Obidallah

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44 5. Juli 2012 DIE ZEIT N o 28 FEUILLETON Die Mauer im Paradies Das palästinensische Dorf Battir soll durch israelische Grenzanlagen von seinen Terrassengärten abgeschnitten werden. Wird die Unesco das verhindern? VON GISELA DACHS D ie Frau mit dem sonnenverbrannten Gesicht lässt sich erschöpft unter ei- nem Oleanderbusch nieder. Es war ein mühsamer Aufstieg. Den Kanister mit Pflanzenschutzmittel hat sie vom Rücken ge- nommen. Im Eimer, den sie auf dem Kopf trug, sind frische Weinblätter. Die wird sie später mit Reis füllen und kochen. Alltag in Battir. Seit vierzig Jahren bestellt die Palästinenserin die Felder ihrer Familie. Zitronen, Aprikosen, Mandeln, Auberginen, Minze, Oliven. Gerade ist Pflaumensaison. Mehrmals die Woche sitzt sie an der Straße ins sieben Kilometer entfernte Bethle- hem und verkauft ihre Ernte. Vom Eilantrag bei der Unesco, der ihr Dorf als Weltkulturerbe schützen soll, weiß sie nichts; wohl aber vom geplanten israelischen Mauervorhaben. Die israelische Sperranlage soll zwischen dem Dorf und seinen Terrassen verlaufen. Das würde die uralte Kulturlandschaft zerstören und alle Familien von ihren »Paradiesgärten« abschneiden. Es ist wirklich idyllisch hier. Der Ort könnte auch in der Toskana liegen, mit seiner intakten Bewässerungsanlage aus der Römerzeit, den jahr- tausendealten Terrassen und dem Plätschern in den Steinrinnen. Sieben Quellen sorgen dafür, dass das Wasser selbst jetzt im Hochsommer nicht versiegt. Zum Panorama gehört auch ein Zug, der ab und zu durchs Tal rattert. Die Strecke, Ende des 19. Jahrhunderts im Osmanischen Reich gebaut, führt von Tel Aviv nach Jerusalem. In Battir ver- laufen die Gleise entlang der unsichtbaren grünen Linie, die den Grenzverlauf zu Israel markiert. Mohammed Obidallah erinnert sich, wie er als kleiner Junge oft mit der Eisenbahn ans Mittelmeer gefahren ist. Das war in den achtziger Jahren, noch vor der ersten Intifada, sein Vater arbeitete damals als Anstreicher auf der anderen Seite bei den Israe- lis. Obidallah, aus dem mittlerweile ein in Deutsch- land ausgebildeter Wasser- und Umweltexperte geworden ist, hofft auf die Schlagkraft des histori- schen Arguments. Die Battiris waren die einzigen Palästinenser, die nach dem 1948er-Krieg ihre Ländereien, die sich fortan auf israelischem Terri- torium befanden, weiter bebauen durften. Darauf hatte sich Mosche Dajan mit den Dorfältesten ge- einigt. Im Gegenzug versprachen die Battiris, keine Züge anzugreifen, woran sie sich hielten. Die Über- einkunft wird im Waffenstillstandsabkommen von 1949 erwähnt. Auf dieser Grundlage beruht die Klage der Dorfbewohner gegen die geplante Sperr- anlage vor dem Obersten Gerichtshof in Jerusalem. Natürlich ist der Unesco-Antrag ein Politikum, sagt Obidallah, aber eines mit richtig gutem Grund. Er lebt erst seit Kurzem wieder in seinem Heimat- dorf und sieht manches durch eine andere Brille. Er arbeitet für Friends of the Earth in the Middle East; heute eine fast schon wieder anachronistische Organisation, weil sich dort Palästinenser, Jordanier und Israelis vereint haben. Solche Kooperationen sind selten geworden. Meistens ist es ja so, dass in New York oder sonst wo in eigener Sache – gegen die andere Seite – geworben wird. Das Streben der Palästinenser nach internationaler Anerkennung gehört dazu. Sie sind zwar mit ihrem Wunsch ge- scheitert, als Staat in die Vereinten Nationen auf- genommen zu werden, aber sie gehören als Voll- mitglied der Unesco an, sie dürfen Anträge stellen. Mit Erfolg. Auf der Unesco-Tagung in Sankt Petersburg, die noch bis Ende dieser Woche an- dauert, ist gerade die Geburtskirche in Bethlehem zum Weltkulturerbe erklärt worden. In Battir weckt das gemischte Gefühle. Natürlich freue er sich darüber, meint der Gemeinderatsvorsitzende Akram Bader, von Beruf Architekt, und doch ge- hört er zu jenen, die sich im Dorf über die falsche Prioritätensetzung der Autonomiebehörde auf- regen. Battir hätte oben auf der Dringlichkeitsliste platziert werden müssen, findet Obidallah, denn »Bethlehem befindet sich ja bereits auf palästinen- sisch kontrolliertem Gebiet. Wir hier sind aber sind direkt bedroht, wenn die Bagger anrücken.