P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die...

73
Veröffentlichungsreihe des Instituts für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld (IPW) ISSN 1435-4081 Dokumentation und Bericht einer Fachtagung vom 12. März 1996 in Bielefeld Redaktionelle Bearbeitung: Doris Schaeffer, Paul Wolters Bielefeld, April 1998 Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld (IPW) Universitätsstr. 25 D-33615 Bielefeld Telefon: (0521) 106 - 3896 Telefax: (0521) 106 - 6437 E-Mail: [email protected] P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die Professionalisierung der Pflege. Dokumentation einer Fachtagung Gesellschaft zur Förderung der Pflegewissenschaft NRW e.V. (Hrsg.)

Transcript of P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die...

Page 1: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

Veröffentlichungsreihe desInstituts für Pflegewissenschaftan der Universität Bielefeld (IPW)

ISSN 1435-4081

Dokumentation und Bericht einerFachtagung vom 12. März 1996 inBielefeld

Redaktionelle Bearbeitung:Doris Schaeffer, Paul Wolters

Bielefeld, April 1998

Institut für Pflegewissenschaftan der Universität Bielefeld (IPW)Universitätsstr. 25D-33615 Bielefeld

Telefon: (0521) 106 - 3896Telefax: (0521) 106 - 6437E-Mail: [email protected]

P98-102

Die Bedeutung der Pflegewissenschaftfür die Professionalisierung der Pflege.Dokumentation einer Fachtagung

Gesellschaft zur Förderung derPflegewissenschaft NRW e.V. (Hrsg.)

Page 2: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

1

Inhaltsverzeichnis

Vorwort 3

Angelika DopheideGrußwort der Oberbürgermeisterin der Stadt Bielefeld 5

Helmut SkowronekGrußwort des Rektors der Universität Bielefeld 7

Wolfgang BodenbenderEtablierung der Pflegewissenschaft in NRW: der gesundheits- undsozialpolitische Stellenwert des Instituts für das Land 9

Gertrud HundenbornZur Entwicklung von Pflegewissenschaft und Pflegeforschung 15

Mary FarrellFocal Points and Needs of Nursing-Research inInternational Comparison 23

Silvia KäppeliStandortbestimmung von Pflegewissenschaft und Pflegeforschungim deutschsprachigen Raum unter Berücksichtigungder internationalen Entwicklung 29

Bernhard GüntertPflegewissenschaft als multidisziplinärer Wissenschaftsansatzim Kontext der Gesundheitswissenschaften 43

Paul WoltersPflegewissenschaft: Gegenstände, Fragestellungen, Methoden,Zukunftsperspektiven. Zur Einführung derPflegewissenschaft in Deutschland 55

AutorInnenverzeichnis 73

Page 3: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

2

Page 4: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

3

Vorwort

Pflegewissenschaft bedarf in Deutschland einer beschleunigten nachho-lenden Entwicklung. Es fehlt bisher an theoretischen und empirisch-wissen-schaftlichen Grundlagen für die Pflege. Die in den letzten Jahren neu entstan-denen unterschiedlichen Pflegestudiengänge an den Hochschulen brauchenPflegewissenschaft als zentrale Disziplin und als grundlegende Orientierung.Pflegeforschung ist zentrales Element des Aufbaus von Pflegewissenschaft.Dazu ist es wichtig, daß sie an den Hochschulen etabliert wird. Angesichtsder gegenwärtigen Hochschulstruktur in Deutschland kommt der Einrichtungvon pflegewissenschaftlichen Zentren an Universitäten deshalb besondereBedeutung zu, weil der für ein neues Fach dringend benötigte wissenschaftli-che Nachwuchs nur dort ausgebildet werden kann.

Das Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Bielefeld (IPW)wurde im Sommer 1995 als An-Institut der Universität Bielefeld eingerichtet.Träger des Instituts ist die Gesellschaft zur Förderung der PflegewissenschaftNRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen desGesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen sind. Geleitet wird das IPW seit1997 von Professorin Dr. Doris Schaeffer, die zugleich die Professur für Pfle-gewissenschaft an der Fakultät für Gesundheitswissenschaft der UniversitätBielefeld innehat.

Das Institut für Pflegewissenschaft versteht sich als ein Kristallisationspunktfür den Aufbau der Pflegewissenschaft in Deutschland. Ziel seines For-schungsprogramms ist es, zur wissenschaftlichen Entwicklung prioritärer For-schungsfelder in der Pflege beizutragen und Grundlagen zum Aufbau einesForschungsnetzes Pflegeforschung zu legen. Die Förderung des wissenschaft-lichen Nachwuchses zur Promotion und Habilitation ist eine zentrale Aufgabedes Instituts.

Die nachfolgenden Texte dokumentieren die Referate einer Fachtagungmit dem Thema “Die Bedeutung der Pflegewissenschaft und der Gesund-heitswissenschaften für die Professionalisierung der Pflege im europäischenVergleich”. Die Tagung fand am 12. März 1996 im Ratssaal der Stadt Biele-feld statt und bildete zugleich den Gründungsakt des Instituts für Pflegewis-senschaft an der Universität Bielefeld (IPW). Die Beiträge geben in vieler Hin-sicht ihren Entstehungszusammenhang wieder. Ergänzt wurde diese Doku-mentation durch den Bericht “Pflegewissenschaft: Gegenstände, Fragestel-lungen, Methoden, Zukunftsperspektiven. Zur Einführung der Pflegewissen-schaft in Deutschland”. Bei diesem Beitrag handelt es sich um die Zusam-menfassung einer Studie, die in der Aufbauphase des Instituts für Pflegewis-senschaft erstellt wurde und die der ersten Orientierung im Zuge der wissen-schaftlichen Verortung dieser Einrichtung im nationalen und internationalenKontext diente.

Gesellschaft zur Förderung der Pflegewissenschaft NRW e.V.- Herausgeberin -

Page 5: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

4

Page 6: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

5

Grußwort der Oberbürgermeisterin der Stadt Bielefeld

Angelika Dopheide

Die Einrichtung des Instituts für Pflegewissenschaft an der Universität Bie-lefeld ist ein wichtiger Baustein auf dem Weg, die ständig wachsende Pfle-getätigkeit in unserem Land wissenschaftlich zu fundieren und zu qualifizie-ren. Zudem ist es längst überfällig, die Pflege endlich gegenüber der Medizinaufzuwerten.

Die Sicherstellung der Pflege wird in unserer Gesellschaft immer wichtiger.Die zunehmenden chronischen Erkrankungen bedeuten für viele ein Lebenmit starken gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Behinderungen. Nebender medizinischen Versorgung, die oftmals an ihre Grenzen stößt, wächst andiesem Punkt die Bedeutung von Rehabilitation und Pflege. Während sichallerdings die kurative Medizin immer weiter entwickelt hat, sind dagegen diepflegerischen beziehungsintensiven Leistungen bislang kaum Gegenstandvon Wissenschaft und Forschung.

Das Pflegeinstitut macht es sich zur Aufgabe, die immer schwieriger wer-dende Arbeit in der Kranken-, Kinder- und Altenpflege sowohl im am-bulanten wie im stationären Bereich zu erforschen. Es will nach neuen Kon-zepten für ein professionelles Handeln suchen. Nach Konzepten, die die Be-dürfnisse der zu Pflegenden stärker berücksichtigen. Denn qualifizierte "Pfle-gearbeit" und "Pflegedienste" sind zunächst für die Patienten von unermeß-licher Bedeutung - die Fragen, wer pflegt mich, welche Pflege bekomme ich,wie unterstützt sie mich, wie macht sie mein Leben erträglich, werden exi-stentiell.

Die Qualität der Pflegearbeit und ihre ständige Überprüfung ist aber auchfür die Pflegekräfte äußerst bedeutsam. Noch immer ist die Fluktuation inden Pflegeberufen enorm hoch. Die täglichen Anforderungen und Beschwer-nisse überlasten viele Pflegekräfte sehr früh. Ihre Arbeitszufriedenheit unddas Wohlbefinden der Pflegebedürftigen sicherzustellen, ist eine große ge-sellschafts- und gesundheitspolitische Herausforderung.

Daß nun Bielefeld als Standort für das Pflegeinstitut ausgewählt wurde,freut mich besonders, hat aber natürlich auch seine Gründe. In den letztenJahren ist es bereits gelungen, Bielefeld zu einem Zentrum der Qualifizierung,Forschung und Beratung für das Gesundheitswesen zu machen. Das wurdeeinerseits durch das enorme Engagement der Universität möglich und ande-rerseits durch die Kooperationsbereitschaft der Gesundheitseinrichtungenunserer Stadt und Region. Nicht zu vergessen ist außerdem die kontinuierli-che und systematische Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen, hierinsbesondere durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales.

Eine Reihe von Einrichtungen bieten nun Wissenstransfer, Know-how undqualifizierte Arbeitskräfte für die gesamte Region und auch darüber hinaus:Die Fakultät für Gesundheitswissenschaften, das neuorganisierte Landesin-stitut für den öffentlichen Gesundheitsdienst, der neue Studiengang Pflege-pädagogik an der Fachhochschule und jetzt eben auch das neue Pflegeinsti-tut.

Page 7: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

6

So bietet sich eine besondere Chance, Bielefeld als Zentrum in einer Ge-sundheitsregion zu profilieren. Denn in Ostwestfalen-Lippe gibt es landesweiteine einmalige Konzentration von Einrichtungen der Gesundheitsversorgungund Gesundheitsförderung. In den 22 Kur- und Heilbädern, Luft- undKneippkurorten gibt es Versorgungs-, Rehabilitations-, Behinderten- undPflegeeinrichtungen, die weit über die Region hinaus bekannt sind:

Klangvolle Namen wie Bad Oeynhausen, Bad Driburg, Horn-Bad Mein-berg oder Bad Lippspringe. Bielefeld ist durch die von BodelschwinghschenAnstalten Bethel weltweit bekannt. Aber auch das Evangelische Jo-hanneswerk und unsere leistungsfähigen Krankenhäuser werden weithingeschätzt.

Im Wettbewerb der Regionen und Standortvorteile gewinnt der Aufbaueiner Gesundheitsregion immer mehr an Bedeutung. Das haben wir 1992 immittelfristigen Entwicklungskonzept für Ostwestfalen-Lippe bereits deutlichfestgestellt, womit klare Akzente gesetzt worden sind: für den Ausbau derwirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen Aktivitäten in unserer Regionin den Bereichen Gesundheit, Freizeit, Erholung, bewußte Lebensführungund Fremdenverkehr. Für die Kommunen und die Anbieter der Gesundheits-dienste bietet sich nun die Chance, sich als Teile dieser Gesundheitsregion zuverstehen und miteinander zu kooperieren mit dem Ziel, die jeweiligen Ange-bote sinnvoll aufeinander abzustimmen.

Bielefeld hat auf diese Entwicklung im Gesundheitswesen reagiert. Wirhaben in der Wirtschaftsentwicklungs- und Marketinggesellschaft der Stadteinen eigenen Geschäftsbereich mit dem Titel "Wirtschaftsfaktor Gesund-heit" gegründet. Unsere Aufgabe sehen wir vor allem darin, die Potentialeund Qualitäten der besonderen Gesundheitsinfrastruktur in Bielefeld heraus-zuarbeiten und weiterzuentwickeln. In einem Kooperationsprojekt eruiert dieWirtschaftsentwicklungsgesellschaft gemeinsam mit der Fakultät für Gesund-heitswissenschaften für die Region OWL "neue Qualifikationsanforderungenund Qualifizierungsfelder für Beschäftigte im Gesundheitssektor". In diesemZusammenhang streben wir auch die Kooperation mit dem Pflegeinstitut an.Wir erhoffen uns dadurch fruchtbare Ergebnisse.

In diesem Sinne wünsche ich dem neuen Institut viel Erfolg und Resonanzund den Teilnehmerinnen und Teilnehmern einen interessanten Ta-gungsverlauf.

Page 8: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

7

Grußwort des Rektors der Universität Bielefeld

Helmut Skowronek

Ich darf Sie, als Vertreter ganz unterschiedlicher Institutionen und Organi-sationen, zu diesem Gründungsakt sehr herzlich begrüßen. Uns alle verbindet- bei aller Verschiedenheit - das Engagement im Bereich Pflege und damitauch das Engagement für das Institut für Pflegewissenschaft an der Universi-tät Bielefeld, dessen Gründung wir heute feiern.

Welche gesellschaftliche Bedeutung dem Bereich Pflege in immer höheremMaße zukommt, das muß in diesem Kreis nicht noch besonders betont wer-den. Die sich immer mehr zugunsten hoher Lebensalter verschiebende demo-graphische Struktur und, auch als eine Ursache dafür, die großen medizini-schen Erfolge der letzten Jahrzehnte sorgen dafür, daß Pflege als Teil des Ge-sundheitssystems und damit auch als Prüfstand für eine humane Gesellschaftzusehends in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Jeder spürt dies inzwi-schen zumindest über seine Beiträge zur Pflegeversicherung, und die Diskus-sion über diese Versicherung hat manchem bewußt gemacht, wie breit aus-differenziert das Spektrum von Pflegeeinrichtungen inzwischen geworden ist.Anders als die sogenannte Apparatemedizin, über deren Dominanz immermehr geklagt wird, wird Pflege immer ein außerordentlich personalintensiverBereich bleiben, der durch technische Einrichtungen nur sehr bedingt opti-miert werden kann. Dabei wird allmählich deutlich - und die gebührende ge-sellschaftliche Anerkennung dafür ist längst überfällig -, welch ungewöhnli-che Leistungen tagtäglich von Pflegenden erbracht werden müssen, welchenaußerordentlichen physischen wie psychischen Belastungen sie dabei ausge-setzt sind. Viele unter Ihnen wissen selbst am besten, was Schichtbetrieb inoft hektischer Umgebung, körperliche und psychische Anstrengungen beimdirekten Umgang mit nicht immer einfachen Patienten u.v.m. bedeuten.

Der Bereich Pflege hat einen hohen Standard an unentbehrlichen Erfah-rungen und Routinen erzeugt, die in der Ausbildung des Pflegepersonals undder Pflegelehrer eine zentrale Rolle spielen müssen. Ein lange bestehendesDesiderat ist die Ergänzung dieser aus unmittelbaren Anforderungen entwik-kelten Praxis durch wissenschaftliche Forschung und Lehre, d.h. die Etablie-rung von Pflege als wissenschaftlichem Fach. Dieses wissenschafts- wie sozi-alpolitisch wichtige Anliegen ist mit dem Institut für Pflegewissenschaft an derUniversität Bielefeld (IPW) in Nordrhein-Westfalen erstmals konkret beant-wortet worden. Dabei haben die Ministerien für Arbeit, Gesundheit und Sozi-ales und für Wissenschaft und Forschung eng kooperiert. Für das Resultat istdie Universität beiden Ministerien zu großem Dank verpflichtet. Wegen derneuen Wege, die dabei beschritten werden mußten, war die Etablierung desInstituts nicht ganz einfach. Um so zufriedener dürfen wir heute sein, undman sieht auch an diesem Entstehungsprozeß, wie unausweichlich wichtigletztendlich systematisches Durchdenken und Durchplanen bei komplexen In-novationen wie dieser sind. Es handelt sich hier wirklich nicht um einen“Schnellschuß”, sondern um einen inzwischen fünfjährigen Planungs- undAufbauprozeß, in dem Sie persönlich, Herr Staatssekretär Bodenbender, undIhr Ministerium eine ganz besondere Rolle gespielt haben: Ohne Ihr Engage-ment, Ihre Zähigkeit und Gestaltungskraft würde das Institut heute nicht exi-stieren.

Page 9: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

8

Durch die für Bielefeld neuartige und sehr sinnvolle Konstruktion, diedurch den Innovations- und Kooperationswillen aller Beteiligten möglichwurde, ist eine strukturell günstige Einbindung des Instituts in die Universitätgelungen. Der Direktor des von einer Trägergesellschaft garantierten Institutsist gleichzeitig Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften derUniversität, und “Pflegewissenschaft” ist eine der Arbeitsgruppen der Fakul-tät. Das sichert eine enge Verflechtung von theoretischer Fundierung undPraxisfeldern. Aus der Praxis kommen die Kooperationspartner der Universi-tät in der Trägervereinigung, und ich darf den Vertretern dieser Praxis für ihr,trotz enger Terminkalender, großes Engagement im Projekt “Pflegewissen-schaftliches Institut” herzlich danken. Dies gilt für die verschiedenen Gremiender Gesellschaft, insbesondere aber für deren Vorstand, im einzelnen: FrauHundenborn von der Caritas-Akademie Hohenlind, Herr Schophaus von denvon Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, Frau Lanfermann vom Caritas-Verband für das Bistum Essen, Herr Holzgreve vom Landesverband des Sozi-alverbandes der Kriegs- und Wehrdienstopfer, Behinderten und SozialrentnerDeutschlands, Herr Kramer von der Stadt Bielefeld und Herr Nadolny von derAOK Westfalen-Lippe und der Pflegekasse bei der AOK Westfalen-Lippe.

Die Vernetzung mit Einrichtungen aus der Praxis ist ohnehin Kennzeichender interdisziplinär arbeitenden Fakultät für Gesundheitswissenschaften, de-ren Spektrum mit dieser Gründung erheblich erweitert wird. Auch die Aufga-ben für das Institut sind breit gefächert. Es geht um wissenschaftliche For-schung und Lehre, die die Arbeit in der Praxis theoretisch fundieren soll, aberauch um die Beratung privater und öffentlicher Träger und die Förderung derWeiterbildung. Selbstverständlich ist die Universität auch kooperationsbereit,wenn es um Aufbau und Betreiben von Pflegestudiengängen an Fachhoch-schulen geht. In der Forschung arbeitet das Institut bereits seit einem drei-viertel Jahr unter der kommissarischen Leitung von Prof. Badura und derkommissarischen Geschäftsführung von Dr. Wolters. Auch Ihnen beiden darfich für die intensive Aufbauarbeit herzlich danken. In seiner letzten Sitzungim Februar hat der Senat der Universität eine Berufungsliste für die Besetzungder Professur für Pflegewissenschaft verabschiedet, so daß zu erwarten ist,daß das in enger Abstimmung mit dem Vorstand der Gesellschaft geführteVerfahren noch in diesem Jahr abgeschlossen werden kann.

Für die Universität bedeutet dieses neue Institut nicht zuletzt den Nach-weis, auch unter inzwischen außerordentlich schwierigen Rahmenbedingun-gen einer Unterfinanzierung handlungs- und innovationsfähig zu sein. Siehätte sich aber niemals auf diese Innovation eingelassen, wenn sie nicht ent-schieden überzeugt wäre, daß es sich um ein wissenschaftlich sinnvolles undzukunftsträchtiges Projekt handelt. Ich darf also nun auch offiziell das Institutfür Pflegewissenschaft in der Universität Bielefeld herzlich willkommen heißenund ihm viel Erfolg für seine Arbeit wünschen!

Page 10: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

9

Etablierung der Pflegewissenschaft in NRW: dergesundheits- und sozialpolitische Stellenwertdes Instituts für das Land

Wolfgang Bodenbender

Wo könnte die Entwicklung zu einer eigenständigen deutschen Pflegewis-senschaft und Pflegeforschung besser beginnen und auch verlaufen als hieran der Universität Bielefeld im Rahmen der Fakultät für Gesundheitswissen-schaften? Sie ist die erste Fakultät dieser Art in der Bundesrepublik über-haupt, und auch das Institut für Pflegewissenschaft an der Universität Biele-feld, dessen Gründung wir heute feiern, ist bundesweit das erste.

Mit großer Freude und großem Dank blicke ich zurück auf die gemeinsa-men Anstrengungen aller für Pflege in NRW Verantwortlichen zur Etablie-rung der Pflegewissenschaft und einer anwendungsorientierten Pflegefor-schung an einer Universität unseres Landes. Besonders nennen möchte ichhier:• die evangelische und die katholische Kirche in Nordrhein-Westfalen mit

ihren Trägerverbänden und Einrichtungen der Diakonie und der Caritas,• die Wohlfahrts- und die Behindertenverbände,• die Landesverbände der Kranken- und Pflegekassen,• die kommunalen Spitzenverbände, die Landschaftsverbände und die

Rentenversicherungsträger sowie• die Pflegeverbände und die in der Pflege tätigen sozialen Organisationen,• schließlich die großen Pflegeeinrichtungen der von Bodelschwinghschen

Anstalten und des Ev. Johanneswerks hier in Bielefeld• und nicht zuletzt die Stadt Bielefeld, die ebenfalls sehr hilfreich war.

Danken möchte ich Ihnen allen, die Sie an der Gründung der Gesellschaftzur Förderung der Pflegewissenschaft NRW und am Aufbau des Instituts fürPflegewissenschaft als eines An-Instituts der Universität Bielefeld mitgewirkthaben, vor allem für die Unterstützung bei dem politischen Kraftakt zurDurchsetzung einer neuen Institution in Zeiten großer finanzpolitischer Sor-gen. Danken möchte ich Ihnen für die aktive Mitwirkung bei dem diesemForschungsinstitut zugrunde liegenden Konzept einer Gemeinschaftsaufgabeder Partner im Gesundheits- und Sozialwesen Nordrhein-Westfalens unddamit einer dialog- und anwendungsorientierten Wissenschaftsinstitution.

Der Universität Bielefeld sei in diesem Zusammenhang besonders gedanktfür die konstruktive Zusammenarbeit und für die Bereitschaft, mit dem An-Institut für Pflegewissenschaft und dem Arbeitsbereich Pflegewissenschaft inder Fakultät für Gesundheitswissenschaften bewußt im Bereich der Forschungden Weg des Dialoges mit der Praxis zu suchen und zu gehen, bei allen Ver-änderungen, die dieser Prozeß auch für die Universität mit sich bringen wird.

Für das Land ist die Etablierung der Pflegewissenschaft und der Pflege-forschung an einer nordrhein-westfälischen Universität aus gesundheits- undsozialpolitischer Sicht von strategischer Bedeutung:• für die Weiterentwicklung der Pflege-Infrastruktur in unserem Land,• für die grundlegende Erforschung von Lösungsvorschlägen für die sys-

tematische Verbesserung der pflegerischen Versorgung und

Page 11: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

10

• für die Qualitätssicherung von Pflege als Dienstleistung im Gesundheits-und Sozialwesen.

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang vor allem auf drei aktuelleAspekte näher eingehen:

1. Wenn der mit dem Gesundheitsstrukturgesetz und dem Pflegeversiche-rungsgesetz eingeleitete Strukturwandel des Gesundheits- und So-zialwesens Erfolg haben soll, muß Pflege eine eigenständige Rolle nebenÄrzten und Einrichtungsträgern bei der Gestaltung und Weiterentwicklungder Leistungsangebote haben. Dazu ist eine Qualifizierung und Profilie-rung von Pflege auf wissenschaftlicher Grundlage unverzichtbar.

2. Der Ausbau und die Weiterentwicklung der pflegerischen Infrastruktur in

Nordrhein-Westfalen, einschließlich der notwendigen Qualitätssicherungist ohne die Anwendung wissenschaftlich abgesicherter Verfahren undohne anwendungsorientierte wissenschaftliche Dienstleistung aus demBereich der Pflegeforschung nicht denkbar.

3. Das Institut für Pflegewissenschaft an der Fakultät für Gesundheitswis-

senschaft ist ein wesentlicher Standortvorteil für die GesundheitsregionOstwestfalen-Lippe. Gerade der Wissenschaftstransfer im Bereich Pflegekann die regionale Entwicklungsperspektive mit Blick auf eine Gesund-heitsregion ausgezeichnet unterstützen.

Die eigenständige Rolle der Pflege bei der Leistungserbringung

Daß die Pflege eine gleichberechtigte Aufgabe bei der Leistungerbringungim Gesundheits- und Sozialwesen haben muß, dies sagen mir vor allem dieVertreter der Kranken- und Pflegekassen immer wieder. Diese Forderung giltnicht nur mit Blick auf die Pflegeversicherung. Wir befinden uns in einemStrategiewechsel der Gesundheitspolitik hin zu einer ganzheitlichen Sichtwei-se von Gesundheit und Krankheit. Gesundheit und Krankheit sind als dieResultate hochkomplexer Wechselwirkungen vernetzter natürlicher, sozialerund psychologischer Faktoren anzusehen. Eine vor allem auf die kurativeindividualmedizinische Therapie orientierte Versorgung wird mit Blick auf dieBewahrung der Gesundheit des einzelnen und der gesamten Bevölkerung alsnicht mehr besonders wirksam eingeschätzt. Deshalb ist die Vernetzung dermedizinischen und sozialen Dienste der Leistungssysteme im Gesundheits-und Sozialwesen das Grundprogramm der Zukunft, an dem wir gemeinsamarbeiten.

Im Krankenhaus ist Pflege als Teil der medizinischen Behandlung mit demhohen Anteil an Personalkosten sowohl Akteur qualifizierter Leistungen alsauch in die Bestrebungen um effektivere Arbeitsabläufe, um verbesserte Pati-entenversorgung und -betreuung und um die Erbringung von medizinischerBehandlung im Krankenhaus, als Teamleistung eingebunden. Noch deutlicherwird die eigenständige Rolle im Bereich der ambulanten und stationären Pfle-ge mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung für die Qualität der pflege-rischen Versorgung. Aber auch bei der Vernetzung mit dem sozialen und me-dizinischen Unterstützungsbedarf des Patienten wächst den qualifiziertenPflegekräften eine besondere Verantwortung zu. Daran ändert auch die in

Page 12: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

11

das Pflegeversicherungsgesetz einbezogene Pflege durch Angehörige imPrinzip nichts.

Pflege bedarf deshalb der Entwicklung und Orientierung an einem eige-nen wissenschaftlichen Leitbild (auf der Grundlage einer Standortbestimmungzu den für Pflege wichtigen Wissenschaftsdisziplin der Medizin, der Gesund-heitswissenschaften und der Sozialwissenschaften). Erst das wissenschaftlicheLeitbild ist neben dem Selbstbewußtsein für die qualifizierte Berufstätigkeitdas Rückgrat für professionelles Handeln von Pflege auf allen Ebenen derpflegerischen Leistungserbringung.

Wer wie ich seit über einem Jahr mit der Umsetzung des Pflegeversiche-rungsgesetzes und hier insbesondere mit der Vorbereitung des Landespfle-gegesetzes befaßt ist, weiß, welch immenser gemeinsamer Anstrengungen esfür alle Beteiligten bedarf, die Pflegeversicherung in die Praxis umzusetzenund damit die pflegerische Versorgung für alte, kranke und behinderte Men-schen sicherzustellen. Dabei wissen wir, wie in NRW die demographischeEntwicklung aussieht, und wir wissen auch, welchen Stellenwert insbesonde-re die Zivilisationskrankheiten für die Nachfrage nach pflegerischen Leistun-gen in den nächsten 20 Jahren haben wird.

Zur Bedeutung grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung fürden Ausbau und die Weiterentwicklung der Pflegeinfrastruktur

Bei der wissenschaftlichen Verantwortung haben wir großen Nachholbe-darf gegenüber anderen europäischen Ländern, insbesondere den angelsäch-sischen Ländern. Dies hat die Denkschrift der Robert-Bosch-Stiftung von Ja-nuar 1996 festgestellt. Diese Denkschrift fordert für die Bundesrepublik außerder Etablierung der Pflegewissenschaft an deutschen Hochschulen und derDurchführung von Pflegestudiengängen auch die Einrichtung von Zentrenfür Pflegeforschung und Forschungsförderung. Dabei soll nach Auffassungder Experten auf die Sicherung eines Theorie-Praxis-Transfers geachtet wer-den. Außerdem gilt das Plädoyer dieser Denkschrift der Entwicklung einer na-tionalen Pflegewissenschaft, die bewußt von Anfang an den internationalenErfahrungsaustausch sucht und auch für die Bundesrepublik institutionalisiert.

Für die Entwicklung der Pflege-Infrastruktur in NRW müssen wir einigeFragen noch genauer beantworten:

• Welchen Bedarf an stationären, teilstationären oder ambulanten pflegeri-schen Leistungen haben wir in Nordrhein-Westfalen in den nächsten Jahr-zehnten und wie können wir örtlich und regional eine bedarfsgerechtepflegerische Versorgung sicherstellen?

