zur Existenz einerKonfessionskirche neben der päpstlichen Kirche geführt hat, lässt sie ebensoerkennen wie die Frömmigkeitstheologie des späten Mittelalters oder auchdas Bemühen um eine Lösung der kirchlichen Belange aus dem Zugriff derHierarchie in den Städten und Territorien des späten Mittelalters.

Doch wäre es unzureichend, die fortdauernde Bedeutung des Mittelaltersauch für die reformatorische Christenheit allein mit den direkten Entwick-lungslinien des späten Mittelalters zu begründen. Insofern die evangelischenKirchen ein konstitutiver Teil Europas sind, haben Sie auch Anteil an denGrundlagen dieser spezifischen kulturellen Konstellation, wie sie in Antikeund Mittelalter gelegt wurden. Allein schon der Ort, an dem maßgeblichevangelische Theologie betrieben wird, die Universität, verdankt seine Entste-hung dem hohen Mittelalter (→ 358f.), ja, die Christianisierung Mitteleuro-pas ist eine Folge der frühmittelalterlichen Entwicklung. Evangelische Chris-

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Kontinuität:Die konstitutiveBedeutung desMittelalters

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Gemeinsamkeit:Die ökumenische

Bedeutung desMittelalters

Einleitung

tinnen und Christen, die einen Gottesdienst in einer gotischen Kirche besu-chen, gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass sie damit einen Raumnutzen, der seit seinen Anfängen dem Lob des biblischen Gottes und demZuspruch seiner Verheißung dient. Blickt man über den deutschen Rahmenhinaus etwa nach Finnland oder Schweden, so werden die Elemente tiefwur-zelnder Kontinuität sogar noch größer, wenn sich etwa evangelische Bischöfemit großer Selbstverständlichkeit in der Nachfolge mittelalterlicher Bistums-inhaber verstehen.

Blickt man auf diese vielfältigen Wurzeln auch des evangelischen Christen-tums im Mittelalter, so wird deutlich, dass es gute Gründe gibt, das Mittelal-ter als Teil der eigenen Geschichte anzusehen, ja, jede andere Perspektivewäre geradezu abwegig und würde den sachlichen Kern des Christentumsund seiner Geschichte aus dem Blick verlieren. In jeder theologisch gerecht-fertigten Betonung von Unterschieden und Alterität liegt auch ein starkerGrund für Kontinuität und Gemeinsamkeit. Es war ein Fehler und wäreheute weiterhin ein Fehler, allein die neuzeitliche römisch-katholische Kirchein der Nachfolge der katholischen Kirche des Mittelalters zu sehen. Evangeli-sche Betrachtung des Mittelalters hat viel zu oft darunter gelitten, dass gera-dezu eine Identität von Mittelalter und modernem Katholizismus suggeriertwurde, am wirkmächtigsten wohl in den großen Geschichtsdarstellungen Al-brecht Ritschls (1822–1889), der den Pietismus als Erben des Mittelaltersabwertete und so in die Liberale Theologie eine konfessionalistisch veren-gende Perspektive auf das Mittelalter eingebracht hat. In gewisser Weise wareine solche Sicht freilich ihrerseits ein Reflex auf die römisch-katholischeBehauptung durchgängiger katholischer Kontinuität, die der Reformationentgegengehalten worden war.

Mit dem hinreichenden Abstand zu den konfessionalistischen Auseinander-setzungen der Frühen Neuzeit wie des 19. Jahrhunderts wird man in großerGelassenheit konstatieren können, dass das Mittelalter in der Neuzeit einermehrfachen Transformation unterzogen wurde. Es enthält Potenziale, von de-nen beide neuzeitliche Traditionen gleichermaßen profitieren können – ja, inmancher Hinsicht kann das Mittelalter als eine Konstellation der lateinischenChristenheit vor der Aufteilung in Konfessionen auch an grundlegende Ge-meinsamkeiten erinnern und damit, ohne seinerseits zur Norm oder Zielvor-gabe heutiger Vorstellungen gemacht zu werden, neue Impulse für das ökume-nische Gespräch zwischen den Konfessionen geben, von denen die eine keinenalleinigen Besitzanspruch auf das Mittelalter erheben kann und die anderesich nicht permanent vom Mittelalter abgrenzen muss. Das Mittelalter ist dergemeinsame Teil unterschiedlicher Geschichten. Als solcher wird es sicher ineiner evangelischen Interpretation anders gedeutet, als in einer römisch-ka-tholischen, und über die unterschiedlichen Auslegungen können neue Kontro-versen entstehen – aber diese beruhen auf einer geschichtlichen Gemeinsam-keit, auf die keine moderne Konfession ohne Weiteres verzichten kann.

