Osteopathie im Kontext der italienischen Politik

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31 14. Jahrg., Heft 1/2013, S. 31, Elsevier GmbH, www.elsevier.de/ostmed Osteopathische Medizin INTERNATIONAL Osteopathie im Kontext der italienischen Politik Bis heute wird die Osteopathie aus rechtlicher Sicht in Italien faktisch als eine „unabhängige, paramedizinische berufliche Tätigkeit“ angesehen, die von staatlichen Gesetzen weder be- rücksichtigt noch reglementiert wird und die auch das nationale Gesund- heitssystem nicht anerkennt. Diese Lücke in der italienischen Legislative konnte nur zum kleinen Teil durch das Register der Osteopathen Italiens (Registro degli Osteopati D’Italia, ROI) geschlossen werden, das seinerseits vom Nationalen Rat für Wirtschaſt und Arbeit (CNEL) sowie vom Justizminis- terium und von der Präfektur von Parma auch rechtlich anerkannt wird. Das ROI dient der Sicherung und dem Schutz von Osteopathiepatienten; dazu hat es die Organisation des osteopathi- schen Berufs zum Gegenstand und dessen Anpassung an die europäischen Standards für Ausbildung und Aus- übung durch Selbstreglementierung der praktizierenden Osteopathen, die sich an Satzung, Pflichtenkodex und den internen Vorschriſten des Berufs- registers zu halten haben. Auch die auf dem Staatsgebiet befindlichen Schulen passen sich den europäischen Ausbil- dungsrichtlinien an. Doch das Fehlen von Rechtsnormen zur Tätigkeitsausübung führt dazu, dass der Osteopath als Beruf gesetzlich nicht geschützt ist und somit jeder die- sen Beruf ausüben kann. Auf Drängen der Europäischen Union hat sich in Italien daher die Idee etabliert, nicht einzelne Berufe, sondern deren Berufs- verbände anzuerkennen. Diese wich- tige Reform betri eine relevante Zahl „neuer Berufe“, im Bereich der Ge- sundheit auch den des Osteopathen. Ziel ist die Anerkennung der Berufs- verbände, die im freien Wettbewerb untereinander die folgenden Vorgaben zu erfüllen haben: 1. Die Fortbildung der Mitglieder zu fördern 2. Die Bürger als Patienten zu schützen 3. Jedem Mitglied Versicherungs- schutz (Rechtschutzversicherung) zu gewähren Der Gesetzentwurf „Mastella“, von der Regierung im Dezember 2006 geneh- migt, nimmt diese Reformidee auf. Nichtsdestotrotz muss klargestellt wer- den, dass sich die italienische Situation gegenwärtig als konfus präsentiert, mit sich widersprechenden Interpretatio- nen durch das Verfassungsgericht, den oberen Gesundheitsrat, die Ärztekam- mern und den Praxisalltag von ca. 5000 Berufstätigen, die ihrer Arbeit nachgehen, aber nur steuerrechtlich an- erkannt sind. Aus den Daten einer Umfrage, die von der Verbraucherorganisation „Altro Consumo“ herausgegeben wurde, geht hervor, dass 97 % der 3000 Befragten, die Osteopathie direkt erfahren haben, sie wertschätzen und mit ihr hoch- qualitative Fachkenntnisse und Pra- xishandling verbinden. Im Wesentli- chen zeigt sich das aktuelle Bild in Italien daher gespalten: Einerseits hat sich die Osteopathie in die italienische Gesellschaſt integriert und verzeich- net in der Bevölkerung eine sehr hohe Zufriedenheit, andererseits befindet sie sich in einer ungewissen Lage, da ihr die rechtliche Anerkennung fehlt. Am 19. Dezember 2012 schließlich wurde in der Abgeordnetenkammer der von der Kommission „attività pro- duttive“ ausgearbeitete und vereinheit- lichte Text über den Bereich der nicht geregelten Berufe, zu denen auch die Osteopathie zählt, angenommen. Das neue Gesetz betri mindestens zwei Millionen Berufstätige, die keine Berufskammer oder Berufsregister haben, in über 242 Verbänden organi- siert sind und mit diesen ersten Akt der Anerkennung durch die Abgeordne- tenkammer sich faktisch einer grund- sätzlichen Anerkennung nähern. Das wesentliche Ziel dieses Gesetzes und seiner elf Paragraphen besteht darin, diese Berufe, zu denen auch die Osteopathie zählt, faktisch zu normie- ren, also festzulegen, wer den jeweili- gen Beruf ausüben darf und wie die beruflichen Pflichten und das Be- schwerdemanagement geregelt sind. Damit soll ein berufliches Regelwerk entstehen, dass kompatibel ist mit den europäischen Prinzipien und Kriterien für die nicht reglementierten Berufe ohne Berufskammer oder Berufsregis- ter. Es soll dem Verbraucherschutz dienen und die notwendige Markt- transparenz sicherstellen. Die Verbände selbst können zudem die Schaffung von Zertifizierungsorganen fördern, welche in Übereinstimmung mit dem italienischen Normierungsins- titut UNI Zertifikate für jeden einzelnen Beruf erlassen – sozusagen eine Quali- tätszertifizierung des Osteopathen. Die Situation in Italien bewegt sich also vor allem in Richtung auf eine Zertifizierung des Berufes nach nati- onalen Normen, mit der Absicht, diese dem Europäischen Komitee für Ausbildung vorzustellen und sie in- nerhalb weniger Jahre zu einer CEN- Norm (CEN = Europäisches Komitee für Normung) werden zu lassen, die dann in der ganzen europäischen Union Gültigkeit hat. Osteopathie wird damit kein anerkannter Beruf, aber ein normierter. Nicht weniger wichtig ist die Zertifizierung der Qualität des Behandlers und die Va- lidierung der Schulen durch ein ex- ternes Zertifizierungsamt. Gegenwär- tig werden Möglichkeiten entwickelt, die Qualität der erbrachten Leistun- gen, den Ausbildungsstandard der Schulen innerhalb des Registers so- wie die fortlaufenden Fortbildungen italienischer Osteopathen zu zertifi- zieren. Paolo Tozzi, M.Sc. Ost, B.Sc. (Hons.) Ost., D.O., PT Rom Übersetzung: Christoph Newiger, München

