P. Kitzler_Am Rande Der Textkritik von Tertullians Schrift De spectaculis
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AM RANDEDER TEXTKRITIKVON TERTULLIANS SCHRIFTDESPECTACULIS
Obwohl die SchriftDe spectaculis in Tertullians umfangreichemWerk keinen zentralen Platz einnimmt, ist sie fr den heutigen Leser
doch von groer Bedeutung, da sie nicht nur ein kulturgeschichtlichesDokument ersten Ranges1 (vornehmlich als Quelle fr unsereKenntnis der rmischen Spiele), wie es auf den ersten Blick aussehenmag, ist, sondern auch ihre theologische Wichtigkeit hat, indem sieeine frhchristliche Untersuchung der Natur und des Sinnesdes Christentums darstellt2. Nachdem wir zur oft schwierigenSprache (dreiig Neubildungen oder gerade erstmals von Tertullianbenutzte Wrter)3 und zum dunklen Inhalt dieses Textes (einige
sonst nirgendwo belegte Realien aus dem Bereich der antiken Spiele)hochwertige und sehr ntzliche Kommentare vor allem von Bchner,
1 H. Trnkle, Q. Septimius Florens Tertullianus, in K. Sallmann (ed.),Handbuch der lateinischen Literatur der Antike,Bd. 4:Die Literatur desUmbruchs von der rmischen zur christlichen Literatur 117284 n. Chr.,
Mnchen 1997, 474, 488.2 R. D. Sider, Tertullian on the Shows: An Analysis, JThS, n.s. 29, 1978,343 ...De spectaculis is an exploration, appropriately set in the context ofbaptismal experience, of the nature and meaning of Christianity in terms ofthree crucial concepts of Faith, Truth and Discipline.
3 Adlaedere, agonisticus, argumentatrix, blasphemia, cogitatorium,collegiarius, consistorium, detestator, detractatus, devinctio, ethnicalis,exceptaculum, exorcismus, famositas, iaculatus, idolothytus,immisericordia, inquietator, interemptrix, maliloquium, mortuarius,
mundialis, necrothytus,paratura,parentatio,pestilentiarius, sacrificator,saporatus, suaviludius, transvena; siehe auch H. Hoppe, Beitrge zurSprache und Kritik Tertullians, Lund 1932, 133 ff. undpassim die in dernchsten Anm. zitierte Literatur.
ISSN: 1699-3225
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Castorina und Turcan4 bekommen hatten, und die letzten zweigenannten Forscher auch eine neue kritische Edition verfathatten, knnten wir fast alle Probleme, die mitDe spectaculis
zusammenhngen, fr gelst halten. Tatsache aber ist, da einigevon den letzten Editoren stammende Vorschlge und nderungenim lateinischen Text der Schauspielschrift entweder eine Diskussionerregten oder auf einer frheren, von anderen Forschern inZweifel gestellten Lsung beruhten, so da die Notwendigkeitwieder auftaucht, sie nochmals kritisch zu bewerten, zu beurteilen
und um die Frchte der neueren Forschung zu bereichern. Bevorwir uns einigen konkreten Stellen ausDe spectaculis widmen,
wollen wir zuerst rekapitulieren, was ber die handschriftlicheberlieferung dieser Schrift bekannt ist.Tertullians Schrift De spectaculis ist vollstndig nur in
einer aus dem neunten Jahrhundert stammenden Handschriftberliefert, im Codex Parisinus Latinus 1622 Agobardinus(A), der sich heute in der Bibliothque Nationale in Paris befindet.Dieser Codex wurde wahrscheinlich um 825 niedergeschrieben5
und nach dem Erzbischof Agobard von Lyon (779840/841)
benannt. Die Handschrift ist wohl die wertvollste von allentertullianischen Handschriften; ursprnglich enthielt sieeinundzwanzig Schriften Tertullians (Folio 2 vermittelt uns auchdie Titel der sechs weiteren, heute verlorenen Schriften)6, ihrzweiter Teil ist aber nicht erhalten. Heute ist sie in sehr schlechtem
4
J. Bchner, Quint. Sept. Flor. Tertullian De spectaculis.Kommentar, Dissertation Wrzburg 1935; E. Castorina, Tertullianus. De spectaculis, introduzione, testo critico, commento e traduzione,Firenze 19732; M. Turcan, Tertullien. Les spectacles (De spectaculis),introduction, texte critique, traduction et commentaire, Paris 1986(Sources Chrtiennes 332). Siehe jetzt auch P. Kitzler, Tertullianus. Ohrch De spectaculis, vodn studie, peklad, poznmky, vbrov
bibliografie k Tertullianovm dlm, Praha 2004.5 So Trnkle, Tertullianus, 510. In der lteren Literatur wird
gewhnlich die Zeitspanne von 814 bis 840 angegeben.6 Es handelt sich umDe censu animae, De spe fidelium, De paradiso,
De carne et anima, De animae summisione undDe superstitione saeculi ;siehe auch Trnkle,Tertullianus, 499 ff.
