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ÜBER DEN URSPRUNG DER VÖGELUND DEN VOGELFLUG ALS GEGENSTAND ANATOMISCHER

FORSCHUNG.EIN GESCHICHTLICHES MOSAIK

Bernd Vollmerhaus

Inhalt

Ursprung der VögelArchaeopteryx lithographicaBefiederte Saurier und frühe Vögel

Erforschungsgeschichte der VögelVorgeschichtliche ZeitGeschichtliche Zeit bis zum Beginn der modemen AnatomieAnatomische Forschung an Vogelfeder und Vogelflügel

George SARTON (1884 - 1956), der "Vater der Geschichte derWissenschaft", hat eindringlich die Beschäftigung aller Wissenschaftlermit der Geschichte ihres Faches gefordert. Für die Veterinännedizin hatAugust POSTOLKA, der 1887 in Wien eine "Geschichte derThierheilkunde" geschrieben hat, formulierte: "Wer von der Geschichteseines Faches ... nichts weiß, ist ein Fremdling in seinem eigenen Haus".Tatsächlich kann man durch die historische Aufarbeitung den eigenenLehr- und Forschungsgegenstand besser ganzheitlich begreifen, planvolldurchdringen und mit Begeisterung weiter entwickeln und vermitteln.

In diesem Sinne sei die geschichtliche Entwicklung der Morphologie derVögel beschreiben, der sich nun nicht nur Anatomen gewidmet haben,sondern Naturwissenschaftler verschiedenster Richtungen, Zoologen,Botaniker, Mathematiker, Geologen, aber auch Philosophen undTheologen sowie viele Autodidakten, darunter Persönlichkeiten

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kaiserlichen Geblüts. Kurzum: Menschen unterschiedlicher Herkunft undZeiten haben durch die Anziehungskraft des Bezüglichen einenWissenszweig gestaltet und geweitet.

So ist ein Aspekt dieser Vorlesung, eine Personengeschichtevogelkundlichen Wissens vorzustellen. Als weitere Betrachtungsweisesoll eine Sach- oder Problemgeschichte dieses Wissenszweigesherausgearbeitet werden, weil das die Vemetzung fachspezifischer Ideenmit denen des zeitadäquaten allgemeinen Denkens aufzuzeigen vermag.

Ich beginne mit dem Ursprung der Vögel vor rund 150 Millionen Jahren.Vögel, Aves, sind wannblütige, geflügelte Abkömmlinge derArchosaurier mit dem unverwechselbaren Charakteristikum desFederkleids. Damit wird der Ursprung der Vögel mit dem erstenAuftreten der Feder gleichgesetzt; diese Lehrmeinung ist nicht mehrunumstritten.

Archaeopteryx - ForschungDer Fund der ältesten Feder datiert aus dem Jahre 1860. Es handelt sichum den Abdruck einer fossilierten Einzelfeder aus dem SolnhofenerPlattenkalk, der vor rund 150 Millionen Jahren entstand. Die Konturfederist etwa 6 cm lang, hat eine kurze Spule und ist sekundär mit Manganoxideingefärbt.Der Fund erregte in der Gelehrtenwelt Aufsehen, weil Vögel für diesesfrühe Erdzeitalter ausgeschlossen wurden. Stimmen wurden laut, die eineFälschung vermuteten. Deshalb wurde der Frankfurter Zoologe Hermannvon MEYER (Abb. 1), eine Autorität unter den Palaeontologen, um eineBegutachtung gebeten. In einer Notiz an das "Neue Jahrbuch fiirMineralogie, Geologie und Paläontologie" bestätigte er 1861 die Echtheitdes Fossils. (Tabelle 1)Als Namen fiir die Tierart, die diese Feder einst trug, schlug erArchaeopteryx lithographica vor, wobei der Gattungsname sich ausArchaios = alt und pteryx = Feder zusammensetzt, und der Artnamelithographica darauf Bezug nimmt, daß das Fossil auf einer für dieLithographie vorgesehenen Platte gefunden worden war.

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Archaeopteryx starb zusammen mit den Dinosauriern spätestens am Endeder Oberkreide aus. Erhalten ist uns der Urvogel in 9 fossilenExemplaren, die sämtlich in und um Solnhofen gefunden wurden.Eine glückliche Fügung brachte es mit sich, daß noch im gleichen Jahr1861 das erste dieser Fossile auf der Langenaltheimer Haardt, einemSteinbruch nahe Solnhofen, als Überreste eines kleinen Wirbeltiers ohneKopf gefunden wurde. An dieser Stelle sei angemerkt, daß es rund 130Jahre nach dem Fund gelang, doch einen Schädelrest aus der Tiefe derGesteinsplatte zu isolieren; und jüngst haben Angela MILNER und ihrTeam daraus die Schädelhöhle dreidimensional rekonstruieren können.Das Besondere an diesem Fossil sind die gut erkennbaren Federabdrückean den zwei flügelähnlichen Vordergliedmaßen und der von Federnumsäumte Schwanz.Man muß bedenken, daß zwei Jahre zuvor, 1859, Charles DARWIN seineAbstammungstheorie veröffentlicht hatte. Dieser Fund des erstenUrvogels repräsentierte das Skelett einer Echse und das Federkleid einesVogels, stellte also gleichsam das Bindeglied zwischen zwei Tierklassendar. Das kam den Beflirwortem der Darwinschen Lehre sehr entgegen.Aber auch seine Gegner waren damals recht lautstark. Zu ihnen zählte derKonservator der Königlich Bayerischen Staatssamm1ung AndreasWAGNER. Er empfahl, ein Kaufangebot abzulehnen. Er veröffentlichtejedoch über den Fund einen kleinen wissenschaftlichen Bericht, derRichard OWEN (1804 - 1892) bekannt wurde. OWEN war der Direktordes Britischen Naturkundemuseums in London. Er war an derAusweitung seines Museums sehr interessiert. So wechselten nachlangwierigen Verhandlungen Platte und Gegenplatten den Besitzer.Seitdem wird dieser Urvogel das Londoner Exemplar genannt. OWEN,ein Gegner Darwins, hat es ausführlich beschrieben; aber erst ThomasHenry HUXLEY, .ein Londoner Zoologe, zugleich Befürworter Darwins,hat dann den Urvogel das "missing link" genannt.15 Jahre nach dem Fund des ersten trat ein zweites Exemplar beiEichstätt zutage: 1876. Ein besonders schönes und vollständiges Fossil,bei dem auch der Schädel sofort sichtbar war. Das Fossil wurde derBerliner geologisch-paläontologischen Sammlung angeboten; dort gab esein hohes Interesse, aber es fehlte - wie im Kulturbereich üblich - dasGeld. Der Berliner Industrielle Wemer von SIEMENS (1816 - 1892)erbot sich, die Kaufsumme vorzuschießen. So wurde es das BerlinerExemplar. Lange Zeit wurde es als Archaeopteryx siemensi gefUhrt.

