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Es geschah im frühen 16. Jahrhundert, daß der Astronom Nikolaus Kopernikus, Domherr zu Frauenburg in Ermland, ein Buch über die Be- wegungen der Himmelskörper verfaßte. In die- sem Werk, „De revolutionibus orbium coele- stium“, entwarf Kopernikus ein völlig verän- dertes Weltbild, in dessen Mitte nicht mehr die Erde, sondern die Sonne stand. Das war natür- lich grober Unfug, denn jeder wußte, daß die Erde das Zentrum des Universums war, um das sich Mond und Sonne drehten. Genauso stand es auch in der Bibel. Und weil jeder dies wußte, erschien es Kopernikus nicht ratsam, seine Visionen preiszugeben. „Viermal neun Jahre“ lang hielt er sein lästerliches Buch unter Verschluß und publizierte es erst im Jahre sei- nes Todes, um der gefürchteten Kirchenstrafe zu entgehen. Etwa siebzig Jahre später verfiel ein Italiener, Galileo Galilei, dem gleichen Irrglauben. Im Unterschied zu Kopernikus hielt er es jedoch nicht für richtig, seine Sicht der Welt bis zum Tode zu verschweigen. In der 1610 erschiene- nen Schrift „Nuncius Sidereus“ („Der Stern- bote“) berichtete Galilei über das, was ihm sein selbstgebautes Fernrohr am Himmel ent- deckt hatte, wie z.B. die vier größten Monde des Jupiter. Damit widersprach Galilei dem all- gemein gültigen Weltbild, nach dem sich alles um die Erde drehte. Dennoch war er zu- versichtlich, das gesamte Kardinalskollegium in Rom mit Hilfe seines Fernrohrs überzeugen zu können. Diese Zuversicht erwies sich als trügerisch, denn die einen wollten nicht durch sein Fernrohr schauen und die anderen konn- ten nichts erkennen. Im Jahre 1616 wurden Galileis Theorien offiziell verboten, und das Buch des Kopernikus wurde auf den „Index Librorum Prohibitorum“ gesetzt. Als sich Gali- Kopernikus oder Galilei ? Nr. 6 I 1999 Zeitschrift des Zentrums für Dermatopathologie Freiburg Schriftleitung und redaktionelle Verantwortung: Wolfgang Weyers, Carlos Diaz, Imke Weyers, Susanna Borghi Druck: pronto Freiburg Inhalt: Zu diesem Heft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Was ist das ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Bunt gemischt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Der besondere Fall: Trichoblastom auf Naevus sebaceus . . . . . . . . . 6 Memories . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Für Sie referiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Das ist es ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Dermatologie einmal anders: 6 Fragen zur Exzision des malignen Melanoms 12 Bilderbuch der Biopsie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Klinische Befunde – histopathologisch erläutert . . 16 Galilei vor dem Inquisitionsgericht.

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Page 1: Nr. 6 · 5 „Lokalrezidiven“ bei dickeren Tumoren ist durch eine höhere Rate von Metastasen in loco leicht zu erklären. Dies schlägt sich auch in der „Sterbewahrscheinlichkeit

Es geschah im frühen 16. Jahrhundert, daß derAstronom Nikolaus Kopernikus, Domherr zuFrauenburg in Ermland, ein Buch über die Be-wegungen der Himmelskörper verfaßte. In die-sem Werk, „De revolutionibus orbium coele-stium“, entwarf Kopernikus ein völlig verän-dertes Weltbild, in dessen Mitte nicht mehr dieErde, sondern die Sonne stand. Das war natür-lich grober Unfug, denn jeder wußte, daß dieErde das Zentrum des Universums war, um dassich Mond und Sonne drehten. Genauso standes auch in der Bibel. Und weil jeder dieswußte, erschien es Kopernikus nicht ratsam,seine Visionen preiszugeben. „Viermal neunJahre“ lang hielt er sein lästerliches Buch unterVerschluß und publizierte es erst im Jahre sei-nes Todes, um der gefürchteten Kirchenstrafezu entgehen.

Etwa siebzig Jahre später verfiel ein Italiener,Galileo Galilei, dem gleichen Irrglauben. ImUnterschied zu Kopernikus hielt er es jedochnicht für richtig, seine Sicht der Welt bis zumTode zu verschweigen. In der 1610 erschiene-nen Schrift „Nuncius Sidereus“ („Der Stern-bote“) berichtete Galilei über das, was ihmsein selbstgebautes Fernrohr am Himmel ent-deckt hatte, wie z.B. die vier größten Mondedes Jupiter. Damit widersprach Galilei dem all-gemein gültigen Weltbild, nach dem sich allesum die Erde drehte. Dennoch war er zu-versichtlich, das gesamte Kardinalskollegiumin Rom mit Hilfe seines Fernrohrs überzeugenzu können. Diese Zuversicht erwies sich alstrügerisch, denn die einen wollten nicht durchsein Fernrohr schauen und die anderen konn-ten nichts erkennen. Im Jahre 1616 wurdenGalileis Theorien offiziell verboten, und dasBuch des Kopernikus wurde auf den „IndexLibrorum Prohibitorum“ gesetzt. Als sich Gali-

Kopernikus oder Galilei?

Nr. 6I 1999Zeitschrift des Zentrums fürDermatopathologie Freiburg

Schriftleitung und redaktionelle Verantwortung:Wolfgang Weyers, Carlos Diaz,Imke Weyers, Susanna Borghi Druck: pronto Freiburg

Inhalt:

Zu diesem Heft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1Was ist das ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2Bunt gemischt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2Der besondere Fall:

Trichoblastom auf Naevus sebaceus . . . . . . . . . 6Memories . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7Für Sie referiert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Das ist es ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11Dermatologie einmal anders:

6 Fragen zur Exzision des malignen Melanoms 12Bilderbuch der Biopsie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14Klinische Befunde – histopathologisch erläutert . . 16

Galilei vor dem Inquisitionsgericht.

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lei dennoch weiterhin für das kopernikanischeWeltbild aussprach, wurde er als Ketzer gefan-gengenommen und durch ein vom Papst ein-gesetztes Inquisitionsgericht zum Widerruf sei-ner Lehren verurteilt. Und was tat Galilei? Erwiderrief!

Hätte er nicht besser gleich geschwiegen? Ausder heutigen Sicht der Dinge muß man die Fra-ge verneinen. Hätte er nicht widerrufen sollen?Auch in dieser Hinsicht findet Galilei unserVerständnis, denn obgleich er zu unbefristeterHaft verurteilt wurde, entging er durch seinenWiderruf dem Scheiterhaufen.

So sind auch wir zum Widerruf bereit, dennauch wir haben gegen Lehrmeinungen ver-stoßen. Durch unseren Artikel „Exzision desmalignen Melanoms“ in der letzten Ausgabevon „pink & blue“ haben wir das allgemeinakzeptierte Weltbild der Melanomtherapie be-schädigt. Unsere Zuversicht, das „Kardinals-kollegium“ für unsere Sicht der Dinge gewin-nen zu können, erwies sich als ebenso trüge-risch wie die Galileis. Wir mögen keine Schei-terhaufen. Wir möchten nur in Frieden leben.Warum also sollten wir uns an Galilei keinBeispiel nehmen? So kommen wir der Pflichtzum Widerruf gern nach, zumal uns diesePflicht von berufener Seite abgenommen wird. Auf Aufforderung des Präsidenten der DDG,

Prof. Dr. Erwin Schöpf, drucken wir in unsererRubrik „Bunt gemischt“ eine „Stellungnahmedes Präsidenten der Deutschen Dermatologi-schen Gesellschaft und des Vorsitzenden derArbeitsgemeinschaft Dermatologische Onko-logie, Herrn Prof. Garbe, Tübingen,“ zu demoben erwähnten Artikel. Darüberhinaus habenwir verschiedenen Melanomexperten sechsFragen gestellt, die mit der Exzision des malig-nen Melanoms in Zusammenhang stehen. DieAntworten finden Sie in der Rubrik „Dermato-logie – einmal anders“.

Bunt gemischtDer jährliche Höhepunkt in der Welt der Der-matohistopathologie fand vor vier Monaten inMadrid statt. Evaristo Sánchez Yus und LuisRequena organisierten Anfang November das19. Kolloquium der International Society ofDermatopathology, an dem etwa 400 Derma-tologen und Pathologen aus aller Welt teilnah-men. Dem Titel der Veranstaltung – „New Re-actions, New Diseases, New Dermatopatho-logy“ – wurde vor allem in einer Sitzung überdie „Dermatopathologie der Immunsuppres-2

Was ist das?

