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Objekte M, N: Gas und Aerodynamik, Windkanäle 106 Objekt M: Gas- und Aerodynamik, Pfaffenwaldring 21 Objekt N: Windkanäle (N1: Laminarwindkanal; N2: Böenwindkanal) Das Institut für Gasdynamik und Aerodynamik (IAG) der Universität Stuttgart wurde 1946 als Institut für Gasströmungen von Prof. Dr.-Ing Artur Weise (1904–1973) als Bestandteil der Technischen Hochschule Stuttgart gegründet. Zunächst war es in den Gebäuden der ehemaligen Forschungsanstalt Graf Zeppelin in Ruit (heute Stadtteil von Ostfildern) untergebracht. Als die von den Alliierten auferlegten Beschränkungen für die deutsche Luftfahrt durch den Deutschlandvertrag am 5. Mai 1955 aufgehoben wurden, leitete Professor Weise ab 1956 für sechs Jahre die neu gegründete Abteilung für Luftfahrttechnik. 1962 wählte ihn die Fakultät für Maschinenwesen zum Dekan und ab 1963 war er für zwei Jahre Rektor der TH Stuttgart. Die Planungsarbeiten der Institutsgebäude erfolgten durch Professor Günter Wilhelm (1908– 2004), seinen Mitarbeiter Siegfried Rösemann (1928 geboren, inzwischen Professor) und das Statikbüro Pieckert. Wilhelm plante in den 1930er Jahren bereits die Forschungsanstalt Graf Zeppelin in Ruit, später standen vor allem Bildungseinrichtungen im Zentrum seiner Arbeit. Nach den Vorgaben von Professor Weise sollte ein vorwiegend experimentell ausgerichtetes Institut gebaut werden, welches über mehrere Windkanäle im Über- und Unterschallbereich verfügte. Abb. 2: Lageplan des IAG Abb. 1: Artur Weise

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Objekt M: Gas- und Aerodynamik, Pfaffenwaldring 21

Objekt N: Windkanäle (N1: Laminarwindkanal; N2: Böenwindkanal)

Das Institut für Gasdynamik und Aerodynamik (IAG) der Universität

Stuttgart wurde 1946 als Institut für Gasströmungen von Prof. Dr.-Ing

Artur Weise (1904–1973) als Bestandteil der Technischen Hochschule

Stuttgart gegründet. Zunächst war es in den Gebäuden der ehemaligen

Forschungsanstalt Graf Zeppelin in Ruit (heute Stadtteil von Ostfildern)

untergebracht. Als die von den Alliierten auferlegten Beschränkungen

für die deutsche Luftfahrt durch den Deutschlandvertrag am 5. Mai

1955 aufgehoben wurden, leitete Professor Weise ab 1956 für sechs

Jahre die neu gegründete Abteilung für Luftfahrttechnik. 1962 wählte ihn die Fakultät für

Maschinenwesen zum Dekan und ab 1963 war er für zwei Jahre Rektor der TH Stuttgart. Die

Planungsarbeiten der Institutsgebäude erfolgten durch Professor Günter Wilhelm (1908–

2004), seinen Mitarbeiter Siegfried Rösemann (1928 geboren, inzwischen Professor) und das

Statikbüro Pieckert. Wilhelm plante in den 1930er Jahren bereits die Forschungsanstalt Graf

Zeppelin in Ruit, später standen vor allem Bildungseinrichtungen im Zentrum seiner Arbeit.

Nach den Vorgaben von Professor Weise sollte ein vorwiegend experimentell ausgerichtetes

Institut gebaut werden, welches über mehrere Windkanäle im Über- und Unterschallbereich

verfügte.

Abb. 2: Lageplan des IAG

Abb. 1: Artur Weise

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Die Bauphase der Gebäude dauerte von 1957 bis 1960, wobei die meisten experimentellen

Anlagen erst im Laufe der folgenden Jahre durch die Arbeit der Institutsmitarbeiter

funktionsfähig gemacht werden konnten.

