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Ganztagszweig am Hanns-Seidel-Gymnasium Hösbach – Teil 1: Die Entstehung Ein spannender Prozess der Neudefinition von Schulziel und Lehrerrolle und der Suche nach entsprechenden neuen Strukturen Der Artikel gibt ein Beispiel für die Planung und Entwicklung eines Ganztagsgymnasiums als Zweig eines Gymnasiums in Normalform. Der Prozess der Entstehung über fünf Jahre hinweg wird mit zahlreichen praktischen Details geschildert. Wolfgang Mauler Studiendirektor, Koordinator des Ganztagszweigs am Hanns-Seidel- Gymnasium in Hösbach Peter Glaubitz Studiendirektor, Beratungslehrer am Hanns-Seidel-Gymnasium in Hösbach Egon Beissler Studiendirektor, Unterstufenbetreuer am Hanns-Seidel-Gymnasium in Hösbach Ein Ganztagsgymnasium ist nicht ein- fach »mehr desselben«, sondern es muss auf andere Bedürfnisse der Schüler einge- gangen werden, wodurch sich wiederum ein Wandel im Selbstverständnis und in der Arbeitsweise der Lehrer als nötig erweist. Die Zeit ist reif – wir nutzen die Chance Gesellschaftliche Strukturen ändern sich rascher denn je. Die Zahl alleinerziehen- der und ganztägig berufstätiger Elternteile und auch die Anzahl von Eltern, bei denen beide Vollzeit arbeiten (müssen), ist stark angestiegen. Für Aufsicht und Betreuung der Kinder dieser Familien muss gesorgt werden. Auch die Pisa-Folgediskussion spielt eine Rolle: In ihrer Sozialisation benachteiligte Kinder, sei es durch »bil- dungsferne« Elternhäuser, eventuell zu- sätzlich mit »Migrationshintergrund«, oder einfach weil sie Einzelkinder sind, sollen durch die längere Dauer des tägli- chen Eingebundenseins in eine »förderli- chere« Umgebung bessere Bildungs- und damit Lebenschancen erhalten. Die Politik kann sich den immer lau- ter werdenden Forderungen nicht ver- schließen: Berlin stellt den Ländern Milliarden an IZBB-Mitteln vor allem für den Bau von Ganztagsschulen zur Ver- fügung. Unser Sachaufwandsträger, das Land- ratsamt Aschaffenburg, signalisiert, dass irgendeine Art von Mittagsbetreu- ung auch an den Gymnasien wün- schenswert sei. Das Kultusministerium hat eben einen Schulversuch »G8 in Ganztagsform« gestartet, noch werden Teilnehmer gesucht. Im November 2003 erkennt der neue Schulleiter am Hanns-Seidel-Gymna- sium, mit fast 1800 Schülern eines der größten Gymnasien in Bayern, die Chance der Stunde: Im Eilverfahren wird die Zustimmung des Kollegiums und der Elternschaft eingeholt. Das Argument, damit endlich Mittel zur Beseitigung der quälenden Raumknappheit und zur bes- seren Essensversorgung der durch die Einführung von G8 immer größeren Zahl von Schülern mit Nachmittagsun- terricht in die Hand zu bekommen, bringt viele zur Zustimmung, die dem Konzept einer Ganztagsschule eher skep- tisch gegenüberstehen. Die Akteure finden sich – Bündnisse werden geschmiedet Es bildet sich im Gespräch mit dem Schulleiter ein Team: Drei erfahrene Kollegen – einfach aufgeschlossen für Neues – machen sich an die Arbeit. Zahllose Gespräche folgen, in denen Konzepte entwickelt, Strukturen erdacht und Abmachungen getroffen werden. Wichtige Gesprächspartner sind: Kollegen in diversen Schulen und Ein- richtungen, die schon mehr Erfahrung mit Ganztagsbetrieb, Mittagsverpfle- gung für Kinder und Jugendliche, Freizeitpädagogik und Schularchitek- tur haben. Wir bewegen uns dabei in dem Dreieck zwischen München, Köln und Heidelberg. Vertreter des Landratsamtes, insbeson- dere der Bauingenieur, der als Archi- tekt für den Schulneubau fungiert. Zum Glück haben wir es nicht mit einem »Star«-Architekten zu tun, der schon »weiß«, wie Schulen gebaut wer- den, sondern mit einem Mann, der ein offenes Ohr hat für die Bedürfnisse der Leute, die in und mit diesem Bau leben und arbeiten müssen. Er lässt uns in hohem Maß mitreden. Das »Haus Mirjam«, eine alteingeses- sene gemeinnützige Institution für behinderte Frauen, gründet auf un- sere Anregung hin die integrative und nicht profitorientierte Firma PRISKA zur Bewirtschaftung unserer Mensa. Damit wollen wir dreierlei erreichen: Erstens finden dadurch behinderte Menschen humane und sichere Ar- beitsplätze. Zweitens hoffen wir, dass unsere Schüler im täglichen Umgang und im Rahmen verschiedener ge- meinsamer Projekte ihre Berührungs- ängste gegenüber Behinderten ab- bauen können. Drittens kommen wir durch die Arbeit mit einer Integra- tionsfirma zu weiteren Fördergeldern, die es uns ermöglichen, eine größere Küche zu planen, in der nicht nur fer- tig Angeliefertes aufgewärmt, sondern in der Speisen frisch gekocht werden können. Mit dem »Albert-Schweitzer-Famili- enwerk Bayern e.V.« finden wir einen starken und kompetenten Partner, der uns ein Team von qualifizierten und sympathischen Sozialpädagoginnen vermittelt und in der Lage ist, bei krankheits- oder schwangerschaftsbe- dingten Ausfällen schnell und flexibel für Ersatz zu sorgen. Für die Details der Bauplanung und die begleitende Überwachung des Baus haben wir einen weiteren Kolle- gen, der sich in einem fast unfassba- ren Grad engagiert und unsere Inte- ressen gegenüber dem Bauträger und den Baufirmen fast im Alleingang vertritt. Organisation & Verwaltung SchVw BY 5|2010 136