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Wilhelm DAMES, Kustos der Sammlung, hat das Exemplar untersuchtund beschrieben. Als typisch reptilartig gelten der Schädel mit denZähnen und der kleinen Schädelhöhle, die einfachen Rippen, dieBauchrippen (sogen. Gastralia als Versteifung der Bauchdecke), dasBecken, die Schwanzwirbelsäule sowie das Hand- und Fußskelett.Vogelartig sind die Federn und das Gabelbein; letzteres wird neuerdingsals Unterscheidungsmerkmal in Frage gestellt.

Wenn ich die Fundgeschichte der Archaeopteryx-Fossilien in schnellerFolge komplettiere, beschränke ich mich auf die vollständigen Exemplareund übergehe die Funde, die nur Fragmente zeigen (im übrigen siehe dieTabelle I zur Fundgeschichte).

Als 5. Fund wurde das Eichstätter Exemplar 1951 entdeckt und an denLeiter der Naturkundlichen Sammlung im Bischöflichen SeminarEichstätt, Franz Xaver MAYR (1887 - 1974), verkauft. Er hielt dasFossil zunächst fiir einen kleinen, zweibeinigen Dinosaurier. Erst 20Jahre später bemerkte er bei seitlicher Beleuchtung die schwachenFederabdrücke. Peter WELLNHOFER (geb. 1936) hat es beschrieben.Das Exemplar wird als sehr junges Individuum eingeschätzt. Der Schädelist besonders gut erhalten; sogar die kleinen Knochenplatten desSkleralrings treten in Erscheinung.

Als 6. Fund tauchte 1987 in der Sammlung des AltbürgermeistersFriedrich MüLLER das Solnhofener-Exemplar auf. Wann und wo esgefunden wurde, war angeblich nicht mehr zu ermitteln. Es entbrannteein jahrelanger Rechtsstreit. Nunmehr ist es im Besitz der GemeindeSolnhofen. Auch dieses Exemplar hat Peter WELLNHOFERbeschrieben. Die ursprünglich zerbrochene Platte war notdürftiganeinandergefiigt. Eine Gegenplatte existiert nicht.

Der 7. Fund ist 1992 geborgen worden und auf Platte und Gegenplattebesonders gut erhalten. Auf der einen treten die Skelettteile, auf deranderen die Federabdrücke stärker in Erscheinung. Der Fundort, dieLangenaltheimer Haardt, ist mit dem des Londoner und Maxberg­Exemplars identisch. Es lag jedoch in einer höheren, das heißt geologischjüngeren Schicht. WELLNHOFER hat die Einzelknochen vermessen, mitallen vorherigen verglichen, und er kommt zu dem Schluß, daß eine neue

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Art der Gattung Archaeopteryx vorliegt, der er den NamenArchaeopteryx bavarica gibt.

Im Ergebnis hat die Archaeopteryx - Forschung zwei Problemkreiseerschlossen und beflügelt:1) Einen gen e a log i s c h e n: Ist Archaeopteryx wirklich derVorfahre unserer heutigen Vögel und woher stammen die Urvögel selbst?2) Einen fun k t ion e I I - e t hol 0 gis c h e n : Sind mitArchaeopteryx die Federn entstanden und hat mit dem Urvogel die neueArt des Fliegens, der von Federn getragene Vogelflug, begonnen?

Bis vor etwa 20 Jahren wußte man nicht viel über den Ursprung derUrvögel und auch nicht über ihre direkten Nachkommen. Archaeopteryxstand extrem isoliert in der Systematik der Sauropsiden. Deshalb wurdevon PYCRAFT (1910) über NOPSCA (1923) bis STEINER (1917) undanderen ein hypothetischer Vorvogel, Proavis, erdacht, bei dem es zurVerlängerung der Schuppen an den Armen und Körperflanken bis hinzum Schwanz gekommen sein könnte. Auf dieser Hypothese gründet sichauch die Vorstellung, daß Federn aus Schuppen hervorgegangen seinmüssten, ziemlich plötzlich und durch Aufspaltung. Auf der anderenSeite hatte von Nachfahren lediglich eine Gattung eine gewisseBedeutung erlangt: Hesperomis, die von MARSH beschriebenenpinguinartigen Zahnvögel. Aber Gestalt und Verhalten dieser Vögelwaren gegenüber Archaeopteryx so unterschiedlich, daß sie wohl keinedirekte Ableitung sein konnten.So beklagen Lehr- und Handbücher, wie ungewöhnlich seltenVogelfossilien seien, und daß diese Lückenhaftigkeit in derDokumentation über eine Stammesgeschichte der Vögel Grenzen setze.Das hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten aufgrund zahlreicherFossilfunde aus England, Frankreich, Rumänien, der Mongolei, vor allemaber aus Spanien und China total geändert.Die Vielzahl der Funde befiederter Saurier und früher Vögel mit denunterschiedlichsten Kombinationen von Saurier- und Vogelmerkmalenerlauben jedoch immer noch nicht in eine widerspruchsfreieStammbaumableitung vom Archosaurier zum modemen Vogel. Vielmehrmüssen wohl Parallelentwicklungen angenommen werden und

