OCT-Diagnostik beim Glaukom: Tipps & Tricks€¦ · Source OCT (SS‑OCT) ermöglichen...

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Die Technik der optischen Kohärenztomografie scheint bei Glaukomen mittlerweile unverzichtbar für Dokumentation, Diagnosehilfestellung und Verlaufsbeobachtung. Die kritisch betrachteten Befunde sollten immer in Übereinstimmung mit dem klinischen Bild des Patienten gesehen werden. Der Artikel zeigt die Einsatzmöglich- keiten anhand von Fallbeispielen. ABKÜRZUNGEN AMD altersassoziierte Makuladegeneration APS Automated Positioning System BMO Bruch-Membran-Öffnung BMOMRW minimale neuroretinale Randsaumbreite GCL Ganglienzellschicht NRR neuroretinaler Randsaum OCT optische Kohärenztomografie RNF retinale Nervenfaserschicht RNFL retinale Nervenfaserschichtdicke SDOCT Spectral-Domain OCT SSOCT Swept-Source OCT TSNIT temporal-superior-nasal-inferior- temporal Einleitung Die Technik der optischen Kohärenztomografie (OCT) ist in der Glaukomdiagnostik einer der großen Meilensteine geworden. Spectral-Domain OCT (SDOCT) und Swept- Source OCT (SSOCT) ermöglichen hochauflösende und schnelle Bildaufnahmen mit bis zu 100000 A-Scans pro Sekunde. Damit sind empfindliche Strukturen wie die Ganglienzellschicht der Makula, die retinale Nervenfaser- schicht und der Sehnervenkopf bis zur Lamina cribrosa mit einer digitalen axialen Auflösung von bis zu 3,9 μm ähnlich einem in vivo histologischen Schnitt darstellbar. Die Variabilität der Messungen beträgt nur 1,4 μm [1]. Die hohe Präzision der Messungen mit immer höherer Auflösung erlaubt es, den natürlichen Altersverlust von neuroretinalem Randsaum (NRR) und retinaler Nerven- faserschicht (RNFL) zu messen. Diesen von frühen glauko- matösen Veränderungen zu trennen, ist eine Heraus- forderung für jede Messmethode. Da jeder Patient eine individuelle Progressionsrate zeigt, sind wiederholte prä- zise Messungen essenziell [2]. Die hochauflösende OCT-Technik hat schnell Verbreitung in der alltäglichen Versorgung gefunden. Die Glaukom- früherkennung konnte mit der Messung der RNFL und der Ganglienzellschicht (GCL) weiter vorangebracht wer- den, mit hoher Sensitivität im präperimetrischen Glau- komstadium. Die Messung der makulären GCL-Dicke mit dem SDOCT zeigt ebenfalls eine gute Diskriminierung zwischen normalen und frühen Glaukomen. Oddone et al. [3] fanden in einer Literaturübersicht zu drei unterschiedlichen OCT-Geräten einen Vorteil der RNFL-Dickenmessung gegenüber der makulären Gan- glienzellschichtdickenmessung. Die neueste Anwendung ist die Bestimmung der minimalen neuroretinalen Rand- saumbreite (BMOMRW) in der Papille unter Zuhilfenah- me der Detektion des Endes der Bruch-Membran und der Membrana limitans interna als präzise darstellbare Papillengrenze [4]. Die BMOMRW wird an 48 Punkten gemessen und zu sektoriellen oder gesamten Werten ex- trapoliert. Die BMOMRW zeigte in ersten klinischen Stu- dien eine fast ähnlich hohe Diskriminierung von Glauko- men wie die retinale Nervenfaserschichtdicke mit der OCT [4 6]. Die extrapolierte Fläche der BMO gibt einen groben Hinweis auf die Papillenfläche und korreliert nur marginal mit der mit dem HRT gemessenen Papillenflä- che, die den Innenrand des Elschnig-Skleralrings als Grundlage hat. Cave Die Öffnung der BMO und Papillenfläche sind nicht gleichzusetzen. Dieser Artikel soll zu einigen Fragen bei der Beurteilung von OCT-Darstellungen bei Glaukomen Antworten ge- ben. OCT-Diagnostik beim Glaukom: Tipps & Tricks Christian Mardin CME-Fortbildung 539 Mardin C. OCT-Diagnostik beim Glaukom: Klin Monatsbl Augenheilkd 2020; 237: 539551 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.

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Die Technik der optischen Kohärenztomografie scheint bei Glaukomen mittlerweileunverzichtbar für Dokumentation, Diagnosehilfestellung und Verlaufsbeobachtung.Die kritisch betrachteten Befunde sollten immer in Übereinstimmung mit demklinischen Bild des Patienten gesehen werden. Der Artikel zeigt die Einsatzmöglich-keiten anhand von Fallbeispielen.

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AMD altersassoziierte Makuladegeneration

APS Automated Positioning System

BMO Bruch-Membran-Öffnung

BMO‑MRWminimale neuroretinale Randsaumbreite

GCL Ganglienzellschicht

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OCT optische Kohärenztomografie

RNF retinale Nervenfaserschicht

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SD‑OCT Spectral-Domain OCT

SS‑OCT Swept-Source OCT

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EinleitungDie Technik der optischen Kohärenztomografie (OCT) istin der Glaukomdiagnostik einer der großen Meilensteinegeworden. Spectral-Domain OCT (SD‑OCT) und Swept-Source OCT (SS‑OCT) ermöglichen hochauflösende undschnelle Bildaufnahmen mit bis zu 100000 A-Scans proSekunde. Damit sind empfindliche Strukturen wie dieGanglienzellschicht der Makula, die retinale Nervenfaser-schicht und der Sehnervenkopf bis zur Lamina cribrosamit einer digitalen axialen Auflösung von bis zu 3,9 µmähnlich einem in vivo histologischen Schnitt darstellbar.Die Variabilität der Messungen beträgt nur 1,4 µm [1].