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Ganztagszweig am Hanns-Seidel-GymnasiumHösbach – Teil 1: Die EntstehungEin spannender Prozess der Neudefinition von Schulziel und Lehrerrolleund der Suche nach entsprechenden neuen Strukturen

Der Artikel gibt ein Beispiel für die Planung und Entwicklung eines

Ganztagsgymnasiums als Zweig eines Gymnasiums in Normalform.

Der Prozess der Entstehung über fünf Jahre hinweg wird mit zahlreichen

praktischen Details geschildert.

Wolfgang MaulerStudiendirektor, Koordinator desGanztagszweigs am Hanns-Seidel-Gymnasium in Hösbach

Peter GlaubitzStudiendirektor, Beratungslehrer amHanns-Seidel-Gymnasium in Hösbach

Egon BeisslerStudiendirektor, Unterstufenbetreuer amHanns-Seidel-Gymnasium in Hösbach

Ein Ganztagsgymnasium ist nicht ein-fach »mehr desselben«, sondern es mussauf andere Bedürfnisse der Schüler einge-gangen werden, wodurch sich wiederumein Wandel im Selbstverständnis und inder Arbeitsweise der Lehrer als nötigerweist.

Die Zeit ist reif – wir nutzen dieChance

Gesellschaftliche Strukturen ändern sichrascher denn je. Die Zahl alleinerziehen-der und ganztägig berufstätiger Elternteileund auch die Anzahl von Eltern, bei denenbeide Vollzeit arbeiten (müssen), ist starkangestiegen. Für Aufsicht und Betreuungder Kinder dieser Familien muss gesorgtwerden. Auch die Pisa-Folgediskussionspielt eine Rolle: In ihrer Sozialisationbenachteiligte Kinder, sei es durch »bil-dungsferne« Elternhäuser, eventuell zu-sätzlich mit »Migrationshintergrund«,oder einfach weil sie Einzelkinder sind,sollen durch die längere Dauer des tägli-chen Eingebundenseins in eine »förderli-chere« Umgebung bessere Bildungs- unddamit Lebenschancen erhalten.