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Zustand (darber hat sich schon J.-P. Migne beschwert)7 unddie ersten 111 Folien sind vorwiegend unlesbar. Auf 204 Foliensind 13 Schriften Tertullians enthalten, De spectaculis nimmt
die Folien 89r
bis 105r
ein. Im Text sind Lakunen zu finden, diemehr als 200 Wrter zhlen8. Die Forscher, welche die Kollationdieser Handschrift zum Zweck einer kritischen Edition derSchauspielschrift vor kurzem besorgt haben, waren A. Boulanger9
und der schon genannte E. Castorina 10, dessen Kollation auch M.Turcan bernommen hat.
Der Codex Agobardinus war die einzige handschriftlicheQuelle vonDe spectaculis bis zur Hlfte des 20. Jhs. Dann kam
es zu zwei weittragenden Entdeckungen: im Jahre 1946 hatder schwedische Forscher G. Claesson in der ottobonianischeHandschriftensammlung der vatikanischen Bibliothek einencodex miscellaneus gefunden, der neben den Schriften z. B.von Petrus Comestor (Manducator), Hildebertus Cenomannensis,Lactanz und Cyprian auch Fragmente von vier Werken Tertulliansenthielt De pudicitia,De paenitentia,De patientia undDespectaculis , und zwar auf den Folien 241r bis 255r(ohne Angabe
des Autors)11
. Diese Entdeckung wurde im Jahre 1951 von J. W. Ph.Borleffs publiziert12, und das neuentdeckte Manuskript mit CodexOttobonianus Latinus 25(O) betitelt. Es wird meist ins 14. Jh.datiert13 (in mancher Literatur verschiebt man die Datierung ins13. Jh.)14 und als in Frankreich niedergeschrieben bezeichnet15.
7PL 1.32A.8
Turcan, Tertullien. Les spectacles, 9.9A. Boulanger, Tertullien. De spectaculis suivi de Pseudo-CyprienDe spectaculis, Paris 1933.
10 Siehe oben Anm. 4.11 Siehe J. W. Ph. Borleffs, Un nouveau manuscrit de Tertullien, VChr
5, 1951, 65-6.12 Borleffs,Un nouveau manuscrit, 6579.13 Borleffs,Un nouveau manuscrit, 65.14 Ch. Munier, Tertullien. La penitence (De paenitentia), Paris 1984
(Sources Chrtiennes 316), 108; P. Petitmengin, Tertullien. Les spectacles(De spectaculis), ed. M. Turcan, Paris 1986, Chronica Tertullianea etCyprianea 86, 2 (Besprechung).
