Norm und Theorie: Bemerkungen zu den Fragen der „Ordnung der Wirtschaft“

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Norm und Theorie: Bemerkungen zu den Fragen der „Ordnung der Wirtschaft“ Author(s): Hans Peter Source: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 6, H. 2 (1939), pp. 348-366 Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KG Stable URL: http://www.jstor.org/stable/40908266 . Accessed: 10/06/2014 04:42 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp . JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. . Mohr Siebeck GmbH & Co. KG is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to FinanzArchiv / Public Finance Analysis. http://www.jstor.org This content downloaded from 195.34.78.42 on Tue, 10 Jun 2014 04:42:22 AM All use subject to JSTOR Terms and Conditions

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Norm und Theorie: Bemerkungen zu den Fragen der „Ordnung der Wirtschaft“Author(s): Hans PeterSource: FinanzArchiv / Public Finance Analysis, New Series, Bd. 6, H. 2 (1939), pp. 348-366Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40908266 .

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Norm und Theorie Bemerkungen zu den Fragen der „Ordnung der Wirtschaft"1)

von

Hans Peter Mit 4 Abbildungen

Da Erfahrung nichts anderes ist als geordnetes Wissen und Theorie nur die Gesamtheit der Grundsätze, in denen die Quintessenz der Erfahrung beschlossen liegt, so hat die Theorie der Wirtschaft eine wichtige Rolle bei der Aufgabe inne, die Wirtschaft zu ordnen. Daß bei volkswirtschaftlichen Planungen theoretische Erwägungen angestellt werden, ist nicht von der Willkür der Menschen abhängig. Wer vernünftig plant, stützt sich auf Er- fahrungen, das ist noch von niemandem bekrittelt worden. Da also die Theo- rie nichts anderes ist als der Kern der Erfahrung, so hat man, wenn man plant, nicht die Wahl, ob man sich auf Theorie stützen will oder nicht, sondern man hat nur die Wahl, ob man sioh auf gute oder schlechte Theorie stützen will.

Es liegt somit in der Natur der Sache, wenn bei der Arbeit an der Schriftenreihe „Ordnung der Wirtschaft" die Wirtschaftstheoretiker an führender Stelle stehen und auch der Rechtswissenschaftler wie z. B. B ö h m in seinem Heft „Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung" „in erheblichem Ausmaße an die Ergebnisse der Wirtschaftstheorie anknüpft" 2). Diese Zusammenarbeit der Vertreter der einschlägigen Fachdisziplinen ist wertvoll, weil sie sich ergänzen und gegenseitig befruchten. In Zeiten der bewußten Gestaltung des Staats- und damit des Wirtschaftslebens gewinnt diese Zusammenarbeit im Vergleich mit kontemplativeren Zeitläuften erhöhte praktische Bedeutung.

Die bisher veröffentlichten Schriften der Reihe zeigen schon, welche fruchtbare Arbeit in Angriff genommen worden ist. Wenn ich im folgenden eine einzelne Frage herausgreife, bei deren Beantwortung ich eine grund- sätzlich andere Auffassung vertrete als die Verfasser und Herausgeber, so

*) Schriftenreihe, hrsg. von Franz Böhm, Walter Eucken und Hans Großmann-Doerth. Ich ziehe bei dieser Erörterung nur heran Heft 1. Böhm, Die Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung, das ich bereits im „Archiv für civilistische Praxis, Bd. 144 H. 3 S. 366/8 kurz besprochen habe, und Heft 4Leonhard M i k s c h , Wettbewerb als Aufgabe, Die Grundsätze einer Wettbewerbsord- nunß. Verlae W. Kohlbammer, Stuttgart und Berlin 1937.

*) A. a. O. S. 14.

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möchte ich nicht den Eindruck erwecken, als wollte ich die Verdienste der geleisteten Arbeit verkleinern; ich hoffe vielmehr in der Zusammenarbeit von Autor und Kritiker diese Arbeit in einem wie mir scheint, sehr wiohtigen Punkte zu fördern. Die Frage, die ich anzuschneiden beabsichtige, ist nicht nur für das Sondergebiet der Ordnung der Wirtschaft von Bedeutung, son- dern ganz allgemein für die Auffassung vom Wesen und den Aufgaben der Wirtschaftswissenschaften. Die Fragen^ mit denen sie zusammenhängt und auf die sie immer wieder zurückführt, sind in diesen Blättern, zum Teil schon von mir selbst, des öfteren kritisch behandelt worden; der besondere Anlaß gibt Gelegenheit, die in methodologischen Untersuchungen grundsätz- lich erörterten Fragen in einem engeren Zusammenhang mit den konkreten Aufgaben, die unserer Wissenschaft durch die neue Wirtschaftspolitik ge- stellt werden, darzustellen und dadurch vielleicht etwas leichter auf ihre Wichtigkeit aufmerksam zu machen, als das bei dem rein akademischen Charakter methodologischer Abhandlungen möglich gewesen ist. Abstrakt freilich bleibt die Auseinandersetzung auch hier, das ist nun einmal durch die unvermeidliche Arbeitsteilung zwischen Wissenschaft und Praxis bedingt.

Ich greife aus der Reihe nur zwei Hefte heraus, das groß angelegte, grundsätzliche erste des einen der Herausgeber, Franz Böhm, dessen Titel ich eben angeführt habe, und das etwas spezieller auf die Wirtschafts- form abgestellte von Leonhard Miksch, „Wettbewerb als Aufgabe", das aber auch noch die Ordnung der gesamten Wirtschaft zum Gegenstand hat. Die Wichtigkeit der in den jetzt nicht herangezogenen Heften behandel- ten Fragen soll damit in keiner Weise in Abrede gestellt werden.

I. Der Gegenstand, den Franz Böhmim ersten Heft der Reihe, „Die

Ordnung der Wirtschaft als geschichtliche Aufgabe und rechtsschöpferische Leistung" mit Scharfsinn und tiefem Verständnis, gestützt auf eine um- fassende Kenntnis der sich in diesem Schnittpunkt treffenden Fachgebiete behandelt, ist das Wirtschaftsverfassungsrecht.

Das Buch enthält sowohl die grundsätzlichen Erwägungen über die Einordnung einer dynamischen Wirtschaft in die Gesamtordnung des natio- nalen Lebens wie die Darstellung des heute gültigen Wirtschaftsverf assungs- rechtes, insbesondere des Rechtes der gewerblichen Wirtschaft. Auf eine Inhaltsangabe, die sehr ausführlich sein müßte, kann verzichtet werden, da das bereits vor einem Jahr erschienene Werk Aufsehen erregte, auch im Finanzarchiv bereits von Goerdeler und Merkel besprochen wurde1).

Ich möchte mich hier darauf beschränken, die Tragweite der Schlüsse zu prüfen, die aus der theoretischen Volkswirtschaftslehre gezogen werden, das sind vor allem die Folgerungen, die aus dem Begriff des freien Wett- bewerbs abgeleitet werden. Dieser Begriff bildet hier die Grundlage der Ab- lehnung aller privaten Bindungen, Preisabreden, Ringbildungen, Kartelle usw.

Bei der beabsichtigten Überprüfung der theoretischen Grundlagen der- artiger wirtschaftspolitischen Forderungen muß man vor allem beachten,

*) Bd. V Heft 3 und 4.

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daß sich in dem behandelten Fragengebiet gleichsam mehrere Ebenen schnei- den; man muß sich stets im klaren sein, auf welcher dieser Ebenen man sich jeweils befindet. Neben der juristischen Frage nach Form und Inhalt des Wirtschaftsverfassungsrechtes steht einerseits die rechtsphilosophisch-wirt- schaftspolitische Frage nach dem Inhalt des Ideals, auf das hin diese Ver- fassung ausgerichtet sein soll und über das stillschweigende Voraussetzungen gemacht werden - and andererseits die wirtschaftstheoretisch-technische Frage nach der Zweckmäßigkeit der konkreten Bestimmungen, die getroffen werden müssen, um das erstrebte Ideal zu verwirklichen. Normen im Sinne von autonomen Wertsetzungen können immer nur dem rechtsphilosophischen Bereiche entstammen, niemals der Wirtschaftstheorie. Die gefährliche Klippe, an der notwendig aller Ökonomismus scheitert, verbirgt sich gemeinhin hinter dem Versuch, Gleichgewichtsbedingungen oder Bedingungen eines störungs- freien Wirtschaftsablaufes zu Normen umzudeuten oder zur Ableitung von Normen zu verwenden. Wir wollen untersuchen, ob diese Klippe vermieden wird oder vermieden werden kann.