Zu Gast in Freiburg: Mirjana Ziemer (vorn) bei der Diskus-sion von Präparaten mit Carlos Diaz und Susanna Borghi.

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sion“ Rechnung getragen. Mehrere Rednerwiesen darauf hin, daß typische HIV-assoziier-te Dermatosen infolge der neuen antiretrovira-len Therapie seltener würden. Dies gelte auchfür das Kaposi-Sarkom, das sich unter Behand-lung mit Proteaseinhibitoren häufig zu-rückbilde, so daß spezifische Therapiemaß-nahmen oft nicht erforderlich seien. Als Ne-benwirkung von Proteaseinhibitoren nannteClay Cockerell (Dallas) eine Fetthyperplasie,die zu einem cushingoiden Aussehen führe.Philip LeBoit (San Francisco) wies auf eineHIV-assoziierte Photodermatose hin, die mitstark juckenden, lichenoiden Papeln und Pla-ques einhergehe und histopathologisch durcheine psoriasiforme Dermatitis mit zahlreichennekrotischen Keratinozyten gekennzeichnetsei. Sehr viel seltener sei eine nicht-photopro-vozierte „lichenoide und granulomatöse Der-matitis bei HIV“, die histopathologisch einenLichen striatus vortäusche. O. Sanmartín undR. Valks aus Spanien diskutierten kutaneNebenwirkungen von Chemotherapeutika undbetonten, wie wichtig es sei, bei Biopsien eineChemotherapie auf dem Begleitschein anzu-geben. Chemotherapie-assoziierte Arzneimit-telreaktionen seien insbesondere von der graft-versus-host reaction nur schwer abzugrenzen.Klinisch gelänge diese Unterscheidung vorallem durch den Befall von Axillae und Leistenbei der Chemotherapie, während dieseRegionen bei der graft-versus-host reactionmeist ausgespart blieben.

Von Madrid zurück nach Freiburg: Auch imZentrum für Dermatopathologie kann mansich weiterbilden,und zwei Derma-tologinnen mach-ten Gebrauch da-von: zunächstkam Gilda Rossiaus der Schweiz,dann Mirjana Zie-mer aus Berlin,um mit uns zu mi-kroskopieren. Einwenig gedauerthat es natürlich,aber nach ein paarTagen hatten siesich dem Rhyth-mus des Mikro-skopierens ange-paßt und konntenviele Diagnosenselber stellen. Dar-überhinaus be-schäftigten sie sich

mit unserer Sammlung interessanter Präparate,und auch eine gemeinsame Publikation wurdein die Wege geleitet. Um Freiburg kennenzu-lernen, blieb fast zu wenig Zeit. Vielleichtgelingt das ja beim nächsten Mal – in einerwärmeren Jahreszeit!

Für eben diese Jahreszeit planen wir ein „Der-matopathologisches Sommer-Seminar“. Dasganztätige Schnittseminar wird am Samstag,den 17. Juli, ab 9.00 Uhr im Mikroskopiersaaldes Institutes für Pathologie der UniversitätFreiburg stattfinden und „Mesenchymale Tu-moren der Haut“ zum Gegenstand haben.Nach einer „Einführung in die Diagnose vonWeichteiltumoren“ (Prof. Adler, Institut für Pa-thologie der Universität Freiburg), der „Defini-tion von Begriffen“ (W. Weyers, Zentrum fürDermatopathologie) und der Vorstellung von„Algorithmen zur Diagnose von Weichteiltu-moren“ (Carlos Diaz, Zentrum für Dermatopa-thologie) werden wir repräsentative Präparateder wichtigsten kutanen Weichteiltumorenzeigen und versuchen, über eine Checklistemethodisch zur Diagnose zu führen. Am Nach-mittag werden im Rahmen der Besprechungder Präparate auch die wichtigsten Differen-tialdiagnosen im Bild vorgestellt. Nach Ab-schluß des Schnittseminars um 17.30 Uhr undeinem Bummel durch die Freiburger Altstadtlädt die Firma DAKO zu einem gemütlichenAusklang im Biergarten ein. Die Teilnahmege-bühr beträgt 30 DM. Da die Mikroskopier-plätze begrenzt sind, sollte die Anmeldung zuunserem „Dermatopathologischen Sommer-Seminar“ möglichst frühzeitig erfolgen.

Dermatopathologie-Kongreß in Madrid - die Leiter des Kongresses (Luis Requena sowie EvaristoSánchez-Yus und Frau, 2.,4.u.5.v.l.) zusammen mit Philip LeBoit (San Francisco), Carlos Misad-Saba (Santiago de Chile), und Wolfgang Weyers (Freiburg).

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Wie schon in der Einleitung zu diesem Hefterwähnt, fand die letzte Ausgabe von „pink &blue“ große Resonanz, vor allem der Artikelzur Exzision des malignen Melanoms. Von derFülle der Zuschriften waren wir selbst über-rascht, denn schließlich brachte unser Artikelnichts grundsätzlich Neues – eine Anpassungder Exzision an die tatsächliche Tumorausdeh-nung wurde in der Literatur schon mehrfachgefordert. Neu war vielleicht die Darstellung,für die unsere Rubrik „Dermatologie – einmalanders“ den passenden Rahmen bot: schonder Titel der Rubrik macht deutlich, daß hiernicht akzeptierte Lehrmeinungen vermittelt,sondern alternative Ideen dargestellt werdensollen, und daß es nicht um ausführliche Über-sichten geht, sondern darum, in knapper undprägnanter Form einmal eine andere Meinungeinmal anders zu vertreten.

Der Tenor der Zuschriften war geteilt. VieleKollegen pflichteten uns bei, zum BeispielProf. Grosshans aus Strasbourg, der die tradi-tionellen schematischen Exzisionsabständekürzlich in Frankreich zur Diskussion stellte(Ann Dermatol Venereol 1998; 125: 637–640),und Prof. Gartmann, der Nestor der deutschenDermatopathologie, der uns schrieb: „IhrenAusführungen über die Exzision des malignenMelanoms kann ich nach meinen jahrzehnte-langen Erfahrungen nur zustimmen.“ Ganz an-ders sahen dies Vertreter der Deutschen Der-matologischen Gesellschaft, was nicht weiterverwundert, denn kurz nach Drucklegung un-seres Heftes erschienen die Leitlinien der Qua-litätssicherungskommission zum malignenMelanom (Kaufmann R, Tilgen W, Garbe C,Hautarzt 1998; 48: S30–S38), in denen die vonuns kritisierten Therapierichtlinien erneut fest-geschrieben wurden. Zu unserem Artikel wur-de eine Stellungnahme von Prof. Erwin Schöpfaus Freiburg und Prof. Claus Garbe ausTübingen verfaßt, die wir nun im Wortlautabdrucken:

„Die derzeit gültigen Empfehlungen wurden inder Reihe Qualitätssicherung in der Onkologie5.2 unter der Überschrift „Diagnostische undtherapeutische Standards in der dermatologi-schen Onkologie“ im Zuckschwerdt Verlag1998 herausgegeben und sind inzwischenauch als Supplement des Hautarzt erschienen.Diese Standards wurden von der Arbeitsge-meinschaft Dermatologische Onkologie imAuftrage der Deutschen DermatologischenGesellschaft und der Deutschen Krebsgesell-schaft in Abstimmung mit den nachstehendaufgeführten Fachgesellschaften erstellt: Deut-sche Dermatologische Gesellschaft, Deutsche

Gesellschaft für Chirurgie, Deutsche Gesell-schaft für innere Medizin, Deutsche Gesell-schaft für Hämatologie und Onkologie, Deut-sche Gesellschaft für Pathologie, DeutscheGesellschaft für Frauenheilkunde, DeutscheGesellschaft für Radio-Onkologie, DeutscheRöntgengesellschaft. Für die Exzision malignerMelanome werden folgende Empfehlungengegeben:

Diese Empfehlungen wurden aufgrund dervorliegenden Datenlage formuliert, die ein ab-gestuftes Vorgehen nahelegt. Es ist gut belegt,daß die Potenz zur Metastasierung primärerMelanome mit steigender Tumordicke zu-nimmt. Dieses gilt sowohl für die Satellitenme-tastasierung als auch die regionäre und dieFernmetastasierung.

