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Folgt man den zahlreichen Einführungen in die Medienwissenschaft, die nach der Etablierung des Faches inzwischen vorliegen, so gehört Vilém Flusser nach wie vor zu den einflussreichsten eoretikern dieser Disziplin. Gemeinsam mit Walter Benjamin, Marshall McLuhan und Niklas Luhmann kann er zu den Klasssikern medienwissenschaftlicher Profilbildung gezählt werden. Dennoch oder vielleicht auch durch die- se Einordnung ist es im Vergleich zu den frühen neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts stiller geworden um den Vordenker der digitalen Medien. Flusser war ohne Zweifel in der Gründungsphase der deut- schen Medienwissenschaft einer der wichtigsten theoretischen Köpfe. Seine makrotheoretische und transdisziplinäre Ausrichtung, seine me- dienhistorisch angelegten Typologien, seine methodische Vielfalt, sei- ne Eleganz und Metaphorik sowie nicht zuletzt seine Visionen einer digitalen Zukunft machten ihn zu einem viel gelesenen und viel ge- fragten Protagonisten einer geisteswissenschaftlichen Neuorientierung. Die große Geste des Aufbruchs hat die Disziplin der Medienwissen- schaft jedoch inzwischen hinter sich gebracht. Flussers Verdienste um die Relevanz und Etablierung medialer Problematik sind unbestritten, es bleibt jedoch die Frage, was man mit Flusser heute noch erreichen kann. Der vorliegende Band, der aus einer internationalen Flusser-Tagung an der Bauhaus-Universität Weimar, in Kooperation mit dem Kolleg Friedrich Nietzsche, im April 2007 hervorgeht, sucht auf diese Frage Antworten. Dabei soll der Fokus auf zwei Konzepten liegen, die bereits in Flussers Schriften hervorstechen und den medienwissenschaftlichen Diskurs nachhaltig beeinflussen. Zum einen die Kommunikologie, welche die Umgestaltung gesellschaftlicher und kultureller Verhält- nisse unter kommunikationstheoretischen Vorzeichen zum ema hatte. Zum anderen das Technoimaginäre oder die Technobilder, die den zunehmenden Einfluss digitaler Codierung als visuelles Phäno- men zu erklären versuchten. Diese beiden Begriffe, Kommunikologie und Technobilder, sind nicht nur in Flussers Werk weit verbreitet, von Oliver Fahle, Michael Hanke und Andreas Ziemann Einleitung

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Folgt man den zahlreichen Einführungen in die Medienwissenschaft, die nach der Etablierung des Faches inzwischen vorliegen, so gehört Vilém Flusser nach wie vor zu den einfl ussreichsten Th eoretikern dieser Disziplin. Gemeinsam mit Walter Benjamin, Marshall McLuhan und Niklas Luhmann kann er zu den Klasssikern medienwissenschaftlicher Profi lbildung gezählt werden. Dennoch oder vielleicht auch durch die-se Einordnung ist es im Vergleich zu den frühen neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts stiller geworden um den Vordenker der digitalen Medien. Flusser war ohne Zweifel in der Gründungsphase der deut-schen Medienwissenschaft einer der wichtigsten theoretischen Köpfe. Seine makrotheoretische und transdisziplinäre Ausrichtung, seine me-dienhistorisch angelegten Typologien, seine methodische Vielfalt, sei-ne Eleganz und Metaphorik sowie nicht zuletzt seine Visionen einer digitalen Zukunft machten ihn zu einem viel gelesenen und viel ge-fragten Protagonisten einer geisteswissenschaftlichen Neuorientierung. Die große Geste des Aufbruchs hat die Disziplin der Medienwissen-schaft jedoch inzwischen hinter sich gebracht. Flussers Verdienste um die Relevanz und Etablierung medialer Problematik sind unbestritten, es bleibt jedoch die Frage, was man mit Flusser heute noch erreichen kann.

Der vorliegende Band, der aus einer internationalen Flusser-Tagung an der Bauhaus-Universität Weimar, in Kooperation mit dem Kolleg Friedrich Nietzsche, im April 2007 hervorgeht, sucht auf diese Frage Antworten. Dabei soll der Fokus auf zwei Konzepten liegen, die bereits in Flussers Schriften hervorstechen und den medienwissenschaftlichen Diskurs nachhaltig beeinfl ussen. Zum einen die Kommunikologie, welche die Umgestaltung gesellschaftlicher und kultureller Verhält-nisse unter kommunikationstheoretischen Vorzeichen zum Th ema hatte. Zum anderen das Technoimaginäre oder die Technobilder, die den zunehmenden Einfl uss digitaler Codierung als visuelles Phäno-men zu erklären versuchten. Diese beiden Begriff e, Kommunikologie und Technobilder, sind nicht nur in Flussers Werk weit verbreitet, von