Die hohe Präzision der Messungen mit immer höhererAuflösung erlaubt es, den natürlichen Altersverlust vonneuroretinalem Randsaum (NRR) und retinaler Nerven-faserschicht (RNFL) zu messen. Diesen von frühen glauko-matösen Veränderungen zu trennen, ist eine Heraus-forderung für jede Messmethode. Da jeder Patient eineindividuelle Progressionsrate zeigt, sind wiederholte prä-zise Messungen essenziell [2].

. OCT-Diagnostik beim Glaukom:… Klin Monatsbl Augenheilkd 2020; 237: 539

Die hochauflösende OCT-Technik hat schnell Verbreitungin der alltäglichen Versorgung gefunden. Die Glaukom-früherkennung konnte mit der Messung der RNFL undder Ganglienzellschicht (GCL) weiter vorangebracht wer-den, mit hoher Sensitivität im präperimetrischen Glau-komstadium. Die Messung der makulären GCL-Dicke mitdem SD‑OCT zeigt ebenfalls eine gute Diskriminierungzwischen normalen und frühen Glaukomen.

Oddone et al. [3] fanden in einer Literaturübersicht zudrei unterschiedlichen OCT-Geräten einen Vorteil derRNFL-Dickenmessung gegenüber der makulären Gan-glienzellschichtdickenmessung. Die neueste Anwendungist die Bestimmung der minimalen neuroretinalen Rand-saumbreite (BMO‑MRW) in der Papille unter Zuhilfenah-me der Detektion des Endes der Bruch-Membran undder Membrana limitans interna als präzise darstellbarePapillengrenze [4]. Die BMO‑MRW wird an 48 Punktengemessen und zu sektoriellen oder gesamten Werten ex-trapoliert. Die BMO‑MRW zeigte in ersten klinischen Stu-dien eine fast ähnlich hohe Diskriminierung von Glauko-men wie die retinale Nervenfaserschichtdicke mit derOCT [4–6]. Die extrapolierte Fläche der BMO gibt einengroben Hinweis auf die Papillenfläche und korreliert nurmarginal mit der mit dem HRT gemessenen Papillenflä-che, die den Innenrand des Elschnig-Skleralrings alsGrundlage hat.

CaveDie Öffnung der BMO und Papillenfläche sind nichtgleichzusetzen.

Dieser Artikel soll zu einigen Fragen bei der Beurteilungvon OCT-Darstellungen bei Glaukomen Antworten ge-ben.

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▶ Abb. 1 Benimale neur(GCL) (unte

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Wie stellen sich mit OCTglaukomrelevante Messungen dar?

Die Messwerte der retinalen Nervenfaserschicht (RNFL)und der minimalen neuroretinalen Randsaumbreite(BMO‑MRW) werden 360° in einer gestreckten TSNIT-Grafik (temporal-superior-nasal-inferior-temporal) dar-gestellt, wobei die aktuelle Messung den Messwerteneiner Normalpopulation gegenübergestellt wird. Diezweifache Standardabweichung wird in Grün, die 95%-Perzentile in Gelb (grenzwertig) und 99%-Perzentile inRot (pathologisch) in verschiedenen Sektoren und als Ge-samtwert, gemittelt über alle Sektoren, dargestellt.

Dickenwerte der Ganglienzellschicht eines Makulavolu-mens werden in regionalen Absolutwerten (auch alsTopografiekarte) oder ebenfalls farbkodiert im Vergleichzu Normwerten dargestellt. Abweichungen zu Norm-dicken erscheinen in Gelb und Rot und geben einen ra-schen Überblick über die Topografie der Makulaschichtenim Aufblick auf den Augenhintergrund.

ispielhaft eine Übersichtsdarstellung für ein rechtes Auge mit den TSNIToretinale Randsaumbreite (BMO‑MRW), retinale Nervenfaserschicht (RNFn). Zwischen den Grafiken unten eine Darstellung zur hemisphärischen M

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Eine beispielhafte Übersichtsdarstellung für ein rechtesAuge zeigt ▶ Abb. 1.

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Was spricht für ein Glaukom?Bei der OCT-Befundung sollte zunächst das Augenmerkauf die RNFL gelegt werden (bei frühen Glaukomen amaussagekräftigsten [6]), gefolgt von der minimalen neu-roretinalen Randsaumbreite (BMO‑MRW) und Dicke derGanglienzellschicht (GCL). Das Höhenprofil von RNFLund BMO‑MRW sollte harmonische Übergänge von Gipfelzu Tal haben. Steile Abbrüche oder Einkerbungen im Hö-henprofil sprechen für fokale Defekte der RNFL oder derminimalen neuroretinalen Randsaumbreite (am häufigs-ten temporal unten und oben).

Das Dickenprofil sollte im grünen Referenzbereich liegenund man kommt nicht umhin, die B-Scan-Bilder und Seg-mentierungen sich noch einmal genau anzuschauen.

Das Infrarot-Fundusbild kann Informationen zu mögli-chen Papillenrandblutungen (Cave: sind aber nur in 50%der Fälle sichtbar), zur parapapillären Atrophiezone und

-Grafiken (temporal-superior-nasal-inferior-temporal) für mi-L) (oben) und Dicke der Netzhaut und der Ganglienzellschichtakulasymmetrie (der Grad der Abweichung grau kodiert).