Die Politik kann sich den immer lau-ter werdenden Forderungen nicht ver-schließen:

Berlin stellt den Ländern Milliardenan IZBB-Mitteln vor allem für den

Bau von Ganztagsschulen zur Ver-fügung.Unser Sachaufwandsträger, das Land-ratsamt Aschaffenburg, signalisiert,dass irgendeine Art von Mittagsbetreu-ung auch an den Gymnasien wün-schenswert sei.Das Kultusministerium hat eben einenSchulversuch »G8 in Ganztagsform«gestartet, noch werden Teilnehmergesucht.

Im November 2003 erkennt der neueSchulleiter am Hanns-Seidel-Gymna-sium, mit fast 1800 Schülern eines dergrößten Gymnasien in Bayern, dieChance der Stunde: Im Eilverfahren wirddie Zustimmung des Kollegiums und derElternschaft eingeholt. Das Argument,damit endlich Mittel zur Beseitigung derquälenden Raumknappheit und zur bes-seren Essensversorgung der durch dieEinführung von G8 immer größerenZahl von Schülern mit Nachmittagsun-terricht in die Hand zu bekommen,bringt viele zur Zustimmung, die demKonzept einer Ganztagsschule eher skep-tisch gegenüberstehen.

Die Akteure finden sich –Bündnisse werden geschmiedet

Es bildet sich im Gespräch mit demSchulleiter ein Team: Drei erfahreneKollegen – einfach aufgeschlossen fürNeues – machen sich an die Arbeit.

Zahllose Gespräche folgen, in denenKonzepte entwickelt, Strukturen erdachtund Abmachungen getroffen werden.Wichtige Gesprächspartner sind:

Kollegen in diversen Schulen und Ein-richtungen, die schon mehr Erfahrungmit Ganztagsbetrieb, Mittagsverpfle-gung für Kinder und Jugendliche,Freizeitpädagogik und Schularchitek-tur haben. Wir bewegen uns dabei in

dem Dreieck zwischen München,Köln und Heidelberg.Vertreter des Landratsamtes, insbeson-dere der Bauingenieur, der als Archi-tekt für den Schulneubau fungiert.Zum Glück haben wir es nicht miteinem »Star«-Architekten zu tun, derschon »weiß«, wie Schulen gebaut wer-den, sondern mit einem Mann, der einoffenes Ohr hat für die Bedürfnisse derLeute, die in und mit diesem Bau lebenund arbeiten müssen. Er lässt uns inhohem Maß mitreden.Das »Haus Mirjam«, eine alteingeses-sene gemeinnützige Institution fürbehinderte Frauen, gründet auf un-sere Anregung hin die integrative undnicht profitorientierte Firma PRISKAzur Bewirtschaftung unserer Mensa.Damit wollen wir dreierlei erreichen:Erstens finden dadurch behinderteMenschen humane und sichere Ar-beitsplätze. Zweitens hoffen wir, dassunsere Schüler im täglichen Umgangund im Rahmen verschiedener ge-meinsamer Projekte ihre Berührungs-ängste gegenüber Behinderten ab-bauen können. Drittens kommen wirdurch die Arbeit mit einer Integra-tionsfirma zu weiteren Fördergeldern,die es uns ermöglichen, eine größereKüche zu planen, in der nicht nur fer-tig Angeliefertes aufgewärmt, sondernin der Speisen frisch gekocht werdenkönnen.Mit dem »Albert-Schweitzer-Famili-enwerk Bayern e.V.« finden wir einenstarken und kompetenten Partner, deruns ein Team von qualifizierten undsympathischen Sozialpädagoginnenvermittelt und in der Lage ist, beikrankheits- oder schwangerschaftsbe-dingten Ausfällen schnell und flexibelfür Ersatz zu sorgen.Für die Details der Bauplanung unddie begleitende Überwachung desBaus haben wir einen weiteren Kolle-gen, der sich in einem fast unfassba-ren Grad engagiert und unsere Inte-ressen gegenüber dem Bauträger undden Baufirmen fast im Alleingangvertritt.

