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Das BuchDie junge New Yorker Anwältin Rachel White und ihre beste Freundin Darcy kennen sich schon seit ihrer Kindheit und sind unzertrennlich. Deshalb hat Darcy Rachel auch gebeten, ihre Brautjungfer zu werden. Doch in letzter Zeit ist Rachel genervt: Denn Darcy spricht von nichts anderem mehr als von ihrer Hoch-zeit mit Dex. Der ist allerdings nicht nur Darcys Traummann. Auch Rachel ist heimlich schon seit Uni-zeiten in ihren guten Freund verliebt. Doch ihre Liebe hat Rachel ihm nie gestanden, und so wurden schließ-lich Dex und Darcy ein Paar. Als sie allerdings auf der Party zu ihrem dreißigsten Geburtstag nach dem ein oder anderen Drink zu viel mit Dex im Bett landet, werden die Karten neu gemischt und Rachel steht vor der schwierigsten Entscheidung ihres Lebens: Freund-schaft oder Liebe …

Die AutorinEmily Giffin, 1972 geboren, ist eine international be-kannte Bestsellerautorin. Sie arbeitete als Anwältin, bevor sie sich ganz dem Schreiben widmete. Ihr Er-folgsroman Fremd fischen wurde verfilmt und begeis-terte auch das deutsche Kinopublikum. Im Diana Ver-lag erschien 2012 bereits ihr Roman Das Herz der Dinge. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in Atlanta.

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EMILY GIFFIN

Fremd fischen

Roman

Deutsch von Rainer Schmidt

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Die Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel Something Borrowed bei St. Martin’s Press, New York

Taschenbuchneuausgabe 03/2013Copyright © 2004 by Emily GiffinCopyright © der deutschen Ausgabe 2004 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei HamburgAlle Rechte an der Übertragung ins Deutsche bei Rowohlt Verlag GmbHCopyright © dieser Ausgabe 2013 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbHRedaktion | Dorothee WieseUmschlaggestaltung | t.mutzenbach design, MünchenUmschlagmotiv | © shutterstockSatz | Leingärtner, Nabburg

www.diana-verlag.de

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eISBN 978-3-641-10371-2

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1EINS Ich war in der sechstenKlasse, als ich zum ersten Mal ans Dreißigwerdendachte. Meine beste Freundin Darcy und ich hattenhinten im Telefonbuch einen ewigen Kalender gefun-den, mit dem man jedes Datum in der Zukunft an-schauen und mit Hilfe des kleinen Rasters herausfin-den kann, welcher Wochentag es sein wird. Damalskonnten wir es nicht erwarten, endlich Teenager zuwerden. Also machten wir unseren dreizehnten Ge-burtstag im folgenden Jahr ausfindig, meinen im Maiund ihren im September. Meiner war am Dienstag,an einem Schultag. Ihrer war samstags. Ein kleinerTriumph – aber typisch. Darcy hatte immer mehrGlück als ich. Sie wurde schneller braun, ihr Haar warleichter zu kämmen, und sie brauchte keine Zahnspan-ge. Ihr Moonwalk war besser als meiner, genau wie ihrRadschlag und ihr Handstandüberschlag (ich konnteüberhaupt keinen Handstandüberschlag). Sie hatteeine bessere Sticker-Sammlung. Mehr Michael-Jack-son-Buttons. Forenza-Pullover in Türkis, Rot und Pfir-sich (von meiner Mutter bekam ich keinen einzigen –sie meinte, sie wären zu modisch und zu teuer). Undeine Fünfzig-Dollar-Jeans von Guess mit Reißver-schlüssen an den Knöcheln (dito, fand meine Mutter).Darcy hatte zwei Ohrlöcher und Geschwister – auchwenn es nur ein Bruder war, war das immer noch bes-ser, als Einzelkind zu sein wie ich.

Aber zumindest würde ich eher dreizehn werden. Ichwar ein paar Monate älter, und das würde sie niemals

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aufholen. In diesem Moment beschloss ich, nach demWochentag meines dreißigsten Geburtstags zu schauen– in einem Jahr, das so weit entfernt war, dass es wieScience-Fiction klang. Er fiel auf einen Sonntag, unddas hieß, dass mein hinreißender Ehemann und ich fürdiesen Samstagabend einen verantwortungsbewusstenBabysitter für unsere zwei (möglicherweise drei) Kin-der bestellen würden, und dann würden wir in einemschicken französischen Restaurant mit Stoffserviettenessen und bis nach Mitternacht wegbleiben, sodass wirtechnisch gesehen meinen Geburtstag feiern würden.Ich hätte soeben einen wichtigen Prozess gewonnen –hätte irgendwie bewiesen, dass jemand unschuldig ge-wesen ist. Und mein Mann würde auf mich trinken:«Auf Rachel, meine wunderschöne Frau, die Muttermeiner Kinder und die beste Anwältin von Indiana.»Ich erzählte Darcy von meiner Phantasie, als wir her-ausfanden, dass ihr Geburtstag auf einen Mittwochfiel. Ein Arbeitstag. Pech für sie. Ich sah, wie sie dieLippen schürzte, während sie diese Information sackenließ.

«Weißt du, Rachel, wen kümmert’s, an welchemWochentag wir dreißig werden?», sagte sie und zuckteeine glatte, olivbraune Schulter. «Bis dahin sind wir alt.Wenn man erst mal so alt ist, sind Geburtstage nichtmehr wichtig.»

Ich dachte an meine Eltern – die in den Dreißigernwaren – und an ihren stillosen Umgang mit dem eige-nen Geburtstag. Mein Dad hatte meiner Mom kürzlicheinen Toaster zum Geburtstag geschenkt, weil unsererin der Woche zuvor kaputtgegangen war. Der neuekonnte vier Scheiben auf einmal toasten, nicht bloßzwei. Trotzdem war es kein tolles Geschenk. Aber mei-ne Mom hatte sich über das neue Haushaltsgerät an-

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scheinend gefreut; ich konnte jedenfalls nichts von derEnttäuschung bemerken, die ich empfand, wenn dieWeihnachtsausbeute meinen Erwartungen nicht ganzentsprach. Also hatte Darcy wahrscheinlich Recht.Spaßkram wie Geburtstage würde nicht mehr so wich-tig sein, wenn wir erst dreißig wären.

Das nächste Mal, dass ich wirklich ans Dreißigwer-den dachte, war im letzten Jahr auf der High School,als Darcy und ich anfingen, zusammen Thirty Some-thing im Fernsehen anzugucken. Sie gehörte nicht zuunseren Lieblingsserien – heitere Sitcoms wie Who’sthe Boss und Growing Pains fanden wir besser –, aberwir guckten sie trotzdem. Bei Thirty Something fandich die kläglichen Figuren mit den deprimierendenSchwierigkeiten problematisch, die sie offenbar anzo-gen. Ich weiß noch, dass ich fand, sie sollten erwach-sen werden und sich nicht so anstellen. Dass sie aufhö-ren sollten, über den Sinn des Lebens nachzugrübeln,und lieber Einkaufslisten schreiben. Das war damals,als ich dachte, dass meine Teenagerjahre sich unend-lich lange hinziehen und dass die Zwanziger wahr-scheinlich ewig dauern würden.

Dann wurde ich zwanzig. Und «Anfang zwanzig»schien tatsächlich ewig anzudauern. Wenn ich hörte,wie Bekannte, die ein paar Jahre älter waren, das Endeihrer Jugend beklagten, sah ich mich selbstgefällig kei-neswegs in der Gefahrenzone. Ich hatte jede MengeZeit. Bis ich ungefähr siebenundzwanzig war undschon lange nicht mehr nach dem Ausweis gefragt wor-den war und staunend zur Kenntnis nahm, dass die Jah-re immer schneller vergingen (was mich an den alljähr-lichen Monolog meiner Mutter beim Auspacken derWeihnachtsdekoration erinnerte) und dass dabei Fal-ten und vereinzelte graue Haare auftauchten. Mit

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neunundzwanzig setzte das wahre Grauen ein, und mirwurde klar, dass ich in vielerlei Hinsicht ebenso dreißigsein könnte. Aber es nicht war. Ich konnte nämlichimmerhin sagen, dass ich in den Zwanzigern war. Sohatte ich noch etwas mit College-Studenten gemein-sam.

Ich merkte, dass dreißig nur eine Zahl ist, dass manimmer so alt ist, wie man sich fühlt, und so weiter. Icherkannte, dass dreißig im Großen und Ganzen immernoch jung ist. Aber es ist nicht mehr so jung. Die frucht-barste, allerbeste Zeit zum Kinderkriegen ist dann zumBeispiel vorbei. Man ist zu alt, um noch anzufangen,für eine olympische Medaille zu trainieren. Im bestenFall – angenommen, man stirbt an Altersschwäche –hat man schon ein Drittel der Wegstrecke hinter sich.Und deshalb hocke ich zu meinem Geburtstag unwill-kürlich mit leisem Unbehagen auf der Kante eines kas-tanienbraunen Sofas in einer dunklen Barlounge an derUpper West Side. Die Überraschungsparty wird vonDarcy veranstaltet, die immer noch meine beste Freun-din ist.

