Pädagogik der Neuen Medien - Institut · 5.2.2 Lernsteuerung mit Lernerfolgskontrolle 5.3...

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Sesink – Vorlesung Pädagogik der Neuen Medien. TUD SS 2004 1 Werner Sesink Pädagogik der Neuen Medien Skript zur Vorlesung im SS 2004 TU Darmstadt

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Sesink – Vorlesung Pädagogik der Neuen Medien. TUD SS 2004

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Werner Sesink

Pädagogik der Neuen Medien

Skript zur Vorlesung im SS 2004

TU Darmstadt

Sesink – Vorlesung Pädagogik der Neuen Medien. TUD SS 2004

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Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung: Was ist und womit beschäftigt sich eine Pädagogik der Neuen

Medien? 1.1 Das „Neue“ der Neuen Medien 1.2 Neue Medien für Bildung 1.3 Mediendidaktik 1.4 Medienpädagogik 1.5 Der „heimliche Lehrplan“ der Medien 1.6 Pädagogische Potenziale der Neuen Medien

2. Medienkompetenz und informationspädagogische Kompetenz 2.1 Medienbildung und Bildungsmedien 2.2 Medienkompetenz 2.3 Informationspädagogische Kompetenz

2.3.1 Sachbezogene Kompetenzen 2.3.2 Prozessbezogene Kompetenzen

3. Dimensionen der Medialität – ein Überblick 3.1 Instrumentalität 3.2 Kommunikation und Kooperation 3.3 Reflexivität 3.4 Rahmung und Ermöglichung 3.5 Mehrdimensionalität

4. Werkzeuge und Instrumente des Lehrens und Lernens 4.1 Lehr-Instrumente

4.1.1 Technik als „Organverstärkung, Organersatz und Organentlastung“ (Gehlen)

4.1.2 Medientechnik 4.1.3 Erfassungs-, Kontroll- und Messinstrumente 4.1.4 Instrument und Medium 4.1.5 Digitalisierung

4.2 Lern-Instrumente 4.2.1 Schularbeit 4.2.2 Erfahrungsvermittlung und Lernförderlichkeit 4.2.3 Virtuosität

5. Lehrmaschinen und Lehrautomaten 5.1 Lehren als Steuerung und Kontrolle des Lernens 5.2 Maschinisierung des Lehrens I: Programmsteuerung des Lernens

5.2.1 Lernsteuerung ohne Lernerfolgskontrolle 5.2.2 Lernsteuerung mit Lernerfolgskontrolle

5.3 Maschinisierung des Lehrens II: Intelligente Tutorielle Systeme 5.3.1 Software-Agenten 5.3.2 Intelligente Tutorielle Systeme

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6. Präsentationen und Repräsentationen 6.1 Präsentation und Bildung 6.2 Symbolische Repräsentation 6.3 Präsentation, Medium und Sinnesmodalität 6.4 Analoge und digitale Repräsentation

7. Speicherung und Distribution 7.1 Behältnisse und Leitungen 7.2 Datenspeicher und Datenzugang

7.2.1 Datenbanken 7.2.2 Hyperdokument-Systeme 7.2.3 Wissensmanagement

7.3 Deckung von Datenbankinhalten 8. Kommunikation und Kooperation

8.1 Computer und Internet im Kontext gesellschaftlicher Kommunikation 8.2 Interaktivität 8.3 Kommunikation in der Bildung 8.4 Computervermittelte Kommunikation in der Bildung

8.4.1 Lernen aus dem sozialen Diskurs 8.4.2 Lernen als Beitrag zum sozialen Diskurs

8.5 Kollaboratives Lernen 9. Simulationen

9.1 Theoretische und praktische Reflexion 9.2 Modellierung und Simulation 9.3 Medium der theoretischen Reflexion (re-konstruktive Abbildung)

9.3.1 Trainings-Simulationen 9.3.2 Objektivationen theoretischer Vorstellungen

9.4 Medium der praktischen Reflexion (projektiv-konstruktive Simulation) 9.5 Medium der kulturellen Reflexion (fiktionale Simulation) 9.6 Spielzeug und Spielwelten

9.6.1 Spiel – Regel – Gesetz 9.6.2 Gesetze als Regeln betrachten 9.6.3 Regeln als Gesetze betrachten

10. Multimedia 10.1 Multimedia und Multimedia-Technik 10.2 Modalität und Multimedia 10.3 Formate und Multimedia 10.4 Multimedia und Neue Medien

11. Lernumgebungen 11.1 Zum Begriff der Lernumgebung 11.2 Instrumentalität und Potenzialität 11.3 Ein erweiterter Medienbegriff 11.4 Ein konstruktivistisches Medium

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12. Neue Medien – neue Methoden 12.1 Methode 12.2 Werkstattkonzept

12.2.1 Stätte 12.2.2 Werk 12.2.3 Didaktische Rahmung

Literaturverzeichnis

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1. Einleitung: Was ist und womit beschäftigt sich eine Pädagogik der Neuen Medien?

Eine Pädagogik der Neuen Medien beschäftigt sich selbstredend mit den Neuen Medien, und zwar ebenso selbstredend aus pädagogischer Perspektive.

Mit dieser auf den ersten Blick höchst trivialen Feststellung sind allerdings implizit zwei Abgrenzungen vorgenommen, deren nähere Erläuterung weniger Triviales zutage fördert. Beginnen wir mit dem Gegenstand, den Neuen Medien.

1.1 Das „Neue“ der Neuen Medien „Neue“ Medien hat es immer schon gegeben. Irgendwann waren auch das Schulbuch oder der Videorecorder oder der Overheadprojektor neu. Was heute „neu“ ist, zum Beispiel der Einsatz von Notebooks und Beamern oder des Präsentationsprogramms eines bekannten Monopolisten, wird in einigen Jahren Schnee von gestern oder „herkömmliches“ Medium sein. Was also sind überhaupt die Neuen Medien, und müsste nicht periodisch eine neue Pädagogik der Neuen Medien entwickelt werden, nämlich für die dann jeweils Neuen Medien?

Der Terminus Neue Medien bezieht sich bekanntermaßen auf den Einsatz von Computer- und Netzwerktechnologien. Das Besondere dieser technologischen Grundlage ist, dass sie nicht mehr zu identifizieren ist mit irgendeiner bestimmten technischen Gestalt, etwa dem PC, bestehend aus CPU, Tastatur/Maus und Monitor, sondern sich in einer ungeheurer Vielfalt von Ausprägungen und Anwendungsformen darstellt, die wir großenteils heute noch gar nicht kennen oder vorhersehen können. Computertechnologie ist ein universales Potenzial zur Generierung von Maschinentechnik, und deshalb wird sie permanent und augenscheinlich in hohem, möglicherweise sich weiter beschleunigendem Tempo neue Gestalten bzw. Anwendungsformen hervorbringen. Die Neuen Medien sind die sich permanent erneuernden oder immer wieder neuen Medien.

Folglich hat es auch in einer Pädagogik der Neuen Medien nicht viel Sinn, eine empirische Übersicht über die heute existierenden Gestaltungen zu geben. Die dadurch gewonnenen Kenntnisse und Einsichten wären von kurzfristigem Wert. Wer heute (im Jahre 2004) lernt, Notebook und Beamer für eine Präsentation einzusetzen, versteht sich damit zwar auf den Einsatz aktueller Technik, aber vorbereitet auf die Möglichkeiten, welche auf der Basis des zugrundeliegenden technologischen Konzepts in fünf oder zehn Jahren zur Verfügung stehen werden, ist er auf diese Weise keineswegs. Seine Medienkompetenz weist, wie man im heute modischen Jargon sagt, eine kurze

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„Halbwertszeit“ auf – soll sagen: sie hält nicht lange vor. Weil man dies längst erkannt hat, wird zunehmend die Forderung nach Nachhaltigkeit erhoben, nach einer Kompetenz im Umgang mit den Neuen Medien, die längerfristig trägt.

Nötig wäre dafür, das hinter den sich verändernden Erscheinungsformen wirkende technologische Grundprinzip zu erfassen und so einschätzen zu lernen, in welcher Weise Computertechnologie mediale Funktionen übernehmen kann. Dazu braucht man ein Verständnis davon, was Medien sind und welche Funktionen sie in pädagogischen Handlungsfeldern übernehmen können; aber auch ein Verständnis für jenes technologische Prinzip, aus dem der permanente Erneuerungsimpuls der Neuen Medien sich speist.

Das ersetzt nicht die je aktuelle Einübung in den Umgang mit zu diesem Zeitpunkt gerade neuen Techniken; aber es fundiert diese und erleichtert sie; und es stärkt die Fähigkeit, im Prozess permanenter Erneuerung der Medien die Orientierung zu behalten, das jeweils Neue in seiner Bedeutung einschätzen zu können, kurz: nachhaltige Kompetenz aufzubauen.

Fähig zu werden, die Neuen Medien sinnvoll in Bildungsprozessen einzusetzen, heißt: mit dem permanenten Erneuerungsprozess dieser Medien pädagogisch konstruktiv umgehen bzw. ihn für die Bereicherung pädagogischer Praxis nutzen zu lernen, also auch: in diesem Erneuerungsprozess „mitmischen“ zu können.

1.2 Neue Medien für Bildung Mediale Funktionen übernimmt Computertechnologie in vielen Erfahrungs- und Tätigkeitsbereichen, nicht nur in Bildungseinrichtungen oder in pädagogischer Praxis. Insofern sich dadurch in einem nicht unerheblichen Maße unsere gesellschaftliche Realität verändert und die Anforderungen an die Fähigkeiten der Menschen wandeln, wird die Computertechnologie zu einem immer wichtiger werdenden Gegenstandsbereich von Erziehung und Bildung: Die nachwachsende Generation muss sich für eine mediatisierte Welt qualifizieren; und nicht nur die nachwachsende Generation muss dies, sondern im Sinne permanenter Weiterbildung wird es zu einer Notwendigkeit auch für die erwachsene Generation, ihre Qualifikationen immer wieder zu aktualisieren.

Neue Medien (etwa das Internet als Medium gesellschaftlicher Kommunikation) sind so gesehen ein Thema der Bildung wie andere Themen auch. Die Schule kann sich mit dem Fernsehen als Massenmedium befassen, ohne dass dies in Form von Schulfernsehen geschähe, wie sie sich mit ausgestorbenen Sprachen befassen kann, ohne dass der Lateinunterricht in Latein als Unterrichtssprache durchgeführt werden

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müsste. Der Bildungsgegenstand erzwingt nicht, ihn auch als Bildungsmedium einzusetzen; selbst dann nicht, wenn es sich bei ihm um ein Medium handelt.

Deshalb ist hier klarzustellen: In einer Pädagogik der Neuen Medien geht es um diese als Medien für Bildung oder Bildungsmedien. Mit den Medien als Bildungsthema dagegen befasst sich jener Teilbereich der Medienpädagogik, den man als Medienbildung und Medienerziehung zu bezeichnen pflegt; bzw. wenn weniger die vermittelnde Funktion der Medien und mehr ihre technologische Basis im Vordergrund steht: als informationstechn(olog)ische Bildung.

Das klingt nach einer einfachen und klaren Unterscheidung. In der aktuellen Diskussion um Computer in Bildung und Unterricht wird sie jedoch kaum konsequent durchgehalten. Im Gegenteil, immer häufiger werden beide Betrachtungsweisen direkt miteinander verbunden: Informationstechnische Bildung wird neuerdings u.a. mit dem Ziel der Ausbildung von Medienkompetenz begründet. Und für die Durchführung informationstechnischer Bildung wird in einschlägigen Richtlinien der Kultusministerien der Einsatz von Informationstechnik als Unterrichtsmedium ausdrücklich empfohlen. Der mediale Einsatz soll demnach auch inhaltliche Relevanz erhalten, also zur Thematisierung des Mediums führen, wie die Thematisierung des Computers zur Vermittlung von (reflektierter) Erfahrung mit seinem Gebrauch als Bildungsmedium dienen soll.

Zwischen informationstechnischer Bildung (oder allgemeiner Medienbildung) und einer Pädagogik der Neuen Medien kann man mit guten Gründen eine Verbindung herstellen. Zur informationstechnischen Bildung gehört es, die Medialität als charakteristische Eigenschaft der Informationstechnik zu thematisieren. Es ist nicht abwegig, dies entsprechend den Vorgaben der meisten Richtlinien für die informationstechnische Bildung mit dem Einsatz dieser Technik als Bildungsmedium zu verbinden, so dass die unterrichtliche Thematisierung der Sache nicht abstrakt bleiben muss, sondern sich reflexiv auf eine entsprechende gemeinsame Unterrichtserfahrung mit der Sache beziehen kann.

Trotzdem bleibt der Unterschied zwischen Medienbildung und Bildungsmedien festzuhalten. Die Neuen Medien können schließlich wie andere Medien auch im Fremdsprachen- oder im Kunstunterricht oder sonstwo eingesetzt werden, ohne dass sie als solche dort notwendig zu thematisieren sind.

1.3 Mediendidaktik Die Frage nach dem sinnvollen Einsatz von Medien in Bildungsprozessen oder der Unterrichtsgestaltung mit Medien gehört traditionell in den Bereich der Didaktik. In den letzten Jahren hat sich allerdings das Verständnis von Didaktik – nicht zuletzt unter dem Eindruck der neuen Möglichkeiten, welche die Computertechnologie bietet – so

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gewandelt, dass hier ein paar Zwischenüberlegungen nötig werden, was denn genau der Gegenstands- und Problembereich von Didaktik ist.

Didaktik war lange, nämlich bis in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts, Bezeichnung hauptsächlich für eine Teildisziplin der Pädagogik. Seit den 90er Jahren jedoch hat sich eine allmähliche Verschiebung zur Lernpsychologie hin ergeben. Wenn heute im Zusammenhang mit den Neuen Medien von Didaktik gesprochen wird, ist schon meist eher an Lernpsychologie als an Pädagogik gedacht. Worin besteht nun der Unterschied zwischen einer pädagogischen und einer lernpsychologischen Didaktik?

Um es plakativ zu formulieren: In traditioneller pädagogischer Didaktik geht es vorrangig um die Frage, warum und wozu was gelernt werden soll. Wie dies dann geschieht, gilt als eine nachgeordnete Frage. Wolfgang Klafki hat entsprechend entschieden einen „Primat der Didaktik im engeren Sinne gegenüber der Methodik“ behauptet. [Klafki 1976, S. 79]

Dem steht eine Didaktik gegenüber, welcher es vor allem um die Frage geht, wie Lernen effektiv vonstatten geht und was dazu getan werden kann.

Das Insistieren auf dem Primat der Didaktik „im engeren Sinne“ (gemeint ist die Frage nach Zielen und Inhalten des Lernens) ist von dem Motiv geleitet, eine Reduktion von Didaktik auf Methodik und damit deren mögliche Instrumentalisierung für beliebige Zwecke zu verhindern. Es ging der traditionellen pädagogischen Didaktik um Sinn und Legitimation didaktischen Handelns, sowohl gegenüber der Gesellschaft als auch gegenüber den Lernenden. Für Sinn und Legitimation didaktischen Handelns aber stand seit jeher der Bildungsbegriff, welcher ja nicht irgendein Lernen, sondern ein Lernen besonderer Qualität bezeichnet: ein Lernen, das Menschen ermöglicht, ein Leben gemäß ihrer menschlichen Bestimmung zu führen, selbstbestimmt und vernünftig. Methodik und erst Recht der Medieneinsatz galten ihr für sich genommen dagegen als eher technische Praktiken, welche die Dimension, welche mit dem Bildungsbegriff angesprochen ist, gar nicht erreichen. Insofern gab es eine sozusagen systematische Vernachlässigung von Fragen der Methodik und des Medieneinsatzes in der traditionellen pädagogischen Didaktik.

Seit jeher jedoch gab es auch innerhalb der Pädagogik andere Positionen. Zum einen wurde, beispielsweise in der Reformpädagogik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die eminent große Bedeutung methodischer Arrangements (Beispiel: Deweys Projektunterricht), der Gestaltung der Lernumgebung (Beispiel: anthroposophischer Schulbau) sowie der eingesetzten Mittel (Beispiel: Montessori-Material) für Inhalte und Ziele des Unterrichtens gesehen. Zum andern wurde – etwa in der lerntheoretischen Didaktik der 60er Jahre [Heimann 1965, Schulz 1965] – die Geringschätzung der geisteswissenschaftlichen Didaktik für Fragen der effektiven Wirksamkeit von Unterrichtshandeln einer grundsätzlichen Kritik unterzogen.

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Es gäbe also durchaus die Möglichkeit, an pädagogische Traditionen der Didaktik anzuknüpfen, wenn man sich Fragen der Gestaltung von Unterricht durch Einsatz Neuer Medien mit der gebührenden Aufmerksamkeit zuwenden wollte.

Mit sehr viel mehr Gespür für die wachsende Bedeutung der Neuen Medien für Unterricht und Lernen hat sich die Pädagogische Psychologie bzw. Lernpsychologie dem Thema zugewandt. Ohnehin von ihrem Wissenschaftsverständnis her näher an technischen Paradigmen des Lernens findet sich hier eine Entwicklungslinie in Bezug auf Theorien des Lernens, die eine hohe Entsprechung zu den Entwicklungen in der Computertechnologie aufweist und von daher sozusagen als näher „am Puls der Zeit“ erscheint. Technologische Konzepte für computerunterstütztes Lehren und Lernen seit den 60er Jahren orientierten sich in hohem Maße an lernpsychologischen Modellen, vom Programmierten Lernen, das sich auf den lernpsychologischen Behaviorismus stützte [Hilgard 1963], über die Konzepte Intelligenter Tutorieller Konzepte, die sich auf kognitivistische Lernmodelle beriefen [Kunz/Schott 1987], bis hin zur Propagierung von vernetzten Lernumgebungen auf Basis der Hyperdokument-Technologie, die ihre Plausibilität der Kompatibilität zu konstruktivistischen Lerntheorien verdankte [Mandl/Reinmann-Rothmeier 1996]. Ebenso gilt die Umkehrbeziehung: dass in der Psychologie eine hohe Bereitschaft vorzufinden war, ihre Modelle in Analogie zu technischen Konzepten zu formen.

Diese Tandembeziehung wird in etlichen aktuellen Veröffentlichungen zu Themen wie E-Learning, multimediale Lernumgebungen u.dgl. explizit herausgestellt. [Vgl. etwa Schulmeister 1997; Kerres 2001; Issing/Klimsa 2002] Die Diskussion über Neue Medien in der Bildung ist heute von dieser gemeinsamen Geschichte von psychologischer Lerntheorie und computergestützter Lerntechnologie verständlicherweise in ungleich höherem Maße bestimmt als von der Aufnahme und Weiterentwicklung pädagogischer didaktischer Konzepte.

Aus pädagogischer Sicht bedeutet dies jedoch eine bedauerliche Verarmung des Problem- und Aufgabenhorizonts einer Didaktik, die sich den Herausforderungen stellt, welche Informatisierung und Vernetzung mit sich bringen. Es ist gerade infolge des von Klafki mit guten Gründen proklamierten Primats der Didaktik im engeren Sinne das eingetreten, was er mit ihm verhindern wollte. Weil die Pädagogik sich diesem Themenbereich als einem zweiten Ranges nicht umfassend und engagiert zugewendet hat, weil skeptische Distanz gegenüber dieser scheinbaren Modeströmung vorherrschte, hat in der Tat ein um die Sinn- und Inhaltsdimension reduziertes Didaktikverständnis dort die Vorherrschaft erlangt.

Es gibt allerdings gegenwärtig so etwas wie eine „zweite Chance“. Die Entwicklung der 90er Jahre hat die Pädagogik, zugespitzt formuliert, verschlafen. Vorher blieb Lerntechnologie weitestgehend auf den Modellhorizont des Programmierten Lernens beschränkt: ein Instrument für Lernsteuerung. Für anspruchsvollere Formen des Lernens, die sich der Fremdsteuerung entziehen, blieb sie erkennbar marginal. Diese für die Freunde computerunterstützten Lehrens und Lernens frustrierende Erfahrung leitete

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gemeinsam mit der Entwicklung der Hyperdokument-Technologie und des Internet einen viel beschworenen Paradigmenwechsel vom Instruktionalismus zum Konstruktivismus ein. [Schulmeister 1997, 162ff.] Erst jetzt entfalteten Computer- und Netzwerktechnologien im Zusammenwirken jenes mediale Potenzial für Bildungsprozesse, das sich in neuen leitenden Termini wie Multimedia und Lernumgebungen (oder Lernumwelten, wie [Schulmeister 1997, S. 78] sie nennt) anmeldete.

Der pädagogischem Denken fremde Anspruch, Lernen steuern zu wollen, wurde keineswegs aufgegeben. Aber an die Stelle der Fremdsteuerung trat nun die Selbststeuerung oder Selbstregulation des Lernens. Ein technischer Systembegriff verbreitete sich; und plötzlich galten die von der Lernpsychologie bis in die 80er Jahre gepflegten Lernmodelle als „altes Denken“ und wurden ziemlich ehrwürdige reformpädagogische Ideen wie der Projektunterricht als neueste Errungenschaften der Lernpsychologie ausgegeben, welche das Lernen „revolutionieren“ würden.

Sieht man von der großenteils marktschreierischen Innovationsrhetorik ab, die beim Tandem Lernpsychologie/Lerntechnologie einfach in größerem Maße „zum Geschäft“ gehört als bei der Pädagogik, liegt in dem sogenannten Paradigmenwechsel das Eingeständnis, von der Bildungswirklichkeit über jene Nicht-Steuerbarkeit anspruchsvoller Lernprozesse belehrt worden zu sein, welche von der geisteswissenschaftlichen Pädagogik seit jeher behauptet worden ist. Auch wenn jetzt irrsinnigerweise der Spieß oft umgedreht und der Pädagogik, jedenfalls ihrer institutionellen Praxis vorgeworfen wird, an der Vorstellung einer Steuerbarkeit (also einem technologischen Konzept) des Lernens festzuhalten, ist hiermit doch ein neuer Ansatzpunkt gegeben, pädagogisches Denken wieder in stärkerem Maße in diesem Felde ins Spiel zu bringen.

Die von mir intendierte Pädagogik der Neuen Medien könnte man auch als eine pädagogische Mediendidaktik bezeichnen, welche die Intention des Klafkischen Primats der Didaktik im engeren Sinne teilt, eine Verkürzung didaktischer Reflexion auf technische Verfahrensfragen nicht zuzulassen, aber zugleich die unangemessene Geringschätzung des Stellenwerts von Methodik und Medieneinsatz nicht mitmacht. Unterrichtsmethodik als Gestaltung von Lernwegen und Lernumgebungen ist selbst von hoher inhaltlicher Bedeutung, konstituiert sie doch eine eigene Erfahrungsdimension des Lernens, die oft prägender ist als der mehr oder weniger erfolgreich vermittelte Unterrichtsstoff, und der oft mehr von der teils unbewussten Intentionalität der Lehrenden mitteilt, als in den explizit gemachten Zielen ausgesprochen wird. Und spätestens mit der Entwicklung technisch generierter virtueller Räume wird deutlich, dass sich Lerntechnologie nicht mehr nur als untergeordnetes Mittel für pädagogisch intendierte leitende Zwecke betrachten lässt, sondern in einem umfassenden Sinne zum Medium für Bildung wird, indem sie deren Möglichkeiten und Grenzen sowohl zu erweitern und zu verschieben als auch zu reduzieren und zu verengen vermag, also mit entscheidet, was Bildung heute überhaupt sein und wie sie sich vollziehen kann.

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1.4 Medienpädagogik Die pädagogische Auseinandersetzung mit Medien allgemein ist spezifisches Aufgabenfeld einer Teildisziplin der Pädagogik: der Medienpädagogik. Die Unterscheidung einer inhaltlichen Thematisierung der Medien und ihres methodischen Einsatzes in Bildungsprozessen findet sich auch dort, als Unterscheidung von Medienbildung und Mediendidaktik. Und auch dort zeigt sich die Wechselbeziehung zwischen beiden Bereichen, wenn es um so etwas wie Medienkompetenz geht: Erfahrungen im Einsatz, in der Nutzung und auch in der Gestaltung bzw. Herstellung von Medien und die inhaltliche Reflexion dieser Erfahrungen gehören zusammen, wenn handelnd Einfluss genommen werden soll auf medial vermittelte Lebensverhältnisse.

Die Medienpädagogik ist allerdings entstanden im Zusammenhang mit der Verbreitung der „alten“ Medien Film, Rundfunk und Fernsehen. Obwohl neuerdings auch der Computer und das Internet in zunehmendem Maße berücksichtigt werden, ist die Literatur zur Medienpädagogik doch noch sehr stark von den Problemen geprägt, welche sich für die Pädagogik mit der Verbreitung der „alten“ Medien stellten und ungeachtet der technischen Veränderungen auch weiterhin höchst aktuell sind. Die Bedeutung der veränderten technologischen Basis der Medien im Zuge ihrer Informatisierung dagegen wird in der traditionellen Medienpädagogik noch nicht in dem Maße einbezogen, wie das aus meiner Sicht nötig ist.

Die „alten Medien“ sind nicht Thema dieser Vorlesung. Insofern ist dies keine Vorlesung zur Medienpädagogik, sondern zur Pädagogik ausschließlich der „Neuen Medien“, wobei der technologischen Basis ihrer sozusagen eingebauten Erneuerungsdynamik besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden wird.

1.5 Der „heimliche Lehrplan“ der Medien Mittel und Medien des Unterrichts werden in der Regel selbst nicht zum eigens thematisierten Gegenstand des Unterrichts. So gibt es zwar Bücher, die sich beispielsweise mit dem Schulbuch oder dem Lehrfilm beschäftigen, ihre Vorzüge und Nachteile behandeln, Hinweise zu ihrem sinnvollen Einsatz geben usw. Doch diese Bücher wenden sich an die Lehrerinnen und Lehrer, nicht an die Schülerinnen und Schüler. Ebenso gibt es Bücher zum Einsatz von Computer und Internet im Unterricht, die sich ausschließlich an die Lehrerinnen und Lehrer wenden.

Allerdings: Das Buch im allgemeinen oder der Film im allgemeinen können durchaus zum Unterrichtsthema werden, als Phänomene unserer Kultur. Und: Auch wenn sie nicht ausdrücklich im Unterricht thematisiert werden, haben sie doch eine mehr als nur unterstützende Funktion. Der Einsatz des Buchs als Bildungsmedium gehört in eine Zeit

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und Gesellschaft, für die das Buch bereits zu einem prägenden kulturellen Massenphänomen geworden ist. Und auch der Lehrfilm wird erst selbstverständliches Bildungsmedium, wenn der Film als Kulturträger anerkannt ist. Das Gleiche gilt für Schulfunk und Schulfernsehen. Das heißt: Die Medien, die im Unterricht eingesetzt werden, bezeugen die kulturelle Geprägtheit von Bildung und Unterricht. Sie bereiten nicht nur auf eine von diesen Medien geprägte Kultur vor, sondern werden selbst von ihnen geprägt. Die Nutzung des Schulbuchs ist – auch dann, wenn sie gänzlich unthematisiert stattfindet – eine praktische Einführung der Kinder und Jugendlichen in eine vom Buch geprägte Kultur. Die noch bestehende Dominanz des Mediums Schulbuch gegenüber allen anderen Medien zeugt so gesehen von der in unserer Kultur doch noch bestehenden kulturellen Dominanz des Mediums Buch.

In einem gewissen Sinne gehört der unthematisierte Einsatz von Medien zum Heimlichen Lehrplan der Schule. Der Begriff wurde geprägt, um bestimmte Lerneffekte des Schulunterrichts zu charakterisieren, die nicht als Lernziele des offiziellen Lehrplans des Unterrichts beziehungsweise der Fächer formuliert sind. So lernen Schüler beispielsweise, sich in der Konkurrenz gegen andere durchzusetzen, wie man bei Lehrern Eindruck schindet oder ähnliches, nicht, weil dies offizielle Lernziele der Schule sind, sondern weil dies nützlich ist, um die Schule als eine charakteristisch strukturierte Bewährungssituation erfolgreich zu bestehen. [Jackson 1968] Sie lernen dann in der Schule so, wie sie auch sonst im Leben ihre Erfahrungen machen und daraus lernen. So lernen sie, dass unsere Kultur vom Buchdruck geprägt ist, nicht nur, weil dies ein Lernziel etwa des Deutschunterrichts ist, sondern weil sie in der Schule ständig diese Erfahrung machen, dass sich alles um gedruckte Texte dreht.

Überträgt man dies auf die in der Öffentlichkeit neuerdings immer wieder erhobene Forderung, den Einsatz der Neuen Medien im Unterricht ebenso selbstverständlich werden zu lassen wie die Nutzung des Schulbuchs, so kann man dies als Plädoyer für die Einführung des Computers in den Heimlichen Lehrplan der Schule interpretieren.