Veronesi et al. veröffentlichten 1988 eine Stu-die, in der bei Patienten mit Melanomen miteiner Tumordicke bis zu 2 mm mit Sicherheits-abständen entweder von 1 oder von 3 cm ope-riert wurde. Bei einer Tumordicke zwischen 1und 2 mm wurden mehrere Lokalrezidivebeobachtet, während diese bei den Tumorenbis 1 mm Tumordicke nicht vorkamen. In derletzten Präsentation der Daten dieser WHO-Studie im Juni 1998 in Rom waren inzwischen8 Lokalrezidive bei den Patienten mit mehr als1 mm Tumordicke und mit 1 cm Sicherheitsab-stand aufgetreten, während keine Lokalrezidi-ve in der Gruppe aufgetreten waren, die mit 3cm Sicherheitsabstand operiert worden war.Nach den Daten des Zentralregister MalignesMelanom verschlechtert sich bei Auftreten vonLokalrezidiven die Prognose für diese Patien-ten deutlich mit einer Sterbewahrscheinlich-keit von ca. 50%. Die WHO-Melanomgruppegab deshalb die Empfehlung zur Exzision miteinem Sicherheitsabstand von 1 cm nur fürMelanome bis 1 mm Tumordicke.

Balch et al. veröffentlichten 1993 eine Studie, inder bei Melanomen mit 1–4 mm Tumordickeeine Versorgung mit 2 cm Sicherheitsabstand4

Tumordicke Sicherheitsabstand*(in situ gemessen)

MM in situ/0,5 cm 1 cm Breslow 1 mm

Breslow > 1 mm bis 4 mm 2 cm

Breslow > 4mm 3 cm

*Bei Vorliegen zusätzlicher Risikofaktoren (z.B. Ulzeration, Regression)wird die Wahl des nächsthöheren Sicherheitsabstandes empfohlen

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„Lokalrezidiven“ bei dickeren Tumoren istdurch eine höhere Rate von Metastasen inloco leicht zu erklären. Dies schlägt sich auchin der „Sterbewahrscheinlichkeit von ca.50 %“ bei „Auftreten von Lokalrezidiven“ nie-der. Die schlechte Prognose dieser Patientenist jedoch nicht durch die Satellitenmetastasenselbst bedingt, sondern durch Metastasen inanderen Organen, die durch größere Exzisio-nen nicht beeinflußt werden. Wie in unseremArtikel (pink & blue 1998; 5: 13–16) erwähnt,sind Satellitenmetastasen als Hinweis auf eineweitergehende Metastasierung zu werten. BeiMelanomen unter 2 mm Dicke treten tumorna-he Metastasen nur selten auf (in der Studie vonVeronesi bei 8 von 612 Patienten, entspre-chend 1,3%). Bei weiter fortgeschrittenen Me-lanomen sind sie naturgemäß häufiger, je-doch, wie die Autoren der Stellungnahme rich-tig schreiben, auch durch Einhaltung der emp-fohlenen Sicherheitsabstände nicht zu ver-hindern. In den soeben publizierten Leitliniender DDG zur Melanomtherapie heißt es wört-lich: „Bei Patienten mit dünneren Melanomensind ausgedehnte Eingriffe nicht notwendig,und bei Patienten mit dickeren Melanomenbleibt ein radikales operatives Vorgehen eben-falls ohne Einfluß auf das Risiko der Fernme-tastasierung.“ Wie verträgt sich dies mit denEmpfehlungen zum Exzisionsabstand und derAndrohung von „forensischen Konsequen-zen“ ?

Der Hinweis auf forensische Konsequenzenwiderspricht im übrigen der eigenen Defini-tion von „Leitlinien“ durch die DDG (Hautarzt1998; 49: 885 – 886), denn im Unterschied zu„Richtlinien“, „deren Nichtbeachtung definier-te Sanktionen nach sich zieht,“ handelt es sichbei „Leitlinien“ um „Orientierungshilfen…, vondenen in begründeten Fällen abgewichen wer-den kann oder sogar muß.“ Ob von den Leit-linien der DDG zur Melanomexzision „abge-wichen werden kann oder sogar muß,“ versu-chen wir, in der Rubrik „Dermatologie – ein-mal anders“ durch konkrete Fragen an ver-schiedene Melanomexperten weiter zu be-leuchten.

zu vergleichbaren Ergebnissen führte wie in derKontrollgruppe mit 4 cm Sicherheitsabstand.Deshalb wird ein Sicherheitsabstand von 2 cmfür Tumoren in dieser Dickenklasse als ausrei-chend angesehen. Ob beim Melanom über4 mm Tumordicke die Erweiterung von 2 auf3 cm zu mehr Sicherheit führt, ist bisher nichtbelegt. Es existieren aber auch keine gesicher-ten Daten für die Behauptung, daß man auf2 cm Sicherheitsabstand generell reduzierenkönnte. Solange dazu keine harten Daten vor-liegen, sollte im Interesse der Sicherheit der Pa-tienten an den 3 cm Sicherheitsabstand bei Tu-moren mit mehr als 4 mm Tumordicke festge-halten werden. Auf dieses Vorgehen verständig-ten sich die oben genannten medizinischenFachgesellschaften.

Auch bei Einhaltung dieser Sicherheitsabständesind immer noch Lokalrezidive und Satelliten-metastasen zu verzeichnen, die in einerGrößenordnung von annähernd 5 % liegen.Leider sehen wir in zunehmendem Maße Pa-tienten mit Melanomen, die nach inadäquater,zu kleiner ambulanter Exzision erst mit einemLokalrezidiv in die Klinik kommen. Im Interesseder Patienten und der Qualitätssicherung derdermatologischen Versorgung erscheint es ausder Sicht unserer heutigen ärztlichen Ethik ge-boten, die Patienten über die Verschlechterungihrer Prognose aufzuklären und gegebenenfallsauf die inadäquate Erstversorgung hinzuweisen.Wir müssen auch damit rechnen, daß ein zu-nehmender Teil der Patienten sich über dieStandards der Versorgung im Internet infor-miert. Die Empfehlungen sind bei der Arbeits-gemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizini-schen Fachgesellschaften abrufbar.

Es wird allen Ärzten, die verantwortliche Be-handlungen maligner Melanome vornehmen,dringend geraten, sich an die heute gültigenEmpfehlungen zur Exzision maligner Melano-me zu halten. Sie stellen die Rationale unsererderzeitigen Kenntnisse für eine bestmöglicheBehandlung des Melanoms dar. Nach der jetzterfolgten Veröffentlichung der diagnostischenund therapeutischen Standards ist bei Abwei-chungen von diesen Empfehlungen gegebe-nenfalls auch mit forensischen Konsequenzenzu rechnen.“

Zu diesem langen Exposé sei noch ein kurzerKommentar erlaubt: Wie in fast allen Studien(einschließlich der von Schöpf und Garbe zi-tierten Arbeit von Veronesi) vermißt man auchin der vorliegenden Stellungnahme die wich-tige Unterscheidung zwischen dem Rezidiveines unvollständig entfernten Primärtumorsund Satellitenmetastasen. Die höhere Zahl von

Our fundamental principle is thatevery question which can bedecided by logic can be decidedwithout further machinery.

Ludwig Wittgenstein

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Der besondere FallTrichoblastom auf Naevus sebaceusChristel Hoffmann (Kenzingen) und Wolfgang Weyers (Freiburg)

Ein 44jähriger Patient stellte sich wegen einerseit dem Kleinkindesalter bestehenden Haut-veränderung am behaarten Kopf vor, die sichin letzter Zeit verändert habe. Im Zentrumeines leicht elevierten, gelblich getönten Pla-que waren filiforme verruköse Veränderungenaufgetreten. Anhand einer oberflächlichenBiopsie wurde die Diagnose eines Basalzell-karzinoms gestellt. Daraufhin wurde der Tu-mor in toto exzidiert. Im nun vorliegendengrößeren Exzidat ließ sich die Diagnose einesBasalzellkarzinoms nicht bestätigen: es han-delte sich um ein Trichoblastom auf dem Bo-den eines Naevus sebaceus.