Morgen ist der Sonntag, den ich zum ersten Mal alsSechstklässlerin beim Spielen mit unserem Telefon-buch ins Auge gefasst habe. Nach dieser Nacht wer-den meine Zwanziger vorbei sein: Das Kapitel ist fürimmer abgeschlossen. Das Gefühl, das ich dabei habe,erinnert mich an Silvester, wenn der Countdown läuftund ich nicht weiß, ob ich mir meine Kamera schnap-pen oder einfach den Augenblick leben soll. Meistensschnappe ich mir dann die Kamera und bereue es hin-terher, wenn das Bild nichts geworden ist. Ich binmächtig enttäuscht und denke mir, dass die Nachtmehr Spaß gemacht hätte, wenn sie nicht ganz so vielbedeutete, wenn ich nicht gezwungen wäre zu analy-

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sieren, was ich gemacht habe und wohin ich jetzt auf-breche.

Wie Silvester bedeutet die Nacht heute ein Ende undeinen Anfang. Ich kann Enden und Anfänge nicht lei-den. Ich würde es immer vorziehen, irgendwo in derMitte herumzudümpeln. Das Schlimmste an diesemspeziellen Ende (meiner Jugend) und Anfang (des mitt-leren Alters) besteht darin, dass mir zum ersten Mal imLeben klar wird: Ich weiß nicht, wohin die Reise geht.Meine Wünsche sind einfach. Ich will einen Job, dermir gefällt, und einen Typen, den ich liebe. Und amVorabend meines dreißigsten Geburtstags muss ich derTatsache ins Auge sehen, dass ich in dieser Hinsichtnull von zwei Punkten zu verzeichnen habe.

Erstens: Ich bin Anwältin in einer großen New Yor-ker Firma. Das bedeutet per definitionem, dass es mirelend geht. Anwältin zu sein, ist einfach nicht so fetzig,wie es immer dargestellt wird – kein bisschen wie inL. A. Law, der Fernsehserie, die Anfang der neunzigerJahre die Anmeldungen zum Jurastudium wie eineRakete nach oben schnellen ließ. Ich absolviere zer-mürbend lange Arbeitstage für einen niederträchtigen,anal fixierten Seniorpartner und bekomme hauptsäch-lich öde Aufgaben. Zudem beginnt irgendwann eineArt von Hass auf das, womit man seinen Lebensunter-halt verdient, an einem zu nagen. Also habe ich mir dasMantra der Juniorpartnerin eingeprägt: Ich hasse mei-nen Job, und ich werde bald kündigen. Sobald ich mei-ne Kredite abbezahlt habe. Sobald ich den Bonus fürdas nächste Jahr kassiert habe. Sobald mir ein Job ein-gefallen ist, mit dem ich meine Miete bezahlen kann.Oder jemanden gefunden habe, der sie für mich be-zahlt.

Was mich zu Punkt zwei bringt: Ich bin allein in

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einer Millionenstadt. Ich habe jede Menge Freunde,wie das stattliche Aufgebot heute Abend beweist.Freunde zum Inline-Skaten. Freunde, mit denen ich imSommer in die Hamptons fahren kann. Freunde, mitdenen ich mich donnerstagabends nach der Arbeit aufein, zwei oder drei Drinks treffen kann. Und ich habeDarcy, meine beste Freundin aus der alten Heimat, aufdie all das zutrifft. Aber jeder weiß, dass Freunde al-lein nicht reichen, auch wenn ich das oft behaupte, umbei meinen verheirateten und verlobten Freundinnendas Gesicht zu wahren. Ich hatte nicht vor, allein zusein, wenn ich dreißig bin, nicht mal, wenn ich Anfangdreißig bin. Ich wollte mittlerweile verheiratet sein,und ich wollte in den Zwanzigern eine Braut sein. Aberich habe gelernt, dass man sich nicht einfach seinen ei-genen Fahrplan basteln und erwarten kann, dass erwahr wird. So stehe ich jetzt an der Schwelle eines neu-en Jahrzehnts und erkenne, dass das Alleinsein dieDreißig beängstigend aussehen lässt und dass ich michmit dreißig desto mehr allein fühle.

Die Situation wird dadurch noch trostloser, dassmeine älteste und beste Freundin einen glamourösenPR-Job hat und frisch verlobt ist. Darcy ist immernoch ein Glückspilz. Ich sehe jetzt zu, wie sie einigenvon uns, unter anderem ihrem Verlobten, eine Ge-schichte erzählt. Dex und Darcy sind ein erlesenesPaar, schlank und groß, mit dem gleichen dunklenHaar und grünen Augen. Sie gehören zu den SchönenNew Yorks. Ein gepflegtes Paar, das im siebten Stockvon Bloomingdale’s eine Hochzeitsliste mit feinemPorzellan und Kristall anlegen lässt. Ihre Selbstge-fälligkeit ist dir zuwider, aber du musst sie unwillkür-lich anstarren, während du im selben Stockwerk einnicht allzu teures Geschenk für die x-te Hochzeit aus-

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suchst, zu der du ohne Freund eingeladen bist. Dureckst den Hals, um einen Blick auf ihren Ring zu wer-fen, und sofort bereust du es. Sie merkt es nämlich undmustert dich geringschätzig von oben bis unten, unddu wünschst dir plötzlich, du wärst nicht mit Turn-schuhen zu Bloomingdale’s gegangen. Wahrscheinlichdenkt sie, dass die Schuhe womöglich ein Teil deinesProblems sind. Du kaufst dein Waterford-Väschen undmachst, dass du rauskommst.

«Und daraus lernen wir Folgendes: Wenn man sichdie Haare mit Wachs für Bikini-Mode der brasiliani-schen Art zupfen lassen will, muss man sich unbedingtklar ausdrücken. Man muss ihnen sagen, dass sie eineLandebahn lassen sollen, denn sonst ist man haarloswie eine Zehnjährige!» Darcy ist mit ihrer unanständi-gen Geschichte fertig, und alle lachen. Nur Dex nicht –der schüttelt den Kopf, als wolle er sagen: «Was habich doch für eine unglaubliche Verlobte.»

«Okay. Ich bin gleich wieder da», sagt Darcy plötz-lich. «Tequila für alle.»

Als sie sich von der Gruppe entfernt und zur Bargeht, denke ich an all die Geburtstage, die wir zusam-men gefeiert haben, an die Wegmarken, die wir zusam-men erreicht haben, Wegmarken, die ich immer alsErste erreicht habe. Ich hatte vor ihr meinen Führer-schein, ich durfte vor ihr Alkohol trinken. Älter zusein – wenn auch nur ein paar Monate –, war bislangimmer gut. Aber jetzt hat das Blatt sich gewendet. Dar-cy hat noch einen Extrasommer in ihren Zwanzigern –ein Vorteil, wenn man im Herbst geboren ist. Nicht,dass es für sie so wichtig wäre. Für Verlobte oder Ver-heiratete ist Dreißigwerden einfach etwas anderes.

Darcy lehnt sich jetzt über die Bar und flirtet mitdem Möchtegern-Schauspieler/Bartender, einem Twen-

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tysomething, auf den sie «total abfahren» würde, wennsie solo wäre; das hat sie mir schon erzählt. Als obDarcy je solo wäre. Auf der High School hat sie malgesagt: «Ich mache nicht Schluss, ich wechsle nur aus.»Da hat sie Wort gehalten, und sie war immer diejenige,die das Auswechseln übernommen hat. In unserenTeenagerjahren, auf dem College und die ganze Zeit inden Zwanzigern war sie immer mit jemandem zusam-men. Und oft hat sie mehr als einen Typen, der ihr nach-läuft und sich Hoffnungen macht.

Mir kommt der Gedanke, dass ich was mit dem Bar-tender anfangen könnte. Ich bin völlig ungebunden –habe seit zwei Monaten nicht mal mehr ein Date ge-habt. Aber irgendwie ist es nicht das, was man mitdreißig machen sollte. One-Night-Stands sind was fürMädels in den Zwanzigern. Nicht, dass ich da persön-liche Erfahrungen vorweisen könnte. Ich bin ordent-lich und wohlerzogen meinen Weg gegangen, ohne ir-gendwelche Abweichungen vom ursprünglichen Plan.Ich habe erstklassige High-School-Zeugnisse bekom-men, bin aufs College gegangen, habe meinen Ab-schluss mit Auszeichnung gemacht, bin ohne weitereszum Studium zugelassen worden und gleich nach demJura-Examen in einer großen Anwaltsfirma unterge-kommen. Nicht mit dem Rucksack durch Europa, kei-ne verrückten Geschichten, keine ungesunden, lustvol-len Beziehungen. Keine Geheimnisse. Keine Intrigen.Und jetzt ist es anscheinend zu spät für all das. Weildieser Kram mich nur weiter davon abhalten würde,einen Ehemann zu finden, mich niederzulassen, Kinderzu kriegen und ein glückliches Heim mit Rasen, Gara-ge und einem Toaster, der vier Scheiben auf einmaltoasten kann.

Und deshalb denke ich unruhig an meine Zukunft

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und ein bisschen reumütig an meine Vergangenheit. Ichsage mir, dass ich morgen auch noch Zeit zum Nach-denken habe. Jetzt will ich mich vergnügen. Für einendisziplinierten Menschen ist so was eine einfache Ent-scheidung. Und ich bin überaus diszipliniert – ich warein Kind, das freitagnachmittags gleich nach der Schu-le seine Hausaufgaben gemacht hat, und bin eine Frau(denn von morgen an bin ich in keinerlei Hinsichtmehr ein Mädel), die sich jeden Abend mit Zahnseidedie Zähne pflegt und jeden Morgen ihr Bett macht.