Bürogebäude

Da theoretische und experimentelle Untersuchungen sehr unterschiedliche Räumlichkeiten

benötigten, wurde das Institut in mehrere Gebäude aufgeteilt. Im Bürotrakt des IAG waren

ursprünglich Arbeitsräume für das

wissenschaftliche Personal, ein Sekretariat,

eine Bibliothek, Laborräume (Elektronik,

Optik, Fotografie), Konstruktionsräume und

ein kleiner Hörsaal untergebracht. Im Laufe

der Jahre wurden die Laborräume

zunehmend in die Versuchshalle ausgelagert

und durch zusätzliche Seminarräume ersetzt,

da durch die zunehmende Anzahl an

Studierenden mehr Raum für theoretische Arbeiten benötigt wurde. Die Längswände sind in

Stahlbeton gefertigt, die Giebelseiten bestehen aus Klinkermauerwerk, die Innenwände aus

Sichtmauerwerk.

Abb. 3: Luftbildaufnahme während der Bauphase um etwa 1958. Oben: Bürogebäude, Mitte: Werkstattanbau, rechts: Versuchshalle, links: Laminarwindkanal

Abb. 4: Bürogebäude in der Bauphase, ca. 1958

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Kunstwerk von Erich Hauser

In der Nähe des Eingangsbereichs des

Bürogebäudes befindet sich ein Kunst-

werk des Bildhauers Erich Hauser

(1930–2004). Der gelernte Stahl-

graveur arbeitete überwiegend mit

dünnen, meist industriell gefertigten

Platten aus rostfreiem Stahl. Die 1962

angefertigte Plastik aus Sichtbeton

nimmt eine besondere Stellung im Werk des Künstlers ein, da sie neben einem Relief am

Staatstechnikum in Karlsruhe seine einzige Arbeit aus Beton darstellt. Die 14 m lange Plastik

besteht aus aneinandergereihten Betonquadern, welche entlang einer imaginären Achse durch

ihre asymmetrische und schwunghafte Anordnung den Eindruck reger Bewegung hinter-

lassen. Durch unregelmäßige Rillen auf der Oberfläche wird dieser Effekt noch verstärkt. Die

leichte und beschwingte Wirkung steht im Kontrast zu dem schweren und massiven Baustoff.

Passend zur wissenschaftlichen Ausrichtung des Instituts könnte das Objekt eine kräftige

Strömung symbolisieren.

Versuchsanlagen des IAG

Das IAG ist mit einer Reihe von

experimentellen Anlagen ausgestattet. Die

Wind- und Wasserkanäle dienen der

Ausbildung von Studierenden und der

wissenschaftlichen Grundlagenforschung.

Darüber hinaus wird ein Teil der Ausstattung

für Auftragsarbeiten der Industrie eingesetzt.

Überdies verfügt das IAG über verschiedene

einfache Versuchs- und mobile Messanlagen.

Abb. 5: Betonplastik

Abb. 7: Bürogebäude heute

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Die folgende Tabelle listet die wichtigsten Versuchseinrichtungen auf:

Versuchsanlage Mach-

Zahl

Höchstgeschwindigkeit

(m/s)

Messquerschnitt

(m²)

Kleiner Überschallwindkanal 1,5 - 3,0 0,12 x 0,08

Mittlerer

Überschallwindkanal

1,5 – 3,0 0,20 x 0,15

Großer Stoßwindkanal 1,75 – 4,5 1,20 x 0,8

Laminarwindkanal 90 2,73 x 0,73

Böenwindkanal 17 Ø = 6,3 m

Kleiner

Unterschallwindkanal

40 0,0387

Mittlerer

Unterschallwindkanal

60 – 24 Ø = 1 – 1,75 m

Grenzschichtkanal 18 2,5 x 2,0

Großer Wasserkanal 2,5 1,53 x 0,76

Laminarwasserkanal 0,2 1,2 x 0,5

Flachwasserkanal 0,4 0,65 m breit

Stoßwindkanal

Der Große Stoßwindkanal des IAG hat eine Gesamtlänge von 125,84 m und wiegt 150 t. Er

ist ein Kurzzeit-Überschallwindkanal (Mach-Zahl 1,75 - 4,5) und funktioniert nach dem

Prinzip des Stoßwellenrohrs mit Lavaldüse. Beide Enden sind geschlossen und das Innere

wird durch eine gasundurchlässige Membran in einen Hochdruck- und einen Nieder-

druckraum unterteilt.