Die polaren Gegensätze der juristischen Form der Wirtschaftsverfas- sung sind für Böhm nicht geordnete und ungeordnete Wirtschaft, wie das ein unvorsichtiger Rationalist vermuten möchte, sondern durch unmittelbaren Befehl oder durch mittelbare Lenkung geordnete Wirtschaft. Somit liegt nach seiner Auffassung eine im echten Wortsinne rechtliche Verfassung der Wirtschaft auch schon dann vor, wenn der Staat die Ordnung der Wirt- schaft dem freien Wettbewerb der Beteiligten überläßt; z. B. habe man sich laut B ö h m in, liberalen Zeitläuften dieser Form der mittelbaren Wirt- schaftslenkung bedient, und zwar bewußt - im Vertrauen auf die List der Idee, ideale Ziele durch egoistische Menschen zu verwirklichen. „Kräfte- entfesselung durch Spielraumerweiterung und Spielraumbefreiung, mittelbare und pfleghafte Ordnung des freien Kräfte- spiels mittels grundsatzgetreuer, systematischer und durchdachter politi- scher Lenkungsmethoden und beides zu dem Zweck, den sozialen Alltag im Dienste der nationalen Lebenssteigerung zu aktivieren - dies ist die politische Konzeption des bürgerlichen Zeitalters und seiner Revolution" (S. 6). - Erst recht liege natürlich be- wußte Setzung von Verfassungsrecht vor, wenn der nationalsozialistische Staat sich der unmittelbar befehlsmäßigen Anweisung enthält und bestimmte Bereiche der Wirtschaft der mittelbaren Lenkung in freiem Wettbewerb unterwirft.

Für die Beurteilung der Verfassung der gesamten Volkswirtschaft scheint es mir wichtig, daß ihre Gliederung in die drei Teilverfassungen der Ernährungswirtschaft, der Arbeitswirtschaft und der gewerblichen Wirt- schaft keine Zerlegung des Volkswirtschaftsganzen in drei getrennte Bestand- teile bedeutet. Man darf deshalb bei der Frage, welches die beste Lenkungs- weise in einem Teilgebiet ist, niemals die Stellung dieses Teiles im ganzen aus dem Auge verlieren. Am wenigsten läßt sich von der engen Verzahnung der gewerblichen Wirtschaft mit der Arbeitswirtschaft absehen. Die Erset- zung des Arbeits-„Marktes" durch eine andere Regelung des Arbeitseinsatzes stellt eine Einschränkung des Wettbewerbs von weitesttragender Bedeutung

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dar. Bei dieser Maßnahme war sicher der Grund gegeben, auf den sich Böhm bei der Verteidigung des freien Wettbewerbs gegen Kartelle usw. stützt; auf diesem „Markte" war wirklich der Wettbewerb infolge der Will- kür privater Macht entartet; und das war unter kapitalistischen Rechts-, insbesondere Eigentumsformen um so gefährlicher, als hier dank einer be- sonders heimtückischen List der Idee zu ihrer Geltendmachung nicht ein- mal ein Gentleman- Agreement notwendig war. Diesem Zustand haben die aus der Idee der Volksgemeinschaft geborenen Gesetze und Organisationen des nationalsozialistischen Staates ein Ende gemacht.

In diesem Beispiel stütze ich die Rechtfertigung der Abschaffung des Arbeitsmarktes auf genau das gleiche Argument, auf Grund dessen Böhm Kartelle ablehnt und für den freien Wettbewerb eintritt. Wenn beides richtig sein soll, dann kann das normative Moment natürlich nicht in der Wettbewerbsidee enthalten oder auch nur notwendig mit ihr verknüpft sein.

An dieser Stelle scheint mir in der sonst so sicheren Gedankenführung Böhms eine Bruchstelle zu liegen. Hier muß die Sonde angesetzt werden. Böhm vermeidet selbstverständlich die Abwege der apologetischen Man- chesterdoktrin; er lehnt die dem „Laissez faire" zugrunde liegende natur- rechtliche Harmoniethese ab; er geht noch weiter und verwirft, was er den „Kultus des Faktischen" nennt (S. 71), nämlich die Neigung, den tat- sächlichen Zustand für den idealen anzusehen. „Wie kann der Geist die Tatsachen gestalten, wenn er sich selbst vor dem Gang der Tatsachen verneigt" (XIII).

Es ist denn auch keine offene dogmatische Prämisse, auf die er seine Deduktionen stützt, sondern eine stillschweigende Voraussetzung. Wenn man den Gedankenlauf rückwärts verfolgt, dann kommt ein Faden gleich- sam aus dem Leeren, und zwar ein Faden, an den sehr viel gehängt werden muß. Die unhaltbare Harmoniethese, die Böhm mit vollem Recht ab- lehnt, füllte immerhin eine von den alten Theoretikern klar empfundene Lücke aus und gab Antwort auf eine Frage, die nun offen bleibt und neu beantwortet werden muß.

Böhm weiß diese Lücke sehr wohl zu füllen; er tut das interessanter- weise da, wo die Entscheidung gegen den Wettbewerb fällt. Bei Er- örterung der sachlichen Grundsätze der Marktlenkung (S. 161 ff.) betrachtet er es mit Fug als unproblematisch, daß die unmittelbare, befehlsmäßige Wirtschaftslenkung sich sogar über Rentabilitätsrücksichten hinwegsetzt, wenn nationale Gründe es fordern - ich darf wohl unterstellen, daß dem Volkswohl die gleiche normative Kraft zugebilligt wird.

Wo aber der Wettbewerb selbst gerechtfertigt und seine Störung durch private Willkür abgelehnt werden soll, da wird bei B ö h m der Wettbewerb plötzlich selbst zu einem Ideal, das eine normative Kraft in sich trägt. Da ist die Rede von dem Fall „normativer Konstellation", wo der Staat zwar durch Befehle eingreife, aber nur „Platzhalter des Wettbewerbs" sei und die „Rolle und Funktion des Wettbewerbs zu übernehmen hat, d. h. er hat die Marktpreise so festzusetzen, wie sie sich unter der Voraussetzung eines idealen Wettbewerbseinpendel n."

Bei der Begriffsbestimmung des „idealen Wettbewerbs" beginnt die

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Darstellung etwas von ihrer gewohnten Schärfe zu verlieren. Man muß irr Auge behalten, die Beantwortung welcher Fragen hier stets in Gefahr sind, ineinander überzugehen: Ist Wettbewerb als solcher der erstrebenswerte Idealzustand (wertsetzend!), oder ist Wettbewerb das beste Mittel zur Ver- wirklichung eines anderseitig gekennzeichneten Idealzustandes (zweck- mäßig!) ? Wenn das zweite zutrifft, welches ist dann aas Ideal ? -

Des öfteren klingt in Böhms Ausführungen der Gedanke einer he- teronomen Wertung an, so z. B. wenn bei Erörterung der Voraussetzungen des „Funktionierens" der freien Wirtschaft davon die Rede ist, daß beim Fehlen gewisser Ordnungseinrichtungen von der Freiheit nicht notwendig der „volkswirtschaftlich nützlich Gebrauch" gemacht wird (S. 107). Hier ist also nicht der Wettbewerb, sondern das Volkswohl richtungweisendes Ideal. Wenn aber dann von diesen Ordnungseinrichtungen selbst die Rede ist, dann drängt sich wieder der Gedanke vor, daß diese sich aus dem Be- griff des Wettbewerbs ergeben und zwar, wie der Logiker ironisch feststellt: des richtig verstandenen Wettbewerbs! „Nach der Konzeptionsidee der richtig verstandenen freien Wirtschaftsverfassung kommt der privatwirt- schaftliche Sachverstand des einzelnen Unternehmers nur unter der Voraussetzung zugute, daß sich der Markt, auf dem der Unter- nehmer tätig ist, im Zustande der doppelseitigen Kon- kurrenz befindet, und daß der Wettbewerb unter Einhal- tung der Spielregeln (Leistungsprinzip!) ausgetra- gen w i r d" (S. 70).

Wie wichtig Böhm diese Innehaltung der Spielregeln ist, geht daraus hervor, daß er ihre Umgehung als Verstoß gegen ein Gesetz (i. S..von Art. 2 EGBGB. S. 124) bezeichnet.

Was läßt sich aber daraus folgern, daß der Markt bei beiderseitigem Wettbewerb „funktioniert" ? - Es handelt sich dabei doch nur um eine theoretische Feststellung. Bei doppelseitiger Konkurrenz bildet sich - wenn sich kein Datum ändert - ein stabiler statischer Preis. Mît dieser Feststel- lung ist ein solcher Preis aber nicht gerechtfertigt. Im Gegenteil: davon, ob das Preissystem, das sich auf diese Weise in der gesamten Volkswirtschaft oder in einem ihrer Bereiche bildet, den Zielsetzungen der Leitung dieser Volkswirtschaft entspricht oder nicht, hängt die Entscheidung darüber ab, ob Wettbewerb als Wirtschaftsverfassung in Betracht kommt.