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2. Abgrenzung und Einteilung des Mittelalters

2. Abgrenzung und Einteilung des Mittelalters

Die Ausführungen zur Bedeutung des Mittelalters im Rahmen des Studiumsevangelischer Theologie haben implizit schon die Voraussetzung gemacht,dass die Reformation als eine Zeit nach dem Mittelalter zu verstehen sei.Genauer muss man allgemeingeschichtlich von der Frühen Neuzeit spre-chen17, also einer Epoche, die sich zum einen zeitlich weit über die unmittel-bare reformatorische Durchsetzungsphase in der ersten Hälfte des 16. Jahr-hunderts hinaus ausdehnt, zum anderen auch sachlich nicht ausschließlichan der Reformation orientiert ist. Die europäische Gesamtgeschichte etwa inden romanischen Ländern ist keineswegs in dem Ausmaß von den Folgen derReformation betroffen gewesen, wie es im Römischen Reich deutscher Nationdurch den Augsburger Religionsfrieden von 1555 der Fall war. Indem er denObrigkeiten in den einzelnen Territorien die Verfügungsgewalt über die Kon-fession ihrer Untertanen gab, schuf er erstmals eine Situation, in der das Reichnicht unmittelbar mit einem unteilbaren Corpus christianum identifiziertwerden konnte. Infolge der Reformation brachte er eine so starke Änderungder Geschichte des Christentums, dass es sinnvoll ist, mit ihm das Mittelalterals beendet zu sehen.

Zugleich ist es offenkundig, dass die Unterscheidung von Mittelalter undFrüher Neuzeit anhand der Reformation für evangelische Theologie beson-ders plausibel ist, während sie im Bereich katholischer Theologie und fastnoch stärker in der allgemeinen Geschichtswissenschaft zunehmend fraglichwird. Mit einem stark an sozialhistorischen Entwicklungen orientierten Blickkann man einwenden, dass die Feudalordnung des Mittelalters erst mit derFranzösischen Revolution von 1789 und ihren Folgen in anderen LändernEuropas ihr Ende fand. Mit einem verfassungsgeschichtlichen Blick mag manfragen, ob tatsächlich der Augsburger Religionsfrieden eine tiefergreifendeÄnderung bedeutete als das Ende des Alten Reichs 1806 beziehungsweise inseinem Vorfeld 1803 der Reichsdeputationshauptschluss, der das jahrhunder-tealte Institut der geistlichen Fürstentümer beendete. Auch mit einem engerenBlick auf die Geschichte des Christentums wird man fragen müssen, ob nichtdie Entwicklung des Neuprotestantismus und der modernen Gestalten desevangelischen Christentums in pietistischer oder aufklärerischer Traditionerst das eigentliche Ende des Mittelalters bedeuteten. So hat Ernst Troeltsch(1865–1923) Martin Luther noch voll und ganz im Mittelalter verortet unddie eigentlich entscheidenden Änderungen erst im späteren Protestantismusangesetzt. Die Reihe solcher Beispiele lässt sich verlängern. Sie machen deut-lich, dass sich die Abgrenzung von Zeitphasen oder Epochen in der Kirchen-geschichte wie in der allgemeinen Geschichte je nach Blickwinkel deutlichverschiebt. Der Sinn solcher Einteilungen ist vorwiegend ein pragmatischer.

17 S. hierzu Thomas Kaufmann, Die Reformation als Epoche?, in: VuF 47 (2002), 49–62.

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Humanismusund Reformationals Ende

Fraglichkeit vonEpochengrenzen

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Ethnogenese alsAnfangszeitraum

Einleitung

Epochenunterscheidungen zeichnen nicht gegebene Grenzen nach, sonderndienen der Stoffeinteilung. Im Rahmen evangelischer Theologie ist es dannsinnvoll, die Entstehung der evangelischen Kirchen als einen so gewichtigeneigenen Faktor anzusehen, dass mit ihm ein neuer Abschnitt angesetzt wird.Damit ist freilich kein „Bruch“ verbunden. Die Entwicklungen, die zu Unter-schieden führten, haben sich zwar gelegentlich – etwa in den zwanziger Jahrendes 16. Jahrhunderts – rasant beschleunigt, aber auch diese Beschleunigungs-phasen wurden durch lang andauernde Entwicklungen möglich gemacht. His-torisch lassen sich Transformationen in unterschiedlicher Dichte beobachten.Sie vollziehen sich auch innerhalb eines Zeitalters permanent. Wo sie sich aberbesonders verdichten und vor allem für das gegenwärtige Selbstverständnisfolgenreich entwickeln, kann man ein Zeitalter vom anderen abheben. Ebendies ist mit der Reformation der Fall, so dass sich als sachlich angemessenesEnde für die Darstellung des Mittelalters das frühe 16. Jahrhundert ergibt.

