No man is an Island

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John Donne und der Einzelne

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  • Gnther Gettinger, 8. Juli 2011

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    No man is an I(s)land..

    John Donnes Vorschlag ist unserer unmittelbaren Anschauung, unserem unmittelbaren Empfinden entgegengesetzt. Fast jeder in unserem Kulturkreis denkt, wrde ich sagen, dass sein Bewusstsein seine hchstpersnliche und hchst selbstverantwortliche Privatangelegenheit sei. Ich bin Ich und Du bist Du*: jeder sei letztlich allein mit und fr sich und seinen Empfindungen, Gedanken und Erfahrungen, sagen wir zu uns selbst. Mein Hunger ist mein Hunger, meine Schmerz ist mein Schmerz, meine Freude ist meine, und mein Tod ist mein Tod. Wenn Du Dich satt ist, dann werde ich davon nicht satt. Schopenhauer sagt daher zu recht:

    Jeder steckt in seinem Bewusstsein wie in seiner Haut und lebt unmittelbar nur in demselben: Daher ist ihm von auen nicht sehr zu helfen.

    Und in den letzten 1 Jahrzehnten wurde dieses einsame Ich als sogenannte Ich-AGauch zur einer hochehrwrdigen Markt-Institution hochstilisiert.

    * Man denke nur an einen alten Reim aus Kindertagen - Ich und Du, Mllers Kuh, Mllers Esel, der bist Du.

  • Gnther Gettinger, 8. Juli 2011

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    Wie kommt/kam dann also jemand wie John Donne zu einer strikt gegenteiligen Ansicht?

    Nun, versuchen wir in Folge ein paar Annherungen an die Relativierung der Vorstellung eines autonomen Ichs.

    1. Ok, knnte man sagen, jeder ist offensichtlich letztlich mit und fr sich alleine, hlt es aber offensichtlich in diesem Alleinsein nur schwer oder gar nicht aus. Dass der Mensch ein Gesellschaftstier sei, das ist keine allzu neue Sichtweise, das hat u.a. schon Aristoteles vor ber 2000 Jahren behauptet. Man muss sich nur ein wenig umsehen, um sofort zu erkennen, dass diese Sichtweise sehr plausibel ist. Man findet Menschen fast immer nur in Rudeln und Meuten vor, in Menschenansammlungen: in Familien, Freundeskreisen, in Berufs- und Ausbildungsgruppen, in Clubbings, im Internet auf Facebook oder in anderen Foren, in Lokalen und Spielsttten, auf Fuballpltzen etc. berall wo es lustig zugeht, ist der Mensch nicht alleine, wie es scheint.

    Wenn der Mensch nie alleine vorkommt, d.h. nicht ohne Zusammenleben mit Anderen wirklich Mensch werden und Mensch sein kann, wenn er tatschlich ein Gruppenmensch ist, woher kommt dann dieses Gefhl, letztlich alleine, abgetrennt von allen anderen zu existieren? Mehr noch, ist Alleinsein Knnen, sich von allen sozialen Bindungen zu lsen, sich also zu emanzipieren nicht geradezu eine Voraussetzung frs erwachsen werden? Fr das Eingehen freier Bindungen, ebenbrtiger Beziehungen? Muss man denn nicht ein starkes und autonomes Ich sein, um sich gegenber anderen Ichs selbstbewusst durchsetzen zu knnen, um den Zufllen des Lebens und Schicksalsschlgen standhalten zu knnen?

    Diese erste Annherung knnte man so zusammen fassen: es stimmt, der Einzelne wird erst zum lebensfhigen Einzelnen im Zusammenleben mit Anderen. Insofern gibt es keine absolut einsamen Ichs, keine Ichs

  • Gnther Gettinger, 8. Juli 2011

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    ohne Dus. Aber das Ziel aller Ich-Entwicklung scheint doch das autonome Ich zu sein. Denn erst auf dieser Basis sind, so scheint es, freie Bindungen unter freien Menschen mglich.

    2. Zweite Annherung.

    Kein menschliches Wesen kann auerhalb einer Sprachgemeinschaft leben (Kaspar Hauser Syndrom). Und Sprache ist Ausdruck von Gemeinschaftlichkeit, sie ist das, was das Tier Mensch erst zum Menschen macht.