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FALLBEISPIEL 1

Rechtes Auge einer Patientin, 32 Jahre alt. Familiäres juveniles Offenwinkelglaukommit bei Diagnosestellung sehr hohen intraokularen

Druckwerten über 40mmHg. Jetzt regulierter, intraokularer Druck von 9–20mmHg. Der Fernvisus beträgt beidseits 1,0, die zentrale

Hornhautdicke beträgt R 542 µm, L536 µm. Die Papille ist leicht exkaviert (a, weißer Pfeil), blass; wahrscheinlich aufgrund der initialen

hohen Drucklage kommt eine einfache Atrophiekomponente hinzu. Das Gesichtsfeld ist beginnend glaukomatös verändert (b, blaue

Pfeile).

Die retinale Nervenfaserschicht (RNFL) ist aufgrund der einfachen Komponente der Optikusatrophie deutlich in der Schichtdicke verrin-

gert (d unten), die minimale neuroretinale Randsaumbreite (BMO-Fläche 2,56mm2) vor allem im unteren Bereich der Papille atrophiert

(d oben, schwarzer Pfeil). Die makuläre Ganglienzellschicht ist in der Topografie unten und temporal gemindert (c, kalte Farben, weiße

Pfeile), und in der Differenzkarte zur Normdatenbank ist die Verdünnung jenseits der 99%-Perzentile in rot dargestellt (e, weißer Pfeil).

▶ Abb. 2 Familiäres juveniles Offenwinkelglaukom.

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Exkavationsbeschaffenheit (hell), im Verhältnis zur NRR-Form (dunkel) geben. Fokale RNFL-Defekte sind sehr gutdetektierbar (dunkel auf hell).

Die zentrale Makulatopografiekarte sollte die perifoveola-re Verdickung der Netzhaut als ringförmige Erhebungdarstellen (Donut-Form). Verschiedene Hersteller ver-wenden farbkodierte Dickenkarten, auf denen Abwei-chungen von der Norm schnell erfasst werden können.Auch Abweichungskarten zur Normalpopulation werdenangeboten, die in Grün, Gelb und Rot Auskunft über Ab-weichungen von Normschichtdicken geben. Auch solltenbei Auffälligkeiten der Topografie noch einmal das B-Scan-Bild und die Segmentierung überprüft werden.

Typischerweise atrophiert bei Glaukomen, korrespondie-rend zu den RNFL-Ausfällen temporal oben und unten,der temporale Anteil des GCL-Rings zuerst. In dieser Re-gion liegen die Axonsomata. Die Trennlinie ist die AchseFovea–Papillenmitte, die Raphe. Fortgeschrittene Glau-kome zeigen nicht selten eine diffuse Verdünnung von re-tinaler Nervenfaserschicht (RNF), minimaler neuroretina-ler Randsaumbreite (BMO‑MRW) sowie Ganglienzell-schicht (GCL) im OCT.

Die Asymmetrie rechts versus links ist ebenfalls ein be-deutsamer Marker für eine einseitig betonte Glaukom-erkrankung. Auch hier werden zu diesem Zweck in denOCT-Programmen Symmetriedarstellungen angeboten.Die Asymmetrie zwischen oberer und unterer Makula-schichtdicke ist bei der GCL-Beurteilung wertvoll, da auchhier entweder oben oder unten die Atrophie mehr betontist.

TIPP

Bevor OCT-Schichtdickenmesswerte im Vergleich zur

Normpopulation für Therapieentscheidungen heran-

gezogen werden, muss man sich über zahlreiche

Einflussgrößen (Segmentierungsfehler, Sektoren-

zuordnung) im Klaren sein, um sich durch eine so-

genannte „Green Disease“ (OCT normwertig, Patient

aber erkrankt) oder durch eine „Red Disease“ (OCT

pathologisch, Patient jedoch gesund) nicht täuschen

zu lassen.

Mardin C. OC

Im Zweifel, ob eine Glaukomerkrankung bereits zugrundeliegt, gibt die Verlaufsbeobachtung eine gute Informa-tion. Ist eine Schichtdickenabnahme (Ausgangswert derperipapillären Nervenfaserschichtdicke [normale, mitt-lere RNFL]= ca. 100 µm) ausgeprägter (RNFL-Verlust> 1,2 µm/Jahr) als der Altersverlust (RNFL ca. 0,6 µm/Jahr), so kann auch dies als eine fortschreitende Atrophiegewertet werden. Die grafische Darstellung als Ereignisoder Trend gibt hier Klarheit.

Die Trendanalyse zeigt eine schlechtere Ortsauflösung alsdie Ereignisanalyse, gibt dem Untersucher jedoch durcheine statistische Aussage (wieviel µm pro Jahr Verlust,mit welcher statistischen Signifikanz) etwas mehr Sicher-heit in der Beurteilung einer Progression. Hierzu ist es rat-sam, den Patienten öfter als jährlich, z.B. viertel- oderhalbjährlich einzubestellen, damit kurzfristige Änderun-gen statistisch eher bemerkt werden. Da in der Trendana-lyse erst nach 5 Messungen statistische Signifikanzen ge-zeigt werden, kann der Patient z. B. nach der Basisunter-suchung nach 3 Monaten und dann in den ersten 2 Jahrenweitere 4-mal untersucht werden.

Ursachen für Artefakte und Fehlmessungen liegen einmalin der Aufnahmetechnik und zum zweiten in der individu-ellen Pathologie des untersuchten Auges. Letztere sindeinerseits anatomische Besonderheiten wie vitreoretinaleTraktionen, zystoide Ödeme (wie Verbreiterung der ma-kulären inneren nukleären Schicht), weiche Drusen, myo-pe Dehnungsareale, andererseits nicht glaukomassoziier-te Optikuspathologien wie Drusen oder einfache Optikus-atrophie mit aufsteigenden und absteigenden Ursachen.Aus diesem Grund ist es entscheidend, dass der Augen-vorder- und ‑hinterabschnitt zur OCT-Aufnahme sorg-fältig klinisch untersucht wurde. Das Gleiche gilt für dieMusterung der OCT‑B-Scans auf Segmentierungsfehler,anatomische Besonderheiten (Papillenrandblutungen)und Bildqualität.