« Noch aber ist Battir nicht aus dem Rennen. Der Antrag, der in letzter Minute der Kandidatenliste hinzugefügt wurde, verweist auf einen Artikel, der Kulturgüter in Konfliktgebieten bevorzugt unter Unesco-Schutz stellt. Der englische und französi- sche Briefwechsel mit der Weltkulturerbe-Organi- sation ist im Gemeinderat sorgfältig begründet. So genau weiß man nicht, was in Sankt Petersburg vor sich geht. Aber man hofft. Schon jetzt hängt an manchem renoviertem Gebäude im alten Dorfkern ein großes Schild mit Verweis auf den Sponsor Unesco. Auch ein Gäste- haus wird gerade hergerichtet. In einem der wenigen Läden packt ein Junge Reliefteller in rosa Kartons mit Sichtfenster; »Handmade from the Holyland« steht darauf. Die Motive sind Jerusalem und Beth- lehem. Es gibt auch eine große Landkarte der USA, vollgespickt mit amerikanischen Wahrzeichen. Man kann sie sich gut vorstellen, die künftigen Besucher- ströme. Im neuen »Battir Landscape Eco-Museum« ist die Zukunft fast schon da. Eine Karte mit res- taurierten historischen Pfaden lädt zu Wanderungen ein. Kleine Rechtecke markieren die Sehenswürdig- keiten, ein gelbes verweist auf »archäologische Stätten«, aber eigentlich sei dort nur Müll, sagt Mit- arbeiter Hassan Mamar. »Die Israelis haben einmal gegraben, aber nichts mehr gefunden.« Hier im eins- tigen Beitar befand sich die letzte Zufluchtsstätte der jüdischen Heldenfigur Bar Kochba, der im zweiten Aufstand gegen Rom im Jahr 135 fiel. Die Burg war von den Siegern bis auf die Grundmauern zerstört worden. Was ist mit diesem Kulturerbe? Wäre das nicht noch eine zusätzliche Bereicherung für Battir, ohne deshalb gleich wieder in Erbschafts- streit auszubrechen? Mamar hält den Zeitpunkt nicht für gegeben, denn »das wäre jetzt alles andere als populär«. Im Visier sind erst einmal Palästinenser und (nicht- israelische) Ausländer als Touristen. Aber er schließt eine spätere Öffnung hin zu israelischen Gästen nicht aus. »Der Plan besteht.« COMPUTERSPIEL IM IRAN Wer ist der Mann mit dem Bart? Wer ballern will, braucht einen Gegner. Am besten den fiesesten und ruchlosesten, den man sich auf dieser Welt vorstellen kann. Das ist die Logik von Egoshooter-Spielen, denn nur mit einem Gegenüber, das die Aggressio- nen weckt, macht das Schießen richtig Spaß. Dass diese Regel von universeller Bedeutung ist, bewies eine Meldung aus der vergangenen Woche. Ausgerechnet im Iran, einem Land, das sonst eher selten als Verfechter westlichen Konsumvergnügens auffällt, wurde ein neues Computerspiel angekündigt. Mit einem der fiesesten, weil gotteslästerlichsten Gegner, die sich die Sittenwächter des Landes nur vor- stellen können: mit Salman Rushdie. Welcher perfiden Tricks es bedarf, um dem Autor der Satanischen Verse auf die Schliche zu kom- men, ob es in dem Spiel darum geht, ihn in der virtuellen Welt einzusperren, abzuknallen oder wegzumähen, ist noch nicht bekannt. Die Islamische Studentenvereinigung, die das TRAENAFESTIVAL Im Bann des Polarkreises Das Traena-Festival am Polarkreis in Norwe- gen, das in dieser Woche zum zehnten Mal stattfindet, ist jedes Jahr ausverkauft, bevor überhaupt bekannt ist, wer dort auftritt. Es ist eine wundersame Alternative zu all den aus- ufernden Pop-Großspektakeln der Welt. Um die zweitausend Traena-Tickets bemühen sich abenteuerlustige Musikfans von Tokio bis New York. Zu der norwegischen Inselgruppe, durch deren geografische Mitte der Polarkreis verläuft, zieht es die Besucher nicht wegen hipper Musiker wie