Ostersonntag (1. April 2018) · Orpheus und seine Sangeskunst zu denken, die Melodie von Ostern,...

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Predigt an Ostersonntag (1. April 2018) Predigtbild: Das Grab ist die erste Station Liebe Gemeinde, das Bild auf dem Liedblatt wirkt durch die vielen Farben durchaus froh. Es ist aber ei- gentlich eine drastische Botschaft, der Blick aus einer Totengruft auf die drei Kreuze, an dem mittleren hing und starb Jesus. Offenbar ist das schon Vergangenheit, denn die Kreuze sind frei und das Grab ist geöffnet, in dem Jesus lag. Die Sonne der Auferstehung scheint. Und dennoch dieser Satz: Das Grab ist die erste Station auf dem Weg ins neue Leben. Keine Frage, das ist christliche Überzeugung. Und trotzdem heftig, dass wir am Grab ebenso wie Jesus nicht vorbeikommen. Ein insofern etwas zwiespältiger Auftakt zur Osterbotschaft in dieser Predigt. Doch warum eigentlich? Nur weil wir vom Tod besonders an Ostern nicht gern hören wollen? Dass es an Ostern im Kern nicht um die Suche nach Ostereiern und um süßliche Osterhasen geht, das weiß sicherlich jeder, der heute den Weg hierher in die Kirche gefunden hat. Werfen wir dennoch einen raschen Blick auf die Symbole, die sich für die meisten Menschen mit Ostern verbinden: Die bunten Ostereier etwa gehen auf eine uralte chinesische Tradition zurück, die man sich schon vor 5000 Jahren als Zeichen des wiedererwa- chenden Lebens im Frühjahr schenkte. Und der Osterhase galt den Germanen als unheimlich und dämonisch. Nichts mit netten, Ostereier bemalenden Kuscheltierchen. Diese Rolle nahm er erst später ein, weil man ihn als Fruchtbarkeitstier deutete, das neues Leben bringt, und vermutlich wegen seines Bei- namens „Meister Lampe“, was an das Osterlicht erinnern konnte. Man sollte aber bitte nicht glauben, dass der christliche Sinn des Osterfestes jedem bekannt

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Predigt an Ostersonntag (1. April 2018)

Predigtbild: Das Grab ist die erste Station

Liebe Gemeinde,

das Bild auf dem Liedblatt wirkt durch die vielen Farben durchaus froh. Es ist aber ei-

gentlich eine drastische Botschaft, der Blick aus einer Totengruft auf die drei Kreuze, an

dem mittleren hing und starb Jesus.

Offenbar ist das schon Vergangenheit, denn die Kreuze sind frei und das Grab ist geöffnet,

in dem Jesus lag. Die Sonne der Auferstehung scheint.

Und dennoch dieser Satz: Das Grab ist die erste Station auf dem Weg ins neue Leben.

Keine Frage, das ist christliche Überzeugung. Und trotzdem heftig, dass wir am Grab

ebenso wie Jesus nicht vorbeikommen. Ein insofern etwas zwiespältiger Auftakt zur

Osterbotschaft in dieser Predigt.

Doch warum eigentlich? Nur weil wir vom Tod

besonders an Ostern nicht gern hören wollen?

Dass es an Ostern im Kern nicht um die Suche

nach Ostereiern und um süßliche Osterhasen

geht, das weiß sicherlich jeder, der heute den

Weg hierher in die Kirche gefunden hat.

Werfen wir dennoch einen raschen Blick auf die

Symbole, die sich für die meisten Menschen mit

Ostern verbinden:

Die bunten Ostereier etwa gehen auf eine uralte

chinesische Tradition zurück, die man sich schon

vor 5000 Jahren als Zeichen des wiedererwa-

chenden Lebens im Frühjahr schenkte.

Und der Osterhase galt den Germanen als unheimlich und dämonisch. Nichts mit netten,

Ostereier bemalenden Kuscheltierchen. Diese Rolle nahm er erst später ein, weil man ihn

als Fruchtbarkeitstier deutete, das neues Leben bringt, und vermutlich wegen seines Bei-

namens „Meister Lampe“, was an das Osterlicht erinnern konnte.