Darcy kommt mit dem Tequila zurück, aber Dexwill seinen nicht haben, und deshalb besteht Darcydarauf, dass ich zwei trinke. Ehe ich mich versehe,kriegt der Abend etwas Verschwommenes – wie wennman von «beschwipst» zu «betrunken» hinüberwech-selt und den Überblick über die Zeit und den genauenAblauf eines Abends verliert. Darcy hat diesen Punktanscheinend schon erreicht, denn jetzt tanzt sie auf derBar. Dreht und windet sich in einem kleinen roten Trä-gerkleidchen und auf dreizölligen Absätzen.

«Die stiehlt dir die Show auf deiner eigenen Party»,tuschelt Hillary, meine beste Freundin in der Firma.«Sie ist schamlos.»

Ich muss lachen. «Ja. Aber das ist normal.»Darcy stößt einen spitzen Schrei aus, verschränkt die

Hände über dem Kopf und wirft mir einen Komm-her-Blick zu, der jedem Mann gefallen würde, der je vonGirl-on-Girl-Action geträumt hat. «Rachel! Rachel!Komm her!»

Natürlich weiß sie, dass ich nicht kommen werde.Ich hab noch nie auf einem Tresen getanzt. Ich wüss-te gar nicht, was ich da oben machen sollte – außerrunterfallen. Ich schüttle den Kopf und lehne höflichlächelnd ab. Wir alle warten auf ihre nächste Aktion,

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die darin besteht, dass sie ihre Hüften im Takt der Mu-sik schwenkt, sich langsam vorbeugt und dann denOberkörper wieder hochschnellen lässt, sodass ihrelangen Haare in alle Himmelsrichtungen fliegen. Dasgeschmeidige Manöver erinnert mich an ihre perfek-te Imitation von Tawny Kitaen in dem Whitesnake-Video zu «Here I Go Again» – wie sie auf der Motor-haube des BMWs ihres Vaters herumrollte und Spagatmachte, zum Entzücken der pubertierenden Nachbars-jungen. Ich werfe einen Blick zu Dex hinüber. Er weißin solchen Augenblicken nie, ob er amüsiert oder ver-ärgert sein soll. Zu behaupten, der Mann habe Ge-duld, wäre untertrieben. Das haben Dex und ich ge-meinsam.

«Happy Birthday, Rachel!», schreit Darcy herüber.«Trinken wir alle auf Rachel!»

Was alle tun. Ohne den Blick von ihr zu wenden.Im nächsten Augenblick fegt Dex sie von der Bar,

wirft sie sich über die Schulter und bringt sie in einereinzigen fließenden Bewegung vor mir zu Boden. Of-fenbar tut er das nicht zum ersten Mal. «Okay», ver-kündet er, «ich bringe unsere kleine Partyplanerin nachHause.»

Darcy grapscht ihr Glas von der Theke und stampftmit dem Fuß auf. «Du bist nicht mein Boss, Dex! Oder,Rachel?»

Während sie ihre Unabhängigkeit erklärt, stolpertsie und lässt ihren Martini auf Dex’ Schuhe schwap-pen.

Dex zieht eine Grimasse. «Du bist hinüber, Darcy.Das findet niemand mehr lustig außer dir.»

«Okay, okay. Ich gehe … Mir ist sowieso irgendwieschlecht», sagt sie und macht ein kränkelndes Gesicht.

«Wird’s noch gehen?»

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«Ich schaff’s schon. Mach dir keine Sorgen», sagt sieund spielt jetzt die Rolle des tapferen kranken kleinenMädchens.

Ich bedanke mich bei ihr für die Party, sage, es seieine totale Überraschung gewesen – was gelogen ist,weil ich wusste, dass Darcy aus meinem GeburtstagKapital schlagen würde, indem sie sich ein neues Outfitkauft, eine Riesensause veranstaltet und genauso vieleeigene Freunde wie meine einlädt. Trotzdem war es nettvon ihr, die Party zu organisieren – und ich bin froh,dass sie es getan hat. Sie ist eine Freundin, die einem beiallem das Gefühl gibt, dass es was Besonderes ist. Sieumarmt mich fest und sagt, sie würde alles für michtun, und was würde sie nur ohne mich anfangen, ihreTrauzeugin, die Schwester, die sie nie hatte. Sieschwallt, wie immer, wenn sie zu viel getrunken hat.

Dex schneidet ihr das Wort ab. «Happy Birthday,Rachel. Wir unterhalten uns morgen.» Er gibt mireinen Kuss auf die Wange.

«Danke, Dex», sage ich. «Gute Nacht.»Ich sehe zu, wie er sie nach draußen führt. Er hält sie

sacht am Arm, nachdem sie am Randstein beinahe ge-fallen wäre. Oh, wenn man so einen Aufpasser hätte,denke ich. Hemmungslos trinken können und wissen,dass es jemanden gibt, der dich wohlbehalten nachHause bringt.

Kurz darauf erscheint Dex wieder in der Bar. «Dar-cy hat ihre Tasche verloren. Sie glaubt, sie hat sie hierliegen lassen. Sie ist klein und silbern», sagt er. «Hastdu sie gesehen?»

«Sie hat ihre neue Chanel-Tasche verloren?» Ichschüttle den Kopf und muss lachen, denn es ist typischDarcy, Sachen zu verlieren. Meistens habe ich ein Augedarauf, aber an meinem Geburtstag habe ich dienst-

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frei. Trotzdem helfe ich Dex beim Suchen und finde dieTasche schließlich unter einem Barhocker.

Als er gehen will, überredet ihn sein Freund Marcus,einer seiner Trauzeugen, noch ein bisschen zu bleiben.«Komm schon, Mann. Einer geht noch.»

Dex ruft Darcy an, und sie gibt lallend ihre Zustim-mung und sagt, er soll sich ohne sie amüsieren. Ob-wohl sie wahrscheinlich nicht glaubt, dass so etwasmöglich ist.

Nach und nach machen sich meine Freunde miteinem letzten Glückwunsch auf den Heimweg. Dexund ich überdauern sie alle, sogar Marcus. Wir sitzenan der Bar und machen Konversation mit dem Barten-der/Schauspieler; er hat ein «Amy»-Tattoo und nullInteresse an einer alternden Anwältin. Es ist schonnach zwei, als wir finden, dass es Zeit zum Gehen ist.Die Nacht draußen ist eher mittsommerlich als früh-lingshaft, und die warme Luft gibt mir plötzlich neueHoffnung: Dies ist der Sommer, in dem ich den Mannmeines Herzens kennen lerne.

Dex winkt mir ein Taxi heran, aber als es anhält,sagt er: «Wie wär’s mit ’ner anderen Bar? Noch einenDrink?»

«Okay», sage ich. «Warum nicht?»Wir steigen beide ein, und er sagt dem Fahrer, er soll

schon mal losfahren; er muss noch überlegen, wohin.Wir landen in Alphabet City in einer Bar in der Nähedes Tompkins Square Park, Ecke 7th und Avenue B. Sieträgt den passenden Namen «7B».

Ein Szeneladen ist es nicht – das «7B» ist schmudde-lig und verraucht. Mir gefällt es trotzdem – es siehtnicht gelackt aus, und es ist keine Bruchbude, die coolsein will, weil sie nicht gelackt aussieht. Dex deutet aufein Séparée. «Nimm schon mal Platz. Ich komme

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gleich.» Dann dreht er sich um. «Was kann ich dirbringen?»

Ich sage ihm, dass ich trinke, was er trinkt, und dannsetzte ich mich in die Nische und warte. Er sagt etwaszu einem Mädchen an der Bar. Sie trägt eine armeegrü-ne Cargo-Hose und ein Tanktop mit der Aufschrift«Fallen Angel». Sie lächelt und schüttelt den Kopf. ImHintergrund läuft Omaha, ein Song, der irgendwiemelancholisch und fröhlich zugleich klingt.

Einen Augenblick später rutscht Dex mir gegenüberauf die Bank und schiebt mir ein Bier herüber. «New-castle», sagt er. Dann lächelt er und kriegt kleine Fält-chen um die Augen. «Magst du?»

Ich nicke und lächle.Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Fallen Angel

sich auf dem Barhocker umdreht und Dex taxiert, sei-ne gemeißelten Züge, das wellige Haar, die vollen Lip-pen. Darcy hat sich mal darüber beklagt, dass Dexmehr Blicke auf sich zieht und Leute stutzen lässt alssie. Aber anders als sein weibliches Gegenstück scheintDex diese Aufmerksamkeit nicht zu bemerken. FallenAngel richtet ihren Blick jetzt auf mich und fragt sichwahrscheinlich, was Dex mit einer so durchschnittli-chen Person anfangen kann. Hoffentlich hält sie unsfür ein Paar. Heute Nacht braucht niemand zu wissen,dass ich bloß zu den Hochzeitsgästen gehöre.

Dex und ich reden über unsere Jobs und unseren ge-meinsamen Urlaub in den Hamptons, der in einer Wo-che anfängt, und über eine Menge andere Sachen. AberDarcy wird nicht erwähnt und die für September ge-plante Hochzeit auch nicht.

Als wir unser Bier ausgetrunken haben, gehen wirzur Jukebox, stopfen sie mit Dollars voll und suchennach guten Stücken. Ich drücke zweimal Thunder

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Road, weil das mein Lieblingssong ist, wie ich ihmsage.

«Yeah. Springsteen ist auch für mich die Nummereins. Hast du ihn schon mal live gesehen?»

«Ja», sage ich. «Zweimal. Born in the USA und Tun-nel of Love.»

