Originalveröffentlichung in: Neue Zürcher Zeitung ...

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-'ltur Jürmrr .&itung FEUILLETON Keine Adjektive mehr! Ein Gespräch mit dem Kölner Architekten 0. M. Ungers OrK'ald Alathiar Ungers gehl!rt zu dtn dlenstl/l tuttn d,utsd,m Archittkten. Vlele der archittktur- thtorttischm Dtbatttn dtr Nachkritgsuit hat tr nicht nur mittrltbt, sondtm m/tges talttt. In dnmt J nttn·iew spricht Ungtrs über srint Konztption • 'On Archittktur und gtgr.mwJrtigt Fragtn. Dar Gesprl/ch fiJhrttn Jargen Malter und Ernst Sei d/. He" Ungt.n, l4' it Mginntn Sit t.intn Bau zu plantn? Ich beginne die Pl anung nicht, indem ich eine Analyse mache und von der Analyse zu einer Synthese komme. Ich beginne die Arbeit mit einer Hypo th ese, oder ich könnte auch sagen: mit einer Vorstellung. einer Idee, einem KonzepL Ich lehnte mich dabei an Poppers f(Co njccturcs and rtfutations» an. Ich stelle mir also zunllchst etwas vor, und danach sind al le weiteren Schritte Widcrlegungsvcrsuchc. Gibt es Baurm, die Sie rorkblickend anders ge- staltet htlutnl Wenn man in der eigenen Arbeit nacli einer ge- wissen Vollkommenheit streb~ dann hat man ja den \Vunsch, c:s im mer besser zu machen. Nun kommt dieser Wille. die Arbeit möglichst voll- kommen zu machen. auch aus meiner Erfahrung in der Jugend . Ich habe lllngere Zeit im Kl oster Maria Laach bei den Benediktinern zugebrochL Etwas Dauerhafies so konzentrien und so gut wie mög.lic.h zu machen hat mich dazu gerDhn. in mei- ner Arbeit das gleiche immer wieder zu tun. Trotzdem gibl es natOrli ch Fehler und Zeiten mangelnder Konzentration - im bcnedikti ni schen Sinne. Und ie können die Fehler nur Oberwin- den, wenn Sie dabei bleiben und versuchen. es besser zu machen und die Konzentration beizube- halten. Das meine ich mil Vollkommenheit Sind Archittkren künstlerische Umwtltmodtra- rort n, Demiurgen odtr nur Bas1ler? Der Laie stellt sich ort vo r, dass der Architekt der Kreator sei. der durch die Gene bedingt ode r von der göulichen Vorsehung seine Intuition er- hält. Das is t Etikettenschwindel. Die Arbeit des Archileklen ist nichts anderes als die Arbeit eines \Vissen chaflers, die wiederum ni chts onderes ist als die Arbeit eines Handwerkers. Par1henon und Pnn theon Welchtn Traditionen innerhalb der ArrhiteJ..tu r ordnen Sit sich stlbJ 1 :u .' Meine Affinit.!iten liegen mittlerweile ganz kl ar in der römischen Antike. Es hat damil zu 1un, dass ich aus einer Gegend stamme, d ie sta rk durch die römische Antike bestimmt is~ n:tmlich Trier und die Sud-Eifel. Darilber hinaus gese llt sich zur römischen Anlike die frühe Romanik. Ein dritt es Elmient schl icsslich ist der Kreuzgang d es Doms \·on Trier, handelt es sich doch um einen On. wo man die gesamte Arc hiteklurgeschi chte des Abendlandes um sich ve~ammelt h.u . W enn Sie dir An1ike und dit benedik1inische Archi1rk1u r nennen. trgib1 sirh die Frage narlr dtm Flurhtpunkl beidtr Tra diliontn. Architektonisch ist dies die Geometrie. Dann massttn Sie auch Impulse aus dt r fran: IJ- 1i.schtn Rtmlutionsarchiu/..1ur ge:ogen haben. Wegen ihrer Suche nach der reinen Form is l die Re\ olulionsarchitektur filr mich wichtig. Gibt es Unfr('nalirn der a rchi1ekto11isrhen Fom,. und M ·ie M " Ürden Sit „fomi• dtfinitren? Die Archllektur hat eigenll ich nur zwei Grund· module. Die beiden Grundmodule, die Sie vie l. lei cht mit f'"Dnn meinen, sind der P, , inhenon und das Pantheon. Das können Si e auch bezeichnen al Ze ll und als Höhle, als Arche und Lade. Diese Dualität der Grundmodule bestimmt die Archi· lektur. Davon gibt es unz!lhlige Variationen. Aber wenn Sie die Grunds trukturen sehen. sind das die beiden Pole. l' t rglt• icht man Ihre Formensprache mit derjeni· gen Jtan Nou1· rls, s1icht d,e un1er schiedlicht A.rchi1ekturontologit i,q, Auge. Nou,·t l bt' müht 1ic h. Elemtntt :"ilgtn"Aischer Wahrn t' hmung :u inr,,grit rt n, t twa GeschM·indigkrit und Virtualitllt. Das ist ri ch tig. Ich will nicht die Architektur von Nouvel kritisieren. bin aber der Meinung. dass Architektur ni chl Geschwindigkeit ausdrük- ken kann. Das isl unmöglich. Architektur ist nichl abbildlich. Die Malerei ist abbildlich. So ll Glas und Stahl Geschwindigkeit darstellen? Im lnstilut du Mondt! Arabe in Pari.J ins:tnitrt Nou,·tl :um Beispiel dir Fahrs1uh/fahrt. Das machl ja ni cht nur er. Das haben die Hyatt- Hotel von Ponman schon viel frOher ge, macht Die Scnsalionalisten der Architektur bauen Sachen, die vielleicht auf Weltausstellun- gen von gross.cr Attraktivität si nd . Abu gibt ts nicht tint Dis krtpan: z-.,.