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ihm immer wieder aufgenommen und in seinen »Hauptwerken« auch am weitesten theoretisch konturiert worden – sie sind auch zugleich die medienwissenschaftlich anschlussfähigsten Konzepte, die gegen-wärtig wieder neu zu diskutieren sind. Vielleicht entscheidet sich auch anhand dieser Begriff e, ob Flusser mit der ambivalenten Verortung als »Klassiker« eine zurückgezogene Rolle spielt oder ob mit ihm in manch aktuelle medientheoretische Diskussion gewinnbringend ein-zugreifen ist.

Neben dieser disziplinären Perspektive steht jedoch ein zweites Mo-tiv im Zentrum des Interesses der Herausgeber, das in der Person und im Werk Flussers begründet liegt. Flusser war zeitlebens ein Reisender. Als deutschsprachiger tschechischer Jude und Emigrant fl oh er 1938 aus Prag und 1940 über London nach Brasilien. Dort integrierte er sich allmählich in die brasilianische Kultur und lebte und arbeitete hier bis 1972. Danach siedelte er zunächst nach Frankreich über und erlangte erst in den 1980er Jahren in Deutschland einen beträchtlichen akademischen Erfolg, der auch nach seinem Unfalltod 1991 zunächst unvermindert anhielt. Flusser publizierte in Portugiesisch, Englisch, Französisch und Deutsch. Seiner Biographie gemäß ist eine brasilia-nische Werkphase von einer europäischen zu unterscheiden, wobei die erste vornehmlich in Portugiesisch, die zweite in Französisch, Deutsch und Englisch verfasst wurde. Zu den sprachlichen Unterschieden kommen allerdings auch kulturelle und thematische hinzu, denn seine medientheoretischen Beiträge hatte Flusser erst ab den siebziger Jahren entwickelt, weshalb der europäische Medientheoretiker in Brasilien lange Zeit wenig bekannt war. Umgekehrt blieben die Fragestellungen und Beiträge der brasilianischen Phase, aus denen die späteren Arbei-ten hervorgingen und ohne deren Wissen die Denkzusammenhänge unvollständig bleiben müssen, in Europa weitgehend unbekannt.

In Brasilien geriet Flusser nach seinem Weggang, obwohl er gele-gentlich zurückkehrte, recht bald in Vergessenheit. Die bis 1985 an-dauernde brasilianische Militärdiktatur, einer der Gründe Flussers für die Rückkehr nach Europa, hatte das akademische Leben stark einge-schränkt und seine Kontinuität unterbrochen. In den Jahren des Neu-anfangs danach hatte die Erinnerung an diejenigen, die vor längerer Zeit das Land verlassen hatten, keine Priorität. Weil seine deutschspra-chigen Texte nicht übersetzt wurden, blieben auch die entsprechenden Arbeiten weitgehend unbekannt. Hinzu kommt, dass Flussers Rolle als Vordenker den Preis des Unzeitgemäßen zahlt, denn die Wissen-

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schaft reagierte auf die neuen Medien erst verstärkt ab den neunziger Jahren. Schließlich vollzog sich Flussers Perspektivenwechsel von phi-losophisch-ontologischen Fragen aus der brasilianischen Phase zur Medientheorie der europäischen Phase über die Fotografi e. In seiner Th eorie resultierte deren Bedeutung daraus, die Schnittstelle des Me-dienumbruchs zu den technischen Bildmedien zu markieren; aber die Th eorie der Fotografi e und der Erfolg seines Essays Für eine Philosophie der Fotografi e hatten zur Folge, dass Flusser nur als Th eoretiker der Fotografi e wahrgenommen wurde.

Im Ergebnis blieben Flussers Beiträge zur Medienkultur außerhalb des deutschsprachigen Raumes weitgehend unbekannt. Dies hat sich freilich geändert, denn nach ihrer Konsolidierung als akademische Disziplin begann die Medienwissenschaft sich auch ihrer theoretischen Einfl üsse und Denktraditionen zu vergewissern, und nicht zuletzt auch im Zuge des speziellen Interesses an bildhafter Kommunikation ist dem Werk Flussers neue Aufmerksamkeit zuteil geworden. Diese kommt auch in den letzten Jahren in einer verstärkten Übersetzungs- und Editionstätigkeit zum Ausdruck; insbesondere wurden in jüngster Zeit Texte Flussers aus dem Deutschen ins Portugiesische und Eng-lische übertragen. Unter Berücksichtigung der zunehmenden interna-tionalen Aufmerksamkeit für Flusser sind die von diesem ausführlich bearbeiteten Begriff e der Kommunikation und des technischen Bildes von besonderem Interesse, da sie kulturübergreifend und global wirk-sam sind.