Daß im „Funktionieren" des Marktes nicht das normative Moment liegen kann, geht schon daraus hervor, daß. der andere Fall, in dem der Markt ebenfalls „funktioniert", das reine, einseitige Monopol, grundsätzlich abgelehnt wird, gerade von Böhm1).

In der zitierten Stelle weist Böhm zur Stützung seiner Forderung freien Wettbewerbs auch auf das Leistungsprinzip hin. Auch hier liegen die

1) Indem Böhm nicht schlechthin voraussetzt, daß eine Wettbewerbs- wirtschaft „funktioniert", sondern auf die Notwendigkeit des Bestehens zwei- seitiger Konkurrenz hinweist, stützt er sich auf die Ergebnisse der Stackelberg- schen Untersuchungen über „Marktform und Gleichgewicht" (1934), in denen erstmalig die Bedingungen angegeben werden, an die das Zustandekommen von stabilen Gleichgewichtspreisen geknüpft ist.

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Dinge wieder ähnlich. Wettbewerb hat gewiß eine Auslese im Gefolge. In- dem sich an einem freien Markt ein Gleichgewicht einpendelt, bildet sich nicht nur ein Preis; es setzt sich auch ein bestimmtes Herstellungsverfahren durch, nämlich, dasjenige, das unter den gegebenen Voraussetzungen am „leistungsfähigsten" ist, d. h. mit dem man den bestehenden Bedarf am billigsten und besten zu beschaffen vermag. Auch hier fragt sich wieder, ob das Verfahren, das sich von selbst durchsetzt, den Zielen der Staatsleitung gemäß ist. Einerseits ist das aber bei freiem Wettbewerb nicht unbedingt der Fall, und andererseits kann der Leistungswettbewerb auch gepflegt wer- den, ohne daß freier Markt oder auch nur Markt besteht.

Durchläuft man in Gedanken die Kette der Marktformen vom Monopol über Dyopol, Oligopol bis zur freien Konkurrenz, so nimmt der Grad privater Macht von Fall zu Fall ab; fragt man aber, ob sie bei formal freier Kon- kurrenz gänzlich ausgeschaltet ist, so kann nicht mit einem unbedingten Ja geantwortet werden. Es sei nur darauf hingewiesen, daß die Ungleichheit der Vermögensverteilung die Chance, sich mit Erfolg am Wettbewerb zu beteiligen, nicht unerheblich beeinflußt. Will man hier nicht dem „Kultus des Faktischen" erliegen und die bestehende Vermögensverteilung unbe- sehen als gerecht anerkennen, so sehe ich bei diesem Gedankengang kaum eine Möglichkeit, vor dem Postulat der gleichen Vermögensverteilung Halt zu machen.

Wenn somit das Postulat freien Wettbewerbs als Prinzip der Ordnung der gesamten Volkswirtschaft auf Bedenken stößt, so bleibt noch die Mög- lichkeit, es für Teilbereiche aufrechtzuhalten, innerhalb deren seine Unbe- denklichkeit jeweils nachzuweisen wäre. An diesem Punkte ist auch reich- lich Raum für eine nutzbringende Anwendung der Forschungsergebnisse der Volkswirtschaftslehre^ Ihre Aufgabe ist nicht, den Wettbewerb schlechthin als Ideal hinzustellen, sondern von Fall zu Fall zu zeigen, ob er den Erforder- nissen der deutschen Volkswirtschaft dient oder nicht. „An sich" sind reine Institutionen wie der Wettbewerb weder gut noch böse; es kommt auf den Geist an, der in ihnen lebendig ist, d. h. auf den Zweck, in dessen Dienst sie gestellt werden. Wenn Böhm im Wettbewerbsprinzip zugleich eine Erfüllung des Ideals der Freiheit wie des der Ordnung sieht, so können wir ihm das erste zugeben, das zweite allenfalls bedingt. Es ist lediglich eine formale Ordnung, die ihren positiven „Wert" nur von einem „echten" Ideal erhalten kann.

Vielleicht mag auf den ersten Blick noch für den Wettbewerb sprechen, daß die Beweislast stets auf Seiten dessen liegt, der die Freiheit beschränkt. Aber einmal spricht die Geschichte der kapitalistischen Wirtschaft eher gegen als für segensreiche Auswirkungen der empfohlenen Ordnung; und wer zu ihrer Verteidigung in die Schranken treten wollte, könnte nur ihre theoretische Rechtfertigung versuchen und muß zeigen, daß die bösen Er- fahrungen der Geschichte darauf zurückzuführen sind, daß sich das „an sich" gesunde Prinzip nicht ungestört auswirken könnte.

Ferner aber bleibt noch die Frage, ob der Wettbewerbsgrundsatz bei der Neuordnung der Volkswirtschaft gleich von vornherein am Platze ist. Man muß bei der Beurteilung des Buches berücksichtigen, daß es zu einer

Flnanzarchiv. N. F. 6. Heft 2. 23

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Zeit geschrieben ist, in der Vier jahresplan und Preiskontrolle noch mit einem gewissen Recht als Notordnungen angesehen werden konnten» die ihrer Natur nach vorübergehend sind. Daß der Zwang zur Ordnung der Wirtschaft durch unmittelbaren Befehl stärker geworden ist, läßt den Aus- gangspunkt des Werkes in mancher Hinsicht heute in einem veränderten Licht erscheinen, beeinträchtigt aber weder die Wichtigkeit der Fragen noch den Erkenntniswert der Ergehnisse.

II. In den Ausführungen Böhms haben wir eine Lücke in *der philo-

sophischen Begründung der Normen gefunden, die der Ordnung der Wirt- schaft zugrunde gelegt werden. Wie gefährlich sie ist, zeigt sofort der Ver- such, den M i k s c h macht, die Bedingungen der Marktordnung für die einzelnen Typen der Marktformen zu formulieren. „Wettbewerb als Auf- gabe" ist der Titel des von ihm verfaßten Heftes 4 der Schriftenreihe.

Zunächst ist interessant, daß M i k s c h sich bemüht, die Lücke aus- zufüllen, sie also offenbar empfindet. Wenn er das gelegentlich durch Schlag- worte tut und z. B. kühn das Dogma aufstellt: „Ordnen heißt in Freiheit ordnen. (Bei M. gesperrt!) Das entspricht auch dem Wortsinn" (S. 11), so trägt er die Verantwortung für die Schwäche einer solchen Begründung freilich allein; wenn er aber zur Begründung auf Argumente zurückgreift, die als Verteidigung des freien Wettbewerbes um jeden Preis bereits ihre Geschichte haben, so trifft das zwar wiederum zuerst ihn selbst, zumal diese Argumente z. B. den Böhmschen Intentionen genau entgegen- gesetzt sind; aber sie zeigen doch, daß Böhms Begründungen nicht ein- mal seinen eigenen Mitarbeiter voll befriedigen; und das geht nicht ganz auf die, wie wir noch mehrfach sehen werden, etwas wenig gründliche Ver- arbeitung fremden Gedankengutes durch diesen Mitarbeiter zurück.

Auch Mik8ch verwahrt sich gegen die Harmoniethese, die „zum Schlagwort des ausklingenden Liberalismus wurde" (S. 9). Er erhebt Wider- spruch gegen die beinahe ein Jahrhundert geübten Versuche, den Begriff der Wirtschaftsfreiheit „zum Schlachtruf gegen den Staat" zu verwenden» wodurch der Staat ins „Schlepptau anonymer Wirtschaitsmächte" geriet oder gebracht werden sollte (S. 10). Aber er hält diese Linie nicht scharf durch und beachtet jedenfalls nicht, daß er sich in anderen Gedankengängen in scharfen Widerspruch zu ihr setzt, so z. B. wenn er bemerkt: „Es muß verhindert werden, daß der Staat seine Monopolstellung zum Schaden der Wirtschafte.) ausnützt" (S. 124)? - Ich führe diese Stelle an, weil aus ihr der Rückfall in eine Vorstellungswelt spricht, die vermutlich auch M i k s c h meiden will, die sich ihm aber als bequemer Lückenbüßer dar- bietet.