• Welche Pflegestandards sind bei bestimmten Indikationen unverzichtbar,

wie können wir diese sicherstellen und finanzieren? • Wie hoch ist der Bedarf an qualifizierten 3jährig ausgebildeten Alten- und

Krankenpflegekräften, wie hoch ist der Bedarf an qualifizierten Pflegehel-fern, und wie können Angehörige und Laien sinnvoll und verantwor-tungsgerecht in eine professionelle Pflege einbezogen werden?

Page 13: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

12

• Welche Betriebsführungs- und Personalführungskonzepte sind vor allemfür ambulante Pflegeeinrichtungen, die jetzt nach Wirtschaftlichkeitskrite-rien arbeiten müssen, sinnvoll einzusetzen?

• Insbesondere: Welche veränderten Bewältigungsstrategien - für die Ver-

zahnung der eigenständigen Rolle der Pflege mit den übrigen Professio-nen - sind notwendig, damit unterqualifizierte Beschäftigungen, Leerläufe,Reibungsflächen, Ressourcenvergeudung usw. vermieden werden undsich neue Synergien im Zusammenwirken der Professionen entwickelnkönnen?

Dies sind nur einige Fragen, zu denen dringlich Pflegeforschung erfolgen

muß und Beratungsbedarf auf wissenschaftlicher Grundlage bei Einrichtungs-trägern und staatlichen Stellen besteht. Für die Beantwortung solcher Fragenbrauchen wir in Nordrhein-Westfalen dieses Institut für Pflegewissenschaftund Pflegeforschung: Es soll sich als am Diskurs interessiertes und an der Ko-operation orientiertes Forschungsinstitut verstehen, das neben Grundlagen-forschung gezielt auf anwendungsorientierte Forschung setzt.

Das Konzept dieses Instituts - getragen von der Gesellschaft zur Förderungder Pflegewissenschaft NRW e.V. - Pflegewissenschaft und Pflegeforschungals Gemeinschaftsaufgabe der Partner im Gesundheits- und Sozialwesen zuentwickeln, ist eine erfolgversprechende Grundlage für einen fruchtbarenTheorie-Praxis-Diskurs. Diese Trägerkonstruktion verspricht, davon bin ichfest überzeugt, eine innovative Entwicklung mit Blick auf die Universität undForschung generell, weil sie den Diskurs zwischen Wissenschaft und Praxisinstitutionalisiert. Sie verspricht aber zugleich ein Forum für alle an PflegeBeteiligten in Nordrhein-Westfalen zu werden, um gemeinsam den gesund-heitlichen und sozialen Strukturwandel mit wissenschaftlicher Grundlegungund Hilfestellung voranzutreiben. Gerade dieses besondere Konzept des Insti-tuts für Pflegewissenschaft hat die Landesregierung überzeugt. Sie wird des-halb die Grundausstattung des Instituts für Pflegewissenschaft institutionellfördern. Ich bin darüber hinaus guter Hoffnung, daß sich das Institut rechtschnell über die Grenzen unseres Landes bekannt machen wird und über dieGrundausstattung hinaus - durch die Einwirkung von Drittmitteln für Pflege-förderung - national und international an Bedeutung gewinnen wird.

Für das Land selbst wird die Fakultät für Gesundheitswissenschaften mit

diesem Institut wichtige Beratungsaufgaben im Zusammenhang mit den Mo-dellversuchen "Ortsnahe Koordinierung" und "Einrichtung regionaler Pflege-konferenzen" wahrnehmen, darüber hinaus auch gutachterlich - vor allem inder Ausbildungsforschung - nachgefragt werden. Gerade für diese Fragestel-lung hat es dem Land bisher an spezieller wissenschaftlicher Fachkompetenzgemangelt. Ich bin auch ganz sicher, daß die neu gegründete Pflegeversiche-rung zur Wahrnehmung ihrer neuen Verantwortung das Institut intensiv inAnspruch nehmen wird. Standortfunktion des Instituts für die Gesundheitsregion Ostwestfalen-Lippe

Für die Region Ostwestfalen-Lippe haben das Institut für Pflegewissen-schaft und die Fakultät für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bie-lefeld wichtige Standortwirkungen: Die Regionalkonferenz Ostwestfalen-Lip-

Page 14: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

13

pe hatte schon 1991 das mittelfristige Entwicklungskonzept für diese Regionbeschlossen, das insbesondere den Ausbau der wirtschaftlichen Aktivitäten inden Bereichen Freizeit, Gesundheit und Fremdenverkehr vorsieht. Die Lan-desregierung unterstützt die Region in ihrem Vorhaben, den Ausbau der Ge-sundheitsregion OWL als einen der ökonomischen Schwerpunkte der Regionvoranzutreiben. Die Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Gesund-heitsregion sind dabei günstig:

Mit den Heilbädern sowie den Kur- und Erholungsorten, den großen Ver-sorgungs-, Rehabilitations-, Behinderten- und Pflegeeinrichtungen von über-regionaler Bedeutung hat die Region auch in Zukunft eine gute Ausgangsba-sis. Hinzu kommt die weiterentwickelte Wissenschaftsinfrastruktur mit der Fa-kultät für Gesundheitswissenschaften an der Universität Bielefeld, dem PublicHealth Studiengang, dem Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheits-dienst und weiteren wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens. Auchzukünftig gilt es, das eigenständige Profil der Gesundheitsregion OWL zu ge-stalten. Dazu werden die Komponenten Wirtschaftszweig Gesundheitswesenund Dienstleistungsstruktur im Rahmen des Sozialstaatsauftrages als Einheitzu betrachten sein. Unter Mobilisierung aller Ressourcen• der Wirtschaftskraft,• der Besonderheiten der Kurorte,• der gesundheitswissenschaftlichen Kompetenz und neuer Medien wie der

Telematic können sich neue Kräfte in dieser Region entfalten und beispielhafte Zeichensowohl für den Wirtschaftszweig als auch für das Gesundheitswesen setzen.Diese Instrumente können für die Region Ostwestfalen-Lippe den Prozeß derVerzahnung und Vernetzung der Leistungssysteme im einzelnen anregen,unterstützen und koordinieren.

Auch die Pflegewissenschaft und Pflegeforschung können hier wichtigeUnterstützungsleistungen erbringen. Sei es bei• Kooperations- und Koordinationmodellen in der Altenhilfeplanung bei der

Umsetzung der Pflegeversicherung,• der Koordination von Gesundheitsförderungsangeboten in der Region,• der Qualifizierung und Qualitätssicherung in der psychiatrischen und

gerontopsychiatrischen Versorgung,• der Entwicklung und Durchführung von Weiterbildungsprogrammen für

Gesundheitsdienstleister,• der Entwicklung von Vernetzungsmodellen zwischen Akutbehandlung

und stationären bzw. ambulanten Rehabilitationsmaßnahmen,• als Motor der vor uns liegenden Qualifizierungsoffensive für zukunfts-

trächtige Berufe, vor allem auch für Gesundheitsberufe. Immerhin gehörtdas Gesundheitswesen zu den wenigen expandierenden Wirtschaftszwei-gen.

Die Rahmenbedingungen für die Entwicklung eines wissenschaftlichenZentrums für die Entwicklung von Pflege- und Gesundheitsforschung in derBundesrepublik und in Europa sind hier in Bielefeld besonders günstig. DieBeteiligten in der Region möchte ich deshalb besonders ermutigen, das Insti-tut für Pflegewissenschaft für entsprechende innovative Entwicklungen inAnspruch zu nehmen und als Kristallisationspunkt für Pflegeforschung imDienste der Gesundheit für die Bundesrepublik und international mit zu ge-stalten. Die Bundesregierung wird diese Entwicklung mit allem Nachdruck

Page 15: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

14

unterstützen und steht auch für die Vermittlung europäischer Kooperations-projekte gerne zur Verfügung.

Unterstützung dafür bieten auch der nordrhein-westfälische Forschungs-verbund Public Health (der Universitäten Bielefeld und Düsseldorf) und die imEuropäischen Public Health-Zentrum NRW zusammengeschlossenen Instituti-onen aus Wissenschaft/Praxis/Politik des Bereichs Public Health.

Derzeit steht Berücksichtigung des pflegewissenschaftlichen Aspektes imBereich der Gesundheitsforschung an und muß mit eben solcher Konsequenzund Unterstützung weiterverfolgt werden, wie wir es in den vergangenenJahren mit Public Health als Wissenschaftsdisziplin getan haben. Auch wenndie Etablierung und Finanzierung neuer Einrichtungen gerade in der heutigenZeit nicht einfach ist, möchte ich angesichts der breiten Unterstützung, diedie Gründung des Instituts für Pflegewissenschaft sowohl bei den Sozialversi-cherungs- als auch bei den Einrichtungsträgern, den Pflegeverbänden undden Hochschulen in Nordrhein-Westfalen, vor allem aber auch bei der Uni-versität Bielefeld erfahren hat, aus Überzeugung sagen, daß ich dem Institutfür Pflegewissenschaft eine gute Erfolgsprognose gebe. Es hat gute Chancen,die zentrale Pionierfunktion für die Entwicklung der Pflegewissenschaft in derBundesrepublik und als deutscher Kooperationspartner europäischer und in-ternationaler Forschungseinrichtungen wahrzunehmen. Diese Startchancewird genutzt werden, davon bin ich überzeugt. Und ich bin sicher, daß so-wohl das Land, als auch die im Trägerverein zusammengeschlossenen Mit-glieder gemeinsam die Profilierung dieser Einrichtung als eine Gemeinschafts-aufgabe vorantreiben werden.

Ich wünsche allen Akteuren im Trägerverein und im Institut sowie allenExperten, die sich heute Nachmittag zu einer ersten Tagung zusammenfin-den, viel Erfolg bei dem gemeinsamen Vorhaben, die Pflegewissenschaft unddie Pflegeforschung in der Bundesrepublik voranzubringen.

Page 16: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

15

Zur Entwicklung von Pflegewissenschaft und Pflegeforschung

Gertrud Hundenborn

Zum Stand der Entwicklung von Pflegewissenschaftund Pflegeforschung in Deutschland

Als die Robert-Bosch-Stiftung im Frühjahr 1992 ihre Denkschrift ,,Pflegebraucht Eliten” veröffentlichte, wurde nicht nur in dieser, sondern auch inanderen Veröffentlichungen der Stand der Entwicklung in Pflegewissenschaftund -forschung allgemein als defizitär angesehen. Hierbei wurde und wirddie Entwicklung in Deutschland insbesondere im Vergleich mit der Etablie-rung von Pflegewissenschaft und -forschung in den USA und in anderen eu-ropäischen Ländern beurteilt. Dieses Urteil fällten die Autoren der Denkschriftanhand folgender acht Kriterien, die für eine Synopse zur Institutionalisierungder Pflegewissenschaft und -forschung in acht europäischen Ländern heran-gezogen wurden. Hierzu zählten:1. Möglichkeiten des Regelstudiums2. Promotionsmöglichkeiten3. Wissenschaftliche Fortbildung4. Forschungseinrichtungen5. Forschungsförderung6. Wissenschaftliche Publikationen7. Wissenschaftliche Vereinigungen/Veranstaltungen8. Beitrag zur internationalen “scientific community”

Vor allem fehlende Studien- und Promotionsmöglichkeiten, fehlende wis-senschaftliche Fortbildung und fehlende Forschungseinrichtungen, nur in An-sätzen bzw. unzureichend vorhandene Forschungsförderung, wissenschaftli-che Publikationen, wissenschaftliche Vereinigungen/Veranstaltungen sowieBeiträge zur internationalen “scientific community” kennzeichneten damalsden Stand von Pflegewissenschaft und -forschung in Deutschland und ließensie im Vergleich mit 7 anderen europäischen Ländern schlecht abschneiden.Beurteilt man heute - nur 4 Jahre nach Veröffentlichung der Denkschrift -den Stand der Pflegewissenschaft und -forschung in Deutschland erneut an-hand der gleichen Kriterien, so lassen sich inzwischen zahlreiche Initiativenaufzeigen, die als Zeichen dafür angesehen werden können, daß in Deutsch-land eine als längst fällig angesehene Entwicklung nachgeholt wird. DieseEntwicklung soll beispielhaft anhand einiger Kriterien aufgezeigt werden:a) an der Einrichtung von Studiengängen für Pflegeb) an wissenschaftlichen Publikationenc) an Institutionen, deren erklärte Zielsetzung die Förderung von Pflegewis-

senschaft und -forschung ist.

a) Die Einrichtung von Studiengängen für PflegeNeueren Bestandsaufnahmen zufolge gibt es in Deutschland in den alten

und neuen Bundesländern insgesamt ca. 35 Angebote von Pflegestudiengän-gen, Studiengänge, die entweder bereits durchgeführt werden oder noch inder Planungsphase sind. Läßt man die bestehenden Studienmöglichkeiten in

Page 17: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

16

den neuen Bundesländern außen vor, so hat sich diese Entwicklung in den al-ten Bundesländern in einem zeitlichen Rahmen von nur ca. 5 Jahren vollzo-gen. Diese Studienangebote beziehen sich entweder auf Pflegemanagementoder Pflegepädagogik, oder es sind - wie beispielsweise schwerpunktmäßigin Hessen - generalistisch ausgerichtete Pflegestudiengänge. Die Absolventender letztgenannten Studiengänge sollen vor allem den Theorietransfer in diePraxis gewährleisten, u.a. im Rahmen von Qualitätssicherungsprogrammen,Organisations- und Vernetzungsfragen zwischen unterschiedlichen Pflegein-stitutionen. Pflegewissenschaft stellt in allen Studiengängen eines der Kernfä-cher bzw. das Kernfach dar. Diese Schwerpunktsetzung stellt natürlich zu-nächst nur die Bedeutung heraus, die dieser Disziplin beigemessen wird, oh-ne daß im einzelnen Gegenstand, Struktur und Methoden gleichermaßen klarwären bzw. klar sein könnten. So werden Lehrende und Studierende dieserStudiengänge vor allem in der Anfangsphase maßgeblich mit zur inhaltlichen,strukturellen und methodischen Bestimmung von Pflegewissenschaft und -forschung beitragen. Wünschenswert und notwendig wären bereits vor allemin dieser Phase eine intensive Kooperation und der wissenschaftliche Diskurszwischen den Hochschulen, die Pflegestudiengänge bereits anbieten bzw.planen.

Ein Blick auf das Ausland, z.B. auf die USA, zeigt, daß dort die Entwick-lung bei der Etablierung von Pflegewissenschaft und -forschung an denHochschulen vergleichbar war. Wie auch hier, hat sich in den USA die Aka-demisierung der Pflege zunächst über die Einrichtung von Studiengängen fürPflegemanagement und Pflegepädagogik vollzogen, bevor zeitlich deutlichversetzt originär pflegewissenschaftliche Studiengänge eingerichtet wurdenund sich die Pflegewissenschaft als eigene anerkannte Disziplin an den Hoch-schulen etablierte. Inhaltliche und konzeptionelle Fragen wurden auch dortmaßgeblich von Studierenden und Lehrenden dieser Studiengänge mitgestal-tet.

Betrachtet man diese Entwicklung insbesondere in NRW näher, so ist zu-nächst festzustellen, daß in NRW im Vergleich zu anderen Bundesländern dieöffentliche Debatte um die Etablierung von Pflegestudiengängen eher spätgeführt bzw. Pflegestudiengänge vergleichsweise spät eingerichtet wurden.Pflegestudiengänge wurden in Niedersachsen bereits seit 3 Jahren, in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz seit 2 Jahren angeboten, als in NRW zeit-gleich an zwei Standorten zum WS 94/95 die ersten Pflegemanagementstu-diengänge begannen: an der FH in Münster und an KFH NW, Abt. Köln. Dieweitere Entwicklung schritt dann allerdings sehr schnell voran: so gibt es mitt-lerweile weitere Studienangebote an der Ev. FH Rheinland-Westfalen-Lippein Bochum und ein erstes Studienangebot Pflegepädagogik an der KFH Kölnseit dem WS 95/96. Die Diskussion, ob die Fachhochschulen oder die Univer-sitäten auf Dauer der richtige Standort für die Studienrichtung Pflegepädago-gik sind, soll an dieser Stelle nicht geführt werden.

Mit der Absicht der Universität Herdecke, zum SS 96 den ersten Stu-diengang Pflegewissenschaft zu beginnen, nimmt Nordrhein-Westfalen mitder Einrichtung originär pflegewissenschaftlicher Studiengänge eine Vorrei-terstellung ein.

b) Wissenschaftliche Publikationen in der PflegeWurde noch 1992 in der Denkschrift der Robert-Bosch-Stiftung mit der

seit 1988 erscheinenden Zeitschrift “Pflege” lediglich eine wissenschaftliche

Page 18: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

17

Zeitschrift ausgewiesen, so ist heute bei einer Analyse der Zeitschriften fest-zustellen, daß die Anzahl der Beiträge, die Themen aus Pflegewissenschaftund -forschung behandeln, deutlich zugenommen hat. Aber auch die Anzahlanderer wissenschaftlicher Publikationen ist angestiegen. Noch Ende der 80erJahre waren kaum spezifische und systematische Publikationen zu pflegewis-senschaftlichen Fragestellungen und Themen im deutschsprachigen Raumvorhanden: als eines der ersten Beispiele sei hier die 1987 in deutschsprachi-ger Übersetzung erschienene Pflegetheorie ,,Die Elemente der Krankenpfle-ge” von N. Roper et al. erwähnt. Die Anzahl an Buchveröffentlichungen -insbesondere zu Pflegetheorien - ist in den letzten Jahren ebenfalls angestie-gen. An dieser Stelle soll nur darauf hingewiesen, nicht aber problematisiertwerden, daß die Konstituierung von Pflegewissenschaft und -forschung nichtauf der Basis einer unreflektierten Übernahme anglo-amerikanischer Theorienerfolgen kann, sondern eine kritische Überprüfung bzw. eigene Theorieent-wicklung dringend erforderlich ist.

Nicht unerwähnt bleiben sollen die in den letzten Jahren veröffentlichtenDissertations- und Übersichtsarbeiten zu pflegewissenschaftlichen bzw. fach-didaktischen oder bildungspolitischen Fragestellungen in der Pflege.

c) Die Einrichtung von Institutionen, die Pflegewissenschaftund -forschung gezielt fördernAuch wenn Pflegewissenschaft noch nicht als etabliertes wissen-

schaftliches Fach gilt und hiermit u. a. auch Nachteile bezüglich der Förde-rung entsprechender Studien im Ausland verbunden sind; auch wenn diePflegewissenschaft als Lehrfach im tertiären Bildungsbereich noch in den An-fängen steht, so gibt es in der Zwischenzeit doch eine Reihe - zum großenTeil privatrechtlicher - Initiativen, deren ausdrückliche Absicht die Förderungvon Pflegewissenschaft und -forschung ist. Die ersten Initiativen entstandenalso zu einer Zeit als noch keine gesellschaftlich dafür vorgesehenen For-schungsinstitutionen für die Pflegeforschung bereitstanden.

Erwähnt seien an dieser Stelle die Agnes-Karll-Stiftung für Pflegeforschungund das aus dieser Stiftung hervorgegangene Agnes-Karll-Institut für Pflege-forschung (DBfK). Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhangeines der ersten Forschungsprojekte im Kernbereich von Pflege, das zugleichals Gemeinschaftsaufgabe der Partner im Gesundheits- und Sozialwesen an-gesehen werden kann: die im Jahre 1991 abgeschlossene Studie Der Pflege-prozeß am Beispiel von Apoplexiekranken – Eine Studie zur Erfassung undEntwicklung ganzheitlich-rehabilitativer Prozeßpflege – die über die Dauervon drei Jahren vom Bundesministerium für Gesundheit gefördert und vonKrohwinkel vom Agnes-Karll-Institut für Pflegeforschung in Kooperation mitvielen Gruppen und Institutionen durchgeführt wurde. In Nordrhein-Westfa-len verdient die Arbeit der Projektgruppe zur Umsetzung der Empfehlungender 3. Landespflegekonferenz am Klinikum Leverkusen besondere Erwäh-nung, die mit maßgeblicher finanzieller Unterstützung durch das Ministeriumfür Arbeit, Gesundheit und Soziales über drei Jahre unter unterschiedlichenProjektschwerpunkten Maßnahmen der Reorganisation stationärer Kranken-pflege in 9 Modellkrankenhäusern initiierte, in der Durchführung begleiteteund evaluierte. Auch wenn dieses Projekt nicht den inneren Kernbereich vonPflegewissenschaft betraf, sind doch Fragen der Arbeitsorganisation vonmaßgeblicher Bedeutung.

Page 19: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

18

Nicht unerwähnt bleiben darf der Deutsche Verein zur Förderung vonPflegewissenschaft und -forschung, der 1989 als Initiative der Weiterbil-dungsinstitute gegründet wurde und sich mittlerweile in mehreren Sektionenmit unterschiedlichen pflegewissenschaftlichen Themen auseinandersetzt.

Die Robert-Bosch-Stiftung setzt sich mit einem umfangreichen Qualifizie-rungsprogramm seit einigen Jahren für die akademische Nachwuchsförde-rung im Pflegebereich ein. Im Rahmen dieses Programms haben in der Zwi-schenzeit eine Reihe von Pflegenden die Möglichkeit erhalten, Promotions-studien im In- oder Ausland zu absolvieren.

Mit der Einrichtung eines Instituts für Pflegewissenschaft an der Universi-tät Bielefeld wird in NRW ein weiterer wichtiger Meilenstein in der Entwick-lung von Pflegewissenschaft und -forschung gesetzt. Hiermit wird nicht nurein wichtiger Schritt getan, Pflegewissenschaft und -forschung im Hochschul-bereich zu etablieren. In der Zusammenarbeit zwischen privatrechtlichem Trä-gerverein, der Universität und dem Land wird dieses Anliegen als Gemein-schaftsaufgabe der Partner im Gesundheits- und Sozialwesen gesehen undrealisiert.

Die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit, die Entwicklung von Pflegewissen-schaft und -forschung als Gemeinschaftsaufgabe im Gesundheits- und Sozial-wesen zu sehen, soll im weiteren aus zwei Perspektiven beleuchtet werden:1. aus dem Verständnis der Pflegewissenschaft als eigenständiger interdiszi-

plinärer Handlungswissenschaft2. aus der Bedeutung von Pflege im institutionellen und gesellschaftlichen

Kontext.

1. Pflegewissenschaft als eigenständige und interdisziplinäreHandlungswissenschaft

Pflegewissenschaft als Handlungswissenschaft verfolgt u.a. das Anliegen,eine spezifische Praxis - die Pflegepraxis - wissenschaftlich zu bearbeiten. Siewill dazu beitragen - wie in der neuesten Denkschrift der Robert-Bosch-Stif-tung ausgeführt wird - “pflegerisches Erfahrungswissen begrifflich zu fassen,zu ordnen, zu überprüfen und weiterzugeben”, d.h. letztlich zu einer quanti-tativen und qualitativen Erweiterung des Wissens in der Pflege beitragen,und die Pflege, d.h. die Pflegehandlungen auch wissenschaftlich begründenund somit im Konsens der verschiedenen Handlungsbereiche ihr ihre Eigen-ständigkeit verleihen. Auch wenn maßgebliche inhaltliche, strukturelle undmethodische Klärungen von Pflegewissenschaft und -forschung noch ausste-hen, so zeichnet sich doch in den letzten Jahren ein Konsens über Kernberei-che und zentrale Bezugswissenschaften von Pflege und Pflegewissenschaftab.

Die lange Zeit vorherrschende einseitig naturwissenschaftliche Orientie-rung, in der die Medizin als einzige bzw. zentrale Bezugsdisziplin dominierte,scheint beendet. Die Gefahr, auf der Suche nach einer Neuorientierung inden Sozialwissenschaften einfach aufzugehen, scheint erkannt und gebannt.Als innerer Kernbereich von Pflege als einer auf das gefährdete oder krankeIndividuum ausgerichteten Dienstleistung des Helfens zeichnet sich in diesemProzeß der Konsensfindung die Interaktion und die Beziehung zwischen Pfle-gendem und Gepflegtem und seinen Bezugspersonen ab. Der Pflegeprozeßwird als Instrument verstanden, das diese Beziehung strukturiert und zugleich

Page 20: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

19

die Dienstleistungen anderer Professionen integriert. Pflegerische Handlun-gen sind also immer eingebettet in komplexe Interaktions- und Kommunika-tionszusammenhänge, wie auch Klemens in seinen Ausführungen zur Beson-derheit pflegerischer Interaktion in einem Beitrag über Schlüsselqualifikationim Gesundheitswesen betont. “Die Herrichtung des Krankenzimmers, dieDarreichung der Nahrung, das Durchführen von Körperübungen kann niegetrennt von der Befindlichkeit des Patienten und seiner Reflexion über dieseVorgänge ausgeführt werden.” Pflege-technische und interaktive Arbeit kön-nen damit im Handlungszusammenhang nur schwer bzw. überhaupt nichtvoneinander getrennt werden, insbesondere auch deshalb, weil beide For-men wesentlich über Körperkontakt und über die Sinne laufen und eine inter-subjektive Aktion sind. Diese Kontakte sind ihrerseits häufig mit notwendigenDistanzüberschreitungen bis in den Intimbereich hinein verbunden. Diese inder Pflege notwendigen und unvermeidbaren Distanzüberschreitungen, dieinsbesondere bei mangelnder oder als fehlerhaft empfundener Interaktionbeim Gepflegten das Gefühl verstärken, als Objekt behandelt zu werden, ver-deutlichen u.a. die ethische Relevanz von Entscheidungssituationen in derPflege.

Das Interesse, die pflegerische Interaktion als intersubjektive Beziehungprofessionell zu gestalten, teilt die Pflegewissenschaft mit den Sozialwissen-schaften - eine Zusammenarbeit kann sich hier für beide Seiten als berei-chernd darstellen. Für die über Körperkontakt und über die Sinne vermittelteInteraktion, die eine Besonderheit der pflegerischen Beziehung darstellt, lie-gen bislang erst wenige Erklärungsansätze vor, so daß hier u. a. noch einwichtiges Feld für die Pflegeforschung zu sehen ist. Krankheitsgeschehen, Artund Verlauf von Erkrankungen fordern nach wie vor das Tätigwerden profes-sionell Pflegender ein. Sie begründen es und stellen häufig einen zentralenAnlaß für professionelle Pflege dar. Ferner aber sind sie als wesentlicher Ein-flußfaktor auf die Gestaltung der pflegerischen Beziehung zu sehen.

Eine Pflegewissenschaft, die in der Konstituierung ihrer Disziplin die Medi-zin als wesentliche Bezugsdisziplin vernachlässigen bzw. negieren wollte,würde zentrale Fragestellungen unbeantwortet lassen müssen und damitprofessionell Pflegenden in unterschiedlichen Handlungsfeldern entscheiden-de Hilfen zur Strukturierung der Situation und zur Begründung von Pflege-handeln vorenthalten. Entstehung und Bedeutung von Gesundheit undKrankheit und ihre Folgen sind immer auch im gesellschaftlichen und institu-tionellen Kontext zu sehen. Hier ist ein gemeinsames Interesse mit den Ge-sundheitswissenschaften gegeben. Die bereits erwähnten oft notwendigenDistanzüberschreitungen in der Pflege, die damit verbundene Problematik,die Würde des Gepflegten zu wahren, ferner die Situationen, in denen einAushandeln von Zielsetzungen und Pflegehandlungen gefordert, aber vorallem aufgrund der besonderen Lage des Gepflegten nicht möglich ist, diedamit verbundene Notwendigkeit, für den Gepflegten stellvertretend handelnzu müssen, verdeutlichen nochmals die hohe ethische Relevanz von pflegeri-schen Entscheidungssituationen. Anthropologie und Ethik sind somit alsweitere zentrale Bezugsdisziplinen der Pflegewissenschaft anzusehen. Will diePflegewissenschaft jedoch der Gefahr des Eklektizismus entgehen, muß es ihrgelingen, ihren eigenen Bezugsrahmen, ihre eigenen Konzepte und spezifi-schen Fragestellungen zu entwickeln, zu deren Beantwortung die erwähntenBezugswissenschaften wertvolle Beiträge liefern können. Kooperation undAkzeptanz als Kooperationspartner setzen nicht nur im wissenschaftlichenKontext eigene Kompetenzen und eine eigene Standortbestimmung voraus.