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Archaeopteryx ist nur ein Ableitungsmodell, wie Vögel aus Sauriernhervorgegangen sein könnten.

Befiederte Saurier undfrühe VögelKein Zweifel besteht unter den Paläontologen, daß die Vögel vonArchosauriern abstammen. Einige Autoren möchten unter den Einflußvon Gerhard HEILMANNs Buch "The Origin of Birds" (1926) denUrsprung in die frühe Zeit der Tecodontier, den Wurzelzähner, stellen.Immer mehr Fachleute schließen sich nun der Vorstellung von JohnOSTROM (geb. 1928) an, der die Vögel aus zweibeinig rennendenCoelurosauriem (sogen. Hohlknochensaurier) hervorgehen läßt.OSTROM hat in Begleitung von WELLNHOFER die neueren Funde vonDinosauriern in China begutachtet, die seine Theorie belegen. Hier dreiBeispiele aus seinem Bericht, die zugleich auch die Evolution der Federnneu beleuchten: Sinosauropteryx prima, 1996 von zwei chinesischenForschern, n QIANG und n SHU-AN beschrieben, stammt aus derProvinz Liaoning im Nordosten Chinas. Das Fossil stellt einen kleinenRaubdinosaurier dar, an dessen Oberseite vom Kopf über Rücken bis zumSchwanz und auf der Unterseite des Schwanzes ein bis 2cm hoher Besatzan feinen Borsten oder Filamenten angeordnet ist. Diese Strukturenkönnten borstenartige Federn sein, und so wurde von "befiederten"Dinosauriern gesprochen: Auch der Name deutet das an: Sin = eine ausChina stammende, sauros =Echse, pteryx =mit Federn ausgestattet.Ein weiterer Fund aus Liaoning trat 1999 auf. XU-XINGIWANG XIAO­LIN/WU XIAO-CHUNG nannten ihn Sinornithosaurus millenii. Dieserfrühe Saurier ist vom Skelett her Archaeopteryx sehr ähnlich. Das Fossilwar von Integumentfasem regelrecht eingehüllt. Bei feinerer Betrachtungzeigten sich zwei Strukturen: Einerseits büschelförmige Filamente,andererseits Einzelfilamente, von denen serial Seitenäste abzweigten.

In dieser Reihe ist noch ein dritter Fund interessant: Caudipteryx zoui,1998 entdeckt von dem bereits genannten Ji Qiang/P.J. CURRIE/M.A.NORELL/n SHU-AN. Der Gattungsname "SchwanzflügeI" nimmtBezug auf die Tatsache, daß an beiden Seiten des Schwanzendes je 11symmetrische Federn standen. Auch an der Hand fanden sich relativkurze, symmetrische Federn.

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Diese exemplarisch ausgewählten Beispiele geben Veranlassung, diebisherige Anschauung über den Ursprung der Feder neu zu überdenken.Waren, so das bisherige Postulat, die Federn aus den Schuppen derSaurier hervorgegangen, oder waren sie Neubildungen? Und schon sinderste Hypothesen publiziert, so von WELLNHOFER (2002) bzw. PRUMund BRUSH (2003), wonach in Anlehnung an die Ontogenese auch inder Phylogenese die Feder in mehreren Stufen evolviert.Bleibt also die Feder ein Charakteristikum der Vögel oder waren nichtschon vorher einige Raubsaurier befiedert? Die Frage lässt sich durchcladistische Defmition klären. .Die weitere Frage aber, sind "fertige Federn" zugleich Ausdruck derFlugfähigkeit ihrer Träger, muß ausfiihrlicher beantwortet werden.

Aktives Fliegen bei Wirbeltieren fordert eine Verbreiterung derVordergliedmaßen, damit Ruderflug möglich wird. Zur Verbreiterungkönnen Flughäute oder Federn herangezogen werden. Daß eine Flughautdazu befähigt, haben die Flugsaurier gezeigt; sie waren die erstenfliegenden Wirbeltiere. Sehr viel später (vor 55 Millionen Jahren) habennach diesem Prinzip auch Säugetiere zum Fliegen gefunden. DieVerbreiterung der Vordergliedmaßen durch Federn, also die Bildungeines Flügels, war bei Archaeopteryx vollzogen. Deshalb waren alleArchaeopertyx-Forscher davon überzeugt, ihr Untersuchungsobjektkonnte zumindest Gleitfliegen und Flattern. Aber jüngst hat PETERS(1995) deutlich gemacht, daß es konstruktive Gesetze gibt, die zurEingruppierung in eine höhere Entwicklungsstufe erfiillt sein müssen.Die vollständige Vogelfeder allein reicht dazu nicht aus. Fossile Belegedafiir lieferten u.a. die Funde von Unterkreide-Vögeln in Spanien.Genannt sei Iberomesornis, der in zwei Arten 1984 und 1992 in LasHoyas gefunden wurde und dessen Alter auf etwa 125 Millionen Jahre ­also 25 Millionen Jahre jünger als Archaeopteryx - geschätzt wird. Dersperlinggroße Vogel besaß bereits ein verlmöchertes Brustbein mitCarina, ein Gabelbein mit Hypocleidium, eine Reduktion desHandskeletts und eine verkürzte Schwanzwirbelsäule mit Pygostyl, d.h.große Ansatzflächen für die Flugmuskeln, eine verkürzte stabileGrundlage für Schwingen und Steuerfeder und die Verlagenmg desSchwerpunkts in den Schulterbereich. Das waren wichtige, an diesenFossilien erkennbare Voraussetzungen, um den Beginn des Vogelflugsfür dieses Erdzeitalter als gesichert anzusehen. Auch andere