Ebenso kennzeichnend ist auch ein anderer Versuch, etwaige Vorwürfe gegen die Auswirkungen des freien Wettbewerbes zu entkräften. Auf S. 2 heißt es: „Das Maschinenzeitalter hat alle wirtschaftlichen Beziehungen von Grund aus umgestaltet ..." und S. 3 wird wiederholt: „Nicht die Verkehrswirtschaft und der Wettbewerb, die Technik hat die alten Lebens- formen zertrümmert." - Diese Polemik führt ganz vom Thema ab. Tech-

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nische Entwicklung und freier Wettbewerb sind so viel und so wenig an den Katastrophen der kapitalistischen Wirtschaft schuld wie etwa das Auto und die Verkehrshäufung an einem Unfall. Die Menschen tragen die Verantwortung, wenn sie sich einer neuen Aufgabe nicht gewachsen zeigen; von ihnen wird eine größere Verkehrssorgfalt verlangt und eine andere Grundeinstellung zu ihren Aufgaben gefordert, die sie die Technik ein- ordnen läßt in ihren Lebensstil - vielleicht sogar bei freiem Wettbewerb! - In materialistischer Weise die Technik (die Produktionsweise!) oder in kommunistischer die freie Konkurrenz als Ursache für das anzusehen, wofür ganz allein der materialistische Mensch verantwortlich gewesen ist - das eine ist so fatalistisch wie das andere !

Wir wollen ausdrücklich betonen: Es geht bei diesen Fragen nicht um die Stellungnahme für oder wider den Wettbewerb, wie es auch nicht für oder wider die Technik geht. Zur Entscheidung steht, wann und wieweit der freie Wettbewerb dem Besten des Volkes und dem Wohle der Gemein- schaft dient. Die Gründe dieser Entscheidung ergeben sich nicht aus dem Begriff des Wettbewerbes. Die Tauglichkeit des Wettbewerbes, das Wohl der Gemeinschaft zu fördern, ist nicht evident, sie muß begründet werden, Versucht man, sie aus dem bloßen Begriff abzuleiten, so verstrickt man sich in Trugschlüsse. Man geht von dem ganz richtigen Gedanken aus, daß Wettbewerb nicht zur Ruhe kommen kann, solange nicht ein gewisser Ausgleich herbeigeführt ist, und glaubt dann dogmatisch voraussetzen zu dürfen, daß dieser Ausgleich, dieses abstrakte Gleichgewicht gerade den harmonischen Zustand bedeutet, der das Wohlergehen der gesamten Volks- gemeinschaft verbürgt. Erkennt man den Fehler und lehnt die dogmatische Harmoniethese ab, versucht aber wiederum aus dem Wettbewerbsbegriff ein Kriterium für das praktische Verhalten zu gewinnen, so ist man keinen Schritt weiter gekommen. Das alte Dogma ist nur verschwunden, um einem neuen Platz zu machen.

Nach einer Erörterung über die Theorie des Wettbewerbes, die also ihrer Natur nach niemals eine Norm begründen kann, beginnt denn auch M i k s c h gleich den ersten Abschnitt über das allgemeine Wettbewerbs- recht, überschrieben: „Versuch einer Systematik" (S. 40) mit dem ge- sperrten Satz: (!) „Der Wettbewerb hat die Aufgabe, der echten wirtschaft- lichen Leistung zum Erfolge zu verhelfen." - Dieser Satz ist einer genauen Analyse wert. „. . . hat die Aufgabe . . ." deutet an, daß der Wettbewerbs- begriff dadurch definiert werden soll, daß eine Funktion des Wettbewerbes angegeben wird. Welcher Tatbestand liegt nun dem Umstände zugrunde, daß der Wettbewerb der wirtschaftlichen Leistung zum Erfolge verhilft? Die reine Theorie sagt dazu folgendes: Im Falle freien Wettbewerbes spielt sich am Markte ein Gleichgewicht ein, bei dem in den vollständig angepaßten Unternehmungen, die also ihre optimale Betriebsgröße haben, Marktpreis, Durchschnitts- und Grenzkosten einander gleich sind. Hier zeigt sich also die wirtschaftliche Bestleistung darin, daß jeder vollangepaßte Unternehmer das Produkt zu den geringsten Durchschnittskosten auf den Markt bringt. - Ist damit nun die „echte (!) wirtschaftliche Leistung" unter allen Um- ständen sichergestellt? - Offenbar nur für Harmoniegläubige. Dieser

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Mechanismus des Marktes bringt z. B. die nationale Landwirtschaft zum Ruin, wenn das Ausland auf diesem Gebiete der Wirtschaft „bessere Lei- stungen" aufzubringen vermag. - Das wissen natürlich Herausgeber wie Verfasser der besprochenen Reihe sehr gut. Eben deshalb sollten sie aber auch die einzig mögliche Schlußfolgerung ziehen, daß das Wettbewerbs- prinzip als solches die „echte (!) wirtschaftliche Leistung" noch nicht ver- bürgt, sondern daß noch nach einem Maßstab zu fragen ist, mit dessen Hilfe entschieden werden kann, ob die durch das Wettbewerbsprinzip ge- förderte Leistung z. B. die im nationalsozialistischen Sinne beste Leistung ist. - Daß M i k s c h auch in diesem Satze die Lücke des Gedankenganges empfindet, scheint mir das sonst gänzlich unmotiviert hinzugesetzte Wört- chen „echt" zu beweisen. Was ist aber das Kriterum der Echtheit ?

Man muß hier sehr genau zusehen und die Gedanken stets bis zu Ende denken. Begründet werden muß, inwiefern - gegebenenfalls : unter welchen Umständen - die „echte" Leistung durch den Wettbewerb am besten ge- fördert wird. Ihre Beantwortung setzt - um es bis zum Überdruß zu wieder- holen! - voraus, daß es für die echte Leistung einen Maßstab auch wirk- lich gibt, und daß ein solcher Maßstab von den „maßgebenden" Stellen ausdrücklich und unmißverständlich anerkannt ist.

Daß M i k s c h die Notwendigkeit eines solchen Maßstabes erkennt, zeigt die der soeben zitierten unmittelbar folgende Stelle : „Niedrige Kosten bei höchster Qualität der spezifischen beruflichen Leistung sind der ge- wünschte Maßstab" (S. 40 - 41). Im Anschluß daran führt er die altbekannte Fabel von Zuckerbrot und Peitsche der freien Konkurrenz an. In all diesem zeigt sich, daß er den gesuchten Ausweg aus dem Dilemma nicht findet.

Die Tatsache des Ausgleiches, auf die immer wieder zurückgegriffen wird, ist rein formaler Natur. Ausgleich der GTenzproduktivitäten z. B. ist die Bedingung des Ausgleiches einer jeden arbeitsteiligen Marktwirtschaft. Sofern die erstrebte nationalsozialistische Ordnung der Wirtschaft in sich ausgeglichen ist, genügt auch sie dieser Bedingung; denn diese Bedingung ist kein Postulat, sondern Instrument der Beschreibung eines Zustandes. In der nationalsozialistischen Ordnung soll aber nicht nur diese selbst- verständliche formale Ordnung verwirklicht sein, sondern wesentlich mehr: ein positives Ideal! - Ein Ausgleich stellt sich auch ein, wenn man die Wirtschaft sich selbst überläßt, er stellt sich ein, wenn man den Handel mit Zöllen und die Produktion mit Steuern belastet, er stellt sich ein, wenn es neben Millionären nur Bettler gibt. Aber ob diese gewisse Ordnung, die sich freilich bei freiem Wettbewerb ergibt, die vom deutschen Volke er- strebte und ihm gemäße ist, das steht nicht im geringsten fest. Diese Ord- nung hängt von einer ganzen Reihe von Umständen ab, deren Auswirkungen freien Lauf zu lassen der nationalsozialistische Staat keineswegs die Ab- sicht zu haben scheint.

Daß M i k s c h hier doch an eine gewisse Harmonie glaubt, geht er- stens daraus hervor, daß er sich bei der Frage nach dem Maßstab auf die Wirtschaftstheorie beruft, und zweitens daraus, daß er für die Fälle, in denen freier Wettbewerb sich nicht herstellen läßt, Maßnahmen von einer Form verlangt, „die den bei freier Konkurrenz zu erwartenden Verlauf

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möglichst nachahmt" (S. 46). Wir kennen dieses Postulat bereits aus der Böhmschen Arbeit; es würde voraussetzen, daß die unbedingte Eig- nung des freien Wettbewerbs zur Erzwingung der völkisch erstrebten Lei- stung bereits feststeht; wir gehen auf diese Frage nicht noch einmal ein.

