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Prof. Dr.-Ing. habil. J. Rudolph Lehrstuhl f¨ ur Systemtheorie und Regelungstechnik Universit¨ at des Saarlandes Mechatronisches Praktikum Wintersemester 2012/2013 Realisierung einer automatischen Geschwindigkeitsregelung ur einen Gleichstrommotor Organisatorische Hinweise Die Bearbeitung dieses Praktikums erfolgt am Lehrstuhl f¨ ur Systemtheorie und Regelungstechnik, Geb¨ aude A5 1, Raum 2.12. Aufgrund der begrenzten Zeit, die zur Durchf¨ uhrung des Praktikums zur Verf¨ ugung steht, ist es erforderlich, dass Sie die Wesentlichen zum Erreichen des Praktikumsziels notwendigen Zusammenh¨ ange vor Beginn des Praktikums verstanden haben. Es wird insbesondere erwartet, dass Sie die vorbereitenden Aufgaben vor Ihrem Praktikums- termin bearbeitet haben. Bei Verst¨ andnisfragen wenden Sie sich daher bitte vor Ihrem Praktikumstermin an Herrn Dipl.-Ing. Matthias Konz. Zur erfolgreichen Absolvierung des Praktikums sind keine Vorkenntnisse in einer Pro- grammiersprache erforderlich. Die notwendigen Kenntnisse zur Implementierung des Reglers werden w¨ ahrend der Durchf¨ uhrung des Praktikums vermittelt. 1 Einleitung Ein Gleichstrommotor ist eine elektrische Maschine, deren Rotor sich beim Anlegen einer elektrischen Gleichspannung dreht und eine mechanische Last antreibt. Eine steigende Span- nung geht mit einer Beschleunigung des Rotors einher, w¨ ahrend die mechanische Last die Bewegung hemmt und so den Rotor bremst. H¨ aufig ist es die Aufgabe des Motors, eine vorge- gebene Drehgeschwindigkeit m¨ oglichst genau einzuhalten. W¨ aren die mechanische Last sowie die physikalischen Eigenschaften des Motors exakt bekannt, so k¨ onnte die hierzu ben¨ otigte elektrische Spannung leicht errechnet und an den Motor angelegt werden. Diese beiden An- forderungen sind jedoch in praktischen Anwendungen meistens nicht gegeben. Stattdessen uhrt beispielsweise die Erw¨ armung des Motors im Betrieb zu einer ¨ Anderung der physika- lischen Parameter, und oftmals sind die anzutreibenden Lasten nicht genau bekannt. 1.1 Grundgedanke des automatischen Reglers Eine M¨ oglichkeit, um trotzdem die pr¨ azise Einhaltung einer Drehgeschwindigkeitsvorgabe zu gew¨ ahrleisten, besteht darin, st¨ andig die Drehgeschwindigkeit des Motors mit der Vorgabe zu vergleichen und bei Abweichungen die elektrische Spannung anzupassen. So muss bei einer zu geringen Drehgeschwindigkeit die Spannung erh¨ oht werden, w¨ ahrend bei einer zu hohen Drehgeschwindigkeit die Spannung verringert werden muss. Genau das ist die Aufgabe des automatischen Reglers, der als Ziel des Praktikums f¨ ur den in Abbildung 1 dargestellten Versuchsaufbau realisiert werden soll.

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Prof. Dr.-Ing. habil. J. RudolphLehrstuhl fur Systemtheorie und RegelungstechnikUniversitat des Saarlandes

Mechatronisches PraktikumWintersemester 2012/2013

Realisierung einer automatischen Geschwindigkeitsregelungfur einen Gleichstrommotor

Organisatorische Hinweise

• Die Bearbeitung dieses Praktikums erfolgt am Lehrstuhl fur Systemtheorie undRegelungstechnik, Gebaude A5 1, Raum 2.12.