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Unterkreidevögel zeigen am Skelett Veränderungen, die eine schrittweiseVerbesserung von Flugleistung und Manövrierfähigkeit vermuten lassen.So hatten sich die Vögel zumindest von diesem Zeitpunkt an den Vorteilverschafft, der ihnen ihre große Verbreitung sicherte.

Alan FEDUCCIA (1995), hat die Evolution der Vögel zusammengefaßt.Unter Berücksichtigung der neuen Funde ergibt sich folgendes Bild (Abb.2): Im Oberjura, vor 150 Millionen Jahren, lebte Archaeopteryx; erstammte von den Dinosaurien ab. In der Unter- und Oberkreide breitetensich befiederte Saurier und Vögel aus, die zu großen Teilen vor 65Millionen Jahren ausstarben. Erst im Altterziär erfolgte aus einemschmalen Reststamm die erste Radiation, aus der die meisten Ordnungeneinschließlich der Ratiten hervorgingen. Weitere rund 30 Millionen Jahrevergingen, bis im Jungtertiär in einer zweiten Radiation diePasseriformes, Sperlingsvögel, auftraten. Damit hatte die Vogelwelt imwesentlichen ihre heutige Vielfalt erlangt.Soviel zur Geschichte der Forschung über den Ursprung der Vögel.

Die Erforschungsgeschichte der VögelNun trat der Mensch auf den Plan. Zunächst war er Sammler und Jäger,der um seine Selbst- und Arterhaltung besorgt war. Ende der Altsteinzeitregte sich seine schöpferische Kraft und er wurde zum Erfmder undKünstler. Aus dieser vorgeschichtlichen Zeit haben Archäologen vor zweiJahren die weltweit bislang älteste Darstellung eines Vogels geborgen.Weitere kleine Figuren, ein Pferdekopf und ein Löwenmensch, waren alleaus Mammut-Elfenbein geschnitzt. Fundort war eine Höhle beiBlaubeuren, Hohler Fels genannt. Unter dem Fundgut befand sich aucheine kleine Flöte, 11,7 cm lang, die aus einem Unterarmknochen desSingschwans, Cygnus cygnus, hergestellt war.Können wir uns vorstellen, was der unbekannte Steinzeitmensch vor ca.35.000 Jahren auf dieser Flöte gespielt haben mag?

Hat er den Gesang eines Vogels imrnitiert?Oder sich vielleicht eine eigene Melodie ausgedacht?

Wir wissen natürlich nicht, ob es so war; sicher ganz anders!Aber die Möglichkeiten, sich mit diesem frühesten Instrumentauszudrücken, seien an den Beginn des geschichtlichen Mosaiks zurErforschungsgeschichte der Vögel durch den Menschen zu stellen, weilalles, was Wissen, Kunst und Kultur des Menschen ausmacht, damals aus

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dem Nichts in einfachster Form entstanden ist. Hier von primitiver Formzu sprechen, wäre mir zu abwertend; denn es war ja ein gewaltigerSprung vom Nichts zum ersten, ursprünglichen Ereignis. Poetischausgedrückt, war es die ,,Morgendämmerung der Menschheit", als imfrühen Menschen die schöpferische Kraft erwachte! !Wie fein war die kleine Vogel-Figur gestaltet: Der schmale Kopf mitSchnabel und Augen, der lange, schlanke Hals; der Rumpf trägtAndeutungen eines Federkleids.Als Kuriosität sei erwähnt, daß - wie beim ersten Archaeopteryx-Fossil­auch hier zuerst der Rumpf entdeckt wurde und erst bei einer späterenSuchaktion der abgebrochene Kopf zum Vorschein kam. Aber dieBruchenden passten so eindeutig aufeinander, daß kein Zweifel an ihrerZusammengehörigkeit blieb. Der Archaeologe Nicholas CONARDbeschreibt 2003 die Figur aufgrund des Schnabels als Wasservogel mitangelegten Flügeln. Sie mag, wie die anderen Fundgegenstände,kultischen Zwecken gedient haben. Im Vergleich zu anderenvorgeschichtlichen Hinterlassenschaften ist der Fund mit rund 32.000Jahren vor heute extrem früh einzuordnen. So kennen wir weiterevorgeschichtliche Kunstwerke, genannt seien Chauvet, Willendorf,Altamira und Lascaux; die Zeichnungen des letztgenannten Fundortsentstanden etwa 20.000 Jahre später.Aus der Höhle Lascaux zeigt eine Szene des Schachtes neben demverwundeten Bison und dem sich abwendenden Rhinozeros denliegenden Menschen (vielleicht ein Schamane) und einen auf einer Stangesitzenden Vogel (Abb. 3). Eine Interpretation von H. KIRCHNER (1952)unterlegt der Szene, daß der Vogel ein Hilfsgeist sei, ohne den der inTrance liegende Schamane seinen Himmelsflug nicht unternehmenkönne. Auch andere Deutungen werden diskutiert. Ohne auf Einzelheiteneingehen zu können, ist anzunehmen, daß der Vogel für denFrühmenschen kultische Bedeutung hatte.