Trichoblastome und Basalzellkarzinome sindvor allem in kleinen Biopsaten schwer zu un-terscheiden, da sie die gleiche Differenzierungzeigen: in beiden Fällen entsprechen die neo-plastischen Zellen den germinativen Zellendes Haarfollikels, die kleine, basophile Kerneaufweisen und randständig zur Palisadenstel-lung neigen. Der Name „Trichoblastom“ wur-de 1970 von Headington eingeführt, der an-hand geringfügiger Unterschiede vier Typengutartiger Tumoren des Haarfollikelkeims un-terschied: das Trichoblastom, das trichoblasti-sche Fibrom, das trichogene Trichoblastomund das trichogene Myxom. Diese komplizier-te Klassifikation setzte sich jedoch nicht durch,da die Definitionen unscharf waren und sichdie verschiedenen Typen als nicht abgrenzbarerwiesen. 1993 dehnte Ackerman den Begriff„Trichoblastom“ auf alle gutartigen Neoplasienaus, die vornehmlich von germinativen Zellendes Haarfollikels gebildet werden. Diese Defi-nition schloß neben anderen Varianten auchdas Trichoepitheliom mit ein.

Von seinem bösartigen Gegenstück, demebenfalls aus germinativen Zellen des Haarfol-likels bestehenden Basalzellkarzinom, unter-scheidet sich das Trichoblastom vor allemdurch seine Gesamtarchitektur, die den gutar-tigen Charakter widerspiegelt: das Trichobla-stom ist in der Regel symmetrisch aufgebautund scharf begrenzt, weist relativ viel Stromaauf, das dem Bindegewebe der normalen Haar-follikelscheide ähnelt, und besteht aus Zellag-gregaten von etwa gleicher Größe und gleich-mäßiger Anordnung. Darüberhinaus zeigt dasTrichoblastom eine fortgeschrittene follikuläre

Gelblicher, zentral eingesunkener Plaque (Naevus sebaceus)mit rötlichem, teilweise verrukösem Tumor im Zentrum(Trichoblastom)

In der ersten Biopsie aufgefaltete Epidermis mit fokaler Hyper-keratose, dem klinischen Eindruck eines verruciformen Pro-zesses entsprechend. Ferner ein Fragment basophiler Tumor-zellen (Pfeil), das zur Diagnose eines Basalzellkarzinoms führ-te. Ein Trichoblastom war in dieser Biopsie nicht abgrenzbar.

In Nachexzidat leicht aufgefaltete, hyperkeratotische Epider-mis, von der an mehreren Stellen Aggregate basophiler Tu-morzellen ausgehen, ein superfizielles Basalzellkarzinom vor-täuschend (kleine Pfeile). In der mittleren Dermis Anschnitteapokriner Drüsen (großer Pfeil), die beim Naevus sebaceushäufig nachweisbar sind.

Die Tumorverbände ähneln einem Basalzellkarzinom wegender kleinen basophilen Zellkerne und der Palisadenstellung deräußeren Zellreihe. Im Unterschied zum Basalzellkarzinom ent-spricht das feinfibrilläre Stroma jedoch dem Bindegewebe derHaarfollikelscheide, und es findet sich eine fortgeschrittene fol-likuläre Differenzierung (Bulbus und follikuläre Papille, s. Pfeil).

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Differenzierung, die die Follikelbildung in derEmbryonalzeit nachvollzieht: ebenso wie beimEmbryo und im frühen Anagenstadium desHaarfollikels ein neuer Follikelkeim durch epi-thelnahe mesenchymale Zellen induziert wird,sind auch beim Trichoblastom die germinati-ven Zellen eng mit Bindegewebszellen assozi-iert. Die follikuläre Differenzierung kann vongut ausgebildeten Follikelbulbi mit follikulärenPapillen über Trichohyalingranula und Haar-schäfte bis hin zu voll entwickelten Follikelab-schnitten reichen. Sind solche Strukturen zusehen, ist die Diagnose einfach; fehlen sie je-doch, kann in kleinen Biopsaten, die die Ge-samtarchitektur nicht widergeben, eine Ab-grenzung vom Basalzellkarzinom unmöglichsein.

Das Trichoblastom kann als solitärer Tumor,multipel im Rahmen eines Brooke-Spiegler-Syndroms und auf dem Boden eines Naevussebaceus entstehen. Der Naevus sebaceus istein Hamartom der gemeinsamen embryonalenAnlage von Haarfollikel, Talgdrüsen und apo-krinen Drüsen. Er ist daher häufig mit Neopla-sien entsprechender Differenzierung assozi-iert, zum Beispiel mit dem Sebaceom, demapokrinen Syringocystadenoma papilliferum

und dem follikulären Trichoblastom. In der äl-teren Literatur wird auf die Assoziation vonNaevi sebacei mit Basalzellkarzinomen hinge-wiesen, die über 10% betragen soll. Diese An-gaben stammen jedoch aus einer Zeit, in derdas Trichoblastom noch nicht vom Basalzell-karzinom differenziert werden konnte. Tatsäch-lich kommen Basalzellkarzinome auf Naevisebacei vor, und auch in Assoziation mit Tri-choblastomen wurden sie beschrieben, eben-so wie sich maligne Melanome auf dem Bo-den melanozytärer Naevi entwickeln können.In beiden Fällen handelt es sich jedoch um ei-ne Rarität. Die früher ausgesprochene Empfeh-lung, Naevi sebacei wegen einer hohen Nei-gung zur Entwicklung maligner Tumorengrundsätzlich in toto zu entfernen, ist in dieserForm nicht aufrecht zu erhalten.

Literatur:Ackerman AB, De Viragh PA, Chongchitnant N. Neoplasmswith follicular differentiation. Philadelphia, London: Lea &Febinger, 1993, 359–422.Headington JT. Tumors of the hair follicle: A review. Am JPathol 1976; 85: 479–514.Smolin T, Hundeiker M. Plattenepithel- undBasalzellkarzinome im Naevus sebaceus (Jadassohn). ZHautkr 1986; 61: 267–282.

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MemoriesZylindrom („Spiegler-Tumor“) – 100 Jahre

Die Geschichte der Medizin ist eine Ge-schichte des Irrtums. Nur selten wurden neueErkenntnisse auf direktem Wege erreicht; vielhäufiger war der Umweg über Irrtümer, dieerst als solche erkannt werden mußten, umdurch neue Überlegung auf dem Pfad der Er-kenntnis voranzukommen.

Umwege und Stolpersteine kennzeichnenzum Beispiel die Geschichte epithelialer Tu-moren. Über Jahrhunderte glaubte man, Epi-theltumoren enstünden durch Kondensationvon „schwarzer Galle“. Der Begründer derZellularpathologie, Rudolf Virchow, behaupte-te standhaft, sie gingen aus Bindegewebs-zellen hervor, und die Autorität seines Wortesverhalf diesem Irrtum zu langem Leben.Wilhelm His gelang es 1865, Endothelzellenvon Epithelzellen zu unterscheiden, und vonnun an wurden Endothelzellen zum Aus-

gangspunkt von Karzinomen erklärt. DieseAnsicht hielt sich auch, nachdem es Thierschund Waldeyer gelungen war, durch Serien-schnitte einen direkten Übergang von Epithe-lien und Karzinomanteilen nachzuweisen.Zwar wurde für viele Karzinome nun ein epi-thelialer Ursprung anerkannt, doch andereEpitheltumoren galten nach wie vor als Endo-theliome, zum Beispiel das kutane Zylindrom,das Eduard Spiegler vor genau 100 Jahren un-ter dem Titel „Ueber Endotheliome der Haut“beschrieb.

Eduard Spiegler, 1860 in Wien geboren, warDoktor der Medizin und der Chemie. Ab 1892arbeitete er an der Wiener Universitäts-Haut-klinik unter Moriz Kaposi, und im Jahre 1902wurde er Nachfolger von Johann Heinrich Ril-le als Leiter der dermatologischen Abteilungder Wiener Allgemeinen Poliklinik, eine Posi-

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Störung der gemeinsamen Anlage für Haar-follikel, Taldrüsen und apokrine Drüsen zu-grunde zu liegen. Obwohl das Zylindrom über-wiegend als solitärer Tumor vorkommt, sprichtvor allem die Assoziation mit Trichoepithelio-men im Rahmen des Brooke-Spiegler-Syndromsdafür, das Zylindrom als eine gutartige Neopla-sie mit apokriner Differenzierung aufzufassen.