• Aufgrund der begrenzten Zeit, die zur Durchfuhrung des Praktikums zur Verfugungsteht, ist es erforderlich, dass Sie die Wesentlichen zum Erreichen des Praktikumszielsnotwendigen Zusammenhange vor Beginn des Praktikums verstanden haben. Es wirdinsbesondere erwartet, dass Sie die vorbereitenden Aufgaben vor Ihrem Praktikums-termin bearbeitet haben. Bei Verstandnisfragen wenden Sie sich daher bitte vor IhremPraktikumstermin an Herrn Dipl.-Ing. Matthias Konz.

• Zur erfolgreichen Absolvierung des Praktikums sind keine Vorkenntnisse in einer Pro-grammiersprache erforderlich. Die notwendigen Kenntnisse zur Implementierung desReglers werden wahrend der Durchfuhrung des Praktikums vermittelt.

1 Einleitung

Ein Gleichstrommotor ist eine elektrische Maschine, deren Rotor sich beim Anlegen einerelektrischen Gleichspannung dreht und eine mechanische Last antreibt. Eine steigende Span-nung geht mit einer Beschleunigung des Rotors einher, wahrend die mechanische Last dieBewegung hemmt und so den Rotor bremst. Haufig ist es die Aufgabe des Motors, eine vorge-gebene Drehgeschwindigkeit moglichst genau einzuhalten. Waren die mechanische Last sowiedie physikalischen Eigenschaften des Motors exakt bekannt, so konnte die hierzu benotigteelektrische Spannung leicht errechnet und an den Motor angelegt werden. Diese beiden An-forderungen sind jedoch in praktischen Anwendungen meistens nicht gegeben. Stattdessenfuhrt beispielsweise die Erwarmung des Motors im Betrieb zu einer Anderung der physika-lischen Parameter, und oftmals sind die anzutreibenden Lasten nicht genau bekannt.

1.1 Grundgedanke des automatischen Reglers

Eine Moglichkeit, um trotzdem die prazise Einhaltung einer Drehgeschwindigkeitsvorgabe zugewahrleisten, besteht darin, standig die Drehgeschwindigkeit des Motors mit der Vorgabezu vergleichen und bei Abweichungen die elektrische Spannung anzupassen. So muss bei einerzu geringen Drehgeschwindigkeit die Spannung erhoht werden, wahrend bei einer zu hohenDrehgeschwindigkeit die Spannung verringert werden muss.

Genau das ist die Aufgabe des automatischen Reglers, der als Ziel des Praktikums fur denin Abbildung 1 dargestellten Versuchsaufbau realisiert werden soll.

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1.2 Praktikumsaufbau

Der Aufbau enthalt neben dem Motor im Wesentlichen einen sogenannten Inkrementalge-ber zur Bestimmung der Winkelgeschwindigkeit ω, eine auf die Abtriebswelle des Motorswirkende Bremse zur Simulation einer veranderlichen Last τL, ein Bedienpanel mit einemPotentiometer zur Vorgabe einer Solldrehgeschwindigkeit ωsoll sowie Tastern und Leuchtdi-oden zur Auswahl und Signalisierung verschiedener Betriebsmodi, einer Leistungselektronikzur Einstellung der Versorgungsspannung des Motors sowie eine Mikrocontroller -Schaltung.

Inkrementalgeber Bremse Motor

Mikrocontroller Leistungselektronik Bedienpanel

Abbildung 1: Versuchsaufbau ohne Verkabelung

Der verwendete Mikrocontroller vereint einen Prozessor, Speicher fur Programme und Da-ten sowie zahlreiche als Ein- und Ausgange konfigurierbare Pins in einem elektronischenBaustein. Auf diesem Prozessor werden im Rahmen des Praktikums die Algorithmen zurBerechnung der Istgeschwindigkeit aus dem Signal des Inkrementalgebers sowie zur ziel-gerichteten Ansteuerung der Leistungselektronik fortlaufend abgearbeitet. Daruber hinauswird der Mikrocontroller zur Auswertung der Benutzereingaben dienen und Messdaten perUSB-Schnittstelle an einen angeschlossenen PC senden, so dass eine einfache Kontrolle dererreichten Ergebnisse moglich ist.

