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Fortbildung sind oft sehr störende Hautirritationen durch die Drahtenden sowie die obligate Drahtentfernung. Als weiteres geschlossenes Verfahren steht die Anlage eines Fixateur externe zur Verfügung. Dieser kann als gelenk- übergreifender Fixateur oder zwischen der Radiusdiaphyse und dem subchon- dralen distalen Bereich angelegt als Non-bridging-Fixateur fungieren. Zu- sätzlich können Kirschnerdrähte zur weiteren Stabilisierung eingebracht wer- den. Die Domäne des Fixateur externe ist die Versorgung offener Frakturen In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Therapie der distalen Radiusfraktur sehr differenziert weiter- entwickelt. Neben der einfachen Versorgung mit Kirschnerdrähten sowie der Stabilisation mittels Fixateur externe haben sich auch diverse Systeme zur winkelstabilen Osteosynthese etabliert. In jüngsten Zeit kam nun das gesamte Feld der intramedullären Osteosynthese, wie sie beispielsweise aus der Versorgung proximaler Humerusfrakturen gut bekannt ist, hinzu. oder von Knochenbrüchen mit beglei- tenden schweren Weichteilverletzungen. Zusätzlich eignet sich diese Technik für die Behandlung äußerst komplexer Mul- tifragmentbrüche im Bereich des Ge- lenks, die keiner anderen Osteosynthe- setechnik zugänglich sind. Als größte Nachteile der äußeren Fixation sind die Gefahr eines Pin-Infekts sowie der sehr reduzierte Patientenkomfort zu nennen. Zusätzlich ist oft trotz des Einbringens weiterer Kirschnerdrähte eine exakte Wiederherstellung der Gelenkfläche nicht sicher möglich. D ie einfachste Option zur Fixation von Frakturen ist die Osteosyn- these mittels Kirschnerdrähten. Hierbei sind verschiedene Verfahren wie zum Beispiel die Spickung nach Kapandji oder nach de Palma weit verbreitet. Die Vorteile dieses Verfahrens sind der ge- ringe Weichteilschaden, die allgemeine Verfügbarkeit sowie die niedrigen Kosten. Nachteilig wirkt sich die bisweilen insuf- fiziente Stabilisierung vor allem osteopo- rotischer Knochen aus. Die Drahtosteo- synthese ist für komplexe intraartikuläre Brüche nicht geeignet. Weitere Nachteile 1a 1b 1c Neuer Therapieansatz Intramedulläre Osteosynthese zur Versorgung der distalen Radiusfraktur M. S TRASSMAIR 32 Orthopädie & Rheuma 2011; 14 (11–12)

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Fortbildung

sind oft sehr störende Hautirritationen durch die Drahtenden sowie die obligate Drahtentfernung.

Als weiteres geschlossenes Verfahren steht die Anlage eines Fixateur externe zur Verfügung. Dieser kann als gelenk-übergreifender Fixateur oder zwischen der Radiusdiaphyse und dem subchon-dralen distalen Bereich angelegt als Non-bridging-Fixateur fungieren. Zu-sätzlich können Kirschnerdrähte zur weiteren Stabilisierung eingebracht wer-den. Die Domäne des Fixateur externe ist die Versorgung offener Frakturen

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Therapie der distalen Radiusfraktur sehr differenziert weiter-entwickelt. Neben der einfachen Versorgung mit Kirschnerdrähten sowie der Stabilisation mittels Fixateur externe haben sich auch diverse Systeme zur winkelstabilen Osteosynthese etabliert. In jüngsten Zeit kam nun das gesamte Feld der intramedullären Osteosynthese, wie sie beispielsweise aus der Versorgung proximaler Humerusfrakturen gut bekannt ist, hinzu.

oder von Knochenbrüchen mit beglei-tenden schweren Weichteilverletzungen. Zusätzlich eignet sich diese Technik für die Behandlung äußerst komplexer Mul-tifragmentbrüche im Bereich des Ge-lenks, die keiner anderen Osteosynthe-setechnik zugänglich sind. Als größte Nachteile der äußeren Fixation sind die Gefahr eines Pin-Infekts sowie der sehr reduzierte Patientenkomfort zu nennen. Zusätzlich ist oft trotz des Einbringens weiterer Kirschnerdrähte eine exakte Wiederherstellung der Gelenkfläche nicht sicher möglich.