Page 21: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

20

2. Zur Bedeutung von Pflege im institutionellen undgesellschaftlichen Kontext

Pflegesituationen mit dem inneren Kernbereich der Interaktion sind immerkontextuell eingebunden. Professionelle Pflege findet in Institutionen statt: inKrankenhäusern, Altenheimen und Pflegeheimen, in Behinderteneinrichtun-gen, in Rehabilitationseinrichtungen und in Familien. Diese Institutionen stel-len mit ihren spezifischen Zielsetzungen und Aufgaben, mit ihren personellen,finanziellen und organisatorischen Rahmenbedingungen wichtige Einflußfak-toren auf die Gestaltung pflegerischer Interaktion dar. Sie ermöglichen Pfle-gehandlungen oder fördern sie, sie begrenzen sie oder machen sie unmög-lich. Damit erfährt Pflege in den verschiedenen Handlungsfeldern auch unter-schiedliche Akzentuierungen. So wird Pflege einerseits in ihren Gestaltungs-möglichkeiten durch die jeweilige Institution beeinflußt, andererseits stelltPflege in diesem Kontext selbst eine gestaltende und mitbestimmende Größedar.

Trotz aller Spezialisierung, die auch vor den Pflegeberufen keinen Haltmacht, kommt der Pflege zum einen aufgrund kontinuierlicher Präsenz in derBeziehung zum Gepflegten, zum anderen aufgrund ihres Ansatzes: den Men-schen in seiner Ganzheit zu sehen und zu unterstützen, eine besondere Koor-dinierungs- und Steuerungsfunktion in der Integration der unterschiedlichenDienstleistungen innerhalb der Institution aber ebenso in der Vernetzung un-terschiedlicher Institutionen zu. Institutionen selbst müssen ihrerseits wieder-um im gesamtgesellschaftlichen Kontext und im Kontext oft unterschiedlicherund gleichzeitig zur Geltung kommender Normen- und Wertesysteme gese-hen werden. In der Art der Institutionen, in ihrem Umfang und in ihrer Aus-stattung - wie auch in der Relation zwischen High-Tech-Medizin und Pflege -kommt u. a. die Bedeutung zum Ausdruck, die eine Gesellschaft der Sorgeum die Gesundheit und das Leben ihrer Mitglieder beimißt. Alle Bemühungenum Lebenserhaltung und -verlängerung in der Medizin ziehen jedoch aucheinen höheren Bedarf an professioneller Pflege nach sich. Eine Gesellschaft,die “Ja” sagt zu den Errungenschaften einer Hochleistungsmedizin, mußauch “Ja” sagen zu den Konsequenzen eines erhöhten - oft lebenslangen -Bedarfs an professioneller Pflege in quantitativer und qualitativer Hinsicht.Eine stimmige Relation zwischen Hochleistungsmedizin und Pflege zu erzie-len, bedarf nicht nur einer hohen Fach-, sondern auch einer ebenso hohenethischen Entscheidungskompetenz.

Allerdings sind diese Entscheidungen - so wünschenswert eine umfassen-de Gesundheitssorge und -versorgung auch sein mag - immer vor dem Hin-tergrund begrenzt vorhandener Ressourcen zu treffen. Die Gesundheitssorgestellt zudem nur eine Sorge unter vielen dar, denen sich die Gesellschaft zu-wenden muß. Die Beantwortung der Frage, welchen Wert die Gesellschaftder Pflege beimißt, welche Ressourcen für Pflege zur Verfügung gestellt wer-den können und sollen, welche Gestaltungsmöglichkeiten damit der Pflegegegeben sind, kann nicht in gegenseitigen Schuldzuweisungen beantwortetwerden, sondern muß als Aushandlungsprozeß aller an Pflege mittelbar undunmittelbar beteiligten Partner im Gesundheits- und Sozialwesen verstandenwerden.

Mit der Einrichtung des Instituts für Pflegewissenschaft an der UniversitätBielefeld sind durch die besondere Konstruktion zwischen Land, Universitätund privatem Trägerverein, in dem maßgebliche von Pflege mittelbar und

Page 22: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

21

unmittelbar betroffene Institutionen und Personen vertreten sind, die Bedin-gungen geschaffen worden, die Entwicklung von Pflegewissenschaft und -forschung als Kooperationsprozeß der unterschiedlichen Partner im Gesund-heits- und Sozialwesen zu gestalten.

Literatur

Klemens, U. (1991): “Schlüsselqualifikationen” im Gesundheitswesen. In: Meifort, B.(Hrsg.): Schlüsselqualifikationen für gesundheits- und sozialpflegerische Berufe.Leuchtturm-Verlag

Robert-Bosch-Stiftung (1992): Pflege braucht Eliten – Denkschrift zur Hochschulaus-bildung für Lehr- und Leitungskräfte in der Pflege. Robert-Bosch-Stiftung; Blei-cher Verlag

Robert-Bosch-Stiftung (1996): Pflegewissenschaft – Grundlegung für Lehre, For-schung und Praxis. Robert-Bosch-Stiftung; Bleicher Verlag

Page 23: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

22

Page 24: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

23

Focal Points and Needs of Nursing-Researchin International Comparison

Mary Farrell

Introduction

Some years ago I received a letter from the World Health Organization. Itasked if I would go to India to initiate nursing research in the country. I stoodby my mailbox reading and re-reading the letter several times. I was totallybewildered. I wondered how on earth anyone could launch anything in acountry of 600 million people. But the challenge was too good to turn down.I accepted. I am sure that many individuals, organizations, universities, andministries of health in any country can identify with that feeling, including theFederal Republic of Germany. But launching a program in nursing/midwiferyresearch is like any other transformative exercise. It is complex, it must inter-vene at many levels and involve many groups. If change is to occur the re-straining factors must be overcome by the enabling factors. And leaders withcourage are critical to the process. Clearly, your leaders have taken the neces-sary step to bring this issue to the forefront of priorities for health.

A Blueprint for Action

One of the first steps one must take in the process of transformation is tocreate a plan for action, a map that outlines the specific requirements of suchan effort. This paper is a first attempt to establish a blueprint which examinesa rationale, vision, and issues related to context, content, personnel, and re-sources - the basic elements of any comprehensive program for nursing/midwifery research.

Rationale

It must be said at the outset that a country or a discipline that goes forthwith no agenda for research is committing folly. Some might argue that in ti-mes of severe financial constraints, nursing/midwifery research is a luxury.However, cost-effective models, including collaborative community modelsfor nursing research have been established in which university faculty andcommunity agencies work together to develop and foster their researchagenda (Kikuchi, 1994; Salsberry, Nickel, O’Connell, 1991). In my view, nocountry can avoid researching the practice of its nursing/midwifery communi-ty. A country that doesn’t know the results in terms of clinical and functionaloutcomes, patient satisfaction, and cost of its services, delivered by thou-sands of its workers simply has its head in the sand. And professional groupsthat fail to research their own practice are heading for extinction. The unex-amined life isn’t worth living, and the unexamined profession isn’t worthpracticing either.

Page 25: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

24

Context

Health care in general and nursing/midwifery in particular is undergoingthe greatest transformation since its first researcher, Florence Nightingale, be-gan her work (Rogers, 1989; Nuttall, 1983). The contributions of Juran(1992) and Ishikawa 1986), in Japan, Staehr-Johansen in Europe (1989), andBerwick (1989) in the United States launched continuous quality improve-ment (CQI) and quality of care development (QCD) and insisted that we mo-ve beyond Donabedian’s (1980) quality assurance paradigm to examine ourown practice, compare it with others and make it better. This process inclu-des benchmarking, and its use in health care is now being taught and usedthroughout eastern and central Europe as it is practiced in western Europe,Asia, and North America.

The almost universal use of management information systems (MIS) andmicrocomputers in every patient room and ministry of health has transformedthe context in which we work. Our recording, analysis, and use of data hastransformed us and our everyday activities. This process is now called workreengineering or work process redesign. Does this new context affect nursesand midwives? You bet it does. When researchers advise the government ofDenmark that their data strongly suggests that by giving dentists their owndata on performance that they can reduce dental fillings from a mean of 12to 2, and the cost of dental care for the country will be significantly reducedby the year 2000, and their total number of dentists can also be significantlyreduced, the effects on the practice of dentistry is transformed in a profoundway (Staehr-Johansen, 1993). The need for dental hygienists and educationalmaterials on prevention soars, and the admissions into schools change drasti-cally. This is the context or framework within which nursing research in Ger-many can make its mark.

Nursing, like dentistry, includes a patient, a provider, and a procedure.Patients are random in the system, and providers may change, albeit veryslowly. But the procedure, the intervention of one’s practice is the subject ofinquiry, the focus of interest for research. Historically, nursing/midwifery, likeother disciplines, studied the patient and the provider. Hundreds of studieshave been done world-wide on nurses - their characteristics, clothes, attitu-des, perceptions, etc., and many were conducted in the educational sector(Reilly, 1990). But the questions of interest are: What is the focus of inquirythat can change:• clinical and functional status• patient satisfaction• cost• organizational climate.

These are concerns that attend to outcomes. Covington and Collins(1994) suggest that the ”ritual-busting” influences in nursing/midwifery re-search provided a strong impetus to examine these outcomes of practice.They are the results needed by nurses midwives, patients, insurance compa-nies, ministries of health, and voters. If you can provide these answers, youbecome a key player in the context of health care in Europe.

The content or the ”what” of nursing research is as varied as the numberof researchers available. Every age group, every health/disease phenomenon,every setting has an application in research. Some countries periodically prio-

Page 26: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

25

ritize and fund key issues of national concern. Private donors fund researchon diseases of interest to them. Multinational corporations fund projects thatwill benefit their employees. Some ministries of health fund research that willreduce the misery index of large segments of its population or reduce thecost associated with a health condition.

The most desirable situation occurs when the researcher is free to choose.In a practice discipline like nursing/midwifery, the practitioner is the one whosees the patterns and trends that become the subject for research. The missi-on of a research institute is to foster the transformation process that combi-nes the best of care with the best of research. To do that one must value thepractitioners, listen to them and help them articulate what they are seeing.

Vision

Then what is our vision for nursing research in Germany? The commit-ment of any research is the search for truth. That is paramount. In nursing,that search may lead us to recognize that we didn’t make a difference in anoutcome or functional status or patient satisfaction or in cost. But the truth,nevertheless, is the aim of our collective efforts.

For nursing/midwifery the vision must include a critical mass committed toresearch. Some say it must be at least 5% of the discipline. I say that is justnot good enough. All nurses and midwives must research their own practice.Everyday. Every working day in a dynamic discipline must be a learning day,a research day. The CQI movement itself has transformed the way we viewresearch. The Pareto chart is no longer something for the esoteric professor innursing research. Staff in hospitals, health centers, and clinics turn these dia-grams into story boards for everyone to see and understand. In homes, chil-dren keep their own growth charts on their bedroom walls to chart their ownroad to health.

Our vision of nursing research goes beyond taking a course on the topic.The phenomenon of interest is research mindedness for all nursing/midwiferystudents in Germany. When I teach body temperature I don’t tell the stu-dents the normal range. They take 100 body temperatures, computes themean and standard deviation, and tell me what the average temperature isand how it varies in their sample of 100. They are empowered to do theirown research and by the time they graduate, they know how because it hasbecome an integral part of their thinking. It is an integral part in the curricu-lum and every teacher in the country practices it daily with his/her students.The nation’s research institutes provide the leadership, role models, mento-ring, and curriculum consultation to make that happen.

Many discoveries and inventions happen through serendipity. Goodyearspilled rubber on the fire and discovered that heat made rubber hard. Nowwe have Goodyear rubber tires for automobiles. Semmelweis observed thatthe women who died of fever were those who had been visited by medicalstudents who had left the autopsy rooms and did not wash their hands be-fore delivering their infants. Thus the understanding of puerperal fever. Sem-melweis didn’t have a government tell him what to study. He didn’t have abig grant from a multinational corporation. He saw patterns and trends in thebehavior of his students and patients. That keen sense of observations saved

Page 27: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

26

thousands of women’s lives. Currently, some argue that scores of studies arejust waiting for a researcher to study them, and that the discipline should fo-cus on the body of knowledge already accumulated (Cushing, 1994). Re-gardless of focus, the ability to see, the freedom to explore, and the capacityto analyse are qualities of research our vision must foster in order to identifythe content for inquiry.

Health Personnel

The vision for nursing/midwifery research in Germany encompasses atransformative process in which the discipline moves from passive to activeparticipant in the process. Nurses and midwives can no longer afford towatch others and be data collectors for others work. They must do their own.Many other countries have already moved to this level: Australia (Slater,1984), Canada (Stinson, Lamb, Thibaudeau, 1990), Finland (Lauri, 1990),Denmark (Lorensen, 1990), India (Farrell and Bhaduri, 1977, 78, 81), Israel(Bergman, 1992), Norway (Lerheim, 1990), Sweden (Hamrin, 1990) theUnited Kingdom (Leland, 1990), and the United States (Villarreal, 1991,Sharp, 1991), to name a just a few. The European Regional Office of theWorld Health Organization led a decade of nursing research efforts in Europethat culminated in, at the time, the largest international study on nursing care(Farrell, 1987). In this study, nursing did its own study on its own practice.

Individuals, groups, donors and other supporters need to hear from thenursing/midwifery community that they are doing the right thing in suppor-ting the discipline in its research agenda. Your leaders in your new instituti-ons and in the country need to learn the grant writing process, meet withfounders, talk to hospital and clinic administrators and staff, and newspapers,so when the researchers are ready, the settings will be there to receive themand the money for research support will be there to cover the costs for theirwork.

Like other disciplines, nursing research needs computers, hardware, soft-ware, and the expertise to use them. Researchers need statisticians, editors,and layout artists to work with them. The researchers don’t need to knoweverything. They can’t know everything. There are armies of people whomake their living in the industry of research - so give them work and invitethem to contribute to the process. A final group under the people categoryare the role models for young researchers. For most of us, a career in rese-arch was unknown. Being involved in a research study was more incidentalthan purposive. Today, a research career is a definitive choice when a mentorin one field is sought after and incremental steps are taken to produce theprincipal investigator as we know it today. This takes years and study undermentors both in and outside of nursing/midwifery. Although we did not en-joy this clearly defined process, we must support the young people whochoose this path. This means fellowships, mentors, and freedom from otherresponsibility. If you chair a department of nursing you must protect this per-son. If you are a director of nursing in a hospital, you must provide the re-sources and the emotional culture for the conduct of research. This moves usto our final point.

Page 28: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

27

Resources

A researcher and a research institute is not an advertising agency for quickfix solutions to the ills of humanity. One’s rescue fantasy will not be fulfilledin a research institute. This is an organization committed to a process thattakes months and years to realize. Supporting career researchers is like raisingan athlete. You attend every practice, appear at every sporting event, livethrough every failure, and wait years for the first complete performance.What you get from this process is well worth the wait. Because in health ca-re, people’s health improve, they function better, they are more satisfied withtheir care, and the costs for services decrease. For the athletes and theirmentors their lives are characterized by a continual process of change in acontinually transformed discipline, a daily life of innovation and reinvention,and a flourishing practice of nursing/midwifery proud to call itself a true pro-fessional discipline.

Summary, conclusion

This then is a thumbnail sketch of a blueprint for action. It considers thevision, context, content, people, and resources necessary to transform andinform the care giving practices of Germany’s most numerous health discipli-ne, nursing/midwifery. Investing in this discipline’s capacity for innovation,transformation, and inquiry is one move the country will find a very good in-vestment indeed. How will you know you succeeded? Because there will bechange. Change in: clinical and functional outcomes, patient satisfaction,cost, and organizational climate and, most importantly - an examined, pro-fessional life, well worth living.

References

Bergman R. (1992): Setting priorities in nursing research. Nursing RSA.Berwick, D.M. (1989): Health services research and quality of care. Assignment for

the 1990’s. Medical Care 27, 8, pp. 763-771.Continuous quality development (1993): A proposed national policy. National Board

of Health. Copenhagen.Covington, C./ Collins, J.E. (1994): Back to the future of women’s health and Peri-

natal nursing in the 21st century. Journal of Obstetric, Gynaecologic & Neona-tal Nursing 23, 2, pp. 183-194.

Donabedian, A. (1980): Explorations in quality assessment and monitoring Vol. 1.Health Administration Press. Michigan.

Farrell, M. ed. (1987): Nursing care: Summary of a European study. World HealthOrganization. Copenhagen.

Farrell, M. ed. (1987): People’s needs for nursing care: A European study. EuropeanRegional Office, World Health Organization. Copenhagen.

Farrell, M./ Bhaduri, A. (1977): What needs to be researched? The Nursing Journal ofIndia. LXVIII 5, pp. 133-134.

Farrell, M./ Bhaduri, A. (1978): Three approaches to research. The Nursing Journal ofIndia. LXVIII 10, pp. 245-246.

Goodman, C. (1992): Nursing research in the US today: trends, priorities, and areasfor improvement. Swedish Medical Research Council.

Hamrin, E.K.F. (1990): Nursing research in Sweden. International Journal of NursingStudies. 27, 2, pp. 149-57.

Page 29: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

28

Ishikawa, M. (1986): ”Research program on the product X through seven manage-ment tools for QC”. Reports of statistical application research 33, 2 (JapaneseUnion of Scientists and Engineers, Tokyo), pp. 43-52.

Juran, J.M. (1992): Juran on quality by design. The Free Press. N.Y.Kikuchi, J. (1994): Institute for philosophical nursing research. Canadian Journal of

Nursing. Research 26, 2, pp. 91-93.Lauri, S. (1990): The history of nursing research in Finland. International Journal of

Nursing Studies 27, 2, pp. 169-73.Leland, S.R./ Clark, M. (1990): Research resource development in the United

Kingdom. International Journal of Nursing Studies 27, 2, pp. 123-38.Lerheim, K. (1990): Nursing research developments in Norway. International Journal

of Nursing Studies 27, 2, pp. 139-47.Lorensen, M.(1990): Research resource development in Denmark. International Jour-

nal of Nursing Studies 27, 2, pp. 159-168.Nuttall, P. (1983): The passionate statistician: Florence Nightingale. Nursing Times

79, 39, pp. 25-7.Reilly, D.E. (1990): Research in nursing education: Yesterday, today, tomorrow. Nur-

sing & Health Care 11, 3, pp. 138-143.Rogers, B. (o.J): Florence Nightingales and research: the historical link. AAOHN Jour-

nal 37, 6, pp. 238-9.Salsberry, P.J./ Nickel, J.T./ O’Connell, M. (1991): AIDS Research in the community:

A case study in collaboration between researchers and clinicians. Public HealthNursing 8, 3, pp. 201-7.

Sharp, N. (1991): $40 million for nursing research: is it enough? Nursing Manage-ment. 22, 2, pp. 22-23.

Slater, P. (1984): The past and future of nursing research in Australia. AustralianJournal of Advanced Nursing 1, 2, pp. 43-54.

Staehr-Johansen, K.S. (1989): Health care technology and quality around the world.Hospital Management International Yearbook, pp. 72-5.

Stinson, S.M./ Lamb, M./ Thibaudeau, M. (o.J.): Nursing research: The Canadianscene. International Journal of Nursing Studies 27, 2, pp. 105-22.

Villarreal, P. (1991): Everything you wanted to know about the National Center forNursing Research but didn’t know you should ask. Neonatal Network: Journalof Neonatal Nursing 9, 6, pp. 63-64.

Page 30: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

29

Standortbestimmung von Pflegewissenschaft undPflegeforschung im deutschsprachigen Raum unterBerücksichtigung der internationalen Entwicklung

Silvia Käppeli

Ich habe mich gefreut, dieses Thema zu bearbeiten, hatte ich doch auf-grund meiner eigenen Berufserfahrung in verschiedenen Ländern den Ein-druck, ungefähr zu wissen, wer wo steht bezüglich Pflegewissenschaft. Alsich dann begann, mich systematisch damit auseinanderzusetzen, merkte ich,daß meine Erfahrungen nicht immer mit der Dokumentation in Fachzeitschrif-ten übereinstimmten. So beschloß ich, meine heutigen Ausführungen aufzwei Beine zu stellen, nämlich auf ein offizielles, auf veröffentlichtes Material,und auf ein inoffizielles, auf meinen Erfahrungen stehendes. Welches davonwahrer oder richtiger ist, könnte Anlaß geben zu Diskussionen, wie sie inpflegewissenschaftlichen Kreisen nicht selten sind: Wie verhalten sich harteDaten zur Erfahrung, der empirische Forschungsansatz zum phänomenologi-schen?

Mein Zugang zu Zeitschriften oder Büchern und anderem Material wardabei gleichermaßen systematisch, zufällig und selektiv, wie meine Erfahrun-gen. Aber auch Veröffentlichtes entstand aus ähnlich subjektiven Perspekti-ven, soweit es sich dabei nicht um Dokumentationen von Reglementierungenund Gesetzgebungen handelt. In einer Standortbestimmung - von der hiergeforderten Kürze - kann es sowieso nur darum gehen, Tendenzen, High-lights oder Tiefpunkte und in jedem Fall nichts Abschließendes festzustellen.Seit ich einmal als Assistentin eines Teams von Glaziologen ein paar Wochenauf dem Jungfraujoch beim Gletschervermessen half, weiß ich, in welchemMaße Standortbestimmungen vom eigenen Standort abhängig sind und daßRelativitäten nur durch sorgfältige Triangulation korrigiert werden können.Darauf mußte ich im Zusammenhang mit meiner heutigen Aufgabe verzich-ten.

Sowohl bezüglich des deutschsprachigen Raums wie des internationalenVergleichs bestand die Frage, welche Variablen vergleiche ich? Vergleich im-pliziert einen synchronischen Ansatz, d.h. einen Vergleich der Standorteheute, kann aber auch diachronisch, einen Vergleich der historischen Ent-wicklung bedeuten, so daß ich z.B. frage, was die Pflegewissenschaft in ver-schiedenen Ländern schon erschaffen und geschafft hat? In diesem Zusam-menhang fällt mein Blick unwillkürlich auf den Entwicklungsstand der Pfle-gewissenschaft in den USA. Fast alles, was Pflegewissenschaft bisher hervor-brachte, kam aus den USA in die deutschsprachigen Länder. Im Zusammen-hang mit der Pflegewissenschaft natürlich, die Akademisierung der Aus- undWeiterbildung in der Pflege. Aber ist Akademisierung automatisch mit Fort-schritt, mit einem hohen Stand der Pflegewissenschaft oder sogar der Quali-tät der Pflegepraxis gleichzusetzen? Wenn dies für die USA so wäre, stimmtdies auch für uns? Solche Annahmen und Bewertungen prägen zum vorn-herein das Ergebnis einer Beurteilung des Standortes und sollten mit Vorsichtgehandhabt werden. Für die heutige Veranstaltung beschloß ich nun, dieSituation der Pflegewissenschaft im Rahmen ihrer Geschichte aufgrund aus-gewählter Kriterien eher beschreibend als bewertend vorzunehmen.

Page 31: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

30

1. Unser amerikanisches pflegewissenschafliches Erbe

1.1 Abschnitte und Marksteine auf dem Weg der Geschichte derPflegetheorie und -forschung in den USA

Das explizite Benennen von Theorien in der Pflege begann in den 50erJahren in Nordamerika, wo Hildegard Peplau (1952) den pflegetheoretischenDiskurs eröffnete. Diese ersten Formulierungen entstanden, als es galt, Pflegeund ihre Ziele zu curricularen Zwecken zu definieren, um zu vermeiden, daßdie Pflegeausbildung ausschließlich auf das bio-medizinische Modell gestütztwurde. Die Frage nach dem Wesen von spezifischem Fachwissen in der Pfle-ge schloß sich der Frage nach dem Wesen der Pflege an. Mit ihr verbundenwar immer die Suche nach der beruflichen Identität und Bedeutung.

Vom heutigen Standpunkt erscheinen verschiedene Wege, die die Ent-wicklung der Pflegewissenschaft in den USA durchgemacht hat, als Irrwegeund Umwege, aber sie haben schließlich den Blick der Pflegewissenschaftle-rinnen geschärft, ihre Gedanken geklärt und die amerikanische Krankenpfle-ge an ihren heutigen Standort gebracht (Meleis, A. (1985). Meleis teilt dieGeschichte der Pflegetheorie in vier Stadien ein:

a) Das praktische StadiumIn diesem Stadium ergab sich Pflege direkt aus den vor allem physischen

Bedürfnissen von Kranken oder Verwundeten. Die Pflegetätigkeit gab derPraxis ihre Daseinsberechtigung. Die Pflege konzentrierte sich auf Hygieneund die Gestaltung der Umgebung der Kranken, auf Grund- und Behand-lungspflege.

b) Das Stadium der Ausbildung und AdministrationIn dieser Zeit ging die praktische Dienstleistung einher mit Lehre und Ver-

waltungstätigkeit. Dem 'Wie-Machen'' folgten curriculare Überlegungen undca. 30 Jahre experimentieren mit der Ausbildung von Pflegenden in Schwe-sternschulen. Diese Ausbildungen wurden um Ideen von funktionellen Rollenvon Krankenschwestern herum konzipiert.

c) Das ForschungsstadiumDieses bezog sich auf die Beforschung von Ausbildung und Administration

der Pflege. Mitte der 60er Jahre wurde das Western Council for HigherEducation in Nursing eröffnet, denn es gab mittlerweile mehrere Ausbildun-gen im tertiären Bildungsbereich oder — anders gesagt — Studiengänge. DasCouncil stand für die Verbesserung der Ausbildung, der Forschungstätigkeitund der Pflegequalität. Damals wurden Kriterien für die Begutachtung vonwissenschaftlichen Publikationen in der Pflege entwickelt. Universitäten be-gannen, die wissenschaftliche Tätigkeit der Pflegefakultätsmitglieder densel-ben Maßstäben zu unterziehen, wie die Tätigkeit der Mitarbeiter anderer Fa-kultäten. Pflegeforschung mußte den gleichen Standards genügen wie For-schung anderer Disziplinen. Objektive Kriterien für die Evaluation von For-schung erlaubten von nun an, diese zu verfeinern und zu entwickeln (Leinin-ger, M. 1968). Gemäß Meleis war das Stadium der Forschungsentwicklungentscheidend für die heutige Pflegewissenschaft. Zu jener Zeit begann dieEntwicklung der wissenschaftlichen Syntax. Es gab jedoch noch keine Orga-nisationsstruktur für den Inhalt der Forschung.

Page 32: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

31

d) Das Stadium der PflegetheorieDie Unzufriedenheit mit unzusammenhängenden Forschungsresultaten

drängte zur Entwicklung von konzeptionellen Rahmen. Führende Pflegewis-senschaftlerinnen begannen zu proklamieren, daß die Pflegepraxis von Fach-theorie geleitet werden sollte und zu beschreiben, wie diese zu konzipierensei. In dieser Zeit führten intensivste Dispute zur Übereinkunft, daß Pflegenicht nur ein Kapitel der Medizin oder Biologie sein darf, daß sie sich über-haupt nicht nur mit einem Aspekt des Menschen auseinandersetzen kann.Der Anfang des Stadiums der Theorieentwicklung war dann geprägt von:• der Verwendung externer Paradigmen, um die Theorieentwicklung in der

Pflege zu leiten;• der Ungewißheit bezüglich der Phänomene, welche der Pflegedisziplin

angehörten;• einzelnen und voneinander unabhängigen Pflegetheorien;• der Trennung von Forschungs-Praxis und -Theorie;• der Suche nach konzeptioneller Kohärenz;• das Ziel eines einzigen Paradigmas für die Pflege herrschte vor

(Meleis, A. 1985). Diese Suche nach einer universalen Pflegetheorie, welche ein für allemal

die ganze Pflege erklären würde, erinnert an Galilei’s und Descartes’ An-spruch, eine wahre Struktur der Welt zu finden. Die Praktiker blieben solchenUnterfangen gegenüber kritisch, und die magere Literatur zur Anwendungvon Theorie und Praxis durch die 60er und 70er Jahren hindurch mag Aus-druck dafür sein. Das schließliche Aufgeben dieser Illusion einer einzigen um-fassenden Theorie scheint ein Zeichen von beruflicher Reifung und nicht vonResignation zu sein.