·ischen dt m Drnkrn der arc hi1tklonischen Form und ihrtr Wahrn thmung? Dann verstehe ich eines nicht: Wenn es ihnen um Wahrnehmung geht, warum bcmOhen sich denn alle diese High-Tcch-Architekten immer wieder darum. das man ihre Architektur ni cht wahrnimm~ obwohl sie ja gerade das Gegenteil wollen? Sie reden von Transparenz. Transparenz bedeutet meistens, dass man a ll es verschwinden lassen will. um den Bau unsichtbar zu machen. ... und k" OS halttn Si, i-on dt r dt konstrukrfr/. Jti.Jchtn Ar chitektur? Heute werden Begriffe gebrauch~ die ni chts mit Architektur zu tun habe.n. Man baut Hlluscr schief und krumm oder besonders chaotische Architektur machen kann, nachdem man in Kobe d ie Trtlmmer gesehen hat KD nnlt man Jh ntn nic ht tntgegntn, da.u lhrt Arclriltktur rollkommtn alr i.storisch Ur? Es ist keineswep historisch, wenn man den je. weiligen Trend m1unachL Abu muss Archiltktur sich nic ht auf sich ,· tr· 4ndtrndt Ltbenswtistn einstellrn? Sicherlich, die Welt wird schne ll. Die Welt wi rd chaotisch. Rem Koolhaas, ein Freund und ehe- maliger SchOler von mir, spricht von einer Welt von Nomaden. Die Stadt 1st der Flughafen, die Stadl ist der Bahnhof , die Stadt ist der Knoten- punkt im Netzwerk. Nomaden sind die Kllsefres· ser. Ich aber bin ein Neolith, ein Körnerfresser: Wenn die Neolithen etwas in die Erde gepflanzt hatten. mussten sie w.irten und mussten bleiben. KD nnlt man Sit als tintn butlchntn, dtr auf ,rarrhitt ktonischtr Autonomit.JI btharrt.' Aber absolut. Und zwar deshalb, weil Architek- tur ihre eigene Sprache hnt. Die Ratio der Archi- tektur. der Rationali smus, wie ich ihn verstehe, ist doch d ie Architektur selbst. Sie hal ihre ei ge ne Logik. ihre eigene Syntax, ihr ei genes Vokabular. Daher kann ich Architektur nur mit architektoni. sehen BegriITen erkl ären. Richard Senntll sprach ,·or kur:em in einem l nltn·iew da,·on. dass es in Zuku11fi irr 111tstrtn Stlldten gerade nirh1 mthr auf dit ,r fom1 11 der ArrhittklUr ankommt. sondern die Rtle,· 0111 allein bti ihrt r „so:ialtn Füllung" un d Nutzungsstruktur liegt. J.1ilsstn Sit dem nichl M 'idtrsprechen? Si che rli ch. Das sind zwei völlig unabhängige Dinge. Die Architektur ist ni chl in der Lage, sozia le oder politische Probleme zu lösen. Genau- so "'enig wie die Kunst das kann. Wie die Fonn gefüllt wird, das ist nicht Sache der Architektur. Srhon / 960 ham·n Sie in Ihrem J.fanifes1 „zu einer 11 eut n Arrhi1eJ...11"" fn1he Pr01este gegen die funk1ionali.s1is rhe Arrhilek,ur form uliut. Im Gru11dt handelte es sich im Widt•rspruch :u Lt Corbusiers „Vers une architer1ure,, bereitr um den Kern dtr postmodunen Kritik an der architektoni- schen Sp4tmodune. llllffe nirht eine Diskussion über die Qualithten des FunJ... tionsbegriff.s stall aber Epochen-Namen M "eiterg"führt? Die Architektur isl keine Funktion von etwas. 8 gibt Architekturen, die al s reine Id een geba u1 "'urden : Die Villa Roto nda isl nie be"'o hnl wor- den . Castel del Monte ist ni cht gebaut "'orden. um benutzt zu werden. cc Fallin g \Vat el""N von Frank Ll oyd Wright ist Ober funkuonale Kritenen nicht zu erklären. Die Verbindung von Landschaft und Architektur war die ei gentliche Idee. til anderen Worten: Was sind FunktionsbegriITe? JYit abtr. ~· t"nn man dtn Fun klionsbegriff um kulturelle. hi.s10risrhe. idt'tllt, urbane und sogar i!.sthe1isrht FunJ...1iontn tn•oeiltrn würdt." Erinnern Sie sich daran, dass die Deba tte um die Wahrhei t der Funktion zu einer enormen Ver· engung gefü hn ha t. Ich habe am CIAM-Kongress 19 J an A1x-cn -Provence teilgenommen mit Lc Corbusier. Gropius und den anderen. In der "Charta \On Alhen)• unterschied Lc Corbusier die Bereiche Wohnen, Arbeiten. Freizeit und Verkehr. un wa ren aber bei diesem Kongress viele junge Architekten aus Afrika. Die wohnten am Rande des Urwalds, da gab es keinen Verkehr. Die hat- ten höchstens ein Fahrrad. Da gab es keine Tren- nung von Industrie und Wohnen. Wie bntte mon deren Arbeiten nach diesen Kriterien bcuncilen kOnnen? Deshalb forderten wir damaL, noch jun- gen Architekten, dass die Arbeit nur aus sich selbst berau.s zu beurteilen sei. Und nicht mit irgendwelchen Kriterien. d ie wir in unserer Ge. sellscballsordnung als notwendig erachtcn. Gibt es eine /'Jyd,ologie der Form? In der Architektur venuche ich, meine ei