Fast hätte ich ihm erzählt, dass ich mit Darcy wäh-rend der High-School-Zeit da war – habe sie mitge-schleift, obwohl sie viel mehr auf Gruppen wie Poisonund Bon Jovi stand. Aber ich halte den Mund. Dennsonst wird er sich daran erinnern, dass er zu ihr nachHause gehen sollte, und ich will in den letzten schwin-denden Augenblicken meines Daseins als Twentysome-thing nicht allein sein. Natürlich wäre ich lieber miteinem Geliebten hier, aber Dex ist besser als nichts.

Im «7B» werden die letzten Bestellungen angenom-men. Wir holen uns noch zwei Bier und gehen zurückin unsere Nische. Etwas später sitzen wir wieder imTaxi und fahren auf der First Avenue nordwärts. Dexsagt dem Fahrer, dass er zweimal halten muss, weil wiran gegenüberliegenden Seiten des Central Park woh-nen. Er hält Darcys Tasche fest, und sie sieht in seinengroßen Händen klein und deplatziert aus. Ich werfeeinen Blick auf das silberne Zifferblatt seiner Rolex.Ein Geschenk von Darcy. Es ist kurz vor vier.

Zehn oder fünfzehn Blocks weit sitzen wir schwei-gend nebeneinander, und jeder schaut aus seinem Fens-ter – bis das Taxi durch ein Schlagloch oder über eineDelle fährt, sodass ich in die Mitte des Rücksitzesgeschleudert werde. Mein Bein berührt seins. Undplötzlich, aus heiterem Himmel, küsst Dex mich. Odervielleicht küsse ich ihn. Irgendwie küssen wir uns je-denfalls. Ich denke an nichts mehr und lausche densanften Geräuschen unserer Lippen, die sich immer

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wieder berühren. Irgendwann klopft Dex an die Plexi-glastrennwand und sagt dem Fahrer zwischen zweiKüssen, dass er doch nur einmal zu halten braucht.

Wir halten Ecke 3rd und 73rd, wo mein Apartmentist. Dex gibt dem Fahrer einen Zwanziger und wartetnicht auf das Wechselgeld. Wir stolpern aus dem Taxiund küssen uns auf dem Gehweg und dann vor José,meinem Portier. Wir küssen uns während der ganzenAufzugfahrt. Ich stehe an die Aufzugwand gepresst,und meine Hände umfassen seinen Hinterkopf. Ich binüberrascht, wie weich sein Haar ist.

Ich fummle mit dem Schlüssel und drehe ihn falschherum im Schloss, während Dex die Arme um meineTaille schlingt und mit den Lippen meinen Hals undmeine Wange berührt. Endlich kriege ich die Tür auf,und wir küssen uns mitten in meinem Ein-Zimmer-Apartment, aufrecht stehend und aneinander gelehnt.Wir stolpern hinüber zu meinem stramm gemachtenBett.

«Bist du betrunken?» Seine Stimme ist ein Flüsternim Dunkeln.

«Nein», sage ich. Denn man sagt immer Nein, wennman betrunken ist. Und obwohl ich es bin, habe icheinen klaren Augenblick, in dem ich mir überlege, wasmir in meinen Zwanzigern gefehlt hat und was ich mirfür die Dreißiger wünsche. Mir wird klar, dass ich indieser bedeutungsvollen Geburtstagsnacht in gewissemSinne beides haben kann. Dex kann mein Geheimnissein, meine letzte Chance, ein dunkles Kapitel alsTwentysomething zu erleben, und er kann auch eineArt Vorspiel sein – die Verheißung, dass einer wie erkommen wird. Darcy kommt mir in den Sinn, aber siewird zurückgedrängt und überwältigt von einerMacht, die stärker ist als unsere Freundschaft und

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mein Gewissen. Dex schiebt sich auf mich. MeineAugen sind zu, dann offen, dann wieder zu.

Und dann schlafe ich plötzlich mit dem Verlobtenmeiner besten Freundin.

2ZWEI Ich wache auf, weil dasTelefon klingelt, und eine Sekunde lang weiß ich inmeiner eigenen Wohnung nicht, wo ich bin. Dann höreich Darcys hohe Stimme auf meinem Anrufbeantwor-ter, und sie drängt mich: Nimm ab, nimm ab, bittenimm ab. Jäh steht mir unser Verbrechen vor Augen.Ich fahre zu hastig hoch, und mein Apartment drehtsich. Dex hat mir den muskulösen, sparsam mit Som-mersprossen gesprenkelten Rücken zugewandt. Ichstoße ihn hart mit dem Finger an.

Er dreht sich um und schaut mich mit einem offenenAuge an. «O Gott! Wie spät ist es?»

Mein Radiowecker sagt uns, dass es viertel nach sie-ben ist. Ich bin seit zwei Stunden dreißig. Ich korrigie-re: seit einer Stunde. Ich bin in einer anderen Zeitzonegeboren.

Dex springt auf und rafft seine Sachen zusammen,die zu beiden Seiten meines Bettes verstreut liegen. DerAnrufbeantworter piept zweimal und hängt Darcy ab.Sie ruft wieder an und erzählt drauflos, dass Dex nichtnach Hause gekommen ist. Wieder schneidet die Ma-schine ihr mitten im Satz das Wort ab. Sie ruft ein drit-tes Mal an und heult: «Wach auf und ruf mich an! Ichbrauche dich!»

Ich will aufstehen und merke, dass ich nackt bin. Ich

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setze mich wieder hin und bedecke mich mit einem Kis-sen.

«Ogottogott! Was machen wir jetzt?» Meine Stim-me ist heiser und zittrig. «Soll ich rangehen? Ihr sagen,dass du hier gepennt hast?»

«Nein, verflucht! Geh nicht ran – lass mich einenAugenblick nachdenken.» Er setzt sich in Boxershortsauf die Bettkante und reibt sich das Kinn, das jetzteinen Bartschatten hat.

Ernüchterndes, Übelkeit erregendes Entsetzen über-kommt mich. Ich fange an zu weinen. Was nie hilft.

«Komm … Rachel … nicht weinen», sagt Dex. «Daskriegen wir hin.»

Er zieht seine Jeans an und dann sein Hemd. Routi-niert stopft er es in die Hose, schließt Reißverschlussund Knöpfe, als wäre dies ein ganz gewöhnlicher Mor-gen. Dann wirft er einen Blick auf sein Handy. «Schei-ße. Zwölf Anrufe», stellt er sachlich fest. Nur seinenAugen sieht man die Verzweiflung an.

Als er angezogen ist, setzt er sich wieder auf die Bett-kante und stützt die Stirn auf die Hände. Ich höre, wieer schwer durch die Nase atmet. Ein und aus. Ein undaus. Dann schaut er zu mir herüber, ganz gefasst.«Okay. Folgendes wird passieren. Rachel, sieh michan.»

Ich gehorche und halte immer noch mein Kissenumklammert.

«Es wird alles gut gehen. Hör einfach zu», sagt er,als rede er in einem Konferenzzimmer mit einemKlienten.

«Ich höre ja zu», sage ich.«Ich werde ihr sagen, dass ich bis gegen fünf Uhr

unterwegs war und dann mit Marcus gefrühstückthab. Damit ist alles abgedeckt.»

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«Und was soll ich ihr sagen?» Lügen war nie meineStärke.

«Sag ihr, du bist irgendwann nach Hause gegan-gen … Sag ihr, du weißt nicht mehr genau, ob ich nochda war, als du gingst, aber du glaubst, ich wäre nochmit Marcus dort gewesen. Sag ausdrücklich ‹duglaubst› – sei nicht allzu entschieden. Und mehr weißtdu nicht, okay?» Er zeigt auf mein Telefon. «Jetzt rufsie zurück … Ich rufe Marcus an, sobald ich gegangenbin. Verstanden?»

Ich nicke, und meine Augen füllen sich wieder mitTränen, als er aufsteht.

«Und beruhige dich», sagt er – nicht böse, aber fest.Dann ist er an der Tür; die eine Hand liegt auf demTürknopf, und mit der andern fährt er sich durch dasdunkle Haar, das gerade lang genug ist, um wirklichsexy zu sein.

«Und wenn sie schon mit Marcus geredet hat?», fra-ge ich, als Dex halb draußen ist. Dann sage ich, mehrzu mir selbst: «Wir sind im Arsch.»

Er dreht sich um und sieht mich von der anderenSeite der Türschwelle aus an. Einen Moment lang glau-be ich, er ist wütend und wird mir jetzt sagen, ich sollmich zusammenreißen, und es geht hier nicht um Le-ben und Tod. Aber sein Ton ist sanft. «Rachel, wir sindnicht im Arsch. Ich habe alles im Griff. Erzähl ihr, wasich dir gesagt hab. Und … Rachel?»

«Ja?»«Es tut mir wirklich Leid.»«Ja», sage ich. «Mir auch.»Reden wir miteinander – oder mit Darcy?Sowie Dex gegangen ist, greife ich zum Telefon. Mir

ist immer noch schwindlig. Ich brauche eine Weile, aberschließlich bringe ich den Mut auf, Darcy anzurufen.

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Sie ist immer noch hysterisch. «Das Schwein ist letz-te Nacht nicht nach Hause gekommen! Ich hoffe bloß,er liegt im Krankenhaus! … Glaubst du, er hat michbetrogen?»