Fur die Durchfuhrung dieses Praktikums ist eine tiefergehende Betrachtung der elektro-nischen Verschaltung des Versuchsaufbaus nicht notwendig. Zusammenfassend soll durchAbbildung 2 der Signalfluss zwischen den einzelnen Modulen erlautert werden: Aus der Po-sition des Potentiometers berechnet der Mikrocontroller die gewunschte Sollgeschwindigkeitωsoll. Aus den Signalen des Inkrementalgebers kann die aktuelle Winkelgeschwindigkeit ωdes Motors bestimmt werden. Die am Motor angelegte Spannung u kann mit Hilfe der Leis-tungselektronik vom Mikrocontroller beliebig im Bereich [−12V, 12V] eingestellt werden. Dierelevanten Großen werden in regelmaßigen Abstanden an den angeschlossenen Computer ge-sandt und der zeitliche Verlauf dort graphisch dargestellt.

1.3 Zielsetzung

Nach diesen einleitenden Erlauterungen kann die Zielsetzung des Praktikums konkreter for-muliert werden: Es soll ein Algorithmus gefunden und in der Software des Mikrocontrollers

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u ω

τL

ωsoll

ω

ω, ωsoll, u

Abbildung 2: Signalflussdiagramm des Versuchsaufbaus

implementiert werden, der unabhangig vom Lastmoment τL und Parameterschwankungen dieWinkelgeschwindigkeit ω auf eine vom Anwender vorgegebene Geschwindigkeit ωsoll einstellt.

Das Vorgehen dazu wird im Folgenden erlautert. Der erste Schritt ist die Modellierungdes Motors, also eine mathematische Beschreibung dessen dynamischen Verhaltens. Davonausgehend wird iterativ ein Algorithmus hergeleitet, der diese Zielsetzung in der Theorieerfullt. Am Praktikumstermin sollen dieses Vorgehen diskutiert und die prognostiziertenErgebnisse praktisch verifiziert werden.

2 Modellbildung

Bei der Modellbildung wird der reale Aufbau abstrahiert, d. h., das Modell des Motors wirdauf die fur die vorliegende Aufgabe relevanten Zusammenhange beschrankt.

Abbildung 3 (Mitte) zeigt das durch Abstraktion des realen Aufbaus 3 (oben) aufgestell-te elektromechanische Ersatzschaltbild des Motors. Dieses enthalt einen Stromkreis fur dieWicklungen im Stator des Motors. Fließt durch diese ein elektrischer Strom i, wird ein ma-gnetisches Feld erzeugt, welches ein Drehmoment τel am Rotor des Motors hervorruft. DieRotorwelle ist durch ein Zahnradgetriebe mit der Abtriebswelle verbunden. Deren Winkel-

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r2

R

u

i

ω2

τLuind

τel

ω1

r1

FF

Θ2

Θ1

Tmω2 + ω2 = Kuu+KLτL

u ω2

τL

Abbildung 3: realer Aufbau, elektromechanisches Ersatzschaltbild und Modellgleichung desGleichstrommotors (Anm.: ω = dω

dt)

geschwindigkeit ω2 die Große ist, die spater entsprechend der vorgegebenen Geschwindigkeitωsoll eingestellt werden soll.

Fur die Motorwicklungen gilt die Maschengleichung

u = Ri+ uind (1)

mit der angelegten Spannung u, dem durch die Motorwicklung fließenden Strom i, derenWiderstand R und der durch die Rotation des Motors induzierten Spannung uind.

Fur die dargestellten rotierenden Korper gilt jeweils die Drehmomentbilanz

Θ1ω1 = τel + r1F, (2)

Θ2ω2 = r2F − τL (3)

mit den Winkelgeschwindigkeiten ω1, ω2, den Tragheitsmomenten Θ1, Θ2 sowie dem elek-tromagnetisch erzeugten Moment τel und dem durch die Bremse erzeugten Moment τL. Die

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Kopplung der Korper wurde bereits dadurch berucksichtigt, dass die Kraft F an den Zahnender Zahnrader identisch sein muss (Freischnitt). Des Weiteren muss aufgrund der Verzahnungauch die Geschwindigkeit am Umfang der Zahnrader identisch sein:

r1ω1 = −r2ω2. (4)

Schließlich werden fur die elektromechanische Kopplung zwischen Motorwicklung und Ro-torwelle die Zusammenhange

uind = kmω1 und τel = kmi (5)

angenommen.