gene Au!Tassung von Leben deutlich zu machen. Kon- kret bedeutet dies: Wie weit können wir unser Leben a uf das Wesentliche reduzienen? Dabei ist sicherlich ein Unl<rschied, ob mon A ll er oder jOn- ger is t. Denn wenn man jung is~ will man zeigen, w.is man kann. Wenn man Alter wird. wi ll man nur noch weglassen. Dabei geht es mir wie Becken. Das letzte, was er geschrieben hn~ ist eine Geschichte, in der kein Adjektiv vorkommt: Ein Mann sim am li sch, sl11tzt sich den Kopf , steht nur, geht im Zimmer umher. Nichts weiter. Ich kann mich ni cht mehr mit Belanglosigkeiten beschilfügen. Keine Adjekti ve mehr! Geschichte ols Att itud e Sie lrab~n mit hislorischen Bauten gtarbtittt, sit umfunktionitrt und res1aurltrt. Wit slthtn Sie : u Rtkon.struktiont n.' Was halttn Sie ,·on dtm Wu nsch, das Btrlint r Schloss witdt r aufzubauen? Da bin ich dezidiert dagegen. Wenn man die Stadt so auITass~ wie ich e5 tue. sind auch die letzten rDnfzig Jahre eine Schicht, eine Spur in der Stadl, die man ni cht besei tigen darf . Es is t ja nicht nur der Abriss des Palastes der Republik, sondern es is t der Abriss und gleichzeitige Ersatz durch das Schloss. Architektonisch gesprochen ist das Schloss ein scheus li cher Bau. Die einzige Aus- nahme war der SchlOterhor. Darüber hinaus is t doch für die ßOrgerstadt Berlin bezeichnend, dass die Ho henzo ll ern einen Graben um d llS Schl oss zie he n mussten. damit ihnen die Berliner das Ding ni cht Ober dem Kopf anzOndeten. Das Schloss ist in Berli n immer ein Fremdkörper ge. blieben. Warum soll jetzt pl Otzlich das Schloss Berli n und Berlin das Schloss sein ? Ubt sich in Btrlin tin Pos1moderni.Jmus aus? Das könnte vie lle icht sein. Jedenfalls wi rd hie r Geschichte als Attit üde, als Episode belrachlet. die man jederzeit ablegen und lindem kann. Gil1 dks auch für die Fra11 enJ..irrhe in Dresden ' Ja, denn die Rui ne war ein beeindruckendes Monument, das an den Zusammenbruch unmit, telbar sinnenha rt erinnerte. Von diesem ehemals wunderbaren. glänzenden, perfekten Bau blieb nur noch ein amorp her Haufen. Und diese Spannweite zwi schen dem glänzenden Bau und den herumliegenden Säulentrommeln isl zutiefst beeindruckend: weil damit auch das Schmerzharte zugelassen wird. Wir mOsse n lernen, mit den Din· gen umzugehen, die uns Schmerzen bereiten, Ver- lust meine ich. War t1 Zufa ll. dass sirh die Prutmoderne· Di.s- kussio11 so sehr auf die Museumsbauten be:og.' Das sehe ich anders. Es war ja vielmehr der Woh nungsbau, der mi l Giebelchen und Er- kerchen verzien wurde. Wenn man den Woh- nungsbau der zwanziger und dreissiger Jahre be- trachtet, die Taut-Siedlung, die Hufeisensiedlung, das waren alles sehr durchdachte Bauten. Auch in der Pr opon ion wunderschön. Abe r "'as heule ge- baut wird, isl doch ofl absurd. Kommen wir auf Ihre Ard1i 1tJ..tur :urück: Ihr En,. ·eiterungsbau der lfambt1rKer Kuns1halle liest .sich wi e eine En,.·iderung auf S1erl111gs S11mgart er Staaugalerie. Bestt•ht die Pointe darin . dass Sie unt"rsrhiedliche Formen des Zi1ierens :u :eigen ,·t rsurhen .' Ich würde meine Architektur nie a uf Koslen einer .inderen erll !lren. Ich will sie aus sich selbst heraus erk.l ären. Dinge. Aber ich weiss nich~ wie man solch eine D,r Arrhitekt In seiner Bibliothek: OSM· ald Alathlar Ungrrr bei einem Gesprllrh In Kl!ln. (Bild E. Seidel) Monl'I, 30. NoYembu 1991 , N'-271 31 WDrdt a Slt st6rnr, wionn man dtn t lit4 rm Charakter des Hamburger N,ubaus betontt? Nein. Im Gegentcil. Es winl kaum möglich sein, in Zulr:unn noch GebAude zu bauen, die eine solche Ptrfektion bcsitz<n. Wenn eine gute Arbeit elitllr iJt, dann kann ich damit leben. Der Hamburger Bau bmeht rlch auf eine ganz andere Art au dtr Stuttgarter auf Historisches. Beide tiefem ein• Idee, war Zirlerm rein kilnnte. Welche Gebllude kann man hlnzudenk,n, um die Galerie der Gegenwart zu versrehm? Der Hamburger Bau ist eine Erweiterung einer bestehenden Anlage. Man muss zwischen dem Pl ateau als ~kollektiven, Form und der Einzel- form des Kubu.s unterscheiden. Deshalb bat der Hamburger Bau diesen Sockel. Darauf stehen drei Einzelformen: der Neubau. der Bau aus dem 19. Jahrhundert und der Schumacher-Bau am Ende. Und der Zwischenraum. nicht zu verges- sen: der Pyrami denstumpf, auf dem die Inschrift von Inn Hamilton finlay eingeschrieben sleht: «Die Heimat ist nicht der Ort .. ,,. Diese vier Ele- mente bestimmen die Anlage. Die Galerie der Gegenwart bat die gleiche Grundform wie der erste Bau von der Hudes. Aber der eine erzählt etwas: Eckrisalite, Socke l. Gesimse. Meiner is t der gleiche Bau, nur vOllig reduzien. Jt'it ist das mit dtm Vorbildcharakter der stau. fischtn Archittktur, tn.