Wir verlassen die vorgeschichtliche Zeit und wenden uns nun gesichertenDaten zu: Wir betrachten das klassische Altertum, in dem dieVogelkunde in den Rang einer Wissenschaft erhoben wurde. Wenn wirdem bekannten Ornithologen Erwin STRESEMANN (1951) folgen, dannhat die Ornithologie mit ARISTOTELES (384 - 322 v. Chr.) begonnen.Seine überlieferten Werke umspannen nahezu den ganzen Umkreis desantiken Wissens. Für unsere Fragestellung ist seine "Geschichte der

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Tiere" bedeutsam, die sich in einigen Kapiteln den Vögeln widmet.ARISTOTELES nennt 140 Vogelarten, die er deskriptiv gliedert insolche, die auf dem Land leben, sich an Seen und Flüssen aufhalten oderdas Meer und die Küsten bevölkern. Erwähnenswert auch dieBeschreibung der Entwicklung des Hühnchens im Ei. Seine Sicht desMorphologisch-Physiologischen führt zu der Mahnung, daß es einemphilosophischen Geist angemessen sei, sich mit der Naturauseinanderzusetzen.Fast 1.500 Jahre später hat Graf Albert von Bollstädt, genanntALBERTUS MAGNUS (1193 - 1280), scholastischer Gelehrter undDominikaner, die Werke des Aristoteles übersetzt und kommentiert (Abb.4). Dabei hat er sich als selbständiger Beobachter ausgewiesen. Durch ihnsind die naturwissenschaftlichen Lehren der Antike dem christlichenAbendland verständlich gemacht geworden.

Zur gleichen Zeit hat der Stauferkaiser FRIEDRICH II (1194 - 1250) dieNaturkunde auf hohem Niveau neu belebt. In seinem Opus über dieFalkenjagd ,,De arte venandi cum avibus" (Abb. 5) sind eigeneBeobachtungen festgehalten. Das Original dieses Werkes ging verloren.Eine Zweitschrift, die sogenannte Manfred-Handschrift, wurde vonseinem Lieblingssohn Manfred, König von Sizilien, dem Originalnachempfunden. Sie enthält mehr als der Titel ,,Die Kunst, mit Vögeln zujagen" aussagt. Beizvögel und Beutevögel werden beschrieben undbildlich in Miniaturen dargestellt, sowie nach Umwelt undNahrungserwerb eingeteilt. Das Verhalten der Vögel im Rh)'thmus desTages, Vogelflug und Vogelzug sowie anatomische Details sindGegenstand der Schrift. Das leidenschaftliche Interesse des Stauferkaisersan der Tierwelt weist ihn, wie STRESEMANN formuliert, "zum erstengroßen Ornithologen aus, den die Geschichte kennt".

Im Mittelalter hatte die Jagd auf und mit Vögeln ihre Blütezeit. Währenddie Beizjagd mit abgerichteten Greifvögeln dem Hochadel und denKirchenfiirsten vorbehalten war, mußten niederer Adel, Bürgertum undBauern mit dem Vogelfang vorlieb nehmen. Mittelalterliche Buchtitelbelegen das (Abb. 6).

In unserer historische Zeitraffung erreichen wir die Renaissance undtreffen auf das Universalgenie LEONARDO DA VlNCI (1452 - 1519),

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Maler und Bildhauer, Baumeister und Erfinder, aber auch Anatom undNaturforscher. Seine anatomischen und physiologischen Studien eilen derZeit weit voraus. Zeichnungen zur Anatomie des VogelflügeIs und zurTechnik des Fluges finden sich verstreut in diversen Handschriften.Überlegungen, warum sich der Vogel in der Luft hält und im Gegenwindschweben kann, ohne die Flügel zu schlagen, sind fiir die damalige Zeitneuartig. In der kurzen Zeitspanne eines Monats entstand 1505 der"Codex über den Vogelflug", eine geschlossene Abhandlung auf 18Blättern mit Argumenten und erklärenden Zeichnungen (Abb. 7). ImÜbrigen nimmt Leonardo die ganze Breite der Flugforschung vorweg,angefangen bei der Konstruktion des gerippten Flügels, über denFallschirm bis hin zur Idee des Helikopters. Ob er jemals Flugversucheunternommen hat, wie er mit den Worten ankündigte: "Von dem Berg,der seinen Namen trägt, wird der berühmte Vogel seinen Flug antreten",wir wissen es nicht. Gemeint war der Schwanenberg oberhalb vonFlorenz, den er als Übungsplatz ausgewählt hatte. Dort steht eineentsprechende Gedenktafel, die seine Hoffnung festhält.

Inzwischen hatten sich die Universitäten etabliert und so nimmt es nichtwunder, daß die folgenden Meilensteine dort gesetzt wurden.Hieronymus FABRICIUS (1533 - 1619), nach seinem Geburtsort abAquapendente genannter Anatom und Chirurg, wirkte 54 Jahre auf demLehrstuhl seiner Universität Padua. Er arbeitete auf dem Gebiet dervergleichenden Anatomie und Entwicklungsgeschichte und hat eineReihe wichtiger Arbeiten über die Anatomie und Physiologie der Vögelhervorgebracht. Organe des Verdauungs- und Atmungsapparats fallendarunter; hervorzuheben die Kloake mit dem nach ihm benannten Organ:Bursa cloacalis Fabricii; Und dann eben auch Flügel und Bein inVerbindung mit Ausführungen zu Flug und Gang. Bei HieronymusFabricius zeigt sich zudem, wie wichtig es ist, gute Lehrer zu haben, dennunter seinen Schülern befinden sich bedeutende Namen wie WilliamHARVEY und Caspar BARmOLIN.