MerkeEine OCT-Untersuchung ist kein Diagnoseautomatvergleichbar einer Black Box. Dieses Thema wirdmit der zunehmenden Anwendung Künstlicher Intel-ligenz in Zukunft noch bedeutsamer.

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FALLBEISPIEL 2

Männlicher Patient, 67 Jahre alt, Normaldruckglau-

kom. Am linken Auge besteht eine NRR-Kerbe der

Papille bei 5 Uhr (a, weißer Pfeil), temporal zeigt die

retinale Nervenfaserschicht (RNFL) im OCT eine deut-

liche Verdünnung (b, schwarzer Pfeil) (▶ Abb. 3).

Die Netzhautdicke (c, schwarzer Pfeil) ist oben und

unten symmetrisch, obwohl auf dem Infrarotbild

(d, weißer Pfeil) ein deutlicher RNFL-Verlust unten

bogenförmig sichtbar ist (f, weißer Pfeil). In diesem

Areal (d, grüne Linie) ist die innere Körnerschicht

deutlich zystoid aufgetrieben (e, h, weißer Pfeil),

die Ganglienzellschicht (GCL) dagegen verdünnt

(g, weißer Pfeil). Insgesamt zeigt sich damit, netto,

keine Verdünnung der Netzhautgesamtdicke.

Auf der unten (i) dargestellten Abweichungskarte

siehtman deshalb auf der GCL-Dickenkarte in Rot eine

deutlich ausgeprägtere Atrophie (Mitte, rot) als in der

Netzhautdickenkarte (rechts oben).D

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Worauf muss ich bei derOCT-Bildaufnahme achten?

Die korrekte Positionierung des Patienten zur Vermei-dung einer Verkippung (Tilt) des Kopfes hat einen großenEinfluss auf Verlaufsuntersuchungen, da diese nicht voll-ständig von dem Gerät korrigiert werden kann. Im Ver-lauf können unterschiedliche Kopfneigungen nach linksoder rechts zu unterschiedlichen Lagen in der x,y-Positi-on des Fundusbildes und somit zu rotatorischen Artefak-ten vor allem bei zirkumpapillären Kreisscans führen. EinBeispiel für die Möglichkeit, dies in der Verlaufsuntersu-chung auszugleichen, ist die Ausrichtung des Papillen-zentrums auf die Fovea (FoDi, Heidelberg Engineering)für die korrekte Alignierung des peripapillären Kreisscansim Verlauf.

Vor allem dreidimensionale Aufnahmen erfordern multi-ple, gut alignierte B-Bilder ohne Bildversatz (z.B. durchAPS = automated Positioning System). Hauptsächlichsind unwillkürliche Augenbewegungen der Grund für Be-wegungsartefakte, die sich negativ auf die Bildqualitätauswirken. Tremor, langsames Abweichen und Mikrosak-kaden gilt es zu korrigieren. Die Hersteller versuchen,dies durch unterschiedliche Hard- und Softwarelösungenauszugleichen (z. B. TruTrack, Heidelberg Engineering;VTrac Active Tracking, Optovue; FastTrac, Zeiss; SmartTrac,Topcon).

Das Gleiche gilt für die Wahl des korrekten Abstandes desAuges vom Objektiv, welche die Qualität und Position desBildes (Sensitivity-Roll-off bei Spectral-Domain OCT) be-einflusst.

Einem trockenen Auge mit pathologischem Tränenfilmbegegnet man mit der Gabe von künstlichen Tränen vorder Untersuchung. Eine lange Untersuchungsdauer kannzur Austrocknung der Korneaoberfläche führen und da-durch zu einer teils erheblichen Minderung der Bildquali-tät, da Tränenfilm und Hornhautepithel den ersten Über-gang von Luft zum festen Medium darstellen und somitdie Brechung des Laserstrahls beeinflussen. Hier kannmit der Anwendung vonTränenersatzmitteln vor der Bild-aufnahme entgegengewirkt werden.

Die Fixation, sei es intern oder extern, kann bei schlech-tem Visus oder funktioneller Einäugigkeit herausforderndsein.

Die korrekte Ausleuchtung des Infrarot-Fundusbildesohne Abschattungen am Rand sowie das Scharfstellender zu untersuchenden Struktur sind essenziell.

Mardin C. OCT-Diagnostik beim Glaukom:… Klin Monatsbl Augenheilkd 2020; 237: 539

Die korrekte Positionierung und Zentrierung des peripa-pillären Kreisscans sowie die Zentrierung des Makulavolu-mens auf die Foveola sind entscheidend für den korrek-ten Vergleich mit der Normdatenbank.

Hohen Astigmatismen sowie hohen Achslängen kann be-gegnet werden durch folgende Maßnahmen:▪ Tragen von Kontaktlinsen,▪ Vorsatz astigmatischer Gläser und▪ richtige Gerätevoreinstellung:

– normal,– myop,– hochmyop.

TAKE HOME MESSAGE

Die Bildqualität muss im Normbereich sein,

damit die Untersuchung aussagekräftig wird.

Was sind glaukomassoziierteEinflussgrößen bei der OCT-Messung?

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FALLBEISPIEL 2 (FORTSETZUNG)

▶ Abb. 3 Normaldruckglaukom.