Kommunikologie

Flussers Werk gilt zwar als facettenreich und hybrid, fi ndet aber eine grundlegende Ausrichtung im Schlüsselbegriff der Kommunikation: Individuum und Gesellschaft bedingen einander, und dieses Verhält-nis wird in zwischenmenschlichen und als solche auf Kommunikation angewiesenen Beziehungen konstituiert. Kommunikation, die symbo-lische Übertragung von Botschaften, beinhaltet das Herstellen, Erwer-ben, Speichern, Prozessieren und schließlich Weitergeben von Infor-mation. Dazu werden Symbole und die aus ihnen aufgebauten Codes benutzt, und dank dieser Medien »verständigen [...] sich die Menschen, [...] um der Welt und dem Leben darin einen Sinn zu geben.« Die so verstandene Kommunikation ist Gegenstand einer eigenen Disziplin,

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der »Kommunikologie« (Kommunikologie, S. 235f.); ihr Feld reicht von der zwischenmenschlichen, dialogischen Kommunikation bis hin zu ihren verschiedenen medialen Formen.

Die immer schon gegebene Bedeutung der Kommunikation ist ge-genwärtig noch deutlicher hervorgetreten, denn nach der industriellen Revolution erleben wir derzeit eine der Kommunikationsverhältnisse, und »(w)as die Technologie für die erste Revolution, ist die Kommuni-kologie für die zweite.« (ebd.) Nicht mehr Arbeit, sondern Informati-on, nicht mehr Besitzverhältnisse, sondern Kommunikation gelten als Infrastruktur von Kultur und Gesellschaft, die demnach auch nicht mehr auf Arbeitsteilung, sondern auf »Botschaftsteilung« basiert. Die hieraus resultierende Stellung der Kommunikationstheorie kommt in der Zuschreibung zum Ausdruck, »eine Art Brennpunkt der theore-tischen Überlegungen hinsichtlich unserer kulturellen Lage« zu bilden (ebd. 242), weshalb ihr auch jetzt jene Rolle zukommt, die früher die Philosophie einnahm.

Demzufolge ist »Kommunikologie« nicht nur der Titel eines der Hauptwerke Flussers, vielmehr sind entsprechende Überlegungen in seinem Werk omnipräsent. Sie stehen am Anfang seiner Entwicklung, als sein Interesse der Sprache und der Sprachphilosophie gilt (seiner von ihm so benannten »Sprachbesessenheit«), und reicht über die Me-dien und ihre eingeforderte Kommunikationsfunktion bis hin zur te-lematischen Informationsgesellschaft und ihrer sozialen Vernetztheit. Beeinfl usst wurde Flusser hierbei von verschiedenen Seiten, zunächst von der Kybernetik mit ihren Begriff en von Entropie und Informati-on, aber auch von Ernst Cassirer und seiner Th eorie der symbolischen Formen, von der Dialogphilosophie Martin Bubers, sowie von den Arbeiten Ludwig Wittgensteins und Martin Heideggers, um nur ei-nige zu nennen. Flussers Kommunikationsbegriff ist somit nicht in-formationstheoretisch verkürzt, sondern anthropologisch fundiert und philosophisch in vielfältiger Weise angereichert. Er bezieht sei-ne Aktualität daraus, dass Flusser schon früh, in den 60er Jahren, die Hauptgedanken der neueren Kommunikationstheorie aufgriff , auf-grund seiner vielfältigen Interessen und theoretischen Beeinfl ussungen aber deren Engführung umging. Die damit verbundene Sensibilität für den Zusammenhang von Kommunikation und Kultur sowie, unter veränderten medialen Bedingungen, der Medienkultur, macht seinen Kommunikationsbegriff jedoch heute noch aktuell und in fruchtbarer Weise anschlussfähig.