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Das Konzept entfaltet sich

Aus der anfänglichen terminologischenUnsicherheit, wie man unsere Neugrün-dung, vor allem auch im Kontrast zumbisher Bestehenden nennen soll, entwi-ckeln sich die Begriffe »Ganztagsgymna-sium« und »Halbtagsgymnasium«, diedann sehr bald den griffigeren Abkür-zungen GTG und HTG weichen. (DieBezeichnungen »Ganztagszweig« und»Normalform« werden erst sehr viel spä-ter üblich.) Das Kürzel GTG inspiriertuns im Zusammenhang mit unserenGrundsatzdiskussionen über die Zieleunseres Projektes: Der Name soll Pro-gramm werden, G – T – G soll die Leit-motive unserer pädagogischen Arbeitbezeichnen:

Ganzheit

Tatkraft

Gemeinschaft

Ganzheit: Wir meinen, dass ein jungerMensch die Gelegenheit erhalten soll, imLaufe seiner Schulzeit ein möglichst brei-tes Spektrum seiner Persönlichkeit zuentwickeln, statt allzu stark auf kognitiveElemente und die Anhäufung von enzy-klopädischem Wissen reduziert zu wer-den: Lernende müssen unserem Credonach als Einheit von Leib, Seele undGeist wahrgenommen und behandeltwerden: Kopf, Herz und Hand müssengleichermaßen zu ihrem Recht kommen.

Tatkraft: Der mangelnden Nachhaltig-keit und Anwendbarkeit von bloß ange-lerntem Wissen soll entgegengewirktwerden: Schüler sollen Gelegenheithaben, ihr Wissen aktiv und verantwort-lich anzuwenden und es damit dauerhaftverfügbar zu machen. Darüber hinaussoll ihnen Gelegenheit geboten werden,sich in vielfältiger Weise einzubringenund zu engagieren.

Gemeinschaft: Abgerundet wirdunsere Vision vom Begriff der Gemein-schaft: Wir wollen kein Ensemble vonEgoisten und Individualisten heranwach-sen sehen, sondern zahlreiche Gelegen-heiten bieten, die sozialen Fertigkeitendes Einzelnen zu entwickeln. Teamgeistsoll gefördert werden, ein Wir-Gefühlsoll entstehen. Die Schulgemeinschaftsoll darüber hinaus dem Individuum dieChance bieten, sich Hilfe und Unterstüt-zung zu holen, wo und wann siegebraucht werden.

Bedürfnisse kreieren Strukturen –der Neubau nimmt Gestalt an

Parallel zur Rekrutierung des Personalsund zur Arbeit am pädagogischen Kon-zept laufen von Anfang an erste Überle-gungen und Vorplanungen für einenGebäudekomplex, der auf einem brach-liegenden Fußballfeld innerhalb desSchulcampus für das GTG errichtet wer-den soll.

Es wird uns allmählich klar, dass derNeubau ganz anderen Bedürfnissengerecht werden muss als wir sie vom tra-ditionellen Gymnasium her kennen.Gebraucht werden unter anderem:

Räume, wohin sich die Kinder undJugendlichen zurückziehen können,um unter sich zu sein. Jüngere undÄltere, Mädchen und Jungen werdenhier möglicherweise unterschiedlicheBedürfnisse haben: Die einen wollensich in ihrer Freundesgruppe austoben,die anderen mit ihrer Clique kommu-nizieren. Manche wollen vielleicht ein-fach ausruhen. Der Achtstundentagund die während der Woche weitge-hend abgeschnittene Kommunikationmit Nachbarskindern zu Hause oderauch mit den Eltern machen Einrich-tungen und Regeln nötig, die dieSchule mehr zu einer »Lebenswelt« fürdie Kinder umgestalten. Sie nach Artder üblichen Pausenregelung in ihrenFreizeiten in die Aula, die Korridoreund Toiletten und bei schönem Wetterzwangsweise nach draußen zu schi-cken, leistet das nicht in ausreichenderWeise. Wir einigen uns auf vier Räumevon halber Klassenzimmergröße mitTeppichböden, einer mit Einzelar-beitstischen und drei Computerar-beitsplätzen, einer mit Decken, Bean-bags und Sofas, zwei jeweils mit Ruhe-liegen und viel Platz auf dem Boden.Dazu kommt ein Zimmer für Brett-und Kartenspiele.Räume für ungestörtes Arbeiten undLernen, alleine oder in Kleingruppen,möglichst mit Zugang zu Computer-terminals. Auch die neuen Vorgabendes G8, Intensivierungsstunden, indenen die Klassen geteilt werden sol-len, erhöhen den Raumbedarf fürGruppen in halber Klassengrößeexplosionsartig. Wir entscheiden uns,jedem Klassenzimmer einen »Intensi-vierungsraum« von halber Klassenzim-mergröße zuzuordnen, meist sind siedirekt nebenan und durch eine Türmit dem Klassenzimmer verbunden.

Stätten zum Werken und Basteln, woman mit den Händen tätig werden,Werkzeuge benutzen kann und auchmal Krach und Dreck machen darf.Wir konzipieren zwei gut ausgestatteteWerkstätten nebeneinander, entschei-den uns in letzter Sekunde dann aber,die Zwischenwand durch Stapelregalezu ersetzen, sodass wir jetzt einen sehrgroßen Werkraum haben, in dem einegrößere oder zwei kleinere Gruppenarbeiten können.Ein Fitnessraum mit diversen Geräten,eine mäßig hohe, aber sehr breite Klet-terwand, Tischkicker und Tischten-nisplatten an verschiedenen Orten.Wir wünschen uns möglichst weitläu-fige, lichtdurchflutete, farblich leben-dig gestaltete Verkehrsflächen imGebäude, breite Gänge und Treppenmit Nischen für Pflanzen, kleine Sitz-gruppen, Vitrinen und einem pflege-leichten Bodenbelag. Im Prinzipbekommen wir das auch alles, wenndie Verordnungen für die Verwendungder Fördergelder uns hier auch öftereinen Strich durch die Rechnung zumachen drohen, da sie gewisse,manchmal recht knapp bemesseneRichtwerte vorschreiben.Von besonderer Bedeutung für einenGanztagsbetrieb scheinen uns auchÖrtlichkeiten für größere soziale Ereig-nisse, Veranstaltungen mit Eltern, Prä-sentationen vor einer Jahrgangsstufe,vielleicht auch für Tanzkurse oderJudolehrgänge als Freizeitangebote.

Wir entwickeln deshalb das Konzept füreinen Mehrzweckraum, der nur durcheine bewegliche Wand von der Mensagetrennt ist. So kann der Raum als Kurs-raum für Chorproben mit 100 Schülern,als Konferenzraum oder Tanzstudiobenutzt werden, wenn die Wand zu ist.Wenn man sie öffnet und Bühnenele-mente aufstellt, wird die Mensa zumZuschauerraum. Deshalb finden sichdort auch keine die Sicht behinderndenStützsäulen, und die Raumhöhe ist groß-zügig bemessen.

Am 1.Februar 2005 findet der Spaten-stich statt und der Gebäudekomplexkann tatsächlich Mitte September desgleichen Jahres bezogen werden.

Errichtet werden zwei im Prinzip kubi-sche Gebäudeteile mit einer Verbin-dungsbrücke im ersten Stock. Der umetwa einen Meter tiefer liegende Teil istdas Freizeitgebäude mit Mensa und ver-schiedenen Freizeiträumen, der anderedas Unterrichtsgebäude mit zwölf Klas-

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senzimmern und zwölf meist angren-zenden, halb so großen »Intensivierungs-räumen«.