Die Stoßwellenrohre haben einen Innendurchmesser von 2,16 m und befinden sich auf einer

Gleisanlage mit ca. 170 m Länge, welche mit Haupt- und Verschiebegleis aus zwei Teilen

besteht. Da bei Grundwasserproben betonschädigende Stoffe gemessen wurden, musste für

die Fundamente Hochofenzement eingesetzt werden. Zwischen den Rohren befindet sich die

Messkammer, welche in einem eigenen Messhaus untergebracht ist, um das empfindliche

Instrumentarium zu schützen. Am 16.06.1967 wurde ein erster erfolgreicher Test der Anlage

durchgeführt, bei welchem noch keine Messungen vorgenommen werden konnten.

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Im Frühjahr 1970 war der Stoßwindkanal komplett ausgestattet, wobei erst Ende 1972 alle

üblichen Messverfahren einsatzfähig waren. Mitte der siebziger Jahre erfolgte aufgrund neuer

Forschungsschwerpunkte die weitgehende Stillegung, welche Anfang der neunziger Jahre

durch Sanierungsarbeiten wiederum aufgehoben werden konnte. Da der Kanal über keinen

eigenen Antrieb verfügt, wird er durch eine zusammen mit anderen Überschallwindkanälen

genutzte Luftversorgungsanlage betrieben.

Abb. 9: Messkammer und Prüfinstrumente

Abb. 7: Niederdruckrohr des Stoßwindkanals (Länge knapp 52 m)

Abb. 8: Anlieferung der Messkammer des Stoßwindkanals, 1966

Abb. 10: Messkammer von innen

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Luftversorgungsanlage der Überschallwindkanäle

Die Windkanäle des IAG im schallnahen und im Überschallgeschwindigkeitsbereich sind

nicht für den Langzeitbetrieb ausgerichtet, da hierfür enorme Antriebsleistungen erforderlich

gewesen wären. Stattdessen werden die Kanäle zeitweise an Druck- und Vakuumspeicher

angeschlossen. Das Volumen des Druckspeichers beträgt 100 m³, der Maximaldruck liegt bei

64 bar (Einheit für 105 Pascal). Er wird nach Bedarf durch zwei hintereinandergeschaltete

Kompressoren (Turboverdichter und Kolbenverdichter) mit einer Leistung von 3600 Nm³/h

aufgeladen, welche ab 1963 einsatzfähig waren. Die Vakuumspeicher mit 1200 m³ Volumen

müssen nach jedem Versuch neu geladen werden. Es dauert ungefähr eine Stunde, den Druck

in den Behältern auf 5 mbar (= Hektopascal) zu senken.

An dieser Luftversorgungsanlage werden der Große Stoßwindkanal, der Mittlere Überschall-

windkanal, zwei kleine Überschallwindkanäle, zwei transistorische Kanäle im schallnahen

Machzahlbereich und der Experimentierwindkanal, welcher im Hyperschallbereich arbeitet,

angeschlossen.

Laminarwindkanal

Eine laminare Strömung ist eine ruhige

Bewegung von Gasen und Flüssigkeiten,

welche keine beobachtbaren Turbulenzen

aufweist. Der sog. Laminarwindkanal des

IAG weist dementsprechend einen außer-

ordentlich niedrigen Turbulenzgrad und

eine sehr gute Strömungsqualität auf. Die

Abb. 11: Links: Vakuumbehälter, Mitte: Schalldämpferturm und Druckbehälter, rechts: Versuchshalle, vorne: Kühlteich. Aufnahme ca. 1960er Jahre

Abb. 12: Laminarwindkanal

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Bauweise wird als Eiffel-Typ bezeichnet (offene Kanäle, welche durch Außenluft gespeist

werden, benannt nach Gustave Eiffel). Durch die Lage an einem kleinen Waldstück ist der