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Den ersten Th emenschwerpunkt dieses Bandes bilden der dialo-gisch konturierte Kommunikationsbegriff der Kommunikologie sowie ihr Verhältnis zur Medientheorie. joachim michael (Hamburg) wirft in seinem Beitrag die Frage auf, warum Flusser für die Medientheorie so wichtig werden konnte, obwohl er den Begriff des Mediums ver-meidet oder dieser negativ belegt ist, ein Befund, der für die Rezeption eines Autors als Medientheoretiker off enkundig erklärungsbedürftig ist. Flusser, so die Antwort, beginnt seine Argumentation mit der Be-obachtung, dass Kultur und somit das, was den Menschen ausmacht, auf Symbolbildung und Kommunikation basiert und nicht auf ihren medialen Voraussetzungen. Die Stiftung von Bedeutung wird zeichen- und nicht medientheoretisch verstanden und diese in den Codes, nicht in den Medien erzeugt; folglich ist es auch ein Umbruch auf der Ebene des Bedeutens, der das neue Medium erzwingt, nicht umgekehrt, wo-mit das Technische der Bestimmungshoheit des Menschen unterstellt wird. Im Ergebnis entsteht auf der Basis eines rein instrumentellen Medienbegriff es eine Medienphilosophie, die den Schwerpunkt auf Philosophie, nicht auf Medien legt.

In ähnlicher Richtung geht michael hanke (Mainz-Germersheim) der Frage nach, ob Flussers Kommunikologie als Medien- oder Kom-munikationstheorie zu gelten habe. Flusser selbst hat sich jedenfalls stets als Kommunikationstheoriker verstanden, und er entwickelt seine Überlegungen, nicht nur zur Kommunikologie, auch durchgehend auf der Grundlage kommunikationstheoretischer Begriff e. Der Medien-begriff tritt vor diesem Hintergrund in vier Bedeutungsvarianten auf: zum einen sind Medien identisch mit den formalen »Kommunika-tionsstrukturen« bzw. Kommunikationsformen, in denen Bedeutung erzeugt wird; dann gelten sie als Chiff re für Massenmedien und einer entsprechenden Kritik dieser Kommunikationsform aufgrund ihres unilateralen, nicht-dialogischen Charakters; sie gelten als Zeichen und Symbole und damit als Medien der Kommunikation, wie gesprochene Sprache, Bild, Text und Technobild; und schließlich, im Kontext kul-tureller Evolution, als Mediationen im Sinne von Kulturerrungen-schaften und -techniken, die zwischen Mensch und Welt vermitteln. Kommunikation ist dabei in allen Fällen die durchgängige theoretische Bezugsgröße.

Die prominente Stellung dialogischer Kommunikation ist werkge-schichtlich auch auf die Dialogphilosophie Martin Bubers zurückzu-führen, wie oliver bidlo (Essen) anschließend ausführt. Das Indi-

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viduum existiert demnach nur in Dialogbeziehungen, was die Rolle von Sprache und Kommunikation hervortreten lässt und damit die Subjektphilosophie dialogisch erweitert. Die für Flusser zentralen Be-griff e von Dialog und Diskurs sind unmittelbar von den für Buber grundlegenden Ich-Du- und Ich-Es-Beziehungen ableitbar, ebenso wie die Utopie der telematischen, auf zwischenmenschlicher Vernetzung beruhenden Gesellschaft auf Bubers Dialogphilosophie fußt, die Flus-ser unter neuen technischen Bedingungen weiterdenkt. Demnach stel-len sich die Vernetzung und der Netzdialog als intersubjektives dialo-gisches Beziehungsgefl echt und dialogisches Leben dar, in deren Folge das Ich relational bestimmt wird, als Knoten von Relationen.

Mit Martin Heidegger widmet sich matthias kross (Potsdam) in der Folge einem weiteren für Flusser zentralen Denker. Zweifellos pfl egte Flusser mit seinen theoretischen Bezugsgrößen kreativ umzu-gehen, schöpfte entsprechende Freiheitsräume weit aus und machte sie sich zu Nutze für eigene Wege der Interpretation. So arbeitet sich Flus-ser durch das Archiv der europäischen Geistesgeschichte, auch durch den »Archivtitel« Heidegger. Von diesem übernimmt er zentrale Th e-men und Begriff e, aber sein Denkstil, als migratorisch charakterisiert, d.h. als ein Denken, das sich in heterogene Kontexte verschiedener Kulturen einfügt, ist hierbei expansiv-dilatorisch und ziellos, nicht-te-leologisch. Flussers Denkmotivation deckt sich dabei zwar mit einem der zentralen Anliegen Heideggers, aber obwohl Flusser entscheidende Pointen der Heidegger’schen Überlegungen verfehlt, erscheint seine Deutung Kroß nicht unplausibel. Flusser erkennt demnach intuitiv als Schwachpunkt von Heideggers Daseinsanalyse in Sein und Zeit den Begriff der Freiheit in seinem Spannungsverhältnis zwischen Gewor-fenheit und Entwurf; seine Lösung besteht darin, Heideggers Begriff des Entwurfs zu dem des Projekts umzudenken, in einer den heutigen technischen Bedingungen angepassten sinnhaft deutenden Ethik einer vita activa communicativa, dem Plädoyer für kommunikatives Engage-ment und dialogische Nähe unter den Bedingungen der diskursiven Anonymität des globalen Dorfes. Dies erscheint, im Zeitalter des Welt-Bildes, als angemessene Antwort auf die zentrale Herausforderung der Gegenwart, der Verbildlichung des Weltgeschehens.