Für einige Zeit dauerten sowohl das Bedürfnis, Pflege wissenschaftlich zu

erklären, als auch die Ungewißheit bezüglich der Ziele dieses Unterfangensan. Die Entwicklung der ersten Pflegetheorien ermöglichte jedoch ein präli-minares Erkennen des empirischen Umfanges der Pflege. Sie halfen der Diszi-plin, ihre Phänomene und Probleme zu erkennen. Sie wurden jedoch vorerstkaum von der Praxis, sondern ausschließlich von den Ausbildungsstätten zucurricularen Zwecken verwendet. Ob und wie diese Modelle die Praxis wirk-lich beeinflußten, bleibt – mit wenigen Ausnahmen – bis heute Spekulation.Während dieser Phase der Entwicklung blieb die Frage, was für einen Grund-prozeß Pflege darstellt und welches ihre Analyseeinheiten sind, bestehen.

Die Geschichte der Pflegetheorie kann folgendermaßen gegliedert wer-

den:

• 1955 bis 1960 war die Zeit der bedürfnisorientierten Theorien Diese ersten Pflegetheorien kamen von den Absolventinnen des Teachers’

College der Columbia University, welche das erste akademische Programmfür Pflegepädagogik und Management Anfang der 50er Jahre offerierte. Zudiesen Absolventinnen gehörten Peplau, Henderson, Hall, Abdellah, King,Wiedenbach und Rogers. Es waren vor allem Peplau und Henderson, die da-rauf bestanden, daß Pflege einen spezifischen und einzigartigen Auftrag hatund dieser eine bestimmte Ordnung und Organisation, welche formuliertund kommuniziert werden kann. Sie formulierten damit den Anfang allerPflegetheorien im engeren Sinne. 1959 begann Johnson das Wesen der Pfle-gewissenschaft zu analysieren. Damit lenkte sie die Aufmerksamkeit auf dasPotential von Pflege als wissenschaftliche Disziplin. Ende 1950 erfolgte dann

Page 33: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

32

die Gründung des Nursing Research Fellowship Programs, um die Forschungfinanziell zu unterstützen und um Forschungskarrieren zu ermutigen.

• 1961 bis 1965 wurde Theorieformulierung zum nationalen Ziel der

Pflege erhoben Das Positionspapier der ANA 1965 hielt fest, daß eines der wichtigsten

Ziele die Theorieentwicklung in der Pflege ist. Die Pflege begann, Kranke alsIndividuen mit Bedürfnissen zu erkennen und Pflege selbst als einzigartigeFunktion zu konzipieren. Dies war immer noch ein reduktionistisches Kon-zept, aber besser als dasjenige, das Kranke als Krankheit oder Operationidentifizierte. Alsbald erfolgte eine Konzepterweiterung im Bereich der zwi-schenmenschlichen Beziehung, und erst dadurch wurde der Patient zum mit-entscheidenden Faktor in seiner Pflege. Pflege wurde nun als Prozeß konzi-piert statt als Ziel, als Interaktion statt als Inhalt und als Beziehung zwischenzwei Menschen statt zwischen Rollen.

Zur selben Zeit gab es staatliche Gelder für Pflegende, die in einer anderen

Disziplin promovieren wollten. Dies waren die Frauen, welche in den 70erJahren neue, eben durch ihre Disziplin geprägte Pflegetheorien weiterentwik-kelten (z.B. Levine, Rogers, Orem).

• 1966 bis 1970 erfolgte die Zeit der Theoriediskussion

Das erste Pflegesymposium fand 1967 statt. Die damaligen Wissenschaft-lerinnen diskutierten Theorie, und die wissenschaftliche Zeitschrift (NursingResearch, ab 1953) gewichtete die Bedeutung dieser Diskussion durch ihrePublikation. Dickoff und James, zwei Philosophen, anerkannten in Zusam-menarbeit mit einer Krankenschwester (Wiedenbach), daß Theorie für diePflegepraxis von Bedeutung ist und daß Praxis theoretisch und wissenschaft-lich erschlossen werden kann (Dickoft, J./James, P./Wiedenbach, E. 1968).Ihre Publikation beschleunigte Veröffentlichungen zum Thema Theoriebil-dung (Meleis, A. 1985). Fragen dieser Zeit befaßten sich mit Arten von Theo-rie und weniger mit Inhalten. Eine wesentliche Erkenntnis dieser Zeit war u.a.,daß präskriptive Praxistheorie (Handlungstheorie) das Ziel der Theorieent-wicklung sein sollte.

• 1971 bis 1975 war geprägt durch den Aufbau der Syntax für Pflegetheo-

rie Der Schwerpunkt dieser Entwicklungsphase lag nun auf den Komponen-

ten der Theorie und auf der Theorieanalyse und Kritik. Ob Pflegetheorienotwendig war, war keine Frage mehr, aber was war gemeint mit Pflege-theorie? “Schools of Nursing” wurden zugleich verpflichtet, auf Theorie ab-gestützte Curricula zu entwickeln, um akkreditiert zu werden. Dies wiederumförderte die theoriebezogenen Publikationen.

• 1976 bis 1980 folgte eine Zeit der Reflexion und Anwendung

Das Bestreben der intensiven Diskussion war, bestehende Theorien anzu-wenden und neue zu entwickeln, Phänomene zu beschreiben und Zusam-menhänge vorauszusagen. Die Zeitschrift Advances in Nursing Science sowieviele Bücher zur Anwendung von Theorie wurden auf den Markt gebracht(Chinn, P. 1987). Nun wurde die Beziehung zwischen Theorie, Forschung,Praxis und Philosophie diskutiert (Stevens, B. 1979).

Page 34: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

33

• 1981 bis 1985 kann als Zeit der Theoriewiederbelebung bezeichnetwerden.Es wurden Konzeptionen für verschiedene Bereiche der Pflege publiziert.

Die 80er Jahre waren geprägt durch die Akzeptanz der Bedeutung vonTheorie für die Pflege und durch die Unvermeidbarkeit der Entwicklung vonweiterer Pflegetheorie für Teilbereiche der Pflege-Praxis. Doktorandenpro-gramme, die seit mehreren Jahren bestanden, machten dies zu ihrem Kern-stück.

Das methodologische Wissen wurde verwendet, um Theorie zu analysie-ren (Fawcett, J. 1984). Dies führte zu größerer Klarheit zwischen Theorie,Praxis und Forschung (die bis heute bleibende Verwirrung dieser Periodebetrifft die Semantik der Pflegewissenschaft). Ein weiterer bemerkenswerterMarkstein der 80er Jahre (allerdings auch erst ca. 30 Jahre nach Beginn derTheoriebewegung) bestand in der Entwicklung von Strukturen, wie 1985dem National Center für Nursing Research am National Institute of Health,welches 1991 zu einem eigenständigen National Institute for Nursing Rese-arch aufgewertet wurde (Robert-Bosch-Stiftung 1996).

Das Fazit dieser Geschichte der Pflegetheorie besteht u.a. in:1. der Annahme der Komplexität der Pflege und des unvermeidlichen Be-

darfs mehrerer theoretischer Paradigmen zu ihrer Erklärung2. der Auffassung, daß Konzepte und Theorien durch einen kumulativen

Effekt zu einem sogenannten 'body of nursing knowledge' werden soll-ten.

Soviel zum pflegewissenschaftlichen amerikanischen Erbe. Wenn ich ihmhier relativ viel Raum gewidmet habe, ist es deshalb, weil ich es als eindrückli-ches Werk betrachte und weil es unsere Entwicklung der Pflegewissenschaftin nicht zu unterschätzender Art prägt — sei es durch die Literatur oder durchdie berufliche Bildung. Unser beruflicher Standort bezieht sich auf den ameri-kanischen, auch wenn wir im deutschsprachigen Raum eine berufliche Identi-tät haben, die sich zwar mit jener vergleichen, sich aber nicht ausschließlichdurch jene definieren läßt.

Ein Unterschied besteht allerdings darin, daß wir die Pflegewissenschaftkaum betrachten, ohne meist gleichzeitig deren Nutzen für die Praxis im Au-ge zu behalten. Wir haben (und dies ist ein weiterer wichtiger Aspekt unseresStandortes) unsere vor allem deutsch, österreichisch und schweizerisch ge-prägte Pflegepraxis und andere Identifikationsfiguren, aber wir haben heuteeine wesentlich weniger ausschließlich durch den europäischen Kulturraumgeprägte Pflegewissenschaft. Eine Errungenschaft unserer eigenen pflegewis-senschaftlichen Erkenntnisse besteht in unserer Analyse, Kritik und Modifika-tion amerikanischer Pflegetheorien und Forschungsschwerpunkte, des me-thodologischen Vorgehens und der Resultate. Diese Erkenntnis ist vielleichteines der wichtigsten Merkmale unseres pflegewissenschaftlichen Standortes.Meines Erachtens ist dies ein reifer, wichtiger und nötiger Beitrag, sowohl fürdie Entwicklung der Pflegewissenschaft in Europa als auch für die USA. Diesist zu betonen, obwohl unsere Kritik von unseren Kolleginnen jenseits desAtlantiks kaum zur Kenntnis genommen oder als Unverständnis, Widerstandoder Unreife abqualifiziert wird. Das letzere wird erneut sichtbar in interna-tionalen Diskussionen um das Thema Pflegediagnosen. Eine ähnliche Kolo-nialisierung erlebte Europa bereits in den 70er Jahren im Zusammenhang mitder Einführung des Pflegeprozesses.

Page 35: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

34

Mir scheint es unabdingbar, daß wir uns mit unserem pflegewissenschaftli-chen Erbe und der wissenschaftlichen Elite kritisch auseinandersetzen, ohneuns notgedrungen auf dem geschichtlichen Kontinuum der amerikanischenKrankenpflege lokalisieren zu wollen. Viel entscheidender ist, daß wir aus je-ner Geschichte (wie aus der eigenen) lernen und z.B. nicht alle US-Irrtümerreplizieren, bevor wir uns auf unseren eigenen Pfad begeben. Die Kunst derPflegewissenschaft als angewandter Disziplin besteht ja letztlich auch darin,zu erkennen, welche theoretischen und welche Forschungsansätze im Diensteder Optimierung der Pflegepraxis in unserem Kulturraum gebraucht werden.Pflegewissenschaft agiert nicht im gesellschaftslosen Raum. Es ist auch nichtnötig, daß wir die Kluft zwischen dem Berufsstand, den praktizierenden Pfle-genden und seiner wissenschaftlichen Vertretung, den in Lehre und For-schung Tätigen, im amerikanischen Stil vergrößern. Forschungsergebnisseund Theorien müssen in der Praxis greifen. Was für die Schule stimmt,scheint auf die Pflege übertragbar zu sein: nicht jede Reform verbessert ihreQualität.

2. Entwicklungen im deutschsprachigen Raum

In allen europäischen Ländern sind seit der Jahrhundertwende periodischeNeureglementierungen der Krankenpflegegrundausbildungen erlassen wor-den.1 Im Zuge solcher Revisionen vergrößerte sich der theoretische Anteil derAusbildung kontinuierlich. Inhaltlich fand in diesem Verlauf eine tendenzmä-ßige Umorientierung vom bio-medizinischen zum sozial-medizinischen Pfle-gemodell statt, das letztere eher als Ideologie und Forderung denn als prak-tisch gelebte Auffassung. Innerhalb der theoretischen Ausbildung beginntsich seit einigen Jahren der Anteil von Pflegefachwissen auszudehnen, ob-wohl die naturwissenschaftlichen Fächer nach wie vor die Oberhand behal-ten. Im Zusammenhang mit der Aufwertung des theoretischen Unterrichtsgelang der Krankenpflege eine Angleichung an andere Berufsausbildungen,und damit verbunden zeichnet sich eine Veränderung der gesellschaftlichenBewertung der Pflegeberufe ab. Im Zusammenhang mit der Orientierung anPflegemodellen und der Vergrößerung des spezifischen Fachwissens muß derFachunterricht von Fachkräften vorgenommen werden. Dies ist aber im Be-reich der Fort- und Weiterbildung nur möglich, wenn Pflegewissenschaft ineinem Land als Lehre existiert.

Ich will hier nicht weiter von den Grundausbildungen sprechen. Ihre Struk-tur und Gestaltung beeinflussen aber natürlich die Fortsetzung im akademi-schen Bereich sowie sich auch die akademischen Möglichkeiten des Lehrper-sonals schließlich wieder auf die Grundausbildung auswirken. Eine Standort-bestimmung der Pflegewissenschaft müßte das Maß an inner- und zwischen-betrieblicher Dynamik und Transparenz zwischen den Bereichen Ausbildung-Weiterbildung bzw. zwischen Lehre, Forschung und Praxis als Kriterium ein-schließen. Dies scheint mir 1996 verfrüht. Insbesondere weil in den deutsch-sprachigen Ländern die Pflegegrundausbildungen noch mehrheitlich im tradi-tionellen Stil, d.h. weitgehend als ausgesprochen praktischen Beruf mit star-

1 Europäisches Übereinkommen über die theoretische und praktische Ausbildung von Krankenschwestern

und Krankenpflegern vom 25. Oktober 1967. /Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- undVerwaltungsvorschriften für die Tätigkeit der Krankenschwester und des Krankenpflegers, die für die all-gemeine Pflege verantwortlich sind vorn 27. Juni 1977 (88/453/EWG).

Page 36: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

35

ker Prägung durch die Medizin und durch die Institutionen verwirklicht wirdund daß die Möglichkeit eines akademischen Oberbaus teilweise noch kaumbekannt oder nicht einmal erwünscht ist, geschweige denn einen selbstver-ständlichen und als notwendig erachteten Bestandteil des Berufes oder derKarriere einer Pflegeperson darstellt.

In Deutschland wie in der Schweiz hat sich die Pflegeausbildung bisher au-ßerhalb der normalen Strukturen des Berufsausbildungssystems entwickelt.Sie wird durch verschiedenste Träger reglementiert und auf verschiedensteWeise finanziert. Dasselbe gilt für die Fort- und Weiterbildung bzw. die Aus-bildung zum Berufsschullehrer für Pflege, für das Pflegemanagement und fürdie Pflegeexperten. Erst durch die Etablierung der Pflegewissenschaft im terti-ären Bildungsbereich tritt ein Teil der Berufsbildung ins etablierte Bildungssy-stem ein. Im jetzigen Moment geschieht dies in Deutschland so, daß Studi-engänge im Hochschulbereich in fast beängstigendem Tempo aus dem Bo-den schießen.

2.1 Entwicklungen der Pflegewissenschaft in Deutschland

In Deutschland begannen die ersten Bestrebungen, Pflegewissenschaft zuetablieren, nach dem 2. Weltkrieg in Heidelberg. Dieser und andere Versu-che, wie zuletzt derjenige an der Freien Universität Berlin (1981), blieben 30Jahre erfolglos. Die Entwicklungen in der DDR verliefen etwas anders, vor al-lem mit starker entweder pädagogisch-didaktischer oder medizin-naturwis-senschaftlicher Prägung.

Einzelne Pflegepersonen, die an anglo-amerikanischen Universitäten Pfle-ge studierten, unternahmen seit Beginn der 80er Jahre einen neuen Anlauf,Pflegewissenschaft auch im deutschsprachigen Raum zu etablieren. DieseVorstöße geschahen vor allem über die Konation von Kolleginnen, über Fort-bildungsveranstaltungen oder Forschungsprojekte, die zum Teil gegen erheb-lichen Widerstand realisiert werden mußten. Trotzdem gab es Stiftungen, In-stitutionen, die die Durchführung oder Finanzierung solcher Unternehmenunterstützten und der Pflegewissenschaft in Deutschland schließlich zumDurchbruch verhalfen. Eine sehr empfehlenswerte und informative Quelledazu stellt die Denkschrift der Robert Bosch Stiftung dar.

2.2 Entwicklungen in der Schweiz

Grundsätzlich verliefen die Entwicklungen in der Schweiz ähnlich. Seit1979 tröpfeln auch Schweizerinnen zu Studienzwecken ins Ausland und keh-ren trotz allem wieder zurück, um die ,Pflegelandschaft’ der Schweiz zu ver-ändern. Wir sind seit einigen Jahren vier in Pflege promovierte Kranken-schwestern; es gibt eine Handvoll Kolleginnen und Kollegen mit einem Ma-ster in Nursing, und einige befinden sich derzeit in den USA oder in Großbri-tannien im Studium.

Seit den späten 70er Jahren besteht eine Forschungskommission beim Be-rufsverband. Seit 1982 existieren Höhere Fachausbildungen in Pflege (StufeI), in denen Pflegekonzepte unterrichtet werden, seit 1984 wird Pflegefor-schung in den Ausbildungsgängen für Berufsschullehrer und für das Pflege-management unterrichtet. 1987 begann die erste Höhere Fachausbildung in

Page 37: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

36

Pflege (Stufe II), die eine Nachbildung von pflegewissenschaftlichen Studien-gängen auf dem Niveau des anglo-amerikanischen Master of Nursing dar-stellt. Im Unterschied zu Deutschland wurde Pflegewissenschaft als Fachrich-tung 1989 in der beruflichen Funktion der Pflegeexperten etabliert. Institutio-nen im Gesundheitswesen, vor allem Krankenhäuser, aber auch Heime undspitalexterne Einrichtungen schafften Stellen zum Einsatz dieser Pflegeexper-ten. Aufgrund der veränderten Anforderungen der Pflegepraxis an die Be-rufsleute besteht kein Zweifel am Bedarf solcher Personen. Wenn es Proble-me bezüglich ihres Einsatzes gibt, dann finden sie sich entweder in der Finan-zierung oder in strukturellen Problemen oder in der Scheu von Pflegedien-sten, spezielle Fachpersonen zur Entwicklung der Pflege einzusetzen. DiePflegeexpertinnen schlossen sich im Anschluß an den ersten Ausbildungs-gang zu einer Vereinigung zusammen, die analoge Ziele wie die DeutscheVereinigung zur Förderung der Pflegewissenschaft verfolgt.

Die Schaffung dieser höheren Fachausbildungen hatte zwei Konsequen-zen. Einerseits gab es nun Pflegestoff für Publikationen in deutscher Sprache,so daß 1988 die erste Ausgabe der ersten wissenschaftlichen Zeitschrift Pfle-ge erfolgen konnte. Dies erfreulicherweise in Zusammenarbeit mit Persönlich-keiten der Krankenpflege aus Deutschland und Österreich. Eine zweite Folge-erscheinung waren Forschungskonferenzen, die seit 1992 jährlich von derVereinigung der Pflegeexpertinnen und -experten PES veranstaltet werden.1991 begann die offizielle Diskussion eines Studienganges für Pflege an derUniversität Basel. Diese Diskussion ist nun insofern abgeschlossen, als sowohldie politische wie auch die universitäre Seite der Meinung sind, ein solcherStudiengang stelle keinen Luxus dar. Wann er tatsächlich beginnen und werihn schließlich bezahlen wird, ist noch offen, er soll jedoch noch in diesemJahrtausend erreicht werden. Somit hätte dann Pestalozzis Land als letzteseuropäisches Land und vermutlich als eines der letzten in der modernen Weltseinem Pflegepersonal diese Möglichkeit auch verschafft.

2.3 Zum Vergleich

Hier wie in den USA erfolgte die Entwicklung zuerst personenbezogenund war geprägt von den Persönlichkeiten, Interessen und vom Bildungs-hintergrund der Pionierinnen. Dies erklärt, warum in der Schweiz die Pflege-wissenschaft als Fachrichtung vor Deutschland als Höhere Fachausbildungund als berufliche Funktion etabliert war, wenn auch außerhalb der Hoch-schule.

Auch die Rezeption der anglo-amerikanischen Ansätze der Pflegewissen-schaft wurde in beiden Ländern auf ähnliche Weise teilweise breit, insgesamtjedoch – was die Pflegetheorie betraf – aus heutiger Sicht wenig reflektiert re-zipiert. Wer im Ausland studiert hatte, unterrichtete nach bestem Wissen undGewissen jene Vorlesungsinhalte selektiv und in verkürzter Form, und dieUnterrichteten waren begierig, dieses Wissen an ihren Arbeitsplätzen so um-zusetzen, wie sie es gehört hatten, - wie in den USA - vor allem in Schwe-sternschulen und weniger in der Praxis. Im Unterschied dazu wurden die Er-kenntnisse der Pflegeforschung kaum übernommen (z.B. bezüglich Studienim Bereich der Qualitätskontrolle). Das Rezeptionsmuster fiel zugunsten derBedürfnistheorien aus, vermutlich, weil es im vorwissenschaftlichen Praxisfelderfolgte und leicht popularisiert werden konnte.

Page 38: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

37

Die Entwicklungen in Österreich verliefen zum Teil analog: teilweise sindsie in noch stärkerem Maße vom persönlichen Einsatz und durch Beziehun-gen von einzelnen Personen zu Institutionen geprägt, teilweise scheinen sieaufgrund der Literatur stark abhängig von lokalen Gegebenheiten. So schei-nen Entwicklungen in Wien oder in bestimmten Institutionen in Wien wenigSchlüsse zu erlauben auf Entwicklungen in anderen Teilen des Landes. Diesist vielleicht Ausdruck einer bestimmten Entwicklungsphase, des Übergangesvon aus privater Einzelinitiative begonnenen Einrichtungen zu deren struktu-reller Verankerung und personen-unabhängiger Existenz.

In Deutschland begann jüngst eine erfolgversprechende Entwicklung; inder Schweiz dagegen geht vorläufig eine Entleerung eines Teils des intellek-tuellen Potentials und die Erhaltung eines Defizits, das der Pflege als Beruf,aber vor allem der Pflegepraxis noch schmerzlich bewußt werden wird, wie-ter. Um dies in 'Standortbestimmungsterminologie' auszudrücken: Wir blei-ben sitzen, währenddessen Sie davoneilen. Persönlich tröste ich mich damit,daß wir dafür in den Genuß von Praktikantinnen von Pflegewissenschaftli-chen Studiengängen in Deutschland kommen und sich andere Formen derwissenschaftlichen Zusammenarbeit mit dem deutschen Hochschulbereichanbahnen. Diese staatenübergreifende Zusammenarbeit, die seit den 70erJahren Tradition hat, ist ein wichtiges Merkmal der Entwicklung der Pflege-wissenschaft im deutschsprachigen Raum.

3. Vergleich mit anderen europäischen Ländern

Der Vergleich der deutschsprachigen Länder mit anderen europäischenLändern war schwierig, da die Publikationen zwischen zwei Extremenschwanken. Einerseits bestehen sie aus Übersichten rein technischer Art mitDatentabellen (Geiger, M 1993). Andererseits aus nivellierenden Statements:

"Sei es jetzt in Frankreich oder in der Schweiz (oder anderswo in der Welt),wir sind allesamt Vertreterinnen und Vertreter des Berufsstandes Pflege ...Unsere Rolle in der Gesellschaft besteht darin, die Gesundheitsbedürfnisseder Bevölkerung zu erkennen und sich ihrer anzunehmen ... hier wie dorterwartet man von uns, daß wir Leiden lindern, den Patientinnen und Pati-enten in schweren Augenblicken beistehen und ihnen soviel Unabhängig-keit und Autonomie verschaffen, wie immer möglich, ohne dabei die opti-male Lebensqualität aus den Augen zu verlieren ... " (Delanoe, A 1993).

Die beste Quelle zur Eruierung des Standes der Pflegewissenschaft in Eu-ropa bilden vermutlich die WENR-Protokolle (Workgroup of European NurseResearchers). Als Vertreterin der Schweiz in der WENR zwischen 1985 und1995 erhielt ich einen guten Einblick in die Entwicklungen der verschiedeneneuropäischen Staaten und Israels. Jedes Land legt jährlich Rechenschaft abüber sechs Aspekte der Pflegeforschung:• Ausbildungsmöglichkeiten bezüglich Pflegeforschung;• Pflegepraxis und Pflegeforschung;• Das Engagement des nationalen Berufsverbandes an der Pflegeforschung;• Dissemination der Forschungsresultate;• Finanzierung;• Zukünftige Entwicklungen.

Page 39: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

38

Ich werde im folgenden zu diesen Bereichen etwas Zusammenfassendessagen:

• Ausbildungsmöglichkeiten bezüglich Pflegeforschung

In allen Ländern haben Krankenschwestern die Möglichkeit, sich in For-schung auszubilden, wenn auch in sehr unterschiedlichem Maß und unter-schiedlicher Qualität sowie in unterschiedlichsten Strukturen. Im Vergleich er-kennt man, wie die wirtschaftliche Lage eines Landes, das politische System,ob Krieg herrscht oder nicht, die Geographie und das Gesellschaftssystemsich niederschlägt im Bildungssystem der Pflege. Während zum Beispiel An-fang der 80er Jahre Ausbildung in Pflegewissenschaft in der britischen Kran-kenpflege und Gesellschaft “normal” war, blieb sie in der portugiesischen einFremdwort. • Pflegepraxis und Pflegeforschung

Aus wissenschaftlichen Beiträgen in Fachzeitschriften, wie dem britischenJournal of Advanced Nursing, dem Scandinavian Journal of Nursing, könnteman schließen, daß Pflegeforschung mancherorts normaler Bestandteil derPflegepraxis geworden ist. Es ist aber nicht möglich, von Publikationen vonForschungsberichten auf das Ganze zu schließen. So ist es schwer zu eruie-ren, wo ein wissenschaftliches Vorgehen als normaler Problemlösungsansatzverwendet wird und wo Pflegeforschung in der Praxis etabliert ist. Anfangder 90er Jahre war es nachweisbar weniger als 10% des Wissens, das ange-wandt wurde. Eine andere Möglichkeit, die Verankerung der Pflegewissen-schaft in der Praxis herauszufinden, ist via Stelleninseraten für Forscherstellenoder solchen, bei denen die Forschung als Bestandteil der Stellenbeschrei-bung enthalten ist. Diese sind beispielsweise in den Oststaaten relativ ver-breitet; aber viele westliche Pflegewissenschaftlerinnen würden einen großenTeil jener Forschung nicht als Pflegeforschung klassifizieren.

• Das Engagement des nationalen Berufsverbandes an der Forschung

Dieses hängt von der Professionalität des Verbandes ab. Auf europäischerEbene ist festzustellen, daß alle Berufsverbände dabei sind, sich an der Pfle-gewissenschaft - in Form von Tagungen oder Konferenzen, in Form von Fi-nanzierungen, von eigenen Projekten oder der Einrichtung eigener For-schungsinstitute etc. - zu beteiligen. Es kommt aber auch vor, daß sie alsKonkurrenzinstitution zu akademischen Einrichtungen fungieren. Wieviel sieleisten können, hängt damit zusammen, ob sie vor allem gewerkschaftlicheoder berufliche Aufgaben haben, ob die Gremien als Freizeitgremien vonPflegenden mehr oder weniger ehrenamtlich funktionieren oder ob qualifi-zierte Personen vollamtlich bestimmte Aufgaben wahrnehmen und dadurcheine andere Art von Verbindlichkeit und Einfluß haben.

• Dissemination von Forschungsresultaten

Die Anzahl an Forschungsprojekten hat in den letzten Jahren in allen Län-dern spürbar zugenommen, so daß einige Ländervertreterinnen nicht mehr inder Lage waren, sie aufzulisten. Andere sind gerade dazu übergegangen wa-ren, Jahrbücher anzulegen. In der Schweiz ist es jedoch kaum möglich, fest-zustellen, was wo erforscht wird, weil es keine verbindlichen Strukturen gibt,die eine zuverlässige Information gewährleisten würden. In manchen Ländernwird sehr viel geforscht, aber die meisten Projekte bestehen aus Master- undDoktorarbeiten, und häufig bleiben diese Studien die einzigen Forschungser-fahrungen im Leben einer Pflegewissenschaftlerin. Es ist außerordentlich

Page 40: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

39

schwierig, in nicht an Wissenschaft oder in nicht forschungsorientierten Insti-tutionen Forschungsprojekte durchzuführen.

Dissemination erfolgt in allen Ländern via Fachzeitschriften und Konferen-

zen oder im Fachunterricht. Vergleicht man die wissenschaftlichen Fachzeit-schriften, zeigt sich, daß diese im angelsächsischen Bereich seit Jahrzehntenmit sehr großen Auflagen erscheinen, währenddem Pflege wie auch dasScandinavian Journal of Nursing sich erst im 9. Jahrgang befinden. Die An-gelsachsen sind sogar bereits auf Spezialisierung der Pflegefachzeitschriftenübergegangen, weil der Publikationsdruck und die wissenschaftliche Kon-kurrenz bald mit derjenigen der etablierten Wissenschaften vergleichbar ist.