Man sollte aber bitte nicht glauben, dass der christliche Sinn des Osterfestes jedem bekannt

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ist. Umfragen belegen immer wieder und zunehmend, wie wenig Ahnung viele Menschen

von der Bedeutung christlicher Feste heute noch haben.

Wir jedenfalls wissen, und wir haben es in der Lesung auch schon gehört, dass es an Os-

tern um die Auferstehung Jesu von den Toten geht. Oder um seine Auferweckung durch

Gott, um es etwas anders auszudrücken.

Nun ist so etwas wie Auferstehung oder Auferweckung nichts, was wir gewöhnlich erle-

ben oder jemals erlebt hätten. Die Vorstellung, dass ein Gekreuzigter, ein Toter

wieder in dieses Leben zurückkehren könnte, ist uns an sich völlig fremd.

Zumal die Bibel ja doch sehr konkret körperlich berichtet. So konnte der an Jesu Auferste-

hung zweifelnde Jünger Thomas die Wundmale des Auferstandenen berühren, um über-

zeugt zu werden.

Oder Jesus teilte das Brot vor den Augen der staunenden Jünger. Andererseits spricht der

Apostel Paulus von einem Geist-Leib, doch was soll man sich darunter vorstellen?

Schwierig bleibt es. Was haben die Menschen damals erlebt?

Als Botschaft blieb jedenfalls übrig, dass ihnen der auferstandene Christus erschienen ist.

Dass Jesus aus dem Reich des Todes wiederaufgetaucht ist. Der Herr ist auferstanden, so

riefen sich die ersten Jünger und Frauen am offenen Grab zu.

Ganz so fremd freilich wie unsereinem waren den damaligen Menschen derartige Vorstel-

lungen nicht. Die Auferstehung Jesu von den Toten war durch anschauliche Geschichten

der altägyptischen und griechischen Antike vorbereitet.

Nehmen wir als Beispiel den in der Antike berühmten und sehr beliebten Gott Orpheus,

dessen herausragende Eigenschaft sein Gesang war.

Wenn er seine Weisen anstimmte, so heißt es, kamen die Tiere des Waldes, die Vögel, die

Fische ja und sogar die Bäume und Felsen herbei.

Seine Gemahlin war die schöne Nymphe Eurydike. Doch eine Natter biss Eurydike, und sie

musste sterben. Orpheus bat mit rührendem Gesang die Unterwelt-Gottheiten Hades und

Persephone, ihm seine Gemahlin wiederzugeben. Denn diese musste hinab in den Hades,

in die Schattenwelt der Toten, wie die alten Griechen glaubten.

Dazu gibt es ein uraltes christliches Bild, das vor etwa 1800 Jahren auf Stein in der Domi-

tilla-Katakombe in Rom gemalt worden war. In solchen frühen christlichen Katakomben

haben Christen in Rom in den ersten Jahrhunderten ihre Verstorbenen in unterirdischen

Grabkammern beigesetzt.

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Man kann sich vorstellen, wie sie mit Kerzen durch die dunklen Gänge zu den Grabkam-

mern gingen und dabei sangen: Christus ist das Licht der Welt, das Licht der Auferstehung hat

dem Tod die Macht genommen - was in einer solchen Umgebung wirklich beeindruckend ge-

wesen sein muss.

Und als weiteren Ausdruck ihres Glaubens haben sie an die Wände Bilder gemalt - zu-

meist biblische Geschichten und Jesusbilder oder Symbole für Christus.

Aber manchmal eben auch mit Anleihen aus der aus ihrer Sicht heidnischen Kultur und

Religion, so wie mit dem griechischen Orpheus.

Dieser hält auf dieser Darstellung in den Katakomben etwas in der Hand, das zunächst

wie eine Panflöte aussieht, es ist aber eine Lyra, eine Leier.

Sie war gemäß der griechischen Sage das Instrument von Orpheus. Auf dem Bild wird

dargestellt, wie der Gott-Sänger gerade aus der Schattenwelt hinaufsteigt, um seine ge-

liebte Eurydike zu befreien, die ihm folgt - doch da dreht Orpheus sich nach ihr um, ob sie

ihm tatsächlich noch nachgeht - was er aber auf Geheiß der Götter auf gar keinen Fall

hätte tun dürfen.