Ein Spezifi kum nomadisierenden Denkens legt auch nils röller (Zürich) seiner Flusserdeutung zugrunde. Sie fasst Flussers Heimat- und Bodenlosigkeit biografi sch und intellektuell als Migration zwi-schen einer Vielfalt von Sprachen (Deutsch, Tschechisch, Englisch,

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Portugiesisch), Kulturen (Prag, Brasilien, Europa), Religionen (jü-dische und christliche Tradition) und Th eorien. Seine Biografi e wird zum Laboratorium und die Vielfalt der Zeichenkonfi gurationen und symbolischen Formen Auff orderung zur radikalen Migration, einem Wechsel von Orten, der sich auf abstrakter Ebene in seinem Denken in ähnlicher Weise dialogisierend mit wechselnden Gesprächspartnern entwickelt. Die Subversion bestehender Kommunikationsstrukturen wird in der Umkehr des Verhältnisses von Sender und Empfänger, also vom Diskurs zum Dialog, deutlich. In der damit verbundenen Freiheit, zwischenmenschliche Kommunikation und Beziehungen zu gestalten, kommt die menschliche Würde vor dem Hintergrund existenzieller Bodenlosigkeit zum Ausdruck, die sich auch im Kon-text seiner jüdischen Tradition als Nächstenliebe darstellt bzw. als sich annähernde Orientierung am Anderen, der wie jeder Mensch als eine Erscheinung des Göttlichen gilt.

marcel marburger (Berlin) untersucht den Zusammenhang von Dialog und Kreativität. War der Dialog bestimmt als der Ort, an dem neue Informationen erzeugt werden, komplementär zum Diskurs, der ihrer Verbreitung dient, so konzipiert Flusser Kreativität von der Infor-mationstheorie her als das Einfügen fremder Elemente (»Geräusche«) in einen Informationskreislauf, in dem jede neue Information eine be-reits vor ihr bestehende voraussetzt. Zu den bisherigen Formen von Kreativität, der variationellen und der originellen, kommt Flusser zu-folge als neue Form die intersubjektive der telematischen Gesellschaft hinzu, in deren dialogisch geschalteter, intersubjektiver Vernetzung die Gesellschaft als Ganzes kreativ tätig werde. Die hier praktizierte Mani-pulation von Information führt zu einer Explosion der Kreativität, die somit als eine gesteigerte Form der Kooperation zum gesellschaftlichen Prinzip erhoben und von Flusser gleichfalls kommunikationstheorisch erfasst wird.

andreas ziemann (Weimar) thematisiert die Stellung von Flussers Phänomenologie der Geste zwischen Kommunikologie und Medien-kultur und analysiert hierzu die Zusammenhänge von Kommunikation und Gesellschaft, Geste und Mediengebrauch sowie Mediengebrauch und Subjektkultur, für die er bei Flusser ein Verhältnis der Inversi-on ansetzt. Wie bei den meisten Kommunikationstheorien liegt auch Flussers Kommunikologie ein dialogisches Prinzip zugrunde, weshalb Kommunikation in der Phänomenologie der Geste als Klammer fun-giert, zu Beginn als gegen die Absurdität der menschlichen Existenz

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gerichtetes Unterfangen, und am Ende einer Entwicklung hin zu einer das kommunikative Dasein wandelnden Medienkultur. In der Geste – es sind kommunikative, interessefreie, rituelle und Arbeitsgesten zu unterscheiden – kommt eine Wahl zwischen Möglichkeiten und damit einer Freiheit zum Gebrauch dieser Technik zum Ausdruck, sie ist daher symbolisch; ihren Ursprung hat sie in der menschlichen Hand, deren Rolle für die kulturelle Entwicklung darin besteht, als deren Erweiterung und Optimierung auch Ursprung und Basis der Medientechnologie zu sein. Gesten gelten als Chiff ren kultureller Um-brüche; in dialektischer Betrachtung wirken die von uns geschaff enen Objekte, Werkzeuge und Medien auf uns zurück, und so wie Kommu-nikation, Symbole und Codes eine bestimmte Kultur hervorbringen, verlangt diese nach einer spezifi schen Kommunikationspraxis und ei-ner entsprechenden Subjektkultur, und das heißt, weil Medientrans-formation je besondere Subjekttransformationen zur Folge haben, imZeitalter der Medienkultur die Frage nach dem Computersubjekt zu stellen.