- ·a Lucua? Lu ccra war ein direktes Vorbild. Sie können nicht verhindern, dass Sie Anregungen, Affini. tll ten und Assoziationen beeinflussen. N.ichdem ich entdeckt hatte, was di ese Situation in Luccra mit dem Pyramidenstumpf und dem einges tellten Kubus bringt, entstand so eine Art Gleichklang. ... un d tlie Bauakademie l'On Sc hinkt l.' In den Modulen ist natil rli ch die Bauakademie von Einfluss. Da gehön Schinkel mit hinein, da gehört Lu cera mit hinein, und es gibt noch ein paar .indere Bezilge. Bei mir existiert immer auch der Wunsch, einen rei nen Kubu5 zu fenigen. Di e kubische Form hat eine ungla ubliche Erhabenheit und Monumentalität. Ich sage das ohne jede Ei n- schrllnkung, obwohl es mir immer wieder um die Oh ren gehauen wi rd . Sind dt r Hof mit stin t r dramatischen Au fa· t!Jrts - btwegung und der pyramidalt Sockt/ des Ham - burger Baus Metaphern des Erha btntn? Es sind natürl ich Anklänge an die Sprache der Revolutions:trchitektur. Das habe ich immer zuge- geben ; das hat a ll es mit der reinen Geometrie zu tun. Ich glaube aber. dass Sie den Innenhof etwas zu sehr stilisieren. Er stellt eine Antwon a uf die andere Seite dar, die Rotunde mit der Kuppel im Sc humacher-Bau. Wir wollten 1as Ganze zu- sammenbinden. Bei uns das Quadrat. don der Kreis. Aber nun k.am meine Vorliebe rDr Brüche. Des halb habe ich das Pyramidendach du rch d as Satteldach ersetzt und so den Innenraum gerich- tet Ich versuche, dem Zufall sei n Recht zu lassen. Auch die Fo nn des Sockels ist zunächst zufällig gefunden. Ich bin immer fr o h, wenn der Zufall die Idealform zerstört. Dadurch entstehen Brüche und Fragmen te , und man läuft nie in eine Sack· ga.sse , in der d ie ideale Form erstarrt. In den splllt n strh:i K<' r Jahrtn gab es in der A1ustums1h eon"t den Konsens. Schwellenll ngste ab:ubau t n. Wi t Jlt hl es um dit Demokra1i.sierung der Kultur ,·or dem flinter Kru nd d('J tlitlJren Cha. rakttrs Ihres Hamburga Baus.' Ich finde, es ist nol\lo endig, mit einem bestimm- ten Bewusstsein in ein Museum zu gehen und die ausgestellten Dinge in Ruhe zu betrachten. Wem d ieses ßey.russtsein fehlt oder "'er nichl vorberci · te t ~e in möchte, der so ll m eine Disco oder einen Freizei1park gehen oder remsehen. Die Bildwelt isl doch l :t ngs t demokrJtisierL Wenn Sie meine Positi o n rnr el itär halten. dann mOssen Sie die ge- samte moderne Kunst fur clilAr erk.laren . Gibt es eine demokr01ische Arrhi1 ek1Ur .' Um zun :tchst bei den Museen zu bleiben: So- lange die Museen ÖITnungszeiten haben. die viel zu kurz sind. gilt es, ganz andere Schwellen abzu- bauen. Oder denken Sie an das Eintrittsgeld cc Demokratische Architd..'tUr>> - was so ll das heis- sen? Können Sie sich 1cdemokrati schen Fussba ll •• vorstellen? Das ist grosser Etikettenschwindel. Aber der findet um Rei chsLJg leider schon wieder statt Da wird .i lso eine Glaskuppel gebaut, und es heisst: Das Volk d rückt sich dann daran die Nase platt, um die U' gislati\'e bei ihrer Arbeit zu sehen. Wie so ll denn einer o dicht an diese Ge- b:tude he ranlomme n? Da g.ibt es ja noch die Bannmeile. Di e Archit e ktur dt·r Zukunft Welche Bedeutung wf!ist'n Sh• der ArchiteJ...1ur der Zukunft :u ? Werden Arrh11t'J...tt11 immer mehr :u Sa c.h,·tn,.·altern odtr t rneut :u U1opiJ 1e11 ? Ich fo lge da Poppe r. Ich stel le keine Progno- sen. H 'ir habtn bish<•r ~ ·iel aber his1nrr.sche Vorbilder gertdrt. Wtnn man die Arrhi1ekturKt.srhic htt •·t r· folg1, dann kann man sirh doch die Fra t s1tllen, ob in di eser Geschich1t eint Art Pro: es5 angelegt ist, dtr tine Rich1ung hm. Die Architektur entwickelt sich ni cht linear. Die Entwicklung ist immer antizyklisch: Ro. mani~ Gotik. Renaissance. Im Moment laufen die Ent- wicklungen jedoch parolld. Ei n klan,r Tnend ist dabei ni cht mehr zu erkennen. Was btsclrlJfligt Sie augt nblirA/irh in thtort li- scher Hin.sieh t? In der letzten Zc:it diskutiere ich oft die Frage. ob Architektur Oberhaupt in der Lage is , gegen- standslos zu sein. \V:.thrscheinlich nkht Gegen- stands los hi csse hier, dass sie keine Metaphorik mehr h?l tte und dass sie reine Abstraktion wDrc. Originalveröffentlichung in: Neue Zürcher Zeitung, Feuilleton, 30. November, Nr. 278 (1998), S. 31