Spiritualized, Kings Of Convenience oder Richard Hawley, die in den vergangenen Jahren dort auftraten – der Hauptdarsteller dieses Festivals ist die Natur. Das Traena-Abenteuer beginnt bereits mit der Anreise: Von Oslo aus muss man in die karge Hafenstadt Bodø im hohen Norden kom- men. Von dort tuckert einmal pro Tag eine Fähre in fünf Stunden an zahllosen unbe- wohnten kleinen Inseln vorbei in Richtung Polarkreis und Mitternachtssonne. Am Ziel erwarten das Publikum keine Hotels und Fast-Food-Buden, sondern Camping zwi- schen Felsen und Wal-Burger sowie Konzerte in Holzkirchen und Grotten. Dass auch Künstlern auf Traena keine VIP-Behandlung geboten wird, hielt schon manche Größen von der Reise ab. Welche genau, mag der Ver- anstalter – ein sehr entspannter Hippie aus Oslo – aber nicht verraten. In dieser Woche haben sich Stars wie Manu Chao, Josh T. Pearsson und Whitest Boy Alive auf das Traena-Abenteuer eingelassen. Für etwas Auf- regung vorab sorgt in diesem Jahr nur das Gerücht, dass es das letzte Traena-Festival sein könnte. Angeblich ist dem Veranstalter der Rummel um sein Fest zu groß geworden, und all die Journalisten und TV-Teams, die es ver- mehrt auf die Insel zieht, seien ihm nicht geheuer. Falls es im kommenden Jahr doch weitergehen sollte, empfiehlt es sich für alle Interessierten, sich möglichst bald ein Ticket zu sichern. CHRISTOPH DALLACH Schlecker ist tot. Es lebe die Schlecker-Frau! Kein anderer Firmenname verschmolz so mit den Mitarbeiterinnen. Nie war die Rede von einer Quelle-, Plus- oder co-op-Frau. Die Re- gierung macht den Schlecker-Frauen nun die Offerte, sich zu Erzieherinnen umschulen zu lassen. Das erinnert an: Schwerter zu Pflug- scharen! Es gab nie Kunde darüber, wie sich ein umgeschmiedetes Schwert durch die Acker- krume wühlt, aber was ist Erziehung anderes? Einer Schlecker-Frau traut man mittlerweile alles zu, und so wird sie mit Aufzucht, Pflege und Maßregelung keine Schwierigkeiten ha- ben, ist doch auch hier alles nur eine Sache der Inventur. Im tiefsten Herzen bleibt die Schle- cker-Frau immer Schlecker-Frau. Und wenn ein kleiner Racker mit blutigen Knien zu ihr läuft und nach einem Pflaster schreit, wird sie denken: Da hatten wir mal was Schönes im Sortiment. HEIKE KUNERT WÖRTERBERICHT Schlecker-Frau UNWETTER Wie ein Blitz aus heiterem Himmel W enn ein ganzes Land sich plötzlich angestrengt zu erinnern versucht, was man eigentlich am besten tut, um sich vor einem Blitzschlag zu schützen (Hinkauern? Handy ausmachen? Regenschirm zuklappen? Schwimmen gehen? Stecker raus- ziehen?), dann hat es etwas Elementares ver- gessen. Dann übernehmen – blitzschnell – die Angst und die Hilflosigkeit die Regie. Die schweren Unwetter, die jetzt mehrere Tote forderten, ließen einem vor Erschrecken die Redensarten im Hals stecken bleiben: Dass ei- ner wie vom Donner gerührt ist oder dasteht wie vom Blitz getroffen, bedeutete plötzlich nicht mehr sprachlich verdichtete Mensch- heitserfahrung, sondern pures Entsetzen im Augenblick. Ganz wie es wohl Göttervater Zeus gewollt hat, der in seinen Zornausbrü- chen vom Olymp gern mit Blitzen um sich warf, zum Zweck purer Einschüchterung. Oder wie im Falle des legendären Blitzes, der damals, im thüringischen Sommer 1505, ne- ben Martin Luther einschlug und in dem der gute Mann in seiner Todesangst gar den Teufel sah, noch so einen großen Einschüchterer, mit Folgen: Erst kam augenblicks Luthers Bekeh- rung (ganz wie im Blitz-Falle des biblischen Saulus), dann langfristig die Reformation. Gegen die Angst soll oft Wissen helfen: Die Wissenschaft hat, seitdem vor gut 250 Jahren ein Benjamin Franklin seine Zeit in die Erfor- schung der Elektrizität von Blitzen steckte, den Blitzableiter erfand und danach die Vereinigten Staaten von Amerika, viel über Blitze und Ge- witter zusammengetragen. So weiß man unter- dessen, dass in Deutschland der Blitz