Technobilder

Rückt der erste Teil des Bandes die Kommunikologie in den Mittel-punkt, stehen bei den Technobildern die technischen Veränderungen der Kommunikation im Fokus der Aufmerksamkeit, mit denen Flusser sich in seinen medientheoretisch relevanten Texten intensiv beschäftigt hat und die als Schlüssel zum Verständnis der medialen Umwälzungen gelten können. Besonders den Übergang von der Schrift zu den tech-nischen Medien knüpfte er an die Entwicklung des Bildes. Die neuen Medien sind vor allem visuell zu begreifen, auch wenn sie sich von den traditionellen, das heißt vortechnischen Bildern unterscheiden. Die Codierungen der neuen Bilder unterscheiden sich radikal von den her-kömmlichen, da sie nicht mehr szenische Transformationen von Welt sind, Dreidimensionaliät in Zweidimensionalität umformen, sondern sich nulldimensional anzeigen. Sie sind demnach nicht mehr auf die Außenwelt bezogen, sondern Resultate von Einbildungen. Flusser spricht in diesem Zusammenhang von neuer Einbildungskraft und von den sich nun in Oberfl ächen organisierenden Informationen. Die neuen technischen, insbesondere digitalen Bilder verbergen oder ent-hüllen nicht mehr eine ihnen äußerliche Welt, sind aber zusammen-

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geschaltete, komputierte und prozesshafte Bildwelten. Diese können nur verstanden werden, wenn man die Apparate, mithin die Medien begreift, die sie bedingen und entwerfen. Flussers Bemühungen lagen vor allem darin, diese neuen und schwer durchschaubaren Apparate zu beschreiben und zu verstehen, womit er ins Zentrum einer Medienthe-orie gerät, die sich gegenwärtig ebenso dringend wie schon zu Beginn der 1990er Jahre die Frage nach der Natur der technisch induzierten Bildwelten stellt.

Aktuell hat Bildtheorie und -geschichte in der Medienwissenschaft, der Philosophie, der Wissenschaftstheorie sowie der Kunstgeschichte Konjunktur, weil sich seit kurzem die lange vernachlässigte Frage nach dem Anteil der visuellen Repräsentationen an Wahrnehmung, Wissen und Erkenntnis stärker aufdrängt. Ein Verständnis des Bildes nur nach symbolisierenden und semiotischen Gesichtspunkten ist dazu nicht mehr allein ausreichend. In Frage stehen vielmehr die Kontextualisie-rungen und Instrumentalisierungen des Bildes in verschiedenen Wis-sensordnungen, ein Verständnis der medialen und apparativen Bedin-gungen der Bildherstellung und -verbreitung und eine diese Diskurse thematisierende Ästhetik des Visuellen. Genau diese Fragen hat Flusser ins Zentrum seiner Auseinandersetzungen mit den technischen Medi-en gerückt, wobei sein Schwerpunkt auf bildphilosophischen Th emen lag. Die utopischen Potenziale und die Realisierungsmöglichkeiten von Freiheit stehen stets im Kontext der Einbildungskräfte, welche die von ihm so genannten Technobilder freisetzen. In »Ins Universum der technischen Bilder« schreibt er: »Wir sind die erste Generation, die über Einbildungskraft im strengen Sinn des Wortes verfügt, und alle Einbildungen, Imaginationen und Fiktionen der Vergangenheit müssen im Vergleich zu unseren Bildern verblassen. Wir sind daran, eine Bewusstseinsebene zu erklimmen, auf welcher das Erforschen der tieferen Zusammenhänge, das Erklären, Aufzählen, Berechnen, kurz das historische, wissenschaftliche, textuell lineare Denken von einer neuen, einbildenden, ‚oberfl ächlichen’ Denkart verdrängt wird […] Wir leben in einer eingebildeten Welt der technischen Bilder, und wir erleben, erkennen, werten und handeln immer häufi ger in Funktion dieser Bilder. Wir verdanken diese Bilder einer Technik, welche aus wissenschaftlichen Th eorien stammt – Th eorien, die uns unabweisbar belehren, dass ‚in Wirklichkeit’ alles ein zerfallender Punkteschwarm ist, eine gähnende Leere. Die Wissenschaft und die aus ihr hervorge-gangene Technik, diese Triumphe der westlichen Zivilisation, haben

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einerseits die objektive Welt um uns herum in ein Nichts zerrieben und uns andererseits in eine Welt der Einbildung gebadet.« (44 f.)