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-'ltur Jürmrr .&itung FEUILLETON

Keine Adjektive mehr! Ein Gespräch mit dem Kölner Architekten 0. M. Ungers

OrK'ald Alathiar Ungers gehl!rt zu dtn dlenstl/ltuttn d,utsd,m Archittkten. Vlele der archittktur­thtorttischm Dtbatttn dtr Nachkritgsuit hat t r nicht nur mittrltbt, sondtm m/tgestalttt. In dnmt Jnttn·iew spricht Ungtrs über srint Konztption •'On Archittktur und gtgr.mwJrtigt Fragtn. Dar Gesprl/ch fiJhrttn Jargen Malter und Ernst Seid/.

He" Ungt.n , l4'it Mginntn Sit t.intn Bau zu plantn?

Ich beginne die Planung nicht, indem ich eine Analyse mache und von der Analyse zu einer Synthese komme. Ich beginne die Arbeit mit einer Hypo these, oder ich könnte auch sagen : mit einer Vorstellung. einer Idee, einem KonzepL Ich lehnte mich dabei an Poppers f(Co njccturcs and rtfutations» an. Ich stelle mir also zunllchst etwas vor, und danach sind al le weiteren Schritte Widcrlegungsvcrsuchc.

Gibt es Baurm, die Sie rorkblickend anders ge­staltet htlut nl

Wenn man in der eigenen Arbei t nacli einer ge­wissen Vollkommenheit streb~ dann hat man ja den \Vunsch, c:s im mer besser zu machen. Nun kommt dieser Wille. die Arbeit möglichst voll­kommen zu machen. auch aus meiner Erfahrung in der Jugend. Ich habe lllngere Zeit im Kloster Maria Laach bei den Benediktinern zugebrochL Etwas Dauerhafies so konzentrien und so gu t wie mög.lic.h zu machen hat mich dazu gerDhn. in mei­ner Arbeit das gleiche immer wieder zu tun. Trotzdem gibl es natOrlich Fehler und Zeiten mangelnder Konzentration - im bcnediktinischen Sinne. Und ie können die Fehler nur Oberwin­den, wenn Sie dabei bleiben und versuchen. es besser zu machen und die Konzentration beizube­halten. Das meine ich mi l Vollkommenheit

Sind Archittkren künstlerische Umwtltmodtra ­rort n, Demiurgen odtr nur Bas1ler?

Der Laie stellt sich ort vo r, dass der Architekt der Kreator sei. der durch die Gene bedingt oder von der göul ichen Vorsehung seine Intuition er­hält. Das ist Etikettenschwindel. Die Arbeit des Archileklen ist nichts anderes als die Arbeit eines \Vissen chaflers, d ie wiederum nichts onderes ist als die Arbeit eines Handwerkers.

Pa r1henon und Pnntheo n

Welchtn Traditionen innerhalb der ArrhiteJ..tur ordnen Sit sich stlbJ1 :u .'

Meine Affinit.!iten liegen mittlerweile ganz klar in der römischen Antike. Es hat dami l zu 1un, dass ich aus einer Gegend stamme, d ie sta rk durch die römische Ant ike bes timmt is~ n:tmlich Trier und die Sud-Eifel. Darilber hinaus gese llt sich zur römischen Anlike die frühe Romanik. Ein drittes Elmient schl icsslich ist der Kreuzgang des Doms \·on Trie r, handelt es sich doch um einen On. wo man die gesamte Architeklurgeschichte des Abendlandes um sich ve~ammelt h.u .

Wenn Sie dir An1ike und dit benedik1inische Archi1rk1ur nennen. trgib1 sirh die Frage narlr dtm Flurhtpunkl beidtr Tradiliontn.

Architektonisch ist dies die Geometrie.

Dann massttn Sie auch Impulse aus dtr fran: IJ-1i.schtn Rtmlutionsarchiu/..1ur ge:ogen haben.

Wegen ihrer Suche nach der reinen Form is l die Re\ o lulionsarchi tektur filr mich wichtig.

Gibt es Unfr('nalirn der archi1ekto11isrhen Fom,. und M·ie M"Ürden Sit „fomi• dtfinitren?

Die Archllektur hat eigenll ich nur zwei Grund· module. Die beiden Grundmodule, die Sie vie l. leicht mit f'"Dnn meinen, sind der P,,inhenon und das Pantheon. Das können Sie auch bezeichnen al Zell und als Höhle, als Arche und Lade. Diese Dualität der Grundmodule bestimmt die Archi· lektur. Davon gib t es unz!lhlige Variationen. Aber wenn Sie die Grundstrukturen sehen. sind das die beiden Pole.

l't rglt•icht man Ihre Formensprache mit derjeni· gen Jtan Nou1·rls, s1icht d,e un1erschiedlicht A.rchi1ekturontologit i,q, Auge. Nou,·t l bt'müht 1ich. Elemtntt :"ilgtn"Aischer Wahrnt'hmung :u inr,,grit rt n, t twa GeschM·indigkrit und Virtualitllt.

Das ist rich tig. Ich will nicht die Archi tektur von Nouvel kritisieren. bin aber der Meinung. dass Architektur nichl Geschwindigkeit ausdrük­ken kann. Das isl unmöglich. Architektur ist nichl abbildlich. Die Malerei ist abbildlich. Soll Glas und Stahl Geschwindigkeit darstellen ?

Im lnstilut du Mondt! Arabe in Pari.J ins:tnitrt Nou,·tl :um Beispiel dir Fahrs1uh/fahrt.

Das machl ja nicht nur er. Das haben die Hyatt- Hotel von Ponman schon viel frOher ge, macht Die Scnsalionalisten der Architektur bauen Sachen, die vielleicht auf Weltausstellun­gen von gross.cr Attraktivität sind.