Über Spieglers ursprüngliche Interpretation desZylindroms als Endotheliom mag man heute

lächeln, wie übermanch anderen Irr-tum der Vergangen-heit. Man übersähedann jedoch, daßangesichts des gefäß-reichen Stromas diekorrekte Einordnungdes Zylindroms vor100 Jahren schwierigwar, und daß in wei-teren 100 Jahren un-sere Nachwelt übermanche Konzeptevon heute nicht nurlächeln, sondernschallend lachenwird (zum Beispielüber die Vorstellung,durch Exzision ge-sunder Haut ließensich Fernmetastaseneines Melanoms ver-hindern).

Man übersähe dabeiauch, daß Irrtümereine Funktion erfül-len, nämlich die, zuirritieren und zu ei-nem genaueren Stu-dium des Sachverhal-tes anzuregen. Einerder führenden Der-

matopathologen dieses Jahrhunderts, HermannPinkus, schrieb dazu im Jahre 1982: „Ebensowie es nützliche und schädliche Mikroben gibtund ebenso, wie wir die schädlichen deutlicherwahrnehmen als die nützlichen Symbionten, dieunser Leben ermöglichen, genauso verhält essich mit Ideen. Man akzeptiert Ideen, die mitanderen Konzepten vereinbar sind, ohne siegroß in Frage zu stellen und fast unterbewußt,während abwegige Ideen eine defensiveAbwehrhaltung provozieren. Die Abwehr gegenMikroben kann eine Immunität bewirken. DieAbwehr gegen abwegige Ideen kann zu neuenErkenntnissen führen.“

tion, die er bis zu seinem frühen Tod im Jahre1908 innehatte.

Vor Spiegler hatten u.a. der Brite Henry Ancellund der Franzose Antonin Poncet über multipleZylindrome berichtet, doch erst durch Spieg-lers Schilderung als „über das Hautniveau ku-gelig hervorragende, von normaler Hautbedeckte, weiche, mit der Kopfhaut verschieb-bare Tumoren“ wurden sie allgemein bekannt.Histopathologisch ergab sich das Bild „einesverzweigten Netzwer-kes von Zellschläu-chen“, die „von ei-nem schmalen Sau-me einer durchaushomogenen Masse,die sich mit Eosinschwach rosa ... färbt,“umgeben waren. Indiesen Worten stellteSpiegler die wichtig-sten diagnostischenKennzeichen desZylindroms heraus,nämlich verweigte Tu-morverbände, die imzweidimensionalenAnschnitt als Puzzle-förmig ineinander-greifende Epithel-inseln erscheinenund eine homogeneeosinophile Begren-zung durch Basal-membranbestandteileaufweisen. In denTumorve rbändenfand Spiegler dar-überhinaus „verein-zelte Kapillaren,…welche an ihrerAußenseite bedecktsind mit regelmäßigangeordneten, aufder Gefässwand senkrecht stehenden, grossen,schön gefärbten distincten kubischen Zellen.“ Erschloß daraus, daß es sich „um Wucherung derZellen der Capillargefässe, also um Wucherungvon Endothelzellen handelt,“ so daß die Tu-moren „mit Recht als 'Endotheliome' sensu stric-tu zu betrachten“ seien.

Trotz dieser Fehlinterpretation werden kutaneZylindrome bis heute als „Spiegler-Tumoren“bezeichnet, und ihre häufige Kombination mitmultiplen Trichoepitheliomen ist als „Brooke-Spiegler-Syndrom“ bekannt. Dieser autosomaldominant vererbten Erkrankung scheint eine

Eduard Spiegler (1860-1908)

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Für Sie referiertDie Pityriasis versicolor, die durch Hefepilzedes Genus Malassezia verursacht wird, trägtihren Namen wegen der Ausbildung unter-schiedlich pigmentierter Hautveränderungen.An der Universität Gießen wurde festgestellt,daß Malessezia furfur in der Lage ist, ausTryptophan ein breites Spektrum von Pigmen-ten zu synthetisieren (v.a. Indol-Derivate). Eindurch starkes Schwitzen erhöhtes Trypto-phan-Angebot in der Hornschicht könnte fürdie Pigmentsynthese durch Malassezia furfurund damit für die Hyperpigmentierung beiPityriasis versicolor verantwortlich sein (Ma-yer P et al.: Mycoses1998; 41: 265–271).Weiterführende Un-tersuchungen dergleichen Arbeitsgrup-pe ergaben eine UV-protektive Wirkungdieser Pigmente, waszum einen die Hypo-pigmentierungen beiPityriasis versicolor,zum anderen dasFehlen einer erhöh-ten UV-Empfindlich-keit der betroffenenPatienten erklärenkönnte (Mayser P,Pape B: Antonie vanLeeuwenhoek 1998;73: 315–319).

In St. Louis wurde dernatürliche Verlaufvon Condylomataacuminata bei Kin-dern überprüft. Ohnejegliche Therapie lagdie Remissionsrateinnerhalb eines Jah-res bei 75% (n=8).Spontanremissioneneinige Monate nacherfolgloser Therapiewurden in 49 % beo-bachtet (n=33), wäh-rend Remissionenwährend der Durch-führung verschiede-ner Therapieformen(u.a. Podophylloto-xin, Kryotherapie,Elektrokaustik) mit27 % selten waren

(n=33). Kondylome, die mehr als zwei Jahrebestanden, neigten nicht zur spontanen Rück-bildung. Für Kondylome mit einer Bestands-dauer von weniger als einem Jahr empfahlendie Autoren die „aktive Nicht-Intervention.“(Allen AL, Siegfried EC: J Am Acad Dermatol1998; 39: 951– 955).

Der Naevus depigmentosus ist gekennzeich-net durch einen hypopigmentierten Fleck, derin Größe und Form unverändert bleibt. In Ko-rea wurden 67 Fälle von Naevus depigmento-sus untersucht. Bei über 90% der Patientenmanifestierte sich der Naevus vor Abschlußdes 3. Lebensjahres. Die häufigste Lokalisationwar der Stamm. Melanozyten waren in ihrer

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ter erschwert. Auch klinisch wurde in drei vonvier Fällen ein melanozytärer Tumor vermutet.Das pigmentierte atypische Fibroxanthom istdemnach sowohl klinisch als auch histopa-thologisch ein Simulator des malignen Mela-noms (Diaz C et al.: Histopathology 1998; 33:537– 541).

Der Nutzen von INF-α für die Therapie desHIV-assoziierten Kaposi-Sarkoms ist gut doku-mentiert. In Heidelberg wurden drei Patientenmit klassischem Kaposi-Sarkom mit INF-α2abehandelt (3–18 Mill. IU dreimal pro Wochesubkutan über 8–20 Monate). Bei allenPatienten kam es innerhalb von vier Monatenzur Tumorregression. Obwohl humanes Her-pesvirus-8 weiterhin nachweisbar blieb, hiel-ten die Remissionen bei zwei Patienten auchnach Absetzen der Therapie über viele Monatean (Deichmann M et al.: Br J Dermatol 1998;139: 1052–1054).

In Finnland wurde das Verhalten verschiede-ner Schlüsselfaktoren des Kollagenbildung un-ter externer Therapie mit Betamethason über-prüft. Während sich für die mRNA der Lysyl-oxidase (cross-linking von Kollagenmolekü-len) sowie der Matrix-MetalloproteinasenMMP-1 und MMP-2 (Abbau von Kollagen)keine Veränderungen ergaben, fand sich dreiTage nach Therapiebeginn eine starke Ab-nahme von Typ-I- und -III-Kollagen-Propepti-den in der Flüssigkeit von Saugblasen. Auchfür die mRNA von Typ-I-Kollagen wurde einedeutliche Abnahme festgestellt. Die dermaleAtrophie unter Corticosteroid-Therapiescheint durch eine Modulation von Genen derKollagensynthese mit Abnahme funktionellerKollagen-mRNA bedingt zu sein (Oikarinen Aet al.: Br J Dermatol 1998; 139: 1106 –1110).

Zahl nicht verändert, wiesen jedoch elektro-nenmikroskopisch eine starke Reduktion vonMelanosomen auf. Der Naevus depigmento-sus scheint auf einer Störung der Melano-somen-Produktion durch Melanozyten zuberuhen (Lee HS et al.: J Am Acad Dermatol1999; 40: 21–26).

In Australien wurden 455 Patienten dermatolo-gisch untersucht, bei denen Organtransplan-tationen vorgenommen worden waren. 5 Jahrenach der Organtransplantation wiesen 31%der Patienten Hautkarzinome auf, nach 10Jahren sogar 43%. Das Verhältnis von Platten-epithel- zu Basalzellkarzinomen lag bei etwa3:1 (Ong CS et al.: J Am Acad Dermatol 1999;40: 27–34.).