Dadurch, daß sich die Vorkämpfer des freien Wettbewerbs zur Be- gründung ihrer Forderungen auf die Wirtschaftstheorie berufen, bringen sie die Theoretiker in ein schiefes Licht. - Wie unerläßlich die Vertrautheit mit der Theorie bei der Erörterung praktischer wirtschaftspolitischer Fragen ist, wird leicht verkannt; aber so erfreulich es ist, wenn die Bedeutung .der Theorie unterstrichen wird, so leistet man «der Theorie doch einen Bären- dienst, wenn man sie zur Begründung gerade der praktischen Thesen heran- zuziehen versucht, für die sie nun einmal infolge ihres Wesens nicht ge- eignet ist. Durch diesen Mißbrauch der Theorie wird wieder der Eindruck erweckt, als sei die Wirtschaftstheorie zu nichts anderem nütze, als um liberale Forderungen zu unterstützen. In Wirklichkeit ist aber der wissen- schaftliche Nimbus solcher Begründungen nur erborgt.

Wie lose überdies auch in dem vorgetragenen Gedankengange der Zu- sammenhang zwischen der Forderung freien Wettbewerbs und den theo- retischen Thesen ist, kann wohl kaum schlagender gezeigt werden als durch den Hinweis darauf, daß Miksch die theoretischen Lehrstücke, die er bei seinen Erörterungen heranzieht, in einer recht eigentümlichen Weise referiert, bei der zweifelhaft bleibt, wieweit er sie selbst verstanden hat. Das gilt für die nicht ganz leichten Lehrstücke, die er aus H. v. S t a e k e 1 - bergs „Marktform und Gleichgewicht" übernimmt, aber auch für ganz elementare Sätze der Kostentheorie.

Die Lehre von den Marktformen liefert zweifellos die theoretische Grundlage für alle Erörterungen über die zweckentsprechende Ordnung der Wirtschaft. Sie ist durchaus nicht nur eine Faustregel für das zweckent- sprechende Ordnen; aber sie liefert eben keine Norm, sie sagt in keiner Weise etwas darüber aus, ob ein bestimmter Markt im freien Wettbewerb geordnet werden soll, ob man ein Monopol schaffen oder abschaffen soll. Auch ein Monopol oder ein „konventionelles" Gleichgewicht beim Oligopol kann aus nationalpolitischen Gründen empfehlenswert sein; die Entschei- dung über diese Frage fällt auf Grund des von uns mehrfach geforderten politischen Ordnungskriteriums.

Ich sehe mich nun genötigt, auf die Art und Weise, wie M i k s c h in diesem Zusammenhang über die Theorie der Marktformen referiert, aus- führlich einzugehen, um die Darstellung dieser Lehren zu berichtigen.

Die Theorie der Marktformen wurde 1934 von H. v. Stackeiberg in „Marktform und Gleichgewicht" veröffentlicht. Auffallenderweise ver- meidet Miksch in dem ganzen Abschnitt „Die Theorie der Marktformen als Faustregel" (S. 20-27) und vorher den Namen v. Stackèlberg auch nur zu nennen.. Das ist um so merkwürdiger, als er auf S. 22 in Text und Anmerkung eine ganze Reihe Theoretiker zitiert, auf die er sich angeblich stützt, die aber eine ganz andere Seite dieser Theorie behandelt haben als H.v. Stackeiberg. Miksch aber fußt nur auf der Arbeit v. Stackel- be r g s. Es ist auch unverständlich, warum Miksch seinen Dank an

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E ti c k e n gerade in Anm. 19 zu diesem Abschnitt abstattet, obwohl dessen Einfluß sich auf das ganze Buch erstreckt und in anderen Teilen wohl er- heblicher ist als gerade hier, so daß man hätte erwarten sollen, daß dieser Dank an auffälligerer Stelle zu Beginn oder Ende des Heftes vermerkt worden wäre. v. Stackeibergs Name hätte aber in diesem Abschnitt wenigstens bei der von ihm übernommenen Tabelle auf S. 23 angeführt werden müssen, und das nicht nur, wenn man M i k s c h s Einfügung des Teilmonopols neben dem Oligopol zwischen Konkurrenz und Monopol für unwesentlich hält, vielmehr gerade dann, wenn man diese Ergänzung für wichtig hält, weil dadurch eine Auseinandersetzung mit v. Stackeiberg erforderlich wird. Faktisch sind für das Teilmonopol weder besondere theo- retische noch praktische Ausführungen gemacht, die sich nicht auch aus den v. Stackelbergschen Lehrstücken ableiten ließen, v. St a c k e 1 -

berg verwendete statt „Teilmonopol" den Ausdruck „unvollständiges Monopol" (S. 16).

Ebenso deutlich ist die Abhängigkeit in den weiteren Ausführungen über die Theorie der gleichgewichtslosen Mfvrktformen. Ich greife hier die Oligopol- theorie heraus. Auch in dem Exkurs, der sich mit ihr befaßt, wird der Name v. Stackeibergs erst auf der vierten Seite (S. 83) in der Bemerkung erwähnt, er habe das Problem „stark gefördert". Nein, H. v. Stackel- be r g hat diese Theorie überhaupt erst über die Ansätze bei Cournot, Edgeworth und B o w 1 e y hinaus zu einem vollständigen System ent- wickelt. Und niemand anders als er ist auch der geistige Urheber der Lehr- stücke über das Dyopol 1), die hier auf S. 80 ff. so mangelhaft referiert werden, daß kaum das Verständnis der übernommenen Thesen glaubhaft erscheint.

Es ist zur Erörterung des hier behandelten Gegenstandes nicht er- forderlich, die gesamte Theorie der Marktformen wiederzugeben, sondern es genügt, an einem Beispiel die Besonderheiten dieser Theorie zu zeigen. Ich kann mich deshalb auf eine skizzenhafte Wiedergabe der Dyopoltheorie beschränken, die sich zu diesem Zwecke besonders eignet. Hinzu kommt, daß gerade bei ihrer Wiedergabe M i k s c h einige Ungenauigkeiten unter- laufen, die nachher richtigzustellen sind.

v. Stackeiberg schickt die Dyopoltheorie aus didaktischen Grün- den der Oligopoltheorie voraus und baut diese dann auf ihr auf. Das mit Hinblick auf die in der statischen Theorie bisher üblichen methodologischen Vorstellungen merkwürdige Ergebnis seiner Untersuchungen ist, daß für die Dyopolisten „ein Handeln nach allen »gegebenen Umständen' überhaupt un- möglich ist, weil zu den gegebenen Umständen* . . . Tatsachen gehören, die nicht gleichzeitig das Verhalten eines Dyopolisten bestimmen können. Der Dyopolist muß also in jedem Falle . . . aus allen gegebenen Umständen einen Teil aussondern, nach dem er sich richten will" (22).

Während beim Polypol für jeden einzelnen Polypolisten das Konkurrenz- angebot eine Größe ist, die von seinem Verhalten unabhängig ist - denn jeder seiner Konkurrenten reagiert wiederum nur auf diese Größe als Ganzes,

*) Auch die Schreibweise „Dyopol" taucht erstmalig beiv. Stackel- be r g auf. Alle andern schreiben „Duopol".

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nicht aber auf das individuelle Angebot des erstbetrachteten Polypolisten - , hängen beim Dyopol Konkurrenzangebot und eigenes Angebot voneinandei ab; es gibt für den Dyopolisten A die beiden einander ausschließenden Mög- lichkeiten: entweder sich nach dem Konkurrenzangebot des B zu richten oder von der Voraussetzung auszugehen, B werde sich nach dem eigenen Angebot des A richten. Das gleiche gilt für B. Der Entschluß jedes der Dyopolisten, nach der „Marktherrschaft" zu streben oder „Mitläufer" zu sein, muß in die „gegebenen, Umstände" aufgenommen werden, wenn aus diesen ein eindeutiger Schluß auf den Marktverlauf möglich werden soll.

Es wäre noch zu berücksichtigen, daß die Dyopolisten sowohl Preis- wie Mengenpolitik treiben können; es würde aber zu weit führen, diese in analoger Weise zu behandelnden Fälle hier im einzelnen auszuführen. Es ergeben sich jedesmal je nach der erwähnten Entscheidung drei Möglich- keiten:

1. Beide Dyopolisten streben nach Marktherrschaf t (Bowleysches Dyo- pol);

2. beide Dyopolisten entscheiden sich für Mitläuferschaft (Cournotsches Dyopol);

3. ein Dyopolist strebt nach Marktherrschaft, der andere entscheidet sich für Mitläuferschaft (asymmetrisches, von v. Stackeiberg entwickeltes Dyopol).

Ein „natürliches" Gleichgewicht spielt sich nur im 3. Falle ein. In den ersten beiden Fällen ergibt sich kein „natürliches" Gleichgewicht, und es muß ein „konventionelles" geschaffen werden.