Laminarwindkanal von den Witterungsbedingungen weitgehend unabhängig. Die 3,15 m lan-

ge Messstrecke weist einen Querschnitt von 2 m² auf und ist in geschlossener Bauweise aus-

geführt. Über einen drehzahlgesteuerten Gleichstrommotor mit einer Leistung von 220 kW

kann eine Maximalgeschwindigkeit von 90 m/s erreicht werden. Der 46 m lange Kanal ging

1962 in Betrieb und wird hauptsächlich in der Profilentwicklung und der

Grenzschichtforschung eingesetzt, beispielsweise zur Modellentwicklung von Flugzeug-

flügeln oder Windkrafträdern. Zur Erfassung

und Verarbeitung der Daten stehen in den

Mess- und Auswerteräumen Rechner zur

Verfügung, die eine automatische digitale

Signalanalyse ermöglichen. Zur Visuali-

sierung der Strömungsvorgänge stehen

diverse Verfahren zur Verfügung,

beispielsweise das Anstrichverfahren,

Rauchsonden oder Wollfäden.

Abb. 13: Messstrecke - an das Profil sind Wollfäden zur Sicht-barmachung der Strömung an gebracht

Abb. 14: Messkonsole

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Böenwindkanal

Mit einem besonders groß gewähl-

ten Messquerschnitt von 6,30 m

wartet der Böenwindkanal des

IAG auf. Die Konzeption dieser

Anlage des Eiffel-Typs erfolgte

speziell zur experimentellen Un-

tersuchung von Windturbinen.

Dieser Böenwindkanal war jedoch

auch für Messungen des Solar-

flugzeugs Icaré 2 und in der Ge-

bäudeaerodynamik im Einsatz.

Eine ungewöhnliche Anwendung war darüber hinaus die Durchführung von Haltungsstudien

in diversen Sportarten. Durch die Ausmaße können manche Teile in Originalgröße getestet

werden. Die Messstreckenwand ist als Schlitzwand ausgeführt, um Wandinterferenzen abzu-

mildern. Ein stufenlos regelbares Axialgebläse mit einer Leistung von 315 kW ermöglicht

eine maximale Strömungsgeschwindigkeit von 17 m/s.

Die Planung der 1983 fertiggestellten Anlage erfolgte durch Albin Schalk vom Universitäts-

bauamt Stuttgart. Die Ausführung übernahm die Turbo Lufttechnik GmbH aus Zweibrücken.

Zu den Baumaßnahmen zählte auch ein neues Messlabor. Durch zunehmende Bewaldung und

Bebauung im Ansaugbereich verschlechterte sich die Strömungsqualität im Laufe der Jahre.

Um dieses Problem zu beheben, wurde 2006 ein ausfahrbares Netz mit 12 m Länge installiert.

Abb. 15: Böenwindkanal

Abb. 16: Instrumente im Messlabor Abb. 17: Modell eines Windturbinenteils im Kanal

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Versuchshalle

Das größte Gebäude des IAG ist die Versuchshalle, in welcher zahlreiche experimentelle Ver-

suchsanlagen untergebracht sind. In ihr befanden sich ursprünglich Teile der Luftversor-

gungsanlage, kleinere Unter- und Überschallwindkanäle, eine Luftreinigungsanlage und eine

Schaltwarte. Heute sind auch Wasserkanäle und Labore in Containerbauweise untergebracht.

Die tragende Konstruktion besteht aus Stahl-

stützen, welche im Abstand von 5 m verbaut

sind. In der Fassade wurden Durisol-Wand-

platten und Fenster in kittloser Verglasung

verarbeitet.

Der Grenzschichtkanal in der Versuchshalle ist

ein Windkanal des Eiffel-Typs mit rechtecki-

gem Kanalquerschnitt und einer Gesamtlänge

von 19,24 m. Er kann mit unterschiedlichen

Bodenrauhigkeiten und Einlaufhindernissen

ausgestattet werden, um verschiedene erdober-

flächennahe Luftverwirbelungen zu simulieren.