1.6 Pädagogische Potenziale der Neuen Medien Gegen die Einführung neuer Medien in Bildung und Unterricht hat es immer Widerstände gegeben; das war bei Film, Funk und Fernsehen schon so, als sie noch neu waren; das ist beim Computer so. Dahinter steht die durchaus zutreffende Vorstellung, der Bildungsauftrag der Pädagogik bestehe in der Herstellung von Distanz; keineswegs dürfe sie sich von den gesellschaftlichen Entwicklungen einfach überrollen lassen. Sie habe diese Entwicklungen aufzugreifen und darüber aufzuklären, auch zu ihrer praktischen Bewältigung zu qualifizieren. Doch ebenso wie anderen Phänomenen der sozialen Realität der Zugang zur Schule verwehrt wird, auch wenn sie Unterrichtshema sind, so kann es gute Argumente dafür geben, zunächst einmal über die jeweils neuen Medien zwar aufzuklären, sie aber aus der Schule herauszuhalten. [Vgl. z.B. Weizenbaum 2001; Hentig 2002; Stoll 2001]

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Die Tatsache der gesellschaftlichen Verbreitung eines Mediums ist also kein hinreichender Grund dafür, dieses Medium auch für Bildung und Unterricht zu nutzen. Sie mag ein Grund sein, über dieses Medium zu unterrichten, nicht damit aber schon dafür, mit ihm zu unterrichten. Hierzu bedarf es einer eigenen besonderen Legitimation: Das Medium muss geeignet sein, die Pädagogik in ihrem spezifischen Anliegen der Bildung zu unterstützen. Massive Zweifel, dass der Computer diese Qualität aufweise, begründeten bis in die 90er Jahre einen starken Widerstand gegen seinen Einsatz (nicht gegen seine Thematisierung!) in Bildung und Unterricht. Doch hat sich das Bild in den letzten Jahren gewandelt. Die Forderung nach seinem Einsatz als Bildungsmedium wird auch unter dem Gesichtspunkt lauter, dass durch den Einsatz von Informationstechnik in der Bildung nicht nur einem wachsenden Qualifikationsbedarf der Gesellschaft hinsichtlich der Kompetenz ihrer Mitglieder im Umgang mit dieser Technik entsprochen wird, sondern zudem eine ganz neue Lernkultur möglich, also die Schule auch pädagogisch reformiert werde.

Von der Frage nach den pädagogischen Potenzialen der Neuen Medien ist diese Vorlesung geleitet.

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2. Medienkompetenz und informationspädagogische Kompetenz

2.1 Medienbildung und Bildungsmedien Da Medieneinsatz in ganz unterschiedlichen pädagogischen Zusammenhängen stattfinden kann, wobei jeweils sehr unterschiedliche fach-, sach- oder problembezogene Zielsetzungen im Vordergrund stehen, lassen sich ihm keine eigenen, vom jeweiligen pädagogischen Kontext unabhängigen Bildungsziele zuordnen. Wenn dies in neueren Lehrplänen dennoch geschieht, dann deshalb, weil dem Einsatz der Neuen Medien eine nicht nur vermittelnde, sondern eine eigene qualifizierende Funktion zugeschrieben wird. Durch den Einsatz der Neuen Medien in unterschiedlichen Fächern werden dem jeweiligen Fachunterricht, etwa in Deutsch, einer Fremdsprache, Mathematik oder einer Naturwissenschaft, nicht nur die fachlichen Bildungsziele zugeordnet, sondern darüberhinaus das fachunabhängige Ziel einer Qualifizierung im Umgang mit Neuen Medien.

Man kann diese Unterschiebung zusätzlicher Aufgaben an den Fachunterrricht kritisch sehen, wird dadurch doch die eigentliche Funktion von Medien, den Unterricht zu fördern und zu unterstützen, aufgehoben, ja möglicherweise sogar ins Gegenteil verkehrt: Der Fachunterricht dient als Anlass für einen per se gewünschten Medieneinsatz. Die Befassung mit den Medien kann damit unter Umständen in Konkurrenz zur Befassung mit den fachlichen Inhalten treten, etwa wenn den Schülern die Terminologie der eingesetzten Software beigebracht werden muss, statt dass die Unterrichtszeit zur Vertiefung der Englischkenntnisse genutzt wird. Statt Medien einzusetzen, um die Bildung zu fördern, werden Bildungsprozesse so organisiert, dass der Mediengebrauch gefördert wird.

Begründet wird diese eigentümliche Positionsverrückung der Medien mit dem fachübergreifenden (und daher von allen Fächern zu befördernden) Bildungsziel der Medienkompetenz. Weil man hierfür kein eigenes Fach etablieren möchte, werden Ziele und Inhalte von Medienbildung bzw. informationstechnischer Bildung in die bestehenden Fächer eingefügt. Ein solcher doppelqualifizierender Unterricht hätte demnach zwei unterschiedliche Bildungsziele zu verfolgen: das fachliche Vermittlungsziel, etwa die Förderung der Sprachkompetenz im Englischen; und das fachübergreifende Vermittlungsziel, die Förderung der Medienkompetenz. Gerade angesichts dieser Tendenz zur Vermischung der Gründe für Medieneinsatz mit fachlichen Vermittlungszielen ist es wichtig festzuhalten, dass beide Ziele auf der fachdidaktischen Ebene der Lernzielbegründung liegen (auch wenn dies bei der Medienkompetenz nicht so offensichtlich ist) und die fachdidaktische Begründung des Medieneinsatzes im Sinne einer fachübergreifenden Medienbildung zunächst einmal nichts mit der Problematik eines sinnvollen Medieneinsatzes (etwa zur Unterstützung

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des fachlichen Bildungsziels der Sprachkompetenz im Englischen) zu tun hat, welche auf der Ebene der Vermittlungsmethodik zu klären ist.

Wie in der Einleitung zu dieser Vorlesung betont, soll es in ihr gerade nicht um eine fachdidaktische Thematisierung von Neuen Medien als Inhalt von Unterricht gehen, sondern um ihren bildungsförderlichen Einsatz, unabhängig vom jeweiligen zu vermittelnden Inhalt. Es soll also nicht darüber reflektiert werden, warum und wozu in der Schule oder sonstwo in pädagogischen Praxisfeldern etwas über die Neuen Medien, sondern darum, wie mit ihnen gelehrt und gelernt werden kann.

Damit ist der Fokus nicht auf die Qualifizierung der Lernenden, sondern auf die der (künftigen) Lehrenden gerichtet. Die Vermittlungsziele, über die wir hier sprechen, sind nicht Bildungsziele für die Kinder, Jugendlichen, Erwachsenen, für deren Entwicklungsmöglichkeiten Sie einmal Sorge zu tragen habven werden, sondern für Sie selbst. Ihre Fähigkeit, in angemessener Weise Neue Medien in der Bildung einzusetzen, ist es, wozu durch diese Vorlesung etwas beigetragen werden soll. Es wird nicht Medienbildung, sondern es werden Bildungsmedien behandelt.

Doch eben dies zu tun, ist Medienbildung; Medienbildung nämlich für künftige Pädagoginnen und Pädagogen. Die Reflexion der Bildungsziele für die künftige pädagogische Praxis der hier Studierenden gehört in eine Lehrveranstaltung über Medienbildung bzw. informationstechnische Bildung. Dort ist darüber nachzudenken, was es heißt, die Medienkompetenz der Lernenden in unseren Bildungseinrichtungen zu fördern. Die Reflexion der Bildungsziele dieser Vorlesung über Bildungsmedien ist dagegen eine Metareflexion auf die hier und jetzt (nämlich in dieser Vorlesung und der sie begleitenden Übung) stattfindende Bildungspraxis und wie diese ein Beitrag zur Förderung der Medienkompetenz der (künftigen) Lehrenden sein kann.

2.2 Medienkompetenz In der neueren Diskussion um die informationstechnische Bildung und um die Medienpädagogik hat sich der Begriff der Medienkompetenz als normative Richtgröße allgemein durchgesetzt: Alle Bürgerinnen und Bürger sollen kompetent sein oder werden im Umgang mit den Neuen Medien, um den Anforderungen der Informationsgesellschaft gewachsen zu sein.

Medienkompetenz gilt als das spezifische Bildungsziel für Lernen mit und über die Medien. Der Begriff bezog sich ursprünglich auf die „alten“ Medien, stammt er doch aus der traditionellen Medienpädagogik [Baacke 1980; 1997]; doch findet sich eine zunehmende, ja heute dominierende Betonung der Neuen Medien.

Das heißt nicht, dass darüber, was darunter zu verstehen sei, allgemeiner Konsens herrscht. Im Gegenteil – wie zum Beispiel eine Studie des Forums Bildung belegt, gibt es in der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur und unter den befragten Experten

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ein großes Spektrum unterschiedlicher Zielsetzungen und inhaltlicher Schwerpunktsetzungen, die sich mit diesem Begriff verbinden. [Schiersmann/Busse/Krause 2002] Teilweise wird auch versucht, den Begriff der Medienkompetenz durch andere Begriffe zu ersetzen, u.a. mit Rückbezug auf den Bildungsbegriff („Medienbildung“), um das spezifisch pädagogische Anliegen der Befähigung zu einer selbstbestimmten Lebensführung in einer mediatisierten Gesellschaft stärker hervorzuheben; oder mit anderen inhaltlichen Akzenten, wenn etwa von Netzkompetenz oder Informationskompetenz die Rede ist.

Da der Begriff der Medienkompetenz sich aber quer durch alle Positionen hindurch und disziplinübergreifend, nicht zuletzt auch in der bildungspolitischen öffentlichen Diskussion als Leitbegriff behauptet hat, ist es sinnvoll, ihn im Rahmen einer Pädagogik der Neuen Medien ebenfalls zu gebrauchen und im Sinne des eigenen Anliegens zu interpretieren.

Ich nehme also diesen Begriff auf und lege ihn für eine Pädagogik der Neuen Medien aus: Medienkompetenz verstehe ich als die Fähigkeit, an einer durch die Neuen IuK-Technologien vermittelten Kultur aktiv teilnehmen zu können.

2.3 Informationspädagogische Kompetenz Pädagoginnen und Pädagogen nehmen nun an dieser Kultur zum einen als Bürgerinnen und Bürger wie alle anderen auch teil; zum anderen in ihrem spezifischen beruflichen Felde. Wie immer man dazu stehen mag, ob man es begrüßt oder verurteilt: In dieses Feld dringen wie in nahezu alle anderen beruflichen Felder die Neuen Technologien mit Macht ein. Medienkompetenz als Teil professioneller pädagogischer Qualifikation muss sich entsprechend darauf beziehen, das in den Computer- und Netzwerk-Technologien enthaltene Potenzial für ihren Einsatz als Bildungsmedien beurteilen und erschließen zu können.

In der Diskussion um die Qualifikation der Pädagoginnen und Pädagogen für eine angemessene Berücksichtigung der Neuen Medien in ihrer beruflichen Praxis hat der Terminus medienpädagogische Kompetenz eine gewisse Verbreitung erfahren [Blömeke 2000], um die spezifische Ausprägung von Medienkompetenz als Qualifikation für pädagogische Praxis zu bezeichnen. Weil ich die Bedeutung eines Verständnisses der Technologie hierfür betonen möchte, ziehe ich es vor, von informationspädagogischer Kompetenz zu sprechen.

Im folgenden sollen die verschiedenen Dimensionen von Medienkompetenz zunächst allgemein dargestellt und anschließend jeweils in Bezug auf ihre informationspädagogische Vertiefung erörtert werden.

Zur Medienkompetenz wie zur informationspädagogischen Kompetenz gehören

• sachbezogene Kompetenzen sowie

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• prozessbezogene Kompetenzen.

2.3.1 Sachbezogene Kompetenzen 2.3.1.1 Instrumentell-pragmatischer Zugang

(Anwendungskompetenz) Unter den Medienpädagoginnen und -pädagogen ist umstritten, inwieweit Anwendungskompetenz, also das Know-How im Umgang mit auf dem Markt erhältlicher Hard- und Software, insbesondere Standardsoftware, zu dem gehört, was staatliche Bildungseinrichtungen zu vermitteln haben. Unbezweifelt ist, dass es immer unumgänglicher wird, mit den Geräten und Programmen umgehen zu können; fraglich ist, ob die Vermittlung entsprechender Fertigkeiten zum öffentlichen Bildungsauftrag gehört.

Die Argumente, die dagegen vorgebracht werden, sind vor allem:

• Die Systementwicklung geht hin zu immer bedienungsfreundlicheren Oberflächen, so dass sich schon bald der Umgang mit den Systemen sozusagen „von selbst verstehen“ wird. (So beispielsweise Aufenanger und Schorb in [Schiersmann/Busse/Krause 2002, S. 69 und 77])

• Die Entwicklung bringt immer wieder neue Systeme, Anwendungsbereiche, Oberflächen hervor, so dass auf dieser Ebene das, was heute gelernt wird, morgen schon wieder überholt ist.

Das erste Argument beruft sich auf ein Versprechen, das schon seit mindestens zwanzig Jahren gegeben wird und bis heute nicht eingelöst ist, auch wenn es Fortschritte auf diesem Gebiet gegeben haben mag. Tausend Seiten dicke Handbücher zu einem gängigen Textverarbeitungsprogramm sprechen für sich. Es bleibt zudem einem gerade bei traditionellen Medienpädagogen immer noch verbreiteten instrumentellen Verständnis der technischen Dimension der Medien verhaftet, demzufolge die Technik eine lediglich subsidiäre Funktion hat und – wenn sie diese ordentlich erfüllt – keiner eigenen pädagogischen Überlegungen und Anstrengungen wert ist. Dass jedoch eben diese technische Dimension im Rahmen einer informationspädagogischen (als einer auf die Neuen Medien gerichteten medienpädagogischen) Qualifizierung erhöhte Aufmerksamkeit verdient, werde ich im Verlaufe dieser Vorlesung noch deutlich zu machen versuchen.

Das zweite Argument ist sicherlich zutreffend. Dennoch brauchen Anwender diese Basisfertigkeiten, auch wenn sie kurzlebig sein sollten und daher immer wieder aufgefrischt bzw. erneuert werden müssen. Es ist dabei vielleicht weniger der qualifikatorische Aspekt im engeren Sinne, der fundierend ist, als vielmehr die Erfahrung des tatsächlichen praktischen Könnens, welche das Selbstvertrauen stärkt, im permanenten Wandlungsprozess immer wieder neu die notwendigen Qualifizierungsprozesse erfolgreich zu meistern. Immer wieder macht man ja in der informationstechnischen Bildung von Pädagoginnen und Pädagogen die Erfahrung, dass

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der Mangel an Selbstvertrauen auf dieser Ebene auch die Fähigkeit blockiert, sich auf Lernprozesse auf der reflexiven Ebene überhaupt einzulassen.

Noch wichtiger jedoch ist, dass wir die Anwendungsebene und die dort benötigten Fähigkeiten nicht unterbestimmen dürfen. Wenn davon die Rede ist, man müsse den Computer „bedienen“ und handhaben können, dann wird zu leicht suggeriert, es handele sich lediglich um das Erlernen der Funktionen eines Systems. Tatsächlich aber ist „Anwendung“ etwas sehr viel Komplexeres. Um auf diese Komplexität hinzuweisen, gebrauche ich das zusammengesetzte Adjektiv instrumentell-pragmatisch.

Damit will ich deutlich machen, dass Anwendung meist das Einbringen eines technischen Systems in einen vorhandenen Handlungszusammenhang bedeutet. Wenn zum Beispiel ein Sekretär künftig ein Textverarbeitungssystem nutzen will, dann genügt es nicht, dass er lernt, wie man die Funktionen des Programms abruft. Er muss vielmehr die Nutzung der Funktionen in den Arbeitsablauf einbeziehen, der durch seine Aufgabenstellung, aber auch durch soziale Beziehungen zwischen den beteiligten Personen, die Organisationsstruktur des Büros, nicht zuletzt seinen persönlichen Arbeitsstil geprägt ist. Wenn er ein Schriftstück formatiert, dann muss er einschätzen können, welche Formatierungsmöglichkeiten für den jeweiligen Zweck brauchbar sind, welche nicht. Er kann nicht einfach in einer Formatierungsorgie das Gelernte unter Beweis stellen. Das würde zu völlig unbrauchbaren Ergebnissen führen. Er muss seine gesamte Arbeit neu organisieren, der Technik ihren Stellenwert im Sinn- und Aufgabenzusammenhang dieses Praxisfeldes zuweisen, ihn aber auch begrenzen.

Das technische System, in diesem Beispiel das Textverarbeitungssystem, enthält eine modellhafte Vorstellung davon, was es heißt, Texte zu verarbeiten. Dieses Modell: was Textverarbeitung ist, wozu sie gut ist und wie sie funktioniert, ist von den Systementwicklern in eine technische Gestalt „gegossen“ worden: Typische Funktionen von Textverarbeitung im Büro wurden identifiziert, ihr Zusammenhang untereinander wurde erfasst, die Vorgänge wurden optimiert; neue Funktionen, die es vorher nicht gab, von denen man aber annahm, dass sie nützlich seien, wurden eingefügt usw. Der reale Kontext, in dem sich Textverarbeitung jeweils tatsächlich vollzieht, wurde dagegen weitestgehend ausgeblendet. Der Anwender muss nun dieses Modell von Textverarbeitung, um es in seine Handlungsabläufe integrieren zu können, angemessen interpretieren und rekontextualisieren:

• er muss es erstens verstehen, • er soll zweitens vermittelt durch seine Anwendung seine bisherige Tätigkeit im

Sinne dieses Modells neu gestalten, das heißt umstrukturieren, umorganisieren, • und er muss drittens diese neu modellierten Handlungsabläufe mit anderen

Handlungsabläufen verzahnen, die im Modell nicht enthalten sind, wohl aber zum Kontext seiner Tätigkeit gehören.

Oft zeigt sich dabei, dass das dem System zugrundeliegende Modell nur mehr oder weniger gut zur realen Handlungssituation des Anwenders passt. Ein Textverarbeitungssystem, das mit Bezug auf typische Bürotätigkeiten in einer Unternehmung modelliert wurde, passt nicht richtig in das Arbeitsumfeld einer

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Wissenschaftlerin. Sie muss selbst die von ihr benötigten Funktionen identifizieren und nicht benötigte, aber vom Textverarbeitungssystem womöglich ständig offensiv angebotene Funktionen ausblenden; andere Funktionen vielleicht zweckentfremden; auf manches, was für sie nützlich wäre, dagegen ganz verzichten, weil das Programm es nicht anbietet.

Dies gilt verschärft für die Situation von Pädagoginnen und Pädagogen. Ihnen wird zum Beispiel Lernsoftware angeboten. Darin sind Modelle vom Lehren, vom Lernen und vom Zusammenhang von Lehren und Lernen zu einer technischen Gestalt geprägt. Es ist schon zweifelhaft, ob diese Modelle überhaupt eine pädagogische Realität abbilden; noch zweifelhafter ist, dass sie viel mit der spezifischen Realität von Pädagogin X oder Pädagogen Y zu tun haben.

Dieses Problem zeigt sich in einer mehr oder weniger ausgeprägten Sperrigkeit der Software. Es ist nicht immer leicht, ihren Einsatz organisch in den gewohnten pädagogischen Handlungsablauf zu integrieren. Oft bildet sie irgendwie einen Fremdkörper bzw. verlangt nach Umstrukturierungen. In solchen Fällen aber droht sich das Verhältnis zu verkehren: Statt die Arbeit zu erleichtern, macht sie Arbeit – und lediglich die mitgereichte Verheißung, später werde sich dann auch die erhoffte Erleichterung und Verbesserung der pädagogischen Praxis einstellen, kann dann ihren Einsatz überhaupt rechtfertigen.

Um dies abschätzen und insofern den oft erst einmal erhöhten Arbeitseinsatz als lohnende Investition begreifen zu können, muss der anwendende Pädagoge sowohl Klarheit haben über die innere Struktur und Qualität seiner Arbeit als auch urteilsfähig sein hinsichtlich der in der Software umgesetzten Modelle und der neuen Möglichkeiten, welche die Technik ihm eröffnen könnte. Das ist eine hohe Anforderung.

Der Druck, der gegenwärtig auf die Pädagoginnen und Pädagogen hinsichtlich des Einsatzes von Neuen Medien ausgeübt wird, lässt ihnen aber kaum noch den Raum für solche Reflexionsprozesse. Dann kann es passieren, dass die Software nicht mehr eingesetzt wird, um die pädagogische Arbeit zu optimieren, sondern die pädagogische Arbeit umstrukturiert wird, damit die Software eingesetzt werden kann. Pädagogische Tätigkeit würde so in der Tat zur Bedienung von technischen Lehr-Lern-Systemen.

Dies alles ist also mit instrumentell-pragmatisch gemeint: das Adjektiv bezeichnet einen Zugang zur Sache, der von praktischen Anwendungsinteressen ausgeht und zu einer Anwendungskompetenz führen sollte, die darin besteht, Informationstechnik in pädagogische Praxiszusammenhänge sinnvoll und nutzbringend integrieren zu können.

Bloße Softwareschulung, in der gepaukt wird, wie man welche Funktionen abruft, also wie man das System „bedient“, erfüllt demnach bei weitem nicht die Anforderungen, die für einen instrumentell-pragmatischen Zugang zur Erlangung von Anwendungskompetenz verlangt sind. Dessen müssen sich Pädagoginnen und Pädagogen bewusst sein, wenn sie Kinder, Jugendliche oder Erwachsene in die Nutzung

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der Neuen Medien einweisen möchten; dessen müssen sie sich auch bewusst sein hinsichtlich ihrer eigenen medienpädagogischen Praxis. Erst in ihren Kontexten wird die Technik konkret.

Zur informationspädagogischen Kompetenz gehört daher, sich darüber im klaren zu sein, dass die angebotene Technik an ihr selbst (das heißt unter Absehung vom Anwendungskontext) keine pädagogische Qualität haben (auch nicht von „schlechter“ Qualität sein) kann. Pädagogische Qualität wird immer erst durch ihre pädagogische Konkretion entfaltet, also durch die Anwenderinnen und Anwender, die ihr einen bestimmten praktischen Stellenwert in pädagogisch-didaktischen Konstellationen geben. Technik, die sich nicht in dieser Weise pädagogisch konkretisieren lässt, ist einfach nur unbrauchbar.

2.3.1.2 Theoretischer Zugang (Fachliche Kompetenz) Die Dynamik der technischen Entwicklung sorgt dafür, dass die Erscheinungsform der Anwendungen sich permanent ändert; aber auch: dass ständig neue Anwendungsbereiche erschlossen werden. Einmal erworbenes Anwendungswissen, angeeignete Fertigkeiten verlieren ihren Wert, veralten.

Doch steckt hinter diesen Entwicklungen ein technologisches Grundkonzept. Wollen sich Pädagoginnen und Pädagogen nicht dem Wechsel der Erscheinungen auf diesem Gebiet hilflos ausliefern, so benötigen sie zumindest ein Grundverständnis für dieses Konzept, um einschätzen zu können, in welche Richtung Entwicklungen noch gehen können bzw. wovon die wechselnden Erscheinungsformen der Informationstechnik Ausdruck sind. Und was sich auch in all dem Wandel gleich bleibt.

Ein theoretischer Zugang zur Informationstechnik ist immer dann gegeben, wenn nach dem Konzept, nach der Logik „dahinter“ (nach der Techno-Logik) gefragt wird. Er kann auf der Ebene des Anwendungsprogramms erfolgen, auf der Ebene des Betriebssystems, auf der Hardware-Ebene. Er kann sich auf Programmierkonzepte beziehen oder auf Algorithmen überhaupt oder auf das Konzept der universellen Turingmaschine. „Etwas Theorie“ bleibt immer haften, weil wir auch beim oberflächlichsten Umgang mit der Technik etwas festhalten, was über diesen einen Anwendungsfall hinausweist und so etwas wie eine Transferleistung ermöglicht. Die eine theoretisiert mehr, der andere weniger. Eine Pädagogik der Neuen Medien sollte einen Beitrag dazu leisten, dass allen in diesem Bereich engagierten Pädagoginnen und Pädagogen, unabhängig von ihrer eigenen Neigung zur Theorie, ein theoretisches Grundverständnis der Informationstechnik vermittelt wird, um hinreichend urteilsfähig zu sein.

Der theoretische Zugang darf sich jedoch nicht nur auf die Technik selbst beziehen, sondern muss auch auf ihren Entstehungs- und Anwendungskontext Bezug nehmen. Genau genommen wird die Technik an ihr selbst in ihrem Sinn unverständlich bleiben, wenn man sie nicht danach befragt, was sie zur humanen Lebensbewältigung beitragen

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kann. Gesellschaftliche und historische Hintergründe des Entstehens und des Vordringens der Informationstechnik gehören zu ihrem Verständnis daher ebenso dazu, wie ganz konkret jeweils der Zusammenhang zwischen der Funktionalität, welche sie zur Verfügung stellt, und dem Praxisbereich, für den diese angeboten und beansprucht wird.

Damit verbindet sich der theoretische Zugang zur Informationstechnik notwendig mit einem theoretischen Zugang zum jeweiligen Anwendungsfeld. Denn ob, wieweit und in welcher Weise dort Informationstechnik eingesetzt werden kann, was sie zu ihrer „Verbesserung“ beitragen kann, lässt sich nur angeben, wenn auch dieses Anwendungsfeld in seiner inneren Struktur, seinem Sinn, seiner „Logik“ verstanden wird und deshalb seine technisierbaren Momente identifiziert werden können.

Das heißt aber auch, dass die theoretischen Zugänge zur Informationstechnik und zum jeweiligen Anwendungsfeld aufeinander bezogen und miteinander verbunden werden müssen; verlangt also nach der Fähigkeit zu einem disziplinverbindenden, disziplinüberschreitenden, „transdisziplinären“ Denken (auf welchem Level auch immer).

Der Terminus „Informationspädagogik“ bringt dies zum Ausdruck: Pädagoginnen und Pädagogen sollen urteilsfähig sein hinsichtlich der Richtung, des Umfangs, der Intensität, aber auch der Grenzen einer Informatisierung pädagogischer Praxis. Dazu müssen sie zuerst Fachleute sein, was ihr eigenes Feld, die Pädagogik betrifft. Sie müssen zum zweiten die technologischen Konzepte verstehen, die den angebotenen technischen Systemen zugrundeliegen, weitergehend aber auch das generelle Entwicklungspotenzial dieser Technologie soweit abschätzen können, dass sie weder bodenlosen Verheißungen noch apokalyptischen Visionen, weder glorifizierenden noch dämonisierenden Mystifizierungen aufsitzen. Schließlich müssen sie aber auch den Technikbedarf pädagogischer Praxis und das Potenzial der Technik für pädagogische Innovationen beurteilen, also beide fachlichen Perspektiven aufeinander beziehen können.

2.3.1.3 Praktisch-reflexiver Zugang (Gestaltungskompetenz; Verantwortungsfähigkeit)

Informationstechnik ist ein universelles Maschinisierungspotenzial. Darin liegt ihre ungeheure Dynamik und ubiquitäre Durchdringungsfähigkeit begründet. Mit ihr ist eine Technologie in der Welt, die im Prinzip jeden formalisierbaren Prozess auch maschinisierbar macht und so ein Feld unendlicher Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, auch für die Gestaltung pädagogischer Praxis, sofern man zugesteht, dass sie ebenfalls formalisierbare Elemente aufweist.

Die Technik selbst enthält in sich keinerlei Richtung, in die ihre Entwicklung gehen kann. Sie kann überall hingehen, soweit eben Lebensprozesse formalisiert werden können und sollen. Dass die Gestaltungsmöglichkeiten an Zahl unendlich sind, heißt

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nicht, dass das Gestaltungsfeld unbegrenzt ist. Es sei denn, man unterstellte, dass alles, was es überhaupt in dieser Welt gibt, auch ohne Verlust formalisiert werden kann. Dennoch – auch wenn man diesen techno-totalitären Standpunkt nicht vertritt, lässt sich nicht einfach sagen, wo die Grenzen der Formalisierbarkeit liegen. Sie müssen ausgelotet werden, soweit es die prinzipielle Formalisierbarkeit betrifft. Sie müssen diskutiert, entschieden, festgelegt werden, soweit es die normative Begrenzung betrifft (also die Frage, ob alles, was „machbar“ ist, auch gemacht werden soll oder darf).

Darüber hinaus müssen ständig Entscheidungen getroffen werden, in welche Richtung das Ausloten der Möglichkeiten gehen soll und welche der gefundenen oder erfundenen Möglichkeiten auch realisiert werden sollen. Diese Entscheidungen sind immer verbunden mit Entscheidungen über Umgestaltungen gesellschaftlicher Lebenspraxis; deshalb müssen sie in gesellschaftlicher Verantwortung getroffen werden, im Rahmen von Aushandlungsprozessen, an denen alle Betroffenen grundsätzlich zu beteiligen sind.

Die Weiterentwicklung der Informationstechnik sowohl in technologischer Hinsicht als auch ihren praktischen Einsatz betreffend ist also ein aktiver Gestaltungsprozess und alles andere als die Eigendynamik eines verabsolutierten technischen Fortschritts. Gestaltung ist dabei nicht nur eine Option, auf deren Wahrnehmung man auch verzichten könnte, sondern ein Muss. Der damit verbundenen Verantwortung kann man sich nicht entziehen, selbst wenn man glaubt, sich ganz heraushalten zu können.