Nunmehr können wir uns den Ausführungen M i k s c h* zuwenden. Wir betrachten zunächst die folgenden Diagramme. Fig. 3 (S. 82) ist offenbar eine Wiedergabe von Abb. 1, Typ ß auf

S. 47 des v. Stackelbergschen Werkes. Die Kurvenschar soll vermutlich Indifferenzkurven darstellen, die Kurve a laut Unterschrift eine Reaktions- kurve des Dyopolisten A. M i k s c h bezeichnet aber die Abszisse seiner Darstellung mit M (Menge) und die Ordinate mit P (Preis). Das hängt wohl damit zusammen, daß er die Exposition, die v. S t a e k e 1 b e r g für seine Analyse gibt (S. 45), mißverstanden hat. Bei v. Stackeiberg heißt es: „Das Charakteristische der fünf Marktfigurationen ist das Auftreten von zwei Wirtschaftsindividuen, von denen jedes eine Gutsmenge auf dem Markte zum Umsatz bringt oder einen Marktpreis festsetzt und damit den Ophelimitätsindex oder den Gewinn des andern beeinflußt. Wir bezeichnen die beiden Wirtschaftsindividuen mit A und B, die von ihnen zum Umsatz gebrachten Gutsmengen oder die von ihnen festgesetzten Preise mit £ undv), und können sagen: der Ophelimitätsindex eines jeden der beiden Wirt- schaftsindividuen hängt von diesen beiden Größen ab. Auf dieser Grundlage können wir eine ganz allgemeine, sowohl für die Mengen- als auch für die Preispolitik gültige Analyse geben. Da Ç und y¡ sowohl Mengen wie Preise bedeuten können, so sprechen wir im folgenden einfach von den beiden „Werten" Ç und tq, wobei wir den Terminus „Wert" in seiner mathemati- schen Bedeutung verwenden." - Ç und y), die „Aktionsparameter" - um einen treffenden Ausdruck von Ragnar Frisch zu verwenden - der

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beiden Dyopolisten bezeichnen also entweder beide Mengen oder beide Preise. Nur unter dieser Voraussetzung lassen sich in dem behandelten Falle Indifferenzkurven in der Ç73 -Ebene zeichnen. Bei der von M i k s c h ge- wählten Bezeichnung sind die gezeichneten Kurven sinnlos.

- ^^^- - - - - - - - M I r 11 »1 A

Figur 3 und 4 (Miksch S. 82). Uj = Unabhängigkeitspimkt von A u, = Unabhängigkeitspunkt von B p = Preise M = Mengen a = Reaktionskurve von A b = Reaktionskurve von B C = Cournotscher Punkt

0 Typß S 0

g£ 5

Abb. 1 (v. Stackeiberg S. 47). Abb. 4 (v. Stackeiberg S. 50). UjJx = Indifferenzkurve von A durch Vx U,J, = Indifferenzkurve von B durch U, a = Reaktionskurve von A b = Reaktionskurve von B

Auch in Fig. 4 ist die Bezeichnung A und B der beiden Achsen schwer interpretierbar. Die Figur soll durch Eintragen der Indifferenzlinien und der Reaktionskurve für B in das Diagramm Fig. 3 entstanden sein. Und zwar soll die Eintragung ,,mit vertauschten Achsen" vorgenommen worden sein. Wie man das macht, daß man die Preisachse des einen Individuums auf die Mengenachse des anderen aufträgt, wird leider nicht verraten. Wenn dann

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trotzdem die Fig. 4 bis auf den Mangel der Interpretierbarkeit ihrer Achsen mit der Abb. 4, ßß v. S t a e k e 1 b e r g s (S. 50) im wesentlichen überein- stimmt, so liegt das nur daran, daß M i k s c h innerhalb seines Gedanken- ganges einen zweiten Fehler begeht, der den ersten aufhebt.

Es gibt Fälle, in denen der eine Aktionsparameter eine Menge, der andere einen Preis bedeutet, nämlich dann, wenn bei verbundenen Monopolen ver- glichen wird, ob die Mengenpolitik oder die Preispolitik vorzuziehen ist. Aber dann sind die entsprechenden Achsen Ma und P^ (bzw. Mb und Pa), und zwar für beide Monopolisten. Beim Aufeinanderlegen der Indifferenz- diagramme kommen dann die Ma- und Pt> -Achsen (bzw. die Mb- und P¿- Achsen) wieder aufeinander zu liegen. Beim Dyopol, von dem bei M i k s c h allein die Rede ist, kommt dieser Fall jedoch nicht vor.

Pie Fig. 4 ist aber auch bezeichnend für die Art, in der M i k s c h seine Selbständigkeit gegenüber v. Stackeiberg zu wahren sucht. Entscheidend für die vorgetragenen Thesen sind die Unabhängigkeitspunkte Uj und U2 (deren Name und Bezeichnung übrigens von v. Stackeiberg stammt) der Cournotsche Dyopolpunkt C und der Edgeworth-Bowleysche Dyopolpunkt 7t. Bei v. Stackeiberg, der die Reaktionskurven a und b der Einfachheit halber linear annimmt und der Übersichtlichkeit halber nur die beiden sie tangierenden Indifferenzlinien Jx und J2 zeichnet, treten diese Punkte klar hervor. Bei M i k s c*h findet man die Punkte nur nach einigem Suchen, weil die hier ziemlich belanglosen Indifferenzkurvenscharen das Bild eher verwirren als vervollständigen. Der Bowleysche Dyopolpunkt fehlt überdies, und der Cournotsche Dyopolpunkt ist infolge unglücklicher Reminiszenzen an die Monopoltheorie mit Hartnäckigkeit als „Cournotscher Punkt" bezeichnet. Auch die Beschreibung der Reaktionskurven als die Verbindung der „optimalen Punkte" des Indifferenzlinien (S. 81) ist sinnlos. ,, Indifferenz' '-Linien haben keinen „optimalen" Punkt, sie liegen in einer Ebene. Gemeint ist der maximale Punkt der Kurve, die entsteht, wenn man durch das Indifferenzgebilde einen senkrechten Schnitt zur £y¡-Ebene parallel zu einer der beiden Achsen legt. All das zeigt, daß dem Verfasser des Referats der ganze Zusammenhang nur in etwas rohen Umrissen verständlich gewor- den ist.

Ich wäre nicht so ausführlich auf diese Eigentümlichkeiten eingegangen, wenn der Mangel an theoretischem Verständnis nicht noch tiefer ginge. Mi k seh unterlaufen auch bei seiner Wiedergabe der einfachen Grund- tatsachen der Kostentheorie Fehler, die verraten, daß er diese Theorie nicht durchdacht hat und ganz von seineu Gewährsleuten abhängig ist. Daß er sich nicht auf jeden derselben verlassen kann, ist bedauerlich.

Fig. 1, S. 35 hat zunächst eine weitgehende Ähnlichkeit mit den üblichen Darstellungen der elementaren Kostenfunktionen, wenn auch die Gesamt- kostenkurve K und die Grenz- und Durchschnittskostenkurven GK und DK nicht richtig aufeinander abgestimmt sind. Richtig ist, daß die Abszisse von Q, des Schnittpunktes der Grenzkostenkurve und der Durchschnitts- kostenkurve, das Betriebsoptimum angibt. Verlängert man die Ordinate durch Q bis zu ihrem Schnittpunkt mit der Gesamtkostenkurve K, so sollte aber der Strahl vom Koordinatenanfang O bis zu diesem Schnittpunkt

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die Kurve K tangieren (Tangentenphänomen, wie die wirkungsvolle Bezeich- nung lautet); das tut er ganz und gar nicht. Ebensowenig entspricht die Tangente an K im Einheitspunkte dem zugehörigen Punkte der Grenz- kostenkurve. Sind das aber nur - freilich ziemlich sinnstörende - Unge- nauigkeiten, so ist die Lage des Betriebsminimums falsch angegeben. Das Betriebsminimum ist dadurch definiert, daß in ihm der Preis gerade noch die variablen Kosten deckt. Das trifft aber für das Minimum der Kurve der variablen Stückkosten zu und nicht für das Minimum der Grenzkosten- kurve; das hätte bei v. S t a e k e 1 b e r g in der „Reinen Kostentheorie4 ' auf S. 31 und bei Schneider in der „Theorie der Produktion" S. 75 nachgelesen werden können. Hier hat sich M i k s c h leider auf M e 1 1 e r o - v i e z verlassen, der in Band I seiner „Kosten und Kostenrechnung" S. 345 den gleichen elementaren Fehler macht.