nirgends so oft einschlägt wie im westlichen Erzgebirge, dass hierzulande jährlich rund eine Million Blitze zur Erde fahren, es wurde ein Rekord- halter im Überleben von Blitzeinschlägen er- mittelt (sechs), die Rechtswissenschaft trägt das Ihre bei, indem sie den Blitz als Mordinstrument untersucht hat, und auch die Kulturwissenschaft entdeckt dies und das, etwa dass besonders die Glöckner ihr Leben aufs Spiel setzten, allein 103 Menschen in 33 Jahren, wie 1784 der Astronom Johann Nepomuk Fischer kritisierte. Denn wenn Gewitter kam, sollten die Kirchenglocken die Gefahren verjagen, und die musste zu diesem Zweck erst einer läuten. Aber jenseits aller Wissenschaft, und dies wiederum wissen die Kunst wie die Philoso- phie, begegnet ein Mensch im Gewitter jenem Erhabenen, das einen durch das Unermessliche unabweisbar erschüttert. Es kann vergegen- wärtigen, was ein Mensch ist. Als Lotte und Werther, am Fenster sitzend, im Gewitter draußen unwillkürlich den Klang eines Klop- stock-Gedichts wiedererkannten, wurden sie sich auch des Einklangs ihrer Gefühle bewusst: Es war Liebe! Kann es uns heute Erschrockenen in der Begegnung mit unserer Angst vielleicht ein Trost sein, dass Werther nicht durch Blitz- schlag ums Leben kam, sondern aus Liebes- kummer? ELISABETH VON THADDEN Die »Paradiesgärten« von Battir – werden sie für ihre Besitzer bald unerreichbar sein? Eine natürliche Festival-Bühne auf Traena: Die Grotte von Kirkehelleren Spiel entwickelt hat, lässt sich nicht in die Karten schauen. Das pädagogische Ziel aber steht fest: Die jungen Wilden, die einmal die Geschicke des Landes lenken werden, sollen Rushdie, den Ajatollah Chomeini Ende der Achtziger mit einer Fatwa belegte, nicht ver- gessen. Am Bildschirm sollen sie den Autor ver- folgen und hassen lernen. Mit dem Computer- spiel verpacken die obers- ten Wächter ihr Erbe in ein jugendgerechtes Ge- wand. Aber schießen sie sich damit nicht auch ein klein wenig selbst ins Bein? Es kann gut sein, dass die iranischen Kids Rushdie während des Spielens als die Verkörpe- rung des Bösen akzeptieren. Es könnte aber auch sein, dass die Spielkinder neugierig wer- den und sich fragen: Wer ist eigentlich dieser Mann mit dem Bart? Was hat es mit diesem Gegner wirklich auf sich? Wenn das zynische Game nur einen Spieler zum Nachdenken bringt, hat es seinen Zweck erfüllt – einen, den die Programmierer ganz sicher nicht be- absichtigt haben. KILIAN TROTIER Salman Rushdie Fotos: Sebastian Scheiner/AP/ddp (o.l.); Imago (o.r.); (Ausschnitt) T.Meek/SCANPIX/danapress ZEIT SHOP ZEIT-Shop Kundenservice, 74572 Blaufelden 040 /3280 1155 040 /3280 101 www.zeit.de/shop [email protected] Unterwegs mit Stil *Preis zzgl. 4,95 € Versandkosten (innerhalb Deutschlands) Attraktive Mobilität auf dem Arbeitsmarkt In sattem Braun oder edel schimmerndem Schwarz passt diese geschmackvolle Ledertasche zum Businessoutfit und ist immer dann unentbehrlich, wenn Laptop oder iPad dabei sein sollen. Der Trageriemen ist abnehmbar. Die Innenklappe wird von einer ungewöhnlichen Druckgrafik geziert. Mit großem Notebook- Fach sowie kleinem Fach für iPad, Stifte etc. Material: Leder, Größe: 37 x 29 cm, Gewicht: 625 g Preis: 159,– € * Bestellnr. Schwarz: 5968 Bestellnr. Braun: 5862 iPad- oder Laptoptasche aus Wollfilz – Stilvoller Schutz für Ihre Technik Hergestellt aus weichem, wasserabweisendem Wollfilz und 100 Prozent pflanzlich gegerbter Lederapplikation, sind diese iPad- oder Laptoptaschen ideal, wenn Sie Ihr Büro mitnehmen und dabei exzellenten Stil beweisen wollen. Beide Modelle verfügen über ein Extrafach für Kabel, USB-Stick etc. Innenmaß iPad-Tasche: 25,4 x 20 cm, Innenmaß Laptoptasche: 35 x 24,5 cm Preis: 54,95 € * Bestellnr. iPad-Tasche (für alle iPad-Versionen): 5877 Preis: 64,95 € * Bestellnr. Laptoptasche (bis 13 ” geeignet): 5878 Mehr Taschen finden Sie unter www.zeit.de/shop