Die Praxis der Informationstechnik, sowohl ihrer Entwicklung als auch ihrer Anwendung, hat in Reflexion der technischen wie sozialen Möglichkeiten und Grenzen und in Wahrnehmung der damit verbundenen Verantwortung für das humane Zusammenleben zu erfolgen. Damit wird sie reflexiv integriertes Moment gesellschaftlicher Praxis. Hierzu zu befähigen, heißt, die Menschen in eine informationstechnisierte Welt nicht nur zu sozialisieren, sondern mit sozialer Sachkompetenz zu entsenden.

Die gegenwärtige Entwicklung ist, was die Pädagogik betrifft, durch zwei Auffälligkeiten charakterisiert:

• Die Neuen Medien werden forciert in pädagogische Praxisfelder, insbesondere in die staatlichen Bildungseinrichtungen, implementiert, ohne dass die avisierten Anwenderinnen und Anwender in größerem Maßstabe aktiv gestaltend mit einbezogen werden. Selbst diejenigen Personen, die sich bisher schon und oft jahrelang auf diesem Felde in den Schulen eingesetzt haben, werden oft nicht befragt, wenn es um die Entwicklung von Ausstattungs-, Service- und Betreuungskonzepten geht. Die Einbeziehung der Pädagoginnen und Pädagogen ist im wesentlichen auf die Anwendungsebene beschränkt und läuft als Softwareschulung ab, die bedenklicherweise schon in ihrem Titel „Intel® Lehren für die Zukunft“ (Titel einer bundesweiten Lehrerfortbildungs-Maßnahme in den Jahren 2001ff., an der bis 2003 rund 200.000 Lehrkräfte teilgenommen hatten) die Verkopplung mit einer kommerziellen Allianz von interessierten Hard- und Software-Firmen dokumentiert, auch wenn sie

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immerhin in Ansätzen instrumentell-pragmatische Qualität hat, also pädagogische Anwendungssituationen einbezieht.

• Die Entwicklung von technischen Systemen für den Einsatz in Bildungsprozessen geschieht weitestgehend ohne Beteiligung der Pädagogik als Disziplin. Informations- und Elektrotechniker sowie Lernpsychologen geben den Ton an. Die Berücksichtigung pädagogischer Gesichtspunkte ist daher durch den Horizont der Modellvorstellungen begrenzt, den die Vertreterinnen und Vertreter dieser Disziplinen im Blick auf Lehr-Lern-Prozesse pflegen.

Beide Phänomene zeigen, dass die Pädagoginnen und Pädagogen als FachvertreterInnen wie die Pädagogik als Disziplin nicht als auf diesem Felde gestaltende Kraft wahrgenommen und anerkannt werden, dass ihnen Gestaltungskompetenz nicht zugeschrieben wird. Sie sind und sie fühlen sich daher auch nicht verantwortlich für das, was dort geschieht; sie fühlen sich überrollt und ausgesperrt. Aber dafür, dass dies so ist, ist die Pädagogik in Theorie und Praxis selbstverständlich mitverantwortlich: Dafür, dass sie bisher nicht in der Lage ist, Verantwortung zu übernehmen, dass sie es bisher versäumt hat, Verantwortungsfähigkeit auszubilden, kann sie wohl kaum eine andere Instanz verantwortlich machen.

Es ist höchste Zeit, dass die Pädagogik in Theorie und Praxis sich auf dem Gebiet einer Pädagogik der Neuen Medien sowohl kompetent macht als auch engagiert, um dem drohenden Verlust pädagogischer Verantwortlichkeit entgegenzuwirken.

Die Einrichtung und der kontinuierliche Ausbau des Lehr- und Forschungsgebiets Informationspädagogik am Institut für Allgemeine Pädagogik und Berufspädagogik der TU Darmstadt sollen hierzu einen Beitrag leisten.

2.3.2 Prozessbezogene Kompetenzen 2.3.2.1 Kooperativer Zugang (Teamfähigkeit) Der Sache nach bilden alle bisher thematisierten Zugänge auch Zugänge zu sozialen Kompetenzen:

• Die Anwendung technischer Systeme findet immer in sozialen Zusammenhängen statt. Deren Berücksichtigung gehört daher zum instrumentell-pragmatischen Zugang.

• Der theoretische Zugang zur Sache führt in diesem Falle auch in deren interdisziplinäre und soziale Dimensionen.

• Gestaltungskompetenz (praktischer Zugang) schließt soziale Verantwortungsfähigkeit mit ein.

Damit jedoch diese sozialen Dimensionen sachbezogener Kompetenzen auch praktische Wirksamkeit entfalten können, bedarf es der Sozialkompetenzen noch in anderer Hinsicht, nämlich in Hinsicht des Umgangs mit anderen Menschen im gemeinsamen Handeln.

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Mit der Informationstechnik dringt technisches Denken und Vorstellen, dringen technische Kriterien und technische Arbeitsmethoden in Bereiche wie die Pädagogik ein, in denen zuvor so nicht oder jedenfalls nicht hauptsächlich gedacht und gearbeitet wurde. Praktische Integration der Informationstechnik bedarf daher der Abstimmung zwischen technischen und nicht-technischen Denk- und Arbeitsweisen, einer Abstimmung, die entsprechendes theoretisches Verständnis voraussetzt, aber eben auch von Personen vorgenommen werden muss, die miteinander agieren und kommunizieren können müssen, um ihre jeweiligen Kompetenzen konstruktiv zusammenwirken zu lassen. Sie müssen mit anderen Worten teamfähig sein: Pädagoginnen und Pädagogen müssen in der Lage sein, im Team mit Informatikerinnen oder Elektroingenieuren, mit Lernpsychologen oder Grafikdesignerinnen zusammenzuarbeiten.

Teamarbeit hat selbst eine sozusagen methodisch-technische Seite, soweit es nämlich ihre effektive Organisation betrifft. Sie hat aber auch eine klassisch geisteswissenschaftlich-methodische Seite, die man als Hermeneutik zu bezeichnen pflegt: dem andern genau zuhören (ihn entsprechend zu Wort kommen lassen), seinen Intentionen folgen, ihn zu verstehen versuchen. Auch die Verständigung über das gemeinsame Vorgehen trägt wieder diese interdisziplinären Züge: das Vorgehen muss operationalisiert werden, so dass für jeden klar ist, worum es geht; aber es muss auch argumentativ legitimiert werden, damit die Gründe, die dafür sprechen, sich für dieses Vorgehen zu entscheiden, auch von jedem nachvollzogen werden können.

In der Praxis der Zusammenarbeit schließlich geht es zudem um die Vermittlung von Individualität und Verschiedenheit auf der einen mit Sozialität und Gemeinsamkeit auf der anderen Seite: Jedes Teammitglied muss die Chance erhalten, seine spezifischen Kompetenzen so einzubringen, dass sie sich mit den spezifischen Kompetenzen der anderen zu einem neuen Ganzen ergänzen, verbinden und anreichern.

Teamarbeit, erst recht interdisziplinäre Teamarbeit ist an den staatlichen Bildungseinrichtungen nicht sehr verbreitet. Lehrerinnen und Lehrer setzen sich den Anstrengungen, die mit interdisziplinärer Teamarbeit verbunden sein können, meist nicht aus, auch weil die Notwendigkeit dazu bisher noch nicht sehr ausgeprägt ist. Das ändert sich allerdings gerade hinsichtlich der Anforderungen, die an die unterrichtliche Organisation von Medienprojekten und der Vermittlung von Medienkompetenz in den Schulen gestellt werden. Es wäre gut, wenn Pädagoginnen und Pädagogen solche Erfahrungen nicht erst in in der Berufspraxis mühsam erwerben müssten, sondern schon aus ihrer informationspädagogischen Ausbildung mitbrächten. (Die Erfahrungen mit Gruppenarbeit im universitären Studium belegen die hohe Relevanz dieser Kompetenz-Dimension: funktionierende Gruppen sind nicht die Regel.)

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2.3.2.2 Pädagogischer Zugang (Vermittlungskompetenz) Indem Kompetenzen in der Teamarbeit zusammengeführt werden, werden sie miteinander „geteilt“: Jeder hat auf diese Weise auch teil an den Kompetenzen der anderen.

Damit dies ein aktives (und nicht nur ein indirektes, über das gemeinsame Ergebnis vermitteltes) Teilhaben ist, müssen die Teammitglieder bereit und fähig sein, voneinander zu lernen. Dies nenne ich Vermittlungsfähigkeit: mit anderen die eigenen Kompetenzen teilen, indem sie weitervermittelt werden; und von anderen lernen, indem man an ihren Kompetenzen teilhat. Und schließlich gilt es auch, das Lernereignis Teamarbeit miteinander zu teilen, also gemeinsame Lehren aus den gemachten Erfahrungen zu ziehen. Denn technologiegestaltende Teamarbeit ist immer auch verbunden mit Fortschritten an Kenntnissen und Können, an Einsicht und Fähigkeiten. Teams entwickeln sich auf diese Weise zu lernenden Gruppen.

Für künftige Pädagoginnen und Pädagogen ist Vermittlungskompetenz natürlich von ganz besonderer, da zusätzlich typischerweise berufsqualifizierender Bedeutung. Die eigenen Kenntnisse, Fähigkeiten, theoretischen Einsichten und Ideen anderen nicht nur mitzuteilen, sondern im pädagogisch-didaktischen Sinne zu vermitteln, also verständlich und nachvollziehbar zu machen sowie Hilfen zum Lernen bereitzustellen, gehört daher in die informationspädagogische Ausbildung.

In Bezug auf die Neuen Medien ist allerdings etwas ganz Wesentliches zu beachten: Kenntnisse, Fähigkeiten und Wissen unterliegen hier relativ schnellen Alterungsprozessen. Neue technologische Konzepte entstehen, neue Systeme werden angeboten; auch die Updates bereits bekannter Systeme bedingen oft ein mehr oder weniger umfangreiches Umlernen. Lehrende auf diesem Gebiet müssen also damit leben, dass sie anders als etwa Kolleginnen und Kollegen, die Geschichte unterrichten, nicht auf einen ständig wachsenden Bestand an Kenntnissen und Wissen zurückgreifen können, sondern im Gegenteil einer beständigen teilweisen Entwertung ihrer Kompetenzen ausgesetzt sind. Das verändert ihre Rolle. Sie sind nicht grundsätzlich diejenigen, die alles besser wissen, die in jeder Hinsicht einen soliden Kompetenz-Vorsprung haben. Vielmehr sind auch sie immer noch Lernende. Und nicht selten sind es die Schülerinnen und Schüler, die auf bestimmten Gebieten schon weiter sind als sie.

Man sollte diesen teilweisen Vorsprung der Schülerinnen und Schüler an Kenntnissen und Fähigkeiten anerkennen, wenn auch nicht überbewerten. Er basiert vor allem auf einem selbstverständlicheren Umgang vieler aus der nachwachsenden Generation mit den Neuen Medien, besteht aber seltener in wirklich fundierteren theoretischen Kenntnissen. Doch auch diese Relativierung ändert nichts daran, dass die traditionelle Lehrerrolle in Frage gestellt ist. Vermittlungskompetenz heißt jetzt auch: an dieser Rolle nicht um jeden Preis festhalten zu wollen, Defizite im Bereich sachbezogener Kompetenzen eingestehen zu können und bereit zu sein, sich zumindest teilweise und zeitweise mit den Lernenden in einen gemeinsamen Lernprozess zu begeben, in dem alle Beteiligten voneinander lernen können.

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2.3.2.3 Autodidaktischer Zugang (Bildungskompetenz) Tempo und Unvorhersehbarkeit der informationstechnischen Entwicklung lösen also die traditionelle Rollenverteilung in Ausbildungsprozessen tendenziell auf. Lehrer und Lehrerinnen auf diesem Gebiet können anders als in anderen Fächern oder Fachgebieten nicht auf einen ständig wachsenden Vorsprung an Wissen verweisen, der sie legitimiert, dem Bildungsprozess ihrer Schülerinnen und Schüler klare Richtung zu weisen. Umgekehrt heißt das auch: Lernende können sich nicht mehr darauf verlassen, dass Pädagoginnen und Pädagogen wissen, was genau sie lernen müssen, um auch in x Jahren noch auf der Höhe der Zeit zu sein.

Deshalb wird es immer wichtiger, dass die Lernenden fähig sind, sich in ihrem Bildungsprozess selbst zu orientieren; also die Entwicklungen sachkundig zu verfolgen und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen für das eigene Weiterlernen; sich selbst um entsprechende Weiterbildungsmöglichkeiten zu kümmern (also auf dem Bildungsmarkt umzutun) und Weiterbildung in die eigene Lebensplanung zu integrieren.

Das Bildungsangebot kann künftig weniger denn je nahezu monopolartig von den staatlichen Bildungseinrichtungen bereitgestellt werden, wenn lebenslanges Lernen zur allgemeinen Notwendigkeit wird. Andere Bildungsanbieter werden hinzukommen; und die Neuen Medien, insbesondere das Internet, werden aller Voraussicht nach dabei eine immer größere Rolle spielen. Darauf sollten die Menschen vorbereitet werden, daran sollten sie herangeführt werden. Die vom Staat getragene allgemeine Bildung kann die Menschen kaum ihr Leben lang begleiten, aber sie sollte dafür Sorge tragen, dass für den später notwendigen selbstständigen Umgang mit den Neuen Bildungsmedien soweit die Grundlage gelegt wird, dass möglichst niemand von den Möglichkeiten ausgeschlossen wird, die zu nutzen lebenswichtig werden kann.

Für einen lebenslangen Lernprozess ist das Lernen des Lernens inzwischen anerkanntermaßen eine entscheidende Qualifikationsvoraussetzung. Wichtig ist, dass dies nicht nur formal, als Erwerb von Techniken des Lernens, verstanden wird. Das gehört dazu. Aber damit allein kann die notwendige Orientierung nicht erlangt werden. Selbstorientierung kommt ohne inhaltlichen Sachverstand und ohne Urteilsfähigkeit bezüglich erwartbarer Entwicklungen sowie ohne die Fähigkeit, Lernanforderungen daraus abzuleiten und diese in selbstorganisierte Lernprozesse umzusetzen, nicht aus. Die geforderte Fähigkeit ist umfassender, als der dürre Ausdruck Lernen des Lernens es anzeigt. Ich würde von autodidaktischer Kompetenz im Sinne einer Bildungskompetenz sprechen: Verantwortungsfähigkeit für den eigenen Bildungsprozess.

Damit sind Pädagoginnen und Pädagogen nun doch wieder in ihrer Professionalität gefragt. Denn dies sind sie: Fachleute für Bildung. Es findet eine Verschiebung statt: Das sachbezogene Wissen allein kann nicht länger als hinreichendes Fundament für die Berufsausübung im Bildungsbereich gelten; Kompetenzen, die sich auf die

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Ausgestaltung von Bildungsprozessen beziehen, müssen dazukommen und an die Lernenden weitervermittelt werden.

Eigene Bereitschaft zur permanenten Weiterbildung ist künftig auch für die Pädagoginnen und Pädagogen unabdingbar. Die Medien, deren Nutzung pädagogisch reflektiert erfolgen soll, werden ihre Gestalt unaufhörlich ändern. Zugleich wird ihre Bedeutung für selbstorganisierte und selbstverantwortete Bildungsprozesse sich vermutlich erhöhen. Indem Bildung sich selbst als Weiterbildung fundiert, wird sie reflexiv: sich selbst ermöglichend und weiterentwickelnd.

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3. Dimensionen der Medialität – ein Überblick Die Frage, ob es sinnvoll und hilfreich ist, Neue Medien in der Bildung einzusetzen, lässt sich nicht beantworten, ohne die unterschiedlichen Weisen zu betrachten, in denen Computer- und Netzwerktechnologie als Medien eingesetzt werden können, und dies dazu in Beziehung zu setzen, welche Funktionen überhaupt Medien in Bildungsprozessen übernehmen können. Dies wird im Laufe dieser Vorlesung noch differenziert stattfinden. Hier soll vorweg ein erster Überblick gegeben werden.

Im weitesten Sinne bedeutet die Beachtung der Medialität der Informationstechnik, sie als Vermittelndes zu verstehen zwischen den Menschen und ihrer Welt. Im Zusammenhang von Lehren, Lernen und Unterricht geht es immer um die Vermittlung zwischen den beteiligten Akteuren (Lehrenden und Lernenden) und den Gegenständen von Lehren und Lernen.

Um den grundlegenden Charakter von Medialität zu verstehen, ist es sinnvoll, Medien im umfassenderen Zusammenhang sozialer Lebenspraxis zu sehen. Als Medien bezeichne ich vermittelnde Objektivationen in einem selbstreflexiven Prozeß der sozialen Entwicklung. Lehren und Lernen, Erziehung und Bildung sind wichtige Momente dieses Prozesses, insofern in ihnen seine geschichtliche Kontinuität, vor allem, aber nicht nur (man denke an die wachsende Bedeutung von Erwachsenen- und Weiterbildung) über die Generationenabfolge gesichert wird.

Motivierend und insofern dynamisierend im sozialen Entwicklungsprozess sind die Vorstellungen, die die Menschen sich von ihrer Welt machen und die neben ihrem Abbildungscharakter immer auch Entwurfscharakter aufweisen. In die Ideen der Menschen geht ein Bild davon ein, wie diese Welt ist, aber auch davon, wie sie sein sollte. Soweit im sozialen Auseinandersetzungs- und Vermittlungsprozess gemeinsame leitende Vorstellungen entwickelt werden können, welche die Praxis einer hinreichend einflussreichen oder mächtigen Gruppe oder Einzelner anleiten, können diese Ideen realitätsverändernde Wirksamkeit entfalten (was sowohl in der Form des Gelingens als auch des Scheiterns als auch aller dazwischenliegenden Möglichkeiten Spuren hinterlässt).

Medien sind vermittelnde Momente in diesem Prozess:

• Sie können die Herausbildung und Verbreitung von Ideen vermitteln, etwa als Plattform für die öffentliche Austragung von Diskussionen oder als Propagandainstrumente,

• sie können die Bildung sozialer Interessenskoalitionen vermitteln; • sie können die Umsetzung von Ideen in Praxis vermitteln, etwa wenn Aktionen über

sie organisiert werden; • sie können die Wirksamkeit verändernder Praxis verstärken, beispielsweise indem

darüber berichtet wird usw.

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Soziale Entwicklung wird selbstverständlich nicht nur durch die soziale Praxis bewirkt; sie enthält immer auch Momente, die eher Ereignischarakter haben und jenem Strom der Zeit zugerechnet werden müssen, den Menschen weder in Gang gesetzt haben noch wesentlich zu beeinflussen vermögen (Naturkatastrophen, nicht vom Menschen induzierte Umweltveränderungen usw.). Doch soweit soziale Entwicklung nicht nur Evolution und schicksalhaftes Geschehen ist, soweit sie als Geschichte angesehen werden kann, wird sie durch menschliche Praxis bewegt. Dieser Prozess ist selbstreflexiv, insofern er durch Momente vorangetrieben werden, die aus ihm selbst stammen. Deshalb also die Aussage: Medien sind vermittelnde Objektivationen im selbstreflexiven Entwicklungsprozeß sozialer Lebenspraxis.

3.1 Instrumentalität Auch das Instrument weist medialen Charakter auf: Es vermittelt zwischen Subjekt und Objekt, sei es, dass es hilft, die Absichten des Subjekts auf das Objekt zu übertragen (dominantes Verständnis des Instruments als eines Werkzeugs), sei es, dass es dem Subjekt hilft, Eigenschaften des Objekts wahrzunehmen (Verständnis des Instruments als eines Wahrnehmungsmittels, zum Beispiel als Mess- oder Beobachtungsinstrument).

In der Bildung fungiert das Medium als Instrument, wenn wir eine Subjekt-Objekt-Struktur unterstellen. Dabei kann das Medium

• als Werkzeug des Lehrenden zur Realisierung seiner Absichten am lernenden Objekt eingesetzt werden (beispielsweise bei dem Einsatz von Lernsoftware nach dem Konzept der Programmierten Instruktion). In diesem Sinne werden Medien immer dann eingesetzt, wenn der Lernprozess als Instruktion der Lernenden durch die Lehrenden konzipiert wird. Zwar muss grundsätzlich Lernen als Eigenaktivität der Lernenden begriffen werden, doch wenn und soweit sich die Lernenden dabei eigenaktiv in berechenbarer Weise verhalten, funktioniert dieses Lernkonzept. (Der Rest firmiert unter „Drop Outs“.)

Das Medium kann aber auch

• ein Werkzeug des Lernenden sein, mit dessen Hilfe er • Lernaufgaben bearbeitet (z.B. Übungsaufgaben) oder • etwas über Lernobjekte herausfindet (z.B. beim Zugriff auf die Informationen, welche

in der Wissensbasis vorgehalten werden). Hier wird mit Hilfe des Mediums eine Dominanzstruktur hergestellt (Dominanz des Subjekts über das Objekt).

Die Vermittlung ist auch beim instrumentalen Medium niemals ganz einseitig. Auch bei der Bearbeitung des Objekts vermittelt das Instrument nie lediglich die Formungsabsichten des Subjekts, sondern immer auch Erfahrungen mit der Eigenform und der Stofflichkeit des Objekts.

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Umgekehrt lässt auch das Beobachtungs- und Messinstrument nicht einfach nur das Objekt „zur Sprache kommen“, sondern verändert es auch bzw. vermittelt dem Subjekt Eindrücke vom Objekt, die durch seine im Instrument objektivierten Erkenntnisinteressen formiert sind.

Informationstechnische Instrumente weisen nun allerdings eine Besonderheit auf, die bedacht sein muss, wenn sie im Rahmen von Bildungsprozessen eingesetzt werden: Die Objekte, die mit ihnen bearbeitbar, beobachtbar, messbar sind, sind symbolische Objekte. Mit Hilfe dieser Instrumente kann zum Beispiel der Bauingenieurstudent nicht Beton gießen, sondern nur einen Vorgang initiieren, in dem das reale Betongießen bereits zur mathematisch berechenbaren Funktion virtualisiert worden ist. Und er kann über diese Instrumente nicht unmittelbar etwas über die Eigenschaften von realem Beton in Erfahrung bringen, sondern nur die Informationen über diese Eigenschaften abrufen, die in der Wissensbasis gespeichert worden sind.

Informationstechnische Instrumente vermitteln, mit anderen Worten, keinen Zugang zur Materialität der Objekte, sondern nur zu deren symbolischen Repräsentationen. Insofern ist es ganz zutreffend, wenn sie im Unterschied zu materialen Werkzeugen auch als „Denkzeuge“ bezeichnet werden.

3.2 Kommunikation und Kooperation Vermittelt das Medium zwischen Subjekten, sprechen wir von einem Kommunikationsmedium oder auch – bei Koppelung mit der instrumentalen Funktion – einem Medium der Kooperation. Das Medium vermittelt in diesem Falle zwischen den subjektiven Vorstellungen und Absichten; es dient der Herbeiführung von Verständigung und Übereinkunft. Verstehen wir das Lehr-Lern-Verhältnis als ein kommunikatives Verhältnis, werden wir Medien zur Unterstützung der Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden einsetzen (ebenso zur Kommunikation der Lehrenden oder der Lernenden jeweils untereinander). In einer Kommunikationsstruktur wirken die Kommunikationspartner wechselseitig und im Idealfalle gleichberechtigt aufeinander ein (keine einseitige Dominanz) und sind offen für die Einwirkung durch den anderen.

Beispiele für den Einsatz als Kommunikationsmedium sind eMail, Chat, Groupware.

Auch hier muss allerdings die Spezifität der Informationstechnik berücksichtigt werden. Zwar ist die zwischenmenschliche Kommunikation auch sonst ganz wesentlich durch Symbole (insbesondere Sprache, Schrift, Gestik) vermittelt. Doch spielt zumindest bei der Face-to-face-Kommunikation die leibliche Materialität der Kommunikationspartner noch mit hinein. Die Symbole vermitteln, aber durch die physische Präsenz kommt ein nicht-symbolisches materiales Moment in die Kommunikation, eine Ebene, auf der die Kommunikationspartner ebenfalls etwas übereinander erfahren und mitteilen und das sie – oft unbewusst – in Beziehung setzen zur symbolisch vermittelten Kommunikation

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[Plessner u.a. 2003]. Wie wichtig diese Kommunikationsebene ist, wird leicht einsichtig, wenn man daran denkt, dass etwa die Kommunikation von Eltern mit ihren Babys weitestgehend ohne symbolische Vermittlung auskommen muss und kann.

Diese Ebene entfällt bei der Kommunikation über informationstechnische Medien (wie auch schon bei anderen technischen Medien). Die Kommunikationspartner schaffen von sich hier eine symbolische Repräsentanz, zu der es – innerhalb dieses Kommunikationsraums – kein materiales Korrektiv gibt: Jeder ist, als was er sich ausgibt [Turkle 1999]. Er kommuniziert daher seinerseits auch nur mit der symbolischen Repräsentanz eines andern.

Bei Kommunikationszusammenhängen, in denen es auf personale Präsenz ankommt, ist daher das informationstechnische Medium nur begrenzt von Wert. Es bewährt sich vor allem in streng sachlich orientierten Kommunikationssituationen und als Ergänzung zur unmittelbaren personalen Kommunikation.

3.3 Reflexivität Ein Medium kann benutzt werden, um ein Modell von Ausschnitten der Wirklichkeit darzustellen, mit der wir uns auseinanderzusetzen oder über die wir etwas zu erfahren beabsichtigen. Simulationen sind typische Vertreter dieser Art von Medium. Im Modell objektivieren wir subjektive Anschauungen von Weltausschnitten und können uns daran abarbeiten: es betrachten, es untersuchen, es manipulieren, es modifizieren, es kritisieren usw. [Kaufmann/Smarr 1994] Im Umgang mit dem Modell gehen wir mit unseren eigenen subjektiven Vorstellungen um; d.h. das Medium vermittelt uns eine Reflexion auf unsere subjektiv-theoretischen Konstruktionen bzw. Rekonstruktionen von Welt.

Beispiele hierfür sind dreidimensionale virtuelle Modelle von Molekülen in der Chemie, in die man als Betrachter sozusagen „einsteigen“ kann, um an ihnen Manipulationen vorzunehmen und die bewirkten Veränderungen in der Aufbaustruktur sinnfällig werden zu lassen.

Realisieren wir diese Modelle als modellhafte Veränderungen von Welt, fungiert das Modell nicht mehr bloß als abstraktes Abbild, sondern als ideales Vorbild für die Wirklichkeit (Konstruktion): Wir modellieren darüber vermittelt reale Objektivität und verändern (hoffentlich: verbessern) so die Objektwelt, der wir als Subjekte angehören. Auf diese Weise vermitteln wir uns über die technische Modellierung von Welt eine Reflexion unserer weltverändernden (der Intention nach in der Regel: weltverbessernden) Ideen. (Verbindung des reflexiven mit dem instrumentalen Aspekt des Mediums)

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3.4 Rahmung und Ermöglichung In einem weiteren Sinne schließlich dient das Medium der Vermittlung von Möglichkeiten: als Basis, als Plattform, als Rahmen für etwas, das dadurch ermöglicht wird. So bewegt sich der Fisch im Medium des Wassers; das Wasser ermöglicht ihm seine Bewegung und mehr noch: sein Leben. So bewegen sich all unsere theoretischen Reflexionen immer schon im Medium der Sprache. Und so bildet auch die Technik einen entlastenden, schützenden Rahmen, innerhalb dessen neue Möglichkeiten entdeckt und realisiert werden können. Wenn wir Lernumgebungen schaffen, um Lernen nicht zu erzeugen, sondern ihm Raum für selbstentdeckte und selbstgewählte Wege zu geben, setzen wir Medien in diesem Sinne ein. Das Medium als Rahmen einzusetzen, entspricht einer Auffassung vom Lernen als einem schöpferischen Prozess selbstbestimmter Entwicklung, in dem das Moment der Spontaneität und der Initiative seitens der Lernenden Anerkennung erfahren. [Sesink 2004, 96-99]

3.5 Mehrdimensionalität All diese Aspekte von Vermittlung kommen im Lehr-Lern-Prozess zusammen, der deshalb wesentlich medial gestaltet ist. Und alle genannten medialen Funktionen werden gebraucht und spielen zusammen, wenn Lehren und Lernen stattfinden. Es gibt so gesehen auch keine unterschiedliche didaktische Wertigkeit dieser Funktionen.