Seine Einsatzgebiete liegen vor allem in der Gebäude- und industriellen Aerodynamik. Dane-

ben dient er zur Erforschung weitgespannter Flächentragwerke, Membrankonstruktionen und

Brücken unter Windeinfluss. Abgesehen von einem eigenen Hydromotor wird der Grenz-

schichtkanal von einer Anlage mit 120 kW angetrieben, welche auch vom danebenliegenden

Mittleren Niedergeschwindigkeitskanal genutzt wird. Letzterer ist ein Freistrahlkanal vom

sog. Göttinger Typ (die Luft wird zurückgeführt), welcher z.B. in der Flugzeug- und Gebäu-

deaerodynamik seinen Einsatz findet. Der 22,5 m lange Kanal verfügt über eine offene Mess-

Abb. 18: Versuchshalle im Bau, ca. 1957

Abb. 20: Links: Mittlerer Niedergeschwindigkeitskanal, Mitte: Grenzschichtkanal, rechts: Luftversorgungsanlage

Abb. 19: Innenansicht der Versuchshalle heute

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strecke und kann, abhängig von der gewählten Düsengröße, eine Geschwindigkeit von bis zu

60 m/s erreichen.

Wasserkanäle

Die Strömungsvorgänge laufen in einem Wasserkanal durch die höhere dynamische Viskosi-

tät (Zähflüssigkeit) wesentlich langsamer als in einem Windkanal ab. Dadurch ist deren

Sichtbarmachung wesentlich leichter zu realisieren, wobei diese mit Hilfe von Farbstoffen,

Wasserstoffbläschen oder Luftbläschen noch zusätzlich erleichtert werden kann. Die Schwie-

rigkeiten bei der Arbeit mit Wasserkanälen liegen vor allem in der hohen statischen und dy-

namischen Belastung der Kanalwände und in der Vermeidung von Korrosion. Durch die jahr-

zehntelange Erfahrung des IAG sind diese Problembereiche inzwischen weitestgehend be-

herrschbar. In der Versuchshalle befinden sich drei Wasserkanäle.

Der 1975 errichtete große Wasser-

kanal enthält eine Wassermenge

von 70 m³ und wird für aero- und

hydrodynamische Versuche auf

dem Luft- und Kraftfahrzeugsektor

benutzt. Die glasfaserverstärkte

Sandwichkonstruktion ist 2,85 m

lang und durch verglaste Mess-

kammerwände können die Strö-

mungsvorgänge von außen be-

obachtet werden. Der geschlossene

Kreislauf wird durch zwei Axial-

pumpen mit einer Leistung von 23 kW angetrieben, womit eine Maximalgeschwindigkeit von

2,5 m/s erreicht werden kann.

Überwiegend zu Zwecken der Grundlagenforschung wird der Laminarwasserkanal eingesetzt.

In dem 1985 fertiggestellten Kanal werden die noch nicht vollständig verstandenen Vorgänge

beim laminar-turbulenten Grenzschichtumschlag erforscht. Dabei soll der Übergang der lami-

naren (ruhigen, schichtenartigen) in die turbulente (unruhige, vermischte) Strömungsform bei

Scherströmungen erklärt werden. Die Fiberglas-Sandwich-Konstruktion ist ein Umlaufkanal

mit zwei gegenläufigen Axialpumpen, welche per Treibriemen von einem drehzahlgeregelten

Motor mit 2,4 kW angetrieben werden.

Abb. 21: Großer Wasserkanal, im Vordergrund sind die verglasten Messkammerwände zu sehen

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Der Flachwasserkanal ist mit 65 cm sehr klein und dient zur qualitativen Sichtbarmachung

von Strömungsvorgängen der Gasdynamik. Dies ist möglich, da sich bestimmte Gasströmun-

gen analog zu Flüssigkeitsströmungen verhalten.

Werkstatt

Die Institutswerkstatt des IAG dient zur Konstruktion, Erweiterung und Instandhaltung der

experimentellen Ausstattung des Instituts. Hierzu ist sie beispielsweise mit Bohr- und

Schleifmaschinen, einer CNC-Fräsmaschine und einer CNC-Drehmaschine ausgestattet. Dar-

über hinaus beherbergt das Gebäude eine Flaschnerei, eine Farbspritzanlage und eine Werk-

statt für Holz- und Kunststoffverarbeitung.