Ganztagsgebäude (© www.gerd-koenig.de)

Der Unterricht beginnt – wirsammeln erste Erfahrungen

Im September 2004 treten 75 Schüler an:Klassenstärke 25 – das ist die sehr ange-nehme Vorgabe aus München für denSchulversuch – in zwei fünften und einersechsten Klasse.

Mit einer sechsten Klasse zu beginnen,haben uns die Eltern abgerungen, die ihreKinder im Vorjahr bei uns einschultenund während des Jahres die Vorbereitun-gen für den Start des Ganztagsbetriebsmiterlebten. Wir überblicken zu demZeitpunkt noch nicht so recht, welcheorganisatorischen Probleme wir unsdamit für die nächsten Jahre einhandeln(Gruppengrößen in Sport, Religion, inder 2. Fremdsprache, Koordinationspro-bleme bei der Koppelung mit Normal-formklassen).

Die Ganztagsklassen sind im Oberge-schoss eines Pavillons untergebracht, einKlassenzimmer wird zum Speisesaalumfunktioniert, ein winziges Lehrerzim-mer wird durch Einbau einer Starkstrom-leitung und eines größeren Waschbe-ckens zur Küche gewandelt. Das fertigangelieferte, in Folie eingeschweißteEssen, wird dort erhitzt.

Für uns als Lehrer eines normalenGymnasiums ist es eine neue Erfahrung,tagaus tagein so eng mit unseren Schü-lern zusammengespannt zu sein: Wennunsere frisch angeheuerte Küchenhilfemal fehlt, füllen wir ihnen die Teller haltselber. Das Essen nehmen wir oft mitihnen zusammen am gleichen Tisch sit-zend ein. Dabei ergibt es sich ganz selbst-verständlich, dass wir dabei auf einengesitteten Ablauf hinwirken und dafürSorge tragen, dass danach ordentlichabgetragen und saubergemacht wird.Gelegentlich müssen wir auch schon malwelche trösten, denen die lange Tren-nung von der Mama zu schaffen macht,und das sind am Anfang einige.

Auch in den Arbeitsstunden, die dashäusliche Aufgabenmachen weitgehendersetzen sollen, sind wir vor ganz neueHerausforderungen gestellt, denen mitAugenmaß begegnet sein will. Das Zau-berwort heißt »Arbeitsatmosphäre« undsie liegt irgendwo zwischen der Stille beiEinzelarbeit und dem Geräuschpegel vonlebhafter Gruppenarbeit: Zwar soll jedersich selbst mit den Aufgaben auseinan-dersetzen, aber wenn er auch mit intensi-vem Bemühen nicht weiterkommt, musser jemanden fragen dürfen. Wir wollendie Schnelleren auch durchaus ermuti-gen, den Langsameren zu helfen, das darfaber nicht zum bloßen Diktieren oderAbschreiben geraten. Auch das Bewe-gungsbedürfnis oder Durstempfindender Kinder müssen bis zu einem gewissenGrad befriedigt werden dürfen. SolcheStunden verlangen oft mehr pädagogi-sches Geschick als normale Fachstunden.Wir müssen zugeben, dass es nicht immerund in allen Klassen gut funktioniert,aber wenn es klappt, freut man sich alsLehrer, in die Rolle des Mediators oderLernbegleiters schlüpfen zu können.

Und schließlich organisieren und lei-ten wir auch noch Neigungsgruppen, indenen die Kinder Freizeitangebote erhal-ten, die wir für sinnvoll erachten – auchhier muss mit viel Fingerspitzengefühlein Mittelweg zwischen regellosemChaos und allzu strenger Gängelunggefunden werden. Mangels einer entspre-chenden materiellen und räumlichenAusstattung orientieren sich unsere ers-ten Angebote eher am traditionellenWahlunterricht: Modellbau, Theater-spielen, Basteln, Ballspiele. Immerhingeht es aber schon mit einem Bienenvolklos, das, noch ehe das geplante Bienen-haus im Schulgarten errichtet ist, provi-sorisch auf einem sonst unzugänglichenSchulbalkon stationiert wird.