Abu gibt ts nicht tint Diskrtpan: z-.,.·ischen dt m Drnkrn der archi1tklonischen Form und ihrt r Wahrn thmung?

Dann verstehe ich eines nicht : Wenn es ihnen um Wahrnehmung geht, warum bcmOhen s ich denn alle diese High-Tcch-Architekten immer wieder darum. das man ihre Architektur nicht wahrnimm~ obwohl sie ja gerade das Gegenteil wollen? Sie reden von Transparenz. Transparenz bedeutet meistens, dass man alles verschwinden lassen will. um den Bau unsichtbar zu machen.

... und k "OS halttn Si, i-on dt r dt konstrukrfr/. Jti.Jchtn Architektur?

Heute werden Begriffe gebrauch~ die nichts mit Architektur zu tun habe.n. Man baut Hlluscr schief und krumm oder besonders chaotische

Architektur machen kann, nachdem man in Kobe d ie Trtlmmer gesehen hat

KDnnlt man Jhntn nicht tntgegnt n, da.u lhrt Arclriltktur rollkommtn alri.storisch Ur?

Es ist keineswep his torisch, wenn man den je. weiligen Trend m1unachL

Abu muss Archiltktur sich nicht auf sich ,·tr· 4ndtrndt Ltbenswtistn einstellrn?

Sicherl ich, die Welt wird schnell. Die Welt wi rd chaotisch. Rem Koolhaas, ein Freund und ehe­mal iger SchOler von mir, spricht von einer Welt von Nomaden. Die Stadt 1st der Flughafen, die Stadl ist der Bahnhof, die Stadt ist der Knoten­punkt im Netzwerk. Nomaden sind die Kllsefres· ser. Ich aber bin ein Neoli th, ein Körnerfresser: Wenn die Neolithen etwas in die Erde gepflanzt hatten. mussten sie w.irten und mussten bleiben.

KDnnlt man Sit als tintn butlchntn, dtr auf ,rarrhitt ktonischtr Autonomit.JI btharrt.'

Aber abso lut. Und zwar deshalb, weil Architek­tur ihre eigene Sprache hnt. Die Ratio der Archi­tek tur. der Rationalismus, wie ich ihn verstehe, ist doch d ie Architektur selbst. Sie hal ihre eigene Logik. ihre eigene Syntax, ihr eigenes Vokabular. Daher kann ich Architektur nur mit archi tektoni. sehen BegriITen erklären.

Richard Senntll sprach ,·or kur:em in einem lnltn·iew da,·on. dass es in Zuku11fi irr 111tstrtn Stlldten gerade nirh1 mthr auf dit ,r f om1 11 der ArrhittklUr ankommt. sondern die Rtle,·0111 allein bti ihrt r „so:ialtn Füllung" und Nutzungsstruktur liegt. J.1ilsst n Sit dem nichl M'idtrsprechen?

Sicherlich. Das sind zwei vö llig unabhängige Dinge. Die Architektur ist nichl in der Lage, soziale oder politische Probleme zu lösen. Genau­so"'enig wie die Kunst das kann. Wie die Fonn gefüllt wird, das ist nich t Sache der Architektur.

Srhon / 960 ham·n Sie in Ihrem J.fanifes1 „zu einer 11 eut n Arrhi1eJ...11"" fn1he Pr01este gegen die funk1ionali.s1isrhe Arrhilek,ur form uliut. Im Gru11dt handelte es sich im Widt•rspruch :u Lt Corbusiers „Vers une architer1ure,, bereitr um den Kern dtr postmodunen Kritik an der architektoni­schen Sp4tmodune. llllffe nirht eine Diskussion über die Qualithten des FunJ... tionsbegriff.s stall aber Epochen-Namen M"eiterg"führt?

Die Architek tur isl keine Funktion von etwas. 8 gib t Architekturen, die als reine Ideen geba u1 "'urden : Die Villa Rotonda is l nie be"'ohnl wor­den. Castel del Monte ist nicht gebaut "'o rden. um benutzt zu werden. cc Falling \Vatel""N von Frank Lloyd Wrigh t ist Ober funku onale Kritenen nich t zu erklären. Die Verbindung von Landschaft und Architektur war die eigentliche Idee. ~·til anderen Worten : Was sind FunktionsbegriITe?

JYit abtr. ~·t"nn man dt n Fun klionsbegriff um kulturelle. hi.s10risrhe. idt'tllt, urbane und sogar i!.sthe1isrht FunJ...1iontn tn•oeiltrn würdt."

Erinnern Sie sich daran, dass die Debatte um die Wahrhei t der Funktion zu einer enormen Ver· engung gefühn hat. Ich habe am CIAM-Kongress 19 J an A1x-cn-Provence teilgenommen mit Lc Corbusier. Gropius und den anderen. In der "Charta \ On Alhen )• unterschied Lc Corbusier d ie Bereiche Wohnen, Arbeiten. Freizei t und Verkehr.

un waren aber bei diesem Kongress viele junge Architek ten aus Afrika. Die wohnten am Rande des Urwalds, da gab es keinen Verkehr. Die hat­ten höchs tens ein Fahrrad. Da gab es keine Tren-

nung von Industrie und Wohnen. Wie bntte mon deren Arbeiten nach diesen Kriterien bcuncilen kOnnen? Deshalb forderten wir damaL, noch jun­gen Architekten, dass die Arbeit nur aus sich selbst berau.s zu beurteilen sei. Und nicht mit irgendwelchen Kriterien. d ie wir in unserer Ge. sellscballsordnung als notwendig erachtcn.