Bei der medialen Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen kommt es darauf an, Medien aufgabengerecht einzusetzen, d.h. immer zu reflektieren, welcher Aspekt des Mediums für bestimmte Zielsetzungen innerhalb des Kontextes von Lehre und Studium sinnvollerweise in Anspruch genommen werden sollte:

• instrumental für den systematischen Lehrgang, für die Übung, für die selbstständige Wissensaneignung;

• kommunikativ für den Austausch der Lernenden mit den Lehrenden oder für die Gruppenarbeit;

• theoretisch reflexiv für die sinnfällige Darstellung von Zusammenhängen im Modell; • instrumentral und praktisch-reflexiv bei Konstruktionsaufgaben; • als Rahmung für die Unterstützung autodidaktischen Lernens. Wenn im Laufe dieser Vorlesung die oben skizzierten Dimensionen von Medialität näher untersucht und an Beispielen illustriert werden, ist wichtig, sich folgendes bewusst zu halten: Die Dimensionen von Medialität bezeichnen nicht eindeutig Typen von Medien; d.h. es gibt keine exklusive Zuordnung bestimmter Medien zu lediglich einer dieser Dimensionen. In der Regel weisen konkrete Medien zumindest potenziell mehrere dieser Dimensionen auf, auch wenn sie vielleicht vorrangig mit Blick auf eine bestimmte Dimension konstruiert worden sind. So kann man Lernprogramme als instrumentale Medien betrachten, da sie dazu gedacht sind, Lehrintentionen effektiver

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umzusetzen. Man kann sie aber auch als Reflexionsmedium nutzen, insofern in ihnen ein bestimmtes Modell des Lernens und des Zusammenhangs von Lehren und Lernen objektiviert ist, über das man nachdenken sollte, wenn man sie einsetzt. Simulationen andererseits sind sicherlich primär dazu geeignet, theoretische Modelle der Reflexion zugänglich zu machen. Doch können sie auch durch Zuweisung unterschiedlicher Aufgaben, Funktionen oder Rollen im Spielzusammenhang Mitspielende in einen Kommunikationskontext versetzen – ein Aspekt, der das Spiel oft erst reizvoll macht.

Es kommt also auf den pädagogisch-didaktischen Kontext an, in den ihr Einsatz eingebettet ist. Durch ihn erst werden die Potenziale der Neuen Medien in ihrer jeweiligen Dimension erschlossen – oder eben auch nicht.

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4. Werkzeuge und Instrumente des Lehrens und Lernens

Der mediale Charakter auch des Arbeits- und Kontrollinstruments wurde im vorhergehenden Kapitel schon angesprochen: Die Vermittlung ist niemals einseitig, sie lässt das Subjekt des Prozesses nicht unverändert; und das Objekt entfaltet auch im Arbeitsprozess eigene unkalkulierte Wirkungen. Was das Instrumentelle ausmacht, ist der Dominanzanspruch des Subjekts, der sich als Zweckrationalität geltend macht. In der Regel sind die unkalkulierten Wirkungen des Objekts lediglich hingenommene Einschränkungen dieser Dominanz bzw. Störungen der Zweckrationalität. Kybernetische Steuerung ist der technische Versuch, noch diese Störungen zweckrational einzufangen. Darauf wird im folgenden Kapitel eingegangen werden.

Im Zusammenhang von Bildungsprozessen kann das Instrument auf unterschiedliche Weise zum Einsatz kommen:

• als Lehr-Werkzeug (in den „Händen“ der Lehrenden) und • als Lern-Werkzeug (in den „Händen“ der Lernenden),

je nachdem, wer die Subjektposition in der Anwendung des Instruments einnimmt.

4.1 Lehr-Instrumente 4.1.1 Technik als „Organverstärkung, Organersatz und

Organentlastung“ (Gehlen) Der Anthropologe Arnold Gehlen hat die Technik als Mittel der Organverstärkung, des Organersatzes und der Organentlastung charakterisiert. [Gehlen 1957; in: Gehlen 1987, 148] Übertragen wir dies auf pädagogisches, zum Beispiel unterrichtliches Handeln:

Die oder der Lehrende setzt Mittel ein, um ihre oder seine Absichten „besser“ umzusetzen. Lehren kann selbstverständlich ganz ohne Einsatz technischer Mittel erfolgen, allein vermittels „Körpereinsatzes“: Sprache, Gestik, Mimik, Bewegung usw. Die Möglichkeiten zum Ausdruck dessen, was den Lernenden übermittelt werden soll, sind dann geprägt, natürlich auch begrenzt durch das körpereigene Ausdrucksreservoir.

Zur Verstärkung der eigenen Ausdrucksmöglichkeiten haben sich Lehrende schon immer diverser Hilfsmittel bedient: vom Zeigestock und der Tafelanschrift über Bilder, Modelle, Grafiken bis hin zu den modernen audiovisuellen Hilfsmitteln. Beamer und Laptop verstärken zum Beispiel meine Möglichkeiten, Ihnen Übersichten über die Vorlesungsgliederung vor Augen zu führen oder Ihnen bestimmte strukturelle Zusammenhänge durch Grafiken zu veranschaulichen; sie verstärken mein Lehrhandeln, indem sie Ihnen die Aufnahme erleichtern.

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Zugleich entlasten sie mich von Tätigkeiten wie Tafelanschrift, wodurch ich mich mehr auf andere Tätigkeiten, in denen ich mich noch unersetzbar glaube, konzentrieren kann, zum Beispiel darauf, einen unmittelbaren kommunikativen Kontakt zwischen Ihnen und mir aufrechtzuerhalten, statt Ihnen den Rücken zuwenden zu müssen, während ich an der Tafel beschäftigt bin.

Ganz bestimmt ermöglichen mir technische Medien auch Vermittlungsformen, für die ich gar kein Organ hätte, die also ohne diese Mittel gar nicht denkbar wären wie etwa die Vergegenwärtigung historischer Ereignisse im Film. Sie verstärken dann nicht nur, sondern bieten neue Möglichkeiten.

4.1.2 Medientechnik Zu den Lehr-Instrumenten gehören zunächst einmal alle Werkzeuge, die dazu dienen, Lehrende bei der Realisierung ihrer Lehrintentionen zu unterstützen. Im weitesten Sinne wären hierunter demnach auch Dinge wie Schreibzeug, Terminplaner, Taschenrechner usw., ja möglicherweise sogar die Aktentasche zu rechnen, alles Dinge, die Lehrende benötigen und benutzen könnten, um ihrer Profession nachzugehen. Dazu würden dann natürlich auch die entsprechenden Computervarianten: Textverarbeitungsprogramm, Stundenplanprogramm, Kalkulationsprogramm, Speichermedien und Netzwerkverbindungen usw. gehören. Von besonderem Interesse im Zusammenhang einer Pädagogik der Neuen Medien sind dabei die Werkzeuge zur Erstellung von Medien und die Werkzeuge, die unmittelbar im Unterricht zur Vermittlung der Intentionen der Lehrenden (zum Beispiel der Medieninhalte) an die Lernenden eingesetzt werden.

An dieser Stelle soll eine Klärung vorgenommen werden, was den Begriff des Mediums betrifft. Wenn von Medien des Lehrens die Rede ist, werden oft Dinge wie Tafel, Overhead-Projektor oder Beamer genannt. Im Rahmen der Terminologie, die in dieser Vorlesung verwandt wird, sind sie nicht Medien, sondern Medientechnik. (Das heißt, dass Medien immer mehr sind als nur Technik.)

Nehmen wir zur Erläuterung die Tafel. Solange sie leer ist, ist sie völlig ungeeignet, irgendetwas zu vermitteln. Ein Medium zur Vermittlung der Lehrintentionen an die Lernenden ist erst die Tafelanschrift. So gesehen sind Tafel und Kreide Werkzeuge (Technik) zur Erstellung von Medien (Tafelanschriften, Tafelbildern). Zugleich sind Tafel und Kreide nicht nur Produktions-, sondern auch Darstellungswerkzeuge, indem sie ein stofflicher und zugleich formgebender Teil des Mediums werden: ohne sie wäre die Anschrift nicht sichtbar. Medientechnik ist also Technik zur Erstellung und Präsentation von Medien.

Kein Medium (Tafelanschrift) kommt ohne Technik (Tafel und Kreide) aus. Aber die Technik alleine macht noch nicht das Medium aus.

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Die Dinge ändern sich ein wenig, wenn wir den Overhead-Projektor nehmen. Es wird oft gesagt, der Overhead-Projektor ersetze die Tafel. Aber das stimmt nur halb. Die Tafelanschrift (das Medium) wird durch die Folienprojektion ersetzt. Der Projektor erfüllt nur noch die Funktion der Sichtbarmachung (Präsentation); ist somit Teil der Medientechnik als Präsentationstechnik, zu der außerdem aber noch die Projektionsfläche und die Folie samt Aufschrift (Tinte o.a.) gehören. Worin er die Tafel nicht ersetzen kann, ist deren Funktion als Werkzeug der Medienerstellung (Folienerstellung). Dazu benötigt der Lehrende zusätzlich die (leere) Folie und den Folienschreiber (bzw. Drucker).

Noch weiter differenziert sich das Werkzeugarsenal, wenn wir an den Beamer denken. Das Medium ist hier ebenfalls eine projizierte „Folie“ (Bildschirmseite). Der Beamer bildet (neben der Projektionsfläche, dem Computer und der Software) hier einen Teil der Medientechnik als Präsentationstechnik. Die Nähe zum Overhead-Projektor ist deutlich. Aber der Beamer braucht digitalen „Stoff“. Die „Folie“ muss ihm als Datenmaterial zugeführt werden. Die Medienproduktion (Erstellung der zu projizierenden Bildschirmseite) erfordert entsprechend weitere Werkzeuge zur Erstellung digitaler Medieninhalte: Computer, Software usw. Diese können, müssen aber nicht identisch sein mit den Werkzeugen für die Präsentation (die „Folie wird zum Beispiel mit einem HTML-Editor erzeugt; „gezeigt“ wird sie dann von einem Browser). Insofern gehört der Beamer tatsächlich als Werkzeug in den Umkreis der Neuen Bildungsmedien, ist aber alleine noch kein „Neues Medium“.

Werkzeuge, welche der Erstellung von digitalen Bildungsmedien dienen, werden auch als Autorensysteme bezeichnet, wobei in der Regel allerdings diese Bezeichnung für solche Werkzeuge reserviert wird, mit denen umfangreichere Lernsysteme (Lernsoftware) produziert werden können. [Schulmeister 1997, 93-113]

Zusammengefasst: Die (neue) Technik ist allein noch kein (neues) Medium. Aber ohne Technik (zur Erstellung und Präsentation) kein Medium!

4.1.3 Erfassungs-, Kontroll- und Messinstrumente Bis hierher wurde die Medientechnik insbesondere hinsichtlich ihres Werkzeugcharakters betrachtet; bezogen auf die im vorigen Kapitel angesprochene Dimension der Instrumentalität also als Mittel zur Realisierung der Intentionen des handelnden Subjekts (der lehrenden Person) hinsichtlich der Formung eines Objekts. Direktes Objekt sind dann Materialien, aus denen Medien „geformt“ werden; indirekt allerdings ist damit ein Einwirken auf die Lernenden beabsichtigt. In einem gewissen eingeschränkten Sinne sind also auch die Lernenden als Objekte des durch Werkzeuge verstärkten Lehrerhandelns anzusehen.

Die Einschränkung besteht darin, dass eine Bewirkung von Lernen durch Lehren nur dadurch möglich ist, dass die Lernenden durch eigene Lernaktivität das Lehren zur Wirkung kommen lassen. Erfolgreiches Lehren heißt daher, dass es den Lehrenden

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gelingt, die Lernenden zu erreichen. Dazu gehört ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit für die Lernenden:

• dafür, was sie in den Prozess selbst einbringen, etwa ihr Vorwissen, ihre Lehrinteressen;

• dafür, was sie brauchen, um das lernen zu können und auch zu wollen, was sie nach der Vorstellung des Lehrenden lernen sollten;

• dafür, wieweit sie tatsächlich gelernt haben, was sie lernen sollten. Hier kommt daher die zweite Bedeutung von Instrumentalität ins Spiel: das Instrument als Mittel des Subjekts, etwas über ein Objekt in Erfahrung zu bringen.

So werden beispielsweise Eingangstests durchgeführt, um Vorwissen, Interessen und anderes festzustellen, das Lernende „mitbringen“. Es werden Zeugnisse aus vorhergehenden Bildungsabschnitten ausgewertet. Die Daten der Lernenden, ihre Herkunft, ihr Alter, ihr Entwicklungsstand werden festgehalten. Berichte über Lernschwierigkeiten werden herangezogen.

Für all dies: Durchführung und Auswertung von Eingangstests, Datenerfassung, -speicherung und -weiterverarbeitung kann Computertechnik eingesetzt werden. Insgesamt entsteht so ein Bild vom Lernenden, auf das als Adressat seiner Lehrbemühungen sich der Lehrende beziehen kann, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass er ihn auch erreicht. Aber – und dies ist etwas, worauf im vorigen Kapitel ja schon ausdrücklich hingewiesen wurde – das Bild vom Adressaten, das auf diese Weise gewonnen und berücksichtigt wird, ist nur ein „Datenschatten“ des wirklichen Menschen, an den sich das Lehren dann richtet (Lernermodell). (Das Objekt kann sich nur so zeigen, hieß es in der vorigen Vorlesung, wie das Instrument es zulässt.) Es ist wie jedes Modell geprägt von der zwangsläufig selektiven Konzentration auf besonders interessierende Merkmale, und zwar – als Datenmodell – auf solche Merkmale, die sich formalisieren und vermessen, also mathematisch abbilden lassen. Es kann niemals die Individualität des Lernenden einholen.

Zur Lehrtätigkeit insbesondere in Institutionen gehört auch die Lernerfolgskontrolle (genauer eigentlich: die Lehrerfolgskontrolle): Habe ich wirklich das bei den Lernenden erreicht, was ich wollte? Auch hierbei kann Computertechnik Unterstützung geben, indem sie für Leistungstests, Prüfungen, Protokollierung von Lernverhalten eingesetzt werden. Sie fungieren dann gleichsam als Wahrnehmungs- und Messinstrumente für die Lernleistung der AdressatInnen.

Soweit die Lernenden selbst ihre Lerntätigkeit durch begleitende Aktionen am Computer dokumentieren (beim Recherchieren im Internet, dem Absolvieren eines Lernprogramms, bei der Bearbeitung von Aufgaben usw.), können diese Aktionen lückenlos überwacht und kontrolliert werden.

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4.1.4 Instrument und Medium Es zeigt sich so, dass Computertechnik ein sehr effektives Instrument für einen kontrollierenden Umgang von Lehrenden mit Lernenden darstellen kann. [Schulmeister 1997, 151-161; Kerres 2001, 319-388] Es ist ein Ausmaß an Überwachung des Lernverhaltens möglich, wie es ohne diese Technik nicht denkbar wäre. Zugleich können die Protokolle der Überwachung problemlos gespeichert und so für lange Zeit zur nachträglichen Auswertung vorgehalten werden. Was in einer Demokratie die Datenschützer auf den Plan ruft, kommt einem Verständnis der Lehr-Lern-Beziehung außerordentlich entgegen, demzufolge Lernen eine Wirkung von Lehren ist, Lehren also Lernen gleichsam macht und das man daher als technologisch bezeichnen kann. Technik als Instrument des Lehrenden einzusetzen, verstärkt daher mit den Ausdrucksmöglichkeiten des Lehrenden für seine Lehrintentionen grundsätzlich die instrumentelle Seite der Lehr-Lern-Beziehung. Darin liegt eine Gefahr der Medientechnik, derer Pädagoginnen und Pädagogen sich bewusst sein sollten.

Insofern Technik überhaupt instrumentell verstanden wird (und dies ist das vorherrschende Verständnis von Technik in der Pädagogik: dass sie grundsätzlich ein Instrument im Dienste vorgegebener Zwecke sei, denen Objekte unterworfen würden), lässt sich von daher auch der Vorbehalt vieler Pädagoginnen und Pädagogen gegen „zuviel“ Technik verstehen: Sie sei eine Bedrohung für Lehr-Lern-Beziehungen, in denen die Lernenden als Subjekte ihres eigenen Lernprozesses anerkannt würden. Dass dies aber nicht das einzig mögliche Verständnis von Technik ist, wurde im vorigen Kapitel bereits angesprochen und wird später noch ausführlich dargestellt werden.

Alle genannten Technik-Anwendungen belassen den Lehr-Lern-Prozess im Zuständigkeits- und Kompetenzbereich des Lehrenden, gehören im weitesten Sinne sozusagen weiterhin seinem „Körperfeld“ als Ersatz, Verstärkung und Entlastung seiner „Lehr-Organe“ an. Sie sind von der Art, nach der Lehrerinnen und Lehrer fragen und suchen, wenn es um für sie sinnvolle Computernutzung geht: Bereicherungen und Erleichterungen ihrer Lehrtätigkeit, die aber weiterhin ihre Tätigkeit bleibt. Das ändert sich, wenn ein instrumentelles Verständnis der Lehr-Lern-Beziehung zur Konsequenz ihrer Maschinisierung und Automatisierung fortgeführt wird. Dies wird Thema des folgenden Kapitels sein.

4.1.5 Digitalisierung Die Objekte, die mit dem Computer bearbeitet oder erfasst werden, sind Datenobjekte. Diese stehen für reale Objekte; aber die damit gegebene Referenzbeziehung geht auf Abstraktionsakte zurück, welche einen Autor oder eine Autorin haben. Mit anderen Worten: Hinter den Datenobjekten steht ein Digitalisierungsvorgang.

Dass dies so ist, kann ausgeblendet werden; es kann aber auch sichtbar gemacht werden. Wo es sichtbar gemacht wird, besteht die Chance, den Vorgang der Digitalisierung selbst genauer zu betrachten, um verständlich zu machen, was hier eigentlich genau

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getan wird und dass die Datenobjekte keineswegs quasi natürlich die realen Objekte repräsentieren, für die sie stehen.

Was damit zur Diskussion steht, ist der Unterschied zwischen analoger und digitaler Technik, der in einem der folgenden Vorlesungskapitel noch näher erörtert werden wird. Sollen zum Beispiel ursprünglich analoge Medien wie Fotografien mit dem Computer bearbeitet werden, müssen sie erst digitalisiert (zum Beispiel gescannt) werden. Um dies Instrumentarium (Scanner, Bildbearbeitungssoftware) angemessen einsetzen zu können, muss man zumindest Grundzüge des technischen Vorgangs und die Entscheidungen nachvollziehen können und verstehen, welche in der Wahl bestimmter technischer Parameter (wie der Auflösung, der Farbtiefe) zusammenwirken.

Es kann damit deutlich werden, dass der Gebrauch von Computerwerkzeugen immer – also auch dann, wenn er scheinbar rein „handwerklich“ geschieht – der Gebrauch kognitiver Werkzeuge ist, also entweder (wie beim Scannen) einen Abstraktionsvorgang exekutiert oder (wie beim Gebrauch eines Bildbearbeitungsprogramms) mit Resultaten von Abstraktionen auf formale Weise operiert (die handwerksmäßig vollzogenen Operationen am Bildschirm bedeuten tatsächlich Rechenoperationen). Darin kann ein wichtiger Beitrag zur informationstechnischen Bildung und der Ausbildung von Medienkompetenz bestehen.

4.2 Lern-Instrumente Von Lern-Werkzeugen spreche ich, wenn die Medien den Lernenden selbst „an die Hand“ gegeben (zur Verfügung gestellt) werden, um ihre Lernbedürfnisse und -interessen zu verfolgen. Damit ist ein zumindest phasenweise selbstorganisierter Lernprozess vorausgesetzt, der das Lernen nicht lediglich als Ableitung des Lehrens (oder dessen unmittelbare Wirkung) versteht, sondern als einen aktiven, selbsttätigen Prozess eines lernenden Subjekts. (Das Zur-Verfügung-Stellen von Lernwerkzeugen wird später noch einmal als Teil der Gestaltung von Lernumgebungen thematisiert werden.)

4.2.1 Schularbeit Entsprechend den beiden möglichen „Vermittlungsrichtungen“ des Instruments sind auch die zum Einsatz kommenden Lernwerkzeuge zu unterscheiden. Wir sprechen auch in bezug auf das Lernhandeln von Arbeiten und bringen damit zum Ausdruck, dass im Lernprozess Aufgabenstellungen be„arbeitet“ werden, was zu einer Art Produkt, der gelösten Aufgabe (die auch im herkömmlichen Sinne ein „Produkt“ sein kann, etwa im

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Werkunterricht) führt. So sprechen wir von „Schularbeit“ bzw. vom „Erledigen der Schularbeiten“. Dies ist der erste Bereich, den wir betrachten müssen.

Seinem universellen Charakter entsprechend sind auch die Einsatzformen des Computers bei der Schularbeit außerordentlich vielfältig. Der Computer hat oft als Werkzeug der Schularbeit einen ersten Eingang gefunden in die Schule, besonders häufig als Rechenwerkzeug. Er wurde benutzt, damit die Schülerinnen und Schüler umfangreichere Rechenoperationen schneller bewältigen konnten. In dieser Funktion verdrängte er Rechenschieber, Logarithmentafeln und Taschenrechner – als das effektivere Werkzeug.

Aber dieser Gesichtspunkt der Effektivität bedeutet auch: die Benutzung dieses Werkzeugs war ergebnisorientiert im produktionstechnischen Sinne, nicht prozessorientiert im didaktischen Sinne. Sie hat die Arbeit erleichtert, aber nicht unbedingt das Lernen gefördert.

In derselben Weise kann der Computer natürlich in vielfältigen anderen Werkzeugfunktionen eingesetzt werden; als effektiveres Reißzeug ersetzt er Zirkel, Lineal und Geodreieck; als effektiveres Schreibzeug ersetzt er Füller und Schreibmaschine; als effektiveres Archivierungsinstrument ersetzt er den Karteikasten usw. Aber mit einer Förderung des Lernens hat all dies so noch nichts zu tun. Denn ob das Ausrechnen einer Funktion mit Hilfe des Computers im Bruchteil einer Sekunde erfolgt oder „von Hand“ eine halbe Stunde in Anspruch nimmt, ist pädagogisch relativ unerheblich, wenn sich sonst nichts ändert.

Natürlich ist stundenlanges Abarbeiten von routinemäßigen Rechenaufgaben eine Quälerei. Wenn es nur deshalb verlangt wird, weil man das Ergebnis braucht, ist nicht einzusehen, warum man sich diese Quälerei nicht vom Computer abnehmen lassen sollte. Wenn es aber darum geht, Erfahrungen damit zu machen, was Rechnen ist und welche realen Lebensprozesse oder Tätigkeitsabläufe beispielsweise in Rechenoperationen symbolisiert werden können, und wenn es darum geht, die eigene Fähigkeit des Rechnens und die Abbildung realer Abläufe in mathematischen Funktionen nicht nur zu kennen, sondern auch kritisch auf ihre Angemessenheit prüfen zu können, dann ergibt es keinen Sinn, diese Funktionen an ein Rechenwerkzeug zu delegieren.

In der Schule wird Arbeit also nicht primär um des herzustellenden Produkts, sondern um der lernförderlichen Erfahrungen willen geleistet. Die Entlastung von Arbeit ist pädagogisch nicht sinnvoll, wenn dadurch zugleich die Lernerfahrungen verhindert werden, um deretwillen die Arbeit in der Schule gemacht wird.

Hierüber muß man sich natürlich im klaren sein, wenn es um eine pädagogische Beurteilung des Sinns des Einsatzes von Computern als Rechen- (und sonstigen) Werkzeugen zur Arbeitsentlastung geht: Soll der Unterricht lediglich von sinnlosen Routineverrichtungen entlastet werden, um für sinnvollere Aktivitäten Raum zu schaffen; oder werden – vielleicht ungewollt – dem Effektivitätsgesichtspunkt durchaus

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sinnvolle Erfahrungen geopfert, die sich – technologisch gesehen – nur auf „zurückgebliebenem“ Niveau des Werkzeuggebrauchs einstellen können?

Der ökonomische Gesichtspunkt einer Entlastung der Lernenden von Tätigkeiten, die ihr Lernen nicht fördern, wäre sicherlich höchst relevant. Bisher scheint er in der Diskussion um den Computereinsatz in den Schulen noch keine größere Rolle gespielt zu haben. Die Experimente mit sogenannten Laptop-Klassen an verschiedenen Schulen lassen sich aber möglicherweise in diesem Zusammenhang sehen, intendieren sie doch, den Lernenden ein vielfältig nutzbares Instrument sicherlich auch zur entlastenden Unterstützung an die Hand zu geben.

4.2.2 Erfahrungsvermittlung und Lernförderlichkeit Pädagogisch geht es bei der Beurteilung des Sinns oder Unsinns von Computereinsatz im Unterricht jedoch noch um eine weitergehende Frage: Welche Erleichterungen des Lernens selbst kann er verschaffen, und welche neuen, das Lernen fördernden Erfahrungen und Einsichten können sich erschließen, wenn der Computer von den Lernenden als Werkzeug eingesetzt wird, die sich ohne ihn nicht ergeben würden? Und sind – gegebenenfalls – diese neuen Erfahrungen es wert, dass man ihretwegen den Computer einsetzt?

Dies bezieht sich auf die zweite, pädagogisch im Vordergrund stehende Vermittlungsrichtung des Instruments: dass es Sacherfahrungen erschließt, dass es Lernen fördert.

Zur Vermittlung von Sacherfahrungen: Grundsätzlich vermittelt der Einsatz des Computers als Werkzeug selbstverständlich eben diese neue Erfahrung: mit einem Computer umzugehen bzw. umgehen zu lernen. Das gehört noch in die pädagogische Bedeutung von Arbeit. Wird wie in den schon genannten Laptop-Klassen allen Schülerinnen und Schülern ein Computer als multifunktionales Werkzeug für all ihre Schularbeiten zur Verfügung gestellt, dann lernen sie auf diese Weise sicherlich bis zu einem gewissen Grade, ihre Schularbeit mithilfe dieses Instruments neu zu organisieren. Dass dies eine für die Zukunft der Lernenden höchst relevante Erfahrung und ein höchst relevanter Lerninhalt ist, dürfte kaum bestreitbar sein.

Allerdings verschiebt sich damit der Blickwinkel ein wenig weg von einer Pädagogik der Neuen Medien. Streng genommen wird damit der Computer nämlich zum Gegenstand des Lernens – so wie ja auch andere Werkzeuge als solche zum Gegenstand der Bildung werden können. Wie die Analyse der Funktionsweise eines Rechenschiebers im Unterricht den Rechenschieber zum Gegenstand des Unterrichts erhebt (und dieser nicht mehr nur zur Lösung von Rechenaufgaben dient), so wird in diesem Falle der Computer selbst zum Thema. Das gehört eigentlich in die informationstechnische Bildung, wenngleich hieran schon deutlich wird, was früher in dieser Vorlesung betont wurde: dass eine saubere Trennung von Medienbildung und

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Mediendidaktik (Thematisierung der Neuen Bildungsmedien) kaum möglich und auch nicht sinnvoll ist.

Die Erfahrungen, die der Einsatz des Computers als Werkzeug vermitteln soll, müssten jedoch den Lernenden über Erfahrungen mit dem Computer hinausgehend neue Erfahrungen auch mit dem bearbeiteten Gegenstand bzw. mit sich selbst ermöglichen, die so nicht ohne ihn zustandekommen würden. Als Beispiele für solchen didaktisch innovativen Gebrauch des Computers als Werkzeug seien nur erwähnt die Möglichkeit, via Internet etwa aus einer Datenbank in Übersee Informationen abzurufen, die sonst praktisch unzugänglich wären; oder die Möglichkeit, die Erstellung von Texten von der Bedingung der Beherrschung der Handschrift abzukoppeln, was z.B. für den Lernprozess motorisch behinderter Jugendlicher von Bedeutung sein kann.

Zur Lernförderung: Dass Lernen oft anstrengend ist, weiß jeder aus eigener Erfahrung. Dass Lernen auch Spaß machen kann und fast wie von selbst „passieren“, weiß wohl auch jeder. Das hat mit der Motivation zu tun, das heißt damit, inwieweit die anzueignende Sachkompetenz oder Fähigkeit als lernwürdig erscheint. Es hat aber auch damit zu tun, inwieweit die Präsentation des zu lernenden Inhalts in einer Form geschieht, die ihrer Lernbarkeit zugute kommt. Didaktik und Lernpsychologie haben ein breites Spektrum von Methoden entwickelt, die Lernbarkeit der Stoffe (durch Veranschaulichung, Strukturierung, Übung usw.) zu verbessern. Der Computer ist eine Technologie, welche die Berücksichtigung lernpsychologischer Erkenntnisse und den Einsatz entsprechender Methoden unterstützen kann. Bezogen auf Gehlens anthropologische Charakterisierung der Technik lässt sich hier von einer Entlastung der beim Lernen beanspruchten „Organe“ (zum Beispiel des Gehirns hinsichtlich seiner Merkfähigkeit) bzw. einer Steigerung ihrer Leistungsfähigkeit sprechen. Haben die Lernenden die Möglichkeit, dies Potenzial aktiv für sich zu nutzen, kann man von einer Nutzung des Mediums als Lerninstrument sprechen.

4.2.3 Virtuosität Wenn wir die Vorstellung, die mit dem Begriff des Instruments verbunden ist, erweitern um die Bedeutung, die das Instrument etwa als Musikinstrument in den Händen eines Virtuosen haben kann, dann verändert die Subjekt-Objekt-Struktur, wie sie bis hierher als Dominanzverhältnis unterstellt wurde.