Griechische Sagen sind da unerbittlich, und so musste seine geliebte Frau jetzt endgültig

zurückkehren in das Reich des Todes. Eine tragische, eine typisch altgriechische Erzäh-

lung aus deren reichem und lebendigem Mythen-Vorrat.

Was aber hat diese Darstellung ausgerechnet in einer christlichen Grabkammer, in einer

Katakombe in der Nachfolge Jesu verloren?

Es gibt dafür nur eine Erklärung: die frühen Christen sahen in Orpheus ein Bild für Christus.

Sie haben einen Vergleich gezogen. Denn auch Jesus ist hinabgestiegen in das Reich des

Todes, sogar „niedergefahren zur Hölle“, wie es noch in der früheren Fassung des Glau-

bensbekenntnisses hieß.

Orpheus tat dies, um einen einzelnen geliebten Menschen zu retten, womit er gescheitert

ist. Jesus dagegen, um mit Hilfe Gottes den ganzen Tod auf sich zu nehmen und aus ihm

aufzuerstehen für alle Menschen, was ihm nach christlichem Bekenntnis tatsächlich gelun-

gen ist.

Dennoch ist die Vorstellung, dass Orpheus aus der Totenwelt unbeschadet herauskam,

Grund und Anlass zum Vergleich zwischen den beiden Gott-Gestalten, denn auch Jesus

wurde ja später wie ein Gott verehrt.

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So wie Orpheus mit seiner Lyra in der Hand eine Melodie anstimmte, die zum Leben füh-

ren konnte, so sang Jesus ein neues himmlisches Lied. Ein Lied der Engel, das Lied seines

Vaters, das Lied der Auferstehung, dem man den einfachen Text geben könnte: Friede sei

mit euch.

Damit nämlich pflegte der Auferstandene seine verblüfften Jünger zu begrüßen und zu be-

ruhigen, wenn sie voller Angst und Trauer in geschlossenen Räumen zusammensaßen.

Was aber zeigen uns diese Beispiele für das Verständnis des Osterfestes und der Behaup-

tung, dem Glauben, der gekreuzigte und gestorbene Mensch Jesus von Nazareth sei tat-

sächlich von den Toten auferweckt worden?

Nun, es bringt uns zu einem anderen Verständnis und auf eine andere Bewusstseinsebene.

Die Auferstehung, wie sie die Bibel auf unterschiedliche Weise schildert, gehört nun mal

nicht in unsere gewöhnlichen Alltagsansichten hinein. Da beschäftigen uns meistens ganz

andere und viel greifbarere Gedanken und Sorgen.

Wir verstehen daher die Auferweckung Jesu durch Gott besser wie einen Mythos, eine

Geschichte zwischen Himmel und Erde, so wie an diesem Beispiel der Erzählung von

Orpheus und Eurydike.

Das heißt wir verstehen Geschichten von der Auferstehung Jesu besser auf der Ebene von Lied und

Gesang, auch wie ein Gedicht. Oder wie ein Traumgeschehen, das uns ganz real vorkommt, das

auch seine eigene Wirklichkeit hat und einer anderen Realitätsschicht als im Alltagsbe-

wusstsein angehört.

Das in diesem Fall der Auferweckung aber, und das ist der christliche Glaube, der Wirk-

lichkeit des Himmels angehört, also zur Realität Gottes und seiner überirdischen Einfluss-

nahme. Der wichtigste Unterschied: Bei einem gewöhnlichen Traum ist abgesehen von

ein paar Bilderinnerungen und emotionalen Eindrücken am Morgen auch alles vorbei. Die

Wirklichkeit der Auferstehung aber ist nicht einfach wieder vergessen und nicht so, als ob sie gar nicht

gewesen wäre. Sondern sie ist auf ihre eigene Weise ganz real und unvergänglich. Sie

bleibt, vor allem als Zeichen der Hoffnung.

Und sie hatte die konkrete Macht, aus der völligen Verzweiflung der Jünger und Frauen

eine Bewegung zu erwecken, die bis heute unter uns als Kirche und Versammlung der

Gläubigen wirkt. Das ist schon ein enormer Unterschied zu einem normalen Mythos oder

nächtlichen Traum.