Nicht nur die Kinder sind anfangsnach ihrem Achtstundentag restlos erle-digt. Die 100-Minuten-Regelung für dieNeigungsgruppenstunden, die für unsLehrer oft zu den anstrengendsten Stun-den der Woche zählen, frustriert unserheblich.

Oft müssen wir uns dann allerdingsnoch zusätzlich mit den Eltern auseinan-dersetzen, die auch alle »Ganztagsanfän-ger« sind und sich entsprechend Sorgenmachen, wie ihr Kind mit all dem fertigwird.

Als Erfahrung nehmen wir mit, dassGanztagsschule zu einem stärkeren Mit-einander von Lehrern und Schüler, even-

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Gut gelaunte Schüler/innen = speedhockey.de

tuell auch Eltern führt, weil wir dieLebenswirklichkeit der Kinder viel direk-ter und bewusster wahrnehmen. Unserer-seits ist viel Idealismus und Flexibilitätgefordert.

Alle Kollegen, die im Ganztagsbereichunterrichten, ziehen mit. Sie sind gefragtworden, ob sie den Versuch mitmachenwollen, interessieren sich persönlich, stel-len sich den ungewohnten erzieherischenZusatzaufgaben. Bei den Kollegen, dieausschließlich an der Normalform unter-richten, beobachten wir verschiedeneReaktionen. Insgesamt ist eine große Ver-unsicherung zu spüren, weil für viele dasNeue sich zum Teil als Bedrohung deseigenen Rollenverständnisses und traditi-oneller Werte und Verfahrensweisen dar-stellt. (Zum Beispiel die Sorge um dasNiveau des Gymnasiums, das in dieser»Wohnzimmeratmosphäre« nicht zu hal-ten sei.) Das Verständnis für die neuenGegebenheiten wächst nur langsam, waszu einem Teil auch daran liegen mag, dassgleichzeitig die Einführung von G8 ver-kraftet werden muss und dass zunächstfür vieles, was das G8 mit sich bringt –mehr Nachmittagsunterricht, zerrisse-nere Stundenpläne für die Lehrer – derGanztagszweig verantwortlich gemachtwird.

Wir werden immer mehr – undmüssen nachjustieren

Dass manche Anfangsprobleme mit demBezug des Neubaus ihre Lösung finden,war uns im ersten Jahr eine stete Hoff-nung. Nun, im September 2005, ist es soweit: Zwei neue fünfte, zwei sechste, einesiebte Klassen beziehen ihre Räume –damit bleiben sieben Klassenzimmer frei,die sofort mit Normalformklassen ange-füllt werden, um der quälenden Raum-not im Gesamtgymnasium abzuhelfen.

Wir haben schon geahnt, dass dasnicht ideal ist: Zum einen ist es bitter fürdie Ganztagsschüler, wenn sie tagtäglichmit ansehen müssen, wie »die Halbtäg-ler« im Klassenzimmer nebenan um13.15 Uhr nach Hause gehen. Zumandern sind wir nicht mehr »unter uns«.

Auch unsere aus dem verstärkten erzie-herischen Reflex gewachsene Gepflogen-heit des Hinschauens und Kümmerns ist