Beim Dominanzverhältnis wird die Differenz von Subjekt und Objekt durch das Instrument einerseits überbrückt, andererseits aber auch bestätigt: Das Subjekt behandelt mit dem Instrument das Objekt als Objekt und bestätigt damit sowohl sich selbst in seinem Subjektsein als auch das Objekt in seinem Objektsein. Das Instrument überwindet die Differenz nur, um sie zu reproduzieren.

Insofern aber auch widersteht das Objekt den Bemühungen des Subjekts, es sich anzueignen, also die Differenz zum Verschwinden zu bringen. Die Fremdheit und Widerständigkeit des Objekts wiederum überträgt sich auf das Instrument, insofern

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dieses seine Funktion nur erfüllen kann, wenn es seinerseits Objektivität hat, also ebenfalls in Differenz zum Subjekt bleibt. Sein Gebrauch bedeutet daher immer auch ein Sich-Abmühen mit seiner Widerständigkeit; bedeutet Mühe und Anstrengung, nicht zuletzt die Mühe, die es macht, den Umgang mit ihm zu erlernen.

Jedem, der ein Musikinstrument zu spielen lernen soll oder will, ist dies Phänomen bekannt: dass das Instrument anfangs einfach nicht „will“ wie sein Spieler. Je geübter der Spieler wird, je weniger das Instrument noch als etwas von ihm Getrenntes empfunden wird, je mehr es – mit anderen Worten – mit ihm verschmilzt, desto mehr wird die Musik unmittelbarer musikalischer Ausdruck des Spielers, desto weniger auch ist das hörbare „Etgebnis“ etwas vom Spieler zu Trennendes, wird es Teil seiner subjektiven Individualität; desto beglückender wird das Spiel insbesondere für den Spieler selbst. Wir sprechen dann von Virtuosität. Wenn es dann dennoch an „Ausdruck“ mangelt, liegt es nicht mehr an mangelhafter Beherrschung des Instruments. (Beherrschung ist allerdings ein Ausdruck, der zu sehr dem Subjekt-Objekt-Schema verhaftet ist, als dass er den Sachverhalt ganz treffen könnte.) Wie wird Virtuosität erreicht?

Selbstverständlich ändert sich auch das Instrument ein wenig, wenn es „eingespielt“ wird. Entscheidend aber sind die Veränderungen, die der Spieler durchläuft, wenn er das Instrument zu spielen lernt. Er bewegt sich in dieser Entwicklung auf das Objektive zu, nicht um es seinen vorweg gefassten Ideen und Plänen zu unterwerfen, sondern um sich mit ihm zu einem neuen Gemeinsamen (Musik, Klang, Rhythmus)) zu verbinden, in dem sowohl das Objekt (das Instrument, der Schall, die Resonanzflächen) als auch das Subjekt (musikalische Form: Melodie, Harmonie, Takt) zur Geltung kommen.

Beziehen wir dies auf die Computertechnik, so finden wir auch dort ein ähnliches Phänomen: die Virtuosität der „Hacker“, für die Tastatur und Bildschirm eben jene widerständige Gegenständlichkeit verloren haben, an der wir normalen User uns abzuarbeiten haben. Sherry Turkle hat in ihren Interviews mit Hackern erfahren, wie sich dies „anfühlt“. „Ich merke gar nicht, daß ich tippe“, zitiert sie einen jungen Mann. „Ich denke etwas, und schon ist es da auf dem Bildschirm. Ich würde sagen, daß es zwischen mir und der Maschine eine perfekte Schnittstelle gibt ... perfekt für mich. Ich fühle mich in telepathischem Kontakt mit dem Computer.“ [Turkle 1984, 260]

Unsere Bildungseinrichtungen sind an sich Orte, an denen in Distanz zum Produktionsbereich gelernt wird. Diese Distanz wird zwar oft als „Lebensferne“ beklagt. Aber sie ist eine notwendige Bedingung dafür, dass das Lernen die Qualität von Bildung haben kann. Eine der Folgen der Lebensferne ist jedoch, dass die Lernenden dort zu selten ihre schöpferischen, produktiven Kräfte erproben und erfahren können.

Wenn Lernende demgegenüber bei der Arbeit mit dem Computer Virtuosität entwickeln können, ist dies für sie sicherlich eine höchst befriedigende und motivierende Erfahrung von eigenem Können und von der Wirksamkeit dieses Könnens. Aber sie ist doch von anderer Art als beim Musikinstrument (oder irgendeinem handwerklich zu beherrschenden Instrument).

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Gerade weil die Objekte, die am Computer bearbeitet werden, nicht Teil der materiellen Welt „draußen“ sind, kann hier in umfangreicherem Maße produktorientiertes Lernen ermöglicht werden, als dies sonst in der Schule aufgrund ihrer notwendigen und pädagogisch sinnvollen „Lebensferne“ der Fall ist. Und doch ist diese Erfahrung insofern begrenzt, als genau das, was beim handwerklich zu gebrauchenden Instrument immer wirksam bleibt, fehlt, nämlich die Erfahrung der Widerständigkeit des Objekts, welche ein gewisses Maß an Anschmiegung des Subjekts an das Objekt nötig macht.

Sofern es dem Lernenden gelingt, virtuos die Barriere zu überwinden, die die Benutzerschnittstelle als Hardware (Tastatur, Maus usw.) dem Zugang zur digitalen Objektwelt in den Weg stellt, wird ein Eintauchen in eine Objektwelt möglich, die gar nicht mehr als äußere, objektive Welt empfunden wird, weil sie aus demselben „Stoff“ wie die innere subjektive gedankliche Welt ist. Der Hacker begegnet Objekten, zu denen keine Differenz mehr besteht. „Beim Computer fängt man leicht an, die Orientierung zu verlieren, und dann weiß man nicht mehr, was Drinnen und was Draußen ist“ [Turkle 1984, 261].

So ist der Preis zu beachten, der für diese produktive Erfahrung zu zahlen ist: Mit dem Verlust der Widerständigkeit (Gegenständlichkeit, Materialität) des Objekts geht auch eine Abstraktion von der eigenen Gegenständlichkeit (Leiblichkeit) des Lernenden einher; für diese gibt es in der Datenwelt kein Äquivalent. In ihr ist der Lernende sozusagen rational halbiert: reiner Geist, abgelöst von aller Leiblichkeit.

Da die Schule ohnehin eine starke Neigung hat, die leibliche Dimension von Leben und Lernen zugunsten der rationalen zu vernachlässigen [Rumpf 1994], liegt hierin einer Tendenz, die Schule noch „schulischer“ werden zu lassen.

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5. Lehrmaschinen und Lehrautomaten

5.1 Lehren als Steuerung und Kontrolle des Lernens Die instrumentale Dimension des Mediums hat – wurde gesagt – ihren Ort in einer Dominanzstruktur: Eine Instanz (die deshalb als Subjekt bezeichnet werden kann) die Dominanz über eine andere Instanz (die deshalb als Objekt bezeichnet werden kann). Eine solche Struktur kann gegeben sein in Konstellationen, in denen wir eine entsprechende Zuordnung als quasi natürlich ansehen: wenn Menschen mit Dingen umgehen. Sie kann aber auch in Konstellationen angetroffen werden, für die grundsätzlich auch die Alternative einer „gleichberechtigten“ Position angenommen werden könnte: wenn Menschen mit Menschen umgehen.

Die beiden vorhergehenden Kapitel resumierend lassen sich hinsichtlich der instrumentalen Dimension zwei Vermittlungsrichtungen unterscheiden:

• Vermittlung der Formungsabsichten des Subjekts auf das Objekt (hierfür wurde der Begriff des Werkzeugs reserviert – mit dem Prototyp des Hammers);

• Vermittlung der Eigenschaften des Objekts an das Subjekt (hierfür wurde der übergeordnete Begriff des Instruments herangezogen – mit dem Prototyp des Fernrohrs).

Beide Vermittlungsrichtungen werden miteinander gekoppelt in „rückgekoppelten“ (= kybernetisch „geregelten“) Prozessen, wenn die Ergebnisse der Einwirkung des Subjekts auf das Objekt (Vermittlungsrichtung 1) überprüft und an das Subjekt zurückgemeldet werden (Vermittlungsrichtung 2), um entsprechend der Abweichungen des erzielten Bearbeitungsergebnisses vom Bearbeitungsziel dann die Bearbeitungsweise zu verändern.

Grundsätzlich kann Technik im pädagogischen Kontext von den Lehrenden und/oder den Lernenden instrumentell benutzt werden. Lehrende benutzen Technik, um Medien (Unterrichtsmaterial) zu erstellen und zu präsentieren, zum Beispiel die berüchtigte Power-Point-Präsentation; Lernende, um ihre Lernaufgaben zu bearbeiten, zum Beispiel für eine Internet-Recherche nach einem Referat zu ihrem Thema, das sie dann als eigene Leistung aus- und abgeben. (Um Missverständnissen vorzubeugen: Beide Beispiele haben keinen Empfehlungs-Charakter.)

Über das didaktische Konzept, das hinter dem Unterricht steht, für den so Technik genutzt wird, ist damit nichts gesagt. Sie kann für den allseits bekannten und an den unterschiedlichsten Bildungseinrichtungen mit Vorliebe praktizierten Frontalunterricht ebenso eingesetzt werden wie für Konzepte selbstregulierten Lernens, die neuerdings gerade im Zusammenhang mit dem Einsatz Neuer Bildungsmedien verstärkt empfohlen werden.

Anders ist es, wenn das Verhältnis der Lehrenden zu den Lernenden instrumentell, also als Dominanzverhältnis des Lehrens über das Lernen ausgelegt und Medien eingesetzt

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werden, um eine solche Struktur zu zementieren. Im Extremfalle steht dahinter die Vorstellung, durch Lehren könne man Lernen gleichsam „machen“ (erzwingen). Medien sollen dann der Lernsteuerung (Vermittlungsrichtung 1) bzw. der Lernkontrolle (Vermittlungsrichtung 2) dienen. Werden beide Funktionen miteinander gekoppelt, dient also die Lernkontrolle der Rückmeldung („feedback“), wieweit die Lernsteuerung erfolgreich war, und gegebenenfalls dann der Modifizierung der Lehrstrategie, liegt ein kybernetisches Modell vom Lehr-Lern-Zusammenhang vor.

Ein solches Modell wurde Ende der 50er Jahre in den USA von dem Lernpsychologen B. Skinner entwickelt [Skinner 1958] und unter dem Titel „Programmiertes Lernen“ oder „Programmierte Instruktion“ in den 60er Jahren auch in Deutschland (Ost wie West) rezipiert. H. Frank [Frank 1962] und F. von Cube [von Cube 1965] lieferten mit ihren Ansätzen kybernetischer Didaktik dazu eine umfassendere theoretische Begründung, in der die aus der Computerwissenschaft stammende Informationstheorie mit einer behavioristischen (also auf Verhaltenssteuerung orientierten) Lerntheorie verschmolzen wurde.

Das Besondere an dieser Konzeption ist, dass das Medium nicht mehr im Rahmen einer von den Personen auszuhandelnden, zu entscheidenden und zu realisierenden didaktischen Konstellation fungiert, sondern das Verhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden bzw. zwischen Lehren und Lernen ihm selbst eingeschrieben wird, es also den didaktischen Rahmen selbst absteckt. Ob und wie das Subjekt die Medientechnik oder das Medium nutzt, ist ihm nicht mehr überlassen, sondern die Subjektposition des Lehrens ist im Medium bereits als Lernsteuerung Schritt für Schritt eingebaut. Damit wird der entscheidende Schritt zur Maschinisierung des Lehrens und Lernens getan.

Dies wiederum bedeutet, dass der Lehrende in persona im Prinzip nicht mehr benötigt wird. Zwar stand in den Anfängen des Programmierten Lernens noch keine passende Computertechnologie zur Verfügung. Die Lehrmaschinen, die experimentell eingesetzt wurden, waren von lächerlicher Primitivität, weshalb Lernprogramme in dieser Zeit überwiegend in Buchform auf den Markt kamen. Ein Buch repräsentiert die Subjektposition, die im Programm implementiert ist, auf eine höchst unzureichende Weise; es bleibt passiv und agiert nicht. Seit den 80er Jahren ist die Medientechnik jedoch weit genug, um das Konzept der Programmierten Instruktion so umzusetzen, dass das Medium selbst agieren und reagieren zu können scheint. Das Konzept der Programmierten Instruktion findet seitdem seinen adäquaten technischen Ausdruck in autonomen Lehrmaschinen (Lehrautomaten).

Diese spezielle Auslegung der instrumentalen Dimension des Mediums, wie sie zwar nicht in der pädagogischen Theorie, wohl aber in Gestalt von heutzutage gängiger Lernsoftware eine späte Karriere gemacht hat, soll im Folgenden näher betrachtet werden.

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5.2 Maschinisierung des Lehrens I: Programmsteuerung des Lernens

Lernprogramme stellen Maschinisierungen von Lehrhandeln dar. Die auf dem Markt heute hauptsächlich angebotenen Lernprogramme stellen immer noch computerisierte Formen des aus den 50er/60er Jahren stammenden Konzepts der Programmierten Instruktion dar. Die Programmierte Instruktion ist eine didaktische Konzeption, in der versucht wird, jeden einzelnen Lernschritt unter die Kontrolle des Programms zu bringen. Sie basiert auf der Konstruktion von Lehralgorithmen.

In einem Lehralgorithmus liegt nicht nur das Ziel fest, zu dem der Lernende durch die Software hingeleitet werden soll, sondern auch jeder Schritt des Weges, auf dem dies geschieht. Es gibt also einen definierten Anfangspunkt A, an dem das Lehren beginnt, eine definierte Abfolge von Lehrschritten L1 … Ln, die durchlaufen werden müssen, und einen definierten Endpunkt Z, an dem der Lehrprozess an sein Ziel gelangt sein soll.

Abbildung 1: Lehralgorithmus

Der Lehrprozess ist natürlich keineswegs an sein Ziel gelangt, wenn alles gelehrt worden ist, was gelehrt werden soll, sondern erst dann, wenn auch alles gelernt worden ist, was gelehrt werden soll. Insofern gibt es eine zweite Reihe von den Lehrschritten entsprechenden Lernschritten. Der Lehralgorithmus impliziert so gesehen grundsätzlich einen zweiten Algorithmus, den Lernalgorithmus. Unmittelbar programmiert werden kann lediglich der Lehralgorithmus; nur wenn dadurch ein vollkommen äquivalenter Lernprozess bewirkt wird, wird mittelbar auf diesem Wege auch das Lernen algorithmisch strukturiert.

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Abb. 2: Kopplung von Lehralgorithmus und Lernalgorithmus

Es ist die unterstellte Selbstverständlichkeit dieser Kopplung, welche dazu führt, dass zwischen Lehr- und Lern-Algorithmus in der Literatur nicht streng unterschieden wird und beide Begriffe nahezu synonym gebraucht werden.

Demgegenüber ist festzuhalten: Lehralgorithmen existieren als Programme; als unmittelbar als Programm gefasstes Lehren. Der Lernalgorithmus dagegen ist eine ziemlich spekulative Annahme: die Annahme, dass eine Lehrsequenz eine entsprechende Lernsequenz bewirke.

Insofern unterliegen dem Programmierten Lernen zwei Modelle: Ein Modell vom Lernen als einem in diskrete Schritte zerlegbaren und als Sequenz solcher Lernschritte hinreichend darstellbarem Prozess. Und ein Modell vom Zusammenhang zwischen Lehren und Lernen, demzufolge Lernen eine unmittelbare Wirkung von Lehren ist.

Wie oben schon angesprochen, wurde ein solches Modell von dem US-amerikanischen Psychologen Skinner entwickelt. Lernen wurde von ihm als Reaktion („Response“) auf einen Reiz („Stimulus“) verstanden, und zwar als eine quasi-automatische, also nicht durch einen bewussten Entscheidungsakt vermittelte Reaktion. Passende Reizverabreichung unterstellt, ist das Lernen als Reaktion ein technisch herstellbares („konditionierbares“) Verhalten.

Dieses Lernmodell wurde am Lernverhalten von Ratten gewonnen. Man kann deshalb mit Fug und Recht die Universalisierbarkeit dieses Modells bestreiten. Empirisch belegt ist sie jedenfalls nicht. Vorsichtiger formuliert, wird jedenfalls nur das Lernverhalten der „Ratte in uns“ in diesem Modell abgebildet. Für avancierteres Lernen wie etwa das wissenschaftliche Lernen in Hochschulen wird dieses Modell kaum nennenswerte Erklärungskraft haben. Die Lernpsychologie hat längst wesentlich differenziertere Modelle vom Lernen entwickelt.

Trotz dieser kritischen Einschränkungen lässt sich konstatieren, dass immer noch fast alle Lernprogramme, die angeboten werden, konzeptionell auf diesen Lehr-Lernmodell der Programmierten Instruktion beruhen.

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Streng genommen entsprechen nur solche Lehrprogramme dem Konzept der Programmierten Instruktion, die das Element der Lernerfolgskontrolle enthalten. Doch gibt es auch reduzierte Varianten, die auf dieses Element verzichten und lediglich eine Folge von zu lernenden Stoffeinheiten darbieten.

5.2.1 Lernsteuerung ohne Lernerfolgskontrolle Lineare Führung Das Software-Konzept der linearen Führung beruht auf einer reduzierten Version der Grundstruktur eines Lernalgorithmus. Der einzelne Lehr-(und Lern-) Schritt besteht hier in der Darbietung einer Information (Inf) durch den Computer:

Abbildung 3: Lineare Führung: Fixe Abfolge von Informationseinheiten

Der Übergang von einem zum nächsten Lehr-Lern-Schritt kann dabei vom Computerprogramm oder vom Lernenden gesteuert werden. Im ersten Falle muss sich der Lernende einem vorgegebenen Lerntempo anpassen, während er im zweiten Falle die Möglichkeit hat, sein eigenes Lerntempo einzuschlagen.

Beispiele für dieses Konzept außerhalb computerunterstützten Lernens finden sich etwa in der Vorlesung oder im Lehrfilm (ohne Möglichkeit für die Lernenden, auf das Tempo der Darbietung Einfluss nehmen zu können) bzw. im Lehrbuch (das im individuellen Tempo durchgearbeitet werden kann).

Viele „Tutorials“ (Lernkurse), die heute Standard-Anwendungs-Software beigegeben werden, entsprechen diesem Typ, durchweg mit der Möglichkeit für den Lernenden, das Tempo selbst zu bestimmen, in dem er den Kurs absolviert. (Der Aufruf der nächsten Bildschirmseite erfolgt erst, nachdem der Benutzer eine entsprechende Taste gedrückt oder einen Mausklick getätigt hat.)

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Verzweigte Führung (Führung mit Exkursionen) Beim Software-Konzept der verzweigten Führung wird die Struktur insofern erweitert, als an bestimmten Punkten im Gang der Informationsdarbietung die Möglichkeit geboten wird, zusätzliche Informationen abzurufen:

Abb. 4: Verzweigte Führung: Fixe Abfolge von Informationseinheiten plus Optionen

Im Unterschied zur linear geführten Information ist das Ziel hier als Punkt innerhalb einer gewissen Bandbreite zwischen einem Minimalziel und einem Maximalziel gekennzeichnet. Der Lernende hat die Möglichkeit, sich auf das Minimum zu beschränken, er kann aber auch zusätzliche Informationen in mehr oder weniger großem Umfang aufnehmen. Minimum wäre im Beispiel der Abbildung die Summe der Informationen 1 bis 4; Maximum die Summe der Informationen 1 bis 13.

Ein Beispiel außerhalb des computerunterstützten Lernens wäre das „Lehrbuch mit Kleingedrucktem“, in dem das normal Gedruckte dem obligatorischen Minimum oder Grundwissen entspricht, das Kleingedruckte Möglichkeiten anbietet, darüber hinaus zusätzliche Lernschritte zu absolvieren. Auch Software-Tutorials enthalten oft „Optionen“, sich mit den fortgeschritteneren Funktionen („advanced features“) eines Programms zu beschäftigen, die man nicht unbedingt zu beherrschen braucht, um überhaupt einen Nutzen aus dem Programm zu ziehen.

Das Software-Konzept der verzweigten Führung erlaubt also gegenüber dem Konzept der linearen Führung eine über die individuelle Bestimmung des Lerntempos hinausgehende Anpassung des Lernprozesses an die besonderen Interessen und Bedürfnisse des Lernenden – innerhalb des Rahmens, den die Software-Entwickler für Optionen und Exkurse vorgesehen haben.

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Kritische Begrenzung des Software-Konzepts der Lehrprogramme ohne Lernerfolgskontrolle • Lehrprogramme ohne das Element der Lernerfolgskontrolle entsprechen in ihrer

Grundstruktur der Vorstellung, Lehren und Lernen vollziehe sich nach dem Modell der Programmierung eines Computers. Es gibt ein festgelegtes Ziel (einen Zielzustand), zu dem der Lernende hingeführt werden soll, und jeder Schritt, den er dabei zu tun hat (bzw. den er – bei der Zulassung von Verzweigungen des Lernwegs – überhaupt tun kann), ist durch das Programm vorweg bestimmt (Lern-Algorithmus). Wie bei der Programmierung eines Computers wird unterstellt, dass mit dem zu programmierenden System (dem Lernenden) nur genau das geschieht und es nur genau das tut, was ihm durch die jeweilige Anweisung verordnet wird, und nichts anderes. Es gibt schon terminologisch keine Unterscheidung zwischen Lehrziel und Lernziel. Beide werden als völlig identisch unterstellt. Das Verhalten des Lernenden soll vollständig determiniert sein durch das, was das Lehrprogramm ihm an Anweisungen und Informationen gibt: „Lies Information 1, merke sie Dir und gehe weiter zur Information 2.“ „Read ..., store ..., goto ...“ lauten die entsprechenden, aus Computersprachen bekannten, Programmier-Befehle.

• Lernen, so wird suggeriert, werde durch Lehren „gemacht“. Das Gelernte ist ein vollständiges Abbild (ein „Clone“, eine 1:1-Kopie) des Gelehrten. Verweigerung, geistige Abwesenheit, Verständnislosigkeit, Missverständnisse, Vergessen ... all dies kommt in diesem Konzept nicht vor.

• Der Lehrprozess erfährt keine Rückkopplung an den Lernprozess. Lernen ist hiernach nichts anderes ist als das Befolgen von Anweisungen, deren wesentlicher Inhalt in der Aufnahme von Informationen besteht. Lernziele sind in der Hauptsache als Aufnahme einer bestimmten Informationsmenge definiert, deren Gehalt unabhängig ist vom aufnehmenden Subjekt. Das Konzept solcher Programme greift dementsprechend auf ein Lehr-Lern-Modell zurück, in dem die Berücksichtigung anderer für das Lernen bedeutsamer Faktoren und Umstände (also der Tatsache, dass es „da draußen“ auch noch eine Welt gibt, in der der Lernende lebt, und dass der Lernende selbst aktiv an seinem Lernprozess beteiligt ist) nicht vorgesehen ist. Lehrprogramme dieses Typs sind kaum „interaktiv“.

• Wegen der fehlenden Rückkopplung an den Lernprozess kann Software vom Typ der geführten Information keine Rücksicht nehmen auf das individuelle Vorwissen der Lernenden. Es muss daher in Kauf genommen werden, dass mehr oder weniger große Mengen der dargebotenen Informationen schon bekannt („redundant“) sind.

• Weil keine Kontrolle des Lernerfolgs stattfindet, findet auch keine Kontrolle des stringenten Aufbaus der Informationssequenz statt. Auch bei der Programmierung eines Computers werden ja grundsätzlich Testläufe durchgeführt, um fehlerhafte Anweisungen oder logische Programmierfehler aufzuspüren und (im Prozess des „Debugging“) auszumerzen. Bei der Geführten Information kann der Lernende auch dann die Sequenz unbehelligt durchlaufen, wenn die einzelnen

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Informationseinheiten nur sich widersprechende Aussagen oder unbegreiflichen Unsinn enthalten.

Aus all diesen Gründen kann dieser Typ von Lehrprogrammen nicht gerade als vorbildliche Umsetzung der programmierten Steuerung von Lernprozessen gelten. Aufgrund der Tatsache, dass menschliches Lernverhalten nicht steuerbar ist wie das Verhalten einer Maschine, muss ein im Sinne des Konzepts Programmierter Instruktion effektives Lehrprogramm eine laufende Abstimmung von Instruktion und Lernen ermöglichen, d.h. das Element der Lernerfolgskontrolle (Rückmeldung, Feedback) aufnehmen.

5.2.2 Lernsteuerung mit Lernerfolgskontrolle Die Struktur lehrzielorientiert zweckrationaler Lernprozesssteuerung wird konsequenter umgesetzt im eigentlichen Konzept der Programmierten Instruktion. Dadurch, dass hier das Moment der Lernerfolgskontrolle eingeführt wird, müssen die jeweiligen Lernziele auch von kontrollierbarer Art sein. Und da die Kontrolle vom Programm durchgeführt werden soll, muss der Lernerfolg als ein vom Programm kontrollierbares Verhalten definiert werden. Das Modell setzt daher entsprechend „operationalisierte“ Lehrziele voraus.

Abbildung 5: Lernschritt bei Programmierter Instruktion

Der Weg, den der Lernende zu diesem Ziel hin geht, wird kybernetisch, d.h. über Rückkopplung gesteuert. Rückkopplung heißt, dass der tatsächliche Lernerfolg jeweils mit dem angestrebten Lernerfolg verglichen und eine eventuelle Differenz an die steuernde Instanz, das Programm, zurückgemeldet wird, die daraufhin ihre Einwirkung

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auf den Lernenden entsprechend modifiziert. Bei der Programmierten Instruktion wird ein Gesamtprozess in viele kleine Lern-Schritte zerlegt, und nach jedem Lernschritt oder nach einigen Lernschritten wird kontrolliert, ob der tatsächliche Lernerfolg dem intendierten Lernerfolg entspricht. Nur wenn dies der Fall ist, wird im Programm fortgeschritten.

Das in den 50er Jahren in den USA entwickelte Konzept der Programmierten Instruktion hat in zwei unterschiedlichen Varianten Verbreitung erfahren: als lineare Programmierung nach Skinner und als verzweigte Programmierung nach Crowder [Crowder 1959].

Die Differenz zwischen linear und verzweigt programmierter Instruktion liegt in der Reaktion des Lernprogramms auf eine „falsche Antwort“ bei der Lernerfolgskontrolle. Bei linear programmierter Instruktion wird der Lernende an einen früheren Punkt seines Lernweges zurückgeführt, um den Lernschritt oder mehrere Lernschritte noch einmal zu wiederholen. Diese Wiederholung geschieht so oft, bis bei der Abfrage die „richtige Antwort“ kommt. Erst dann wird im Programm weiter gegangen.

Abb 6: Lernsteuerung bei linear programmierter Instruktion

Die Begründung für das Prinzip der Linearen Programmierung ist in seiner lernpsychologischen Grundlagentheorie zu suchen. Lernen wird bewirkt durch Konditionierung erwünschter Reaktionen auf bestimmte Reize durch „Verstärkung“. Da festgestellt worden ist, dass positive Verstärkung (Belohnung richtigen Verhaltens) weitaus lerneffektiver ist als negative Verstärkung (Bestrafung falschen Verhaltens), folgt die Maxime, Lernprogramme so zu konstruieren, dass möglichst nur richtige Antworten und damit positive Verstärkungen erfolgen. Um dies sicherzustellen, werden

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Lernschritte so klein geschnitten, dass nahezu jeder Lernende (angestrebt werden Quoten von über 90%) bei der Abfrage die richtige Antwort gibt.

Bei verzweigt programmierter Instruktion wird der Lernende dagegen nicht an eine frühere Stelle der Lernsequenz zurückgeführt, sondern auf eine Abzweigung geschleust, in der der Lernschritt, welcher nicht erfolgreich absolviert wurde, noch einmal auf eine andere Weise durchlaufen wird, beispielsweise indem er in kleinere Schritte zerlegt wird oder indem zusätzliche Hilfsinformationen gegeben werden. Diese Variante der Programmierten Instruktion impliziert daher eine Abwendung von den behavioristischen Grundlagen, die für Skinners Konzept maßgeblich waren.

Abb. 7: Lernsteuerung bei verzweigt programmierter Instruktion

Zahl und „Tiefe“ der Verzweigungen sind variabel, aber natürlich begrenzt. An den Grenzen oder „Rändern“ geht eine verzweigt programmierte Software notwendigerweise immer wieder in die Struktur linearer Programmierung über. Es werden keine Nebenwege mehr angeboten, sondern nur noch Wiederholungen. Alle Lernschritte, die keine Verzweigung mehr aufweisen, können bei negativem Ergebnis der Kontrollabfrage nur noch an eine frühere Stelle der Sequenz zurückführen.