Die Auferstehung von den Toten, die Auferweckung durch Gott, auf die wir hoffen, ist

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nicht nur eine schöne Vorstellung. Sie ist real. Aber doch in einer anderen Weise als un-

sere normale Lebenswirklichkeit. Ostern übersteigt die Grenzen unseres gewohnten Le-

bens und führt uns in eine ganz andere Welt, die von Gottes Geist und seiner Liebe be-

stimmt ist.

Aber waren das nicht doch einfach nur Visionen oder gar Fantasien der Menschen damals?

Ich glaube nicht.

Wenn Jesus in der Bibel den Frauen und Jüngern begegnet, heißt es ausdrücklich nicht,

dass sie ihn jetzt sehen. Wie es bei einer Vision oder fantastischen Einbildung der Fall ge-

wesen wäre, wo man nur glaubt, etwas zu sehen.

Sondern in der Bibel steht auf Griechisch, dass der auferstandene Jesus ihnen erscheint, das

heißt von sich aus zu ihnen kommt.

Es war für die Frauen und Jünger eher ein passives Sehen-lassen, ein Zu-sehen-Bekom-

men von etwas, das den Menschen damals widerfährt, anstatt dass sie es bewusst oder un-

bewusst herbeiführen konnten.

Jedenfalls brachten diese Begegnungen, die auf sie einwirkten, diese „Gesichte“, die

Frauen und Jünger dazu, voller innerer Überzeugung und ohne jeden Zweifel zu beken-

nen: Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden.

Das ist das früheste christliche Glaubensbekenntnis. Und wohl das wichtigste bis heute:

Die elementare Erfahrung, dass Gott Jesus nicht dem Tod überlassen hat, sondern ihn

auferweckte.

Genau das ist der Grund unserer Hoffnung und unseres Glaubens, dass wir zwar noch wie

der tote Jesus in die Unterwelt des Todes hinabsteigen müssen, wenn wir sterben. Dass

aber wenigstens ein Weg wieder herausführt. Wiederum durch und mit Jesus.

Dieser machte nicht den „Fehler“ des griechischen Gottes Orpheus, sich noch einmal

ängstlich umzuschauen, ob wir auch wirklich folgen. Denn er ist sich seiner Sache ganz

sicher, vielleicht auch, weil er den Tod im Unterschied zu Orpheus selbst erdulden musste

und die Gefahr genauestens kannte.

Und weil er trotzdem oder gerade deshalb weiß, dass er die Schattenwelt des Todes nie-

mals mehr fürchten muss, weil diese durch seinen Vater, durch den himmlischen Vater be-

siegt ist für immer.

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Liebe Gemeinde, Ostern und die Auferstehung Jesu war für die Menschen Realität durch

und in Gott. Es hatte für sie konkrete und nachhaltige Folgen.

Jesus, das haben die Frauen und Jünger damals erfahren und fest geglaubt, ist wirklich

auferstanden.

Sie erkannten: Durch die Macht und Liebe Gottes ist er uns vorangegangen auf einem

Weg, den wir heute nur wie durch lichtverhangenen Nebel erahnen können.

Solange wir noch einer anderen Wirklichkeitsebene angehören auf dieser Erde, die uns

keinen klaren Blick in Gottes wahre Welt erlaubt.

Sondern eher sehen wir wie aus dieser Grabeshöhle auf dem Bild über die Kreuze des To-

des hinweg in Richtung Licht, wo das wahre Leben ist und auf uns wartet, aber aus unse-

rem Blickwinkel noch nicht klar zu erkennen ist.

Jesus ist uns dorthin vorausgegangen. Wie Orpheus stieg er in die Unterwelt hinab.

Und auf beispiellose Weise kehrte er zurück erst in diese Welt und dann ins Licht des

Himmels.

Das ist Ostern, dass wir das mit ihm feiern können und uns freuen dürfen, dass er uns die-

sen Weg gebahnt hat. Dieser Glaube, liebe Gemeinde, ist zugleich, um noch einmal an

Orpheus und seine Sangeskunst zu denken, die Melodie von Ostern, die wir zwar noch wie

von ferne, aber dennoch mitten in unseren Alltag hinein erklingen lassen können, in unse-

ren Herzen, in unserer Seele. Das heißt mit den Frauen und Jüngern einzustimmen in den

großen Osterjubel: Der Herr ist auferstanden - er ist wahrhaftig auferstanden.

Friede sei mit euch… Amen.