• Finanzierung

In allen Ländern ist die Finanzierung der Forschung hauptsächlich von denBildungsstrukturen, vom Status der Pflege in Staat und Gesellschaft und vorallem von Fonds abhängig. In Staaten, in denen Pflege im Hochschulbereichetabliert ist, scheint die Finanzierung der Forschung wesentlich einfacher zusein als in Ländern, wo dies nicht der Fall ist.

Insgesamt und im Vergleich mit den deutschsprachigen Ländern sind alle

nordeuropäischen Länder weiter entwickelt bezüglich Ausbildungsmöglich-keiten, Verankerung in der Praxis, Professionalität der Berufsverbände imUmgang mit Pflegewissenschaft, Dissemination von Forschungsresultatenund Finanzierung. In den südeuropäischen Staaten sowie in Spanien undPortugal scheint eine Art Zweiklassensystem zu bestehen: Zwar gibt es Pfle-gewissenschaft, dies hat aber wenig zu tun mit der allgemeinen Entwicklungder Pflege im betreffenden Land.

• Inhaltlich

Inhaltlich bestehen große Unterschiede in den Schwerpunkten der Pfle-geforschung der verschiedenen Länder. Finnland ist zum Beispiel sehr starkgemeinde- bzw. spitex-orientiert. Gesundheitsvorsorge und -erziehung, pädi-atriepflegespezifische Fragen und Fragen bezüglich perinataler Pflege prägendie Forschungslandschaft. Die ausgesprochen starke Stellung der Frau in derfinnischen Gesellschaft mag vieles mitprägen. Die Pflegefakultät von Turku istseit Jahren mit der Klärung der theoretischen Basis der Pflegepraxis beschäf-tigt.

Schweden, wo Pflege nicht als 'nursing' sondern als 'caring science' kulti-viert wird, ist methodologisch stark quantitativ ausgerichtet. Mit der For-schergruppe um Astrid Norberg hat sich andererseits ein Zentrum der qualita-tiven Forschung über die Pflege von Dementen und damit zusammenhän-genden ethischen Fragen gebildet. Großbritannien zeichnet sich seit Jahrendurch eine große Vielfalt von Forschungen methodologischer wie inhaltlicherArt aus, aber auch durch sehr viel Unzusammenhängendes und durch Einzel-studien. In der Schweiz werden mit ausgesprochen kleinen Untersuchungs-gruppen mehrheitlich klinische Fragestellungen durch eine methodologischeAnlehnung an die qualitative Sozialforschung durchgeführt. Die Forschungenin Deutschland sind eher geprägt durch eine mehrheitlich pflegepädagogi-sche, historische oder an Professionalisierungsfragen orientierte Untersuchun-gen als an klinischen.

Sowohl in Italien als auch in Frankreich wird eher sporadisch geforscht undnoch sporadischer in englischer Sprache publiziert. Israel ist stark ausgerichtet

Page 41: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

40

auf die demographische Struktur, auf Gesundheitsfragen und Probleme imZusammenhang mit Immigranten aus verschiedenen Ländern sowie mit derÜberalterung, andererseits mit der Post-Holocaustgeneration und ihren spezi-fischen Gesundheitsproblemen.

Ein internationaler Vergleich zeigt sehr große Unterschiede sowohl bezüg-lich Forschungsinhalten als auch bezüglich der methodologischen Ausrich-tung. Gegenüber der amerikanischen Pflegeforschung unterscheidet sich dieeuropäische hauptsächlich durch die Fragestellungen, durch die Wahl dertheoretischen Rahmen durch die Sample-Größen, durch die methodologischeGewandtheit, d.h. durch die Professionalität bezüglich der Pflegeforschungund durch die wissenschaftliche Kultur. Im Gegensatz zu den amerikanischenKolleginnen werden deutschsprachige Krankenschwestern offensichtlich nochnicht in ein pflegewissenschaftliches Milieu hineinsozialisiert. Dafür ist ande-rerseits eine erfreuliche und wachsende Eigenständigkeit der Pflegeforschungin den deutschsprachigen Ländern festzustellen. Insgesamt ist Pflegefor-schung, die aus der Pflege kommt, von Pflegenden initiiert und durchgeführtwird, in den europäischen und vor allem in den deutschsprachigen Länderndünn gesät und hat - mit Ausnahme von Großbritannien - eine vergleichs-weise kurze Geschichte.

4. Ausblick

Pflegewissenschaft trägt dazu bei, das pflegerische Erfahrungswissen be-grifflich zu fassen, pflegerische Konzepte zu verallgemeinern und Fachwissender Reflexion zugänglich zu machen. Sie beschäftigt sich mit Ordnung desvorhandenen und Entwicklung von neuem Wissen und damit der Vermeh-rung, Vertiefung und Erweiterung des Wissens in der Pflege. Es geht ihr umdie wissenschaftliche Bearbeitung eines spezifischen Praxisfeldes, wie in denanderen Handlungswissenschaften, zum Beispiel der Pädagogik und der Me-dizin. Das typische an der Pflege ist, daß sie das ihrer Praxis eigene Wissenaus verschiedenen anderen wissenschaftlichen Disziplinen bezieht und zuneuen Konstrukten zusammenfügt. Diese ermöglichen Erklärungen, Vorher-sagen und Beweisführung.

Zur Etablierung der Pflegewissenschaft gehört die Abgrenzung von unddie Einordnung in die modernen Wissenschaften, die Klärung des Inhalts undvor allem auch die Verbundenheit mit der Praxis. Diese Klärung Inhaltes istbesonders in bezug auf die Medizin, auf die Gesundheits- und auf die Sozi-alwissenschaften nötig. In Europa herrscht diesbezüglich noch teilweise we-nig Eindeutigkeit.

Henry, ein französischer Philosoph, schreibt in seinem Buch Die Barbarei(1994) - einer Kritik der modernen Wissenschaft:

"Die Kulturkrise wurde zum Gegenstand mehr oder weniger verdächtigerAnalysen. Die am meisten anerkannte Erklärung ist folgende: Mit der mo-dernen Wissenschaft hat das Wissen ungeheure Fortschritte gemacht, undzu diesem Zweck hat es sich wucherartig in Forschungen zerteilen müssen,wovon jede ihre Methodologien, Begriffsapparaturen und Gegenstände be-sitzt. Niemandem ist es von nun an mehr möglich, sie alle zu beherrschen,auch nicht einmal einige wenige oder sogar eine einzige. Was in Fragesteht, ist die Einheit des Wissens und mit ihr die Aufdeckung eines Prinzips,

Page 42: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

41

das die Übereinstimmung und so die Gültigkeit der Haltungen wie Bewer-tungen in allen Bereichen sicherstellt. Unsere alltägliche Verhaltensweise istin dieser Hinsicht bezeichnend: Vor jedem besonderen Problem rufen wirnach einem Spezialisten. Diese Handlungsweise liefert keine Gesamtsichtfür die menschliche Existenz und deren Bestimmung. Ohne eine solcheSicht ist es jedoch unmöglich zu entscheiden, was in jedem Fall zu tun ist,insofern dies eben unsere Existenz und keine Sache betrifft ... In Wirklich-keit handelt es sich nicht um eine Kulturkrise, sondern ausdrücklich um dieZerstörung der Kultur." (S.77/78).

Die Pflegetheorie hat sich bisher in Abgrenzung von der medizinischen ge-rade durch die hier beklagte Ganzheitlichkeit stark gemacht. Es ist wün-schenswert, daß Pflegewissenschaft auch in Zukunft ihrem Gegenstand treubleibt und Pflegetheorie so prägt. Die Art des Wissens, das wir entwickeln,hängt nicht nur von erkenntnistheoretischen Überlegungen ab, sondern wirdbeeinflußt vom politischen System (Demokratieverständnis oder Grad desZentralismus eines Staates), vom Bildungssystem, das darin begründet liegt(ob z.B. eine allmähliche Konsolidierung der Grundausbildung mit den Hoch-schulen zustande kommt), von Wirtschaftssystemen, die die Finanzierung derForschung mitsteuern, von der Regelungsdichte eines Gesundheitssystemsetc.. Solche und andere Faktoren beeinflussen Forschungsfragen und For-schungsnotwendigkeiten. In welchem Maße es der Pflegewissenschaft (for-schungsmäßig und theoretisch) gelingen wird, sich treu zu bleiben, wird we-sentlich davon abhängig sein, in welchem Maße es dem Beruf gelingt, wirk-same Wege und Lösungen zu wesentlichen Gesundheitsfragen der Gesell-schaft anzubieten. Ob sie zeigen kann, daß auf Fachwissen abgestützte Pfle-gequalität tatsächlich einen Unterschied macht zur Lebensqualität bestimmterBevölkerungsgruppen und in welchem Maße die Gesellschaft einen Beitragder Pflege zur Lösung solcher Probleme zu fordern beginnt.

Zentrale Aufgabe für die Zukunft bleibt das epistemologische Anliegen,das Wissen kongruent mit dem Fach, aber bezogen auf die anderen Fächerzu entwickeln. Dabei ist der Auftrag der Hochschule zu steuern: Welche Artvon Wissen wird als Fachwissen oder als wissenschaftliche Erkenntnis durchdie Disziplin akzeptiert und aufgrund welcher Kriterien? Ein letzter Blick zu-rück auf die USA zeigt - ich zitiere eine Amerikanerin: "The way has beenlong, hardy and bumpy", und die meisten der zu überwindenden Hindernis-se verdanken auch die Amerikanerinnen nicht nur externen Faktoren, son-dern ihrer eigenen Berufskultur und -geschichte. Die Pflegewissenschaft ent-wickelte sich dank oder trotz, auf jeden Fall aber nicht losgelöst von Perso-nen. Deshalb konstituiert sich die Dynamik der Wissenschaft bzw. die sozialeDynamik der Wissenschaftlerinnen nicht nur aus rationalen, sondern auchaus irrationalen Kräften. Wissenschaftliche Disziplin bzw. Wissenschaftlerin zusein, setzt noch andere Gaben voraus als Denken und schöpferische Intuition.Es erfordert moralische Integrität, Disziplin, Anpassungsfähigkeit, Flexibilität,Konkurrenztauglichkeit, Kollegialität und Sinn für die Grenzen des eigenenTuns. Mir scheint erstrebenswert, daß unser Beruf mit Hilfe seiner Wissen-schaft eine Kultur und Tradition hervorbringt, welche jungen Leuten Pflegeals Berufswahl/Studienfach erstrebenswert macht und auf welche unserNachwuchs mit Stolz zurückblicken kann.

Page 43: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

42

Literatur

Chinn, P. (1987): A model for theory development in Nursing. Advances in NursingScience 1, S. 1-11

Delanoe, A. (1993): SRK Journal 2/93, S. 12.Dickoff, J./James P/Wiedenbach E.(1968): A theory of theories: A position paper.

Nursing Research 17, 3, S. 197-203.Fawcett, J. (1984): Analysis and evaluation of conceptual models of nursing. Phil-

adelphia.Geiger, M. (1993): Übersicht über verschiedene Krankenpflegeausbildungen in Eu-

ropa. SRK Journal 2/69, S. 15ff.Leininger, M. (1968): The research critique: Nature, Foundation and Art. 17, S. 444-

449.Meleis, A. (1985): Theoretical Nursing, Development and Progress. London.Robert-Bosch-Stiftung (1996): Denkschrift Pflegewissenschaft. Materialien und Be-

richte Nr. 46. GerlingenStevens, B. (1979): Nursing Theory, Analysis, Application and Evaluation. Boston.

Page 44: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

43

Pflegewissenschaft als multidisziplinärer Wissenschaftsansatzim Kontext der Gesundheitswissenschaften

Bernhard Güntert

1. Einleitung

"Gesundheitswissenschaften" und "Pflegewissenschaft" sind zwei Be-griffe, mit denen sich heute weite Kreise — auch wissenschaftliche — schwertun. Während im angelsächsischen Raum das Wissenschaftsgebiet "PublicHealth" bereits seit Jahren an Universitäten mit eigenen Curricula und imRahmen der Forschung etabliert ist, kämpft das deutsche Pendant noch im-mer um seine Anerkennung. Unter "Gesundheitswissenschaften" kann mansich in der Regel noch keine konkreten Inhalte vorstellen, und mit dem Be-griff "Öffentliches Gesundheitswesen" verbindet man meist bloß die Hygie-negesetzgebung, Impfprogramme und etwa die Gesundheitsberichterstat-tung (Grossmann 1996, S. 10ff.).

Mit noch größeren Anerkennungsproblemen kämpft die Pflegewissen-schaft. Auch ist im angelsächsischen Raum eine feste Verankerung der "Nur-sing Science" an den Universitäten und eine Vielfalt an wissenschaftlicherForschung und Theoriebildung (vgl. u.a. Lorensen, 1993, S. 177ff.; Clift,1992, S. 89ff.) zu finden. Im deutschen Sprachraum aber stößt der Begriff"Pflegewissenschaften" sowohl in der breiten Öffentlichkeit als auch bei vie-len Pflegenden selbst und bei WissenschaftlerInnen angrenzender Disziplinennoch auf Unverständnis oder löst gar Widerstände aus.

Mit dem Begriff "Wissenschaft" werden in der breiten Öffentlichkeit meistfolgende Inhalte assoziiert:

Abb. 1 Assoziationskette "Wissenschaft"

W i s s e n s c h a f t l e r I n n e n

F o r s c h u n g u n dF o r s c h e r I n n e n

L a b o r - o d e r F e l d -u n t e r s u c h u n g e n

E r h e b u n g e n ,A n a l y s e n

P u b l i k a t i o n e n u n dK o n g r e s s e

U n i v e r s i t ä t e n ,a k a d e m i s c h e L e h r e

I n g e n i e u r I n , D o k -t o r I n , P r o f e s s o r I n

u s w .

Page 45: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

44

Diese oder ähnliche Assoziationsketten zeugen einerseits von der in derÖffentlichkeit nach wie vor weit verbreiteten Dominanz eines naturwissen-schaftlich und quantitativ empirischen Wissenschaftsverständnisses, ander-seits aber auch von der im Alltag weitverbreiteten institutionell-formalen Be-trachtungsweise. In vielen wissenschaftlichen Bereichen finden sich die obendargestellten Assoziationsketten allerdings auch bestätigt, so etwa bei Natur-oder Ingenieurwissenschaften, in weiten Bereichen der Medizin, aber auch inBereichen der Sozialwissenschaften.

Welche gedanklichen Verbindungen ergeben sich aber in der Gesellschaftin Verbindung mit Pflege? Hier findet man meist ganz andere Assoziations-ketten, wie z.B.: die folgende:

Abb. 2: Assoziationskette “Pflege”

"Wissenschaft", "Universität” oder "Forschung” werden heute im allge-meinen noch kaum mit "Pflege" in Verbindung gebracht. In den Augen wei-ter Kreise besteht zwischen "Wissenschaft" und "Pflege" kein direkter Zu-sammenhang. Pflege wird als typisch praxisorientierte Tätigkeit am und mitPatientInnen verstanden. Eine Tätigkeit, die weitestgehend auf Alltagserfah-rungen beruht. Die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Begründung wirdkaum gesehen, ein naturwissenschaftlich orientiertes Paradigma ohnehinabgelehnt. Auch die Möglichkeit einer wissenschaftlichen Begründung derPflege im Popperschen Sinne des Kritischen Rationalismus (vgl. u.a. Tscham-ler 1983, S. 54ff.) wird in Frage gestellt. Diese weit verbreiteten Auffassun-gen machen deutlich, weswegen die Pflegewissenschaft heute noch häufigauf Ablehnung stößt oder als verfehlte Anstrengung einer sich emanzipieren-den Berufsgruppe belächelt werden. Allerdings zeigen sich auch hier großeUnterschiede zwischen dem angelsächsischen und dem deutschsprachigenRaum.

Aus wissenschaftstheoretischer Sicht wird allerdings - selbst wenn man beieinem analytischen Wissenschaftsverständnis davon ausgeht, daß nicht alles,was der Mensch in seiner Existenz tatsächlich vorfindet, auch Objekt der wis-senschaftlichen Forschung sein muß (Seiffert 1977, S. 3 f.) - wenig bestritten,daß Gesundheit und Pflege alle konstituierenden Elemente für eine wis-senschaftliche Begründung umfassen und einer solchen auch bedürfen. NachTschamler (1983, S. 19 ff.) konstituieren sich Wissenschaften dadurch, daßsich

P f l e g e , H i l f e

K r a n k h e i t , B e t t l ä g e r i g k e i tP f l e g e b e d ü r f t i g k e i t

K r a n k e n s c h w e s t e r ,K r a n k e n p f l e g e r

u s w .

K r a n k e n h a u s ,P f l e g e e i n r i c h t u n g

P f l e g e v e r s i c h e r u n g

Page 46: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

45

• die Wirklichkeit als Objektbereich der Wissenschaft,• die Methoden als Wege zur wissenschaftlichen Erfassung dieser Wirklich-

keit und zur Gewinnung neuer Erkenntnisse,• ein System als Ordnungszusammenhang, in welchem sich die Probleme

und die Forschungsprozesse wissenschaftlich einordnen lassen und ausdem sie entspringen,

nachweisen lassen.

Im Gegensatz zu verschiedenen anderen Wissenschaften zeigt sich, daßsowohl in der Gesundheits- als auch in der Pflegewissenschaft die zu ver-wendenden Methoden als auch das Ordnungssystem komplex sein müssen,um dem Objektbereich gerecht zu werden. In beiden Bereichen werden ganzunterschiedliche wissenschaftliche Zugänge, bzw. Multidisziplinarität undMethodenvielfalt notwendig. Darin unterscheiden sich Pflege und Gesund-heitswissenschaften einerseits von einigen anderen etablierten Wissenschaf-ten, wobei Methodenvielfalt heute in verschiedenen wissenschaftlichen Be-reichen gefordert wird. Andererseits ergeben sich aber auch zwischen Pflege-und Gesundheitswissenschaften erhebliche Unterschiede, die im folgendendargestellt werden sollen.

2. 2. Abgrenzung des Objektbereichs zwischen Pflege- undAbgrenzung des Objektbereichs zwischen Pflege- undGesundheitswissenschaftenGesundheitswissenschaften

Der Objektbereich der Pflege beinhaltet traditionellerweise die Pflege und Be-treuung kranker und pflegebedürftiger Menschen in einem sozialen und insti-tutionalen Kontext (Steppe, 1993, S. 164 ff.).

Im Vergleich dazu umfaßt der traditionelle Objektbereich der Gesund-heitswissenschaften “die Anwendung epidemiologischer Erkenntnisse undMethoden bei der Untersuchung und Verlaufsbeobachtung von Krankheitenin der Bevölkerung, bei der Krankheitsprävention und bei der Planung desVersorgungssystems”. Noack (1996, S. 350) nennt diesen ursprünglichenAnsatz “Old Public Health”. Wichtig in der Diskussion um das Verhältniszwischen Pflege- und Gesundheitswissenschaften ist die Feststellung, daß dietraditionellen Objektbereiche der beiden Wissenschaften insgesamt unter-schiedlich sind, sich teilweise aber auch überlappen (vgl. Abb. 3).

Die traditionelle Auffassung von Pflege richtete sich schwerpunktmäßigauf kranke und pflegebedürftige Individuen. Die Gesundheitswissenschaftenalter Prägung beschäftigten sich ebenfalls mit Krankheit, aber weniger mitkonkreten Einzelpersonen, als vielmehr mit Gruppen, mit bestimmten Bevöl-kerungsteilen bzw. mit der Gesellschaft als Ganzes (dazu Schaeffer/Moers/Rosenbrock 1994). Diese Schematisierung trifft im Grundsatz für die traditio-nelle Ausprägung der beiden Bereiche zu, entspricht aber nicht mehr denneueren Tendenzen der Pflege und der Gesundheitswissenschaften, denn so-wohl Pflege- als auch Gesundheitswissenschaften haben sich im Zeitablaufverändert und ihre Objektbereiche aufgrund neuer Erkenntnisse und systemi-scher Problemlösungsstrategien ausgeweitet und neu definiert.

Page 47: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

46

Abb. 3: Abgrenzung der Objektbereiche zwischen dentraditionellen Ansätzen der Pflege- und Gesundheitswissenschaften

In der Pflege beispielsweise wurde der Objektbereich deutlich erweitertund kann etwa mit folgenden fünf Dimensionen beschrieben werden: “DerMensch in bezug auf Gesundheit und Krankheit, Interaktion in bezug auf Ge-sundheit und Krankheit, Pflegende als ExpertInnen, pflegerische Handlungenund Umwelt” (Seidl 1993, S. 107).

Aus diesen Erweiterungen des Objektbereiches ergeben sich Ausweitun-gen in größere Kontexte der Pflege und damit eine Ausweitung von anasko-pischen in kataskopische Bereichen (Zijderveld 1966). Der Begriff anasko-pisch bezieht sich auf wissenschaftliche Denkformen, die streng vom Indivi-duum ausgehen und davon dann größere Gesamtheiten betrachten. Hinge-gen findet der Ausdruck kataskopisch Anwendung, wenn als Bezugspunktbereits Gruppen zugrunde gelegt und die individuellen Handlungsweisen inRelation dazu erklärt werden. Gleichzeitig kann jedoch auch eine zunehmen-de Verantwortung der Pflege für die Gesundheit, insbesondere für die Ge-sundheitsförderung und das Gesundheitsverhalten der Individuen beobachtetwerden. Dies führt zu einer deutlichen, zweiten Ausweitung des Objektberei-ches der Pflege in Richtung Gesundheit (vgl. Abb. 4).

Bei den Gesundheitswissenschaften geht es heute nicht mehr primär um"Untersuchung und Verlaufsbeobachtung von Krankheiten" sondern viel-mehr um “die gesellschaftlichen Bedingungen und Prozesse der Entstehungvon Gesundheit und Krankheit sowie um die Auseinandersetzung mit Ge-sundheitsproblemen, Krankheiten und Behinderungen, einschließlich der so-zialen und ökonomischen Folgen”. Noack (1996, S. 350) bezeichnet dieseAusrichtung sinnigerweise als “New Public Health”. Mit dieser Definition be-findet er sich im Einklang mit einer Vielzahl weiterer Gesundheitswissen-schaftler im deutschen und englischen Sprachraum sowie der weltweit wich-tigen Definition der WHO (vgl. u.a. WHO, 1993). "New Public Health" wirdim Unterschied zu "Old Public Health" als ein multidisziplinäres, multiprofes-sionelles und gesundheitsorientiertes Fachgebiet verstanden (Hurrelmann/Laaser 1993, S. 12 ff.). Multidisziplinarität bedeutet in diesem Kontext, daßsich neben Medizin und Pflege weitere verschiedene wissenschaftliche Diszi-plinen wie z.B. Sozialepidemiologie, Medizin- und Gesundheitssoziologie, Ge-sundheitsförderung, Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschungmit Fragen der Gesundheits- und Krankheitsentstehung und mit den Proble-men gesellschaftlicher, aber auch individueller Krankheitsbewältigung undKrankheitsprävention beschäftigen. Multiprofessionalität drückt aus, daß ge-

Page 48: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

47

sundheitswissenschaftliche Fragestellungen sowohl von epidemiologisch ge-schulten Sozialmedizinern, Umweltmedizinern, Biologen als auch gesund-heitswissenschaftlich ausgebildeten Soziologen, Betriebswirten, Ökonomen,Juristen und Ingenieuren wissenschaftlich und praktisch bearbeitet werden.Gesundheitsorientierung bedeutet für New Public Health, daß hier von einemumfassenden, sozialökologischen Gesundheitsbegriff ausgegangen wird, derdie individuelle, psychische und soziale oder auch die ökologische, die öko-nomische und die politische Dimension von Gesundheit und Krankheit ein-schließt. Damit steht weniger die Krankheit und die Krankheitsbekämpfungim Vordergrund, als vielmehr die Analyse und Beeinflussung der gesellschaft-lichen Rahmenbedingungen von Gesundheit und Krankheit.

Abb. 4: Abgrenzung der Objektbereiche zwischen den modernenAnsätzen der Pflege- und Gesundheitswissenschaften

Ein Vergleich der Abbildungen 3 und 4 zeigt eine deutliche Parallele zwi-schen den Pflegewissenschaften und den Gesundheitswissenschaften. “OldPublic Health” ist eindeutig vom Objektbereich Krankheit ausgegangen."New Public Health" hat sich dann zunehmend mit Fragen der Gesundheitbeschäftigt und damit den Objektbereich neu definiert. Ein ähnliches Bildzeigt sich bei der Pflege. Der Schwerpunkt liegt wohl immer noch bei Krank-heit und Individuum. Allerdings werden heute immer mehr Aspekte der Ge-sundheit, bzw. der Bevölkerung unter Pflege subsumiert.

Die ähnliche Ausgangslage und Entwicklung der beiden Wissenschaftsbe-reiche muß auf die in den Anfangsphasen dieser Wissenschaften starke Do-minanz der Medizin zurückgeführt werden. Beide Wissenschaften haben sichvon dieser Disziplin aus entwickelt, konnten aber erst im Verlauf der Zeit ihreinhaltliche Besonderheit herausarbeiten und finden erst heute die notwendigeEigenständigkeit, um sich aus der Medizin zu lösen, d.h. einen eigenen Ob-jektbereich zu definieren.

3. Abgrenzung der Methoden in der Pflegewissenschaft und denGesundheitswissenschaften

Zweites konstituierendes Element von Wissenschaften sind die verwende-ten Methoden. Auch in diesem Bereich sind zwischen Gesundheits- und Pfle-gewissenschaften verschiedene Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede zu be-obachten.

Page 49: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

48

Jede Wissenschaft bemüht sich um eine theoretische Nachbildung der Re-alität mittels geeigneter Modelle und Methoden. Unter wissenschaftlichenMethoden versteht man die Wege, über die man Wissen über einen Objekt-bereich gewinnt. Diese Wege beruhen auf akzeptierten Theorien oder Be-standteilen von Theorien und bestimmen die Arbeitsweise der Wissenschaft-lerInnen in den einzelnen Disziplinen ( vgl. Lafaille, 1993). Die akzeptiertenwissenschaftlichen Methoden unterscheiden sich zwischen den verschiedenenWissenschaften. Zudem verändert sich die Akzeptanz von Methoden inner-halb der einzelnen Wissenschaften auch im Zeitablauf.

Grundsätzlich kann zwischen Methoden der Naturwissenschaften, d.h.vorwiegend empirischen Methoden der Beobachtung, der Messung und desExperiments (deduktive Erklärungsmethoden) und Methoden der Geisteswis-senschaften, vorherrschend sind hier hermeneutisch-induktive Methoden(Methoden des Verstehens), unterschieden werden. Diese Dichotomie wirdheute in vielen Bereichen der aktuellen Situation in der Forschung nicht mehrgerecht. Die Akzeptanz unterschiedlicher Methoden wird immer größer, unddie parallele Verwendung verschiedener methodischer Zugänge in Forschungund Praxis immer häufiger. In vielen Wissenschaften können aber die akzep-tierten Methoden noch relativ eindeutig einer der beiden oben genanntenKategorien zugeordnet werden.

Für die Diskussion der Methoden von Pflege- und Gesundheitswissen-schaften ist sicher eine Differenzierung der Unterscheidung zwischen Geistes-und Naturwissenschaften notwendig. Eine geeignete Diskussionsgrundlageschlägt Zijderveld (1966) vor. Er unterscheidet einerseits zwischen Naturwis-senschaften und Geisteswissenschaften und andererseits wieder zwischenMethoden und Theorien, die sich auf das Individuum oder dessen Körper(anaskopische Methoden) und solchen, die sich auf einen größeren Kontext,wie Gruppen oder die Gesellschaft (kataskopische Methoden), ausrichten.Aus diesen zwei Analysedimensionen läßt sich nun folgende Matrix bilden(vgl. Abb. 5), in deren Quadranten jeweils unterschiedliche Paradigmen unddamit auch unterschiedliche Methoden vorherrschen und auch Akzeptanzfinden.

Abb. 5: Schematische Gliederung wissenschaftlicher Methoden(nach Zijderveld)

Unter einem Paradigma ist ein Teil eines Weltbildes zu verstehen, welchessich auf eine umschriebene und in der jeweiligen wissenschaftlichen Gemein-schaft anerkannte Reihe von wissenschaftlichen Theorien bezieht. Diese müs-

Page 50: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

49

sen dergestalt sein, daß sie einerseits eine Gruppe von Anhängern anziehenkönnen, andererseits offen genug, um den Fachleuten alle möglichen unge-lösten Probleme zu stellen (Kuhn 1967, S. 25ff.).