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Bei fokalen Defekten der RNFL kann es infolge des fokalenVerlustes der korrespondierenden Ganglienzellschicht zueiner zystoiden Erweiterung der darunter liegenden inne-ren Körnerschicht kommen. Die Aufweitung der innerenKörnerschicht und die darüber liegende Verdünnung derGanglienzellschicht (GCL) kann netto zu einer pseudonor-malen Gesamtnetzhautdicke führen, welche unauffälligerscheint, obwohl bereits ein deutlicher Schaden vorhan-den ist. Die zystoide Erweiterung kann hinweisend seinauf eine Progression des Glaukoms. Diese Veränderung,die sehr gut in B-Scans des Makulavolumens gesehenwerden kann, ist ebenfalls bei Multipler Sklerose und an-deren Optikusatrophien ein Marker für den Schweregradder Erkrankung.

Ab einer mittleren RNFL-Schichtdicke von ca. 50 µm isteine Progression nicht weiter zu erwarten [7]. In diesemStadium erscheinen die makuläre GCL-Dickenmessungund Reduktion der Kapillardichte in der OCT-Angiografieaussagekräftiger [8].

FALLBEISPIEL 3

52-jährige Patientin mit Glaukomverdacht bei schräger, vitaler,

Das Makula-OCT (rechts) zeigt eine unregelmäßige Topografie d

Membran (unten, B-Bild), die ebenfalls zu einer Verdickung der

Damit ist diese Untersuchung nicht aussagekräftig.

▶ Abb. 4 Glaukomverdacht.

Mardin C. OCT-Diagnostik beim Glaukom:… Klin Monatsbl Augenheilkd 2020; 237: 539

Papillenrandblutungen in der RNFL, die sich in die Peri-pherie ausdehnen, können zu einer artifiziellen Ver-dickung der Schichtmessung mit einer nachfolgendenVerdünnung der RNFL führen.

Um glaukomassoziierte anatomische Veränderungen be-urteilen zu können, sollten die hochauflösenden B-Scans,wie histologische Schnitte betrachtet werden.

Was sind nicht glaukomassoziierteanatomische Einflussgrößen bei derOCT-Messung?

Von der Glaukomerkrankung unabhängige Veränderun-gen können die Anatomie und damit die Messung der Di-cke der retinale Nervenfaserschicht (RNFL) und der Gan-glienzellschicht (GCL) und der minimalen neuroretinalenRandsaumbreite (BMO‑MRW) beeinflussen. Am häufigs-

myopischer Papille (Bild links oben) (▶ Abb. 4).

er Netzhautdicke durch Segmentierung der epiretinalen

zentralen Netzhaut führt.

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ten sind dies Veränderungen des vitreoretinalen Interfacewie epiretinale Membranen und Traktionen, die zur Auf-spleißung vor allem der bereits erkrankten RNFL führen.Auch durch die Traktion der zentralen Makula können Vo-lumenscans der Makula falsch segmentiert werden.

Intraretinal sind es meist zystoide Ödeme bei neovaskulä-rer altersassoziierter Makuladegeneration (AMD), dia-betischer Retinopathie oder retinalen Gefäßverschlüssen,die eine korrekte Segmentierung der Netzhautschichtenverhindern oder zu hohe Werte für die Messung verursa-chen. Eine altersabhängige Makuladegeneration mit wei-chen, konfluierenden Drusen und Abhebungen der reti-nalen Pigmentepithelschicht können auch die Segmen-tierung der RNFL im OCT und damit die Schichtdicken-messung beeinträchtigen.

Problematisch sind artifizielle Messungen von retinalenGefäßen oder Abschattungen, Glaskörperverdichtungenan der Membrana limitans interna oder untypische Endi-gungen der Bruch-Membran. Letztere sind temporal beiflach auslaufenden, myopischen Papillen sehr peripherzu finden und führen zu ungewollten Dickenmessungenäußerer Netzhautschichten. Aus diesem Grund müssenalle Messpunkte im B-Scan vom Untersucher kontrolliertund bei Bedarf korrigiert werden.

Hochmyope Augen mit einer hohen Achsenlänge undposterioren Staphylomen zeigen eine unterschiedlicheVerteilung der retinalen Nervenfasern (RNF) am Fundusund damit auch am Scankreis. Hier neigen die RNFL-Gip-fel dazu, sich nach temporal zu verlagern, und fallen des-halb außerhalb der normalen TSNIT-Grafik. Dieses Arte-fakt versuchen die OCT-Geräte mit der Berücksichtigungder Hornhautkrümmung und Refraktion auszugleichen,deren Eingabe in der Praxis nicht immer geschieht, so-dass von der Software Standardwerte verwendet werden.Der Scankreis, der unter einem festen Winkel eingestrahltwird, wird durch die hohe Achslänge des hochmyopenAuges zu weit von der Papille entfernt abgebildet. Damitverschieben sich die RNF-Maxima, bedingt durch den bo-genförmigen Verlauf der RNF zur Papille zu weit nachtemporal.

Auch posteriore Staphylome und schräge Sehnervenein-tritte machen teilweise eine sinnvolle Segmentierungder RNF unmöglich. Das SPECTRALIS‑OCT (HeidelbergEngineering, Heidelberg) bietet hier Scankreise miteinem höheren Durchmesser als 3,5 mm an, um dann inRegionen außerhalb des Staphyloms eine RNFL-Messungdurchzuführen (4,1 und 4,7mm). Alternativ kann diemakuläre Ganglienzellschichtdicke als Glaukommarkeranalysiert werden. Gelingt dies nicht, müssen andere,glaukomrelevante Variablen, wie Papillenmorphologieoder fokale RNF-Defekte, betrachtet werden.