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Abb. 8: Übergang von verzweigt programmierter Instrruktion in linear programmierte Instruktion an den „Rändern“

Die verzweigte Programmierung bietet darüber hinaus die Möglichkeit zur Antwortanalyse: Je nach der Art des Fehlers, der gemacht wird, werden unterschiedliche Abzweigungen angeboten. (Abb. 9)

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Abb. 9: Verzweigungsvarianten je nach Fehlertyp oder Lernertyp

Die unterschiedlichen Fehlerarten a) und b) bei der Antwort auf die Abfrage führen zu unterschiedlichen Verzweigungen, in denen vom Programm her versucht wird, je spezifisch auf die besonderen Schwierigkeiten einzugehen, auf die die jeweilige Fehlerart schließen läßt. Verzweigungen können aber auch aufgrund aktiver Wahlhandlungen der Lernenden eingeschlagen werden, etwa wenn ein Nutzer ein Beispiel zur Illustrierung wünscht oder zuzsätzliche Lernhilfen wie Visualisierungen, Strukturdiagramme oder dgl.

Es dürfte unmittelbar einsichtig sein, dass die verzweigte Programmierung eine wesentlich bessere Anpassung („Adaption“) der Lernprozesssteuerung an die jeweiligen individuellen Unterschiede in Vorwissen und Aufnahmefähigkeit erlaubt als die lineare Programmierung. Sie ermöglichen Variationen der Lehrmethode in Abhängigkeit vom Wissensgebiet, den Lernvoraussetzungen, den Präferenzen und Bedürfnissen der Lernenden.

Man spricht von adaptierbaren oder adaptiven Programmen. Adaptierbar sind Programme, wenn sie für unterschiedliche Lernertypen unterschiedliche Lernpfade vorsehen; adaptiv sind sie, wenn sie während des Lernprozesses aufgrund der Interaktion mit dem Nutzer Anpassungen an dessen Lernbedürfnisse vornehmen können.

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In verzweigten Lernprogrammen können größere Lernschritte vorgesehen werden als bei der linearen Programmierung, während der Weg einer Zerlegung in kleinste Schritte nur bei offenkundigem Bedarf auf seiten des Lernenden eingeschlagen zu werden braucht.

Das hat den Vorteil, dass das Lernen mit solcher Software weniger mechanisch und automatisiert erfolgen kann, dass mehr Anlass und mehr Raum zur Reflexion über den eigenen Lernprozess gegeben wird als bei der Abarbeitung kleinster Lernschritte (deren erfolgreiche Absolvierung sich „fast von selbst“ ergibt) und der bloßen Möglichkeit der sturen Wiederholung bei Lernschwierigkeiten.

5.3 Maschinisierung des Lehrens II: Intelligente Tutorielle Systeme

5.3.1 Software-Agenten Eine Fortsetzung des Konzepts Verzweigt Programmierter Instruktion sind die sog. Intelligenten Tutoriellen Systeme. Sie sollen Künstliche Intelligenz in die Programmsteuerung des Lernens einbringen.

Prinzipiell kann Künstliche Intelligenz (bzw. das, was man dafür ausgibt oder so nennt) auch als Lern-Instrument eingesetzt werden. Das wäre dann vergleichbar der Beschäftigung eines Sklaven oder Dieners, der wie die Maschine keinen eigenen Willen geltend zu machen hat, im Gegensatz zur (herkömmlichen) Maschine aber den Vorzug der (hier: menschlichen) Intelligenz aufwiese.

Für die Erörterung der Möglichkeit einer der menschlichen gleichwertigen Künstlichen Intelligenz ist diese Vorlesung nicht der Ort (vgl. hierzu z.B. [Sesink 1993]). Wir können uns für unsere Zwecke auf eine funktionale Definition beschränken, wonach Künstliche Intelligenz eigentlich nur eine besondere Leistungsklasse von Computern bezeichnet:

• sei es, dass Leistungen möglich werden, für deren Erbringung Menschen ihre Intelligenz bemühen müssten (Beispiel: Expertensysteme),

• oder Leistungen, welche auf der Fähigkeit zur Einbeziehung variierender Umweltbedingungen beruhen (Beispiel: autonom agierende Roboter),

• oder Leistungen, die auf sonst eine Weise in für Maschinenverhalten bisher unbekannte Dimensionen vorstoßen.

Lasse man die spekulativen Aspekte der Vorstellungen von einer der menschlichen gleichartigen oder ebenbürtigen Künstlichen Intelligenz außer Betracht, bleibe – so Schulmeister – „ein … Merkmal übrig, das die Informatik heute unter dem Begriff des Software-Agenten oder des persönlichen Assistenten diskutiert – eine Software, die in der Lage ist, aus den Tätigkeiten und Präferenzen des Benutzers Schlüsse zu ziehen und selbsttätig Entscheidungen zu fällen. Diese Agenten haben nichts Spektakuläres an sich,

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man kann sie mit Negroponte einfach als zusätzliche Funktionalität der Benutzerschnittstelle betrachten.“ [Schulmeister 1997, S. 179]

Man kann sich vorstellen, dass solche Agenten als persönliche Bildungs-Assistenten einmal in der Lage sein werden, das Internet nach Informationsangeboten zu einem Thema zu durchsuchen, über das sein Auftraggeber etwas lernen möchte, dabei dessen Wissensstand und seine bevorzugten Weisen des Lernens berücksichtigt, das vorhandene Angebot entsprechend filtert und schließlich eine persönlich zugeschnittene Auswahl, möglicherweise geordnet nach Anspruchsniveaus oder sequenziert in Aneignungsstufen, zusammenstellt. Noch ist dies Zukunftsmusik, aber entsprechende Programme sind in der Entwicklung. Letztlich kann man sie auch als verbesserte Suchmaschinen ansehen. Sie „kennen“ ihren Auftraggeber selbstverständlich nicht, lernen ihn auch nicht kennen, sondern ziehen nach vorgefertigten Regeln Schlüsse aus Daten, die ihnen über das entsprechend abgegriffene (eingelesene, „gescannte“) Benutzerverhalten zur Verfügung stehen.

5.3.2 Intelligente Tutorielle Systeme Unter dem Terminus Intelligente Tutorielle Systeme (ITS) wird eine Vielfalt von Software-Konzepten gefasst, die nicht in allen Aspekten unter die Dimension des Instrumentalen Mediums fallen. Die folgende Darstellung geschieht also unter einem einschränkenden Aspekt: Ich thematisiere ITS als Fortsetzung des Konzepts der verzweigt programmierten Instruktion, also als Verfahren zur Programmsteuerung von Lernen. (Je nachdem, wie der Terminus des Tutoriellen ausgelegt wird, können solche Systeme aber auch Umgebungen für selbstständige Themenerkundung durch die Lernenden bereitstellen oder die Lernenden eher zurückhaltend auf ihren Lernwegen begleiten, statt das Lernen zu steuern, zum Beispiel indem sie nur auf Anfrage Hilfen zur Verfügung stellen.)

Bei der herkömmlichen Programmierten Instruktion steht der Lernweg (Lehralgorithmus) fest; verzweigte Programmierung heißt hier, dass, von diesem festen Lernpfad ausgehend, Nebenpfade beschritten werden können. Ob dies geschieht und welche dies sind, entscheidet das Programm in Abhängigkeit von den Eingaben des Lernenden an den eingebauten Abfragestellen. In der Regel wird dabei eine mehr oder weniger große Differenz von der richtigen (= vom Programm erwarteten) Eingabe (bzw. einer Menge möglicher richtiger Eingaben) festgestellt. Der daraufhin eingeschlagene Nebenpfad soll den Lernenden wieder zurück auf den Hauptpfad führen, indem er die festgestellte Differenz aufhebt. Die Verzweigungen dienen also der Korrektur des Lernerverhaltens nach Maßgabe eines unterstellten richtigen Lernerverhaltens.

ITS entfernen sich von diesem Grundmuster. Typischerweise generieren sie den Lehralgorithmus sozusagen „on the fly“. Dafür steht ihnen auf der einen Seite eine Wissensbasis zur Verfügung, welche die Gesamtmenge der möglichen darzubietenden Informationseinheiten enthält samt Regelsätzen, um Beziehungen zwischen diesen

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Einheiten (Abfolge-Relationen – wie „folgt auf …“; sach- oder begriffslogische Relationen – wie „ist Oberbegriff zu …“; didaktische Relationen – wie „ist Beispiel für …“) herzustellen.

Auf der anderen Seite gibt es so etwas wie einen Profilbaukasten für Lernertypen, aus dem in Abhängigkeit von den Eingaben des Lerners (die teils vom Programm direkt abgefragt werden können, teils während der Nutzung protokolliert werden) das für ihn charakteristische Profil zusammengestellt wird.

Ein weiterer Regelsatz für die Generierung von didaktischen Konstruktionen lässt das Programm die zum Profil passende Sequenz von Informationseinheiten erzeugen; dies geschieht fortlaufend im Prozess und nicht ein für allemal.

Die Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit ein solches System wirklich funktionieren kann, sind beträchtlich. Auf der fachlichen Seite bedarf es einer zugleich in sich korrekten wie durch programmierte Regeln erschließbaren und auswertbaren Repräsentation des Wissensgebiets. Auf der didaktischen Seite braucht man eine realistische und operationalisierbare (also an messbarem Verhalten überprüfbare) Typologie von Lernverhalten sowie eine mehr als nur plausible, möglichst passgenaue Zuordnung von Lehrstrategien zu den einzelnen Lernertypen und ihren Bedürfnissen (Generierung von Lehrsequenzen).

Wie Schulmeister in seiner Analyse existierender ITS zeigt, erfüllt bisher keines diese Anforderungen im vollen Umfang, obwohl die Wissensbereiche durchweg als eng abgegrenzte Teilbereiche aus relativ leicht zu formalisierenden Disziplinen (Mathematik, Geografie, Informatik, Physik, Elektrotechnik, Mikroökonomie) stammen (Schulmeister nennt nicht ein Beispiel aus dem sozial- und geisteswissenschaftlichen Bereich). Kaum eines der 23 aufgeführten ITS wird wirklich in der Ausbildungspraxis eingesetzt. Fast alle sind lediglich als Prototypen für Forschungszwecke entwickelt worden.

Die Betrachtung der ITS ist also weniger geeignet, Aussagen über den tatsächlichen Stand der Entwicklung zu machen, als die Entwicklungsrichtung zu charakterisieren. Unter diesem Vorbehalt lässt sich eine gewisse Abkehr vom Konzept der Programmierten Lernsteuerung jedenfalls der Absicht nach ausmachen:

Tabelle 1: Gegenüberstellung von Klassischer Programmierter Instruktion und Intelligenten

Tutoriellen Systemen (ITS)

Klassische Programmierte Instruktion ITS

1. Lernerprofil

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1. Lehralgorithmus 2. Lehrstrategie

2. Kontrolle des Lernerverhaltens 3. Kontrolle des Lehrerfolgs

3. Korrektur des Lernerverhaltens durch modifizierte Steuerung

4. Korrektur der Lehrstrategie

Ausrichtung des realen Lernerverhaltens am Modell des richtigen Lernerverhaltens

Ausrichtung der Lehrstrategie an den Bedürfnissen des realen Lerners

Die klassische Programmierte Instruktion geht aus von einem Lehralgorithmus, aus dem ein ideales Lernverhalten abgeleitet wird, das vermittels programmierter Steuerung bewirkt werden soll. Es erfolgt in gewissen Abständen eine Kontrolle des Lernverhaltens, durch das Abweichungen vom idealen Lernverhalten festgestellt werden. Daraus wird eine modifizierte Steuerung abgeleitet, durch die das Lernverhalten korrigiert werden soll. Insgesamt geht es um Ausrichtung des Lernverhaltens am zugrundeliegenden Modell des richtigen oder idealen Lernverhaltens.

ITS dagegen beginnen damit, dass sie sich ein Bild vom Lerner und seinen Voraussetzungen, Anforderungen bzw. Bedürfnissen machen. Dann wird ein darauf abgestimmtes Lehrangebot generiert und dargeboten. Kontrollen haben hier den Zweck, den Erfolg der Lehrstrategie zu überprüfen, um schließlich durch Modifizierung eine bessere Anpassung an den Lernenden zu erzielen. Hier geht es also primär um eine Ausrichtung der Lehrstrategie an den Bedürfnissen des realen Benutzers.

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Abb. 10: Generierung von (algorithmischen) Lernstrategien in ITS

Der Intention nach kann man also eine Bewegung hin zu einer stärker lernerorientierten Vermittlungskonzeption sehen. Dennoch hat es seine Berechtigung, ITS lediglich als Weiterentwicklung des Konzepts der Programmierten Lernsteuerung zu sehen:

• Im Zentrum steht als „harter Kern“ weiterhin jeweils ein Lehralgorithmus. Nur der Weg zu seiner Generierung wird modifiziert.

• Der Lernprozess wird weiterhin in Abhängigkeit vom Lehrprozess definiert. ITS bilden das Zu-lernende weiterhin vor. Es wird lediglich die Adaptivität an unterschiedliche Lernertypen verbessert.

• Die Anpassung an den Lerner erfolgt prospektiv statt reaktiv. Intention ist eine zielgenauere Lernsteuerung, keineswegs der Verzicht auf diese.

• Entgegen der üblichen Rede von der Individualisierung des Lernens durch Adaptivität erfolgt lediglich eine feinere Abstimmung durch höhere Auflösung der Typisierung: statt nur ein oder zwei Typen von möglichem Lernerverhalten einzukalkulieren, werden zehn, hundert oder tausend mögliche Profile berücksichtigt. Wie hoch auch immer die Auflösung getrieben wird, sie bleibt Typisierung und wird niemals zur Individualisierung.

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Schulmeisters Einschätzung der ITS arbeitet deren instruktionalen Charakter sehr genau heraus: Adaptivität sei hier „nur die vom Designer im Design investierte Anpassungsleistung des Programms an präimaginierte Typen von Lernenden. … Das Curriculum, der Lernzielkatalog und der Designer definieren den Tutor und dessen Adaptionsleistung. Das kann ich aber nicht als Anpassung an das Individuum bezeichnen. Im Gegenteil, dieser Vorgang muß zur Anpassung des Individuums an den pädagogischen Katalog führen. … Die Pädagogik des ITS kann nicht anders, als Adaptivität zu planen.“ [Schulmeister 1997, S. 201]

Und zur angestrebten immer höheren Aufllösung der Typisierung schreibt er: „Die Adaptionsfunktion muß zu einer immer weiteren Differenzierung der Lerner-Parameter führen, weil die Anpassung sonst zu grob und künstlich bleibt und die Adaptivität ja eine Form von >Natürlichkeit< erreichen will. Daraus resultieren aber eine Reihe von Problemen …:

• Es kann zu einer potentiellen kombinatorischen Explosion der Such- und Diagnosestrategien im tutoriellen Raum kommen.

• Die logische u.a. Konsistenz der vielen Parameter bei höherer Anzahl wird problematisch.

• Die innere Konsistenz ist zweifelhaft, da die vielen Lernervariablen eher heuristische Kategorien sindund zahlreiche Überschneidungen aufweisen, z.B. intrinsisch, intentional, aktiv, selbst-regulierend usw.“ [Schulmeister 1997, S. 201]

Tabelle 2: Abhängigkeit der Typisierungstiefe von Zahl und Auflösung der Parameter

Zahl der Parameter

Auflösung je Parameter

Auflösung der Typisierung

1 2 (= 1 Bit) 2

2 4 (= 2 Bit) 16

4 8 (= 3 Bit) 65.536

10 4 (= 2 Bit) über 1 Mio.

ITS versuchen, das Verhalten von Lehrenden besser abzubilden, als dies die Konzepte der Programmierten Instruktion tun. Dennoch sind auch sie ihrem Wesen nach formalisierte Modelle des Lehrens und Lernens. Der Versuch, diesen Modellen ein möglichst hohes Maß an Autonomie einzukonstruieren, führt konsequenterweise zum Lehrautomaten. Damit der funktionieren kann, muss sein Gegenüber, der Lernende, berechenbar bleiben. „Nur wenn das Programm … mit Sicherheit abschätzen kann, wie

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gewissenhaft der Schüler den Anweisungen folgt, kann ihm die Lernerkontrolle übergeben werden. Es steht eine sehr eingeschränkte Vorstellung von Autonomie und Selbständigkeit im Lernen hinter dem Konzept der Adaptivität von IT-Systemen.“ [Schulmeister 1997, S. 209]

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6. Präsentationen und Repräsentationen

6.1 Präsentation und Bildung Bildungseinrichtungen sind intentional vorbereitete Lernumgebungen. Sie haben einer gesellschaftlichen Funktion zu genügen; die in ihnen tätigen Menschen haben einen gesellschaftlichen Auftrag zu erfüllen. Lehrerinnen und Lehrer üben in der Schule ihr „Lehramt“ aus; Schülerinnen und Schüler erfüllen ihre Schulpflicht, also ihren gesellschaftlichen Lernauftrag. Die Gegenstände, mit denen sie sich beschäftigen, „sind“ dort nicht einfach (so wie sie außerhalb der Schule in ihren ursprünglichen Zusammenhängen „sind“), sondern werden präsentiert.

Um in der Terminologie der Instrumentalität zu bleiben, seien die Lerngegenstände als Lernobjekte bezeichnet. (Als Objekte sollen nicht nur Dinge im engeren Sinne bezeichnet werden, sondern alles, was unserer Welt als einer außerhalb der rein subjektiven Vorstellungen der Menschen existierenden Welt angehört.) Gegenstände, die in ihrem Ursprung in der Regel keine spezifisch auf Lernen gerichtete Funktion haben (nicht für das Lernen gemacht sind oder zum Lernen da sind), werden zu Lernobjekten zunächst durch die Art und Weise, wie sie für das Lernen präsentiert werden. (Damit über sie oder an ihnen dann tatsächlich etwas gelernt wird, muss natürlich noch einiges mehr geschehen.) Präsentation von Objekten heißt also im pädagogischen Kontext, Objekte so zu zeigen (oder allgemeiner so zu vergegenwärtigen), dass über sie und an ihnen etwas gelernt werden kann.

Demzufolge besteht eine Präsentation zu Lehr- und Lernzwecken niemals einfach darin, die Sache (das Objekt) für sich sprechen zu lassen. Sie ist immer durch eine pädagogische Absicht geprägt. In der Art und Weise, wie das Objekt präsentiert wird, präsentiert sich zugleich zugleich der Lehrende in seinen pädagogischen Intentionen sowie hinsichtlich seiner Fähigkeit, diese umzusetzen. Selbst wenn – etwa bei einer Exkursion zu einem Bauernhof oder einem Gang in den Wald – das Objekt gleichsam in seinem ursprünglichen Zusammenhang aufgesucht wird, werden die Lehrenden und Lernenden selbst nicht Teil dieses Zusammenhangs. Sie werden weder Bauern noch Waldbewohner. Ihre Sicht bleibt distanziert, „lebensfern“. Und das muss auch so sein, um die Objekte „in Frage stellen“ und mehr über sie lernen zu können, als sie von sich aus dem zeigen, der mit ihnen im Alltag praktisch zu tun hat.

Wenn Lehrende Objekte präsentieren, dann wollen sie eine bestimmte Aufmerksamkeit für das Objekt erreichen, die dem von ihnen intendierten Lernen zugutekommt. Je nach Absicht kann dies auf sehr verschiedene Weise erfolgen. Der Lehrende zeigt einen Apfel und fragt: Wisst Ihr, was das ist? Er will einerseits an den Erfahrungen der Kinder anknüpfen (höchstwahrscheinlich haben sie alle schon einmal in einen Apfel hineingebissen), andererseits aber den Apfel auch aus dem gewohnten Kontext herausnehmen (er ist hier jetzt „nicht zum Essen da“). Mit ausgehungerten Kindern wäre Unterricht über den Apfel schwerlich machbar. Der Apfel, den er zeigt,

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repräsentiert einen Apfel, den man essen kann. Er ist ein Lernobjekt und als solches nicht mehr das Lebensmittel, das er repräsentiert. Physisch besteht kein Unterschied zwischen beidem; am Apfel selbst ist er nicht auszumachen. Er entsteht allein aus dem Handlungskontext. (Nachdem er seinen pädagogischen Zweck erfüllt hat, kann derselbe Apfel zum Teil des Frühstücks, also zu dem zuvor von ihm Repräsentierten werden.)

Selbst wenn nun in den Apfel hineingebissen wird, trägt dieser Vorgang seinen Sinn nicht in den physiologischen Abläufen der Nahrungsaufnahme selbst, sondern darin, sich mit dem, was dabei erfahren wird (Geschmacksempfindung u.a.) lernend und daher distanziert auseinanderzusetzen. (Lernobjekt wird in diesem Falle die eigene Nahrungsaufnahme: das Verzehren des Apfels.)

Präsentation von Lernobjekten bedeutet also in aller Regel eine Repräsentation von Dingen, indem diese aus ihrem ursprünglichen Seinszusammenhang herausgenommen werden. Sie kann nicht einem naiven Objektivitätsanspruch folgen, wonach die Objekte so zu repräsentieren seien, „wie sie ursprünglich sind“, sondern hat jenen Abstand zwischen lernendem Subjekt und dem Objekt, über das etwas gelernt werden soll, erst herzustellen, durch den das Objekt vom Subjekt Unterschiedenes, ihm Gegenüberstehendes und von ihm zu Beobachtendes, zu Untersuchendes und zu Durchschauendes werden kann. Weil dieses Abstandnehmen das Subjekt aus der Abhängigkeit vom Objekt (dem Weltzusammenhang, in den es zunächst schicksalhaft hineingestellt ist) löst, ist es notwendige Bedingung der Möglichkeit von Bildung als Entwicklung und Befähigung zu einer selbstbestimmten Lebensführung (Mündigkeit).

Was daraus folgt, ist eine pädagogische Gestaltungsverantwortung für die Art und Weise der Präsentation des Lernobjekts. Der Lehrende muss sich dessen bewusst sein, dass er einerseits zwar dem zu repräsentierenden Objekt gerecht zu werden hat (der Apfel kann nicht als freie Erfindung präsentiert werden), andererseits aber durch seine Präsentation Blick und Aufmerksamkeit der Lernenden richtet und dieses Ausrichten durch die Lehrintentionen begründet und legitimierbar sein muss.

6.2 Symbolische Repräsentation

Aufgrund der bildungsnotwendigen Distanz kann sich auch die Gestalt der Repräsentation von der des Repräsentierten lösen und unterscheiden. Der Apfel muss nicht unbedingt „leibhaftig“ präsentiert werden. Da es nicht darum geht, ihn als Lebensmittel verfügbar zu haben, kann gegebenenfalls auch eine Nachbildung in Holz oder eine Abbildung den pädagogischen Präsentationszweck erfüllen, möglicherweise sogar besser als ein „echter“ Apfel. Nicht zuletzt findet der Apfel als Lernobjekt in seiner Benennung, in seiner Beschreibung, in seiner Klassifizierung als Obstsorte usw. Präsentationsformen, die wir als „abstrakt“ zu bezeichnen pflegen, weil in ihnen von vielem abgesehen wird (vieles „abgezogen“ wird; lat. abstrahere = abziehen), was den „echten“ Apfel ausmacht, zugleich aber die Aufmerksamkeit auf vieles hingelenkt wird,

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was wir vom „echten“ Apfel nicht ablesen können, sondern erst durch Nachdenken über ihn, durch Inbeziehungsetzung zu anderen Objekten usw. erkennen. Auf diese Weise dienen „abstrakte“ Repräsentationen paradoxerweise auch der Erschließung einer reicheren Bedeutung des Objekts.

Schon der leibhaftige Apfel, der als Lernobjekt präsentiert wird, symbolisiert etwas anderes, als er an sich ist; er stellt als Lernobjekt den Inbegriff aller möglichen Äpfel dar. Insofern können wir auch bei ihm schon von einer symbolischen Repräsentation sprechen. Allerdings hat sich diese Bezeichnung für abstraktere Repräsentationsformen eingebürgert: Abbildungen, Grafiken, Begriffe, Formeln usw.

Das Entscheidende ist, dass das Symbol für etwas anderes steht, das es repräsentiert. Die Repräsentationsbeziehung ist dabei – wie oben schon ausgeführt – nicht als bloße Verdoppelung des zu Repräsentierenden im Symbol zu verstehen, sondern sie beinhaltet eine Bedeutungsrelation, die dem Symbol gegeben oder zugeschrieben wird. Die Abbildung eines Apfels, in der dessen innerer Aufbau dargestellt wird, steht nicht nur für „den Apfel“ schlechthin (was ja schon eine Konzentration der Aufmerksamkeit auf das allen möglichen Äpfeln und Apfelsorten Gemeinsame enthält), sondern auch dafür, dass Äpfel etwas sind, dessen innerer Aufbau für uns (beispielsweise unter Verwertungsgesichtspunkten) von spezifischem Interesse ist, und zwar von so großem Interesse, dass wir es zum Inhalt der allgemeinen Bildung für die gesamte nachwachsende Generation machen. (Zur „triadischen Relation“ von Objekt, Repräsentation und Bedeutung vgl. ausführlicher das Kapitel „Daten und Information“ der Vorlesung „Grundlagen der Informationspädagogik) Wegen dieser in Symbolen enthaltenen Bedeutungszuschreibung verstehen diese sich nicht von selbst, sondern müssen interpretiert werden. (Interpretation heißt hier: Entschlüsselung der Bedeutungszuschreibung.)

Dass in Bildungseinrichtungen in der Regel mit symbolischen Repräsentationen der Objekte gearbeitet wird, ist daher nicht eine Art Verlegenheitslösung, weil man die „echten“ Objekte nicht zur Verfügung hat, sie zu teuer sind, zu unhandlich, zu groß oder zu gefährlich. Sondern die symbolische Repräsentation ist eine notwendige Präsentationsform, um eine pädagogische Bedeutungszuschreibung ins Spiel zu bringen.

6.3 Präsentation, Medium und Sinnesmodalität Alle möglichen symbolischen Repräsentationen bedürfen, um von Menschen „lesbar“ zu sein, einer materiellen Grundlage. Das gesprochene Wort wird durch Schallwellen hörbar, die vom Sprechenden zum Hörenden übermittelt werden; das Bild wird mit Ölfarben auf Leinwand gemalt, um sichtbar zu sein. Der gezielte Einsatz von Materialien, Organen, Instrumenten und Verfahrensweisen zur Erstellung symbolischer Repräsentationen bildet deren technische Seite, von der Sprechtechnik und Technik des

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Körperausdrucks bis hin zur Computertechnik. Ohne Technik würde es keine symbolischen Repräsentationen geben können.

Nicht zufällig wurde die gleiche Aussage im vergangenen Kapitel über die Medien gemacht. Präsentation von Lernobjekten durch Medien (gedruckten Text, Tafelanschrift, Overhead- oder Beamerprojektion) ist nichts anderes als die Präsentation von Bildungsmedien, insofern das Bildungsmedium nichts anderes ist als die für Lernzwecke geschaffene symbolische Repräsentation eines Objekts.

Wichtig ist nun, dass nach dem, was vorher ausgeführt wurde, die Wahl der Medientechnik keineswegs beliebig ist. Die Medientechnik ist nicht nur zwar unverzichtbare aber austauschbare materielle Grundlage des Mediums, sondern sie ist mitbestimmend für die Art und Weise, in der das Objekt überhaupt repräsentiert werden kann, und damit auch für die möglichen Ausrichtungen der Aufmerksamkeit im Lehr-Lernprozess. Mit der Wahl der Medientechnik werden daher auch pädagogische Entscheidungen getroffen.

Wir müssen diese technische Seite des Mediums nach zwei Seiten hin betrachten, entsprechend den zwei Seiten, die das Medium als Vermittlungsinstanz zwischen Lerner und Lernobjekt aufweist. Nach der einen Seite hat das Medium jene Bestimmungen des Objekts zu repräsentieren, auf die im Lernprozess die Aufmerksamkeit gerichtet werden soll. Nach der anderen Seite hat das Medium die Wahrnehmungsorgane des Lerners anzusprechen, durch die dieser die Präsentation aufnehmen kann und soll (Auge, Ohr, Tastsinn …). Zwischen beidem besteht nicht unbedingt immer eine zwingende, aber auch in der Regel keine beliebige Beziehung.

Für konkret-sinnliche Eigenschaften des Objekts (wie Farbe, Geruch, Haptik, Form, Bewegung im Raum, Klang usw.) lassen sich primäre Sinne und Wahrnehmungsorgane bestimmen, über die sie für die Lernenden zugänglich werden. Man spricht hier auch von „Modalität“. Und in Bezug auf den Computer wird dann oft hervorgehoben, dass über ihn eben verschiedene „Rezeptionskanäle“ für das Lernen genutzt werden können, was dessen Effektivität etwa in Bezug auf Behaltensleistungen zugute komme. [Weidenmann 1994; 1995]

Will man die Lernenden möglichst ohne Umwege erreichen, wird man Medien einsetzen, die eben jene Sinne direkt ansprechen, die sich auf die darzustellenden Objekteigenschaften beziehen. Zwingend ist dies allerdings nicht. Denn grundsätzlich besteht immer auch die Möglichkeit, die Vorstellungskraft der Lernenden anzusprechen, also ihnen beispielsweise eine Landschaft in einem Text so zu beschreiben, dass sie selbst eine bildliche Vorstellung von ihr hervorbringen können.