Im Feld oben links dominiert im gesundheits- und pflegewissenschaftli-chen Kontext ein bio-medizinisches Paradigma. Gesundheit und Krankheitsind in diesem Verständnis das Ergebnis der Beeinflussung von objektivenFaktoren. Krankheit erhält damit einen Objektcharakter und wird auf biologi-sche Faktoren reduziert. Dieses Paradigma basiert auf Rationalismus, Mecha-nismus und Empirismus und legt die Prioritäten auf die Erforschung von bio-medizinischen Determinanten bzw. Ursachen von Krankheiten. In diesemFeld herrscht das positivistische Paradigma des Rationalismus und Empirismusvor. Dieses prägt verschiedene Wissenschaften, wie z.B. die Medizin nochimmer sehr stark. In den vergangenen 30 Jahren wurde immerhin die langeZeit dominierenden - und bei bestimmten Krankheitsbildern (z.B. Infektions-krankheiten) auch sehr erfolgreichen - monokausalen Erklärungsansätze rela-tiviert und mehr und mehr durch multifaktorielle Ansätze abgelöst oder umsolche ergänzt, z.B. Psychosomatik oder etwa das Bio-Psycho-Soziale-Konzept (Adler/Hemmeler, 1992, S.5 ff.). Der Einfluß dieses Paradigmas er-streckte sich lange Zeit auch auf die in den Gesundheitswissenschaften undPflegewissenschaften verwendeten Methoden. Forschungsarbeiten, welchenicht diesem Paradigma folgten, wurden in diesen wissenschaftlichen Ge-meinschaften wenig anerkannt. Erst durch die in den 80er Jahren erfolgte,akzentuierte Neuformulierung des Objektbereiches (Noack 1996, Fürn-kranz/Untermarzoner 1996, Badura 1990) ist es den Gesundheitswissen-schaften gelungen, sich daraus zu lösen und auch auf der methodischen Di-mension eigene Wege zu gehen (Ong 1993, S. 8ff.).

Das systemische Paradigma entstand in der ersten Hälfte dieses Jahrhun-derts durch die Bildung von sogenannten Metawissenschaften, wie z.B. derKybernetik und den frühen Ansätzen der Systemtheorie, die sich vor allemmit Steuerungsfragen von physikalischen, biologischen und sozialen Syste-men auseinandersetzten. Typisch ist, daß im Gegensatz zum bio-medizini-schen Paradigma das einfache Kausalitätsprinzip zu einem komplexeren Kau-salitätskonzept mit vielfältigen Interdependenzen und Vernetzungen zwi-schen verschiedenen Variablen und Systemebenen ausgeweitet wurde. Fürdie Gesundheitswissenschaften ergeben sich daraus viele wichtige wissen-schaftliche Anwendungsfelder und Methoden, die in direktem Zusammen-hang mit dem Objektbereich stehen. Zu erwähnen sind hier u.a. die Ökologieund ökologische Methoden. Weitere bedeutende methodische Bereiche bil-den etwa die erkenntnistheoretischen Grundlagen und mathematisch-statisti-schen Methoden, welche Voraussetzung für jede epidemiologische Arbeitund damit auch für die Gesundheitsberichterstattung sind. Das systemischeParadigma ist zweifellos auch für die Pflegewissenschaften von Bedeutung,beispielsweise bei Forschungsfragen in Zusammenhang mit der Überleitungs-pflege. Der Methodenschwerpunkt bei den Pflegewissenschaften dürfte aller-dings eher auf dem existentiell-anthropologischen Paradigma liegen.

Unter den Begriff des existentiell-anthropologische Paradigmas fallenrecht unterschiedliche intellektuelle Schulen und Kulturen. Mit "existentiell"wird ausgedrückt, daß Lebenserfahrung und Lebensbezug eine fundamentaleBedeutung haben. Der Schwerpunkt in diesem Bereich liegt zudem in der Be-tonung der Einzigartigkeit des Individuums und seiner Lebenserfahrung. Die

Page 51: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

50

Methoden, die hier angewandt werden, stammen vor allem aus der Psycho-analyse, dem Existentialismus, dem symbolischen Interaktionismus, der medi-zinischen Anthropologie, der modernen Psycho- und Systemtherapie und derPhänomenologie. Gerade für die Pflegewissenschaften, aber auch für die Ge-sundheitswissenschaften, ergeben sich aus diesem Paradigma wichtige neueSichtweisen und Problemlösungsansätze. Mit der Ausweitung des Objektbe-reiches der Pflegewissenschaften werden neben den biomedizinischen ein-deutig die psychologischen und sozialen Aspekte der Krankheit betont. Zuihrer Erfassung sind jedoch positivistisch-naturwissenschaftliche Methodennicht geeignet (vgl. u.a. Thomas, 1996).

Das kulturologische Paradigma umfaßt eine ganze Klasse von wissen-schaftlichen Disziplinen, die sich mit Kultur in verschiedenen Facetten ausein-andersetzen. Von Interesse sind im gesundheitswissenschaftlichen Bereich vorallem gesellschaftliche und kulturelle Ursachen von Gesundheit und Krank-heit. Dabei geht es allerdings weniger um die Entdeckung von universellenGesetzen, sondern um die Betonung der Wirklichkeit als Prozeß und der Ver-schiedenartigkeit von Phänomenen. Die verwendeten Methoden haben ihreWurzeln in der Kulturkritik, der Geschichtswissenschaft, der Kulturanthropo-logie und der Makro-Soziologie. Diese Methoden sind vor allem für die Ge-sundheitswissenschaften aber auch für die Pflegewissenschaften von großerBedeutung, nimmt doch die Kultur maßgebend Einfluß auf• die Wahrnehmung der kausalen Faktoren auf Gesundheit und Krankheit,• das Eintreten und die Verbreitung von Krankheit,• die Erfahrung krank zu sein und die Art damit umzugehen,• das Umgehen mit Gefühlen und Schmerz,• den Lebensstil,• die kollektiven und individuellen Strukturen der Gesundheitspflege und

Pflege im Krankheitsfall. Nachdem sich in den Gesundheitswissenschaften je nach Problemstellung

seit einiger Zeit eine gewisse Methodenvielfalt durchsetzen kann und auchakzeptiert wird, kann ähnliches zunehmend auch im Bereich der Pflegewis-senschaft beobachtet werden. Die Aufgabe des lange Zeit maßgebendenbio-medizinischen Paradigmas in der Pflege erfolgte nicht zuletzt aufgrundder Veränderungen des Objektbereiches, welche geprägt waren durch dieVerkürzung der Aufenthaltsdauern und damit eine Verlagerung der Pflege inden sozialen Kontext der Patienten. Eine eindeutige Festlegung der Gesund-heitswissenschaften und der Pflegewissenschaften auf eines der vier Felder istdaher nicht möglich. Beide Wissenschaften verlangen nach Multidisziplinari-tät, welche sich in einer Vielfalt der in der Forschung zu verwendenden Me-thoden niederschlägt und ein Nebeneinander zwischen quantitativen undqualitativen Methoden erfordert (vgl. u.a. Strauss 1987).

Werden nun Objektbereiche und Methoden miteinander in Verbindung

gebracht, entsteht ein dreidimensionales Modell. Eine eindeutige Einordnungder Pflege- und Gesundheitswissenschaften ist nicht mehr möglich. Die heuteerreichte Multidisziplinarität und Methodenvielfalt der beiden Wissenschaftenverhindert dies. Tendenziell kann jedoch festgestellt werden, daß das Para-digma der Pflege eher im Quadranten Krankheit /Individuum/ Naturwissen-schaft, d.h. vordere Ebene, oben rechts, angesiedelt ist. Der Ansatz der Ge-sundheitswissenschaften (New Public Health) liegt schwerpunktmäßig imQuadranten Gesundheit/größerer Kontext/Geisteswissenschaften, d.h. in derhinteren Ebene unten links. Beide Wissenschaften zeichnen sich jedoch so-

Page 52: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

51

wohl durch eine Ausweitung der Objektbereiche als auch durch eine Metho-denvielfalt aus.

Abb. 6: Ordnungsrahmen zur Gliederung wissenschaftlicher Objektbereicheund Methoden der Pflege- und Gesundheitswissenschaften

4. Die Ordnungssysteme der Gesundheits- und Pflegewissenschaften

Bei der Betrachtung des dritten der konstitutiven Elemente von Wissen-

schaften - dem System als Ordnungszusammenhang, in welchem sich dieProbleme und die Forschungsprozesse einordnen lassen - , ergeben sich ausden bisherigen Ausführungen wichtige Konsequenzen. Die Ordnungssystemeder Wissenschaften sind geprägt durch Strukturen, Regeln und Begriffe(Tschamler 1993, S. 36 ff.).

Strukturen und Regeln äußern sich im Wissenschaftsbetrieb durch die In-

stitutionen, wie Universitäten, Fakultäten, Institute, durch standardisierte undakzeptierte Prozesse, z.B. in der Forschung, der Bewerbung um Forschungs-mittel oder bei Publikationen, aber auch durch akzeptierte Hierarchien, Titel,Unterordnungen und Zwänge innerhalb der Wissenschaft. Wie in der Einlei-tung bereits festgehalten wurde, haben sich beide Wissenschaftsbereiche imangelsächsischen Raum an Universitäten im Rahmen eigener Fakultäten(School of Public Health, Schools of Nursing) fest etablieren können und sindauch im Forschungsbereich gut integriert. Ausbildungslehrgänge in Gesund-heitswissenschaften gibt es im deutschen Sprachraum erst seit wenigen Jah-ren und meist an medizinischen Fakultäten (de Leeuw, 1996). Eine selbstän-dige Fakultät für Gesundheitswissenschaften, vergleichbar mit den Schools ofPublic Health, existiert nur an der Universität Bielefeld.

Erste Universitätslehrstühle für Pflegewissenschaft wurden in Deutschland

erst in der jüngsten Vergangenheit geschaffen und besetzt (u.a. an den Uni-versitäten in Bielefeld, Berlin und Kassel) sowie entsprechende Forschungs-einrichtungen geschaffen. Bisher konnte sich die Pflege aber - in sehr vielstärkerem Ausmaß als die Gesundheitswissenschaften - an Fachhochschulenmit Programmen in Pflegepädagogik und Pflegemanagement etablieren. Ty-pisch für diese Institutionalisierung ist ein stark anwendungsorientierter Wis-

Page 53: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

52

senschaftsbezug bzw. ein starker Praxisbezug, weniger eine theoriebildendeund forschungsorientierte Ausrichtung. Damit ist die Pflege weitgehend vomForschungsbetrieb ausgeschlossen, bzw. die Forschung erfolgte bisher weni-ger in der Pflege als vielmehr von anderen Disziplinen aus (z.B. Psychologie,Soziologie, Management) über die Pflege. Ein anderes Indiz für die Akzep-tanzprobleme der beiden neuen Wissenschaften ist auch die nur zögerlicheEtablierung wissenschaftlicher Zeitschriften im deutschsprachigen Raum, wo-bei dies sowohl für die Pflege- als auch die Gesundheitswissenschaften gilt.

Das Begriffssystem bildet die innerhalb der Wissenschaft verwendete Spra-

che, d.h. die Fachsprache, welche zur Abgrenzung zu andern Wissenschafts-gebieten, aber auch zu Alltagstheorien beiträgt. Obwohl ein eigenes Be-griffssystem sehr zur Stärkung des Wissenschaftsbereiches beitragen kann,gilt es sowohl für die Gesundheits- als auch für die Pflegewissenschaften, kei-ne zu eigenständige Dialektik zu entwickeln. Die angestrebte Multidisziplina-rität fordert eine intensive Kommunikation mit anderen Wissenschaften undeinen Transfer zu und von anderen Wissenschaften.

5. Schlußfolgerungen Zwischen Gesundheits- und Pflegewissenschaft bestehen sowohl bezüg-

lich des Objektbereiches als auch bezüglich der Methoden einige Unterschie-de. Die neueren Entwicklungen und Selbstverständnisse der beiden Wissen-schaftsbereiche schaffen allerdings auch zunehmend Berührungspunkte undGemeinsamkeiten.

Die geforderte Multidisziplinarität in Pflege- und Gesundheitswissenschaf-

ten (mit unterschiedlichen Schwerpunkten) erfordern es, Anleihen aus ver-schiedenen angrenzenden Wissenschaftsgebieten zu machen. Sowohl diePflege- als auch die Gesundheitswissenschaften dürfen sich nicht auf ihre tra-ditionellen Wissenschaftsparadigmen beschränken. Multidisziplinarität unddie Vielfalt der Methoden sind wichtige Voraussetzungen, um zu sinnvollenProblemlösungen beizutragen. Dies ist jedoch nur bei Offenheit und Toleranzgegenüber anderen Methoden sowie der Bereitschaft, sich mit anderen Me-thoden aktiv auseinanderzusetzen, möglich. Dies wiederum stellt hohe Anfor-derungen an die WissenschaftlerInnen in Pflege und Public Health sowie andie Ordnungssysteme der beiden Wissenschaften.

Heute sind Gesundheits- und Pflegewissenschaft häufig an Medizinische

Fakultäten angegliedert und müssen sich damit dem Ordnungssystem dieserFakultäten unterwerfen. Bei der Entwicklung eigener Strukturen, Regeln undBegriffe sind daher häufig Konzessionen an Methoden und Ordnungssyste-me der Mutterfakultäten und der dort akzeptierten und vorherrschendenParadigmen erforderlich, auch wenn die Objektbereiche unterschiedlich sind.Aus meiner Sicht wäre es anzustreben, daß sich beide jungen Wissenschaftenim Sinne von Paul Feyerabend selbstbewußt über den Zwang nach einemgeschlossenen System von Strukturen, Regeln und Begriffen hinwegsetzen(Feyerabend 1976 und 1980), die Methodenvielfalt zur Regel erklären sowiedie Suche nach Innovation und Weiterentwicklung zulassen (vgl. u.a. Schna-bel, 1996).

Da Gesundheitswissenschaften heute meist als Aufbaustudiengänge (bzw.

Nachdiplomstudium) angeboten werden, rekrutieren Gesundheitswissen-

Page 54: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

53

schaftler aus ganz verschiedenen Wissenschaftsgebieten wie Medizin, Biolo-gie, Soziologie, Pädagogik, Ökonomie, Informatik usw. Die Multidisziplinari-tät ist daher schon strukturell vorgegeben. Nicht zwingend damit verbundenist aber die Offenheit und Bereitschaft, andere wissenschaftliche Disziplinenzu akzeptieren. Die unterschiedliche Herkunft der Gesundheitswissenschaftenkann durchaus spannend und kreativ sein, ist aber auch häufig konfliktträch-tig und erschwert vielfach eine gemeinsame Identitätsfindung und die Bil-dung von gemeinsamen Strukturen, Regeln und Begriffen.

Pflegewissenschaft hat eine andere Ausgangslage, welche allerdings heu-

te, aufgrund der akademisch-universitären Strukturen und Regeln, noch zuwenig zum Tragen kommt. Die gemeinsame Pflegeerfahrung würde eineausgezeichnete Ressource zur Entwicklung von Pflegewissenschaft ergeben.Heute wird Pflegewissenschaft jedoch häufig von ForscherInnen umliegenderFachbereiche abgedeckt, was nicht nur in einer Forschung über die Pflegeund nicht in der Pflege resultiert, sondern auch im Fehlen von Pflegenden inder Pflegewissenschaft. Es gilt daher, das Defizit der akademischen Grund-ausbildung in der Pflege auszugleichen und die Durchlässigkeit an Universitä-ten zu verbessern, um Pflegeprofessionals in die Pflegewissenschaft zu brin-gen. Mit der gemeinsamen Pflegeerfahrung hätte dann die Pflegewissen-schaft aber eine ausgezeichnete - und aus der Sicht der Gesundheitswissen-schaften durchaus auch beneidenswerte - Basis zur Weiterentwicklung inForschung und Praxis.

Die institutionelle Anbindung der Pflegewissenschaft ist dazu aber eine

wichtige Rahmenbedingung. Eine selbständige Entwicklung der Wissen-schaft, d.h. des Objektbereiches und die Suche nach den angepaßten Me-thoden und Ordnungsmuster kann dadurch erschwert oder doch verzögertwerden. Hier ergibt sich für die Pflegewissenschaft an der Universität Biele-feld möglicherweise eine einzigartige Situation. Die Eingliederung in die Fa-kultät für Gesundheitswissenschaften kann eine Chance darstellen, ohnegroße Einengungen in traditionelle Fakultäts- und Wissenschaftsgefüge, einmultidisziplinäres Arbeiten ermöglichen, welches der eigenständigen Weiter-entwicklung von Pflegewissenschaft durchaus förderlich sein kann.

Literatur

Adler, R./Hemmeler, W. (1992): Anamnese und Körperuntersuchung. Der biologi-

sche, psychische und soziale Zugang zum Patienten. Frankfurt, New York: Fi-scher

Badura B. (1990): Gesundheitswissenschaften und öffentliche Gesundheitsförderung.In: Schwarzer R. (Hg.): Gesundheitspsychologie — ein Lehrbuch. Göttingen, S.51-61

Clift, J. (1992): Pflegewissenschaft: ein Überblick. In: Pflege 2, S. 88-92 Fürnkranz W./Untermarzoner D. (1996): Gesundheitspsychologie in einer New Public

Health. In: Grossmann R. (Hg.): Gesundheitsförderung und Public Health.Wien: Facultas Universitäts-Verlag, S. 323-345

Feyerabend, P. (1976): Wider den Methodenzwang — Skizze einer anarchistischenErkenntnistheorie. Frankfurt a.M: Suhrkamp

Feyerabend, P. (1980): Erkenntnis für freie Menschen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp Grossmann, R. (1996): Gesundheitsförderung und Public Health. Wien: Facultas--

Universitäts-Verlag

Page 55: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

54

Hurrelmann, K./Laaser, U. (Hg.) (1993): Gesundheitswissenschaften. Handbuch fürLehre, Forschung und Praxis. Weinheim: Beltz

Kuhn T. (1967): Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt a.M.: Suhr-kamp. (4. Aufl.)

Lafaille, R. (1993): Theorienvielfalt in den Gesundheitswissenschaften und Auswir-kungen auf die Pflege. In: Deutsche Krankenpflege-Zeitschrift 12

de Leeuw, E.(1996): Public Health in Europe with some remarks on the situation inthe USA. In: Rimpelä, A./ Köhler, L.: Postgraduate Public Health Training inthe Nordic Countries. Nordic School of Public Health. Göteborg

Lorensen, M. (1993): Wissenschaftliche Untersuchung zur Entwicklung der Pflege-wissenschaft. In: Pflege 3, S. 175-182

Noack R. (1996): Old Public Health — New Public Health — Stand und Entwicklungder gesundheitswissenschaftlichen Ausbildung und Forschung in Europa undNordamerika. In: Grossmann R. (Hg.): Gesundheitsförderung und PublicHealth. Wien: Facultas Universitäts-Verlag, S. 349-359

Noack, R. (1995): Die derzeitige Situation von Public Health und Möglichkeiten desAufbaus eines Public Health Studiums in Österreich. In: Heller, A./Schaeffer,D./Seidl, E.: Akademisierung von Pflege und Public Health — ein gesund-heitswissenschaftlicher Dialog. Wien, München, Bern: Maudrich, S. 39-51(44ff.)

Ong, B. (1993): The practice of health services research. Lomdon: Chapman Hall Schaeffer, D./Moers, M./Rogenbrock, R. (Hrsg.) (1994): Public Health und Pflege.

Zwei neue gesundheitswissenschaftliche Disziplinen. Berlin: Sigma Schnabel, P.E. (1996): Die Gesundheitswissenschaften (Public Health) brauchen ein

innovatives Management, um ihre Innovationspotentiale und ihren Bestand zusichern. In: Zeitschrift für Gesundheitswissenschaften, 4. Jahrg., H.2, S. 120-131

Seidl, E. (1993): Pflegewissenschaft — Eine Annäherung an Begriff und Bedeutung.In: Seidl, E. (Hg.): Betrifft: Pflegewissenschaft. Wien, München: Maudrich; S.99-107

Seidl, E. (1995): Zur Lage der Pflege und ihrer Akademisierung in Österreich. In: Hel-ler, A./Schaeffer, D./Seidl, E.: Akademisierung von Pflege und Public Health —ein gesundheitswissenschaftlicher Dialog. Wien, München, Bern: Maudrich,S.13-38 (28ff.)

Seiffert H. (1977): Einführung in die Wissenschaftstheorie. München: Beck, Band 2 Steppe, H. (1993): Entwicklung der Pflegewissenschaft am Beispiel der USA. In: FH

Frankfurt a.M. (Hg.): Pflege auf dem Weg zur Hochschule. Frankfurt a.M:Fachhochschulverlag, S. 159-192

Strauss, A. (1987): Qualitative Analysis for social scientists. Cambridge, New York,Melbourne, New Rochelle, Sydney: Cambridge University Press

Thomas, S. (1996): Qualitative versus quantitative Forschungsmethoden. Paradigma-tische Alternative — ein Thema in der Krankenpflege? In: Pflege 4, S. 307-315

Tschamler H.(1983): Wissenschaftstheorie. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, (2. Aufl.) Weltgesundheitsorganisation (WHO) (1993): Ziele zur “Gesundheit für alle”. Kopen-

hagen Zijderveld, A.C. (1966): Institutionalisierung. Hilversum, Antwerpen: Brand

Page 56: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

55

Pflegewissenschaft: Gegenstände, Fragestellungen, Methoden, Zukunftsperspektiven. Zur Einführung der Pflegewissenschaft in Deutschland Paul Wolters

1. Internationaler Entwicklungsstand Die Beantwortung der Frage nach den zentralen Themenbereichen der

Pflegewissenschaft und -forschung hat zwei Dimensionen zu berücksichtigen.Zum einen ist zu klären, wie weit an das angelsächsische Erbe angeknüpftwerden kann, und zum anderen herauszufinden, welche spezifischen The-menbereiche der deutschen Situation der Pflege adäquat sind.

Bei unseren Recherchen gingen wir davon aus, daß die Ermittlung des in-

ternationalen, besonders des angelsächsischen Forschungsstandes in derPflegewissenschaft auch den historisch gewachsenen Kontext des Gesund-heitswesens im untersuchten Land mit zu berücksichtigen und die Entwick-lung des neuen Faches in der Relation zu diesen Randbedingungen zu be-trachten hat. Denn nur aus diesem Verhältnis ist zu erklären, was zentraleThemen sind und wie prioritäre Forschungsfelder zustande kommen. Sie las-sen sich nicht einfach vom Forschungsstand her übertragen. Trotzdemscheint es uns wichtig, sich mit der Fachentwicklung, z. B. in den USA, ver-traut zu machen und die dort abgelaufenen Stadien kennenzulernen. Ausden Erfahrungen, auch den mühsamen, kann auch insofern gelernt werden,als nicht alle Entwicklungsstadien erneut durchlaufen werden müssen. Vondaher kommt uns in Deutschland am Beginn einer neuen Wissenschaftsent-wicklung in unserem Lande zugute, daß die amerikanische Pflegewissen-schaft nicht nur über langjährige Forschungserfahrung verfügt, sondern auchden bereits über Jahrzehnte währenden eigenen Entstehungs- und Entwick-lungsprozeß reflektiert und bewertet hat. Aus heutiger Sicht erscheinen ver-schiedene Wege, die die Entwicklung der Pflegewissenschaft in den USAdurchlaufen hat, als Umwege, aber sie haben die Pflege schließlich gestärkt,ihre Position als wissenschaftliche Tätigkeit geklärt und auf ihren heutigenStand gebracht. Insgesamt ist festzustellen, daß auch in Ländern wie Nord-amerika und Kanada ein schwieriger und nicht selbstverständlicher Prozeß zudurchlaufen war, um den heutigen Wissenschaftsstand und seine Qualität zuerreichen. Auch dort war ein mühsamer Weg von der Praxis der Pflege undden verschiedenen praxisbestimmten Formen der Aus- und Weiterbildungzur Forschung und einer wissenschaftsbestimmten Praxis und Qualifikationzu durchlaufen.

Es gibt verschiedene Versuche, die Stadien dieses Entwicklungsprozesses

zu beschreiben (Meleis 1985; Robert-Bosch-Stiftung 1992; Käppeli 1997).Alle Darstellungen zeichnen einen Weg nach, der von einer ersten Verständi-gung der Pflege über ihre Praxis zu einer Phase der Theorieentwicklung undparadigmatischen Eigenständigkeit führt. Bei allen Umwegen wird dieserWeg als Emanzipationsprozeß gedeutet, bei dem der Pflege, ähnlich wie an-deren zunächst rein praktischen Tätigkeiten, zunehmend reflektierte und sy-stematische Formen der Wissensgewinnung und der Aufbau einer eigenenWissenschaft zuwachsen.

Page 57: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

56

Die von den USA ausgehende internationale Entwicklung kann z.B. in 5Etappen beschrieben werden (Bergmann 1990):

In der 1. Etappe, vor allem in den USA der 50er Jahre, befaßte sich die

Pflegeforschung mit der Frage: “Wer pflegt?” Man beschäftigte sich mit derMenge und der Qualifikation des Pflegepersonals und wollte wissen, welchesPersonal dem Gesundheitswesen im Bereich der Pflege zur Verfügung stand.Die Studien waren weitgehend quantitativ beschreibend orientiert. Es han-delte sich um Magister- oder Doktorarbeiten.

Eine 2. Etappe schloß sich an, die die Frage “Was tun die Pflegenden?” in

den Vordergrund stellte. Hier wurden Studien erstellt, die sich mit den Ar-beitsabläufen und der Arbeitsorganisation beschäftigten. Es wurden erste epi-demiologische und modellvergleichende Forschungen durchgeführt, die zuneuen Organisationsentwicklungen sowie Arbeitsplatzbeschreibungen und -veränderungen anregten.

In der 3. Etappe ging man der Frage nach: “Wie wird gepflegt?” Hier

stand die klinische Forschung im Vordergrund. Die zunehmend differenzierte-re Tätigkeit der Pflege im klinischen Bereich wurde wissenschaftlich unter-sucht. Die Pflegeforschung fand Eingang in klinische Spezialzeitschriften, inWorkshops und Forschungskonferenzen (International Journal of NursingStudies).

Die 4. Etappe ist einmal bestimmt durch eine stärkere Beschäftigung mit

sozialpolitischen Fragen und mit der Beteiligung der Pflege an Entscheidun-gen im Gesundheitswesen. Die Pflege gewinnt politisches Profil. Parallel dazuentstanden Pflegetheorien und vergleichende Analysen der Theorien (Hen-derson 1960; Rogers 1970; King 1971; Orem 1971; Roy and Roberts 1981).

Die 5. Etappe markiert die derzeitige Entwicklung. Im Vordergrund stehen

Fragen der Qualitätssicherung, der Arbeitszufriedenheit und der Patienten-zufriedenheit sowie ethische und emotionale Aspekte der Pflege. Zur An-wendung kommen vor allem epidemiologische und analytische Studien undForschungen der Evaluation, der Effektivität und Wirksamkeit von Maßnah-men.

Durchgängig kann festgestellt werden, daß sich Pflege in drei Richtungen

entwickelt hat:• die Aus- und Weiterbildung von Pflegepersonen an Universitäten,• die Möglichkeit, sich im Forschungsbereich von Universitäten zu etablie-

ren,• Tagungen und Konferenzen, die das Forschungsnetzwerk fördern.

2. Einrichtung der Pflege als Wissenschaft an deutschen Hochschulen Versucht man anhand der dargestellten Kriterien und im Vergleich zu an-

deren Ländern, den Entwicklungsstand der Pflegewissenschaft und -for-schung in Deutschland zu ermitteln, so ergibt sich folgendes Bild: Pflege be-darf als neueinzurichtendes Fach an deutschen Hochschulen noch einer weit-gehenden inhaltlichen und methodischen Entwicklung. Hier sind noch dieVoraussetzungen zu schaffen, das Fach im Sinn einer Bezugsdisziplin zumvorrangigen Inhalt der wissenschaftlichen Ausbildung von Lehr- und Lei-tungskräften in der Pflege zu machen. Die unterschiedlichen Praxisfelder der

Page 58: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

57

Pflege sollten auf einem systematischen, regelgeleiteten und wissenschaftli-chen Niveau durchdrungen werden. Das umfangreiche Wissen, das in Formvon Theorieansätzen, Modellen, Konzepten und empirischen Studien - imwesentlichen im anglo-amerikanischen Raum - vorliegt, bedarf dazu einerRezeption und Transformation. Dies kann nur in enger Zusammenarbeit vonForschung und Lehre einerseits sowie Studium und Praxis andererseits gelei-stet werden.