Das Modell des Motors wird durch die 6 Gleichungen (1) – (5) mit den 8 zeitlich verander-lichen Großen

u(t), uind(t), i(t), ω1(t), ω2(t), τel(t), τL(t), F (t)

und den 6 als konstant angenommenen Parametern R, km, Θ1, Θ2, r1, r2 beschrieben.

Das Ziel des vorliegenden Praktikums ist die gezielte Beeinflussung der Winkelgeschwindig-keit der Abtriebswelle des Motors ω2, die deshalb hier als Ausgangsgroße bezeichnet wird.Die Einflussnahme auf den Motor geschieht durch die angelegte Spannung u, die deshalb alsStellgroße bezeichnet wird. Das sich durch die Bremse ergebende Lastmoment τL wird hierals Storgroße angesehen.

Dementsprechend ist fur dieses Praktikum der Zusammenhang zwischen diesen drei zeitlichveranderlichen Großen relevant. Durch Elimination der restlichen Großen aus dem Glei-chungssystem (1) – (5) und Zusammenfassen der Parameter ergibt sich

R

c2k2m(c2Θ1 + Θ2)︸ ︷︷ ︸=:Tm

ω2(t) + ω2(t) =1

ckm︸︷︷︸=:Ku

u(t)− R

c2k2m︸ ︷︷ ︸=:KL

τL(t)

⇔ Tmω2(t) + ω2(t) = Kuu(t)−KLτL(t), (6)

(worin das Ubersetzungsverhaltnis c substituiert wurde). Damit verbleibt nur noch eine Dif-ferentialgleichung mit den drei interessierenden Großen ω2(t), u(t), τL(t) und drei ParameternTm, Ku, KL zur Beschreibung der Dynamik des Motors.

Im Folgenden ist ω1 nicht mehr interessant. Daher wird der Index von ω2 weggelasssen:ω := ω2.

Vorbereitende Aufgabe 1: Vollziehen Sie die Herleitung der Modellgleichung (6) nach.Wie berechnet sich das in (6) auftauchende Ubersetzungsverhaltnis c des Getriebes?Hinweis: (1) – (5) ist ein lineares Gleichungssystem mit 8 Unbekannten und 6 Gleichungen.Setzen Sie die Gleichungen ineinander ein und eliminieren Sie dadurch die 5 Großen uind(t),i(t), ω1(t), τel(t), F (t) aus dem Gleichungssystem. Verbleiben muss dann eine Gleichung, diedie Beziehung zwischen ω2(t), u(t) und τL(t) beschriebt. Formen Sie diese Gleichung so um,dass der Koeffizient von ω(t) gleich Eins ist.

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3 Parameteridentifikation

Die Parameter Tm und Ku in Gleichung (6) konnten entsprechend der physikalischen Herlei-tung aus anderen evtl. bekannten Parametern berechnet werden. Hier sollen diese Parameterallerdings direkt experimentell bestimmt werden. Man spricht von Parameteridentifikation.

3.1 Losung der Differentialgleichung fur konstante Spannung

Es wird nun angenommen, der Motor befinde sich bis zum Zeitpunkt t0 in Ruhe: ω(t) = 0fur t ≤ t0, und es liegt keine Spannung und keine Last an. Zu diesem Zeitpunkt t0 werdesprungformig eine konstante Spannung u0 angelegt: u(t) = u0 = const. fur t ≥ t0. DieReaktion des Motors, also die Winkelgeschwindigkeit ω(t) fur t > t0, lasst sich dann durchdie Losung der Modellgleichung (6) beschreiben:

ω(t) =(

1− exp(− t−t0Tm

))Kuu0, t > t0. (7)

Vorbereitende Aufgabe 2: Verifizieren Sie, dass (7) die Differentialgleichung (6) fur dieoben genannten Bedingungen lost. (Hinweis: Ableiten, Einsetzen, Gleichheit zeigen.)