Nein, will ich sagen, er war wahrscheinlich bloß mitMarcus unterwegs, aber dann überlege ich es mir an-ders. Wäre das nicht zu offensichtlich? Würde ich soetwas sagen, wenn ich nichts wüsste? Ich kann nichtdenken. Mein Herz hämmert, mein Kopf dröhnt, unddas Zimmer dreht sich ab und zu immer noch. «Ich binsicher, er hat dich nicht betrogen.»

Sie putzt sich die Nase. «Warum bist du sicher?»«Weil er das nicht tun würde, Darce.» Ich kann

nicht fassen, wie leicht mir diese Worte über die Lip-pen kommen.

«Aber wo steckt er dann, verdammt? Die Barsschließen um vier oder um fünf! Und jetzt ist es halbacht!»

«Ich weiß es nicht … Aber ich bin sicher, es gibt einelogische Erklärung.»

Es gibt eine.Sie will wissen, wann ich gegangen bin und ob er da

noch dort war und mit wem zusammen – genau dieFragen, auf die Dex mich vorbereitet hat. Ich beant-worte sie sorgfältig, wie er es mir gesagt hat, und schla-ge vor, sie soll Marcus anrufen.

«Das hab ich schon getan», sagt sie. «Und der Blöd-mann geht nicht an sein Handy.»

Ja! Wir haben eine Chance.Ich höre das Anklopfsignal, und Darcy ist weg und

dann wieder da und sagt mir, dass es Dex sei und dasssie mich zurückruft, sobald sie kann.

Ich stehe auf und gehe auf wackligen Beinen ins Bad.Ich schaue in den Spiegel. Meine Haut ist rot und fle-

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ckig. Meine Augen sind mit Wimperntusche und Eye-liner verschmiert, und sie brennen, weil ich mit Kon-taktlinsen geschlafen habe. Ich nehme sie rasch heraus,bevor ich würgend über der Toilette hänge. Seit demCollege habe ich mich nicht mehr wegen Trinkensübergeben müssen – und auch da ist es nur einmal vor-gekommen. Denn ich lerne aus meinen Fehlern. Diemeisten College-Kids sagen: «Das mache ich nie wie-der», und dann tun sie es am nächsten Wochenendeabermals. Aber ich habe mich an meine Vorsätze ge-halten. So bin ich. Aus dieser Sache werde ich auch ler-nen, sage ich mir. Lass mich nur damit durchkommen.

Ich dusche und wasche mir den Qualm aus den Haa-ren und von der Haut. Mein Telefon liegt auf demWaschbeckenrand, und ich warte darauf, dass Darcyanruft und sagt, es ist alles okay. Aber Stunden verge-hen, und sie ruft nicht an. Gegen Mittag rufen die ers-ten Gratulanten an. Meine Eltern führen ihre alljähr-liche Serenade auf, und auch das unvermeidliche «Ratemal, was heute vor dreißig Jahren war?» fehlt nicht.Ich mache gute Miene und spiele mit, aber leicht ist esnicht.

Um drei habe ich immer noch nichts von Darcy ge-hört, und mir ist weiterhin flau im Magen. Ich stürzeein großes Glas Wasser hinunter, schlucke zwei As-pirin und überlege, ob ich mir Spiegeleier mit Speckkommen lassen soll; Darcy schwört darauf, wenn sieeinen Kater hat. Aber ich weiß, dass nichts denSchmerz des Wartens und des Rätselratens stillenwird: Was ist los? Ist Dex aufgeflogen? Sind wir esbeide?

Hat uns jemand zusammen im «7B» gesehen? Aufder Straße? Im Taxi? Irgendjemand außer José – des-sen Job es ist, von nichts zu wissen? Was geht jetzt in

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ihrem Apartment an der Upper West Side vor? Ist erdurchgedreht und hat alles gestanden? Hat sie ihre Sa-chen gepackt? Liegen sie den ganzen Tag im Bett undversuchen, sein Gewissen zu reparieren? Streiten siesich immer noch in einem endlosen Kreislauf von Vor-würfen und Leugnungen?

Die Angst scheint alle anderen Empfindungen zuüberlagern und Scham oder Reue zu ersticken, dennverrückterweise habe ich kein schlechtes Gewissen,weil ich meine beste Freundin betrogen habe. Nichtmal, als ich unser benutztes Kondom auf dem Bodenfinde. Die einzigen Gewissensbisse, die ich aufbringenkann, beziehen sich auf meine fehlenden Gewissensbis-se. Aber ich werde später bereuen – sobald ich weiß,dass ich in Sicherheit bin. Oh, bitte, lieber Gott. Ichhab so was noch nie getan. Bitte lass es mir ein einzi-ges Mal durchgehen. Ich opfere all mein zukünftigesGlück. Jede Chance, einen Ehemann zu finden.

Ich denke an all die Deals, die ich dem Allmächtigenvorgeschlagen habe, als ich noch zur Schule ging. Bittelass mich im Mathetest keine schlechtere Note als eineZwei kriegen, bitte – ich mach alles dafür. Ich arbeiteauch jeden Samstag in der Suppenküche, nicht bloßeinmal im Monat. Das waren noch Zeiten, als ich mirnoch vorstellen konnte, dass eine Drei in Mathe dasSchlimmste sei, was in meiner ordentlichen Welt schiefgehen kann. Wie hatte ich mir jemals – und sei es auchnur flüchtig – eine dunkle Seite in mir wünschen kön-nen? Wie konnte ich einen so gewaltigen, womöglichlebensverändernden, absolut unverzeihlichen Fehlerbegehen?

Schließlich halte ich es nicht länger aus. Ich rufeDarcys Handy an, aber sofort schaltet sich die Voice-mail ein. Ich rufe ihre Festnetznummer an und hoffe,

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dass sie rangeht. Stattdessen meldet sich nach dreima-ligem Klingeln Dex. Ich ziehe den Kopf ein.

«Hi, Dex. Rachel hier.» Ich versuche normal zu klin-gen.

Du erinnerst dich – die Ehrenjungfer deiner bevor-stehenden Hochzeit? Das Mädel, mit dem du letzteNacht geschlafen hast?

«Hi, Rachel», sagt er gelassen. «Und – hat’s dir ge-fallen gestern Abend?»

Eine Sekunde lang denke ich, er redet von uns, undich bin entsetzt über so viel Nonchalance. Aber dannhöre ich Darcy, die im Hintergrund lautstark nach demTelefonhörer verlangt, und mir ist klar, dass er nur vonder Party spricht.

«O ja, es war super. Eine erstklassige Party.» Ich bei-ße mir auf die Lippe.

Darcy hat ihm den Hörer schon aus der Hand geris-sen. Sie klingt fröhlich, ist offenbar ganz wiederherge-stellt. «Hey. Tut mir Leid, dass ich vergessen hab, dichanzurufen. War ’ne Zeit lang höchst dramatisch hier,weißt du?»

«Aber jetzt geht’s dir besser? Alles okay mit dir –und Dex?» Ich habe Mühe, seinen Namen auszuspre-chen. Als ob ich mich damit irgendwie verraten würde.

«Äh, ja … Moment.»Ich höre, wie sie eine Tür zumacht. Sie geht immer

in ihr Schlafzimmer, wenn sie telefoniert. Ich sehe ihrVierpfostenbett vor mir; ich habe ihr geholfen, es beiCharles P. Rogers auszusuchen. Bald ist es ihr Ehebett.

«O ja, jetzt geht’s mir wieder gut. Er war bloß mitMarcus zusammen. Sie waren lange auf der Piste, undam Ende haben sie irgendwo gefrühstückt. Aber na-türlich ziehe ich weiter die Wutnummer ab. Ich habihm gesagt, er benimmt sich absolut lächerlich. Ein

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vierunddreißigjähriger, verlobter Mann – und bleibtdie ganze Nacht weg. Lächerlich, findest du nichtauch?»

«Ja, wahrscheinlich. Aber auch ziemlich harmlos.»Ich schlucke schwer und denke, ja, das wäre ziemlichharmlos. «Na, ich bin froh, dass ihr euch wieder ver-tragen habt.»

«Ja. Ich schätze, ich bin drüber weg. Aber trotz-dem … er hätte anrufen sollen. So was finde ich be-schissen, weißt du?»

«Das glaub ich», sage ich und füge dann tapfer hin-zu: «Ich hab dir doch gesagt, er betrügt dich nicht.»

«Ich weiß … aber im Geiste hab ich ihn trotzdemimmer mit irgendeiner Strippertusse aus dem ‹Scores›gesehen. Meine hyperaktive Phantasie.»

War es das, was letzte Nacht passiert ist? Ich weiß,dass ich keine Tusse bin, aber war es ein bewussterEntschluss von ihm, sich vor der Hochzeit nochmalvögeln zu lassen? Bestimmt nicht. Sicher würde er sichdafür nicht Darcys Ehrenjungfer aussuchen.

«Und wie fandest du die Party? Ich bin so eineschlechte Freundin – sauf mich zu und geh früh nachHause. Und – Scheiße! Heute ist ja dein eigentlicherGeburtstag! Herzlichen Glückwunsch! Gott, ich binwirklich grässlich, Rach!»

Ja, genau, du bist eine schlechte Freundin.«Oh, es war prima. Die Party hat solchen Spaß ge-

macht. Danke, dass du das alles organisiert hast – eswar eine totale Überraschung … wirklich irre …»

Ich höre, wie ihre Schlafzimmertür aufgeht und Dexetwas von Zuspätkommen sagt.

«Ja, ich muss wirklich los, Rachel. Wir gehen insKino. Willst du mitkommen?»

«Äh, nein danke.»

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«Okay. Aber es bleibt beim Essen heute Abend? Umacht im ‹Rain›?»