Was hier greift, ist ein sozusagen sekundärer Sinn oder sekundäres Wahrnehmungsorgan, nämlich das geistige Vermögen des Menschen mit dem Gehirn als „Denkorgan“, das nicht darauf verwiesen ist, dass symbolische Repräsentationen in fertiger Form präsentiert werden, sondern selbst solche Repräsentationen aus dem ihm gebotenen Material erzeugen kann.

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Dieses „Material“ ist allerdings von anderer Art als das Material für die primären Sinne, nämlich immaterieller, geistiger Art. Das geistige Vermögen anzusprechen, bedarf es zwar grundsätzlich ebenfalls eines sinnlichen Zugangs, aber keiner spezifischen Sinnesansprache. Es dominiert sicherlich der visuelle und auditive Zugang zu Texten; doch können Gedanken außer in zu lesender und zu hörender auch in zu tastender Schrift objektiviert werden (Blindenschrift); warum sollten prinzipiell nicht abstrakte Symbolsysteme sogar für den Geruchs- oder Geschmackssinn entwickelt werden können?

Die Indifferenz des geistigen „Stoffs“ gegenüber dem wahrnehmenden Sinn und damit auch gegenüber dem materiellen Träger des Mediums führt in Bildungsgängen, die primär auf kognitive Zugänge zum Lernobjekt setzen bzw. auf Zugänge zur kognitiven Struktur des Lernobjekts, zu einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber den anzusprechenden Sinnesmodalitäten und damit auch gegenüber den medialen Präsentationsformen. Dass in den Geistes- und Sozialwissenschaften der Text dominiert, in der Mathematik und den Naturwissenschaften die Formel und in den Ingenieurwissenschaften die technische Zeichnung, ist Ausdruck der unterschiedlichen jeweils vorherrschenden Abstraktionsformen, hat aber nichts damit zu tun, dass bei den einen mehr als bei den anderen die primären Sinne angesprochen werden sollten. Das Auge ist – der Intention nach, faktisch mag dies durchaus anders sein – gleichsam nur als Durchgangsportal gefragt, nicht weil visuelle Sinnesqualitäten von Bedeutung wären.

Was in dieser in unseren Bildungseinrichtungen vorherrschenden Gleichgültigkeit sich zeigt, ist, dass Bildung immer noch vor allem als Vermittlung gesellschaftlich bereits vorhandenen Wissens an die Lernenden verstanden wird, weniger als eigentätiger Aufbau von Wissen durch den Lernenden selbst, wie es traditionsreiches pädagogisches Verständnis von Bildung ist (auch wenn diese alte Erkenntnis neuerdings als konstruktivistische Entdeckung ausgegeben wird). Die Lernenden werden sogleich auf die Ebene der Abstraktionen geführt, wenn etwa die erste Präsentation eines fremden Landes als Landkarte daherkommt. Ob und wie diese Abstraktionen mit ihrer eigenen sinnlich vermittelten konkreten Welterfahrung zusammenhängen, wird – wenn überhaupt – zur sekundären Angelegenheit. Wenn in solchem Kontext dann ungewohnte mediale Sensationen aufgefahren werden wie jene bewegten Elemente, Geräusche und dergleichen, mit denen das weltweitest verbreitete Präsentationsprogramm Powerpoint uns beglückt, sind sie oft nicht von der Sache her begründet, sondern dienen effekthascherisch der Aufmerksamkeitserregung. Wenn Bewegung oder Klangeffekte im Spiel sind, sollten Bewegung und Klang auch wesentliche Eigenschaften des Lernobjekts sein. (Eine hereinfliegende Landkarte erfüllt diese Anforderung mit Sicherheit nicht.)

Ein Großteil der Lernobjekte, mit denen Lernende sich auseinanderzusetzen haben, stammt nicht aus ihrer eigenen Erfahrungswelt. Die Präsentation stellt dann eine erstmalige Begegnung mit dem Objekt dar, das entsprechend erst einmal als für die Sinne konkret existierend erfahren werden sollte, bevor seine abstrakten Merkmale

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thematisiert werden. Zoologische Präparate zum Beispiel gehörten dementsprechend seit je zum Medienarsenal des Biologieunterrichts, nicht zuletzt um Kinder mit dem Aussehen von Tieren vertraut zu machen, die sie aus eigener Anschauung bis dahin nicht kannten. Das ändert, wie schon die Bezeichnung sagt, nichts daran, dass es sich bei der gezielten Ansprache der Sinne um pädagogisch motivierte Präparationen handelt: Die Repräsentation bleibt, in welcher medialen Gestalt auch immer sie auftritt, unterschieden vom Repräsentierten. Für diese pädagogisch motivierte Differenz gilt es Verantwortung zu übernehmen.

Zusammengefasst bedeutet dies, dass bei der Medienwahl grundsätzlich zuerst einmal zu klären ist, auf welche Bestimmungen des Lernobjekts die Aufmerksamkeit gerichtet werden soll. Sind es die allgemeinen und daher nur geistig zu erfassenden Bestimmungen, für die eine adäquate Repräsentationsform gefunden werden muss? Oder sind es seine sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften?

Im ersten Falle muss die sinnliche Ebene eine Art Transparenz aufweisen, indem die mediale Form lediglich den Zugang zur geistigen Ebene öffnet, wie wir dies vor allem beim Lesen kennen, wenn Worte und Sätze nicht mehr mühsam zu entziffern sind, sondern direkt in ihrem Bedeutungsgehalt erfasst werden können. Im zweiten Falle dagegen darf, ja soll die mediale Form an den Sinnen gleichsam hängenbleiben. Wo im ersten Falle eine starke Ansprache der Sinne geradezu störend wirken kann, weil sie das zu Repräsentierende (den geistigen Gehalt) verstellt, kann sie im zweiten Falle gefordert sein, um das zu Repräsentierende (die sinnlich wahrnehmbaren Eigenschaften) zur deutlichen Präsenz zu bringen.

6.4 Analoge und digitale Repräsentation Nach diesen mehr allgemeinen medienpädagogischen Überlegungen wird es nun Zeit, sich den Besonderheiten zuzuwenden, welche die Computertechnologie als Medientechnik mit sich bringt. Wenn allgemein die eingesetzte Medientechnik in Beziehung zu setzen ist einerseits zu den bei den Lernenden anzusprechenden Sinnen, andererseits zu den zu repräsentierenden Bestimmungen des Lernobjekts, auf die nach pädagogischer Absicht die Aufmerksamkeit gerichtet werden soll, dann fragt sich, was dies für Neue Medien bedeutet.

Um dieser Frage nachzugehen, sollten wir wieder unterscheiden zwischen der Repräsentation allgemeiner Bestimmungen des Lernobjekts für den „geistigen Sinn“ und der Repräsentation von Eigenschaften des Objekts für die Sinneswahrnehmung. Zunächst zur ersten Repräsentationsfunktion. Ich beziehe sie auf exemplarisch auf den Text als Repräsentationsform.

Die weiter oben angesprochene Indifferenz von Text gegen die mediale Form hat m.E. die Konsequenz, dass sich für diese Repräsentationsform am wenigsten, möglicherweise gar nichts ändert, solange – und diese Einschränkung ist wichtig – der Text

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ausschließlich seinem Inhalt nach, also als symbolische Repräsentation der allgemeinen Bestimmungen eines Objekts und nicht als Äußerung eines lebendigen Subjekts zu interpretieren ist. Denn in letzterem Falle stellt sich die Frage nach der Beziehung des Textes zu einem Wesen aus Fleisch und Blut und damit auch nach Bedeutungsebenen des Textes, die allein aus seinen Aussagegehalten nicht zu erschließen sind.

Dieser Unterschied der Repräsentationsbeziehung lässt sich etwa deutlich machen am Unterschied zwischen einem handschriftlichen Manuskript und einem gedruckten oder auf einem Computerbildschirm sichtbar gemachten Text. Das handschriftliche Manuskript enthält materielle Spuren aus dem in einen lebensweltlichen Kontext eingebundenen Herstellungsprozess des Textes wie Durchstreichungen, Kaffeeflecke, einen hastigen Schriftduktus, nachträgliche Einfügungen usw. Es repräsentiert daher auch diese Herstellungssituation und die Verfassung des Autors beim Schreiben.

Der gedruckte Text dagegen enthält diese Spuren auf eine kaum noch wahrnehmbare Weise. Liegt er beispielsweise als Buch vor, so lässt sich immerhin noch aus dem Verlag, aus dem verwendeten Papier, der Typografie usw. eine gewisse zeitliche und geografische Zuordnung vornehmen. Es gibt noch eine materielle kausale Ereigniskette, die vom Autor zum gedruckten Text führt und die sich theoretisch rekonstruieren ließe, auch wenn dies praktisch nicht gelingen mag. Aufgrund dessen kann ein Buch immer noch mehr repräsentieren, als in seinem Text steht.

Diese kausale Kette aber ist nicht mehr aus den materiellen Spuren zu rekonstruieren, da unterbrochen, wenn der Text aus einer Computerdatei zur Darstellung gebracht wird.

Was damit angesprochen ist, ist der Unterschied zwischen analoger und digitaler Repräsentation. Ich will ihn nicht am Text als Repräsentationsform, sondern am Bild, genauer: an der Fotografie erläutern.

Die Fotografie ist eine den Sehsinn und das Auge ansprechende Repräsentationsform. Sie soll, insbesondere als Dokumentarfotografie, das Objekt selbst sich dem Betrachter zeigen lassen. Wenn etwa im Sozialkundeunterricht dokumentarische Fotos aus südamerikanischen Elendsvierteln gezeigt werden, dann will der Lehrende die Schüler darüber aufklären, „wie es dort wirklich aussieht und zugeht“. Von den wirklichen Verhältnissen in diesen Elendsvierteln bis zur Präsentation der Fotos im Unterricht gibt es tatsächlich eine ununterbrochene Kausalkette von physisch miteinander zusammenhängenden Ereignissen: Das vom Objekt reflektierte Licht trifft, durch die Glaslinse des Fotoapparats gebündelt, auf eine lichtempfindliche Emulsion und löst dort eine chemische Reaktion aus, die wiederum durch den Kontakt mit anderen Chemikalien im Entwicklerbad zum Negativ führt, der ersten bleibenden Repräsentanz des ursprünglichen Objekts. Das Objekt ist in dem Sinne tatsächlich „ursprünglich“, als von ihm die Kausalkette entspringt, in der jeweils ein physisches Ereignis sich in einem folgenden physischen Ereignis „abbildet“, bis am Ende wieder eine vom menschlichen Auge wahrnehmbare Gestalt erscheint, in der sich das Objekt seine Repräsentationsform in gewisser Weise selbst geschaffen hat. Vom Negativ ausgehend können wir eine

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weitere solche Kausalkette beschreiben, die dann zum Positiv führt, das physisch in den Klassenraum transportiert und dort präsentiert wird.

Selbstverständlich gibt es auf dem gesamten Wege eine ganze Reihe von Faktoren, die auf das Ergebnis einwirken: der technische Aufbau des Fotoapparats, Linsenöffnung und Verschlusszeit, die Lichtverhältnisse, die chemische Zusammensetzung der Emulsion und des Entwicklerbades, das Korn des Filmes, die Dauer der Entwicklung, die Papierqualität usw., so dass es keineswegs nur das abgebildete Objekt ist, das in der Fotografie schließlich repräsentiert ist, sondern alle am Prozess beteiligten Faktoren ihre Spur hinterlassen. Auch sind an diversen Stellen Eingriffsmöglichkeiten von Menschen gegeben, von der Abdeckung von Bildteilen bis zur abschließenden Fotoretusche, die zur beabsichtigten oder versehentlichen Verfälschung des Bildinhalts genutzt werden können. Doch auch diese gehören in die physische Kausalkette und hinterlassen ihre Spuren, auch wenn letztere nicht unbedingt erkannt oder in ihrer Genese rekonstruiert werden können.

Ein solcher Produktionsvorgang ist analoge Technik: jeder Produktionsschritt in der Kausalkette bildet sich in einem aus ihm resultierenden bzw. von ihm erzeugten folgenden Vorgang ab.

Betrachten wir nun den Vorgang bei der digitalen Fotografie, so stehen am Anfang und am Ende notwendigerweise die gleichen analogen Techniken: Ausgangsereignis ist die Reflektion des Lichts durch ein zu repräsentierendes (zu fotografierendes) Objekt und die physische Wirkung des durch eine Linse gebündelten Lichts auf ein lichtempfindliches Material. Am Ende steht beispielsweise eine Bildschirmdarstellung der Fotografie, die auf analoge Weise für das menschliche Auge sichtbar ist. Dazwischen kann es weitere analoge Prozessabschnitte geben. Aber mittendrin ist die analoge Kausalkette unterbrochen; und zwar dort, wo durch Digitalisierung eine Bilddatei als Repräsentationsform des fotografierten Objekts erzeugt wird.

Um zu verstehen, was eine Datei ist, müssen wir von ihrer physischen Speicherungsform absehen. Diese ist – was man an ihrer Austauschbarkeit erkennen kann – nicht wesentlich. Wenn etwa eine Datei von der Festplatte auf eine CD-ROM übertragen wird, ist sie als Datei absolut unverändert, obwohl die physische Speicherung eine ganz andere ist. (So wie ein Text Wort für Wort abgeschrieben werden kann und derselbe bleibt, obwohl eine völlig neue physische Darstellungsform erzeugt wurde.)

Eine Datei entsteht eben nicht mehr als physische Analogie zum vorhergehenden Prozess, sondern durch Übersetzung in eine immaterielle, formale Fassung. Zwischen einer 0 oder 1 (oder einer beliebigen Kombination von Nullen und Einsen) und dem, was sie repräsentieren (farbige Bildpunkte), besteht so wenig eine physische Analogie wie zwischen dem Buchstabenzeichen und dem Buchstabenlaut. Der Übergang vom einen zum andern durch einen A/D-Wandler wird arbiträr gesteuert, also allein aufgrund der Anwendung einer beschlossenen Codierregel. Dass die als solche unsichtbare Bilddatei auf Basis analoger Technik gespeichert wird, tut nichts zur Sache, weil die

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Speicherzellen allein die Funktion haben, den formalen Unterschied zwischen zwei möglichen Zuständen auf eine eindeutige, aber beliebige Weise zu „verkörpern“, während die Art und Weise, wie sie dies tun (positive/negative Ladung; Licht/kein Licht; Berg/Tal), ganz ohne Belang ist.

Die immaterielle Repräsentationsform Bilddatei ist somit völlig unabhängig von der Physis des ursprünglichen Objekts, wie ja auch der Begriff des Objekts immateriell ist und in keiner physischen Abhängigkeit vom Repräsentierten steht. Nur: Der Begriff repräsentiert das am Objekt, was der sinnlichen Wahrnehmung ohnehin nicht zugänglich ist: seine allgemeinen Bestimmungen. Die Bilddatei dagegen repräsentiert die Sinnesqualitäten des Objekts, ohne noch in irgendeiner Weise vom Objekt selbst bestimmt zu sein.

Auch die analoge Technik lässt, wie ausgeführt, nicht allein das ursprüngliche Objekt „zur Sprache“ kommen. Aber die Repräsentationsmöglichkeiten bleiben grundsätzlich rückgebunden an die Möglichkeiten, welche die physische Objektwelt, deren Teil das abzubildende Objekt ist, einräumt. Diese Bindung kann niemals ganz „loswerden“ zu können, macht analoge Technik aus. Digitale Technik dagegen hat ihren „Ursprung“ nicht mehr in einem Objekt, sondern in theoretisch begründeten Entscheidungen des Subjekts, was es denn zu sehen geben soll. Wenn das Subjekt sich rückbindet an die Verpflichtung zur Objektivität, dann deshalb, weil es dies will und nicht, weil die analoge Technik mit dem in sie eingebauten „Mitspracherecht“ des Objekts es dazu nötigt.

Der Vorgang, durch den aus einer in analoger Fototechnik erzeugten physischen Repräsentationsform eines Objekts eine Bilddatei entsteht, wird als „Auflösung“ bezeichnet. Man darf die Metaphorik dieses Begriffs nicht in Analogie zu einem chemischen Auflösungsprozess betrachten, bei dem ein physisches Gebilde in seine physischen Bestandteile zerfällt, sondern muss sie radikaler auffassen:. So nämlich, dass sich die Physis als solche in Immaterielles „auflöst“, heißt: in die mathematische Beschreibung einer Anordnung dimensionsloser Punkte, denen innerhalb einer vorgegebenen Skala bestimmte Werte zugeschrieben werden. Die Zahl der Punkte entscheidet über die mögliche Detailliertheit der Abbildung; die zugeordneten Werte über Farbnuancen und -abstufungen.

An der Benutzerschnittstelle tritt wieder analoge Technik in Kraft: eine Bilddatei können wir nicht sehen; sie muss erst wieder – ebenfalls aufgrund entsprechender Codierregeln – durch einen komplementären Wandlungsprozess D/A in analoge Vorgänge übersetzt werden. So werden dem Bildbearbeiter analoge Bearbeitungsinstrumente wie Stift, Radiergummi, Pinsel, Farbeimer usw. vorgegaukelt. In einer Bilddatei kann man jedoch nicht „radieren“, Linien ziehen usw.. Sie ist ein mathematisches Objekt, und entsprechend kann man auf sie lediglich Rechenoperationen anwenden. Was wir sehen, ist nicht, was wir tun. (Es gibt allerdings in Bildbearbeitungsprogrammen eine ganze Reihe von Funktionen, deren Bezeichnung

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auch sagt, was sie tun: multiplizieren, subtrahieren, negativ multiplizieren, Differenz usw., Operationen, die im Rahmen analoger Technik sinnlos wären.)

Die Verwandlung eines physischen Objekts in ein mathematisches Objekt kann man auch als Modellierung bezeichnen: das mathematische Objekt ist ein theoretisches Modell des physischen Objekts. Wenn wir mit solchen Objekten operieren, dann operieren wir mit theoretischen Modellen. Was immer wir zu sehen bekommen: die Repräsentationsform des Objekts basiert auf einem mathematischen Modell des Objekts; und was immer wir mit ihm tun können, ist die Erscheinungsform einer mathematischen Operation.

Zusammengefasst: Bildungsmedien präsentieren Lernobjekte in einer pädagogisch präformierten Weise. In diesen Repräsentationen zeigt sich niemals das Objekt in seiner Ursprünglichkeit. Soll das, was den Lernenden präsentiert wird, von ihnen wirklich begriffen werden, gehört dazu, auch über diese Differenz von Repräsentation und Repräsentiertem aufgeklärt zu werden.

Bei den Neuen Bildungsmedien erhält diese Differenz eine spezifische Ausprägung. Die Repräsentation des Objekts geschieht in Gestalt eines mathematischen Objekts; ihr liegt also eine Theorie des Objekts zugrunde, welche behauptet, dass die wesentlichen Eigenschaften des Objekts sich mathematisch modellieren ließen. Auf der Benutzeroberfläche allerdings „verkleidet“ sich das mathematische Modell wieder in lebensweltlichen, der physischen Welt zugehörigen Analogien. Es wird anschaulich und verbirgt seine innere Abstraktheit.

Genau dies muss thematisiert und aufgedeckt werden, soll die Präsentation von digitalen Inhalten nicht zur Unbildung führen. Am besten dürfte solche Aufklärung gelingen, wenn die Lernenden nicht lediglich mit fertigen digitalen Repräsentationsformen konfrontiert werden, sondern selbst eben die Operationen vollziehen und reflektieren, die zu einer digitalen Repräsentationsform führen. (Bardo Herzig gibt hierfür ein erhellendes Beispiel einer Unterrichtssequenz „Spurensuche in Bildern“ [Herzig 2001, 159-163].)

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7. Speicherung und Distribution

7.1 Behältnisse und Leitungen Eine eigene Betrachtung der Neuen Medien als Speichermedien liegt nahe wegen der besonderen praktischen Bedeutung dieser Funktionalität für die Neuen Medien. Sie gehört noch in den Umkreis der Instrumentalität von Medien, obwohl sich mit dem Begriff des Instruments meist primär die Vorstellung des Werkzeugs, sekundär dann die des Wahrnehmungs- oder Meßinstruments verbindet, während die Instrumentalität von Speichern meist nicht mitgedacht wird.

So stellt Lewis Mumford fest: „… in der Beschreibung der materiellen Komponenten der Technik übersieht man die … wichtige Rolle der Behälter: anfangs Herde, Höhlen, Fallen, Seilwerk; später Körbe, Schränke, Ställe und Häuser, gar nicht zu reden von noch späteren kollektiven Behältern, wie Reservoirs, Kanäle und Städte. Diese statischen Komponenten spielen eine wichtige Rolle in jeder Technologie“. [Mumford 1978, S. 15]

Mumford spricht hier an, dass unsere gängige Vorstellung von der Instrumentalität der Technik hoch konzentriert ist auf die Werkzeugfunktion. Er sieht darin eine „Überschätzung der Rolle, die Werkzeuge in der menschlichen Entwicklung früher gespielt haben und die Maschinen heute spielen“ [Mumford 1978, S. 14].

Ist man einmal darauf aufmerksam geworden, wird man feststellen, dass in unserer Umwelt möglicherweise die Zahl der Dinge, welche die Funktion von Behältern haben, die der Werkzeuge oder Wahrnehmungsinstrumente gewaltig übersteigt.

Nehmen wir als Beispiel den Korb, in dem Früchte gesammelt, transportiert und aufbewahrt werden. Der Korb dient weder zur Bearbeitung der Früchte noch zur Wahrnehmung. Eher im Gegenteil: Er soll sie auf-„bewahren“, worin ein konservierendes, also der Bearbeitung gegenläufiges Moment, enthalten ist; und er verbirgt die Früchte eher vor dem Blick, als dass er sie sichtbar macht. Seine Funktion ist offensichtlich durch die beiden anderen Bestimmungen von Instrumentalität nicht erfassbar.

Der Korb ist ein Beispiel, in dem verschiedene Funktionen von Behältern vereinigt sind, die auch aufgeteilt werden können: er dient dem (Ein-)Sammeln, dem Aufbewahren, dem Transport und der Vorhaltung. Dies sind der Instrumentalität zugeordnete Funktionen: Sie sichern den Zugriff und die Verfügbarkeit für die instrumentalen Funktionen im engeren Sinne. Die Früchte werden im Korb gesammelt und aufbewahrt, um sie für die Weiterverarbeitung etwa zu Marmelade verfügbar zu halten oder um sie zu gegebener Zeit einer näheren Prüfung auf ihre Eigenschaften hin unterziehen zu können. Zum Sammeln gehört auch das Auslesen (zum Beispiel nur Äpfel, die reif sind) und das Sortieren (etwa nach Größe durch Aufteilung auf mehrere Behälter). Sie werden im Korb transportiert, um sie zum Ort der Weiterverarbeitung oder Prüfung zu

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schaffen. Behälter dienen ferner dazu, die Zeit bis zur Weiterverarbeitung oder zur Prüfung zu überbrücken. Schließlich dienen sie der Bereitstellung vor Ort und zur gegebenen Zeit. All diese Funktionen gehören ins Umfeld der Instrumentalität, indem sie u.a. durch Überbrückung von Raum und Zeit das Objekt dem Subjekt zur Verfügung halten.

Wir müssen uns also die Behältnisfunktion im Anschluss an Mumford sehr weit gefasst vorstellen. Kanäle, Leitungen, Straßen, Transportbänder und -fahrzeuge gehören ebenso dazu wie Gefäße, Container, Schachteln, Bottiche, Büchsen, Silos, Banken, Mülleimer; aber auch Präsentationsmittel, Displays, Schaufenster, Lager, Regale usw. In den Umkreis der Behältnisfunktion gehören ferner alle Mittel, die dazu dienen, auf Aufbewahrungsorte hinzuweisen oder zu ihnen hinzuführen (Etiketten, Schilder, Wegweiser, Leitsysteme usw.).

Diese Aufzählung weckt schnell Assoziationen, aus denen deutlich wird, in welchem Maße gerade die Neuen Medien Behältnisfunktionen (hier dann Speicherfunktionen genannt), Transportfunktionen (hier dann Übertragungsfunktionen genannt) und Bereitstellungsfunktionen (hier dann [Re-]Präsentationsfunktionen genannt) übernehmen. Die beiden letzteren Funktionen: Transport und Bereitstellung, fasse ich im Terminus „Distribution“ (Verteilung) zusammen. Dabei werden für die Benutzerschnittstelle teilweise Metaphern aus der sinnlichen Realität der Behälter und Transportmittel übernommen: Ordner, Container, Papierkorb, Straßen (wie der bekannte „Daten-Highway“).

Speichern und Distribuieren gehören zu den fundamentalen Operationen Neuer Medien. Alle anderen Funktionen bauen auf ihnen auf und könnten ohne sie nicht vonstatten gehen. Was hier gespeichert und distribuiert wird, sind selbstverständlich nicht reale, sondern symbolische Objekte. Für die Betrachtung der Speicherfunktion der Neuen Medien ist es daher hilfreich, sich kurz jene Technologie vor Augen zu führen, die vor dem Computer die Aufgabe der Speicherung von Symbolen übernommen hatte: Schrift, Druck und Buch.

In der Tat finden wir im Buch alle Funktionen des Behältnisses, jetzt bezogen auf symbolische Objekte oder Symbole als Objekte, wieder: Es dient der Sammlung, der Aufbewahrung, dem Transport, der Präsentation von Symbolen. Und insofern diese Symbole Informationen oder Wissen darstellen, dient das Buch der Sammlung, Aufbewahrung, Überlieferung und Darstellung von Wissen. Hieran knüpfen die Neuen Medien als symbolspeichernde und -übermittelnde Medien an. (Tonband, Film, Schallplatte sind ebenfalls Speichermedien für Symbole.)

Es versteht sich, dass die Bereitstellung von Informationen und Wissen für pädagogische Praxis von herausragender Bedeutung ist.

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7.2 Datenspeicher und Datenzugang Die fundamentale Behältnisfunktion des Computers wird daran deutlich, dass das Basismaterial, mit dem er „arbeitet“ und aus dem seine Funktionalität „gebaut“ ist, das Bit, immer verbunden ist mit der Angabe seines Speicherorts (der „Adresse“). Der Grundzustand eines Computers, bevor er überhaupt irgendeine Funktion ausüben kann, beinhaltet notwendig, dass Sammlungen von Bits vorgehalten werden. Und dieses Vorhalten schließt unabdingbar ein, dass dafür gesorgt ist, dass diese Bits nicht nur irgendwie und -wo „da“ sind, sondern auch „gefunden“ werden können. In diesem Sinne ist ein Computer immer auch ein Bitspeicher.

Für seine Inanspruchnahme als Medium ist allerdings erforderlich, dass er auch für die Nutzer als Speicher fungiert. Die Nutzer können mit Bits und Bytes nichts anfangen. Diese können alles und nichts bedeuten. Für sie geht es um Informationen (also sie angehende, von ihnen interpretierbare Daten) und um Ordnung und Zusammenhang der Informationen (Wissen). (Vgl. zur terminologischen Unterscheidung von Daten, Information und Wissen das Skript „Grundlagen der Informationspädagogik“ aus dem WS 2003)

Deshalb müssen im Computer die Bits so vorgehalten werden, dass sie für den Nutzer als Information und Wissen erschließbar sind. Sie müssen erstens sortiert (auf Körbe aufgeteilt) und zweitens deklariert (die Körbe mit Etiketten versehen) werden.

Die Benutzer wiederum können vom Informationsangebot nur Gebrauch machen, wenn sie das Sortierprinzip kennen (im einen Korb Äpfel, im andern Birnen) und die Deklarationen einsehen (die Etiketten lesen) können. Außerdem müssen sie selbstverständlich Zugang zu den Informationsbeständen und Zugriff auf diese haben (also wissen, wo die Körbe sind, dorthin gelangen und sich aus den Körben bedienen können).

Für Bildung ist die Bedeutung des Zugangs zu Information und Wissen sicherlich mehr als nur erheblich. Bezogen auf ihre Aufgabe einer Tradierung der Kultur von Generation zu Generation ist er fundamental. Und gerade weil Computersysteme in besonderem Maße Speichersysteme sind und weil durch ihre Vernetzung ein gigantisches weltumspannendes Speichersystem entstanden ist und weiter wächst, wird ihnen ja auch in der öffentlichen Diskussion so außerordentlich hohe Relevanz für Bildung zugemessen. So wird bisweilen dem Internet die Funktion einer „Weltbibliothek“ zugeschrieben: einer Bibliothek, in der (eines Tages) das gesamte Wissen der Menschheit für alle Menschen (und für jeden Menschen) verfügbar sein soll.

„Das Internet: alles über alle von allen an alle” [KuMi NRW 1996], heißt es in einer Broschüre des nordrhein-westfälischen Kultusministeriums aus dem Jahre 1996, in der den Lehrerinnen und Lehrern des Landes das Programm „Schulen ans Netz“ schmackhaft gemacht werden sollte. Das erinnert an eine sehr viel ältere Formulierung des pädagogischen Allgemeinbildungsgedankens, nämlich an die „didactica magna“ des berühmten Comenius: „die vollständige Kunst, alle Menschen alles zu lehren“

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[Comenius 1649]. Zur pädagogischen Allgemeinbildungsidee gehört, dass es keinerlei Begrenzungen oder Privilegien hinsichtlich des Zugangs zu den Wissensspeichern als den „Nahrungsquellen“ der Bildung geben darf: Alle müssen Zugang haben. Wissen soll Eigentum der Menschheit sein, niemals einzelner Personen oder Gruppen.