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Nr. 28 S.44 SCHWARZ cyan magenta yellowDIE ZEIT

44 5. Juli 2012 DIE ZEIT No 28 FEUILLETON

Die Mauer im ParadiesDas palästinensische Dorf Battir soll durch israelische Grenzanlagen von seinen Terrassengärten abgeschnitten werden. Wird die Unesco das verhindern? VON GISELA DACHS

D ie Frau mit dem sonnenverbrannten Gesicht lässt sich erschöpft unter ei-nem Oleanderbusch nieder. Es war ein mühsamer Aufstieg. Den Kanister

mit Pflanzenschutzmittel hat sie vom Rücken ge-nommen. Im Eimer, den sie auf dem Kopf trug, sind frische Weinblätter. Die wird sie später mit Reis füllen und kochen. Alltag in Battir.

Seit vierzig Jahren bestellt die Palästinenserin die Felder ihrer Familie. Zitronen, Aprikosen, Mandeln, Auberginen, Minze, Oliven. Gerade ist Pflaumensaison. Mehrmals die Woche sitzt sie an der Straße ins sieben Kilometer entfernte Bethle-hem und verkauft ihre Ernte.

Vom Eilantrag bei der Unesco, der ihr Dorf als Weltkulturerbe schützen soll, weiß sie nichts; wohl aber vom geplanten israelischen Mauervorhaben. Die israelische Sperranlage soll zwischen dem Dorf und seinen Terrassen verlaufen. Das würde die uralte Kulturlandschaft zerstören und alle Familien von ihren »Paradiesgärten« abschneiden.

Es ist wirklich idyllisch hier. Der Ort könnte auch in der Toskana liegen, mit seiner intakten Bewässerungsanlage aus der Römerzeit, den jahr-tausendealten Terrassen und dem Plätschern in den Steinrinnen. Sieben Quellen sorgen dafür, dass das Wasser selbst jetzt im Hochsommer nicht versiegt. Zum Panorama gehört auch ein Zug, der ab und zu durchs Tal rattert. Die Strecke, Ende des 19. Jahrhunderts im Osmanischen Reich gebaut, führt von Tel Aviv nach Jerusalem. In Battir ver-laufen die Gleise entlang der unsichtbaren grünen Linie, die den Grenzverlauf zu Israel markiert.

Mohammed Obidallah erinnert sich, wie er als kleiner Junge oft mit der Eisenbahn ans Mittelmeer gefahren ist. Das war in den achtziger Jahren, noch vor der ersten Intifada, sein Vater arbeitete damals als Anstreicher auf der anderen Seite bei den Israe-lis. Obidallah, aus dem mittlerweile ein in Deutsch-land ausgebildeter Wasser- und Umweltexperte geworden ist, hofft auf die Schlagkraft des histori-

schen Arguments. Die Battiris waren die einzigen Palästinenser, die nach dem 1948er-Krieg ihre Ländereien, die sich fortan auf israelischem Terri-torium befanden, weiter bebauen durften. Darauf hatte sich Mosche Dajan mit den Dorfältesten ge-einigt. Im Gegenzug versprachen die Battiris, keine Züge anzugreifen, woran sie sich hielten. Die Über-einkunft wird im Waffenstillstandsabkommen von 1949 erwähnt. Auf dieser Grundlage beruht die Klage der Dorfbewohner gegen die geplante Sperr-anlage vor dem Obersten Gerichtshof in Jerusalem.