Die Unklarheiten finden sich aber nicht nur bei der Beschreibung der Kostenfunktion. Bereits die Definition der Grenzkosten ist problematisch. Es heißt auf S. 34: „Die Grenzkosten (GK) sind diejenigen Durchschnitts- kosten, die einem Betriebe zusätzlich entstehen, wenn er eine bestimmte Menge von Einheiten mehr erzeugt." - Was damit definiert ist, ist ein Differenzenquotient; die sonstige Darstellung läßt in keiner Weise erkennen, daß M i k s c h von der üblichen Auffassung der Grenzkosten als des Diffe- rentialquotienten der Gesamtkostenfunktion abweichen will. Er ist in der Definition von Mellerovicz abhängig, der in Band I, S. 334 sagt: „Die Grenzkosten sind Einheitsdifferentialkosten, also nicht die Kosten des letzten Stückes, sondern die Durchschnittskosten der letzten Schicht." - Allerdings ist diese Definition schon bei Mellerovicz verworren.

Vergegenwärtigen wir uns nach diesen etwas breiten Ausführungen be- sonderer Eigentümlichkeiten des Referates über die einschlägigen Theorien die Hauptlinie des Gedankengangs noch einmal: Ausgangspunkt der Er- wägungen ist die nationalpolitische, und zwar nationalsozialistische Ziel- setzung; die Wirtschaft des Volkes hat den Gesamtbedarf des Volkes unter Rücksichtnahme auf die Belange der Volksgemeinschaft sicherzustellen. Eine genaue Formulierung dieses Zieles ist zur konkreten Lösung des Pro- blems der Ordnung der Wirthschaft erforderlich; sie ist Sache der politischen Führung des Staates. Bei der Ordnung der Wirtschaft unter Ausrichtung auf dieses Ziel dient die Wirtschaftstheorie lediglich als Grundlage für die Beantwortung der Fragen, auf welche Weise dieses - unabhängig von ihr gegebene! - Ziel erreicht werden kann, wenn weiterhin die genaue Kenntnis der realen Grundlagen der Wirtschaft: Reichtum des Landes, Bodenschätze, Klima, völkische Qualitäten usw. gegeben sind. Insbesondere kommt bei der Frage der Ordnung der Wirtschaft der Teil der Theorie in Betracht, der die Marktformen zum Gegenstand hat. Nachdem man seit langem Zweifel hatte, daß die klassischen Marktformen der freien Konkurrenz und des reinen Monopols die einzigen seien, gelang H. v. Stackeiberg die Entwicklung einer vollständigen Theorie der Marktformen, die es erlaubt, grundsätzlich die Voraussetzungen aufzuzeigen, unter denen Märkte eine Gleichgewichts- tendenz haben oder nicht. Märkte, denen diese Tendenz nicht innewohnt, die also kein „natürliches" Gleichgewicht haben, müssen durch Konvention

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oder staatliche Regelung zum Ausgleich gebracht werden; sie haben ein „konventionelles" Gleichgewicht, wie v. Stackeiberg im Anschluß an Erwin v. Beckerath sagt (vgl. Marktform und Gleichgewicht, S. 102).

Die wirtschaftspolitischen Postulate, die sich aus dieser theoretischen Klarstellung ergeben, hat v. Stackeiberg im 6. Kapitel seines Buches systematisch * dargestellt. Auch von diesem Abschnitt macht Mi k seh in seinem Heft mehrfach Gebrauch, ohne die Quelle genau zu verzeichnen. Man vermißt an Stellen, wo seine wirtschaftspolitischen Forderungen andera nuanciert sind, eine ausführliche Auseinandersetzung mit v. Stackel- be r g , der der geistige Urheber dieser Theorien ist.

Vergleicht man nun den hier skizzierten Gedankengang und den von M i k s c h , so wird jener grundsätzliche Fehler deutlich, auf den wir immer wieder hingewiesen haben.

An die Stelle des anderweit gesetzten Zieles der Wirtschaftsordnung wird von M i k s c h mehr noch als von Böhm das Prinzip des freien Wettbewerbs gesetzt. Der grundsätzliche Unterschied zwischen der wirt- schaftspolitischen Auffassung v. Stackeibergs in diesen Fragen und der von M i k s c h wird ohne weiteres deutlich, wenn man jdie Aufgaben, die jeder von beiden der Wirtschaftspolitik zuweist, miteinander vergleicht.

M i k s c h formuliert folgende fünf Aufgaben (S. 26) : „1. Überall, wo die Marktform der vollständigen Konkurrenz besteht, soll

die Marktverfassung der freien Konkurrenz eingeführt und gesichert werden. 2. Überall, wo die Marktform der vollständigen Konkurrenz herstellbar

ist, soll sie hergestellt werden. 3. Überall, wo die Marktform der vollständigen Konkurrenz hergestellt

worden ist, soll anschließend die Marktverfassung der freien Konkurrenz ein- geführt und gesichert werden.

4. Überall, wo eine Marktform der unvollständigen Konkurrenz besteht, soll die Marktverfassung der freien Konkurrenz durch die Marktverfassung der gebundenen Konkurrenz ersetzt werden.

5. Überall, wo eine Marktform der. unvollständigen Konkurrenz besteht und eine private Marktregelung eingeführt worden ist, soll diese durch die Markt- verfassung einer geordneten, gebundenen Konkurrenz ersetzt werden."

v. Stackeiberg dagegen mißt in einem starken Staate der Wirt- schaftspolitik gegenüber gleichgewichtslosen Märkten folgende beiden Funk- tionen zu (S. 102):

1. Ergänzung der selbsttätigen Wirtschaf tskräf te dort, wo sie nicht zu einem „natürlichen" Gleichgewicht gelangen, derart, daß ein „konventionelles" Gleich- gewicht entsteht (v. Stackeiberg merkt an, daß die beiden Ausdrücke „natürliches" und „konventionelles" Gleichgewicht von E. v. Beckerath stammen).

„2. Errichtung eines Wirtschaftssystems, das nicht nur überhaupt funk- tioniert, sondern mit einem vom Staate gewünschten Effekt funktioniert."

Er fügt weiter hinzu: „Es ist einleuchtend, daß der Staat, der auch eine an sich selbsttätig funktionierende Wirtschaft nach seiner Zielsetzung beein- flußt, niemals dort auf eine Verwirklichung seiner politischen Ziele verzichten wird, wo sein Eingreifen bereits aus rein wirtschaftstechnischen Gründen notwendig ist."

Da M i k s c h sich auf die Theorie der Marktformen stützt, so hätte er

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auf diese ihm nicht unbekannte Quelle hinweisen müssen, und zwar hätte er sich mit ihr grundsätzlich auseinandersetzen müssen; denn der bei ober- flächlicher Betrachtung vielleicht entstehende Schein der Verwandtschaft beider Forderungen erweist sich bei genauem Hinsehen als trügerisch.

Bei v. Stackeiberg wird die Norm der Wirtschaftspolitik aus- drücklich in der Wendung der These 2 „mit einem vom Staate gewünschten Effekt" vorausgesetzt. Bei M i k s c h steht in These 2 ein unbedingtes „soll". Warum soll die vollständige Konkurrenz hergestellt werden ? - Es mag sein, daß der Staat es wünscht, es mag sein, daß ein vom Staate ge- wünschtes Ziel durch die vollständige Konkurrenz am besten erreicht wird; das braucht gar nicht bestritten zu werden. Aber welches ist das Ziel und inwiefern wird es durch die vollständige Konkurrenz erreicht; das ist der Beweis, den ich in der ganzen Reihe Ordnung der Wirtschaft vermisse, und dessen Fehlen in dem Heft von Miksch so besonders deutlich zutage tritt.

v. Stackeiberg spricht hier nur von einer Funktion der Wirtschafts- politik, die beim Vorhandensein gleichgewichtsloser Märkte notwendig wird, um den Markt überhaupt zum Funktionieren zu bringen; bei ihm ist die Frage, ob denn der funktionierende Markt an sich erstrebenswert ist oder ob gar der im „natürlichen" Gleichgewicht ruhende Markt ein Ideal sei, über- haupt nicht angeschnitten; das liegt ganz außerhalb seines Themas. Er sagt auch nichts darüber, ob das „konventionelle" Gleichgewicht dem volkswirt- schaftspolitischen Ideal entspricht. Gerade im Hinblick auf diese letzte Frage wird vielleicht besonders deutlich, daß nur von der wirtschaftstechnischen Bedingung eines Marktgleichgewichtes die Rede ist, denn konventionelle Gleichgewichtslagen sind in jeder Situation mehrere denkbar. Welches man auswählt, hängt vom Ziel des Staates ab und es ist nicht etwa eine theoretisch begründbare Forderung, dasjenige Gleichgewicht herbeizuführen, das sich bei freier Konkurrenz einstellen würde! Hier liegt vielmehr gerade der ent- scheidende Fehler.

v. Stackeibergs „natürliches" und „konventionelles" Gleichge- wicht sind Zustìinde, in denen der Markt funktioniert. Ob er so funktioniert, wie der Staat es wünscht, ist mit der Feststellung des Funktionierens über- haupt noch nicht gesagt. Will man diese Frage entscheiden, so braucht man ein weiteres Kriterium, eben die Norm.