15 Borleffs,Un nouveau manuscrit, 65.
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Im allgemeinen lt sich sagen, da diese Handschrift einenexzellenten Text bietet16. Die Exzerpte vonDe spectaculis (mitLcken von einigen Wrtern bis zu mehr als 25 Zeilen) nehmen
die Folien 251r
bis 255r
ein17
.Im Jahre 1951 ist auch die zweite Entdeckung vonauergewhnlicher Bedeutung publiziert worden18: A.-P.van Schilfgaarde, Archivar aus der niederlndischen ProvinzGelderland, hat ein Fragment des karolingischen Manuskripts,das von einem Buchbinder als Vorsatzblatt des Registers vonHerrschaftsgut Keppel aus dem 16. Jh. benutzt wurde, gefunden19.Das Fragment von Keppel (Fragmentum Gueldrianum
K), das sich jetzt im gelderlandischen Archiv in Arnhembefindet20, knnen wir auf den Beginn des 9. Jhs. datieren21.Was seinen Ursprung betrifft, ist es fast gewi, da es imklnischen Kathedralskriptorium niedergeschrieben wurde undein Bestandteil der im Jahre 833 katalogisierten Handschriftwar22. Diese Handschrift hat ursprnglich sechs Werke vonTertullian und Novatians Schrift De trinitate beinhaltet undzum sogenannten Corpus Corbeiense gehrt, dessen Teil auch
heute verlorene Handschriften waren, die die Editoren derltesten gedruckten Ausgaben der tertullianischen Schriftenbenutzt haben, nmlich der Codex Ioannis Clementis Anglides Pamelius23, der vetustissimus codexdes Mesnartius (Jean
16
Borleffs, Un nouveau manuscrit, 76; E. Dekkers et alii, Q. S.F. Tertullianus. Opera I, Turnhout 1954 (Corpus Christianorum SeriesLatina 1), VII.
17 Siehe Turcan, Tertullien. Les spectacles, 9-10.18 Lieftinck, Fragment, 193203.19 Lieftinck, Fragment, 195.20 So Petitmengin (Tertullien. Les spectacles, 86, 2) der die Angabe
von Turcan (Tertullien. Les spectacles, 11), da sich die Handschrift inLeiden befindet,korrigiert.
21 Lieftinck, Fragment, 193.22 E. Dekkers, Note sur les fragments rcemment dcouverts de
Tertullien, SEJG 4, 1952, 376.23 Paris 1583. Siehe Dekkers, Note sur les fragments, 374.
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Gagney)24 und der Codex Masburensis des Gelenius25.Das Fragment von Keppel enthlt Kapitel 27.4 bis 30.3 der
Schauspielschrift mit einer Lcke von eineinhalb Zeilen im
Kapitel 29.126
. Der berlieferte Text ist im allgemeinen besserals im Agobardinus und Ottobonianus und stimmt hufigmit den Editionen von Mesnartius und Gelenius berein,die sich so als wichtige Reprsentanten wertvoller, heuteverlorener Handschriften und als unentbehrlich fr die definitiveZusammensetzung des lateinischen Textes erweisen27.
Nachdem wir die generellen Informationen ber dieManuskripte zusammengefat haben, gehen wir zur detaillierter
Untersuchung von ein paar konkreten Stellen aus TertulliansSchauspielschrift ber. Auf die Textkritik dieses Werkeskonzentrierten sich in neuerer Zeit seit Castorinas Edition28mehrere Aufstze; weisen wir hier wenigstens auf wichtige undaufschlureiche Besprechungen von Trnkle29 und Gramaglia30,
24 Paris 1545.25 Basel 1550. Zur Beziehung zwischen Codex Masburensis undCodex Ioannis Clementis Angli siehe R. Thomson, Identifiable Booksfrom the Pre-Conquest Library of Malmesbury Abbey, ASE 10, 1982,besonders 113. Zwei partielle Kollationen des Codex Masburensis hat P.Petitmengin unlngst neuentdeckt, und die Beschreibung dieser Entdeckungist unter mitarbeit mit J. P. Carley jetz in zwei Aufstzen publiziert. SieheP. Petitmengin J. P. Carley, Malmesbury Slestat Malines. Lestribulations dun manuscrit de Tertullien au milieu du XVIe sicle,AABS
53, 2003, 6374; J. P. Carley P. Petitmengin, Pre-Conquest manuscriptsfrom Malmesbury Abbey and John Lelands letter to Beatus Rhenanusconcerning a lost copy of Tertullians works,ASE33, 2004, 195-223. ZurGestalt des Gelenius und zu seinem Platz im Rahmen der tschechischenTertullian-Forschung vgl. auch P. Kitzler, Some Comments on the CzechTertullian Scholarship, SPFB(klas)8, 2003, 47-8.