wesentlich schwieriger zu praktizieren:Bisher hat jeder Lehrer des Anfangsteamsmit am selben Strick gezogen, hat soforteingegriffen, wenn etwa der namentlichbekannte Schüler A dem ebenfallsbekannten Schüler B ein Bein stellte. Jetztist das wegen der viel größeren Schülerzah-len und der daraus folgenden größerenAnonymität kaum mehr so konsequent zumachen. Außerdem sind die Kollegen, diestundenweise vom Hauptgebäude herü-berkommen, um ihre Normalformklassenzu unterrichten, froh, wenn sie den 7-Minuten-Marsch ohne weiteren Stopphinter sich bringen können. Und drittenswerden jetzt auch öfter bei Engpässen Kol-legen für Ganztagsklassen eingeteilt, diedies nicht ausdrücklich wünschen – Refe-rendare etwa, denen noch eine Unter-richtsstunde zu ihrem Pflichtmaß fehltund die dann – als pragmatischsteLösung – in eine GTG-Arbeitsstundegeschickt werden. Es stellt sich heraus,dass damit einerseits die Lehrkraft, die das»System« nicht kennt, überfordert ist,andererseits die Schüler die Welt nichtmehr verstehen, wenn sie auf einmal ganzanders behandelt werden.

Jahr für Jahr füllt sich das Haus mehrmit Ganztagsklassen, die Normalform-klassen werden wieder im Haupthausuntergebracht – die Raumnot ist aberweiter so groß, dass Kollegstufenkurse,Intensivierungsgruppen und Religions-klassen stundenweise herüberkommen,um unsere Intensivierungsräume alsLehrräume zu nutzen. Das heißt unteranderem, dass wir diese Räume jetztweniger oft zur Differenzierung oder zuGruppenarbeiten nutzen können. Undwir haben immer noch viele Schüler imHaus, die wir nicht kennen.

Die Schüler aus unserer Anfangssechs-ten sind jetzt als Zehntklässer der Nor-malform drüben im Haupthaus. Dieneunten Klassen gehören nur nochbedingt zu uns, weil wir die gebundeneForm der Ganztagsschule inzwischen mitder achten Klasse auslaufen lassen, denSchülern aber anbieten, die neunte und –wenn gewünscht auch die zehnte – inoffener Form zu besuchen.

Grund dafür war, dass in der Mittel-stufe die Zahl der Pflichtstunden für dieJugendlichen anwächst, was ihre Frei-

räume schon einmal einschränkt. So ist esnachvollziehbar, dass sie die verbleibendeFreizeit nicht auch noch verplant bekom-men möchten, zumal die Art der Freizeit-angebote bei uns bisher eher auf jüngereSchüler zugeschnitten war.

Mit der offenen Form bleibt ihnen dieChance, sich an zwei Nachmittagen(zusätzlich zu ihrem von der Stundentafelfestgelegten Nachmittagsunterricht) inder Schule aufzuhalten, Betreuung durchSozialpädagoginnen zu erfahren und alldie vorhandenen Freizeitangebote nützenzu können – und dies alles kostenfrei.

Bei der Lehrerversorgung des Ganz-tagszweigs, hat sich schließlich der Ususeingebürgert und sehr bewährt, woimmer stundenplantechnisch möglich,ausschließlich in der Klasse unterrich-tende Fachlehrer, womöglich sogar Kern-fachlehrer, in die Arbeitsstunden zu schi-cken.

Bedingt durch die größere Zahl der zuversorgenden Schüler ist es aber nichtmehr zu gewährleisten, dass nur Kollegenim Ganztagszweig eingesetzt werden, diedies auch wollen.

Zudem ist es die Politik der neuenSchulleitung, keinen Lehrer ausschließ-lich in der Ganztagsform einzusetzen – essoll bewusst gemischt werden.

Vorläufiges Fazit

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Kinder werden an der Ganztags-schule deutlich stärker als Indivi-duen mit all ihren Stärken undSchwächen wahrgenommen undkönnen entsprechend differenziertergefördert werden.Ganztagspädagogik mutet den Leh-rern verstärkt erzieherische Aufga-ben zu und verlangt von ihnen, dasssie sich als Mitglieder eines Teamsverstehen. Dies muss den Lehrernsehr bewusst sein, vor allem wenn siegleichzeitig auch in der Normalformunterrichten. Sie sollten daraufschon in der Lehrerausbildung vor-bereitet werden.Die Einrichtung eines Ganztags-zweigs an einem schon etabliertenGymnasium in Normalform istorganisatorisch umso schwieriger, jegrößer das Gymnasium ist.

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