Diese eingebildete Welt der technischen Bilder, die Technobilder, die Flusser in nahezu allen medientheoretischen Texten umtreibt, stellt demnach neue phänomenologische, ästhetische, kulturelle und erkenntnistheoretische Fragen, die besonders an der Schnittstelle von Technik und Bild ermöglicht und hervorgebracht werden. Da setzen die Texte des zweiten Teiles dieses Bandes an, indem sie den begriff -lichen Voraussetzungen, den apparativen Bedingungen und den kul-turellen Öff nungen des Technobildes nachgehen. Sie verstehen sich im Rückgriff auf Flusser zugleich auch als Grundlagenklärungen gegen-wärtigen Bildverständnisses, das ein aktuelles Interesse der Medienwis-senschaft aufnimmt.

Den Auftakt bildet rainer guldins (Lugano) Rekonstruktion ei-ner Genealogie des Begriff s des Technobildes, die aufzeigen kann, in-wiefern das Konzept von Beginn an auf Mehrdeutigkeit angelegt war. Eine durchaus häufi g anzutreff ende Strategie Flussers bestand darin, die Begriff e off en oder metaphorischen Ausdeutungen Raum zu las-sen. Guldin stellt die Vielfalt des Begriff s des Technobildes heraus, so etwa, dass es sich bei Flusser keineswegs nur auf technische im engeren Sinne, sondern auch auf nicht technisch hergestellte Bilder beziehen kann. In sorgfältiger Analyse des Denkwegs von Flusser zeigt Guldin auch wie das Technobild in den frühen 1970er Jahren eine zunächst unklare Kontur aufweist, sich dann aber mit dem Bezug auf Zahl und Kalkül konkretisieren kann. Doch unterliegen die technischen Bilder immer wieder neuen Th eoretisierungsschüben, wie sich in Formulie-rungen wie »Neue Bilder«, »Anti-Bilder« und »Synthetische Bilder« zeigt. Einmal mehr präsentieren sich Flussers Schriften nicht als line-arer Denkweg, sondern technoimaginär aufgeladen als Netz von be-griffl ichen Konturierungen.

oliver fahle (Weimar) beleuchtet eine markante Präzisierung in der immer wiederkehrenden Rede vom Technobild bei Flusser, die behauptet, dass man es bei diesem nicht mit einem herkömmlichen, sondern einem Bild von Begriff en zu tun habe. Flussers erste frucht-bare Unterscheidung zwischen traditionellen und technischen Bildern wird anhand der Technobilder in die von Text und Bild hinein verlän-gert. Dies führt in eine gegenwärtig zunehmend diskutierte Frage des Verhältnisses von Sichtbarem und Sagbarem, die eine komplementäre, aber auch eine aufeinander irreduzible Beziehung ausbilden. Eine we-

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sentliche Aufgabe der Bildtheorie besteht in der Bestimmung dieses Verhältnisses, ihrer Friktionen und Inkompatibilitäten. In einem zwei-ten Schritt wird die Bestimmung Flussers in elitäre und massenhafte Technobilder untersucht. Flussers kritischer Ansatz der Massenmedien wird dabei seinerseits der Kritik unterzogen und mit gegenwärtigen Diskursen zum Bild weiterentwickelt.

arlindo machado (São Paulo) sucht mit Flusser die Verbindung zwischen Kunst und Bildtechnologien zu beschreiben. Dabei schließt er an die Gedanken zur Nutzung der technischen Bilder an, indem er die Grundannahme Flussers heranzieht, dass die Funktionsweise der technischen Medien nicht mehr im Abbildungsverhältnis besteht, son-dern in den Programmierungen, die sie vornehmen. Die Gefahr, die Machado mit Flusser diagnostiziert, liegt darin, dass die Programme zwar immer leistungsfähiger werden, jedoch die Vorführung der Pro-gramme die Originalität ihrer Verwendung ersetzen könnten. Flusser, so Machado, sieht eine Lösung dieses Problems vor allem in der Auf-hellung der technischen black box. Machado jedoch entwirft mit Ed-mont Couchot auch die Möglichkeit, etwa hinsichtlich der digitalen Medien, den Computer in andere mediale Kontexte zu stellen und durch diese intermedialen Entwürfe die Kontextualisierung oder Re-lativierung der Technik aufzuzeigen. In Bezugnahme auf verschiedene künstlerische Projekte der technischen Medien von Nam June Paik über Peter Weibel bis zu Harold Cohen zeigt Machado, inwiefern sich die Auff assung von Kunst durch die technischen Medien verschiebt, etwa Ingenieurswissen einbezieht oder auf Dialoge zwischen Program-mierern und Gestaltern hinausläuft. So kann eine telematische Kunst entstehen, wie sie wohl auch Flusser fordern würde, in der Kunst und Technik sich weder ausschließen noch eine Einheit bilden, sondern sich in einer »symbolischen Ökonomie dialogischer Art« (Couchot) miteinander verbinden.