Auch Giovanni Alfonso BORELLI (1608 - 1679) war ein erfolgreicherUniversitätslehrer. Er gilt als Begründer der Bewegungsphysiologie. Inseinem posthum erscheinenden Werk: ,,oe motu animalium" (1680)werden die Schwimmbewegung der Fische Wld der Flug der Vögelquantitativerfaßt (Abb. 8). Er fiihrte das physikalische Experiment in die

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Biologie ein. Bau und Wirkungsweise der Flügelschlagmuskeln wurdenmit Methoden der Mathematik und Mechanik bewertet, der Flügelschlagin hebende und vortreibende Kraftkomponenten zerlegt und dieSteuerung durch den Flügel untersucht. Seine Berechnung fiihrte zu demSchluß, daß das Verhältnis von Muskelkraft und Körpergewicht derVögel im Vergleich zu dem der Menschen dafiir spräche, daß letzterern ich t aus eigener Kraft würde fliegen können.Experimentelle Arbeiten steuerten der englische Gelehrte Sir GeorgeCAYLEY (1773 - 1857) und der französische Physiologe Jules MAREY(1830 - 1904) bei. Cayley fiihrte die windströmungsgünstige Form desspindelformigen Körpers von Forelle und Waldschnepfe ins Experimentein. Marey hatte Instrumente zur Registrierung von Körperbewegungenentwickelt. Thm gelangen sowohl Reihenbildaufnahrnen vom Vogelflugals auch die graphische Erfassung von schnellen Bewegungsabläufen.

Auf der Grundlage der bisher genannten Prinzipien beobachtete OttoLILIENTHAL (1848 - 1896) - zusammen mit seinem Bruder Gustav ­den Flug von Störchen, Möven und anderen Vögeln, und er erkanntedabei den Vorteil des gewölbten Vogelflügeis. Er experimentierte mitFlügelprofilen. Die Meßergebnisse lieferten Anhaltspunkte fiir den Bauseiner Gleitflugapparate. 1889 erschien seine Monographie ,,DerVogelflug als Grundlage der Fliegekunst" (Abb. 9). 1891 gelang der ersteGleitflug. Otto LILIENTHAL war der erste Mensch, der das Fliegenlernte. Wenige Jahre später, 1903 gelang u.a. den Brüdern WRIGHT dererste Motorflug. Das ist erst 100 Jahre her; jeder kennt die gewaltigeEntwicklung, die durch diese Pionierleistungen ausgelöst wurde.

Kehren wir zurück zur anatomischen Konstruktion von Feder und Flügelin Form und Funktion. Auch sie hat eine stürmische Entwicklunggenommen.

Hier sei ein Exkurs eingeschoben, der nichts mit der Anatomie der Vögel,wohl aber etwas damit zu tun hat, in welcher Weise ganz allgemeinanatomische Kenntnisse gewonnen werden. Dabei komme ich auf dengenialen flämischen Arzt und Anatomen Andreas VESALIUS (1514 ­1564) zu sprechen, der u.a. 1541 die Werke GALENs neu herausgab unddabei zu verschiedenen, von Galen abweichenden Beobachtungen kam.So entstand seine Neuerforschung der menschlichen Anatomie ,,De

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humani corporis fabrica", mit der eine moderne, wissenschaftlichfundierte Anatomie ihren Anfang nahm. Die nachfolgendenGenerationen von Anatomen fühlten sich einer auf exakter Beobachtungberuhenden Deskription verpflichtet.Noch ein zweiter, sehr viel jüngerer Anatom, sei in diesemZusammenhang erwähnt: Alfred BENNINGHOFF (l890 -1953), der dieErforschung der funktionellen Systeme eingefiihrt hat. Seither sind imGrund genommen immer bewußter funktionelle Überlegungen inanatomische Arbeiten einbezogen worden, so auch in jene über denVogelflügel und die Vogelfeder.

Die Struktur der Vogelfeder (siehe Tabelle 2), deren typischeGeschlossenheit der Fahne auf einem Verhakungsmechanismus ihrerÄste zweiter Ordnung beruht, ist von Robert HOOKE 1664 beschriebenworden. Hooke war Professor fiir Geometrie in London und verbessertetechnische Verfahren und Geräte, unter anderem auch daszusammengesetzte Mikroskop. In diesem Zusammenhang diente ihm dieVogelfeder als geeignetes Untersuchungsobjekt; das Geheimnis desVerhakungs- oder Klettmechanismus der Feder ist demnach gleichsamals Mittel zum Zweck gelüftet worden.

Die jüngere Forschung kann nur gestreift werden:SICK sowie STEINER und viele andere haben sehr gezielt dieFeinstruktur der Feder mit immer wieder erweitertem Instrumentariumaufgeklärt. Die Zeittafel mag dies zusammenfassen. Ebenso wie diespeziellen Untersuchungen von GREITE, VÖLKER, SCHMIDT,AUßER und anderen über die Federfärbungen oder diejenigen vonNITZSCH bis LUKAS/STETIENHEIM über Federarten undBefiederung.Ein in sich geschlossenes Forschungsgebiet stellt die Federentwicklungdar, wobei experimentelle Untersuchungen die Regel waren: KUHN,HEIl\1ROTH, Erwin und Vesta STRESEMANN, BRUN und anderehaben so den Zusammenhang von Befiederung und innerer Sekretionsowie das Phänomen der Mauser und die Funktion der Federfollikelaufgeklärt. Dies im Einzelnen darzustellen, ist das Anliegen vonUnterricht und Lehrbüchern.