Ich habe völlig vergessen, dass ich vorgehabt hatte,mich mit Dex, Darcy und Hillary zu einem kleinenGeburtstagsessen zu treffen. Aber ich kann Dex oderDarcy heute unter gar keinen Umständen unter dieAugen kommen – und schon gar nicht beiden zusam-men. Also sage ich ihr, ich bin nicht sicher, dass mirdanach ist, weil ich einen Kater habe. Obwohl ichschon um zwei Uhr zu trinken aufgehört habe, füge ichhinzu, ehe mir einfällt, dass Lügner immer zu viele un-wesentliche Details erwähnen.

Darcy merkt das nicht. «Vielleicht geht’s dir nach-her besser … Ich rufe dich nach dem Kino an.»

Ich lege auf und denke, dass es viel zu einfach war.Aber anstelle von Erleichterung empfinde ich eine vageUnzufriedenheit und Sehnsucht, und ich wünschte, ichkönnte doch ins Kino gehen. Nicht mit Dex natürlich.Mit irgendjemandem. Wie schnell ich meinen Deal mitGott vergessen habe. Ich will doch wieder einen Ehe-mann. Oder wenigstens einen Freund.

Ich sitze auf der Couch und falte die Hände imSchoß; ich bedenke, was ich Darcy angetan habe, undwarte darauf, dass mein schlechtes Gewissen sich mel-det. Es schweigt. Vielleicht, weil ich den Alkohol alsEntschuldigung habe? Ich war betrunken – nicht beiSinnen. Ich denke an mein erstes Jahr Strafrecht.Trunkenheit ist eine rechtmäßige Begründung derSchuldunfähigkeit und wie Geisteskrankheit, Minder-jährigkeit, Nötigung oder Freiheitsberaubung ein Ver-teidigungsgrund, der den Angeklagten als nicht schul-dig eines Verhaltens erachtet, welches unter anderenUmständen als Straftat gelten müsste. Scheiße. Dasgalt nur für unfreiwillige Trunkenheit. Na ja, Darcy

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hat mich gezwungen, den Tequila zu trinken, glaubeich. Aber ich weiß, dass Gruppendruck nicht alsZwang im juristischen Sinne gilt. Immerhin ist es einmildernder Umstand, den die Geschworenen in Be-tracht ziehen können.

Na klar, gib dem Opfer nur die Schuld. Was ist losmit mir?

Vielleicht bin ich einfach ein schlechter Mensch.Dass ich mir bis jetzt nichts habe zuschulden kommenlassen, hat vielleicht weniger mit meinen moralischenQualitäten zu tun als vielmehr mit der Angst vor demErwischtwerden. Ich halte mich an die Vorschriften,weil ich das Risiko scheue. Bei den Klautouren in derDessousabteilung des örtlichen Kaufhauses, die wäh-rend der High-School-Zeit angesagt waren, bin ichteils deshalb nicht mitgegangen, weil ich wusste, dasses Unrecht war. Hauptsächlich war ich aber einfach si-cher, dass ich diejenige sei, die sie erwischen würden.Aus demselben Grund habe ich nie bei Examen gemo-gelt. Noch heute nehme ich kein Büromaterial aus derFirma mit nach Hause, weil ich annehme, dass dieÜberwachungskameras mich irgendwie dabei filmenkönnten. Und wenn das die Motive sind, die eine Per-son dazu bringen, sich nichts zuschulden kommen zulassen, verdient sie dann Anerkennung? Ist sie wirklichein guter Mensch? Oder bloß ein pessimistischer Feig-ling?

Okay. Vielleicht bin ich also ein schlechter Mensch.Es gibt keine andere plausible Erklärung für meinmangelndes Schuldgefühl. Habe ich Darcy einfach aufdem Kieker? Habe ich mich gestern Nacht von Eifer-sucht treiben lassen? Ärgere ich mich über ihr perfek-tes Leben – darüber, dass ihr alles zufliegt? Oder habeich mich in meinem betrunkenen Zustand einfach un-

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bewusst für vergangenes Unrecht revanchieren wollen?Darcy war nämlich nicht immer eine perfekte Freun-din. Bei weitem nicht. Ich beginne mein Plädoyer andie Geschworenen und erinnere mich an Ethan auf derGrundschule. Das wäre eine Möglichkeit … MeineDamen und Herren Geschworenen, ziehen Sie die Ge-schichte von Ethan Ainsley in Erwägung …

Darcy Rhone und ich waren die besten Freundin-nen, als wir aufwuchsen, miteinander verbundendurch die Geographie, eine Macht, die während derGrundschulzeit stärker ist als alles andere. Im Sommer1976 zogen wir in dieselbe Sackgasse in Naperville,Indiana, gerade rechtzeitig, um gemeinsam an derZweihundert-Jahr-Parade der Stadt teilzunehmen. Wirmarschierten Seite an Seite und schlugen identischerot-weiß-blaue Trommeln, die Darcys Vater uns imK-Mart gekauft hatte. Ich weiß noch, wie Darcy sichzu mir herüberlehnte und sagte: «Lass uns so tun, alsseien wir Schwestern.» Von diesem Vorschlag bekamich Gänsehaut – eine Schwester! Und im Handumdre-hen war sie genau das für mich. Während des Schul-jahrs übernachteten wir jeden Freitag und jeden Sams-tag beieinander und während der Sommerferien fastjede Nacht. Das färbte ab, wir übernahmen Detailsvon Verhaltensweisen, die man nur kennen lernt,wenn man Tür an Tür mit einer Freundin wohnt. Ichwusste zum Beispiel, dass Darcys Mutter die Hand-tücher säuberlich zu Dritteln faltete, während sie TheYoung and the Restless schaute, dass Darcys Vater denPlayboy abonniert hatte, dass Junkfood zum Früh-stück erlaubt war und dass die Wörter «Scheiße» und«verdammt» nicht weiter schlimm waren. Ich bin mirsicher, dass auch sie von meinem Zuhause eine Mengemitbekam, obwohl es schwer zu sagen ist, was das

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eigene Leben so einzigartig macht. Wir teilten alles:Kleider, Spielsachen, die Gärten – sogar die Liebe zuAndy Gibb und zu Einhörnern.

In der fünften Klasse entdeckten wir zusammen dieJungen. Damit komme ich zu Ethan, dem Ersten, inden ich wirklich verknallt war. Darcy liebte – wie jedesandere Mädchen in unserer Klasse – Doug Jackson. Ichverstand, was sie an ihm fanden. Mir gefielen seineblonden Haare, die uns alle an Bo Duke erinnerten.Wie seine Wranglers sich um seinen Hintern schmieg-ten und wie sein schwarzer Kamm säuberlich in derlinken Gesäßtasche steckte. Und seine Dominanz beimTetherball – wie er den Ball lässig und mühelos ineinem spitzen Aufwärtswinkel so in die Höhe schlug,dass der Gegner ihn nicht erreichen konnte.

Aber ich liebte Ethan. Ich liebte sein widerspenstigesHaar und seine Wangen, die in der Pause rosig wur-den, sodass er aussah, als gehöre er in ein Gemälde vonRenoir. Ich liebte die Art, wie er seinen Bleistift Num-mer zwei zwischen den vollen Lippen drehte und dichtunter dem Radiergummi symmetrische kleine Zahn-spuren hineinbiss, wenn er sich wirklich sehr konzen-trierte. Ich liebte seine aufgekratzte Fröhlichkeit, wenner mit den Mädchen Ball spielte (er war der einzigeJunge, der je mit uns spielte – die anderen Jungen blie-ben bei Tetherball und Fußball). Und ich liebte dieFreundlichkeit, mit der er den unbeliebtesten Jungen inunserer Klasse behandelte – Johnnie Redmond, derschrecklich stotterte und einen unglückseligen Koch-topfhaarschnitt hatte.

Darcy war verblüfft, wenn nicht gar verärgert übermeine Abweichung, ebenso wie unsere gute FreundinAnnalise Giles, die zwei Jahre nach uns in die Sackgas-se zog (diese Verspätung und die Tatsache, dass sie

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schon eine Schwester hatte, bedeuteten, dass sie nie-mals ganz mit uns gleichziehen und den vollen Statusals beste Freundin erlangen konnte). Darcy und Anna-lise fanden Ethan nett, aber nicht so nett, und sie be-standen darauf, dass Doug so viel süßer und cooler sei– zwei Attribute, die dir nur Ärger einbringen, wenndu dir einen Jungen oder einen Mann aussuchst, dashabe ich schon mit zehn gespürt.

Wir alle nahmen an, dass Darcy den Großen Doug-Preis gewinnen würde. Nicht nur, weil Darcy dreisterwar als die anderen Mädchen und in der Cafeteria oderauf dem Schulhof geradewegs auf Doug losmarschier-te, sondern auch, weil sie das hübscheste Mädchen inunserer Klasse war. Mit ihren hohen Wangenknochen,den großen, gerade weit genug auseinander liegendenAugen und dem zierlichen Näschen hat sie ein Gesicht,das in jedem Alter anbetungswürdig ist, auch wennFünftklässler noch nicht sagen können, wieso eshübsch aussieht. Ich glaube, mit zehn wusste ich nochgar nicht, was Wangenknochen und Knochenstrukturüberhaupt sind, aber dass Darcy hübsch war, war mirklar, und ich beneidete sie um ihr Aussehen. Genau wieAnnalise, die es Darcy auch noch bei jeder Gelegenheitsagte, was ich für vollkommen überflüssig hielt. Darcywusste schon selber, dass sie hübsch war, und meinerMeinung nach brauchte sie in diesem Wissen nicht täg-lich bestätigt zu werden.