D ie einfachste Option zur Fixation von Frakturen ist die Osteosyn-these mittels Kirschnerdrähten.

Hierbei sind verschiedene Verfahren wie zum Beispiel die Spickung nach Kapandji oder nach de Palma weit verbreitet. Die Vorteile dieses Verfahrens sind der ge-ringe Weichteilschaden, die allgemeine Verfügbarkeit sowie die niedrigen Kosten. Nachteilig wirkt sich die bisweilen insuf-fiziente Stabilisierung vor allem osteopo-rotischer Knochen aus. Die Drahtosteo-synthese ist für komplexe intraartikuläre Brüche nicht geeignet. Weitere Nachteile

1a 1b 1c

Neuer Therapieansatz

Intramedulläre Osteosynthese zur Versorgung der distalen RadiusfrakturM. StraSSMair

32 Orthopädie & Rheuma 2011; 14 (11–12)

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Abb. 1 (a-d): Distale Radiusfraktur AO-Typ A3 präoperativ (a, b) sowie nach Versorgung mittels Geflechtimplantat (c, d)

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Abb. 2: Ruptur der Sehne des Musculus extensor pollicis longus infolge einer herausstehenden Schrau-benspitze nach palmarer Plattenosteosynthese (III, IV: drittes bzw. viertes Strecksehnenfach; CL: Christa Listeri; EPL: distaler Stumpf der rupturierten EPL-Sehne)

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härtungen kann die Folge eines längeren Hautschnitts über der Gelenkebene, der Eröffnung der Strecksehnenfächer oder der Abpräparation der palmaren Mus-kulatur sein. Weitere mögliche Kompli-kationen sind Materiallockerungen oder Rupturen der Beuge- bzw. Strecksehne im Bereich des Implantats.

Konzept der intramedullären VersorgungDie Grundidee der intramedullären Versorgung besteht darin, die Vorteile der weichteilschonenden Drahtfixation mit den Vorteilen der Stabilität einer Plattenosteosynthese zu kombinieren und deren Nachteile zu minimieren. Den größten Benefit haben daher Pati-enten, deren Radiusfraktur mit einer Drahtosteosynthese unter-, mit einer Plattenosteosynthese hingegen überver-sorgt wäre.

Eigene ErfahrungenSeit Dezember 2010 wurden 15 Patienten erstmalig mit einem komplett neuartigem Fixationssystem zur intramedullären Os-teosynthese versorgt. Hierbei konnten Speichenbrüche der AO-Klassifikations-gruppen A sowie C1 eingeschlossen wer-den. Der Nachuntersuchungszeitraum betrug zwölf Wochen. Zur Dokumenta-tion der Stabilität wurde neben den üb-lichen Röntgenaufnahmen der DASH-Score zur Prüfung des funktionellen Er-gebnisses erhoben.

Implantat- und OperationstechnikBei dem Implantat handelt es sich um einen selbst expandierenden Geflecht-ballon aus Nitinol (Legierung aus Nickel und Titan). Dieser wird nach Repositi-on der Fraktur und temporärer Fixation mittels Kirschnerdraht über einen radiopalmaren Zugang nach Aufweiten

Dank der Entwicklung winkelstabiler Platten hat sich die Versorgung distaler Radiusfrakturen über einen palmaren Zugang weitgehend als Standardverfah-ren etabliert. Zusätzlich sind Implantate für eine dorsale Versorgung verfügbar. Die Wahl des Operationswegs wird von der Geometrie der Fraktur bestimmt. Vorteilhaft ist bei diesem Verfahren die bestmögliche anatomische Rekonstruk-tion der Gelenkfläche bei gleichzeitig übungsstabiler Fixation. Dies ermöglicht eine frühfunktionelle Nachbehandlung. Ein weiterer Vorteil für die Patienten besteht darin, dass die heute üblichen Titanplatten die Materialentfernung nicht mehr zwingend erfordern. Dies kommt vor allem bei älteren Patienten zum Tragen. Nachteilig ist die bisweilen aufwendige Weichteildissektion durch den erforderlichen Zugangsweg. Eine postoperative Narbenbildung mit Ver-