Die Pflegeforschung ist im internationalen Vergleich ein Desiderat in der

deutschen Forschungslandschaft. Die wenigen bisher vorhandenen Institu-tionen sind auf die Aktivitäten von Einzelpersonen und Gruppen beschränkt,die sich z. B. im Verein für die Förderung der Pflegeforschung zusammenge-schlossen haben.

Um der Pflegewissenschaft das ihr angemessene und vom gesellschaftli-

chen Bedarf her geforderte Gewicht zu verleihen, sind Forschungsschwer-punkte an den Hochschulen einzurichten, die sich auch um die Entwicklungund Realisierung von Studiengängen im Pflegebereich bemühen. Nur in sol-chen Zentren sind Forschungsprogramme und eine darauf beruhende konti-nuierliche Forschungsarbeit zu entwickeln, die in enger Zusammenarbeit mitder Praxis wissenschaftlich begründete Vorschläge für die Lösung von Pfle-geproblemen anbieten können. Für den Aufbau neuer Forschungsbereichehat sich zudem die Gründung von Forschungsverbünden bewährt, bei denenmehrere Hochschul- und Praxiseinrichtungen bei der Entwicklung und Durch-führung gemeinsamer Programme und Projekte kooperieren.

Aufgabe der Universitäten ist die Entwicklung der Pflege in Forschung und

Lehre als Voraussetzung neuer Studiengänge in der Ausbildung von Lehr-und Leitungskräften in der Pflege. Ein besonderes Gewicht ist zudem auf dieFörderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in einem Bereich zu legen,der in Deutschland einen erheblichen Nachholbedarf aufweist.

Fachhochschulen haben demgegenüber die Aufgabe, durch anwen-

dungsbezogene Lehre auf berufliche Tätigkeiten vorzubereiten, die die An-wendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und Methoden erfordern. Die Ver-mehrung des Wissens auf einem professionellen Niveau ist für die Pflege vonerheblicher Bedeutung.

3. Grundbegriffe Grundbegriffe sind Leitvorstellungen einer Wissenschaft. In der Pflege er-

füllen sie die Funktion, pflegerisches Wissen begrifflich zu erfassen und so diePraxis und das dort vorhandene Wissen zu systematisieren und neu zu ord-nen. Mit ihnen vollzieht sich zugleich immer auch ein Stück theoretischer An-eignung der Praxis und eine Prioritätensetzung im Kontext der Verwissen-schaftlichung. Sie sind als Bausteine zu verstehen, die einen besonderen Stel-lenwert in einem Theorie-Kontext haben und zugleich zur Strukturierung desWissens beitragen. In einer erfahrungsorientierten Wissenschaft - wie derPflegewissenschaft - ist die Bestimmung von Grundbegriffen zugleich dieMarkierung des Handlungsfeldes in systematischer Form und die Abgrenzungvon anderen Handlungsfeldern (z. B. Medizin, Soziale Arbeit etc.). Es gibt na-türlich gleiche Grundbegriffe für verschiedene Wissenschaften, die trotzdemunterschiedliche Bedeutungsspektren im Gesamtkontext des wissenschaftli-chen Feldes darstellen.

Page 59: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

58

Diagnostik in der Pflege unterscheidet sich z. B. von Diagnostik in derMedizin darin, daß es in einem Fall mehr um eine Bedürfnisorientierung undim anderen um eine Befundorientierung geht. Am Beispiel dieses Grundbe-griffs läßt sich zugleich die spezifische Bedeutung von Grundbegriffen de-monstrieren. Diagnose zielt auf Bedarf und Bedürfnisse. Bedürfnisse habeneine objektive und eine subjektive Verständnisdimension. Was definiert diePflege, was der Patient/Klient als ein Bedürfnis? Eine personenbezogeneDienstleistung wie die Pflege trägt auch zur normativen Bestimmung vonBedürfnissen bei. Es gibt Bedürfnisse der Menschen aufgrund von Gesund-heitsproblemen und es gibt solche, die sich von bestimmten Behandlungs-konzepten ableiten lassen. Hier kommen unterschiedliche Ansätze zum Zuge,je nachdem ob eine Krankenbehandlungsorientierung oder eine Gesundheits-oder Rehabilitationsorientierung vorherrscht, die auf dem Prinzip “Hilfe zurSelbsthilfe” beruht. Auf dieses Grundverständnis und auf die entsprechendenGrundkonzepte sind die übrigen Grundbegriffe bezogen und gewinnen vondaher ihr Profil:• Interaktion• Kommunikation• Teamarbeit• Organisation• Qualitätssicherung• Intervention• Evaluation.

4. Der notwendige theoretische Kontext

All diese Grundbegriffe sind als solche nicht spezifisch für die Pflegewis-senschaft, gewinnen aber aufgrund einer theoretischen Grundorientierungeine bestimmte Konnotation. Grundbegriffe in einem Wissenschafts- undHandlungsfeld stehen demnach in einem engen Bedeutungszusammenhang,der von theoretisch begründeten Grundkonzepten bestimmt ist. Je nachStand der wissenschaftlichen Entwicklung einer Disziplin ist dieses Netz vonkonzeptionellen Ansätzen und Grundbegriffen mehr oder weniger plausibelentwickelt. Ein Blick auf die internationale Entwicklung der Pflegewissenschaftund -forschung zeigt, daß erst die präzise Fassung einiger zentraler Grundbe-griffe den Weg frei machte zu einer eigenständigen theoretischen und me-thodischen Entfaltung. Bis zu dieser Phase gab es eine Fülle auch innovativerBemühungen um den Aufbau eines Wissenschaftszweiges aus der Pflege,aber es fehlten die theoretischen Ansätze, die den Schlüssel zur Eigenständig-keit bei sich trugen. Erst die Begriffe “Pflegediagnostik” und “Pflegeprozeß”und ihre spezifischen Konnotationen eröffneten auch für die übrigen alswichtig erachteten Grundbegriffe und vor allem für die bis dahin bereits vor-handenen Forschungsbemühungen neue, Zusammenhänge stiftende Per-spektiven.

Mit der Entdeckung dieser zentralen Grundbegriffe war der Anspruch aufEigenständigkeit begründet. Sowohl die Entwicklung zu einem modernen,eigenverantwortlichen, professionellen Dienstleistungsberuf, der sich von derRolle der “treuen Gehilfin des Arztes, dem sie mit niederen Diensten hilft”(Grauhan 1990) verabschiedet, wie die zu einem selbständigen Wissen-schaftszweig, war von diesem theoretischen Durchbruch und seiner Diffun-dierung abhängig. Damit ist bereits angedeutet, daß die bezeichnete Wendenicht allein von einer wissenschaftlichen Umorientierung ausgeht. Was sich

Page 60: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

59

wissenschaftlich manifestiert und damit zu einer Stabilisierung der Praxis undneuen professionellen Strategien beiträgt, ist selber Ergebnis langjähriger Er-fahrungsprozesse, die noch nicht einer klaren auch theoretischen Orientie-rung folgten. Der allmähliche Gewinn eines theoretischen Profils hängt viel-mehr auch mit Veränderungen im Kompetenzgefüge und in der Arbeitstei-lung mit anderen Berufen im Gesundheitswesen zusammen, bei denen diePflege zu neuen und gewandelten Selbstverständnissen kommt (Haug 1995).Dies betrifft Verschiebungen sowohl der horizontalen wie auch der vertikalenKompetenzgrenzen. In den USA kam es im Zuge der Professionalisierungs-strategien zunehmend zur Übernahme von Aufgaben, die dort traditionell,und in anderen Ländern nach wie vor, zur Domäne der Medizin gehören.Diese Erweiterung des Tätigkeitsspektrums ging aber noch nicht einher miteinem veränderten Selbstverständnis der Pflege. Denn sie war bestimmt voneiner naturwissenschaftlichen Fachorientierung und lag damit noch auf derLinie des medizinischen Hilfsberufs, auch wenn sich die Kompetenzen erheb-lich verbesserten.

Erst die pflegewissenschaftliche Wende, die auch in einer Auseinanderset-zung mit der naturwissenschaftlich-medizinischen Grundorientierung be-stand, und eine Hinwendung zu einer sozialwissenschaftlichen Grundlegungbedeutete, brachte eine entscheidende Ausdehnung auf neue Aufgabenbe-reiche und zu einer Erschließung nichtmedizinischer Tätigkeitsfelder für diePflege, die erst ein modernes Selbstverständnis der Berufsgruppe ermöglichte(Schaeffer 1996). Diese paradigmatische Wende eröffnet der Pflegewissen-schaft allererst ihr eigenständiges Forschungsfeld. Das verschafft neue Frei-heiten sowohl im Bereich der theoretischen Orientierung wie der Fassung deranfangs erwähnten Grundbegriffe. Auch die vielfältigen bisherigen For-schungsaktivitäten, die sich mit der Pflege als Gegenstand befaßten, könnenvon daher neu eingeordnet werden.

5. 5. Anknüpfung an traditionelle Disziplinen undAnknüpfung an traditionelle Disziplinen und Entwicklung eigener AnsätzeEntwicklung eigener Ansätze

Die Bezeichnung “Pflegewissenschaft” im Singular ist ein intentionaler Be-griff mit fach- und berufspolitischer Konnotation. Er setzt auf eine eigenstän-dige und abgegrenzte wissenschaftliche Disziplin mit theoretischer und me-thodischer Orientierung und einem klar bestimmbaren Gegenstandsbezug.Anders als bei den Gesundheitswissenschaften, die sich im Plural darstellen,kommt in der Fachbezeichnung ein Disziplinanspruch zum Tragen, der die in-terdisziplinäre bzw. multidisziplinäre Dimension der Pflegewissenschaft nichtzum Ausdruck kommen läßt. Wie im vorigen Kapitel bereits dargestellt wur-de, knüpft die Pflegewissenschaft in ihrer historischen Entwicklung und ihremSelbstfindungsprozeß an unterschiedliche traditionelle Disziplinen an. Erst imÜbergang von einer mehr naturwissenschaftlichen zu einer primär sozialwis-senschaftlichen Orientierung gewinnt sie einen Standort, der sie wissen-schaftlich in eine eigenständige Richtung voranbringt und der auf der Ebeneder Professionalisierung entscheidende Unterstützung gewährt. Dabei kannaber nicht verkannt werden, daß die damit vollzogene Wende an wichtigeVorarbeiten in den Sozialwissenschaften anknüpft. So haben z. B. AnselmStrauss und seine Mitarbeiter grundlegende Studien zu den Prozessen chroni-scher Krankheiten und zu den Bedürfnissen chronisch kranker Menschendurchgeführt, die auch in der methodischen Herangehensweise an diese Pro-blematik Anschlußmöglichkeiten für die Pflegewissenschaft geboten haben.

Page 61: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

60

Gerade der spezifische sozialwissenschaftliche Ansatz der Schule um Strauss,der selber an der School of Nursing der Universität von San Francisco arbeite-te, hat mit ihrer auf der phänomenologischen Theorie der Soziologie aufbau-enden Methode der soziologischen Aufmerksamkeit Formen der wissen-schaftlichen Wirklichkeitserschließung entwickelt, die große Bedeutung fürdie Wende und die weitere Entfaltung der Pflegewissenschaft gewann(Strauss et al. 1991; Corbin/Strauss 1993).

Damit ist die Frage nach einer eindeutigen paradigmatischen Orientierungder Pflegewissenschaft noch nicht geklärt. Sicher ist aber, daß mit der be-schriebenen Wende von der naturwissenschaftlichen zur sozialwissenschaftli-chen Orientierung ein paradigmatischer Schritt im Sinne von Kuhn getanwurde, der forschungs- und handlungsleitende Bedeutung erlangte. Paradig-men in diesem Verständnis sind theoretische und pragmatische Leitvorstel-lungen, die sowohl wissenschaftliche wie praktische Aktivitäten in einem be-stimmten Handlungsfeld in ihrer grundlegenden Orientierung bündeln undrichtunggebend zusammenfassen. Daß die paradigmatische Neuorientierungvon entscheidender Bedeutung für die wissenschaftliche und die professio-nelle Entwicklung der Pflege in den USA und Großbritannien war, ist unum-stritten und empirisch vielfältig nachgewiesen. Andererseits ist mit diesemSchritt die Pflegewissenschaft als wissenschaftliches Fach in all seinen Facet-ten noch nicht durchgesetzt. Am Beispiel anderer Fachentwicklungen, wie derSoziologie, der Psychologie, der Pädagogik, ist zu erkennen, welch schwierigeund mühsame wissenschaftstheoretische, theoriepolitische und wissen-schaftspraktische Prozesse zu durchlaufen sind, bis sich eine professionali-sierte Scientific Community gebildet hat, die über ein selbstbewußtes und inUmrissen gesichertes theoretisches und methodisches Selbstverständnis undüber anerkannte Verfahren und Kriterien der Selbstreproduktion verfügt. Einwichtiger Indikator für das Erreichen dieses Entwicklungsstandes in den USAist die Etablierung eines National Center for Nursing Research am NationalInstitute of Health in Washington, über das wichtige pflegewissenschaftlicheForschungsprojekte auch mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, die ei-nem bereits eingespielten Begutachtungsverfahren unterworfen werden.

Die Identität von Pflegewissenschaft hat somit eine wissenschafts- und ei-ne berufspolitische Dimension. Es geht einmal um die Anerkennung im Kon-zert der Wissenschaften, z. B. im Kontext von Hochschulen, besonders Uni-versitäten, zum anderen im Zusammenhang der professionellen Pflege selber.Die internationale Erfahrung, besonders in den USA und Großbritannien,aber auch in Skandinavien, zeigt, welche Bedeutung die Etablierung der Pfle-gewissenschaft für die Professionalisierung hat. So trägt sowohl die paradig-matische Orientierung der Pflegewissenschaft wie ihre interne Differenzie-rung und ihre methodische Entwicklung zum Fortschritt der Professionalisie-rung und zur beruflichen Selbstverständigung bei.

6. Multidisziplinarität

Die Etablierung und Anerkennung der Pflegewissenschaft bedeutet aberkeineswegs eine neue, quasi monodisziplinäre Ausrichtung dieses Faches. Siebehält im Gegenteil - und das ist für die deutsche Situation wichtigerweisefestzuhalten - eine interdisziplinäre bzw. multidisziplinäre Struktur, d. h., dievon ihrer Herkunft her bedeutenden Fachelemente werden unter der bereitsbeschriebenen neuen paradigmatischen Ausrichtung in einen interdisziplinä-

Page 62: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

61

ren Zusammenhang gebracht. Diese Klammer zu schließen, ist nach allen in-ternationalen Erfahrungen keine Leistung auf der Metaebene der Wissen-schaftstheorie oder der Epistemologie, sondern eine Aufgabe konkreter For-schungs- und Entwicklungsarbeiten selber. Hier kommen die schon erwähn-ten Grundbegriffe in ihrer besonderen Funktion wieder ins Spiel. So ist z. B.Pflegediagnose als spezifische Aufgabe der Pflege im Unterschied zur medizi-nischen Diagnose zwar eine praktische Tätigkeit, aber eine solche, die - ähn-lich wie in der Medizin - einer wissenschaftlichen Anleitung und Unterstüt-zung bedarf. Die strukturellen, prozessualen und ergebnisbezogenen Rand-bedingungen müssen erfahrungswissenschaftlich ermittelt und zugleichtheoretisch und methodisch begründet werden. Dabei bedient sich sowohldie empirische Vorgehensweise wie deren theoretische Fassung bestimmter,im Rahmen anderer Disziplinen eingeführter Instrumente und Ansätze.

Nach allen vorliegenden Erfahrungen dürfen die berufspolitisch oft ver-ständlichen Abgrenzungstendenzen gegenüber anderen disziplinären Ansät-zen - z. B. den biomedizinischen - nicht dazu führen, bewährte praktischeund wissenschaftliche Verfahren um der Eigenständigkeit willen auszuschlie-ßen. Es zeigt sich, daß die interdisziplinäre Integration um so besser gelingt,desto mehr die paradigmatische Grundorientierung für das praktische undwissenschaftliche Handeln selbstverständlich geworden ist. Das enthebt abernicht der Mühe, Pflegediagnosen und die daran anknüpfenden Pflegeprozes-se wissenschaftsgestützt indikations-, fall-, situations- und personenbezogenunter Berücksichtigung der organisatorischen und sozialen Randbedingungenzu entwickeln.

7. Verbindung von Wissenschaftsentwicklung und Lehre

Voraussetzung für die Diffundierung der auf der paradigmatischen Ebeneerzielten Gewinne ist nach allen Erfahrungen im internationalen Kontext derPflege ihre Umsetzung in der Aus,- Fort- und Weiterbildung. Die Formierungder Pflegewissenschaft war nicht zu erreichen ohne die Einführung und Profi-lierung von Studiengängen für Pflege im System der Hochschulausbildung, inden USA, in Kanada und Großbritannien an den Universitäten. Denn nurüber diesen Weg wurde eine Qualifikationsstrategie in Gang gesetzt, die zumeinen Potentiale für den wissenschaftlichen Nachwuchs an den Hochschulenund in der Forschung schuf und auf der anderen Seite wissenschaftlich aus-gebildete und zunehmend für die neue paradigmatische Orientierung derPflege sensibilisierte Absolventen in die Praxis entließ, die sowohl Einflüsse inden unterschiedlichen Handlungsfeldern wie auf der Ebene der Berufspolitikzugunsten einer fortschreitenden Professionalisierung ausübten. Entschei-dende Bedingung für diese Entwicklung, die natürlich nicht gleichzeitig anden wichtigen Hochschulen eingeleitet und durchgesetzt wurde, war die sichallmählich durchsetzende Erkenntnis, daß eine gute akademische Ausbildungder Forschung bedarf und auf wissenschaftlich begründeten Konzepten be-ruht. So sind die bereits beschriebenen Entwicklungsphasen der Pflegewis-senschaft auch durch eine allmähliche Ausbalancierung von Forschung undLehre an den Hochschulen bestimmt. Nicht zuletzt war diese Entwicklung inihrem unterschiedlich intensiven Verlauf an den Hochschulen auch von inno-vativen Konstellationen struktureller und persönlicher Art abhängig. Wie beiallen neuen Aufbrüchen gaben mittlerweile weltbekannte Pflegewissen-schaftlerinnen und Forschergruppen die Impulse, die letztlich, z.B. in denangelsächsischen Ländern, zu einer landesweiten Bewegung wurden.

Page 63: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

62

Es ist unbezweifelbar wichtig, sich den Ablauf dieser Prozesse im internati-onalen Vergleich zu verdeutlichen, um daraus Einschätzungen zu gewinnenund Schlüsse für die Entwicklungschancen und -möglichkeiten in Deutsch-land zu ziehen. Obwohl aus den international verfügbaren Erfahrungen be-kannt war, welche Bedeutung der Wissenschaftsentwicklung und Forschungim Bereich Pflege für die Ausbildung zukommt, daß erst eine wissenschaftlichbegründete Qualifikation und eine so gestützte Praxis in der Lage ist, profes-sionellen Wandel anzustoßen und neue Handlungsweisen und -felder zuerschließen, wurden in unserem Land fast flächendeckend Studiengänge,besonders an Fachhochschulen, eingerichtet, ohne daß für die dort zu ver-mittelnden Inhalte an einen Fundus etablierter Forschung angeknüpft werdenkonnte oder für die neuetablierten Ausbildungsgänge und deren spezifischeInhalte flankierende Forschungsaktivitäten geschaffen wurden. Die deutscheEntwicklung zeigt, wie schwer auch verbürgte Erfahrungen übertragbar sindund wie sehr Initiativen von den strukturellen und personellen Rahmenbe-dingungen abhängen. Die Verbreitung von Pflege-Studiengängen an Fach-hochschulen nutzt den bildungspolitisch begründeten Trend zum Ausbau derFachhochschulen, ist aber damit gleichzeitig der Restriktion unterworfen,pflegewissenschaftliche Entwicklungen nicht gleichzeitig voranbringen zukönnen, weil Forschung und die Förderung des wissenschaftlichen Nach-wuchses nicht zu den Aufgaben der Fachhochschulen zählt. Der enormeEnergie- und Ressourcenaufwand, der bei der Etablierung der Fachhoch-schulstudiengänge betrieben wird, scheint im Gegenteil ein Alibi dafür herzu-geben, entsprechende Aktivitäten an den Universitäten, den Stätten der For-schung und Nachwuchsförderung, gar nicht erst einzuleiten. Zudem machtdie Differenzierung des deutschen Hochschulwesens in Fachhochschulen undUniversitäten, die es in den USA, Kanada, den skandinavischen Ländern undGroßbritannien in dieser Form nicht gibt, ein Übergreifen der innovatorischenImpulse von den Fachhochschulen auf die Universitäten gar nicht selbstver-ständlich. Und doch sind die an den angelsächsischen Universitäten abge-laufenen Prozesse der wissenschaftlichen Durchsetzung der Pflege als Wis-senschaft auch bei uns im Rahmen des Systems unverzichtbar, das für For-schung und Nachwuchsförderung zuständig ist. Den Universitäten kann dieseAuseinandersetzung um Anerkennung nicht erspart bleiben, wenn die Pfle-gewissenschaft einen gleichberechtigten Part im Konzert der Wissenschaftenund ihren Förderungssystemen spielen will. Nach der breiten Einführung vonPflegestudiengängen an Fachhochschulen werden sich die Protagonisten derPflegewissenschaft an Universitäten zunehmend mit dem Argument ausein-andersetzen müssen, die Pflege habe an den praxisorientierten Fachhoch-schulen ihren richtigen Platz im akademischen System.

8. Theoriebildung in der Pflegewissenschaft

Die Wissenschaften beziehen ihr Selbstverständnis aus eigenständigentheoretischen Entwürfen und Konzepten und einem für ihren Gegenstands-bereich als angemessen definierten methodischen Instrumentarium. Eine an-wendungsbezogene Wissenschaft, wie die Pflegewissenschaft, legt darüberhinaus Wert darauf, wissenschaftliche Beiträge zur Begründung zentralerHandlungskonzepte für die Pflegepraxis zu leisten. Historisch gesehen, habenim Zuge der Entwicklung zur Pflegewissenschaft, besonders an angelsächsi-schen Hochschulen, umfangreiche Aktivitäten und Diskurse zu Pflegetheorienstattgefunden.

Page 64: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

63

Die Anfänge der pflegewissenschaftlichen Theoriebildung gehen auf die50er Jahre zurück. Damals legte Virginia Henderson erstmals ein konzeptio-nelles Modell vor, mit dem sie den Gegenstand der Pflege zu beschreibenversuchte (Henderson 1966). Diese ersten Bemühungen um eine theoretischeGestaltung der Pflege basieren auf Vorarbeiten, die noch weiter zurückliegen.Ihnen folgten - vornehmlich in den USA - eine größere Zahl von Autorinnen,so daß es inzwischen mehr als 30 Ansätze gibt, die Beiträge zu einer Theorieder Pflege leisten und dadurch Bausteine für die Pflegewissenschaft lieferten.Mittlerweile liegen zudem eine Reihe von Veröffentlichungen vor, die unterverschiedenen Kriterien systematische Überblicke über die unterschiedlichentheoretischen Modelle geben (zuletzt: Fawcett 1993, 1995; Marriner-Tomey1994; Parker 1993). Einige Übersichtsarbeiten wurden ins Deutsche übersetzt(Fawcett 1996; Marriner-Tomey 1992). Trotz einiger verdienstvoller Zusam-menstellungen und Kommentierungen fehlen im deutschsprachigen Raumkritische Auseinandersetzungen mit den besonders in den USA entwickeltenPflegetheorien. Eine kritische Rezeption mit dem Ziel der Adaption stehtebenfalls noch aus.

Seit mehr als 40 Jahren werden konzeptionelle Modelle, Pflegemodelle,Pflegetheorien erstellt, die auf unterschiedlichen Voraussetzungen beruhenund verschiedenen Zielsetzungen folgen. Schon die Verwendung unter-schiedlicher Begriffe für ihren theoretischen Status macht einerseits Unsicher-heiten deutlich, weist andererseits aber auf den mühsamen Prozeß hin, auseiner divergenten Praxis heraus deren Selbstverständnis reflexiv zu konturie-ren und in ein theoretisches Profil zu fassen. Das gleiche gilt auch für die viel-fältigen Aktivitäten, die zahlreichen Theoriebildungsversuche in Überblickenzusammenzufassen, zu ordnen und zu evaluieren. Sowohl die einzelnen Mo-dellbildungen wie die metatheoretischen Bewertungsbemühungen sind rück-blickend als Beiträge zu interpretieren, die Pflegewissenschaft - ansetzend beider Praxis - Schritt für Schritt in ihrem Wissenschaftsstand voranzubringen.

In Deutschland waren in den letzten Jahren verschiedene Initiativen zubeobachten, bestimmte Pflegemodelle wie die von Orem, Peplau und Rogerszu adaptieren und sie über Weiterbildungsmaßnahmen quasi schulbildend alsOrientierung der Praxis einzuführen. Dies geschah vielfach auf Betreiben vonAkteurinnen, die im Ausland - meist in den angelsächsischen Ländern - mitFachkreisen der Pflege Kontakt hatten, die selber nach solchen Modellen ver-fuhren. Überzeugt hatte sie dabei an erster Stelle, daß hier im Unterschied zuden eigenen Erfahrungen in der Pflegepraxis nach plausiblen theoretischenModellen verfahren wurde und dadurch eine eindeutige Orientierung gege-ben war. Daß das übernommene Konzept eines unter vielen anderen mögli-chen war, wurde oft dabei genauso wenig reflektiert wie die Tatsache, daßmittlerweile eine Reihe von Auseinandersetzungen mit den unterschiedlichenGrundlagen und methodischen Ansätzen der Pflegemodelle vorlagen. Ähn-lich wie bei der fast hektischen Aktivität beim Aufbau der Studiengänge inDeutschland zeigt sich auch hier der Versuch, Erfahrungen im Ausland un-mittelbar zu übertragen, ohne einerseits die Besonderheit der Verhältnissedort zu beachten, wo Entscheidungen für die Verwendung eines bestimmtenModells vorlagen, und andererseits die langjährigen Auseinandersetzungenzu berücksichtigen, die generell um eine Theoriebildung in der Pflege geführtwurden und den Akteuren dort präsent waren.

Page 65: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

64

9. Deutscher Bedarf und internationale Erfahrung

Pflegewissenschaft beginnt in Deutschland nicht bei Null. Eine ihrer wich-tigen Aufgaben wird sein, den Fundus an theoretischen Bemühungen - vorallem in den USA - aufzuarbeiten und für die deutschen Bedürfnisse frucht-bar zu machen. Dabei wird es weniger darum gehen, die vielen einzelnenPflegetheorien und -modelle zu reproduzieren und bis in ihre Grundelementehinein neu zu sortieren. Was fehlt ist, sie in ihren paradigmatischen Struktu-ren zu erfassen und sie in ihren vielfältigen theoretischen und methodischenVorschlägen für eine Theoriebildung zu nutzen, die Orientierungen sowohlfür die Aus- und Weiterbildung wie für die Praxis der Pflege schafft. Dabeisind die Kriterien kritisch zu betrachten, die schon bei den angelsächsischenÜberblicksbemühungen Verwendung fanden. D.h., die bereits stattgefunde-nen Evaluationen und ihre Ergebnisse sollten mit berücksichtigt werden.