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3114. Jahrg., Heft 1/2013, S. 31, Elsevier GmbH, www.elsevier.de/ostmed

Osteopathische Medizin

I N T E R N AT I O N A L

Osteopathie im Kontext der italienischen PolitikBis heute wird die Osteopathie aus rechtlicher Sicht in Italien faktisch als eine „unabhängige, paramedizinische berufl iche Tätigkeit“ angesehen, die von staatlichen Gesetzen weder be-rücksichtigt noch reglementiert wird und die auch das nationale Gesund-heitssystem nicht anerkennt. Diese Lücke in der italienischen Legislative konnte nur zum kleinen Teil durch das Register der Osteopathen Italiens (Registro degli Osteopati D’Italia, ROI) geschlossen werden, das seinerseits vom Nationalen Rat für Wirtschaft und Arbeit (CNEL) sowie vom Justizminis-terium und von der Präfektur von Parma auch rechtlich anerkannt wird.Das ROI dient der Sicherung und dem Schutz von Osteopathiepatienten; dazu hat es die Organisation des osteopathi-schen Berufs zum Gegenstand und dessen Anpassung an die europäischen Standards für Ausbildung und Aus-übung durch Selbstreglementierung der praktizierenden Osteopathen, die sich an Satzung, Pfl ichtenkodex und den internen Vorschrift en des Berufs-registers zu halten haben. Auch die auf dem Staatsgebiet befi ndlichen Schulen passen sich den europäischen Ausbil-dungsrichtlinien an.Doch das Fehlen von Rechtsnormen zur Tätigkeitsausübung führt dazu, dass der Osteopath als Beruf gesetzlich nicht geschützt ist und somit jeder die-sen Beruf ausüben kann. Auf Drängen der Europäischen Union hat sich in Italien daher die Idee etabliert, nicht einzelne Berufe, sondern deren Berufs-verbände anzuerkennen. Diese wich-tige Reform betrifft eine relevante Zahl „neuer Berufe“, im Bereich der Ge-sundheit auch den des Osteopathen. Ziel ist die Anerkennung der Berufs-verbände, die im freien Wettbewerb untereinander die folgenden Vorgaben zu erfüllen haben:1. Die Fortbildung der Mitglieder zu