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Fortbildung Distale Radiusfraktur

des Prothesenlagers eingebracht. Durch das Vorschieben des Implantatträgers kann intraoperativ zusätzlich eine Im-paktation der Gelenkfläche angehoben werden. Nach Öffnen des Ballons wird diese mittels zwei Schrauben proximal am Radius befestigt. Auf diese Weise lässt sich eine Sinterung der Fraktur ebenso verhindern wie eine Rotation des distalen Fragments.

Die distalen Fragmente können nun mittels kanülierter Schrauben gezielt ge-fasst und fixiert werden. Die Verschrau-bung erfolgt durch den Geflechtballon hindurch und die Schraubenlage ist in allen Ebenen frei wählbar. Da hierbei vier Fixationspunkte entstehen (zwei in der Corticalis, zwei beim Durchtritt durch das Gewebegeflecht) wird eine äußerst stabi-le Fixation erreicht. In biomechanischen Untersuchungen konnte nachgewiesen werden, dass eine derartige Versorgung mit zwei Schrauben eine identische Sta-bilität zur winkelstabilen Plattenosteosyn-these erzielt.

Klinische ResultateInfolge des sehr gewebeschonenden Zu-gangswegs sowie sehr kurzer Hautinzisi-onen fiel postoperativ eine geringe Schwell-neigung sowie ein sehr geringes Schmerz-niveau auf. Da die Hautwunden nicht im Bereich der mobilen Gelenkanteile liegen, ist eine sofortige Mobilisation möglich, ohne die Wundheilung zu gefährden.

Die Auswertung der postoperativen radiologischen Verlaufskontrollen zeigte in keinem Fall Anzeichen für eine sekun-däre Dislokation oder ein Materialversa-gen. Bei allen Patienten konnte sechs Wochen postoperativ ein sicherer Durch-bau der Fraktur festgestellt werden.

Der DASH-Score wurde mittels stan-dardisiertem Fragebogen zwölf Wochen

postoperativ erhoben. Die mittleren Wer-te lagen bei 26 Punkten. Dies entspricht dem üblichen Bereich der funktionellen Ergebnisse nach winkelstabiler Platten-versorgung.

ZusammenfassungDas vorliegende Implantat hat sich zur Versorgung distaler Radiusfrakturen der AO-Typen A1 bis A3 sowie C1 bisher be-währt. Vorteilhaft erscheint intraoperativ die technisch bedingte freie Wahlmöglich-keit der Positionierung der Schrauben. Diese kann an die Geometrie der Fraktur und ihrer Fragmente angepasst werden. Üblicherweise kommen zwei gekreuzte Schrauben zum Einsatz, es ist jedoch mög-lich bei Bedarf bis zu vier Schrauben zu implantieren. Die in biomechanischen Tests angegebene Stabilität der Versorgung war in der klinischen Erprobung uneinge-schränkt nachvollziehbar. Bezüglich Ope-rationstrauma, Schwellung, Materialirrita-tion sowie Narbenbildung scheint dieses Verfahren Vorteile gegenüber der klas-sischen Versorgung mittels Platte aufzu-weisen.

Das vorgestellte neuartige Therapie-konzept passt sich gut in die Überle-gungen der abgestuften Behandlung di-staler Radiusfrakturen ein. Es schließt die Lücke zwischen Kirschnerdrahtversor-gung und Plattenosteosynthese.

Literatur beim Verfasser

Dr. med. Michael StrassmairFacharzt für Chirurgie/Handchirurg/ NotfallmedizinZentrum für Handchirurgie am Klinikum StarnbergOsswaldstraße 1 82319 Starnberg E-Mail: [email protected]

Abb. 3: Intramedulläre Implantatlage am Modell

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