Abbildung 4: Sprungantwort

Abb. 4 zeigt den Graphen der Winkelgeschwindigkeit t 7→ ω(t) fur einen Sprung der Span-nung auf u0 = 10 V bei t0 = 2 s. Die Reaktion eines Systems auf eine sprungformige Anderungder Eingangsgroße wird oft als Sprungantwort bezeichnet.

Das Erzeugen und Aufnehmen einer solchen Sprungantwort ist am realen System einfachmoglich und soll im Folgenden zur Identifikation der Parameter Ku und Tm genutzt werden.

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3.2 Identifikation der stationaren Verstarkung

Am Verlauf der Winkelgeschwindigkeit in Abb. 4 sieht man sofort, dass die Winkelgeschwin-digkeit nach einem zunachst starken Anstieg langsam gegen einen konstanten Wert konver-giert. Konkreter sieht man dies an der Gleichung (7): Fur Tm > 0 gilt

limt→∞

ω(t) = limt→∞

(1− exp(− t−t0

Tm))Kuu0 = Kuu0. (8)

Auch wenn dieser Grenzwert theoretisch nie erreicht wird, kann man in der Praxis problemlosden Grenzwert schatzen. In Abb. 4 ließt man den Grenzwert z. B. fur t > 6 s als limt→∞ ω(t) =30 rad

sab.

Da sich fur hinreichend große t die Winkelgeschwindigkeit praktisch nicht mehr andert unddieser stationare Wert proportional zur Eingangsgroße ist, bezeichnet man den ParameterKu oft als die stationare Verstarkung.

Vorbereitende Aufgabe 3: Welchen Wert fur die stationare Verstarkung Ku kann manaus den Graphen in Abb. 4 bestimmen? Welche Einheit muss Ku haben?

Vorbereitende Aufgabe 4: Der Parameter KL konnte auf gleiche Weise identifiziert wer-den. Ist der numerische Wert von KL interessant, wenn man davon ausgeht, dass das Brems-moment τL(t) unbekannt ist?

3.3 Identifikation der Zeitkonstante

Wie man bereits an der Differentialgleichung (6) sieht, wird der Parameter Tm offenbar mitder Anderung der Winkelgeschwindigkeit ω assoziiert. Differenziert man nun (7) nach derZeit,

ω(t) =Kuu0Tm

exp(− t−t0Tm

), t > t0, (9)

und betrachtet davon den rechtsseitigen Grenzwert an der Stelle t0

limt→t+0

ω(t) =Kuu0Tm

, (10)

so erhalt man eine Gleichung, die zur Bestimmung von Tm benutzt werden kann.

Das Ablesen der Steigung ω(t0) im Sprungpunkt ist zwar aufwandig und insbesondere in derPraxis nur naherungsweise moglich, fur die vorliegende Problemstellung aber vollig ausrei-chend. In Abb. 4 entspricht die Steigung ω(2s) = 60 rad

s2.

Wie man an Gleichung (7) erkennt, hat Tm direkten Einfluss darauf, wie schnell die Funktiongegen ihren Grenzwert konvergiert. Deshalb wird Tm oft als Zeitkonstante bezeichnet.

Vorbereitende Aufgabe 5: Welchen Wert fur die Zeitkonstante Tm kann man aus denGraphen in Abb. 4 bestimmen?

Vorbereitende Aufgabe 6: Angenommen wird ein System entsprechend (6) mit den Pa-rametern Ku = 2 rad

V·s und Tm = 1s. Zeichnen Sie qualitativ die zugehorige Sprungantwort indas obere Koordinatensystem in Abb. 4 ein.

Praktische Aufgabe 7: Erzeugen Sie die notwendigen Graphen, und identifizieren Siedaraus die Parameter am Praktikumsaufbau.

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4 Steuerung

Bisher wurde die am Motor angelegte Spannung u als die vom Anwender einzustellendeGroße aufgefasst. Entsprechend der anfangs formulierten Zielsetzung soll aber eigentlich dieDrehzahl bzw. die Winkelgeschwindigkeit ω(t) des Motors die Große sein, die vom Anwendervorgegeben wird. Die Fragestellung ist also: Welche Spannung muss angelegt werden, damitsich eine bestimmte Winkelgeschwindigkeit ωsoll am Motor einstellt?