Mardin C. OC

Papillenform und Papillengröße können die Analyse derminimalen neuroretinalen Randsaumbreite im OCT be-einflussen. Sehr kleine Papillen bewirken aufgrund desgeringen Durchmessers des Optikoskleralkanals Werteder minimalen neuroretinalen Randsaumbreite(BMO‑MRW) im oberen Perzentilenbereich. Große Papil-len zeigen hingegen Werte am unteren Perzentilen-bereich bedingt durch die NRR-Verteilung entlang einesgrößeren Skleralkanalumfangs.

Vor allem bei myopischen Augen ist die Papillenflächeund BMO-Fläche mit der Achsenlänge positiv korreliert[9]. Dies kann zu einer Fehleinschätzung der BMO‑MRWführen. Große und kleine Bruch-Membran-Öffnungen be-einflussen den Grad der Abweichung von der Normal-population [6]. Bei frühen Glaukomen kann BMO‑MRWbei kleinen Papillen eine größere Normabweichung zei-gen als die RNFL. Bei großen Papillen verhält es sich eherumgekehrt.

TAKE HOME MESSAGE

Alle anatomischen, pathologischen Veränderungen

des Fundus können OCT-Messungen beeinflussen.

Wie unterscheide ich andere Ganglienzell-und Optikusatrophien in der Differenzial-diagnose zu Glaukomen in der OCT?

Auch wenn Aufnahme und Segmentierung von neuroreti-nalem Randsaum (NRR), retinaler Nervenfaserschicht(RNFL) und Ganglienzellschicht (GCL) fehlerfrei gelingen,gibt es dennoch pathologische Befunde, die nicht miteiner Glaukomerkrankung zusammenhängen. Alle Ur-sachen einer aufsteigenden (von den inneren Netzhaut-schichten bis zur Lamina cribrosa) und einer absteigen-den (von der Lamina cribrosa bis zum Ganglion genicula-tum) Optikusatrophie beeinflussen OCT-Schichtdicken-messungen und können im pathologischen Bereich lie-gen.

CavePrinzipiell muss bei einem Zweifel an einem Glau-komschaden die Papille ophthalmoskopiert und eineeinfache Optikusatrophie ausgeschlossen werden.Unterstützend wird eine Gesichtsfelduntersuchungdurchgeführt.

Aber auch bestimmte OCT-Messwertkonstellationenkönnen auf eine nicht glaukomassoziierte Atrophie hin-weisen.

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FALLBEISPIEL

Fall 4

Männlicher Patient, 42 Jahre alt. Seit einigenTagen auf 0,15 geminderter Visus im rechten Auge; afferente Pupillendifferenz positiv.

Der Patient wurde aufgrund von Gesichtsfeldausfällen mit Glaukomverdacht vorgestellt.

Betrachtet man nur den OCT-Befund, so fällt dem Untersucher eine grenzwertige minimale neuroretinale Randsaumbreite (BMO‑MRW;

a) bei deutlich reduzierter retinaler Nervenfaserschicht (RNFL) (b) und Netzhautatrophie (c) auf (▶ Abb. 5). Die Ophthalmoskopie erklärt

denWiderspruch: Es handelt sich nicht um ein Glaukom, sondern um eine einfache, absteigende Optikusatrophie mit temporaler Blässe

(d) nach Neuritis nervi optici.

▶ Abb. 5 Differenzialdiagnose bei Glaukomverdacht.

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MerkePrinzipiell sind bei Glaukomen Dickenreduzierungender retinalen Nervenfaserschicht (RNFL) und derminimalen neuroretinalen Randsaumbreite (BMO-MRW) bei regulärer Papillenform temporal oben undunten am ausgeprägtesten und temporal langeweniger reduziert.

Abweichungen von diesem Muster bei regulärer Papillen-form mit normaler Position des retinalen Gefäßbaums(meist nasal oben) wie bei einer temporal betontenRNFL-Dickenabnahme weisen z.B. auf postneuritische

Mardin C. OCT-Diagnostik beim Glaukom:… Klin Monatsbl Augenheilkd 2020; 237: 539

Atrophien hin. Eine segmental, horizontal ausgeprägteReduktion der RNFL-Dicke kann mit einem retinalen,hemisphärischen Gefäßverschluss oder einer nicht arte-riitischen Papillenatrophie zusammenhängen. Bei dereinfachen Optikusatrophie kommt es zu einer Abfla-chung des neuroretinalen Randsaums (Erhalt von Astro-glia und Verlust von Axonen) bei nur gering vergrößerterExkavation, weshalb die NRR-Dicke seltener auffällig istoder weniger schichtdickenreduziert ist.

Der makuläre Ganglienzellschichtdickenverlust bei Glau-komen folgt dem bogenförmigen, fokalen RNFL-Ausfall

547–551

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KERNAUSSAGEN

▪ Hochauflösende OCT-Technik erlaubt die Darstel-

lung und Vermessung von retinaler Ganglienzell-

schicht (GCL) und Nervenfaserschicht mit hoher

Auflösung ähnlich einem histologischen Schnitt.

▪ Die Messung glaukomrelevanter Strukturen am

Augenhintergrundmit demOCT erleichtert die

Diagnosestellung und Verlaufsbeobachtung bei

frühen Glaukomen.

▪ Die farbkodierte Darstellung von Abweichungen

von der Normalpopulation erlauben dem Unter-

sucher einen schnellen Überblick auf pathologische

Messungen.