In einer gemeinsamen Arbeit des Zentrums fürDermatopathologie Freiburg und des Zen-trums für Dermatologie und Andrologie derJustus-Liebig-Universität Gießen wurde daspigmentierte atypische Fibroxanthom be-schrieben. Das atypische Fibroxanthom isteine oberflächliche und prognostisch günstigeVariante des malignen fibrösen Histiozytoms.Wegen der oberflächlichen Lokalisationkommt es nach Mikrotraumata häufig zu Ein-blutungen. Die neoplastischen Zellen sind auf-grund ihrer histiozytären Differenzierung inder Lage, Erythrozyten zu phagozytieren undHämosiderin in ihrem Zytoplasma zu spei-chern. Dieses Phänomen wurde bei 4 von 38Tumoren beobachtet. In allen vier Fällen wie-sen die neoplastischen Zellen stark atypische,pleomorphe Kerne und reichlich Zytoplasmaauf und waren schon deshalb von Zellen einesnodulären Melanoms schwer abzugrenzen.Die Differentialdiagnose wurde durch die in-trazytoplasmatische Pigmentspeicherung wei-

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Das ist es !

Es handelt sich um Zylindrome. Diese Diagno-se ergibt sich aus der Zahl der Tumoren, ihrerLokalisation und ihrem Aussehen. Zwar kom-men Zylindrome in 90 % der Fälle als solitäreTumoren vor, das multiple Auftreten ist jedochbesonders typisch, da es nur bei wenigen an-deren Neoplasien beobachtet wird, zum Bei-spiel bei Trichoepitheliomen, Syringomen, An-giofibromen, Neurofibromen und Leiomy-omen. Gegen diese Differentialdiagnosen spre-chen zum einen die Größe, zum anderen diedichte Aggregation der Tumoren. So könnenmultiple Trichoepitheliome und Angiofibromezwar ebenfalls dicht gelagert sein, sind aberkleiner, während Neurofibrome ebenfalls sehrgroß sein können, jedoch in der Regel wenigerdicht gelagert sind.

Für die Diagnose von Zylindromen ist auch dieLokalisation in der Ohrmuschel besonders ty-pisch. Zwar finden sich Zylindrome am häufig-

sten am behaarten Kopf, doch dies gilt auchfür andere Tumoren, während die Ohrmuschelansonsten nur selten Sitz exophytischer Tumo-ren ist. Und schließlich ist die Morphologieder einzelnen Knoten charakteristisch: Zylin-drome sind scharf abgegrenzt und stark erha-ben. Zahlreiche ektatische Blutgefäße im Stro-ma der Tumoren sorgen für eine rötliche Fär-bung und sind zum Teil als Teleangiektasienmakroskopisch wahrnehmbar. Die Oberflächeder Tumoren glänzt, und ihre derbe Konsistenzläßt sich auch ohne Palpation erkennen. Beieinem solitären Tumor dieses Aussehen müßteman differentialdiagnostisch in erster Linie anein zystisches Basalzellkarzinom denken, dasauch in der Ohrmuschel vorkommen kann.Multiple, dicht aggregierte Knoten schließenein Basalzellkarzinom jedoch aus und sindbeweisend für Zylindrome im Rahmen einesBrooke-Spiegler-Syndroms. Bei der Patientinbestanden gleichzeitig Spiradenome (die einemorphologische Variante des Zylindroms dar-stellen) sowie multiple kleine Trichoepithelio-me im Perinasalbereich.

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Das Zylindrom ist gekennzeichnet durch Tumorzellverbändeunterschiedlicher Größe und Form, die wie in einem Puzzlegelagert sind. Der Tumor ist häufig sehr groß und erstrecktsich bis in die Subcutis.

Die basophilen Tumorzellverbände werden von homogenemeosinophilem Basalmembranmaterial umgeben (Pfeil) undsind eingebettet in ein lockeres, gefäßreiches bindegewebigesStroma.

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Die folgenden Fragen, die für die Wahl des Exzi-sionsabstandes bei malignen Melanomen von Be-deutung sind, haben wir dem Präsidenten derDeutschen Dermatologischen Gesellschaft, Prof.E. Schöpf (Freiburg), dem Leiter des histologischenZentralregisters der DDG für maligne Melanome,Prof. H.H. Wolff (Lübeck), sowie sieben weiterenExperten vorgelegt, die durch Arbeiten zum mali-gnen Melanom bekannt geworden sind, nämlichProf. A.B. Ackerman (New York), Prof. C.M. Balch(Houston), Prof. C. Garbe (Tübingen), Prof. H.Kerl (Graz), Prof. P. LeBoit (San Francisco), Prof. J.Maize (Charleston) und Prof. U. Veronesi (Mai-land). Wir baten diese Experten um möglichstknappe Stellungnahmen zu einigen oder allendieser Fragen. Nicht alle Kollegen antworteten,und nicht alle Antworten bezogen sich auf dieFragestellung. Dennoch gibt unsere Umfrage ge-naueren Aufschluß über das divergente Mei-nungsbild bezüglich der Exzision von Mela-nomen und ihrer Begründung.

1. Glauben Sie, daß es in der Regel möglich ist,die Ausdehnung und Begrenzung eines malignenMelanoms histopathologisch zu erkennen?Ackerman: Ja.• Garbe/Schöpf: Die Frage geht an dem eigentli-chen Problem vorbei: Natürlich sieht der Histopa-thologe die Grenze des Tumors und kann be-urteilen, ob er in toto entfernt worden ist. Diesesist insbesondere bei kompletter Randschnittkon-trolle möglich. Er erkennt aber nicht, ob in derUmgebung Tumorzellen vorhanden sind, dieAusgangspunkt für Satellitenmetastasen sein kön-nen. Unter Leitung von PD Dr. med. Breuninger inTübingen wurde eine Arbeit angefertigt, derenErgebnisse auf der letzten Tagung der ADO(Dermatologic Cooperation Oncology Group,DeCOG) vorgestellt wurden: Eine Komplettaufar-beitung der Schnittränder von nodulären Melano-men und superfiziell spreitenden Melanomenzeigte bei einem erheblichen Prozentsatz der Tu-moren noch in 1–2 cm Abstand erkennbare Tu-morsatelliten.• Kerl: Ja.• LeBoit: Ich glaube, daß man die Grenzen einesMelanoms histopathologisch bestimmen kann. Inden meisten Fällen lassen sich die am weitestenperipher gelegenen Melanozyten eines Melanomsvon normalen Melanozyten in der Basalzellschichtunterscheiden, und zwar sowohl zytologisch alsauch aufgrund ihrer erhöhten Zahl. Schwierigkei-ten können in schwer lichtgeschädigter Haut ent-stehen, in der nicht-neoplastische Melanozyten

große Kerne und reichlich Zytoplasma aufweisen.In solchen Fällen muß man manchmal mehrereMillimeter Haut am Rande untersuchen, um zusehen, ob die Melanozytendichte zum Schnittrandhin abnimmt. Ist dies der Fall, dann sind dieMelanozyten als Melanomzellen anzusehen. Wirhaben in letzter Zeit damit begonnen, mit einer„comparative genomic hybridization“ genanntenTechnik chromosomale Amplifikationen inMelanomen zu identifizieren. Während bei nor-malen Melanozyten zwei Kopien eines Allels vor-liegen, haben Melanozyten mit einer amplifiziertenRegion sehr viel mehr. Dies kann als Marker fürMelanomzellen benutzt werden. Bei akralenMelanomen waren wir überrascht, wie weit neo-plastische Zellen in der Basalzellschicht vomscheinbaren Rand der Läsion entfernt liegen. Aberauch diese Melanozyten sind groß und häufig vonLymphozyten begleitet, also morphologisch er-kennbar.• Maize: Ich denke, man kann die Grenzen einesMelanoms durch sorgfältige histopathologischeUntersuchung bestimmen. Ich denke, daß dies ambesten durch die Mohs-Chirurgie geschieht, dadann alle Ränder einer Läsion histopathologischerfaßt werden. Wir verwenden diese Technik vorallem für Melanomrezidive in der Kopf-Hals-Region. Werden solche Melanome durch konven-tionelle Chirugie entfernt und in Serienschnittenaufgearbeitet, besteht ein geringes Risiko, daß sub-klinisch bis zum Schnittrand reichende Ausläuferübersehen werden. Sorgfalt beim Zuschneiden derPräparate und bei der mikroskopischen Untersu-chung der Schnitte ist daher sehr wichtig.