gernot grube (Berlin) konfrontiert den Entwurf des Technobildesbei Flusser mit den wissenschaftlichen Erkenntnismethoden und ihrer Kritik, wie sie sich anhand der Apparate entzündet, die in das Laby-rinth der Bilder führen, die nicht mehr repräsentativ verfahren. Mit Blick auf das Rastertunnelmikroskop, das nicht mehr sichtbare Ereig-nisse zeigt, sondern seinerseits nur noch Modelle von Erkenntnis »ab-bildet«, kann Flussers Idee des apparativen Einbildens überprüft wer-den. Grube schlägt eine Auslegung der Flusser’schen Bildtheorie vor, welche die Rückseite der Bilder, hier verstanden als Herstellungsge-

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schichte, als Teil ihrer Bedeutung mit einbeziehen muss. Im Anschluss an Gottfried Böhm kann dabei gezeigt werden, dass die Organisation des Bildaufbaus in den Bildern selbst verborgen bleibt, eine Th ese, die Flusser in verschiedener Form hinsichtlich der wissenschaftlichen Texte oder Programme, die in den technischen Verfertigungen zur Anwen-dung kommen, ausgeführt hat. Bilder machen etwas sichtbar, das ist ihre entscheidende Funktion. Doch gerade dadurch verbergen sie ihre Kontexte, seien es theoretische Vorannahmen, die ihre Interpretation leiten, seien es apparative Anordnungen und »Schaltpläne«. Flussers Texte leiten uns, so Grubes Th ese, dahin, im Anschaulichen das Unan-schauliche zu erkennen.

madoka suehiro (Leipzig) führt Flusser in den japanischen Kul-turkreis und eröff net eine besonders fruchtbare interkulturelle Diskus-sion, die sich zunächst an Flussers Schriftmodell ausrichtet. Die kul-turelle Verhaftung des von Flusser mehrmals entworfenen Medienevo-lutionsmodells von den traditionellen Veranschaulichungen über die Schrift bis hin zu den technischen Bildern wird schnell deutlich, wenn Suehiro die von Europa völlig unterschiedliche Schriftkultur Japans beleuchtet. Aber auch die japanische Bildkultur ist von der anders aus-gerichteten, stärker visuell operierenden Schrift beeinfl usst, so dass die neuen Medien, die hier an den »girly photographers« und den Mangas verdeutlicht werden, in Japan eine andere Form annehmen. Der Bei-trag Suehiros lädt nicht nur zu einer Dezentrierung der okzidentalen Medienbegriff e ein, sondern kann durchaus auch die Fruchtbarkeit der Positionen Flussers aufzeigen. Allerdings müssen diese dabei verscho-ben werden, so etwa der Begriff des Knipsers, der eine neue Bedeutung erhält, wenn man ihn aus den massenmedialen Diskursen Europas löst und in Japan neu verankert. Die Globalisierung der Bilder, so wird hier auch evident, ist nicht nur eine Tendenz der Vereinheitlichung, sondern gerade auch eine der Diff erenzierung, wenn man die Bilder denn in ihren kulturellen und technisch anders codierten Formen ent-ziff ern kann.

Den Abschluss bildet ein wieder abgedruckter Text von lorenz engell (Weimar), der den Bildbegriff bei Flusser und Deleuze auslo-tet. Engell konzentriert sich auf den Begriff des Punktbildes, der bei Flusser eine entscheidende Rolle spielt. Die neuen Oberfl ächen sind Punktuniversen, deren Zusammenziehung die neuen Bilder hervortre-ten lässt. Flusser wird dabei mit dem Philosophen Gilles Deleuze in Verbindung gebracht, mit dem er zwar zeitlebens nichts zu tun hatte,

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der aber ähnlich wie jener eine zentrale Figur der gegenwärtigen Me-dienwissenschaft darstellt. Flusser und Deleuze beschreiben jeder für sich Evolutionen des Bildes, wobei sich Flusser auf das Bild allgemein, Deleuze besonders auf das Filmbild bezieht, ohne allerdings auf philo-sophische Grundlagenrefl exion zu verzichten. Besonderen Stellenwert bekommt dabei Deleuzes Begriff des Bildes als Spaltung zwischen dem Aktuellen und dem Virtuellen, das produktiv mit Flussers Punktbild in Verbindung gesetzt wird. Neben einer bildtheoretischen steht damit eine mediale Refl exion (Film und Computer), die das Bild als Schnitt-feld zwischen verschiedenen Medien ausformuliert.