In jenem Jahr versammelten Annalise, Darcy und ichuns zu Halloween in Annalises Zimmer, um unserenAuftritt in selbst gemachten Zigeunerinnenkostümenvorzubereiten – Darcy hatte darauf bestanden, dass sieein tadelloser Vorwand für ein exzessives Make-upseien. Während sie in den Spiegel schaute und ein PaarOhrringe mit unechten Steinen begutachtete, die sie

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soeben bei Claire’s gekauft hatte, sagte sie: «Weißt du,Rachel, ich glaube, du hast Recht.»

«Recht womit?» Genugtuung durchströmte mich,auch wenn ich nicht wusste, auf welche vergangeneDebatte sie sich bezog.

Sie befestigte einen Ohrring und sah mich an. Ichwerde dieses winzige Zwinkern nie vergessen – die lei-seste Andeutung eines selbstgefälligen Lächelns. «Duhast Recht mit Ethan. Ich glaube, er wird auch mir ge-fallen.»

«Was soll das heißen, er ‹wird› dir gefallen?»«Ich hab genug von Doug Jackson. Jetzt mag ich

Ethan. Ich mag seine Grübchen.»«Er hat bloß eins», fauchte ich.«Na gut, dann mag ich eben sein eines Grübchen.»Hilfe suchend schaute ich Annalise an und hoffte, sie

werde das Argument äußern, dass man nicht einfachbeschließen könne, von jetzt an jemand anderen zumögen. Aber natürlich sagte sie gar nichts, sondernverteilte vor dem Handspiegel ihren rubinroten Lip-penstift auf die geschürzten Lippen.

«Das glaub ich nicht, Darcy!»«Was ist los mit dir?», fragte sie. «Annalise war auch

nicht sauer, weil ich Doug toll fand. Wir haben ihnmonatelang mit der ganzen Klasse geteilt. Stimmt’s,Annalise?»

«Länger. Ich hab im Sommer angefangen, ihn toll zufinden. Weißt du noch? Im Schwimmbad?» Annalisewar der größere Zusammenhang offensichtlich wiedereinmal entgangen.

Ich funkelte sie an, und sie schlug reumütig dieAugen nieder.

Denn bei Doug lag die Sache anders. Doug war All-gemeinbesitz. Aber Ethan gehörte mir allein.

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An diesem Abend sagte ich nichts weiter dazu, aberHalloween war mir gründlich verdorben. Am nächs-ten Tag schickte Darcy in der Schule einen Zettel anEthan und fragte, ob er mich, sie oder keine von unsbeiden liebe, mit einem kleinen Kästchen für jede Mög-lichkeit und der Aufforderung, eins anzukreuzen. Ermuss Darcys Namen angekreuzt haben, denn in derPause waren sie ein Paar. Das heißt, sie verkündetenbeide, dass sie jetzt «miteinander gingen», aber sie ver-brachten nie wirklich Zeit miteinander – es sei denn,man zählt ein paar abendliche Telefonate dazu, derenVerlauf sie oft schon vorher mit einer kichernden An-nalise plante. Ich lehnte es ab, an ihrer aufkeimendenRomanze teilzuhaben oder darüber zu reden.

In meinen Augen ist es egal, dass Darcy und Ethansich nie küssten, wir erst in der fünften Klasse warenoder dass sie zwei Wochen später «Schluss machten»,als Darcy das Interesse verlor und beschloss, wiederDoug Jackson anzuhimmeln. Oder dass Nachahmung,wie mir meine Mutter zum Trost sagte, die ehrlichsteForm der Schmeichelei sei. Wichtig ist, dass Darcy mirEthan gestohlen hat. Vielleicht tat sie es, weil sie es sichwirklich anders überlegt hatte; das jedenfalls sagte ichmir, damit ich aufhörte, sie zu hassen. Aber wahr-scheinlicher ist, dass sie sich Ethan nahm, nur um mirzu zeigen, dass sie es konnte.

Und insofern, meine Damen und Herren Geschwo-renen, hat Darcy Rhone nichts anderes verdient. Wieman in den Wald ruft, so schallt es heraus. Und viel-leicht ist dies die gerechte Strafe.

Ich stelle mir die Gesichter der Geschworenen vor.Sie sind nicht beeindruckt. Die Männer sehen ratlosaus, als ob sie überhaupt nicht kapieren, worum esgeht. Kriegt nicht immer das hübscheste Mädchen den

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Jungen ihrer Wahl? Genau so sollte die Welt dochfunktionieren. Eine ältere Frau in einem einfachenKleid schürzt die Lippen. Sie ist empört über den blo-ßen Vergleich – zwischen einem Verlobten und einemSchwarm aus der fünften Klasse! Du lieber Himmel!Eine äußerst gepflegte, beinahe schöne Frau in einemkanariengelben Chanel-Kostüm hat sich bereits mitDarcy identifiziert und verbündet. Ihr kann ich nichtserzählen, was sie umstimmen oder mein Verbrechenmildern könnte.

Die einzige Geschworene, die von der Ethan-Ge-schichte beeindruckt zu sein scheint, ist ein leicht über-gewichtiges Mädchen mit einem strengen Bubikopfund einer Haarfarbe wie Kaffee von gestern. Sie fläztsich am Rand der Geschworenenbank und schiebt ge-legentlich die Brille auf ihrer Hakennase hoch. Bei die-sem Mädchen habe ich Empathie gefunden, Gerechtig-keitssinn. Sie empfindet klammheimliche Genugtuungüber das, was ich getan habe. Vielleicht hat auch sieeine Freundin wie Darcy, eine Freundin, die immerkriegt, was sie will.

Ich denke an die High School, wo Darcy weiterhinjeden Jungen kriegte, den sie haben wollte. Ich sehe esnoch vor mir, wie sie an unserem Spind Blaine Connerküsst, und erinnere mich an den Neid, der in mir hoch-kam, als ich – ohne Freund – gezwungenermaßen ihreschamlose öffentliche Zurschaustellung von Zunei-gung mit ansehen musste. Blaine war im Herbst desersten High-School-Jahres aus Columbus, Ohio, anunsere Schule gekommen, und er war sofort überall einHit, außer im Unterricht. Er war nicht sehr helle, aberer war der Fängerstar in unserem Football-Team, derSpielmacher in unserem Basketball-Team und – natür-lich – der erste Werfer im Baseball. Dabei sah er aus

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wie eine Ken-Puppe, und die Mädchen liebten ihn.Doug Jackson, Teil zwei. Aber ach – er hatte eineFreundin namens Cassandra zu Hause in Columbus,und er behauptete, er sei ihr «hundertzehn Prozenttreu» (ein Sportlerausdruck, der mir wegen seiner of-fenkundigen mathematischen Unmöglichkeit schonimmer auf den Zwickel gegangen ist). Das heißt, erwar es, bis Darcy sich einmischte, nachdem wir gese-hen hatten, wie Blaine im Spiel gegen Central den geg-nerischen Schläger alt aussehen ließ, und sie zu demSchluss kam, dass sie ihn haben müsse. Am Tag darauffragte sie ihn, ob er mit ihr in Les Misérables gehenwollte. Man sollte annehmen, dass ein Dreifach-Sport-ler wie Blaine nicht auf Musicals steht, aber er erklärtesich begeistert bereit, sie zu begleiten. Nach der Vor-stellung machte er ihr im Wohnzimmer der Rhoneseinen dicken Knutschfleck am Hals. Und am nächstenMorgen war in Columbus, Ohio, eine gewisse Cassan-dra solo.

Ich erinnere mich, wie ich mit Annalise über Darcyszauberhaftes Leben redete. Wir unterhielten uns oftüber Darcy – weshalb ich mich manchmal fragte, wieoft sie wohl über mich tratschten. Annalise behaupte-te, es liege nicht nur an Darcys gutem Aussehen und anihrer perfekten Figur, sondern auch an ihrem Selbstbe-wusstsein und ihrem Charme. Das mit dem Charme –ich weiß nicht, aber rückblickend stimme ich Annalisezu, was das Selbstvertrauen angeht. Es war, als habeDarcy auf der High School die Perspektive einer Drei-ßigjährigen gehabt – die Einsicht, dass nichts von alldem wirklich wichtig ist, dass man nur einmal lebt unddass man deswegen lieber gleich in die Vollen geht. Siewar nie eingeschüchtert, nie unsicher. Sie verkörpertedas, was alle sagen, wenn sie auf ihre High-School-Zeit

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zurückschauen: «Wenn ich bloß damals gewusst hät-te …»

Aber eins muss ich zu Darcy und ihren Dates nochsagen: Sie hat uns nie wegen eines Typen versetzt. IhreFreundinnen standen immer an erster Stelle für sie,und das ist für ein High-School-Mädchen erstaunlich.Manchmal schob sie ihren Freund komplett ab, aberviel öfter nahm sie uns einfach mit. Vier in einer Reiheim Kino. Der Favorit des Monats, dann Darcy, dannAnnalise, dann ich. Und Darcy richtete ihre geflüster-ten Kommentare immer an uns. Damals dachte ich, sieliebt sie einfach nicht genug. Sie war dreist und unab-hängig, anders als die meisten High-School-Mädchen,die sich von ihren Gefühlen für einen Jungen ganz ver-schlucken lassen. Aber vielleicht wollte Darcy bloß dieKontrolle behalten, und indem sie diejenige war, dieweniger liebte, gelang ihr das. Ob ihr weniger an denJungen lag oder ob sie nur so tat – jedenfalls behielt siejeden von ihnen am Haken, selbst wenn sie die Leineschon durchgeschnitten hatte. Blaine zum Beispiel. Derlebt in Iowa mit einer Frau, drei Kindern und zweischokoladenbraunen Labradors, und er schickt Darcyimmer noch jedes Jahr eine E-Mail zum Geburtstag.Das ist doch so was wie Macht.