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In gleicher Weise können auch von der Erforschung der Konstruktiondes Vogelflügeis (siehe Tabelle 3) nur einige Grundlagenarbeitengenannt werden, um die Breite der Thematik aufzuzeigen. Sehr früh,nämlich 1575, steht die von großem Fleiß getragene Übersichtsarbeit desVolcher COITER über den gesamten Bewegungsapparat der Vögel: ,,Deavium sceleti et praecipuis musculi", worin auch auf das reduzierteHandskelett und die Flugmuskeln im engeren Sinn eingegangen wird.Spezieller wird dann die Untersuchung von WRAY (1887) über dieMorphologie des Vogelflügeis, die aber der Deskription verhaftet bleibt.Danach folgen die funktionsbetonten Arbeiten etwa von SCHNEIDERüber Aufbau und Funktion der Patagien, von OAKESIBIALKOWERüber Bandapparat und Biomechanik der Schwingen, vonOEHME/KITZLER über die Muskelleistung beim Kraftflug und vonFISHER über verschiedene Automatismen in der Flügelbewegung.Gerade im letztgenannten Phänomen automatisierter Bewegungen liegtein Geheimnis der Flügelbewegung. Das Anlegen der Flügel an denKörper, das Ausbreiten und Schlagen der Flügel während des Fluges istdeshalb von Reinhard DEMOLL, Konrad LORENZ und anderen einerbesonderen Betrachtung unterzogen worden. Der spätereNobelpreisträger Konrad LORENZ hatte mit seiner zoologischenDoktorarbeit (1933) eine Abhandlung geschrieben, deren Titel zwar ­wie er selbst bekannte - etwas langatmig ist, aber tatsächlich besagt, wasin ihr steht: "Beobachtetes über das Fliegen der Vögel und über dieBeziehungen der Flügel- und Steuerfonn zur Art des Fluges". EinenNeudruck 1965 betitelt er kürzer: ,,Der Vogelflug", aber da waren er undseine Botschaft allgemein bekannt. Trotz grundsätzlich gleicherKonstruktionsprinzipien hat fast jede Vogelart eine eigene Flugtechnikentwickelt.Gegenwärtig geht die Bestrebung dahin, aus der BiologieFunktionsmechanismen fiir technische Verfahren abzuleiten; man nenntdiese Forschungsrichtung Bionik. In bezug auf die Flugtechnik haben indieser bionischen Wissenschaft die "künstlichen Vögel" eines Erich vonHOLST wegweisende Bedeutung erlangt.

Damit ist das Mosaik zusammengesetzt, es hatte zwar eine grobeStruktur, aber an Grundsätzlichem war doch zu merken, wie sehrhervorragende Persönlichkeiten in Abhängigkeit zu ihrer Zeit stehen.

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Vogelkundliches Wissen ist allmählich entstanden, und auch unserheutiger Wissensstand ist nur eine Momentaufnahme. Um es frei mitGeorge SARTON zu sagen:"wir sind nicht in der Lage, unsere eigene Wissenschaft von heute zuverstehen (ich will nicht sagen, sie anzuwenden, sondern sie zuerinnerlichen), wenn es uns nicht gelingt, ihren Ursprung und ihreEntwicklung einzubeziehen. Wissen ist nämlich nichts Totes, Starres,sondern Fließendes, Lebendiges, stets in Bewegung befmdliches. Dieaktuellsten Resultate sind wie die neuen Früchte eines Baumes, sie dienenunserer sofortigen Nutzanwendung; aber insgesamt gesehen ist es derBaum, auf den es ankommt. Der Wissenschaftler mit philosophischemGespür ist nicht so sehr an den jüngsten Resultaten der Wissenschaftinteressiert, sondern an den bleibenden Strömungen eines lebendigen,stets wiedererblühenden, unsterblichen Baumes. Die heutigen Früchtemögen reizvoll genug sein, aber sie sind nicht in gleicher Weise für eineproduktive Einsicht kostbar wie jene, die das, was Gestern war undMorgen sein wird, einschließt".

ZusammenfassungDer Urvogel Archaeopteryx lithographica galt lange Zeit als Stammformder Vögel. Heute wird ihm die Bedeutung eines Ableitungsmodellszuerkannt, das zeigt, wie Vögel aus den Archosauriern hervorgegangensein könnten. Viele neuere Fossilfunde vornehmlich aus den letzten zweiJahrzehnten haben neue Zwischenformen zwischen den Tierklassendokumentiert. Zugleich ist die Fragestellung aktualisiert worden, obFedern aus Schuppen hervorgegangen sein könnten oder Neubildungensind, die bereits bei einigen Sauriern angelegt wurden.Vogelkundliches Wissen ist allmählich entstanden. In vorgeschichtlicherZeit hat der Mensch die Vögel nicht nur gejagt, sondern sie hatten für ihnauch kultische Bedeutung. In Altertum und Mittelalter erlangte dieVogelkunde zunehmend den Rang einer Wissenschaft, die alle Vögelnach Bau und Verhalten kennen lernen und katalogisieren will. In derNeuzeit galt Forschung an und mit Vögeln vornehmlich derGrundlagenmehrung, aber auch Flugbiologje, experimentellenForschung, Bionik und Vogelmedizin haben Nutzen daraus gezogen.