In diesem Beitrag können nur Hinweise auf notwendige zukünftige Aktivi-täten zum Aufbau der Pflegewissenschaft an einem universitären Institut ge-geben werden. Die wenigen in Deutschland geplanten Zentren für Pflegewis-senschaft werden sich — vom Bedarf her gesehen — mehreren parallel lau-fenden Aufgaben zu widmen haben. Neben dem notwendigen Engagementbei der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation dringender Praxismaß-nahmen, z.B. im Zuge der Umsetzung der Pflegeversicherung oder der Ein-führung neuer Aus- und Weiterbildungsmodelle, steht die Behandlung vonGrundsatzfragen im Vordergrund. Angesichts der defizitären Situation derPflegewissenschaft in unserem Land bedeutet dies aber, Beiträge zur Profil-bildung dieser neuen Wissenschaft zu leisten und ihre prioritären Forschungs-felder zu markieren. Wichtige Bestandteile dieser Grundsatzfragen sind dieTheoriebildung und Methodenentwicklung. Hier ist an die internationalen Er-fahrungen in dem Sinne anzuknüpfen, daß die dort vorhandenen Potentialezu aktivieren sind. Dies gelingt nicht über bloßes Nachholen, das sich an ein-zelnen wissenschaftlichen Schulen orientiert und ihre Ergebnisse reproduziert.Der Stand der Forschung und Entwicklung liegt andererseits nicht auf derHand, d.h. so vor, daß er unmittelbar genutzt werden kann. Die pflegewis-senschaftliche Aktivierung hat in Deutschland zwei Richtungen zu verfolgen.Sie muß einerseits den deutschen Bedarf an wissenschaftlicher Theorie- undMethodenkonstruktion analysieren und in Gang bringen und andererseitsden international zur Verfügung stehenden Fundus unter Aspekten des sichallmählich konturierenden hiesigen Bedarfs sichten und aufarbeiten. Wir fan-gen zwar nicht neu an, benötigen aber Kriterien und Strukturen, mit derenHilfe wir quasi sekundäranalytisch an den vorliegenden Bestand herangehen.Nicht alle Theorien und Modelle sind für sich interessant, da sie ja jeweilsauch in ihrem historischen und gesellschaftlichen Kontext stehen und darinihren besonderen Stellenwert haben. Herauszufinden ist vielmehr, welcheLernprozesse wissenschaftstheoretischer, wissenschaftspolitischer, theoriepo-litischer und professioneller Art hinter der Fülle der wissenschaftlichen undpraktischen Bemühungen und ihrer Dokumentationen über mehrere Jahr-zehnte stehen und welche Schlüsse für einen Neuanfang daraus zu ziehensind.

10. Paradigmen und Theorien

Das hier vorgesehene erste Herangehen an den Stand der pflegewissen-schaftlichen Theoriebildung verfolgt das Ziel, prioritäre Forschungsaufgabenzu ermitteln und entsprechende Richtungen anzugeben. Hierbei sind Unter-

Page 66: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

65

scheidungen auf der Ebene der Paradigmen, der Theorien und der Hand-lungsmodelle zu beachten. Auffällig bei den Klassifikationsversuchen in denÜberblicksarbeiten ist, daß sich die Autorinnen von sehr unterschiedlichenStandpunkten der Einteilung der theoretischen Modelle nähern, von denensich keiner als allgemein verbindlich durchgesetzt hat. So werden bei Marri-ner-Tomey (1992), Riehl-Sisca (1989) und Meleis (1985) sehr unterschiedli-che Klassifikationen für dieselben Modelle gewählt. Trotz immanent konse-quenter Begründungen erschweren die verschiedenen Vorgehensweisen eineeinheitliche Einstufung. Das Problem ist, daß sich die Modelle aufgrund ihrerKomplexität, ihrer Multidimensionalität, ihrem Abstraktionsniveau und ihrerReichweite erheblich unterscheiden und dieses bei den Überblicken nichtdurchgängig in der gleichen Form berücksichtigt wird. Um trotzdem zu einerforschungsleitenden Orientierung zu kommen, bietet sich an, zunächst derEinteilung von Rizzo-Parse (1987) zu folgen, die eine Differenzierung auf derparadigmatischen Ebene vorschlägt. Sie lehnt sich dabei an Kuhn (1970) an,der unter wissenschaftstheoretischen Aspekten - wie an anderer Stelle bereitserwähnt wurde - zu einer Definition des Begriffs Paradigma kam. Rizzo-Parsenimmt in der Pflege im Blick auf die verschiedenen Theorie- und Modellbil-dungen zwei paradigmatische Richtungen an, die auf unterschiedlichen Auf-fassungen des Menschen beruhen. Nach dem "Man-environmental totalityparadigm" wird das Ganze als Summe seiner Teile verstanden, während imsog. "Simultaneity paradigm" das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.

Die Grundannahme des "ganzheitlichen" (totality) Paradigma geht voneinem bio-psycho-sozio-spirituellen Organismus des Menschen aus, der ei-nen Gleichgewichtszustand zwischen sich und der Umwelt zu erreichen ver-sucht. Das sog. "einheitliche" Paradigma faßt den Menschen dagegen alsoffenes System, das in einem Interaktionsprozeß mit seiner Umwelt steht.

Je nach grundlegender paradigmatischer Orientierung in die eine oder an-dere Richtung unterscheiden sich die Ziele der Pflege in eine stärkere Exper-tensicht auf der einen und in eine Patientenperspektive auf der anderen Sei-te. Im Forschungsbereich stehen quantitative Methoden auf der Seite der"ganzheitlichen" Vorgehensweise im Vordergrund. Sie gehen auf die Ver-fahren der Naturwissenschaft zurück, folgen dem Kausalitätsprinzip und ar-beiten mit statistischen Modellen, während schwerpunktmäßig qualitativeMethoden auf der Seite des "einheitlichen" Paradigmas Anwendung finden,die mehr von den Sozial- und Humanwissenschaften ausgehen.

Von besonderer Bedeutung ist nun, daß auch der Prozeß der Theorieent-wicklung je nach paradigmatischer Leitorientierung unterschiedlich verläuft.Auf Seiten des "ganzheitlichen" Grundsatzes versucht man pflegewissen-schaftliches Wissen zu sammeln und vorhandenes Wissen unter pflegewis-senschaftlich relevanten Aspekten zu systematisieren, während unter "ein-heitlicher" Orientierung der Anspruch verfolgt wird, eine eigene pflegewis-senschaftliche Sichtweise zu entwickeln und von daher die relevanten Gegen-stände und Fragestellungen zu definieren. Auf diesem Hintergrund ergebensich Perspektiven auf die verschiedenen konzeptionellen und theoretischenPflegemodelle, die eine grundlegende Zuordnung erlauben und somit eineHandlungsanweisung für die weitere wissenschaftliche Bearbeitung dieserAnsätze hergibt, mit dem Ziel, Vorschläge für ihre Diskussion und Adaptionim deutschen pflegewissenschaftlichen Kontext zu machen.

Page 67: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

66

11. Der Entstehungszusammenhang der Theorien

Die Einteilung der unterschiedlichen Pflegetheorien und -modelle nachden sie bestimmenden paradigmatischen Grundorientierungen verfügt überhohe Plausibilität und verschafft gute Ansätze für ihre weitere wissenschaftli-che und praktische Verwendbarkeit. Nun handelt es sich bei diesem Entwurfvon Rizzo-Parse (1987) um eine Interpretation, die im Blick auf die vorliegen-den Theorie- und Modellbildungen vollzogen wurde, ohne ihren Entste-hungs- und unmittelbaren Verwendungszusammenhang mit zu berücksichti-gen. Rizzo-Parse verfolgt mit dieser paradigmatischen Sortierung das Ziel, imZuge einer bereits weiter fortgeschrittenen Profilierung der amerikanischenPflegewissenschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt den Stand der Entwick-lung festzuhalten und aus dieser Sicht den einzelnen Bausteinen dieses Pro-zesses ihren Stellenwert einzuräumen. Rückblickend sind sowohl die einzel-nen Bemühungen um Modellbildungen in der Pflege wie die Überblicksar-beiten unter dem Gesichtspunkt ihres Beitrags zur Entwicklung einer eigen-ständigen Pflegewissenschaft zu betrachten. Vieles, was uns aus der heutigenSicht als unvereinbar oder widersprüchlich erscheint, kommt unter diesemErkenntnisinteresse anders ins Bild. Die differenzierten Bemühungen um dieBildung theoretischer Modelle, die zu einer besseren Orientierung, sei es derAusbildung, sei es der Praxis, beitragen sollten, bezogen ihre Motivationnicht an erster Stelle aus dem Bestreben, am Aufbau einer eigenständigenWissenschaft der Pflege mitzuwirken. Sie hatten weitgehend unmittelbarpraktische Bedeutung. So haben z.B. Henderson, Abdellah und Peplau in den50er Jahren als ausgebildete Krankenschwestern und in der Ausbildung vonPflegekräften tätig zunächst an der Entwicklung von Curricula für die Pfle-geausbildung mit dem Ziel gearbeitet, ihren Schülerinnen systematisch auf-bereitetes Wissen zu vermitteln, das sich von den in der Medizin präsentier-ten Wissensbeständen durch den spezifischen Bedarf der Pflege unterschied.Ihre Aktivitäten waren zwar bereits von den Intentionen bestimmt, eigen-ständige Inhalte für die Pflege abzustecken und in systematischer Form zuerfassen, blieben aber noch in der medizinisch-naturwissenschaftlichen Her-kunft ihrer Autorinnen befangen, war doch die Pflege traditionell im Kontextder Medizin als deren Hilfsdisziplin angesiedelt. Auch die aus den Curriculaentworfenen Handlungsmodelle der Pflege blieben in ihrer Struktur denender Medizin ähnlich.

Es wäre sinnvoll, ähnliche Analysen auch für die übrigen Pionierinnen derPflegewissenschaft anzustellen, was jedoch den Rahmen dieses Beitragssprengen würde. Und doch dürfte in diesem ersten Überblick deutlich gewor-den sein, daß sie in ihrem ambitionierten Vorgehen stark von ihrer Herkunftals Krankenschwestern oder dem spezifischen Kontext ihrer Arbeit, z.B. Psy-chiatrie, Psychotherapie, bestimmt waren. Auch waren zusätzliche Hoch-schulausbildungen nicht ohne Einfluß auf ihre Konzepte. So werden erwei-ternd psychologische, interaktionistische und systemische Akzente gesetzt.Bei allen Divergenzen sind auch die Ansätze von Johnson, Roy, King undOrem einflußreiche Weiterentwicklungen von Pflegetheorien, die zwar je-weils unterschiedliche Akzente bei der Konstruktion der Modellbildung setzenund im Detail neue Errungenschaften auf dem Weg darstellen eigenständigeSystematisierungen von pflegerischem Wissen zu erlangen, aber insgesamtmehr dem medizinisch-naturwissenschaftlichem Paradigma verpflichtet blei-ben.

Diese grundsätzliche Befangenheit im paradigmatischen Ansatz der medi-zinischen Herkunft der Pflege darf aber nicht übersehen lassen, daß die hohe

Page 68: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

67

Subtilität, mit der Autorinnen wie Orem, Henderson u.a. die Pflegetätigkeitausleuchteten und mit systematisiertem Wissen versorgten, das nicht ohneweiteres in den bisher von der Medizin bestimmten Bereich gehört, von in-nen heraus eine andere Herangehensweise fordert. Es gibt Anzeichen dafür,daß einige sehr genau ausgearbeitete Pflegemodelle, sozusagen dialektisch,Perspektiven eröffnet haben, die auch die Wende zu einer anderen paradig-matischen Orientierung indizieren.

Interessant war zu beobachten, daß die bisher erwähnten Autorinnen -aus der Praxis kommend - primär um die Entwicklung von Curricula undHandlungsmodellen bemüht waren. Ihre Intentionen waren zunächst prakti-scher Art, gerieten aber zunehmend in den Trend, direkt pflegewissenschaftli-che Theoriebildung voranzubringen. Rückblickend sind einige Unterschei-dungen klarer zu fassen. Zunächst ging es um konzeptionelle Modelle derWissensgestaltung für die Pflege. Aus curricularen Anforderungen herauserwuchs daraus die Notwendigkeit, Handlungsmodelle für die Pflegepraxis zuentwerfen, die vielfach Pflegemodelle bzw. Pflegetheorien genannt wurden.Unter dem Anspruch, die unterschiedlichen Theorien und Modelle über-blicksartig und systematisierend zusammenzufassen, tauchten im Selbstver-ständigungsprozeß der Pflege zunehmend Unterscheidungen auf, die aufverschiedenen Theorieebenen anzusiedeln waren. Theorien waren nunmehr -wie im Kontext anderer Wissenschaften - Erklärungen und perspektivischeEntwürfe, die zugleich wissenschaftlich begründet und praxisleitend waren.Davon unterschieden sind die Theorien mittlerer Reichweite, die für einenabgegrenzten thematischen Bereich Geltung gewinnen können. Der theoreti-sche Gehalt der konzeptionellen Modelle für Curriculumentwicklung undHandlung ist eher von diesem Charakter. Sowohl die Theorien der größerenwie die der mittleren Reichweite sind von den Paradigmata als den grund-sätzlichen Orientierungen einer Wissenschaft zu unterscheiden. Unverkenn-bar haben die bekannten Bemühungen um eine eigenständige Wissenschaftder Pflege wie die von Martha Rogers, (1970), unter der eindeutigen Orien-tierung des "gleichzeitigen" Paradigmas gestanden. Andererseits haben sieselber zur Stabilisierung auch der paradigmatischen Eigenständigkeit der Pfle-gewissenschaft beigetragen. Rogers bot in ihrem Werk einen weitreichendenTheorieentwurf der Pflege, der ihrem eigenen Verständnis nach noch opera-tional und empirisch auszubauen ist. Die Theorie ist zwar auf einem hohenAbstraktionsniveau entwickelt, enthält aber vielfältige Anknüpfungsmöglich-keiten sowohl für die Klientenzentrierung der Pflege wie für den Ausbau derkommunikativen und emotionalen Kompetenz der Pflegekräfte und - nichtzuletzt -für Konzepte der Pflegediagnostik und des Pflegeprozesses.

12. Methoden

Daß spezifische paradigmatische und theoretische Orientierungen auchmethodische Schwerpunktsetzungen nach sich ziehen, wurde bereits er-wähnt. Die Pflegewissenschaft löste sich auf dem Weg zur Eigenständigkeitzunehmend von ihrer medizinischen Herkunft. Auf diesem Weg wurden neuetheoretische Felder und Gegenstände entdeckt, die nicht mehr alleine mit denherkömmlichen Instrumentarien der in den bio-medizinischen Wissenschaftenüblichen Methoden der kausalwissenschaftlichen Erklärung bearbeitet wer-den können. Zusätzlich zu den eingespielten quantitativen Methoden in denNatur- und Sozialwissenschaften sind in der Pflegewissenschaft qualitativeMethoden einzusetzen, die vornehmlich aus den Sozial- und Humanwissen-

Page 69: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

68

schaften stammen. Anders als in der klinischen Forschung der Medizin wirdim Bereich der Pflege der Mensch als Person und soziales Wesen mit in dieDiagnose und Behandlung einbezogen, was andere methodische Zugangs-weisen zum Gegenstandsfeld auch für die Forschung bedeutet. Die direkteEinbeziehung der im Pflegeprozeß interagierenden Personen und Personen-gruppen in die Forschung durch Beobachtung und Expertenbefragung (gera-de auch der Klient/Patient ist Experte) verlangt Herangehensweisen, die sichder Erfahrungen aus der qualitativen Sozialforschung bedienen muß.

Nun zeigt schon die Geschichte der Entstehung der Pflegewissenschaft,daß es zwar notwendig war und ist, sich von der Herkunft aus der Medizinzu lösen, daß aber diese Freisetzung nicht bedeuten kann, die sachliche Näheaufzugeben. Dieses weist auf den bereits erwähnten interdisziplinären bzw.multidisziplinären Charakter der Pflegewissenschaft hin, was in bestimmtenGegenstandsbereichen auch ein multimethodisches Vorgehen, d.h. einen Mixaus quantitativen und qualitativen Methoden verlangt. Daß dieser Aspekterst spät in den Vordergrund der Anforderungen gerückt wurde, liegt an derlangen Befangenheit im bio-medizinischen Wissenschaftsparadigma. Interna-tional verfügt man inzwischen über einige Forschungserfahrungen mit demEinsatz solcher gemischten Methodensätze. Für die Pflegewissenschaft inDeutschland kann hier aus der reichen Erfahrung der Sozialwissenschaften imweiteren Sinn gelernt werden. Jedenfalls sind viele der erst noch in der empi-rischen Forschung zu erschließenden Problembereiche der Pflege nur mit Hil-fe qualitativer oder gemischter Methodeneinsätze zu bewältigen. Nach denErfahrungen reicht es dabei nicht aus, ein bestimmtes Methodenrepertoireabstrakt zur Verfügung zu haben. Die kompetente Anwendung von Metho-den ist an spezifische Skills gebunden, die über entsprechende Anwendungs-trainings erworben werden. Solche Voraussetzungen müssen in Deutschlandan den Zentren der Pflegewissenschaft geschaffen werden. Dort muß Me-thodenkompetenz sowie Beratungskompetenz in Methodenfragen aufgebautund entwickelt werden. Ohnehin ist man aber in diesem Bereich immer auchauf die Kooperation mit Einrichtungen und Forschungsgruppen angewiesen,die über besondere Anwendungskompetenzen verfügen. Empirische For-schung ist nur im Erfahrungszusammenhang und in Kooperation mit Erfahre-nen zu erlernen. In dieser Hinsicht sind methodologische Studien, die sich mitdem Vorgehen anderer Forschungsgruppen kritisch auseinandersetzen, un-verzichtbar.

13. Fazit im Blick auf die amerikanische Entwicklung

Aus dem bisher Gesagten ist ersichtlich, daß eine unreflektierte Übernah-me der anglo-amerikanischen Pflegetheorien problematisch ist. Die Proble-matik beruht einerseits auf Erkenntnissen, die kontroverse Entwicklungen inden USA selber betreffen, zum anderen darauf, daß die selbstverständlicheÜbertragung von Grundbegriffen und Theorieelementen die historisch ge-wachsenen und kulturell bestimmten Strukturen unbeachtet läßt. So hat sichdie curriculare Entwicklung von Studiengängen weitgehend in enger Anleh-nung an eine Pflegetheorie vollzogen. Mittlerweile hat sich die Erkenntnisdurchgesetzt, daß der darin erzielte Orientierungsgewinn von Einseitigkeitenbegleitet ist, die für die Entwicklung der Pflegewissenschaft insgesamt als ge-fährlich angesehen werden. Das hat zu einem Umdenken geführt und eineCurriculumsrevision ausgelöst, die auf einer Auseinandersetzung mit mehre-ren pflegetheoretischen Ansätzen beruht (Müller 1996). Mit diesem Prozeß

Page 70: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

69

wurde gleichzeitig eine heftige Diskussion um den Status von Pflegetheorienund deren Funktion für Ausbildung und Praxis in Gang gebracht. Viele As-pekte dieser Auseinandersetzung sind von großer Relevanz für die deutscheKonstruktion der Pflegewissenschaft, sind aber - wie bereits dargestellt wurde- in ihrer Verwendbarkeit auf genaue Bestimmungen des hiesigen Bedarfs an-gewiesen.

Am Beispiel des Grundbegriffpaars Grundpflege-Behandlungspflege läßtsich zum anderen zeigen, wie problematisch eine zu kurz verstandene Adap-tion amerikanischer Ansätze ist. In Deutschland spielt die zweiseitige Begriffs-verwendung bis heute und bis in die heutige Gesetzgebung und die mit ihrerUmsetzung zusammenhängende Praxis, z.B. Pflegeversicherung, eine zen-trale Rolle. Sie geht auf die historisch bedingte Unterscheidung zwischeneinfacher Pflege und medizingeleiteter pflegerischer Arbeit zurück und führtin der Praxis und in den darauf aufbauenden Konzepten dazu, die wichtigenDimensionen pflegerischer Tätigkeiten zu verkennen und abzuwerten. In derAkzentuierung der besonderen Bedeutung der Behandlungspflege für dieProfessionalisierung geht der ganzheitliche, den Menschen in all seinen Di-mensionen berücksichtigende Aspekt der Pflege verloren. Der Patient/Klientwird unter einem bestimmten Krankheitsbild behandelt und der übrige Teilder Pflege davon abgespalten und als minderqualifizierte Aufgabe gesehen.Damit wird die Dominanz und Definitionsmacht der Medizin festgeschrieben,ohne daß die Pflege in ihrer Eigenständigkeit gefördert wird.

Auf den ersten Blick läßt die in Deutschland benutzte und offiziell bis indie Klassifizierung von Pflegeleistungen und bis in die Qualitätssicherungfestgeschriebene Begriffsfassung Ähnlichkeiten mit den USA zu. Pflege wirddort im Bereich der unmittelbaren patientennahen Pflege und zusätzlich alsAssistenz bei medizinischen Aufgaben angesiedelt. Und obwohl die Pflegeeng an bio-medizinischen Vorstellungen orientiert war, lag der Unterschiedzur deutschen Tradition und noch heute gültigen Auffassung darin, daß mitder Übernahme ärztlicher Tätigkeiten auch das damit zusammenhängendevollständige Verantwortungsspektrum einherging. Das heißt, Pflege war inihrer theoretischen Orientierung und der darauf beruhenden curricularenGestaltung auf die Wahrnehmung medizinischer Aufgaben gerichtet unddamit auf die Erweiterung ihres Tätigkeitsfeldes in horizontaler und vertikalerRichtung eingestellt. Von daher ist eine Berufung auf Ähnlichkeiten mit deramerikanischen Begriffsbildung irreführend, da schon im Kontext von “Be-handlungspflege” fundamentale Unterschiede im Spektrum von Autonomieund Abhängigkeit festzustellen sind. Darüber hinaus ist in den letzten Jahrenin den USA die Erkenntnis gewachsen, daß die größere Eigenständigkeit derPflege im medizinischen Aufgabenspektrum nicht nur als Fortschritt zu be-greifen ist, sondern zu einer Entfremdung von der eigentlichen Pflegetätigkeitgeführt hat (v. Maanen 1996). In diesem Kontext sind dann auch eine neueTheoriedebatte und eine damit verbundene Curriculumrevision anzusiedeln,die mehr an der auch wissenschaftstheoretisch fundierten Autonomiegewin-nung der Pflege in ihrem eigentlichen Handlungsbereich orientiert waren. Dievorhergehenden Überlegungen zeigen, daß eine einfache Übertragung desamerikanischen Modells schon deshalb nicht möglich ist, weil selbst ähnlichgefaßte Grundbegriffe aufgrund ihres spezifischen Handlungs- und berufspo-litischen Kontextes nicht vergleichbar sind und so leicht als Alibiargumete ineiner grundsätzlich unterschiedlichen Entwicklungssituation herhalten müs-sen. Andererseits zeigt das Beispiel der Verwendung des GrundbegriffpaarsGrundpflege und Behandlungspflege, wie eine kritische Rezeption amerikani-

Page 71: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

70

scher Theorien Distanzen zur eigenen Pflegetradition aufzubauen gestattet,die Bausteine zu einer Pflegewissenschaft im hiesigen Kontext bilden können.

Eine fundierte Auseinandersetzung mit der historischen Entwicklung deramerikanischen Pflegewissenschaft und dem dort erreichten Wissensstandliegt bei uns noch nicht vor. Zwar wurden verschiedene wichtige Aspekteunter praktischen Erkenntnisinteressen bearbeitet, aber es fehlt ein Zugriff aufdiesen Stand unter einem deutlich definierten theoretischen Interesse, mitdem Ziel, eine Orientierung für die deutsche Wissenschaftslandschaft in For-schung und Lehre zu schaffen. In diesem Beitrag sollten Hinweise gegebenwerden, in welchen Konturen ein deutsches Zentrum für Pflegewissenschaftseine Aktivitäten verorten sollte.

Literatur

Bergman, R. (1990), Setting priorities in nursing research, in: Hungarian NursesResearch Organization (Editor), Proceedings of the 13th Meeting of theWorkshop of European Nurse Researchers for National Representatives Sept.3-4. 1990, Budapest

Brown, J.S.; Tanner, C.A.; Patrick, K.P. (1984), Nursing's search for scientificknowledge, in: Nursing Research 33, 26-32

Corbin, J.; Strauss, A. (1993), Weiterleben lernen. Chronisch Kranke in der Familie,Zürich

Fawcett, J. (1993), Analysis and Evaluation of Nursing Theories, PhiladelphiaFawcett, J. (1995), Analysis and Evaluation of Conceptual Models of Nursing,

PhiladelphiaFawcett, J. (1996), Pflegemodelle im Überblick, Bern, Göttingen, Toronto, SeattleHaug, K. (1995), Professionalisierungsstrategien, Durchsetzungspotentiale und

Arbeitsteilung. Eine Untersuchung der deutschen und englischen Pflegekräfte,Berlin: WZB

Henderson, V. (1960), Basic Principles of Nursing Care, LondonHenderson, V. (1966), The nature of Nursing, New YorkKäppeli, S. (1996), Standortbestimmung der Pflegeforschung und der

Pflegewissenschaft im deutschsprachigen Raum im internationalen Vergleich,Manuskript

King, J. (1971), Towards a Theory of Nursing, New Yorkvan Maanen, H.M.Th. (1992), The development of Nursing research within the

context of academic education: A European perspective, in: Krause, K; Astedt-Kurki, P. (Editors), International Perspectives on Nursing, Tampere

van Maanen, H. (1996), Pflegewissenschaft in den USA: Ihre Entwicklung undErgebnisse, in: Innovation der Pflege durch Wissenschaft, Bremen

Morriner-Tomey, A. (1992), Pflegetheoretikerinnen und ihr Werk, BaselMorriner-Tomey, A. (1994), Nursing Theorists and their Work, St. Louis, Baltimore,

BostonMeleis, A. (1985), Theoretical Nursing-Development and Progress, PhiladelphiaMüller, E. (1996), Pflege im Spannungsfeld zwischen amerikanischem Theorie-Impact

und deutscher Pflegetradition, in: Innovation der Pflege durch Wissenschaft,Bremen

Orem, D.E., (1971), Nursing Concepts of Practices, New YorkParker, M.E. (Editor) (1993), Patterns of Nursing Theories in Practice, New YorkPflege braucht Eliten (1992), StuttgartRiehl-Sica, J. (Editor) (1989), Conceptual Models of Nursing Practice, Norwalk, MaleoRizzo-Parse, R. (1987), Nursing Science — Major Paradigms, Theories and Critiques,

PhiladelphiaRoberts, C.A.,; Burke, S.D. (1989), Nursing Research: a quantitative and qualitative

approach, Boston

Page 72: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

71

Rogers, M. (1970), An Introduction to the Theoretical Basis of Nursing, PhiladelphiaRoy, C.; Roberts, S.L. (1981), Theory Construction of Nursing. An Adaptation Model,

New YorkSchaeffer, D. (1996), Analyse der zukünftigen Handlungsfelder in der Pflege, in:

Bundesausschuß der Länderarbeitsgemeinschaften der Lehrerinnen und Lehrerfür Pflegeberufe, Tagungsband 6. Bundestagung, Fürth

Strauss, A.; Fagerhaugh, S.; Suczek, B.; Wiener, C. (1991), Illness Trajectories, in:Strauss, A. (Editor), Creating Sociological Awareness, New Brunswick, NewJersey

Page 73: P98-102 Die Bedeutung der Pflegewissenschaft für die ... · NRW e.V. (GFP), deren Mitglieder die für Pflege wichtigen Einrichtungen des Gesundheitswesens in Nordrhein-Westfalen

72

AutorInnenverzeichnis

Dr. Wolfgang BODENBENDER,ehem. Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales desLandes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf

Angelika DOPHEIDE,Oberbürgermeisterin der Stadt Bielefeld

Dr. Mary FARRELL,Weltgesundheitsorganisation, Regionalbüro Europa, Harvard School of PublicHealth

Prof. Dr. Bernhard GÜNTERT,Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld

Prof. Gertrud HUNDENBORN,Kath. Fachhochschule Köln, Caritasakademie Köln-Hohenlind,Referat Krankenpflege, Vorstandsvorsitzende der Gesellschaft zur Förderungder Pflegewissenschaft NRW e.V.

Dr. Sylvia KÄPPELI,Universitätsspital Zürich, Zentrum für Entwicklung, Forschung undFortbildung in der Pflege

Prof. Dr. Helmut SKOWRONEK,ehem. Rektor der Universität Bielefeld

Dr. Dr. Paul WOLTERS,Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld,ehem. komm. Geschäftsführer des Instituts für Pflegewissenschaft an derUniversität Bielefeld (IPW)