fördern2. Die Bürger als Patienten zu schützen

3. Jedem Mitglied Versicherungs-schutz (Rechtschutzversicherung) zu gewähren

Der Gesetzentwurf „Mastella“, von der Regierung im Dezember 2006 geneh-migt, nimmt diese Reformidee auf. Nichtsdestotrotz muss klargestellt wer-den, dass sich die italienische Situation gegenwärtig als konfus präsentiert, mit sich widersprechenden Interpretatio-nen durch das Verfassungsgericht, den oberen Gesundheitsrat, die Ärztekam-mern und den Praxisalltag von ca. 5000 Berufstätigen, die ihrer Arbeit nachgehen, aber nur steuerrechtlich an-erkannt sind.Aus den Daten einer Umfrage, die von der Verbraucherorganisation „Altro Consumo“ herausgegeben wurde, geht hervor, dass 97 % der 3000 Befragten, die Osteopathie direkt erfahren haben, sie wertschätzen und mit ihr hoch-qualitative Fachkenntnisse und Pra-xishandling verbinden. Im Wesentli-chen zeigt sich das aktuelle Bild in Italien daher gespalten: Einerseits hat sich die Osteopathie in die italienische Gesellschaft integriert und verzeich-net in der Bevölkerung eine sehr hohe Zufriedenheit, andererseits befi ndet sie sich in einer ungewissen Lage, da ihr die rechtliche Anerkennung fehlt.Am 19.  Dezember  2012 schließlich wurde in der Abgeordnetenkammer der von der Kommission „attività pro-duttive“ ausgearbeitete und vereinheit-lichte Text über den Bereich der nicht geregelten Berufe, zu denen auch die Osteopathie zählt, angenommen. Das neue Gesetz betrifft mindestens zwei Millionen Berufstätige, die keine Berufskammer oder Berufsregister haben, in über 242 Verbänden organi-siert sind und mit diesen ersten Akt der Anerkennung durch die Abgeordne-tenkammer sich faktisch einer grund-sätzlichen Anerkennung nähern.Das wesentliche Ziel dieses Gesetzes und seiner elf Paragraphen besteht darin, diese Berufe, zu denen auch die

Osteopathie zählt, faktisch zu normie-ren, also festzulegen, wer den jeweili-gen Beruf ausüben darf und wie die berufl ichen Pfl ichten und das Be-schwerdemanagement geregelt sind. Damit soll ein berufl iches Regelwerk entstehen, dass kompatibel ist mit den europäischen Prinzipien und Kriterien für die nicht reglementierten Berufe ohne Berufskammer oder Berufsregis-ter. Es soll dem Verbraucherschutz dienen und die notwendige Markt-transparenz sicherstellen.Die Verbände selbst können zudem die Schaff ung von Zertifi zierungsorganen fördern, welche in Übereinstimmung mit dem italienischen Normierungsins-titut UNI Zertifi kate für jeden einzelnen Beruf erlassen – sozusagen eine Quali-tätszertifi zierung des Osteopathen.Die Situation in Italien bewegt sich also vor allem in Richtung auf eine Zertifi zierung des Berufes nach nati-onalen Normen, mit der Absicht, diese dem Europäischen Komitee für Ausbildung vorzustellen und sie in-nerhalb weniger Jahre zu einer CEN-Norm (CEN = Europäisches Komitee für Normung) werden zu lassen, die dann in der ganzen europäischen Union Gültigkeit hat. Osteopathie wird damit kein anerkannter Beruf, aber ein normierter. Nicht weniger wichtig ist die Zertifi zierung der Qualität des Behandlers und die Va-lidierung der Schulen durch ein ex-ternes Zertifi zierungsamt. Gegenwär-tig werden Möglichkeiten entwickelt, die Qualität der erbrachten Leistun-gen, den Ausbildungsstandard der Schulen innerhalb des Registers so-wie die fortlaufenden Fortbildungen italienischer Osteopathen zu zertifi -zieren.

Paolo Tozzi, M.Sc. Ost, B.Sc. (Hons.) Ost., D.O., PTRomÜbersetzung: Christoph Newiger, München

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