Natürlich ist der Unesco-Antrag ein Politikum, sagt Obidallah, aber eines mit richtig gutem Grund. Er lebt erst seit Kurzem wieder in seinem Heimat-dorf und sieht manches durch eine andere Brille. Er arbeitet für Friends of the Earth in the Middle East; heute eine fast schon wieder anachronistische Organisation, weil sich dort Palästinenser, Jordanier und Israelis vereint haben. Solche Kooperationen sind selten geworden. Meistens ist es ja so, dass in New York oder sonst wo in eigener Sache – gegen die andere Seite – geworben wird. Das Streben der Palästinenser nach internationaler Anerkennung gehört dazu. Sie sind zwar mit ihrem Wunsch ge-scheitert, als Staat in die Vereinten Nationen auf-genommen zu werden, aber sie gehören als Voll-mitglied der Unesco an, sie dürfen Anträge stellen.

Mit Erfolg. Auf der Unesco-Tagung in Sankt Petersburg, die noch bis Ende dieser Woche an-dauert, ist gerade die Geburtskirche in Bethlehem zum Weltkulturerbe erklärt worden. In Battir weckt das gemischte Gefühle. Natürlich freue er sich darüber, meint der Gemeinderatsvorsitzende Akram Bader, von Beruf Architekt, und doch ge-hört er zu jenen, die sich im Dorf über die falsche Prioritätensetzung der Autonomiebehörde auf-regen. Battir hätte oben auf der Dringlichkeitsliste platziert werden müssen, findet Obidallah, denn »Bethlehem befindet sich ja bereits auf palästinen-sisch kontrolliertem Gebiet. Wir hier sind aber sind direkt bedroht, wenn die Bagger anrücken.«

Noch aber ist Battir nicht aus dem Rennen. Der Antrag, der in letzter Minute der Kandidatenliste hinzugefügt wurde, verweist auf einen Artikel, der Kulturgüter in Konfliktgebieten bevorzugt unter Unesco-Schutz stellt. Der englische und französi-sche Briefwechsel mit der Weltkulturerbe-Organi-sation ist im Gemeinderat sorgfältig begründet. So genau weiß man nicht, was in Sankt Petersburg vor sich geht. Aber man hofft.

Schon jetzt hängt an manchem renoviertem Gebäude im alten Dorfkern ein großes Schild mit Verweis auf den Sponsor Unesco. Auch ein Gäste-haus wird gerade hergerichtet. In einem der wenigen Läden packt ein Junge Reliefteller in rosa Kartons mit Sichtfenster; »Handmade from the Holyland« steht darauf. Die Motive sind Jerusalem und Beth-lehem. Es gibt auch eine große Landkarte der USA, vollgespickt mit amerikanischen Wahrzeichen. Man kann sie sich gut vorstellen, die künftigen Besucher-ströme. Im neuen »Battir Landscape Eco-Museum« ist die Zukunft fast schon da. Eine Karte mit res-taurierten historischen Pfaden lädt zu Wanderungen ein. Kleine Rechtecke markieren die Sehenswürdig-keiten, ein gelbes verweist auf »archäologische Stätten«, aber eigentlich sei dort nur Müll, sagt Mit-arbeiter Hassan Mamar. »Die Israelis haben einmal gegraben, aber nichts mehr gefunden.« Hier im eins-tigen Beitar befand sich die letzte Zufluchtsstätte der jüdischen Heldenfigur Bar Kochba, der im zweiten Aufstand gegen Rom im Jahr 135 fiel. Die Burg war von den Siegern bis auf die Grundmauern zerstört worden. Was ist mit diesem Kulturerbe? Wäre das nicht noch eine zusätzliche Bereicherung für Battir, ohne deshalb gleich wieder in Erbschafts-streit auszubrechen?

Mamar hält den Zeitpunkt nicht für gegeben, denn »das wäre jetzt alles andere als populär«. Im Visier sind erst einmal Palästinenser und (nicht-israelische) Ausländer als Touristen. Aber er schließt eine spätere Öffnung hin zu israelischen Gästen nicht aus. »Der Plan besteht.«