2. Würden Sie im Falle eines scharf begrenztenMelanoms, das sich nach sorgfältiger histo-pathologischer Schnittrandkontrolle als mit Ab-stand in toto exzidiert erwiesen hat, zu einerNachexzision raten (z.B. bei einem 1,5 mmdicken Melanom, das mit einem Abstand von1cm unveränderter Haut in toto exzidiert wur-de)?• Ackerman: Nein.• Garbe/Schöpf: Ja, dazu würden wir in jedemFall raten. Dieses ist eine Entscheidung, die ausder Sicht des Klinikers und nicht des Pathologengetroffen werden muß. Das Problem der Ent-stehung von Lokalrezidiven und/oder Satelli-tenmetastasen beim Melanom ist bekannt undihre Häufigkeit nimmt mit der Tumordicke zu.Die operative Strategie muß darauf abzielen, dasEntstehen von Satellitenmetastasen und Lokalrezi-diven zu verhindern. Die Festlegung von Sicher-12

Dermatologie – einmal anders Sechs Fragen zur Exzision des Melanoms

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heitsabständen muß durch klinische Studien ent-schieden werden und nicht durch das vermeint-lich alles erkennende Auge des Histopathologen.Kerl: Ja; nur unter 1mm Dicke würde ich michmit nachweislich 1cm gesunder Haut zufriedengeben.• LeBoit: Wenn das Gewebe in meinem eigenenLabor bearbeitet wurde, informiere ich den Kli-niker, sobald ein Melanom bis auf 3 mm an denoperativen Schnittrand heranreicht. Dieser histo-logische Abstand kann in vivo etwa 5 mm ent-sprechen.• Maize: Ich empfehle nicht routinemäßig Nach-exzisionen bei Melanomen, die sich nach histo-pathologischer Überprüfung der Schnittränder alsvollständig entfernt erwiesen haben. In manchenFällen reichen atypische Melanozyten dicht aneinen Schnittrand heran. Wenn ich nicht sicherbin, daß der Tumor vollständig entfernt ist, emp-fehle ich in solchen Fällen eine Nachexzision.

3. In welchem Anteil der Nachexzidate werdennach Ihrer Einschätzung Tumorzellen gefunden,wenn zuvor eine vollständige Exzision desPrimärtumors durch genaue histopathologischeKontrolle sichergestellt wurde? • Ackerman: Praktisch nie.• Garbe/Schöpf: Auch diese Frage geht wieder ander Problematik vorbei. Die histologische Be-urteilung des Nachexzidates geschieht ja anhandeines nur sehr kleinen Anteils des gesamtenPräparates. Natürlich findet der Histopathologenur sehr selten Tumorreste in Nachexzidaten.Diese werden ja auch nicht angefertigt, um ver-meintlich verbliebene Tumoranteile zu entfernen,sondern um – wie bereits erwähnt–der Entstehungvon Satelliten vorzubeugen.• Kerl: Praktisch nie.• LeBoit: Mit Ausnahme von Satellitenmetastasenhabe ich nie Melanomzellen in Nachexzidatengesehen, wenn das Melanom zuvor klar in totoexzidiert worden war.• Maize: Ich kann mich an keinen einzigen Fallerinnern, in dem ich Melanomreste im Nach-exzidat fand, wenn sich am Präparat der Erst-exzision eine vollständige Entfernung des Mela-noms nachweisen ließ.

4. Wenn Sie bei der unter Punkt 2 genanntenKonstellation zur Nachexzision raten würden,geschähe dies mit dem Ziel, klinisch inapparenteSatellitenmetastasen zu entfernen, oder zueinem anderen Zweck?• Kerl: Weil derzeit noch keine Daten existieren,die die Unbedenklichkeit der Unterlassung derNachexzision hinreichend belegen. Die Bedeu-tung der Nachexzision ist nicht histopathologischzu klären, sondern nur durch klinisch-epidemio-logische Studien.

• Garbe/Schöpf: Der Zweck der Nachexzision istdie Verhinderung des Entstehens von Satelliten-metastasen oder Lokalrezidiven.• LeBoit: In solchen Fällen empfehle ich keineNachexzision.

5. Wie schätzen Sie Inzidenz und Prognose vonSatellitenmetastasen ein (z.B. Überlebensratenach 10 Jahren)? • Ackerman: Zusammen mit Dr. Albert Kopf ha-be ich Patienten über 10 Jahre nachverfolgt, dieanfangs nur Satellitenmetastasen aufwiesen. Nach10 Jahren waren alle tot.• Garbe/Schöpf: Dazu liegen exakte Zahlen ausdem Zentralregister Malignes Melanom von einemKollektiv von 8589 nachbeobachteten Patientenvor. Nach einer weiten Exzision sind Satellitenme-tastasen nicht mehr von Lokalrezidiven zu tren-nen, deshalb müssen beide zusammen betrachtetwerden. Trotz der in Deutschland fast durchwegeingehaltenen weiten Sicherheitsabstände beträgtihre Inzidenz immerhin 2,4 Prozent. Die 10-Jahres-Überlebensrate dieser Patienten sinkt auf 45% ab.Sie liegt damit hochsignifikant ungünstiger als beiPatienten mit vergleichbar dicken Tumoren ohnedas Ereignis eines Lokalrezidivs oder das Auftretenvon Satellitenmetastasen. Die an diesem Kollektivvon mehr als 8000 Melanompatienten mit Lang-zeitbeobachtung ermittelten Daten werden zurZeit für die Publikation vorbereitet.• Kerl: Rund 50%.• Maize: Wir haben keine eigenen Daten zur Pro-gnose von Satellitenmetastasen. Ihre Inzidenz istnach unserer Erfahrung unglaublich gering, anunserer Klinik weit niedriger als 1%.

6. Wird die Prognose von Satellitenmetastasendurch Exzision in einem klinisch inapparentenStadium verbessert (im Vergleich zur Entfernungbei erster klinischer Wahrnehmbarkeit)?• Ackerman: Ich finde diese und die anderen Fra-gen merkwürdig. Ist es nicht offensichtlich, daßeine vollständig entfernte maligne Neoplasie (wiedas Melanom, das neuroendokrine Karzinom, dasmaligne fibröse Histiozytom der Haut oder einprimäres Karzinom oder Sarkom in jedem beliebi-gen anderen Organ) nicht mehr vorhanden ist unddaß deshalb die zusätzliche Entfernung gesunderHaut dem Patienten keine Vorteile bringt (sondernallenfalls den Chirurgen bereichert, der die Nach-exzision vornimmt, und den Pathologen, der denGewebeschnitt beurteilt)? Bemerkenswert ist auch,daß der akzeptierte therapeutische Standard fürprimäre kutane Melanome vor 20 Jahren die weiteund tiefe Exzision war (5 cm bis zur Faszie), ge-wöhnlich in Zusammenhang mit regionärerLymphknotendissektion, während nun in fort-schrittlichen Ländern nur 1cm „normale“ Hautum ein primäres Melanom exzidiert wird und eineLymphknotendissektion unterbleibt (falls nicht

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konkrete Hinweise auf Metastasen vorliegen). DieSituation erinnert an die Therapie des Mamma-Karzinoms, das vor 20 Jahren auch weltweit mitradikalen Mastektomien und inzwischen sehr kon-servativ therapiert wird. Wie lange werden Irratio-nalität und Unlogik noch die Therapie des malig-nen Melanoms bestimmen? Rationalität und Logikerfordern die vollständige Entfernung der Neopla-sie – und nicht mehr. • Garbe/Schöpf: Hierzu gibt es natürlich keineStudiendaten, da wir uns bemühen, das Auftretenvon Satellitenmetastasen und Lokalrezidiven zuverhindern. Es erscheint aber plausibel, daß mitdem Auftreten neuer Tumorfomationen die Chan-ce für eine weitergehende Metastasierung zu-nimmt. Wir überblicken den Krankheitsverlauf beieinigen tausend Melanompatienten aus eigenerAnschauung und könnten dafür eine Reihe vonBeispielen aufführen. Als Schlußfolgerung könnenwir allen Ärzten, die Melanompatienten behan-

Bei vielen Hautkrankheiten spielen sich die ent-scheidenden Veränderungen in der Epidermisund der oberen Dermis ab. Dies gilt sowohl fürepitheliale Tumoren als auch für entzündlicheDermatosen. So reicht zum Beispiel für die Dia-gnose einer Psoriasis, einer Tinea und einer Ska-bies ein kleines Stückchen Hornschicht aus, fallses die entscheidenden Veränderungen enthält:

bei der Psoriasis übereinander gestaffelte Parake-ratosehügel mit neutrophilen Granulozyten, beider Tinea Hyphen und bei der Skabies Milben-anteile. Leider fehlen aber in der Regel solchediagnostischen Veränderungen, und dieDiagnose einer entzündlichen Dermatose ergibtsich aus der Interpretation unterschiedlichsterBefunde.