Die Bezeichnung „natürliches" Gleichgewicht scheint unter einem ma- gischen Fluch zu stehen, und das bei ihren Freunden wie bei ihren Feinden. Die einen scheinen in dieser „Natürlichkeit" eine Norm zu sehen, der zu folgen entweder unbedingt vorgeschrieben oder aber jedenfalls privat- wie volkswirtschaftlich nützlich ist. Den andern scheint sie irgendwie unver- brüchlich mit einer bestimmten Norm verbunden zu sein, so daß sie mit dieser Norm zugleich von ihnen bekämpft wird.

Es ist nicht ganz leicht, zwischen der Skylla und Charybdis dieser bei- den Vorurteile die fahrbare Straße auszumachen. Es gibt sie aber. Es be- steht weder eine prästabilierte Harmonie zwischen dem Naturnotwendigen und dem Gerechten, noch schließt das Bestehen „natürlicher" Tendenzen in der Volkswirtschaft die Möglichkeit der Wirtschaftsgestaltung nach poli- tischen Zielsetzungen aus.

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Norm und Theorie. 365

Wenn v. Stackeiberg sagt, es bestehe bei bestimmten Markt- formen ein „natürliches Gleichgewicht", so heißt das nicht mehr und nicht weniger als, daß beim Bestehen bestimmter Bedingungen das Streben wirt- schaftender Menschen zur Buhe kommt, weil keiner mehr die Möglichkeit hat, unter Beobachtung der Spielregeln seinen Gewinn zu steigern. Das „natürliche" Gleichgewicht fehlt, wenn es keine solche Ruhelage gibt, d. h. wenn in jedem Falle wenigstens einer der Beteiligten seine Lage noch ver- bessern kann.

Der Zustand des „natürlichen" Gleichgewichtes wird nun auf Grund einer politischen Wertsetzung beurteilt, gebilligt oder abgelehnt, weil z. B. der so funktionierende Markt Zielsetzungen des Staates verwirklichen hilft oder zu verwirklichen unmöglich macht.

Die Theorie gibt nur die Begründung, weshalb in einem gegebenen Falle „natürliches" Gleichgewicht besteht, sie sagt gar nichts darüber, ob der Zustand dem Ideal entspricht. Sie kann also durch den Nachweis des Funk- tionierens niemals die Erscheinungen eines Marktes rechtfertigen. Jeder Versuch, trotzdem aus der Theorie eine Norm abzuleiten, enthält einen Trug- schluß. Und dieser Trugschluß muß aufgezeigt werden. Das kann man natürlich nur, wenn man die Theorie hinreichend beherrscht. Mit der Aus- merzung dieses Trugschlusses ist dann die Notwendigkeit einer anderwei- tigen Begründung der fraglichen Norm gezeigt und die Theorie von einem Vorwurf befreit, der ihr von denjenigen gemacht werden zu können schien, die jene Norm ablehnen. Zugleich ist damit aber auch der Weg freigelegt, die Theorie zu den Zwecken zu verwenden, zu denen sie taugt: zu ent- scheiden, ob vorgeschlagene Mittel wirklich geeignet sind, erstrebte Zwecke zu erfüllen.

Schluß. Die hier verfochtene These, daß aus den Erfahrungssätzen der Theorie

sich keine Normen ableiten lassen und daß infolgedessen jeder Versuch, es trotzdem zu tun, so sicher einen Fehlschluß birgt wie das Unterfangen, den Zirkel zu quadrieren, ist zweifellos akademischer Natur, aber sie ist von* größter praktischer Tragweite. Vergegenwärtigen wir uns noch einmal den Grund, weshalb die „liberalistische" Wirtschaftslehre so in Verruf geraten ist: Sie war apologetisch; sie versuchte, den Kapitalismus theoretisch als naturnotwendige Erscheinung hinzustellen. Ich erinnere hier vor allem an die theoretischen Rechtfertigungsversuche des Kapitalprofites, die aus der Böhm-Bawerkschen Kritik jedem Fachgenossen bekannt sind. Ich behaupte, und ich habe das mehrfach zu begründen versucht, daß hier mit Scheinbeweisen gearbeitet worden ist - freilich nur selten in der bewuß- ten Absicht, zu täuschen; ich will niemandes Gutgläubigkeit in Zweifel ziehen; objektiv betrachtet hat es sich hier aber um einen ausgesprochenen Mißbrauch der Theorie gehandelt.

Heute besteht die Gefahr, daß der alte Fehler wiederholt wird. Es ist nicht uninteressant, zu sehen, wie verschieden sich der Vorgang auf dem Niveau des Böhmschen und dem des Mikschen Buches ausnimmt. Zum mindesten Böhm sieht die Gefahr des von mir unterstrichenen Fehl-

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366 Ham Peter, Norm und Theorie.

Schlusses ziemlich deutlich und er ist bemüht, ihn zu vermeiden. Bei ihm ist wenig mehr als eine gewisse Unscharfe in der Begriffsbildung festzustel- len, wenn er sich der Gefahrenzone nähert; eine Unscharfe, die - wenn ich den Vergleich wagen darf - dem unbewaffneten Auge verborgen bleibt. Bei M i k s c h dagegen zeichnen sich schon ziemlich deutlich altbekannte Gedankengänge ab, obwohl ich auch ihm keineswegs den Vorwurf machen möchte, daß er absichtlich über diese Schwierigkeiten hinweggegangen ist. Er ist aber bei der unzweifelhaft geringeren Schärfe seines theoretischen Denkens der Gefahr mehr unterlegen als B ö h m.

Das Schlagwort von der Harmonie der Interessen, geprägt in der Kritik an seinerzeit überlebten Verhältnissen, diente der doktrinären Rechtferti- gung interventionsloser Wirtschaftspolitik noch zu einer Zeit, als längst wie- der aus Vernunft Unsinn geworden war. Es war in der Wissenschaft längst tot und fristete nur noch in politischen Zirkeln ein bescheidenes Dasein; heute - ist es in der öffentlichen Meinung mehr ein Objekt des Spottes als des ernsten Kampfes. Wer heute eine Lanze für die freie Konkurrenz brechen will, sieht sich nach leistungsfähigeren Bundesgenossen um. Und es ist nicht uninteressant, daß sich mit einem neuen Begriff das alte Spiel zu. wiederholen beginnt. Wir haben gesehen, welche eigentümliche Rolle bei der Recht- fertigung der freien Konkurrenz ein Prinzip spielt, dem die Bezeichnung Leistungsprinzip gegeben wird. Das führt zu einer Begriffsverwirrung. Das „Leistungsprinzip" ist eine vom Nationalsozialismus erhobene Forderung, deren sachlicher Gehalt sehr deutlich und klar empfunden wird, die aber begrifflich zu bestimmen keine ganz einfache Aufgabe ist. Flugs schiebt sich nun an die Stelle dieses wertsetzenden Leistungsbegriffes ein äußer- lich ähnlicher formaler Begriff, der den Vorzug hat, in der Theorie der Konkurrenz Wirtschaft als terminus technicus scharf definiert zu sein. So schickt man sich an, unter Mißbrauch des Wortes „Leistungsprinzip" die nach Ausmerzung des Harmoniedogmas empfundene Lücke auszufüllen. Das Gefährliche eines solchen Mißbrauches politischer Begriffe is"t, daß zu Beginn bei oberflächlicher Betrachtung die Begriffsunterschiebung nicht er- kannt wird; man ist vielleicht sogar froh, ein neues Bekenntnis zu der poli- tischen Forderung feststellen zu können; und subjektiv ist es wohl auch bei den Bekennern so gemeint; sie glauben vielleicht, das zunächst nur gefühls- mäßig gewählte Schlagwort wissenschaftlich präzisieren zu können. In Wirk- lichkeit handelt es sich aber nicht um eine Präzisierung eines Wertungsbe- griffes, sondern um die Verdrängung einer Wertsetzung durch einen formalen Begriff, durch eine Leerstelle, die dann nachher beliebig ausgefüllt werden kann.

Principiis obsta!

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