26 Siehe Turcan,Tertullien. Les spectacles, 11.27 Turcan,Tertullien. Les spectacles, 12.28 Erste Auflage ist im Jahre 1961 erschienen.29 H. Trnkle, Tertulliani De spectaculis, ed. E. Castorina, Firenze 1961,
Gnomon 35, 1963, 78796 (Besprechung).30 P. A. Gramaglia, Tertullien. Les spectacles (De spectaculis), ed. M.
Turcan, Paris 1986, RSLR 25, 1989, 34251 (Besprechung).
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oder auf Abhandlung von Tibiletti31 (die Turcan seltsamerweisein ihrer Ausgabe nicht benutzt zu haben scheint und aus der wirim Weiteren ergiebig schpfen werden) und Baiesi hin32, ganz zu
schweigen von einer ganzen Reihe lterer Beitrge33
.Beginnen wir mit Spec. 1.2, wo wir in der Edition von Turcantanta est enim vis voluptatum lesen34, was wir bei Mesnartius (b)
und Gelenius (c) finden, whrend Ottobonianusvis voluptatisundAgobardinus verderbte ***tium vis darbietet. Die richtigeWortfolge (Subst. Adj.) scheint durch die Lesart von O besttigtzu sein. Problematisch ist hier die Form des Genitivs, der auchin Spec. 1.5 vorkommt: abdicatione voluptatum lesen mit den
Editoren der ltesten gedruckten Ausgaben auch Castorina undTurcan, im Agobardinus aber steht abdicatione voluptatium.Tibiletti hat darauf aufmerksam gemacht, da hnliche Genitiveauf ium auch bei den Klassikern belegt sind35, der Genitivvoluptatium z. B. bei Livius, Seneca, Cicero und auch bei denspteren Autoren36. Wir knnen deshalb mit ihm bereinstimmen,
31 C. Tibiletti, Osservazioni sul De spectaculis di Tertulliano,AAT98,19631964, 15387.
32 P. Baiesi, Note critiche su Tertulliano, in P. S. Zanetti (ed.), Inverbis verum amare. Miscellanea dellIstituto di Filologia Latina e
Medioevale, Universit di Bologna, Firenze, 1980, 5362; fr weitereLiteratur siehe z. B. R. Braunet alii,ChronicaTertullianea et Cyprianea19751994,Paris 1999.
33 Siehe z. B. H. Gomperz, Tertullianea, Wien 1895, 720; E.
Klussmann,Adnotationes criticae ad Tertulliani librum De spectaculis ,Rudolphopoli 1876; E. Kroymann, Quaestiones tertullianeae criticaeI,Dissertation Gttingen 1893, 1525; G. Thrnell, Studia Tertullianea III,Uppsala 1922, 36.
34 Wenn nicht anders angegeben, stammt der zitierte lateinische Text vonDe spectaculis aus der Edition von M. Turcan, Tertullien. Les spectacles(De spectaculis), Paris 1986.
35 Tibiletti, Osservazioni, 158-9.36 Tibiletti, Osservazioni, 159, Anm. 1 ist ein Druckfehler bei der
Angabe der Stelle aus Livius (richtig ist 7.38.5); zu den von Tibiletti zitiertenAutoren sind noch folgende anzufhren:Sen.Dial. 6.23.3; 8.6.1; Ps. Quint.Decl. 5.3.11; Lucif.Moriend. 10; Paul. Nol. Epist. 1.9; Aug.Epist. 199.8;Quodv.Prom. 1.7.