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CME-Fortbildung

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mit Atrophie der Ganglienzellsomata. Somit ist dieSchichtdickenkarte temporal oben oder temporal untenzu Beginn der Erkrankung pathologisch (Form eines an-gebissenen Donuts oder Form eines Nautilusgehäuses).Bei einer kompletten, einfachen Optikusatrophie ist dieGCL-Dicke diffus reduziert und ähnelt einer weit fort-geschrittenen, glaukomatösen Optikusatrophie. Gleich-zeitig ist die RNFL-Dicke diffus ausgeprägt pathologisch.Im Kontrast zu diesen Befunden steht meistens nur einerelativ gering verdünnte BMO‑MRW-Dicke in der OCT.

TIPP

Sind die makuläre Dicke der Ganglienzellschicht und

die retinale Nervenfaserschicht in der OCT reduziert

und die minimale Randsaumbreite fast unauffällig,

sollte an eine neurologische, degenerierende Er-

krankung wie Morbus Alzheimer gedacht werden.

Erstaunlicherweise findet man nicht selten erste

pathologische OCT-Veränderungen im Bereich der

Ganglienzellschichtdicke.

Eine vertikale Ausrichtung des Verdünnungsmusters derGanglienzellschicht homonym oder binasal weist auf eineabsteigende Atrophie des N. opticus bei zerebralen Mit-tellinienerkrankungen wie einem kompressiv wachsen-den Hypophysenadenom oder auf eine links- oder rechts-hirnige Erkrankung mit transsynaptischer Degenerationhin. Der OCT-Untersuchung sollte dann eine Gesichts-felduntersuchung nachfolgen, da hier nicht selten zumOCT-Befund kongruente, homonyme oder bitemporaleAusfälle offenbar werden.

CaveDie Differenzialdiagnose der glaukomatösen Papil-lenschädigung kann für den Patienten auch vonvitaler Bedeutung sein.

▪ Die Bildqualität von OCT-Aufnahmen ist für die

Zuverlässigkeit der Messungen entscheidend.

▪ Es ist die Aufgabe des befundenden Arztes, Arte-

fakte und Fehlmessungen zu erkennen, um Fehl-

interpretationen zu vermeiden.

▪ Artefakte können sowohl durch glaukomasso-

ziierte Pathologien als auch durch nicht glauko-

matöse Veränderungen am hinteren Augenpol

verursacht werden.

▪Myopische Papillen mit verdünnten Netzhaut-

schichten und schrägem Sehnerveneintritt sind

auch für die OCT-Untersuchung eine Heraus-

forderung.

▪ Bedeutsam ist in der Differenzialdiagnose das

Erkennen neurologischer Erkrankungen und ihren

Veränderungen in der retinalen Ganglienzell- und

Nervenfaserschicht.

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Was tun bei Papillendrusen,Papillenödem, Papilla leporina?

Papillendrusen und Papillenödem führen zu einer über-höhten minimalen Randsaumbreitenmessung. Jedocherscheint die retinale Nervenfaserschicht (RNFL) beiÖdemen durch Aufstau, Entzündung und Ischämie nochdicker und neigt bei einer Stauung zur Faltenbildung(Patton-Ringe). Abschattungen durch retinale Gefäße,Ödem und Drusen können die Darstellung der Bruch-Membran-Endigung und damit die Segmentierung er-schweren. Damit gelingt die Segmentierung nicht mehr.

Die Dicke der retinalen Nervenfaserschicht (RNFL) ist einealternative Messgröße zur Beurteilung einer Atrophie,welche sowohl bei Drusen als auch nach einem neuriti-schen/ischämischen Ereignis eintritt und eine Verdün-

Mardin C. OC

nung der RNFL zeigt. Auch die Messung der verdünntenGanglienzellschicht (GCL) ist ein guter Marker zur Beur-teilung einer nach dem Ereignis eintretenden einfachenAtrophie.

Eine komplexe Papillenatrophie führt durch Vermehrungvon Astroglia und gleichzeitigem Verlust von Axonen(z. B. nach arteriitischer Papillenapoplexie) zu einer blas-sen, randunscharfen Papille. Dies schlägt sich in einer re-duzierten RNFL-Dicke im OCT-Bild bei übernormaler mi-nimaler neuroretinaler Randsaumbreite (BMO‑MRW) nie-der. Auch hier ist die Beurteilung der verdünnten GCL zurDiagnosefindung hilfreich.

Myelinisierung der retinalen Nervenfaserschicht bei einerPapilla leporina führt ebenfalls zu einer artifiziellen Ver-dickung der BMO‑MRW und RNFL-Dicke. Beides er-schwert die Beurteilung eines Glaukomschadens. Auchhier empfiehlt es sich, auf die GCL-Dicke auszuweichen.

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Danksagung

Mardi

Claudia Holzhey und Martin Long von der Heidelberg Engi-neering Academy gilt besonderer Dank für den jahrelangen,intensiven Austausch zu OCT-Aufnahmen und die kritischeDurchsicht des Artikels.

Interessenkonflikt

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Erklärung zu finanziellen InteressenForschungsförderung erhalten: nein; Honorar/geldwertenVorteil für Referententätigkeit erhalten: ja, von einer anderenInstitution (Pharma- oder Medizintechnikfirma usw.).; Bezahl-ter Berater/interner Schulungsreferent/Gehaltsempfänger:nein; Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepart-ner, Kinder) an Firma (Nicht-Sponsor der Veranstaltung): nein;Patent/Geschäftsanteile/Aktien (Autor/Partner, Ehepartner,Kinder) an Firma (Sponsor der Veranstaltung): nein.

Erklärung zu nichtfinanziellen InteressenMitgliedschaften: ARVO, DOG, BVA, NOS, SIDUO

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Autorinnen/Autoren

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Christian Y. Mardin

Prof. Dr. med. Medizinstudium 1985–1991(Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg), Promotion 1991. Facharztausbil-dung 1991–1996 an der Universitätsaugenkli-nik Erlangen); Außerplanmäßiger Professor

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2006. Tätig als leitender Oberarzt der Univer-sitätsaugenklinik Erlangen seit 2013. Mitglied in DOG, ARVO,SIDUO, NOS. Außerklinisches Engagement für die ChristoffelBlindenmission in Nepal seit 2002 und Deutsch-Vietname-sische Zusammenarbeit in der Augenheilkunde.