    Sprache mir gibt erst die Mittel in die Hand, mittels derer ich meine Identitt von der anderer abgrenzen kann. Zugleich verbindet mich die Sprache aber auch mit allen anderen Mitgliedern meiner Sprachgemeinschaft. Die Sprache macht mich, genau so wie ich die Sprache mache, mitgestalte. Jeder kompetente Sprecher ist konstitutiver Teil der bergeordneten Sprachgemeinschaft. Keine Sprache ohne einzelne Sprecher, keine einzelnen Sprecher ohne Sprache.

    Aber Vorsicht, sagt Karl Kraus: Und es ist, als htte das Fatum jene Menschheit, die deutsch zu sprechen glaubt, fr den Segen gedankenreichster Sprache bestraft mit dem Fluch, auerhalb ihrer zu

  • Gnther Gettinger, 8. Juli 2011

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    leben; zu denken, nachdem sie sie gesprochen, zu handeln, ehe sie sie befragt hat. Von dem Vorzug dieser Sprache, aus allen Zweifeln zu bestehen, die zwischen ihren Wrtern Raum haben, machen ihre Sprecher keinen Gebrauch. Welch ein Stil des Lebens mchte sich entwickeln, wenn der Deutsche keiner anderen Ordonanz gehorsamste als der Sprache!..... Die Sprache ist die einzige Chimre, deren Trugkraft ohne Ende ist, die Unerschpflichkeit, an der das Leben nicht verarmt. Der Mensch lerne ihr zu dienen!*

    3. Ja, nicht nur die Sprache selbst ist eine Chimre, deren Trugkraft ohne Ende ist, bereits das Gefhl ein abgetrenntes Selbst zu sein, das in Kontakt mit anderen abgetrennten Selbstheiten tritt ist eine Chimre (wie sehr das auch dem common sense widersprechen mag). Ich bin nmlich nicht dieser isolierte Krper da, sondern alle realisierten und potentiell realisierbaren Krper-Umwelt-Interaktionen. Es gibt keine lebenden isolierten Krper, es gibt immer nur Krper-in-Interaktion, d.h. mein wahres Selbst ist die Gesamtheit aller stattgefundenen und berhaupt mglichen Interaktionen. Und als ein solches Selbst bersteigt es jede sprachliche Fixierung, jede definitive Festlegung. Mein wahres Selbst ist hnlich strukturiert wie der wahre Sprachgebrauch: unerschpflich, offen, immer neu, unsterblich.

    Was und wer es/er tatschlich ist, lsst sich nicht niemals abschlieend in Worte fassen. Ich, als bewusstes Sein, als Bewusstsein, bin nmlich im Hier-und-Jezt die ganze Menschheitsgeschichte, wobei meine individuelle Lebensgeschichte fr mich als bewusstes Wesen das jeweils letzte Kapitel in diesem Buch darstellt. Als individuelles Ich bin Ich zugleich Mit-Autor wie Leser dieses Buchs, was eine Paradoxie darstellt, die auf einen Irrtum hinweist: nmlich auf jene oben erwhnte trgerische Einbildung, ein abgetrenntes Selbst zu sein.

    In Wahrheit bin ich jeden Augenblick das jeweils aktuelle Geschehen, welches sich mittels meines Ichs seiner selbst bewusst wird. Ich bin nmlich nur als scheinbar abgetrenntes Ich scheinbar Teil der gesamten Menschheitsgeschichte als bewusstes Sein bin ich die Menschheitsgeschichte selbst.

    Aber diese unendliche - Sichtweise kann unser begrenzte Verstand nicht fassen, ja nicht einmal ahnen, weshalb er sich stndig in Paradoxien verstricken muss, wenn es um letzte Fragen geht. Man knnte sagen,

    * Karl Kraus, Die Sprache. In: Karl Kraus, Magie der Sprache, Suhrkamp 1974. Seite 345f

  • Gnther Gettinger, 8. Juli 2011

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    Paradoxien seien die Ahnung unseres begrifflichen Denkens von seiner eigenen Begrenztheit.

    Man kann in der Sprache nicht ber die Sprache hinausgehen. Aber im Vollzug dieser Einsicht gehe ich ber die Sprache hinaus.......

    4. Die letzte Annherung an unser Thema ist daher

    EIN SCHWEIGEN, DAS ALLES SAGT:

    No man is an I(s)land..