Kosten

In einem Kostenanschlag von 1957 wurde der Endbetrag für das Institut inkl. aller Außen-

anlagen auf 5,945.000 DM beziffert. Die Verträge mit Bau- und Lieferfirmen beinhalteten

Kostenklauseln, wobei durch die kontinuierlichen Arbeiten an den Versuchsanlagen eine ge-

naue Schätzung der Gesamtkosten schwerfällt. Für die Windkanäle und deren Versorgungsan-

lagen fielen regelmäßig nicht unerhebliche Instandhaltungskosten an. Folgende Zahlen konn-

ten über die Kosten von Erweiterungs- und Sanierungsarbeiten gefunden werden:

Bau des großen Wasserkanals (1975/76): 106.000 DM (Beton- und Stahlarbeiten) plus

115.000 DM (Ausrüstung und Instrumentierung); Böenwindkanal inklusive Messlabor

(1983): 733.000 DM; Instandsetzung der Gleisanlage und Einfriedung des Stoßwindkanals

(1991): 630.000 DM; Farbspritzanlage (1998): 507.000 DM; Einbau eines Optiklabors in die

Abb. 22: Werkstatt des IAG

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Versuchshalle und Instandsetzung betriebsspezifischer Anlagen (1999): 538.000 DM; Ein-

laufsverlängerung des Böenwindkanals (2006): 50.000 Euro; schalltechnische Auskleidung

des Laminarwindkanals (2008/09): 158.000 Euro.

Archivalien

Universitätsbauamt Stuttgart und Hohenheim, Pfaffenwaldring 32, 70569 Stuttgart-

Vaihingen.

Universitätsarchiv Stuttgart, Geschwister-Scholl-Str. 24, 70174 Stuttgart.

Literatur

Becker, Norbert; Quarthal, Franz, Die Universität Stuttgart nach 1945, Stuttgart, 2004.

Decker, R.; Glasauer, F. A., Universität Stuttgart, die neue Hochschulstadt Vaihingen: Be-

richt des Universitätsbauamtes Stuttgart, Stuttgart, 1977.

Küster, Bärbel, Erich Hauser – Leichtigkeit in Beton, in: Stuttgarter Uni-Kurier 99, 1/2007,

online verfügbar unter:

http://www.uni-stuttgart.de/hkom/publikationen/uni-kurier/uk99/rubriken/kunst.html,

zuletzt überprüft am 23.05.2012.

Schwarz, Günter, Das Institut für Aerodynamik und Gasdynamik der Universität Stuttgart:

1946 – 1996: Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Instituts, Stuttgart, 1996.

Website (zuletzt überprüft am 23.04.2013)

http://www.iag.uni-stuttgart.de/IAG/institut/beschreibung.html (und weiterführende Links)

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Schwarz, S. 6.

Abb. 2: Schwarz, S. 30.

Abb. 3: Universitätsarchiv Stuttgart. Freigegeben von Innenministerium Baden-Württemberg,

Nr. 2/7082. Luftbild: Albrecht Brugger, Stuttgart.

Abb. 4: Schwarz, S. 21.

Abb. 5, 6, 7: Aufnahmen des Autors, 2012, 2013.

Abb. 8, 9: Schwarz, S. 25.

Abb. 10: Schwarz, S. 32.

Abb. 11: Universitätsarchiv Stuttgart.

Abb. 12: Aufnahme des Autors, 2012.

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Abb. 13, 14: Aufnahmen von Klaus Hentschel, 2010.

Abb. 15: Aufnahme des Autors, 2012.

Abb. 16: Aufnahme von Klaus Hentschel, 2010.

Abb. 17: Schwarz, S. 39.

Abb. 18: Schwarz, S. 20

Abb. 19: Aufnahme des Autors, 2012.

Abb. 20: Schwarz, S. 37.

Abb. 21: Aufnahme von Klaus Hentschel, 2010.

Abb. 22: Aufnahme des Autors, 2012.

Autor

Ralph Hägele, Student des Masters Wissenskulturen