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Korrespondenzadresse

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Prof. Dr. Christian Y. Mardin

Universitätsklinikum ErlangenAugenklinikSchwabachanlage 691054 [email protected]

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Wissenschaftlich verantwortlichgemäß Zertifizierungsbestimmungen

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Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungs-

bestimmungen für diesen Beitrag ist Prof. Dr. Christian Y.Mardin, Erlangen.

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Literatur

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[4] Chauhan BC, OʼLeary N, AlMobarak FA et al. Enhanced detec-tion of open-angle glaucoma with an anatomically accurateOCT-derived NRR parameter. Ophthalmology 2013; 120:535–543

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[8] Moghimi S, Bowd C, Zangwill LM et al. measurement floorsand dynamic ranges of OCT and OCT angiography in glauco-ma. Ophthalmology 2019; 126: 980–988

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Bibliografie

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DOI https://doi.org/10.1055/a-1098-3466Online-publiziert 3.2.2020 | Klin Monatsbl Augenheilkd 2020;237: 539–551© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New YorkISSN 0023-2165

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CME-Fortbildung

Punkte sammeln auf CME.thieme.de

Diese Fortbildungseinheit ist in der Regel 12 Monate online für die Teilnahme verfügbar.Den genauen Einsendeschluss finden Sie unter https://cme.thieme.de.Sollten Sie Fragen zur Online-Teilnahme haben, finden Sie unter https://cme.thieme.de/hilfeeine ausführliche Anleitung. Wir wünschen viel Erfolg beim Beantwortender Fragen!

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Unter https://eref.thieme.de/CXD68BJ oder über den QR-Code kommen Siedirekt zur Startseite des Wissenstests.

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Frage 1

Welche digitale axiale Auflösung bietet die Spectral-DomainOCT?A 10 µmB 50 µmC 0,2mmD 3,9 µmE 860 nm

Frage 2

Die mittlere peripapilläre Nervenfaserschichtdicke in der OCT-Standardmessung beträgt am ehesten …A 100 µm.B 69 µm.C 256 µm.D 30 µm.E 50 µm.

Frage 3

Einen der folgenden Befunde zeigt das Infrarot-Reflexionsbildder OCT-Aufnahme nicht gut. Welchen?A fokale Defekte der retinalen NervenfaserschichtB PapillenrandblutungenC retinale GefäßeD ExkavationE einen neuroretinalen Randsaum

Frage 4

Wo zeigt sich die erste Verdünnung von retinaler Nervenfaser-schicht und neuroretinalem Randsaum (MRW‑BMO) in derOCT-Messung?A nasalB temporalC immer diffus über 360°D temporal untenE nasal oben

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Frage 5

Wie groß ist der mittlere jährliche Altersverlust der peripapillä-ren, retinalen Nervenfaserschicht einer Normalperson in derOCT-Messung?A 1,5 µmB 1,2 µmC 0,1 µmD 2,3 µmE 0,6 µm

Frage 6

Glaukomassoziierte Messartefakte in der OCT-Aufnahme wer-den wodurch verursacht?A zystoide Verbreiterung der makulären inneren, nukleären

SchichtB Verlust der myoiden Zone der PhotorezeptorenC epiretinale MembranenD DrusenE harte Exsudate

Frage 7

Nicht glaukomassoziierte Gewebsartefakte führen zu einer Ver-dickung der retinalen Nervenfaserschichtsegmentierung beiwelchem der genannten Befunde?A bei geografischer Atrophie des RPEB bei epiretinaler GlioseC bei PapillenkolobomD bei myopischem Staphyloma posticumE bei Papillenrandblutungen

▶ Weitere Fragen auf der folgenden Seite…

din C. OCT-Diagnostik beim Glaukom:… Klin Monatsbl Augenheilkd 2020; 237: 539–551

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Punkte sammeln auf CME.thieme.de

Fortsetzung…

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Frage 8

Hochmyope Augen zeigen in der OCT-Messung welche der fol-genden Veränderungen?A Verlagerung der Schichtmaxima der retinalen Nervenfasern

(RNF) nach nasalB Zone Gamma mit Bruch-MembranC Verlagerung der RNF-Schichtmaxima nach temporalD MikropapillenE verdickte minimale neuroretinale Randsaumbreite

(BMO‑MRW)

Frage 9

Neurologische Erkrankungen des Zentralnervensystems führenin der OCT-Darstellung des hinteren Pols nicht zu …A einer diffusen Verdünnung der Ganglienzellschicht.B homonymen Atrophie der Ganglienzellschicht.C einem ausgeprägteren Verlust von retinalen Nervenfasern

(RNF) als bei der minimalen neuroretinalen Randsaumbreite(BMO‑MRW).

D dem typischen Verlust von RNF-Schichtdicke temporal oben.E frühem Verlust der Ganglienzellschicht.

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Frage 10

Papillendrusen und Papillenödem zeigen in der OCT-Unter-suchung welchen der im Folgenden genannten Befunde?A im Verlauf eine Verdünnung der Schichtdicke retinaler Ner-

venfasernB von Beginn an eine verdünnte minimale neuroretinale Rand-

saumbreite (BMO‑MRW)C immer den gleichen, parallelen Verlauf von BMO‑MRW und

RNFD keine Artefakte in der Segmentierung der Endigung der

Bruch-MembranE immer eine klare Unterscheidung voneinander

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