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Literatur

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CUTRY, F.: Der Vogelflug. In: Leonardo da Vinci, Das Lebensbild einesGenies. 8. Aufl., Vollmer, Wiesbaden und Berlin, 337-346 (1977).DEMOLL, R.: Die Flugbewegungen bei großen und kleinen Vögeln.Zeitschr. Bio!. 90, 199-230 (1930).

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Fossil Fundjahr Fundstätte Erslbeschreibung Autbewahrungsort

Eichstätt

London

Berlin/MOnchen

Berlin

(ve{SChollen)

Haarlem

unbekannt

Solnhofen"

Altmühlalb

1987(7)

1992

1990

2004

1860 Solnhofen v. MEYER (1861)

1861 Langenallheim OWEN (l863)

1876 Eichstätt DAMES (1884)

1956 Langenaltheim HELLER (1959)

1855 Riedenburg OSTROM (l970)

1951 WorkersZeU MAYR (1973) sowie

WELLNHOFER(l974)

WELLNHOFER (l988) Solnhofen

Langenallheim WELLNHOFER (1993) München

MÄUSER (1997) unbekannt

WELLNHOFER (20051) Solnhofen

Solnhofener - ..

Münchener - ..

8. Exemplar

9. Exemplar

Einzelfeder

Londoner-Exemplar

Berliner- "

Maxberg-"

Haarlem-"

Eichstätter _ "

Tabelle 1. Zur Fundgeschichte der Urvogelfossilien (Stand Juli 2004)

Autoren: Forschungsgegenstand

Feinstruktur der FederR. HOOKE (1664): VerhakungsmechanismusH. SICK (1937): Funktionelle StruktUrH. STEINER (1957): ElektronenmikroskopM. LÜDICKE (1969: RasterelektronenmikroskopFederjluren/FederartenL. NITZSCH (1840): Pterylographie1. BROMAN (1941): EmbryonaldunenK. v. PFEFFER (1952): FadenfedemA. M. LUCAS/STETfENHEIM (1972):

Gesamtschau. Federarten, Befiedc_f!lIl.8..__-I

FederfllrbungW. GREITE (1931, 1934): MelanineO. VÖLKER (1939, 1944): LipochromeW.1. SCHMIDT (1948, 1952):SchillerfarbenL. AUBER (1957): BlaufärbungFederentwick/ungO. KUHN (1927): HormonwirkungO. HEINROTH (1931): FederwechselR. LlLLIE (1941, 1942): Federentwick.1ungE. u. V. STRESEMANN (1966): MauserR. BRUN (1968): Federkeim

Tabelle 2. Zeittafel zur Erforschung der Struktur der Vogelfeder (eineAuswahl

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Autoren: Forschungs~egenstand

Skelett.Gelenke. kluskein (deskriptiv)V. COITER (1575): De avium sceleti....I-i .C. L. BARKOW (1856): SyndesmologieR. S., WRAY (1887): Morphol. des FlügelsBauelemente des Flügels (funktionell)H. STEINER (1922): Entwicklung FlügelskeleltM. PELISSIER (1923): Bandapparat der SchwingenH. SCHNEIDER (11942): PatagienH. J. FISHER (1957): AutomatismenH. OEHMEIN. KITZLER (1975): MuskelleistungFlugbi%gie (historischer Teil)LEONARDO DA VINCI-(1505): Codex VogelflugG. A. BORELLI (1680): De motu animaliumFlugbiologie (aktueller Teil)R. DEMOLL (1930): FlugbewegungenK. LORENZ (1933): Flügelfonn und FliegenE. von HOLST (1943): ,,künstliche Vögel"K. HERZOG (1968): Anatomie und Flugbiologie .V. A. TUCKER (1969): Energetik des VogelflugsJ. J. BAUMEL (1971): Vo~elschwanz als 3. FlQ~el

Tabelle 3. Zeittafel zur Erforschung der Konstruktion des Vogelflügels(eine Auswahl)

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Abb. 1: Hennann VON MEYER (1801 - 1869) benannte 1861 denUrvogel Archaeopteryx lithographica.

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Abb. 2: Stammbaum der Vögel, nach A. FEDUCCIA, ergänzt

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Abb. 3: Kopie der "Szene des Schachtes", Felsmalerei in der Höhle vonLascaux.Rhinozeros (links), Bison (rechts), liegender Mensch und Vogel auf einerStange (Mitte).

Abb. 4: Albertus MAGNUS (1193 - 1280) bei einer Kommentierung derSchriften des Aristoteles.

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Abb. 5: FRIEDRICH II, Stauferkaiser (1194 - 1250). Aus demFalkenbuch, ,,oe arte venandi cum avibus", Manfred-Handschrift.

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Abb. 6: Zwei mittelalterliche Bücher über die Beizjagd und· dasVogelstellen: Links H. STAYNER (1531), rechts J.C. AITINGER(1653).

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Abb. 7: LEONARDO DA VINCI (1452 - 1519): Seite aus dem "Codexüber den Vogelflug", entstanden 1505.

D B

MOTV ANIMALIVM10. ALPHONSI nORBLLI

NB,\POLl"tANJMATHUISO.I PIl0PAUOl\II

0/"'''·'....P A 1'. S Pl'.I M A.

1\ 0 M· AB,n. 'l'7p"r;'l~ t6~u 1..11••' I MI De. LXXX._ .....,.., p"" "ull"'.Abb. 8: Giovanni Alfonso BORELLI (1608 - 1679): Titelblatt zu ,,Demotu animalium" (1680).

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Abb. 9: Otto LILIENTHAL (1848 - 1896): Abbildung aus "DerVogelflug als Grundlage der Fliegekunst" (1889).