C O M P U T E R S P I E L I M I R A N

Wer ist der Mann mit dem Bart?Wer ballern will, braucht einen Gegner. Am besten den fiesesten und ruchlosesten, den man sich auf dieser Welt vorstellen kann. Das ist die Logik von Egoshooter-Spielen, denn nur mit einem Gegenüber, das die Aggressio-nen weckt, macht das Schießen richtig Spaß. Dass diese Regel von universeller Bedeutung ist, bewies eine Meldung aus der vergangenen Woche. Ausgerechnet im Iran, einem Land, das sonst eher selten als Verfechter westlichen Konsumvergnügens auffällt, wurde ein neues Computerspiel angekündigt. Mit einem der fiesesten, weil gotteslästerlichsten Gegner, die sich die Sittenwächter des Landes nur vor-stellen können: mit Salman Rushdie. Welcher perfiden Tricks es bedarf, um dem Autor der Satanischen Verse auf die Schliche zu kom-men, ob es in dem Spiel darum geht, ihn in der virtuellen Welt einzusperren, abzuknallen oder wegzumähen, ist noch nicht bekannt. Die Islamische Studentenvereinigung, die das

T R A E N A F E S T I V A L

Im Bann des PolarkreisesDas Traena-Festival am Polarkreis in Norwe-gen, das in dieser Woche zum zehnten Mal stattfindet, ist jedes Jahr ausverkauft, bevor überhaupt bekannt ist, wer dort auftritt. Es ist eine wundersame Alternative zu all den aus-ufernden Pop-Großspektakeln der Welt. Um die zweitausend Traena-Tickets bemühen sich abenteuerlustige Musikfans von Tokio bis New York. Zu der norwegischen Inselgruppe, durch deren geografische Mitte der Polarkreis verläuft, zieht es die Besucher nicht wegen hipper Musiker wie Spiritualized, Kings Of Convenience oder Richard Hawley, die in den vergangenen Jahren dort auftraten – der Hauptdarsteller dieses Festivals ist die Natur. Das Traena-Abenteuer beginnt bereits mit der Anreise: Von Oslo aus muss man in die karge Hafenstadt Bodø im hohen Norden kom-men. Von dort tuckert einmal pro Tag eine Fähre in fünf Stunden an zahllosen unbe-wohnten kleinen Inseln vorbei in Richtung Polarkreis und Mitternachtssonne. Am Ziel erwarten das Publikum keine Hotels und Fast-Food-Buden, sondern Camping zwi-schen Felsen und Wal-Burger sowie Konzerte in Holzkirchen und Grotten. Dass auch Künstlern auf Traena keine VIP-Behandlung geboten wird, hielt schon manche Größen von der Reise ab. Welche genau, mag der Ver-anstalter – ein sehr entspannter Hippie aus Oslo – aber nicht verraten. In dieser Woche haben sich Stars wie Manu Chao, Josh T. Pears son und Whitest Boy Alive auf das Traena- Abenteuer eingelassen. Für etwas Auf-regung vorab sorgt in diesem Jahr nur das Gerücht, dass es das letzte Traena-Festival sein könnte. Angeblich ist dem Veranstalter der Rummel um sein Fest zu groß geworden, und all die Journalisten und TV-Teams, die es ver-mehrt auf die Insel zieht, seien ihm nicht geheuer. Falls es im kommenden Jahr doch weitergehen sollte, empfiehlt es sich für alle Interessierten, sich möglichst bald ein Ticket zu sichern. CHRISTOPH DALLACH

Schlecker ist tot. Es lebe die Schlecker-Frau! Kein anderer Firmenname verschmolz so mit den Mitarbeiterinnen. Nie war die Rede von einer Quelle-, Plus- oder co-op-Frau. Die Re-gierung macht den Schlecker-Frauen nun die Offerte, sich zu Erzieherinnen umschulen zu lassen. Das erinnert an: Schwerter zu Pflug-scharen! Es gab nie Kunde darüber, wie sich ein umgeschmiedetes Schwert durch die Acker-krume wühlt, aber was ist Erziehung anderes?

Einer Schlecker-Frau traut man mittlerweile alles zu, und so wird sie mit Aufzucht, Pflege und Maßregelung keine Schwierigkeiten ha-ben, ist doch auch hier alles nur eine Sache der Inventur. Im tiefsten Herzen bleibt die Schle-cker-Frau immer Schlecker-Frau. Und wenn ein kleiner Racker mit blutigen Knien zu ihr läuft und nach einem Pflaster schreit, wird sie denken: Da hatten wir mal was Schönes im Sortiment. HEIKE KUNERT