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da non vi quindi nessuna ragione per abbandonare le formediA37, was die Form des Genitivs angeht.
In Spec. 2.1 lesen wir: Igitur neque alienum videri posse
neque inimicum Deo quod de conditione constet ipsius,neque cultoribus Dei putandum quod Dei non sit inimicum
quia nec alienum. Trotz den wohl berechtigten Einwndenvon Trnkle wegen der Vollstndigkeit des Satzes, der eineErgnzung mit der Konjekturextraneum nach cultoribusDei
putandum vorschlgt38, ist doch der Sinn dieser Stelle auch ohneZustze begreifbar. Castorina und auch Turcan whlen wiedereine Lesart der ltesten gedruckten Ausgaben Deiputandum,
whrend wir im Agobardinus cul***deputandum finden. DieseForm des Verbs (deputandum) ist ohne Zweifel lectiodifficilior(auch im Hinblick auf den Anfang des zweiten Kapitels, wo nurwenige Zeilen zuvor das gleiche Verb benutzt wird: inter haecdeputari universa ista), und sich also als das tertullianischereWort den Vorzug verdient39.
Spec. 2.3:Plures denique invenias quos magis periculumvoluptatis quam vitae avocet ab hac secta. Turcan whlt
hier die Lesartavocet
von Gelenius und Rigaltius, die auchandere Editoren, z. B. Oehler40, Reifferscheid Wissowa41 oderDekkers42 annehmen, trotz der Variante evocet ausAgobardinus,Ottobonianus und Mesnartius, fr die Castorina pldiert. DieserEditor hat in seinem umfassenden Kommentar43 auch klargenug bewiesen und mit zahlreichen Parallelen illustriert, da
37 Tibiletti, Osservazioni, 159.38 Trnkle, Tertulliani De spectaculis, 791-2.38 Trnkle, Tertulliani De spectaculis, 791-2.39 Trnkle, Tertulliani De spectaculis, 792. Die gleiche Ansicht wird
auch von Baiesi (Note critiche, 5362) geteilt.40F. Oehler, De spectaculis, Tertulliani quae supersunt omnia I,
Leipzig 1851.41 A. Reifferscheid, G. Wissowa, De spectaculis, Tertulliani Opera I,
Wien 1890 (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 20).42 E. Dekkers, De spectaculis, Q. S. F. Tertullianus, Opera I, Turnhout1954 (Corpus Christianorum Series Latina 1).
43 Castorina, Tertullianus. De spectaculis, 30 ff.
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die handschriftliche Lesart (evocet) zu bevorzugen ist, was auchandere Forscher bejahen44.
In Spec. 2.8 (Tam ferrum Dei res est quam herbae, quam
angeli) und 2.9 (Atquin summa offensa penes illum idololatriaest.) ist es nicht ntig, wie es Turcan im Bezug auf Castorina tut,die imAgobardinus berlieferte Ellipse von esse zu beseitigen,weil gerade sie fr unseren Autor, bei seinem Streben nacheiner knappen, alles berflssige meidenden Ausdrucksweise45,typisch ist und auch breit belegt wird46. Man soll also vermutlichnurDei res quam herbae undpenes illum idololatria lesen47.
In Spec. 2.10 stoen wir auf die zwei gleichen Formen der
Adjektive wie in Spec. 1.248
. M. Turcan liest hier folgenderweise:aut spiritus ideo insitus corpori ut insidiarum et fraudiumet iniquitatum cogitatorium fieret. Die Lesart fraudiumwird durch das Zeugnis von Agobardinusund von RigaltiusEdition besttigt, und Turcan whlt sie auch darum, weil sie beiCicero vorkommt49. Andererseits knnen wir auch den Genitiviniquitatium (gleichfalls ausAgobardinus und Rigaltius), denTurcan ablehnt, z. B. bei Augustin finden50, und die genannten
Genitive auf ium
(auch die vonSpec
. 1.2) hlt auch V. Bulhartfr korrekt51.