Gibt es eine /'Jyd,ologie der Form? In der Architektur venuche ich, meine eigene

Au!Tassung von Leben deutlich zu machen. Kon­kret bedeutet dies: Wie weit können wir unser Leben auf das Wesentliche reduzienen? Dabei ist sicherlich ein Unl<rschied, ob mon Aller oder jOn­ger ist. Denn wenn man jung is~ will man zeigen, w.is man kann. Wenn man Alter wird. will man nur noch weglassen. Dabei geh t es mir wie Becken . Das letzte, was er geschrieben hn~ ist eine Geschichte, in der kein Adjektiv vorkommt: Ein Mann sim am lisch, sl11tzt sich den Kopf, steht nur, geh t im Zimmer umher. Nichts weiter. Ich kann mich nicht mehr mit Belanglosigkei ten beschilfügen. Keine Adjektive mehr!

Geschichte ols Att itude

Sie lrab~n mit hislorischen Bauten gtarbtittt, sit umfunktionitrt und res1aurltrt. Wit slthtn Sie : u Rtkon.struktiont n.' Was halttn Sie ,·on dtm Wunsch, das Btrlint r Schloss witdt r aufzubauen?

Da bin ich dezidiert dagegen. Wenn man die Stadt so auITass~ wie ich e5 tue. sind auch die letzten rDnfzig Jahre eine Schicht, eine Spur in der Stadl, die man nicht besei tigen darf. Es ist ja nicht nur der Abriss des Palastes der Republik, sondern es ist der Abriss und gleichzeitige Ersatz durch das Schloss. Architektonisch gesprochen ist das Schloss ein scheus li cher Bau. Die einzige Aus­nahme war der SchlOterhor. Darüber hinaus ist doch für die ß Orgerstadt Berlin bezeich nend, dass die Hohenzo llern einen Graben um d llS Schloss ziehen mussten. damit ihnen die Berliner das Ding nicht Ober dem Kopf anzOndeten. Das Schloss ist in Berli n immer ein Fremdkörper ge. blieben. Warum soll jetzt plOtzlich das Schloss Berli n und Berlin das Schloss sein ?

Ubt sich in Btrlin tin Pos1moderni.Jmus aus?

Das könnte vie lle icht sein. Jedenfalls wi rd hie r Geschichte als Attitüde, als Episode belrachlet. die man jederzeit ablegen und lindem kann.

Gil1 dks auch für die Fra11enJ..irrhe in Dresden '

Ja, den n die Rui ne war ein beeindruckendes Monument, das an den Zusammenbruch unmit, telbar sinnenhart erinnerte. Von diesem ehemals wunderbaren. glänzenden, perfekten Bau blieb nur noch ein amorpher Haufen. Und diese Spannweite zwischen dem glänzenden Bau und den herumliegenden Säulent rommeln isl zutiefst beei ndruckend : weil dami t auch das Schmerzharte zugelassen wird. Wir mOssen lernen, mit den Din· gen umzugehen, die uns Schmerzen bereiten, Ver­lust meine ich.

War t1 Zufa ll. dass sirh die Prutmoderne·Di.s­kussio11 so sehr auf die Museumsbauten be:og.'

Das sehe ich anders . Es war ja vielmehr der Wohnungsbau, der mi l Giebelchen und Er­kerchen verzien wurde. Wenn man den Woh­nungsbau der zwanziger und dreissiger Jahre be­trachtet, die Taut-Siedlung, die Hufeisensiedlung, das waren alles sehr durchdachte Bauten. Auch in de r Propon ion wunderschön. Aber "'as heule ge­baut wird, isl doch ofl absurd.

Kommen wir auf Ihre Ard1i1t•J..tur :urück: Ihr En,.·eiterungsbau der lfambt1rKer Kuns1halle liest .sich wie eine En,.·iderung auf S1erl111gs S11mgarter Staaugalerie. Bestt•ht die Pointe darin. dass Sie unt"rsrhiedliche Formen des Zi1ierens :u :eigen ,·t rsurhen .'

Ich würde meine Architektur nie auf Koslen einer .inderen erll!lren. Ich will sie aus sich selbst heraus erk.lären.

Dinge. Aber ich weiss nich~ wie man solch eine D,r Arrhitekt In seiner Bibliothek: OSM·ald Alathlar Ungrrr bei einem Gesprllrh In Kl!ln. (Bild E. Seidel)

Monl'I, 30. NoYembu 1991 , N'-271 31

WDrdt a Slt st6rnr, wionn man dtn t lit4rm Charakter des Hamburger N,ubaus betontt?

Nein. Im Gegentcil. Es winl kaum möglich sein, in Zulr:unn noch GebAude zu bauen, die eine solche Ptrfektion bcsitz<n. Wenn eine gute Arbeit elitllr iJt, dann kann ich damit leben.

Der Hamburger Bau bmeht rlch auf eine ganz andere Art au dtr Stuttgarter auf Historisches. Beide tiefem ein• Idee, war Zirlerm rein kilnnte. Welche Gebllude kann man hlnzudenk,n, um die Galerie der Gegenwart zu versrehm?

Der Hamburger Bau ist eine Erweiterung einer bestehenden Anlage. Man muss zwischen dem Plateau als ~kollektiven, Form und der Einzel­form des Kubu.s unterscheiden. Deshalb bat der Hamburger Bau diesen Sockel. Darauf stehen drei Einzelformen: der Neubau. der Bau aus dem 19. Jahrhundert und der Schumacher-Bau am Ende. Und der Zwischenraum. nicht zu verges­sen : der Pyramidenstumpf, auf dem die Inschrift von Inn Hamilton finlay eingeschrieben sleht : «Die Heimat ist nich t der Ort .. ,,. Diese vier Ele­mente bestimmen die Anlage. Die Galerie der Gegenwart bat die gleiche Grundform wie der erste Bau von der Hudes. Aber der eine erzählt etwas: Eckrisalite, Sockel. Gesimse. Meiner ist der gleiche Bau, nur vOllig reduzien.