WÖRTERBERICHT

Schlecker-Frau

U N W E T T E R

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel

Wenn ein ganzes Land sich plötzlich angestrengt zu erinnern versucht, was man eigentlich am besten tut,

um sich vor einem Blitzschlag zu schützen (Hinkauern? Handy ausmachen? Regenschirm zuklappen? Schwimmen gehen? Stecker raus-ziehen?), dann hat es etwas Elementares ver-gessen. Dann übernehmen – blitzschnell – die Angst und die Hilflosigkeit die Regie. Die schweren Unwetter, die jetzt mehrere Tote forderten, ließen einem vor Erschrecken die Redensarten im Hals stecken bleiben: Dass ei-ner wie vom Donner gerührt ist oder dasteht wie vom Blitz getroffen, bedeutete plötzlich nicht mehr sprachlich verdichtete Mensch-heitserfahrung, sondern pures Entsetzen im Augenblick. Ganz wie es wohl Göttervater Zeus gewollt hat, der in seinen Zornausbrü-chen vom Olymp gern mit Blitzen um sich warf, zum Zweck purer Einschüchterung. Oder wie im Falle des legendären Blitzes, der damals, im thüringischen Sommer 1505, ne-ben Martin Luther einschlug und in dem der gute Mann in seiner Todesangst gar den Teufel sah, noch so einen großen Einschüchterer, mit Folgen: Erst kam augenblicks Luthers Bekeh-rung (ganz wie im Blitz-Falle des biblischen Saulus), dann langfristig die Reformation.

Gegen die Angst soll oft Wissen helfen: Die Wissenschaft hat, seitdem vor gut 250 Jahren ein Benjamin Franklin seine Zeit in die Erfor-schung der Elektrizität von Blitzen steckte, den Blitzableiter erfand und danach die Vereinigten Staaten von Amerika, viel über Blitze und Ge-witter zusammengetragen. So weiß man unter-dessen, dass in Deutschland der Blitz nirgends so oft einschlägt wie im westlichen Erzgebirge, dass hierzulande jährlich rund eine Million Blitze zur Erde fahren, es wurde ein Rekord-halter im Überleben von Blitzeinschlägen er-mittelt (sechs), die Rechtswissenschaft trägt das Ihre bei, indem sie den Blitz als Mordinstrument untersucht hat, und auch die Kulturwissenschaft entdeckt dies und das, etwa dass besonders die Glöckner ihr Leben aufs Spiel setzten, allein 103 Menschen in 33 Jahren, wie 1784 der Astronom Johann Nepomuk Fischer kritisierte. Denn wenn Gewitter kam, sollten die Kirchenglocken die Gefahren verjagen, und die musste zu diesem Zweck erst einer läuten.

Aber jenseits aller Wissenschaft, und dies wiederum wissen die Kunst wie die Philoso-phie, begegnet ein Mensch im Gewitter jenem Erhabenen, das einen durch das Unermessliche unabweisbar erschüttert. Es kann vergegen-wärtigen, was ein Mensch ist. Als Lotte und Werther, am Fenster sitzend, im Gewitter draußen unwillkürlich den Klang eines Klop-stock-Gedichts wiedererkannten, wurden sie sich auch des Einklangs ihrer Gefühle bewusst: Es war Liebe! Kann es uns heute Erschrockenen in der Begegnung mit unserer Angst vielleicht ein Trost sein, dass Werther nicht durch Blitz-schlag ums Leben kam, sondern aus Liebes-kummer? ELISABETH VON THADDEN

Die »Paradiesgärten« von Battir – werden sie für ihre Besitzer bald unerreichbar sein?

Eine natürliche Festival-Bühne auf Traena: Die Grotte von Kirkehelleren

Spiel entwickelt hat, lässt sich nicht in die Karten schauen. Das pädagogische Ziel aber steht fest: Die jungen Wilden, die einmal die Geschicke des Landes lenken werden, sollen Rushdie, den Ajatollah Chomeini Ende der Achtziger mit einer Fatwa belegte, nicht ver-gessen. Am Bildschirm sollen sie den Autor ver-folgen und hassen lernen.

Mit dem Computer-spiel verpacken die obers-ten Wächter ihr Erbe in ein jugendgerechtes Ge-wand. Aber schießen sie sich damit nicht auch ein klein wenig selbst ins Bein? Es kann gut sein, dass die iranischen Kids Rushdie während des Spielens als die Verkörpe-rung des Bösen akzeptieren. Es könnte aber auch sein, dass die Spielkinder neugierig wer-den und sich fragen: Wer ist eigentlich dieser Mann mit dem Bart? Was hat es mit diesem Gegner wirklich auf sich? Wenn das zynische Game nur einen Spieler zum Nachdenken bringt, hat es seinen Zweck erfüllt – einen, den die Programmierer ganz sicher nicht be-absichtigt haben. KILIAN TROTIER

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