44 Siehe Trnkle, Tertulliani De spectaculis, 790; R. Braun,Tertullien. Les spectacles (De spectaculis), ed. M. Turcan, Paris 1986, REL65, 1987, 312 (Besprechung), mit scharfsinnigem Hinweis auf hnliche,obwohl vereinzelte Benutzung des Verbs in dieser Bedeutung in Tert.Adv.Marc. 5.2.4: evangelium Christi a lege evocare deberet ad gratiam, nona creatore ad alium deum.
45 H. Hoppe, Syntax und Stil des Tertullian, Leipzig 1903, 143.46 Siehe Hoppe, Syntax und Stil, 144-5; E. Lfstedt, Zur Sprache
Tertullians, Lund 1920, 57 ff.47 So auch Tibiletti, Osservazioni, 162; siehe auch Trnkle,
Tertulliani De spectaculis, 792.48 Siehe oben, S. 104.49 Cic. Off. 3.19.75.50
Aug.C. Parm. 3.10.22; Aug.Un. eccl. 20.56; vgl. auch Vulg.Hebr.10.17.51 Siehe V. Bulhart, TertullianStudien, Wien 1957, 40; Tibiletti,
Osservazioni, 158-9.
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In Spec. 3.7 versucht Tertullian mit einer sophistischenAuslegung des Psalms 1.1 ein biblisch begrndetes Argumentgegen den Besuch der Spiele zu gewinnen und fhrt fort: Itaque
e contrario generaliter dictum intellegamus, cum quidaliter, etiam specialiter, interpretari capit. Nam et specialiter
quaedam pronuntiata generaliter sapiunt. Die Lesart aliterist im Agobardinus und bei Mesnartius belegt, whrend alleanderen ltesten gedruckten Ausgaben das Wort omittieren.Auch wenn diese Lesart zu verstehen und zu bersetzen ist, bietetdie von Wissowa vorgeschlagene und von mehreren neuerenEditoren adoptierte Konjekturgeneraliter mit klarer Antithese
zu specialiter (die auf diesen zwei genannten Kategorien basierteArgumentation kommt bei Tertullian fters vor)52 doch wohl einebessere Lsung53.
In Spec. 3.8 lesen E. Castorina und M. Turcan auf Grund dergedruckten Ausgaben: Sic omnis gens vocatur Aegyptus et
Aethiopia a specie ad genus, quemadmodum etiam omne
spectaculum concilium vocat impiorum a genere ad speciem.Auch hier bietet aber die Lesart des Agobardinus (teilweise
mit Zeugnis desOttobonianus
bekrftigt) eine elegantere undtertullianischere Lsung und zwar Sic omnis gens peccatrixAegyptus et Aethiopa a specie ad genus, quemadmodum etiam
omne spectaculum concilium impiorum a genere ad speciem.Diese Form des Satzes, die auch andere moderne Editorenbernommen haben, ist (mit Zusetzung vonpeccatrix) nicht nurdie verstndlichere, sondern auch die glattere und kompaktere,was unserem Autor wohl besser entsprche54.
Im 10. Kapitel vonSpec
. spricht Tertullian von denTheaterspielen. Der Beginn des mit ihren apparatus beschftigtenAbschnittes lautet (Spec. 10.2): apparatus etiam ex ea parte
52 Siehe Tert. Spec. 14.3; Tert. Orat. 21.4; 22.1.6.53 Siehe J. Bchner,Quint. Sept. Flor. Tertullian De spectaculis.
Kommentar, 56; I. Opelt, Tertullien. Les spectacles(De spectaculis), ed.M. Turcan, Paris 1986, Gnomon 60, 1988, 159 (Besprechung).54 In diesem Sinn auch Gramaglia,Tertullien. Les spectacles, 345-6,
und Trnkle, Tertulliani De spectaculis, 792.