Jt'it ist das mit dtm Vorbildcharakter der stau. fischtn Archittktur, tn.-·a Lucua?

Luccra war ein d irektes Vorbild. Sie können nicht verhindern, dass Sie Anregungen, Affini . tll ten und Assoziationen beeinflussen. N.ichdem ich en tdeckt hatte, was diese Situation in Luccra mit dem Pyramidenstumpf und dem einges tellten Kubus bringt, entstand so eine Art Gleichklang.

... und tlie Bauakademie l'On Schinkt l.'

In den Modulen is t natilrli ch die Bauakademie von Einfluss. Da gehön Schinkel mit hinein, da gehört Lucera mit hinein, und es gib t noch ein paar .indere Bezilge. Bei mir exis tiert immer auch der Wunsch, einen reinen Kubu5 zu fenigen. Die kubische Form hat eine unglaubliche Erhabenheit und Monumentalität. Ich sage das ohne jede Ei n­schrllnkung, obwohl es mir immer wieder um die Ohren gehauen wi rd .

Sind dtr Hof mit stint r dramatischen Aufa·t!Jrts­btwegung und der pyramidalt Sockt/ des Ham ­burger Baus Metaphern des Erhabtntn?

Es sind natürl ich Anklänge an die Sprache der Revolutions:trchi tektur. Das habe ich immer zuge­geben ; das hat alles mit der reinen Geometrie zu tun. Ich glaube abe r. dass Sie den Innenhof etwas zu sehr stilisieren. Er stellt eine Antwon auf die andere Seite dar, die Ro tunde mit de r Kuppel im Schumacher-Bau. Wir wollten 1as Ganze zu­sammenbinden. Bei uns das Quadrat. don de r Kreis. Aber nun k.am meine Vorliebe rD r Brüche. Deshalb habe ich das Pyramidendach durch das Satteldach ersetz t und so den Innenraum gerich­tet Ich versuche, dem Zufall sein Recht zu lassen. Auch die Fonn des Sockels ist zunächst zufällig gefunden. Ich bin immer froh, wenn der Zufall die Idealform zerstört. Dadurch entstehen Brüche und Fragmen te , und man läuft nie in eine Sack· ga.sse , in der d ie ideale Form erstarrt.

In den splllt n strh:iK<'r Jahrtn gab es in der A1ustums1heon"t den Konsens. Schwellenllngste ab:ubaut n. Wit Jlt hl es um dit Demokra1i.sierung der Kultur ,·or dem flinterKrund d('J tlitlJren Cha. rakttrs Ihres Hamburga Baus.'

Ich finde, es ist nol\lo endig, mit einem bestimm­ten Bewusstsein in ein Museum zu gehen und die ausges tellten Dinge in Ruhe zu be trachten. Wem dieses ßey.russtsein fehlt oder "'er nichl vorberci · te t ~e in möchte, der so ll m eine Disco oder einen Freizei1park gehen oder remsehen. Die Bildwelt isl doch l:tngs t demokrJtisierL Wenn Sie meine Position rnr el itä r halten. dann mOssen Sie die ge­samte moderne Kunst fur clilAr erk.laren.

Gibt es eine demokr01ische Arrhi1ek1Ur.' Um zun:tchst bei den Museen zu bleiben : So­

lange die Museen ÖITnungszeiten haben. die viel zu kurz sind. gilt es, ganz andere Schwellen abzu­bauen. Oder denken Sie an das Eintrittsgeld cc Demokratische Architd..'tUr>> - was so ll das heis­sen ? Können Sie sich 1cdemokratischen Fussball •• vorstellen ? Das ist grosser Etikettenschwindel. Aber der findet um ReichsLJg leider schon wieder statt Da wird .i lso eine Glaskuppel gebaut, und es heisst: Das Volk d rückt sich dann daran die Nase platt, um die U'gislati\'e bei ihrer Arbeit zu sehen. Wie so ll denn einer o dich t an diese Ge­b:tude heranlommen? Da g.ibt es ja noch die Bannmeile.

Di e Archite ktur dt·r Zukunft

Welche Bedeutung wf!ist'n Sh• der ArchiteJ...1ur der Zukunft :u? Werden Arrh11t'J...tt11 immer mehr :u Sac.h,·tn,.·altern odtr t rneut :u U1opiJ 1e11 ?

Ich fo lge da Popper. Ich stel le keine Progno­sen.

H'ir habtn bish<•r ~·iel aber his1nrr.sche Vorbilder gertdrt. Wtnn man die Arrhi1ekturKt.srhichtt •·t r· folg1, dann kann man sirh doch die Fra t s1tllen, ob in dieser Geschich1t eint Art Pro:es5 angelegt ist, dtr tine Rich1ung hm.

Die Archi tektur entwickelt sich nich t linear. Die Entwicklung ist immer antizyklisch : Ro.mani~ Gotik. Renaissance. Im Moment laufen die Ent­wicklungen jedoch parolld. Ein klan,r Tnend ist dabei nicht mehr zu erkennen.

Was btsclrlJfligt Sie augt nblirA/irh in thtort li­scher Hin.sieht?

In der letzten Zc:it diskutiere ich oft die Frage. ob Architektur Oberhaupt in der Lage is, gegen­standslos zu sein. \V:.thrscheinlich nkht Gegen­standslos hicsse hier, dass sie keine Metaphorik mehr h?l tte und dass sie reine Abstraktion wDrc.

Originalveröffentlichung in: Neue Zürcher Zeitung, Feuilleton, 30. November, Nr. 278 (1998), S. 31