An der Sprungantwort (Abb. 4) hat man gesehen, dass bei konstanter Spannung u = const.,die Winkelgeschwindigkeit gegen einen konstanten Wert konvergiert. Setzt man diesen Wertgleich der vorgegebenen Winkelgeschwindigkeit ωsoll, so kann man die notwendige Spannungu direkt berechnen:

limt→∞

ω(t) = Kuu!

= ωsoll ⇒ u =1

Ku

ωsoll. (11)

Zur praktischen Realisierung muss diese Gleichung in der Software des Mikrocontrollersimplementiert werden. Die gewunschte Drehzahl ωsoll wird hier vom Anwender uber dasPotentiometer eingestellt und vom Mikrocontroller ausgelesen. In Analogie zum einleitenddargestellten Signalflussdiagramm (Abb. 2) konnen die dort dargestellten Blocke nun mitGleichungen versehen werden, die die Zusammenhange zwischen den Ein- und Ausgangs-großen beschreiben (Abb. 5).

u = 1Kuωsoll Tmω + ω = Kuu

u ωωsoll

Abbildung 5: Signalflussdiagramm fur den gesteuerten Motor

Vorbereitende Aufgabe 8: Welche Gleichung ergibt sich fur den gesteuerten Motor, al-so den in Abb. 5 gestrichelt dargestellten Block? Was ergibt sich daraus fur stationareWinkelgeschwindigkeiten ω(t) = const. und verschwindende Last τL = 0?

Vorbereitende Aufgabe 9: Was andert sich an der Gleichung des gesteuerten Motors,wenn man davon ausgeht, dass die identifizierte Verstarkung Ku von jener des Modells, Ku,abweicht, also u = 1

Kuωsoll? Welche Auswirkung hat dies auf die sich einstellende stationare

Winkelgeschwindigkeit limt→∞ ω(t)?

Praktische Aufgabe 10: Implementieren Sie die Steuerung in der Software des Mikrocon-trollers des Versuchsaufbaus.

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5 Proportional-Regler

Entsprechend der Herleitung der Gleichung fur die Steuerung des Motors (11) konnte theore-tisch erreicht werden, dass sich die gewunschte Sollgeschwindigkeit ωsoll stationar einstellt. Inder Praxis wird man feststellen, dass dieses Vorgehen aufgrund von Modellungenauigkeitenund nicht berucksichtigten Storungen unbefriedigende Ergebnisse liefert.

5.1 Motivation

Eine Moglichkeit zur Verbesserung ist, auszunutzen, dass die vorliegende Winkelgeschwindig-keit ω(t) gemessen wird und mit der Sollgeschwindigkeit ωsoll verglichen werden kann. Ist dieWinkelgeschwindigkeit ω(t) kleiner als die Sollgeschwindigkeit ωsoll, also der Fehler e(t) :=ωsoll − ω(t) positiv, so muss die Spannung u(t) erhoht werden. Analog muss bei zu hoherDrehzahl die Spannung vermindert werden.

Mathematisch kann man dieses Vorgehen beschreiben, indem man zur berechneten Steuer-spannung uS = 1

Kuωsoll einen Anteil proportional zum Winkelgeschwindigkeitsfehler e ad-

diert:

u(t) =1

Ku

ωsoll +KP e(t). (12)

Der konstante Parameter KP hat im Gegensatz zu den Modellparametern (Ku, Tm, . . . )keinen physikalischen Ursprung, sondern kann vom Anwender frei gewahlt werden. Er wirdoft als Proportionalverstarkung bezeichnet. Welcher Wert fur KP sinnvoll ist, soll spatermathematisch und vor allem bei Anwendung am Versuchsaufbau diskutiert werden.