Bis heute redet Darcy wehmütig davon, wie toll esauf der High School war. Ich winde mich jedes Mal in-nerlich, wenn sie davon anfängt. Klar, ich habe auchein paar gute Erinnerungen an diese Zeit, und ich wareinigermaßen beliebt – ein hübscher Nebeneffekt, weilich Darcys Freundin war. Mit Begeisterung ging ichmit Annalise zu den Football-Spielen; wir malten unsdie Gesichter orange und blau an, saßen in Decken ge-wickelt auf der Tribüne und winkten Darcy zu, die alsCheerleader unten über das Spielfeld marschierte. Ich

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liebte unsere samstäglichen Abendausflüge zu Colo-nial Ice Cream, wo wir immer das Gleiche bestellten –einen Schildkrötenbecher, eine Snickers-Bombe und einDouble Chocolate Brownie – und dann alles miteinan-der teilten. Und ich liebte meinen ersten Freund, Bran-don Beamer, der mich im letzten High-School-Jahrfragte, ob ich mit ihm gehen wolle. Auch er war einRegelbefolger, eine katholische Version meiner selbst.Er trank nicht und experimentierte nicht mit Drogen,und er bekam schon Schuldgefühle, wenn er über Sexauch nur sprach. Darcy, die schon im zweiten Jahr ihreUnschuld an einen spanischen Austauschstudenten na-mens Carlos verloren hatte, gab mir immer Anweisun-gen, wie ich Brandon verderben sollte. «So grapschstdu seinen Penis, und ich garantiere dir, die Sache istgelaufen.» Aber ich war ganz zufrieden mit unserenausgedehnten Knutschereien im Kombiwagen seinerEltern, und ich brauchte mir nie Sorgen wegen Verhü-tung oder Alkohol am Steuer zu machen. Und so sindmeine Erinnerungen zwar nicht glanzvoll, aber ich hat-te doch wenigstens manchmal meinen Spaß.

Oft genug hatte ich keinen – da waren die Tage mitgrässlichem Haar, die Pickel, die höllischen Klassenfo-tos. Nie die richtigen Kleider zu haben, ohne Date zumSchulball zu gehen. Der Babyspeck, den ich nie loswer-den konnte. Nicht in die Mannschaft gewählt zu wer-den, die Wahl zur Klassenkassenwärtin zu verlieren.Und das überwältigende Gefühl von Trauer und Angst,das nach Belieben kam und ging (genauer gesagt, ein-mal im Monat), ohne dass ich etwas dagegen tunkonnte. Eigentlich typischer Teenagerkram. Klischees– weil alle sie erleben. Das heißt alle außer Darcy, diedurch diese turbulenten vier Jahre schwebte, von Zu-rückweisungen unbehelligt, von pubertärer Hässlich-

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keit unberührt. Natürlich liebte sie die High School:Die High School liebte sie.

Viele Mädchen, die ihre Teenagerjahre so erlebt ha-ben, kriegen dafür später im Leben anscheinend umsoheftiger ihr Fett ab. Sie tauchen nach zehn Jahren aufdem Klassentreffen auf, zwanzig Pfund schwerer undgeschieden, voll wehmütiger Erinnerungen an die Tagevergangener Glorie. Aber die Flut der glorreichen Tageist für Darcy immer noch nicht verebbt. Kein Absturz,kein Untergang. Im Gegenteil, das Leben wird einfachimmer schöner für sie. Wie meine Mutter einmal ganzgegen ihre Gewohnheit sagte: Darcy hat die Welt beiden Eiern. Das war – und ist – die perfekte Beschrei-bung. Darcy kriegt immer, was sie will. EinschließlichDex, ihren Traum-Verlobten.

Ich hinterlasse eine Nachricht auf Darcys Handy; ichweiß, dass es während des Films abgeschaltet sein wird.Ich sage, dass ich zu müde bin, um essen zu gehen. Alsich das hinter mir habe, ist mir schon weniger flau. Ja,ich bin plötzlich sogar sehr hungrig. Ich suche meineSpeisekarten heraus und bestelle mir einen Hamburgermit Cheddar und Fritten. Vermutlich werde ich bis zumMemorial Day wohl keine fünf Pfund abnehmen. Wäh-rend ich auf den Lieferservice warte, denke ich daran,wie Darcy und ich vor all den Jahren mit dem Telefon-buch gespielt haben, wie wir über die Zukunft gerätseltund uns gefragt haben, was der dreißigste Geburtstagwohl bringen würde.

Und jetzt sitze ich hier, ohne den hinreißenden Ehe-mann, den verantwortungsbewussten Babysitter, diezwei Kinder. Stattdessen trägt mein entscheidenderGeburtstag für immer den Makel des Skandals … Ach,na ja. Hat keinen Sinn, selbst auf mich einzuprügeln.

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Lieber drücke ich auf die Wahlwiederholung undergänze meine Bestellung um einen großen Schoko-Milkshake. Ich sehe, wie das Mädchen am Rand derGeschworenenbank mir zuzwinkert. Sie findet, derMilkshake sei eine ausgezeichnete Idee. Darf sich anihrem Geburtstag nicht jede mal ein paar schwacheAugenblicke leisten?

3DREI Als ich am nächstenMorgen aufwache, ist das Mädchen, das sich unbe-kümmert seinen Milkshake reinschlürft, nicht mehrda. Sie ist eingeknickt vor ihren Schuldgefühlen undeinem dreißigjährigen Leben nach Vorschrift. Ich kannnicht mehr rational begründen, was ich getan habe. Ichhabe eine unaussprechliche Untat gegen eine Freundinbegangen, habe einen zentralen Grundsatz der Schwes-ternschaft verletzt. Es gibt keine Rechtfertigung.

Also Plan B: Ich werde so tun, als sei nichts passiert.Meine Verfehlung war so groß, dass mir nichts ande-res übrig bleibt, als die ganze Sache willentlich ver-schwinden zu lassen. Und indem ich einfach den Alltagbeginne und mich meinem Montagmorgen-Trott hin-gebe, scheint mir das auch zu gelingen.

Ich dusche, föhne mir die Haare, ziehe mein be-quemstes schwarzes Kostüm und flache Schuhe an,fahre mit der U-Bahn nach Grand Central, hole mei-nen Kaffee bei Starbucks, kaufe die New York Timesan meinem Zeitungsstand und fahre mit zwei Rolltrep-pen und einem Aufzug hinauf in mein Büro im MetLifeBuilding. Jeder Schritt dieses Alltagstrotts führt mich

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einen Schritt weiter weg von Dex und DEM ZWI-SCHENFALL.

Um zwanzig nach acht bin ich in meinem Büro –sehr früh nach den Maßstäben einer Anwaltsfirma.Auf den Fluren ist es still. Nicht mal die Sekretärinnensind da. Ich schlage den lokalen Teil der Zeitung aufund trinke meinen Kaffee, als ich das rote Blinklicht anmeinem Telefon bemerke, das mir eine wartende Nach-richt signalisiert – meistens eine Warnung, dass nochmehr Arbeit auf mich zukommt. Irgendein beknackterPartner aus der Firma muss mich an dem einzigen Wo-chenende jüngeren Datums angerufen haben, an demich meinen Anrufbeantworter nicht abgehört habe. Ichwette, es war Les, der beherrschende Mann in meinemLeben und der beknackteste Partner auf sechs Etagenvoller beknackter Partner. Ich gebe mein Passwort ein,warte …

Sie haben eine neue Nachricht von einem externenAnrufer. Heute, sieben Uhr zweiundvierzig …, sagt dieComputerstimme. Ich hasse diese Automatenfrau. Siebringt immer nur schlechte Nachrichten, und das mitfröhlicher Stimme. Für Anwaltsfirmen sollte man dieAnsage ändern – die Stimme müsste ernster klingen.O je … (mit ominöser Hintergrundmusik aus demWeißen Hai). Sie haben vier neue Nachrichten …

Was ist es diesmal?, denke ich und drücke die Ab-spieltaste.

Hi, Rachel … ich bin’s … Dex … Ich wollte dichgestern anrufen, um über Samstagnacht zu reden,aber – ich konnte es einfach nicht. Ich glaube, wir soll-ten uns darüber unterhalten, meinst du nicht? Rufmich an, wenn du kannst. Ich dürfte den ganzen Tagda sein.

Mir rutscht das Herz in die Hose. Wieso kann er

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Emily Giffin

Fremd fischenRoman

eBookISBN: 978-3-641-10371-2

Diana

Erscheinungstermin: Februar 2013

Sie ist verliebt, er ist verlobt – mit ihrer besten Freundin Rachel und Darcy sind beste Freundinnen und teilen sich alles – fast alles … Denn als Rachelan ihrem dreißigsten Geburtstag nach einem Drink zu viel mit ihrem Traummann – und DarcysVerlobtem – Dex im Bett landet, muss sie sich entscheiden: Will sie eine wirklich gute Freundinsein oder um die wahre Liebe kämpfen?