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consortes, quae ad scaenam spectat; nam a templis et
aris itur Quae stammt aus Mesnartius und Gelenius (imAgobardinus steht qua), das Verb spectat wird bei Gelenius
belegt (Mesnartius liest spectant), Agobardinus omittiert es(ebenso wie das folgende Bindewort nam). In Anknpfung anLfstedt haben besonders Tibiletti und Gramaglia55 wiederholtdarauf aufmerksam gemacht und auch breit belegt, da einesolche Wendung fr Tertullian typisch und hufig kausal zuverstehen ist56. Angesichts dieser Tatsachen ist es nicht ntig diehandschriftliche berlieferung zu ndern, und man kann ohneEinwnde die Fassung apparatus etiam ex ea parte consortes,
qua ad scenam a templis et aris itur bewahren. Die gleichekausale Verwendung von ex ea parte, qua finden wir berdiesauch im 22. Kapitel von Spec.57
Im letzten Kapitel von Spec., wo Tertullian eine anti-judaischePolemik entfesselt, lesen wir (Spec. 30.6): hic (sc. Iesus) estquem clam discentes subripuerunt ut resurrexisse dicaturResurrexisse stammt aus den ltesten gedruckten Ausgaben,whrend Agobardinus und Ottobonianus blo surrexisse
angeben. Diese Lesart (z. B. auch von Reifferscheid Wissowa undDekkers bernommen) verdient den Vorzug, weil sie in diesemSinne (Auferstehung des Christus) nicht nur im Neuen Testamentvorkommt58, sondern auch von Tertullian selbst benutzt wird59.
55
Siehe E. Lfstedt, Zur Sprache Tertullians, 101 ff.; Tibiletti,Osservazioni, 170-1; Gramaglia, Tertullien. Les spectacles, 347 woauch Beispiele aus Tertullian angefhrt werden.
56 Lfstedt, Zur Sprache Tertullians, 102: Die Sprache Tertulliansbietet uns nmlich einige typische bergangsflle, in denen ex ea parte,qua od. dgl. teils ohne weiteres = insofern alssteht, teils ganz oder halbwegsin den kausalen Bereich hinbergetreten ist.
57 Tert. Spec. 22.2: Etenim ipsi auctores et administratoresspectaculorum quadrigarios, scaenicos ex eadem parte qua
magnifaciunt deponunt et deminuunt58 Siehe C. Tibiletti, Osservazioni sul testo di Tertulliano, GIF, n.s.
7, 1976, 181.59 Siehe Tert. Resurr. 47.10; Tert.Adv. Hermog. 34.2.
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Am Ende desselben Satzes (vel hortulanus detraxit nelactucae suae frequentia commeantium laederentur) ist esschlielich ntig, auch trotz der bereinstimmung der ltesten
gedruckten Ausgaben mit dem Ottobonianus, die Frage zustellen, ob man nicht wirklich das imAgobardinus belegte hapaxadlaederentur als lectio difficilior bernehmen sollte60.
Die angefhrten Stellen, die wir unserer Betrachtungunterzogen haben, bieten nur die aufflligsten und am meistendiskutierten Vorflle, und die Schwierigkeiten, die sich mit derSuche nach dem dem Originaltext sich eng nhernden Text gutbelegen lassen. Die untersuchten Stellen zeigen auch, da die
textkritischen, mit dem lateinischen Text von De spectaculiszusammengehrenden Probleme immer noch nicht zuversichtlichund endgltig gelst sind.
PETR KITZLERFilozofick fakulta Masarykovy Univerzity v Brn
60 Siehe Tibiletti, Osservazioni sul testo di Tertulliano, 169-70 undHoppe,Beitrge, 146.