Das Signalflussdiagramm in Abbildung 6 veranschaulicht die Implementierung.

uS = 1Kuωsoll

Tmω + ω = Kuu

u ω

u = uS + uP

uP = KP (ωsoll − ω)

ωsoll

ω

Abbildung 6: Signalflussdiagramm fur Proportionalregler und Motor

Den Algorithmus zur Berechnung der Stellgroße u basierend auf dem Vergleich zwischenSoll- und Istwert der zu regelnden Ausgangsgroße bezeichnet man als Regler. Der wesent-liche Unterschied einer Regelung gegenuber einer Steuerung ist eben diese Ruckfuhrungder Abweichung auf die Stellgroße. Solche Prozesse sind alltaglich, aber oft geschehen sie

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unbewusst: Der Fahrer eines Autos z. B. steuert nicht mit geschlossenen Augen an seinenZielort, sondern passt seine Geschwindigkeit und Lenkbewegungen naturlich entsprechendseiner Wahrnehmung der Umgebung an. Fahrer und Auto bilden also ein geregeltes System.

Da hier die Stellgroße proportional zur Abweichung erhoht wird, spricht man von einemProportional-Regler bzw. P-Regler.

5.2 Mathematische Beschreibung

Es bleibt zu zeigen, welche Auswirkungen der P-Regler (insbesondere der Wert der Propor-tionalverstarkung KP ) auf die Systemdynamik hat, also auf die Differentialgleichung, dieωsoll und ω in Beziehung setzt. Einsetzen von (12) in die Gleichung des Motors (6) ergibt

Tmω(t) + ω(t) = Ku

(K−1u ωsoll +KP (ωsoll − ω(t))

)⇔ Tm

1 +KuKP

ω(t) + ω(t) = ωsoll. (13)

Die Struktur dieser Differentialgleichung entspricht nach wie vor jener des Modells (6). Da-her muss auch deren Losung eine entsprechende Struktur haben. Fur eine sprungformigeAnderung der Sollgeschwindigkeit an der Stelle t0 ergibt sich die Winkelgeschwindigkeit furt > t0 zu

ω(t) =(

1− exp(− t−t0TP

))ωsoll, TP :=

Tm1 +KuKP

. (14)

Man sieht also fur Ku > 0, dass man durch eine Wahl von KP > 0 die Zeitkonstante TPverkleinern kann, wodurch die Winkelgeschwindigkeit ω schneller gegen den Sollwert ωsoll

konvergiert. Analog konnte man durch eine negative Proportionalverstarkung KP < 0 dasSystem verlangsamen.

Vorbereitende Aufgabe 11: Was kann passieren, wenn man einen betragsmaßig großennegativen Wert fur KP wahlt?

Praktische Aufgabe 12: Implementieren Sie den Proportional-Regler in der Software desMikrocontrollers des Versuchsaufbaus.

Praktische Aufgabe 13: Betrachten und beurteilen Sie das Konvergenzverhalten fur un-terschiedliche Proportionalverstarkungen KP . Welche Probleme treten bei großen Werten furKP auf? Gibt es einen besonders geeigneten Wert fur KP , und in welchem Sinne ist dieser“optimal”?

6 Proportional-Integral-Regler

Bei den mathematischen Herleitungen wurde bisher angenommen, dass keine Last am Motoranliegt: τL = 0. Am realen Aufbau wird man sehen, dass in Gegenwart einer Last τL 6= 0weder die Steuerung noch der P-Regler in der Lage sind, die Sollgeschwindigkeit einzustellen.

Ein komplexerer Ansatz mit Berucksichtigung der Storgroße τL soll Abhilfe schaffen.

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6.1 Motivation

Zusatzlich zu den Anteilen von Steuerung und P-Regler soll ein weiterer Anteil proportionalzum Integral uber die Abweichung e = ωsoll − ω zur Berechnung der Spannung beitragen:

u(t) =1

Ku

ωsoll +KP e(t) +KI

∫ t

0

e(t)dt. (15)

Dieser Ansatz kann folgendermaßen motiviert werden: Solange eine positive Abweichunge(t) > 0 vorliegt, werden das Integral in (15) und damit auch die Spannung u(t) immerweiter wachsen. Die Spannung kann erst dann einen konstanten Wert annehmen, wenn dieAbweichung verschwindet.