Noch viel weniger als am Ende des Mittelalters kann man an dessen Anfangeinen Bruch verzeichnen – und dies gerade deswegen, weil sich die inhaltli-chen Unterschiede, die es erlauben, von einem Wechsel der Zeitalter zu spre-chen, zwischen Antike und Mittelalter um vieles deutlicher benennen lassenals zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit. Der Übergang von der Antikezum Mittelalter bedeutet eine Verlagerung des geographischen Schwerpunktsdes Christentums von einer weitgehenden Konzentration im Mittelmeerraumhin zu den nördlicheren Regionen Westeuropas und Mitteleuropas. Diesehängt zusammen mit einem Wechsel der gesellschaftlichen und ethnischenTrägergruppen des Christentums. Die Antike kannte zwar bereits, etwa beiden Armeniern oder auch im Persischen Reich, die Herausbildung von eige-nen Kirchen jenseits des Römischen Reiches. Ganz überwiegend bildete aberdessen politisch-gesellschaftliche Oikumene auch den Rahmen für die Ge-schichte des Christentums. Mit dem Zerfall des Römischen Reichs im Westenkamen neue Trägergruppen für das Christentum auf, die, wie es das modernehistoriographische Konzept der Ethnogenese für die Zeit der sogenanntenVölkerwanderung nahelegt, selbst erst in diesem Zusammenhang entstanden.Dieser Vorgang brachte gewichtige Änderungen des Christentums mit sich,die es erlauben, von einem neuen Zeitalter zu sprechen. Stärker noch als inder Frühen Neuzeit wird diese religionsgeschichtliche Veränderung von so-zial- und politikhistorischen Umwälzungen begleitet, so dass trotz gelegent-licher Versuche, eine Grenze erst später anzusetzen, insgesamt die Zeit derVölkerwanderung bzw. Ethnogenese als jene Phase angesehen werden kann,in der das Mittelalter als neues Zeitalter nach der Antike entstand.

Man muss dann mit einem langanhaltenden Änderungsprozess rechnen,dessen Anfänge bei den Wanderungsbewegungen vor 400 n.Chr. liegen undsich über Jahrhunderte erstreckten. Die Rede von „Bruch“, „Schnitt“ oderdergleichen verbietet sich damit für den Beginn des Mittelalters ganz vonselbst – vielmehr hat man es mit der Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen

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3. Methodik der Darstellung

zu tun: Der klar der Antike zuzurechnende Kirchenvater Augustin starb am28. August 430 in seiner Bischofsstadt Hippo Regius, als diese von den Wanda-len belagert wurde, also Opfer der Ausläufer der sogenannten Völkerwande-rung war.

3. Methodik der Darstellung

Theologische Mediävistik hat einerseits einen besonderen Vorzug, befindetsich andererseits in einer schwierigen Situation. Anders als in der Neuzeitstellt sich für die Betrachtung des Mittelalters gar nicht die Frage, ob dasChristentum als historischer Faktor von Bedeutung war. Das gilt so sehr, dassauch allgemeinhistorische Darstellungen des Mittelalters ihren Gegenstandnur dann angemessen im Blick haben können, wenn sie auch das Christentumberücksichtigen. Eben diese umfassende Bedeutung bringt es aber auch mitsich, dass eine Geschichte der Kirche oder des Christentums nur bis zu einemgewissen Grad von der allgemeinen Geschichte abgehoben werden kann. Wonoch dem König sakrale Bedeutung zukommt und der Krieg vielfach religiöseUrsachen besitzt, ist das, was gewöhnlich als allgemeine Geschichte gilt, im-mer auch schon mit der Geschichte des Christentums verwoben. Eine Darstel-lung der Kirchengeschichte des Mittelalters muss also die religiöse Spezifik ineiner Weise behandeln, die zugleich den Zusammenhang mit der allgemeinenGeschichte erkennen lässt.

Ein historiographisches Verständnis, das dies ermöglicht, wird durch dieSemiotik angeboten, die Lehre von den Zeichen. Grundlage ist dabei, dasshistorische Prozesse Kommunikationsprozesse sind: Ein Geschehen resultiertdaraus, dass zwei oder mehr Subjekte miteinander über einen Gegenstandkommunizieren. Sie tun dies in einer mehr oder minder geregelten Zeichen-sprache. Diese schlichte Beschreibung ermöglicht es, ein und denselben Vor-gang unterschiedlich zu verstehen. So kann eine Münze in wirtschaftlicherHinsicht für einen bestimmten Wert stehen. Ihr Prägemal kann aber auchAusdruck von Macht- und Rechtsverhältnissen sein, und, gespendet für Be-dürftige, kann sie religiöser Ausdruck der caritas sein, durch die der Glau-bende seiner Verantwortung vor Gott gerecht wird. Nimmt man diese Be-schreibung als Ausgangspunkt, kommen für eine kirchenhistorische Darstel-lung des Mittelalters historische Vorgänge in der Weise in Betracht, wie sieeinen Beitrag zum religiösen Zeichensystem bieten, also in eine Kommunika-tion eingebunden sind, die die beteiligten Subjekte ihrerseits auf Gott undJesus Christus bezieht.

So gewinnen in den folgenden Ausführungen die impliziten und explizitenreligiösen Zeichensysteme eine tragende Bedeutung: Es geht darum, die Sinn-orientierung der religiösen Kommunikation innerhalb der mittelalterlichenWelt zu erheben und auf diese zu beziehen. Methodisch stehen daher Deu-tungsprozesse im Vordergrund. Äußere Ereignisse finden insofern Darstel-

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ReligiöseZeichensysteme

Religiositäts-geschichteals Leitdisziplin