Bilderbuch der Biopsie

In dieser Stanzbiopsie ist die gesamte Dermis repräsentativ dar-gestellt. Das dichte Lymphozyteninfiltrat im Bereich des superfi-ziellen und tiefen Gefäßplexus sowie die interstitielle Muzinver-mehrung (Pfeil) sprechen für einen Lupus erythematosus tumidus.

Eine oberflächliche Biopsie hätte in diesem Fall nicht nur dieBeteiligung der unteren Dermis unentdeckt gelassen, sondernkeinerlei entzündliche Veränderungen erbracht, so daß mannichts als eine solare Elastose (Pfeil) gesehen hätte.

deln, nachdrücklich raten, sich an die derzeit gül-tigen Empfehlungen in der Behandlung zu halten,um so den Patienten die bestmögliche Behand-lung zu garantieren.• Kerl: Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich kannderzeit niemand darauf eine verläßliche Antwortgeben.• LeBoit: Ich wäre förmlich geschockt, wenn dieExzision normaler Haut zum Zwecke der Verhin-derung von Satellitenmetastasen irgendeinenEffekt auf die Prognose hätte. • Maize: Ich habe keine Daten, um den möglichenVorteil der Exzision klinisch inapparenter Satelliten-metastasen objektiv beurteilen zu können. Nachmeiner Erfahrung waren in den seltenen Fällen vonSatellitenmetastasen gleichzeitig Fernmetastasenvorhanden. Es ist daher unwahrscheinlich, daß die-sen Patienten die Exzision klinisch inapparenterSatellitenmetastasen genutzt hätte.

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Zu diesen Befun-den zählen u.a.die Dichte desEntzündungsinfil-trates, die Zusam-mensetzung desInfiltrates sowieVeränderungenvon Grundsub-stanz (z.B. Muzin-vermehrung beidiskoidem Lupuserythematosus),Kol lagenfasern(z.B. Fibrose imRahmen einerSklerodermie) undBlutgefäßen (z.B.Fibrinniederschlä-ge in Gefäßwän-den bei Vascu-litis). Am Anfangder Befunderhe-bung steht jedochein anderes Kri-terium: die Loka-lisation des Ent-zündungsinfiltra-tes! Während beivielen Dermatiti-den das Infiltratauf die obereDermis begrenztist, findet es sichbei anderen auchim Bereich destiefen Gefäßple-xus an der Gren-ze zur Subkutis.Ein superfiziellespe r iva sku lä re sLymphozyteninfil-trat läßt zum Bei-spiel an Arznei-mittelexantheme,Virusexantheme oder die Purpura pigmentosaprogressiva denken, während bei superfiziellerund tiefer Lokalisation ganz andere Differential-diagnosen in Betracht kommen, wie etwa derdiskoide Lupus erythematosus, die polymorpheLichtdermatose oder das Erythema chronicummigrans.

Aus diesem Grunde sollte bei Verdacht auf eineentzündliche Dermatose stets die gesamte Der-mis biopsiert werden. Dies gelingt am besten mitHilfe einer Stanze, die wegen ihres vorgegebe-nen Durchmessers auch die untere Dermis inganzer Breite erfaßt. Das Skalpell wird dagegen

oft schräg gehalten, so daß sich das Exzidat zurTiefe hin verjüngt und die untere Dermis nichtausreichend beurteilt werden kann.

Für die Diagnose entzündlicher Dermatosensind Stanzbiopsien mit einem Durchmesser von4 mm in der Regel ausreichend. Kleinere Biop-sien sind dagegen oft nur eingeschränkt beurteil-bar, da diagnostisch wichtige Veränderungen oftnur fokal vorhanden sind. Zudem kommt es beisehr kleinen Biopsien häufiger zu Quetsch- undSchnittartefakten. Die Kürette hat bei der Biopsieunklarer entzündlicher Veränderungen keinenPlatz! 15

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Herpes simplex labialis mit kleinen Bläschen, die den fokalen Charakter der Infektion von Epithelzellen durch dasVirus widerspiegeln. Die Bläschen sind zum Teil zentralgedellt und weisen ein graue Blasendecke auf (Pfeil). In derPeripherie finden sich frische Bläschen auf entzündlich geröteter Haut, während in der Mitte bereits Krusten vor-

Intraepidermales Bläschen mit Zeichen der „ballonierendenDegeneration“: die Keratinozyten weisen große, runde Kernemit betonter Kernmembran (kleiner Pfeil) sowie reichlichZytoplasma auf. Im Blasenlumen sieht man eine mehr-kernige epitheliale Riesenzelle (großer Pfeil). Darüberhinausfindet sich in der oberen Dermis ein dichtes entzündliches

Klinische Befunde – histopathologisch erläutert

Herpesviren vermehren sich innerhalb von Ke-ratinozyten. Die betroffenen Zellen machendabei verschiedene Veränderungen durch, diedas klinische Bild kleiner Bläschen mit oftgräulich gefärbter Blasendecke und zentralerEindellung erklären. Die ersten morphologischfaßbaren Veränderungen betreffen die Kerne,in denen die Virusreplikation stattfindet: dieKerne schwellen an, das Nucleoplasma kon-densiert an der Kernmembran, und bei hoherViruszahl finden sich eosinophile intranucleä-re Einschlußkörper. Die Freisetzung der Virenins Zytoplasma geht mit einer starken Schwel-lung der Zellen einher, die als „ballonierendeDegeneration“ bezeichnet wird. Die ballonier-ten Zellen verlieren ihre interzellulären Ver-bindungen, so daß es zur sekundären Akan-tholyse kommt. Ein weiter anhaltender Flüssig-keitseinstrom führt schließlich zur Ruptur derZellen, wobei die Zellmembranen benachbar-ter rupturierter Keratinozyten ein retikuläresMuster ausbilden. Der Vorgang ist daher auchals „retikuläre Degeneration“ bekannt.

Weitere charakteristische Veränderungen sindZellnekrosen und die Bildung mehrkernigerepithelialer Riesenzellen durch Konfluenz infi-zierter Keratinozyten. Darüberhinaus findensich in der Regel starke entzündliche Verände-rungen, die von einer Spongiose bis hin zur se-

kundären Vasculitis reichen. Klinischer Aus-druck der starken Entzündung sind der erythe-matöse Hof, der viele Bläschen umgibt, unddie pustulöse Umwandlung einiger Bläschen.Der graue Farbton der Blasendecke ist auf einekonfluente Epidermisnekrose zurückzuführen.Da alle Schichten des Epithels betroffen seinkönnen, ist die Blasendecke häufig nicht in-takt, so daß durch Vermischung von Plasma,Blut und Hornmaterial Krusten entstehen. ZurBläschenbildung selbst tragen die Akantholyseund die Spongiose bei. Der wichtigste Mecha-nismus ist jedoch die starke Schwellung infi-zierter Zellen mit nachfolgender Zellruptur.Wegen des damit verbundenen Untergangsvon Keratinozyten weisen die Bläschen häufigeine zentrale Eindellung auf.

Eine zentrale Eindellung findet sich auch beianderen Viruserkrankungen, die mit „ballonie-render und retikulärer Degeneration“ einher-gehen, zum Beispiel bei Infektionen durchPocken-, Orf-, und Coxsackieviren. Herpesvi-rus-Infektionen sind von diesen Erkrankungenhistopathologisch durch die typischen Kern-veränderungen und die Ausbildung multinu-kleärer Riesenzellen abzugrenzen. Eine Diffe-renzierung unterschiedlicher Herpesvirus-In-fektionen (Herpes simplex, Zoster, Varicellen)ist histopathologisch nicht möglich.