6.2 Mathematische Beschreibung

Eine ausfuhrliche Beschreibung der sich mit dem PI-Regler ergebenden Systemdynamikwurde den Rahmen dieses Praktikums sprengen. Es soll allerdings zumindest kurz gezeigtwerden, was geschehen muss, damit die Geschwindigkeit gegen die Sollgeschwindigkeit kon-vergiert: Setzt man den Regler (15) in die Modellgleichung (6) ein, erhalt man

Tmω(t) + ω(t) = Ku

(K−1u ωsoll +KP e(t) +KI

∫ t

0

e(t)dt

)−KLτL

⇔ Tm1 +KuKP

ω(t) + ω(t) = ωsoll +KuKI

1 +KuKP

∫ t

0

e(t)dt− KL

1 +KuKP

τL. (16)

Geht man nun davon aus, dass die Abweichung abgeklungen ist, also ω(t) = ωsoll = const.,so verbleibt

KuKI

∫ t

0

e(t)dt = KLτL. (17)

D. h., das Integral uber die Abweichung e nimmt den Wert an, der entsprechend den Skalie-rungen mit KuKI den Einfluss der Storung KLτL aufhebt. Da der Wert des Integrals und dieSkalierung bekannt sind, konnte dadurch auch das Lastmoment berechnet werden. Dies fuhrtzu einer alternativen Interpretation des PI-Reglers: Die Storung wird indirekt gemessen undkompensiert.

Auch die Auswahl der ReglerparameterKP und KI wird nun etwas komplizierter. Im Wesent-lichen entspricht die resultierende Systemdynamik von Regler und Motor einemSchwingkreis, bzw. einem Feder-Dampfer-System in der Mechanik. Also ist es zweckmaßig,die gewunschte Dampfung DPI und die Zeitkonstante TPI zu definieren und daraus die Reg-lerparameter zu berechnen. Dazu vergleicht man die Koeffizienten von (15) mit jenen von

TPI ω(t) + 2DPI(ω(t)− ωsoll) +1

TPI

∫ t

0

(ω(t)− ωsoll)dt = − KL

1 +KuKP

τL. (18)

Die Reglerparameter berechnen sich dann zu

KP =1

Ku

(2DPI

TmTPI

− 1

), KI =

TmKuT 2

PI

. (19)

Der Parameter TPI beeinflusst wieder die Konvergenzgeschwindigkeit. Fur 0 < D < 1erhalt man ein schwach gedampftes (oszillierendes) Verhalten fur e(t), fur D > 1 ein starkgedampftes Abklingen der Abweichung.

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Mechatronisches Praktikum: automatische Geschwindigkeitsregelung 12

Abbildung 7 zeigt zur Veranschaulichung die Reaktion des mit dem PI-Regler geregelten Sys-tems auf einen Sprung in der Sollgeschwindigkeit ωsoll (schwarz) sowie eine Storung durchdas Lastmoment τL. Der dunkelblaue Graph entspricht dem zeitlichen Verlauf der Winkel-geschwindigkeit ω fur die Reglerparameter DPI = 0.5, TPI = 0.03 s, der hellblaue Graphjenem fur DPI = 1.5, TPI = 0.08 s.

0 1 2 3 4 5−5

0

5

10

15

20

Abbildung 7: Graphen zur Veranschaulichung der Reaktion des mit dem PI-Regler geregeltenMotors

Vorbereitende Aufgabe 14: Die Winkelgeschwindigkeit ω(t) wird vom Mikrocontrolleralle 10ms gemessen. Dementsprechend steht auch nur alle 10ms ein korrekter Wert furdie Abweichung e(t) zur Verfugung. Welche Probleme treten auf, wenn das Integral uberdie Abweichung in der Software des Mikrocontrollers implementiert werden soll? WelcheMoglichkeiten zur Approximation des Integrals sind hier sinnvoll?

Praktische Aufgabe 15: Implementieren Sie den PI-Regler in der Software des Mikrocon-trollers am Versuchsaufbau.

Praktische Aufgabe 16: Betrachten Sie das Verhalten des PI-geregelten Motors fur un-terschiedliche Reglerparameter KP , KI bzw. TPI , DPI .