Die Zuschreibung einer Qualität als Weltbibliothek ist, angesichts der gegenwärtigen Realität des Internet, sicherlich voreilig. Bis dahin wäre es noch ein weiter Weg, sollte er überhaupt schon beschritten sein oder es jemals werden. Doch auch jetzt zeichnet sich bereits ab, dass zwar nicht alle, aber doch immer mehr wichtige bis lebenswichtige Informationen nur noch über das Internet zu erhalten sind. Allgemeinbildung wird damit zunehmend zu einer Frage auch des ungehinderten Internetzugangs (als Verfügung über die nötige Medientechnik). Und zu einer Frage der Qualifizierung im effektiven Umgang mit dieser neuen Medientechnik.

7.2.1 Datenbanken Was als der große Vorzug des Internet gilt, ist gleichzeitig das Problem: Die ungeheure Fülle der Daten muss geordnet (sortiert) und einem gezielten (selektierenden) Zugriff zugänglich gemacht werden.

Die gebräuchlichste Weise, Informations- und Wissenssammlungen anzulegen und vorzuhalten, ist die Anlage von Datenbanken. Sie bieten Interessenten Informationen an, unter anderem, aber in der Regel nicht vorzugsweise, auch für Zwecke des Lernens. Intelligente Tutorielle Systeme zum Beispiel beziehen die Informationen zu den von ihnen dargebotenen Lehreinheiten aus Datenbanken. Werden sie für Zwecke des Lernens direkt von den Lernenden genutzt, überlassen Datenbanken es den Lernenden, je nach ihren Interessen Informationen abzurufen. Die Informationen stehen zum Abruf bereit, aber es gibt keine Führung und keine Kontrolle.

Im Vergleich zur Programmierten Instruktion fehlt ein vorgegebener Anfangs- und Endpunkt, und es fehlen die „Pfade“, die den Lernenden von Information zu Information führen.

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Abb. 1: Freies Informationsangebot in einer Datenbank

Die Internettechnologie macht es heute möglich, prinzipiell von jedem angeschlossenen Rechner aus auf eine ganze Reihe von Datenbanken mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen zuzugreifen. Mit dem weiteren Ausbau dieses öffentlich zugänglichen Netzes von Datenbanken soll – wie manchmal euphorisch prognostiziert wird – irgendwann einmal eine allgemeine Verfügbarkeit des kompletten „Wissens der Menschheit“ Realität werden.

Beim Abruf von Informationen seitens eines wissbegierigen Menschen durchläuft nun der gesamte Datenbestand, an den die Informationsabfrage gerichtet wird, gleichsam einen Filter, der durch das spezifische Informationsinteresse dieses Menschen gebildet wird („Gib mir die Wirtschafts-Daten aller Staaten, deren Pro-Kopf-Einkommen im vergangenen Jahr 10.000 $ überschritt.“) Nach dieser Filterung ist ein Pfad durch den Datenbestand gelegt, der durch Reihung derjenigen Informationseinheiten zustandekommt, welche den angegebenen Selektionskriterien genügen.

Abb. 2: Selektion von Informationseinheiten durch Datenbankabfrage

Im Beispiel der Abbildung 2 sind es die Informationseinheiten 1, 3, 7, 12 und 13, die den Selektionskriterien der Datenbankabfrage genügen. Durch die Filterung des Datenbestandes entsteht mit dem Informationspfad auch ein Anfangspunkt und ein Zielpunkt – die Struktur nähert sich der Struktur der verzweigt geführten Information an. Und stelle ich nur den zustandegekommenen Informationspfad dar, entspricht die Struktur scheinbar der linear geführten Information (Abbildung 3).

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Abb. 3: Extrahierter Informationspfad als Resultat einer Datenbankabfrage

Aber die Reihenfolge der Informationseinheiten ist hier beliebig und austauschbar. Sie folgt keinen didaktischen Überlegungen einer sinnvollen Abfolge. Und die Menge der Informationen ergibt sich erst im Ergebnis des Aufeinandertreffens von Informationsbedürfnis und Informationsangebot. Weder der Lernende noch derjenige, der die Datenbank angelegt hat, wissen vorher, wo der Pfad beginnt, über welche Stationen er verläuft und zu welchem Ergebnis er führt.

Diese Unreglementiertheit erhöht die Freiheit und den Selbstbestimmungsspielraum des Lernenden. Verbunden damit ist jedoch die Problematik der Modularisierung (Zerlegung in voneinander unabhängige Informationseinheiten): Sie ist nötig, um einzelne Informationseinheiten in frei wählbaren Kontexten abrufen zu können. Aber diese Freiheit wird bezahlt mit dem Verlust an Zusammenhang (Kohärenzverlust). Die Informationseinheiten zu sinnvollen Zusammenhängen zusammenzufügen, also zu Wissen werden zu lassen, bleibt weitgehend den Lernenden überlassen.

Bekanntermaßen wirft die ungeheure Datenmenge, die in Computersystemen gespeichert werden kann, zudem das Problem auf, wie man darin denn noch gerade das finden können soll, was man braucht – also die Frage, wie Ordnung in dieses Chaos zu bringen sei. Nur geordnetes Datenmaterial ist überhaupt auswertbar.

Dieses Problem versucht man mit Hilfe der jeweiligen Datenbankstrukturen zu lösen. Durch die Struktur einer Datenbank wird das in ihr gespeicherte Datenmaterial rubriziert. Normalerweise sind Datenbanken aufgebaut aus Datensätzen, die jeweils dieselbe (Feld-)Struktur haben. Diese Feldstruktur entspringt dem formalisierten Datenmodell der Objekte, über die Informationen gespeichert werden sollen. Nur wer sich an diese vorgegebene Struktur der Rubrizierung des Materials hält, also das zugrundegelegte Datenmodell akzeptiert, kann überhaupt Informationen aus einer Datenbank herausholen.

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Abb. 4: Datenmodell eines Objekts

Es ist klar und unbestritten, dass die „Freiheit“ des Zugriffs auf die Datenbestände durch die Vorstellungen stark eingeschränkt ist, die die „Daten-Bankiers“ von den wünschenswerten Möglichkeiten einer Auswertung dieses Materials haben. Wenn sich das Informationsbedürfnis eines potenziellen Nutzers nicht mit diesen Vorstellungen deckt, wird er seine Schwierigkeiten haben, ihr überhaupt brauchbare Informationen zu entlocken. Wer etwa Bücher sucht, die in Leder eingebunden sind, wird einer Datenbank, deren Datenmodell dem in Abb. 4 entspricht, keine für ihn brauchbaren Informationen entnehmen können.

Selbstverständlich ist jede Information, auch in ihrem „Urzustand“, bereits subjektiv bearbeitet. Anders aber als bei der Strukturierung in Datenbanken schafft die bunte Bandbreite der ursprünglichen Informationen, die ja aus vielfältigsten Quellen stammen können, hierzu einen gewissen Ausgleich. Die Sekundärbearbeitung in Datenbanken hingegen schert diese Buntheit der Standpunkte über den einheitlichen Kamm der Vorstellungen des Datenbankiers über Wert und Nutzen von Informationen. Nicht die ursprüngliche Information an sich, sondern die strukturell sekundär noch einmal aufgearbeitete Information steht so tatsächlich zum Abruf bereit.

Um aus einer Datenbank Informationsbedürfnisse befriedigen zu können, muss also der Interessent seine Selektionskriterien an der vorgegebenen Struktur der Datenbank orientieren. Dadurch ist der Weg durch die Informationen durch die Selektionskriterien bei der Abfrage vorweg festgelegt. Spontanen Informationsinteressen, die sich durch die erhaltenen Informationen „unterwegs“ ergeben, kann nicht unmittelbar nachgegangen werden. Erst muss der laufende Durchgang abgeschlossen werden und eine neue Abfrage mit entsprechenden Selektionskriterien gestartet werden.

All dies macht Informationsgewinnung durch Datenbankabfragen eher unflexibel und schwerfällig.

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Die Präsentation von Wissen in Form von Datenbanken ist orientiert an der Art und Weise, wie ein Computer schnell und sicher Daten aufzunehmen und abzurufen pflegt. Konfrontiert man Menschen mit dieser Art der Wissenspräsentation, dann zwingt man sie in einengende Denkschemata. Die Informationsstrukturen fertig geplanter Prozesse nach Art von industriellen Produktionsprozessen sowie geschlossener Funktionssysteme nach Art bürokratischer Apparate lassen sich vielleicht auf diese Weise einigermaßen angemessen abbilden, nicht aber die Informationsstruktur offener Prozesse, in denen eine freie Bewegung des Denkens gefordert ist, um auch bisher ungedachte und unrealisierte Möglichkeiten zu erschließen.

Eigenmotiviertes Lernen gehört in diese Kategorie der offenen Prozesse. Es ist kein Vorgang, den man vollständig der Realisation eines geplanten Vorhabens gleichsetzen könnte. Was der Lernende erfahren und wissen will, entwickelt und verändert sich durch die Erfahrungen und das Wissen und während des Vorgangs selbst. Gebraucht wird also eine Form der Wissensrepräsentation, die die freie Bewegung des Geistes durch ein weites Netz von möglichst im „Urzustand“ belassenen Informationen erlaubt. Spontanen Ideen muss nachgegangen werden können. „Unterwegs“ entstehenden neuen Lernbedürfnissen muss Raum gegeben werden.

Diese geistige Freiheit ist nur gewährleistet, wenn der Zugang zum Wissen nicht in der vorgegebenen Spur betonierter Straßen erfolgen muss (Datenbankabfrage-Systeme), und seien diese Straßen noch so „gut ausgebaut“. Die Hyperdokument-Struktur, wie sie dem WWW zugrundeliegt, ermöglicht es dagegen, Informationen in den verschiedensten Formen, auch völlig unstrukturiert, darzubieten und sie in beliebiger Weise miteinander zu verknüpfen.

7.2.2 Hyperdokument-Systeme „HyperText“ nennt man ein System, das beliebige Querverbindungen zwischen Informationen herzustellen und zu nutzen erlaubt, die in Textform vorliegen. Was HyperText ist, kann man sich am besten veranschaulichen, wenn man an ein großes Lexikon denkt mit seinen mannigfaltigen Querverweisen. An beliebigen Stellen eines Textes können Sprünge zu anderen Textstellen ermöglicht werden. Text wird nicht unbedingt nur einbahnig-sequentiell aufgebaut, sondern kann von einem Netz von Querverbindungen durchzogen werden, welches viele verschiedene Möglichkeiten eröffnet, diesen Text lesend zu „durchstreifen“. „HyperMedia“ bezeichnet die Überwindung der Einschränkung auf die Textform, so dass im Prinzip jede Form der Repräsentation in ein Informationsnetz eingebunden werden kann. Das WWW läßt sich als ein gigantisches, weltumspannendes Hyper-Dokument auffassen.

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Abb. 5: Unstrukturiertes Informationsangebot in einem Hyperdokument-System

HyperMedia-Systeme sind also in der Lage, intern die unterschiedlichsten Datenformate zu unterstützen. Darüber hinaus erlauben sie eine freie Strukturierung des Datenmaterials für die Präsentation sowie beliebige Verknüpfungen zwischen allen Daten. Schnittstellen zu herkömmlichen Programmen (insbesondere auch zu Datenbanksystemen) existieren ebenfalls. Innerhalb eines Netzes von weitgehend unstrukturierten Informationen (und d.h. in ihrem ursprünglichen, ohne Sekundärbearbeitung belassenen Zustand) können „Bereiche“ mit strukturierter Information vorgesehen werden. Strukturierung des Materials ist daher nicht ausgeschlossen, aber sie ist auch nicht zwingend.

Hyperdokument-Systeme kommen wahrscheinlich der Art und Weise sehr viel mehr entgegen, in der Menschen spontan Informationen aus ihrer Umwelt aufnehmen und behalten. Denn weder der Aufnahme von Information noch dem Behalten im Gedächtnis liegen jene Strukturen zugrunde, wie sie Datenbanken, aber auch traditionelle Medien wie das Buch aufweisen. Man spricht von assoziativer Informationsaufnahme und -verarbeitung und meint damit, dass jede aufgenommene neue Information unmittelbar mit einer Vielzahl anderer gleichzeitig oder früher aufgenommener Informationen verknüpft, also in ein Gewebe oder Mosaik von Assoziationen eingefügt wird, wodurch sie erst ihre subjektive Bedeutung erhält und also zu „Bildungswissen“ werden kann.

In der Art von Datenbanken strukturierte Informationsangebote zwingen die Stoffaneignung unter eine vorgegebene Disziplin, der sich der Lernende nur entziehen kann, indem er den vom Medium vorgezeichneten Pfad der Informationsvermittlung verlässt: seine Phantasie, seine Gedanken, seine Sinne abwandern lässt in die weitere innere und äußere „Umwelt“, um das Neue dort den Platz finden zu lassen, der ihm subjektiv zukommt, auch unabhängig davon, ob dies der Platz ist, den die vom Medium vorgesehene Strukturierung ihm (als scheinbar „objektive“ Bedeutung) zuzuweisen versucht. Je weniger das Medium dem Lernenden diese Freiheit der Spontaneität des

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Abschweifens läßt, desto mechanischer wird das Lernen und desto äußerlicher bleibt dem Lernenden das Gelernte. (Dies war und ist – lerntheoretisch gesehen – das Problem der Programmierten Instruktion.)

Ein Medium aber, das dieses Abschweifen nicht nur zulässt, sondern es sogar unterstützt, indem es Anregung und Anlass gibt zu Abwegen und Umwegen, zu ungeahnten Querverbindungen und spontanen Entdeckungsreisen, kann grundsätzlich als Bereicherung angesehen werden für die Art von Bildungsprozessen, die nur gelingen können, wenn spontane Lerninteressen verfolgt werden können. Hyperdokument-Systeme stellen ein solches Medium bereit.

Diese Aussage ist nicht umzukehren: Der Einsatz von Hyperdokument-Systemen sorgt nicht von sich aus schon für einen solchen Lehr-Lern-Prozeß. Wie immer muss man sich auch hier bewusst halten, dass das didaktische Konzept eine bestimmte Form des Einsatzes von Medien verlangt, nicht aber sich aus dem Einsatz eines Mediums eine bestimmte didaktische Konzeption ergibt. Das Medium ist immer ein Element der gesamten Lehr-Lern-Situation, und seine didaktische Bedeutung ergibt sich immer erst aus ihrer Einordnung in diesen größeren Zusammenhang.

Probleme beim Einsatz von Hyperdokument-Systemen in Bildungsprozessen:

• Kohärenzverlust • Orientierungsverlust • Mangelnde Zielgenauigkeit.

Kohärenzverlust: Nicht anders als bei Datenbanken stehen die einzelnen Dokumente, die beim Durchstreifen des Informationsangebotes „aufgesucht“ werden, untereinander nicht in einem Sinnzusammenhang. Modularisierung ist eine Bedingung für die offene Struktur. Zwar mag sie kaum in letzter Konsequenz so realisierbar sein, dass eine einzelne Informationseinheit gänzlich ohne Bezugnahme auf andere, in ihr nicht enthaltene Informationen verständlich ist (zumindest muss praktisch immer auf ein gängiges Vorverständnis der Begriffe und ihres Gehalts, des Symbolgehalts von Ikons und anderen Zeichen zurückgegriffen werden), doch sollte die Eigenständigkeit der einzelnen Informationseinheiten im Interesse ihrer freien Auswertung und Kombination möglichst weit getrieben werden.

Letztlich entsteht Kohärenz ohnehin in der Interpretation und Verarbeitung durch den Nutzer. Aber herkömmliche Lehrtexte unterstützen die Leser durch explizite Bezugnahmen auf andere Teile des Textes, durch Zusammenfassungen, durch Vorschauen usw. In Hyperdokumenten kann die Kohärenzbildung unterstützt werden

• durch Redundanz, also zusätzliche Informationen aus anderen Informationseinheiten, die das Verständnis erleichtern; oder

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• durch qualifizierte Links, welche die Art des Verweises bzw. der Verweise auf andere Informationseinheiten, die das Dokument enthält, kenntlich machen (führt zu einem Beispiel; führt zu einem Oberbegriff; führt zu Detailinformationen; führt zu einer wissenschaftlichen Erklärung usw.).

Orientierungsverlust: Dieses Problem wird in der Literatur häufig unter dem Schlagwort „Lost in Hyperspace“ diskutiert. Es besagt, dass der Nutzer sich im Dschungel des unstrukturierten Informationsangebots verirrt bzw. für den Informationsanbieter „verlorengeht“. Schulmeister vermutet, dass das Problem überbewertet werde, um Strategien zur Erhöhung der Kontrolle über das Nutzerverhalten zu legitimieren. Aber viele Vorschläge zur Milderung des Problems haben eher die Orientierung des Nutzers im Blick.

Gearbeitet wird besonders daran, die Navigation durch das Informationsangebot intuitiver zu machen, z.B.

• durch Visualisierung der „Umgebung“, in der sich der Nutzer gerade „aufhält“, • durch Gebrauch von vertrauten Metaphern, insbesondere der Raum-Metapher, • durch Site-Maps.

Mangelnde Zielgenauigkeit: Sie ist der Preis der Zieloffenheit eines unstrukturierten Informationsangebots. Der Verzicht auf Zielvorgaben durch den Anbieter darf jedoch nicht daztu führen, dass auch der Nutzer das Angebot nur noch ziellos durchstreifen kann. Selbstverständlich haben auch Zufallsfunde ihren Wert und können überraschende neue Einsichten vermitteln, neugierig machen usw. Wenn aber der Nutzer gezielt nach bestimmten Informationen forscht, sollte er die Möglichkeit haben, sie auch zu finden.

Dem dienen insbesondere die Versuche

• zur Verbesserung der Suchverfahren (Suchmaschinen, Agenten, Volltextsuche), • zur verbesserten Auswertung und Darstellung der Suchergebnisse hinsichtlich

ihrer Treffgenauigkeit, • zur Entwicklung von Normen für die Auszeichnung von Dokumenten durch

Metadateien (Erstellung von Datenmodellen für Online-Dokumente), wodurch der Dokumentenbestand mit Datenbankverfahren erschließbar wird.

7.2.3 Wissensmanagement Die Gewinnung von Informationen und Wissen aus computergestützten Informationssystemen ist nicht nur für die Pädagogik, sondern auch für andere Praxiszusammenhänge von großer Bedeutung. So sind betriebliche Abläufe darauf angewiesen, dass das für eine Unternehmung relevante Wissen bzw. die relevanten Informationen verfügbar sind (Speicherungsfunktion) und zu den Personen, die sie

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benötigen, gelangen (Distributionsfunktion). Im betrieblichen Wissensmanagement geht es dabei um die betrieblichen Ziele, also um ökonomische Verwertung des Wissens. In der Pädagogik geht es um Bildungsziele, also um den „Gewinn“, den der einzelne davon hat. Insofern besteht eine fundamentale Differenz.

Dennoch gilt auch für pädagogische Lernumgebungen, dass Lehrende wie Lernende in der Lage sein müssen, mit den Informations- und Wissenssystemen so umzugehen, dass sie Zugang zu ihren Beständen haben und für Bildungszwecke nutzen können. Man kann das, worum es dabei geht, ebenfalls als Wissensmanagement bezeichnen, wenn man den oben angesprochenen doch nicht ganz unbedeutenden Unterschied zwischen Pädagogik und Betriebswirtschaft dabei nicht unterschlägt.

An ein Wissensmanagements für Lernumgebungen (vgl. dazu umfassender das 3. Kapitel der Vorlesung „Grundlagen der Informationspädagogik“ über „Wissen und Bildung“ im WS 2003-04) lassen sich pädagogische Anforderungen an Eigenschaften des technischen Systems ebenso wie an die Kompetenz der Nutzer (Lehrenden und Lernenden) formulieren.

Anforderungen an das technische System:

• Zugänglichkeit: Der Zugang zu den Wissensquellen darf weder durch rechtliche noch durch organisatorisch-institutionelle noch durch technische Barrieren behindert werden; zum Beispiel darf es nicht aufgrund hoher technischer Anforderungen vom Einkommen der Eltern abhängen, ob ein Kind Zugang zu den informationstechnisch gespeicherten Wissenssystemen hat oder nicht;

• Erschließbarkeit: Das Wissen muss so aufbereitet sein, dass es sich den subjektiven Lerninteressen und -bedürfnissen erschließt; die Metadatenstruktur beispielsweise muss hinreichend genau an die potenziellen Suchstrategien der Lernenden angepasst sein, so dass ihnen nichts, was ihren Wissensdurst stillen könnte, entgeht oder sie mit Wissen konfrontiert werden, das ihren Lernintentionen nicht entspricht; dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, weiß jeder Nutzer von Internet-Suchmaschinen;

• Überprüfbarkeit/Nachvollziehbarkeit: Das Wissen muss so präsentiert werden, dass nachvollziehbar ist, aus welchen Quellen es stammt, auf welche Daten oder Fakten es sich stützt, wie Ableitungen und Schlussfolgerungen zustande gekommen sind; gerade Internet-Seiten sind oft nicht identifizierbar, was die Herkunft der auf ihnen gezeigten Informationen betrifft;

• Kommunizierbarkeit: Es muss über das dargebotene Wissen kommuniziert werden können und es muss in gewissem Sinne auch mit dem Wissen kommuniziert werden können;

• Reorganisierbarkeit: Wissen muss von den Lernenden in neue Zusammenhänge gestellt werden können, damit es subjektiviert werden kann; das präsentierte Wissen darf in dieser Hinsicht nicht gleichsam „unantastbar“ sein.

Den Anforderungen an die objektive Gestaltung des Wissensmanagements in Lernumgebungen entsprechen auf der subjektiven Seite Anforderungen an die

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Kompetenz der Lehrenden und Lernenden, mit den Wissenssystemen angemessen umzugehen (als Bestandteil von „Medienkompetenz“):

• instrumentelle Fertigkeit: Das Handling der benutzten Geräte und Programme muss beherrscht werden;

• Verständnis für die implementierte Techno-Logik: Die Nutzer müssen verstehen, wie die Technik arbeitet, beispielsweise eine Suchmaschine, damit sie einschätzen können, welche Art von Informationen sie erhalten, wie sie sie einzuordnen haben und was zu tun ist, um das zu bekommen, was sie haben wollen;

• kritisches Urteilsvermögen: Die Nutzer müssen wissen, dass das präsentierte Wissen hergestellt wurde, dass es aus Verarbeitungsprozessen stammt, in denen nicht nur das Wahrheitsstreben maßgeblich ist, sondern auch andere Interessen und Einflüsse, bewusst oder unbewusst, eine Rolle spielen; sie müssen bereit und in der Lage sein, Wissen niemals nur einfach gläubig hinzunehmen, sondern es als Wissen grundsätzlich zu befragen, zu bezweifeln und zu prüfen;

• Diskursfähigkeit: Die Nutzer müssen verstehen, dass objektives Wissen ebenso wie subjektives Wissen aus kommunikativen Prozessen hervorgeht und diesen Prozessen auch immer wieder ausgesetzt werden muss;

• Verarbeitung: Subjektives Wissen entsteht aus Verarbeitung von objektivem Wissen, und objektives Wissen entsteht aus der Verarbeitung von subjektivem Wissen; Subjektivierung und Objektivierung sind Leistungen des Subjekts; deshalb kann Wissen nie einfach übernommen werden, wie es ist; Bildung ist mit Anstrengungen verbunden.

7.3 Deckung von Datenbankinhalten Die wahrscheinlich seltsam anmutende Formulierung in der Überschrift dieses Abschnitts will ich am Beispiel historischer Quellen verdeutlichen.

Für Historiker stellen bekanntermaßen die Quellen das ausschlaggebende Material dar, an dem und über das sie forschen. Unter den Quellen wiederum sind die primären Quellen die wichtigsten. Ein Beispiel: Eine Münze, die im Jahre 1612 geprägt und bis heute physisch erhalten wurde, ist eine primäre Quelle. Eine Beschreibung einer solchen Münze ist dagegen eine sekundäre Quelle. Oder: Ein Dokument über die Verleihung eines Stücks Land an den Grafen XY ist eine primäre Quelle; die Erwähnung eines solchen Dokuments in einer Chronik ist eine sekundäre Quelle.

Wenn wir dies auf die Überlegungen des vorhergehenden Kapitels beziehen, können wir sagen, dass die Repräsentation eines Objekts eine sekundäre Quelle (über das Objekt) darstellt, während das Objekt selbst die primäre Quelle ist.

Das Problem mit den sekundären Quellen ist ihre Glaubwürdigkeit. Die Beschreibung einer Münze kann fehlerhaft sein; sie ist jedenfalls kaum als wirklich vollständig

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denkbar. Der Verfasser der Chronik kann sich geirrt oder gar gelogen haben. Für den Historiker ist also wichtig zu wissen, wie die sekundäre Quelle auf die primäre Quelle referiert.

Ob und wieweit das Zeugnis der sekundären Quelle wahr oder falsch ist, lässt sich in einer Art Indizienbeweis durch mehr oder weniger zwingende Überlegungen zur Rekonstruktion ihrer Referenz auf die primäre Quelle entscheiden: Kann der Beschreiber der Münze die Münze überhaupt selbst in der Hand gehabt haben? Welches Interesse könnte er möglicherweise an einer verfälschten Beschreibung gehabt haben? In welchem Kontext steht die Beschreibung, worauf soll die Aufmerksamkeit gelenkt werden? Analoge Überlegungen sind bei der Chronik anzustellen.

Oder es gibt diese Münze noch, und so ist eine materielle Beweisführung möglich. Sie ist zwar nicht wirklich praktisch jederzeit und für jede Person, wohl aber prinzipiell zugänglich. Man könnte also die Beschreibung der Münze durch Augenschein vergleichen mit der wirklichen Münze. Oder das in der Chronik erwähnte Originaldokument existiert tatsächlich noch irgendwo in einem Archiv, möglicherweise, um es vor dem Verfall zu schützen, unter besonderen künstlich hergestellten klimatischen Bedingungen.

Grundsätzlich ist jede primäre historische Quelle unausweichlich vom Zerfall bedroht. Manchmal so dramatisch, dass überhaupt nur die Herstellung sekundärer Quellen sie überhaupt für die historische Forschung retten kann: Abbildungen, Nachbildungen, Beschreibungen usw. Und auch die sekundären Quellen können je nach Beschaffenheit wieder vom Zerfall bedroht sein.

Zunehmend greift man daher zum Verfahren der Digitalisierung, um die Quellen zu „retten“. Digitale „Kopien“ unterliegen keinen physischen Zerfallsprozessen. (Wohl allerdings die jeweils angewandte Speichertechnik, weshalb sie immer wieder auf andere Datenträger übertragen werden müssen.)

In Computerspeichern und Datenbanken sind prinzipiell nur sekundäre Quellen zu speichern (archivieren). Ob es sich dabei überhaupt noch um „Quellen“ handelt, hängt davon ab, wie die Referenzbeziehung zur „primären“ Quelle gestaltet ist. Man könnte auch sagen: Ob die jeweilige digitale Repräsentation durch das repräsentierte Objekt „gedeckt“ ist; oder ob ihre Repräsentationsfunktion letztlich auf Vertrauen gründen muss.

Die Rede von der „Deckung“ stammt aus einer anderen Analogie, nämlich aus der zwischen der Datenbank und dem Geldinstitut „Bank“. Der Vergleich, auf den ich mich hier beziehe, ist die sog. „Golddeckung“. Eine „Banknote“ ist ein Stück Papier, das einen definierten „Wert“ repräsentieren soll. Sie „hat“ diesen Wert nicht an sich, sondern früher einmal hatte sie ihn dadurch, dass es eine prinzipielle Garantie gab, dass man sie gegen den entsprechenden Wert in Gold eintauschen konnte. In den Banken mussten demzufolge entsprechende Goldmengen gelagert werden, bei einer 1:1-Deckung soviel Gold, dass der gesamte Bestand an ausgegebenen Banknoten eine

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gesicherte Referenzbeziehung aufwies. (Von dieser Golddeckung ist man bis heute Schritt für Schritt abgerückt. Aber das ist ein anderes Thema.)

In diesem Sinne stellt sich auch bei Computerdaten, die reale Objekte repräsentieren, die Frage, ob sie „gedeckt“ sind, es also eine Referenzbeziehung gibt zum Repräsentierten; und wie der Nutzer dieser Daten gegebenenfalls auf diese Referenzierung zurückgreifen, sprich die „Deckung“ einfordern kann.

In der Regel funktioniert dies auf der Basis von – allerdings nicht blindem – Vertrauen. Bestimmte Institutionen stehen – wie die Bank, deren Banknote man als Zahlungsmittel akzeptiert – dafür, dass man sich auf eine entsprechende Referenzbeziehung verlassen kann. Erst wenn solches Vertrauen erschüttert ist, wird in der Regel der materielle Nachweis eingefordert bzw. die behauptete Referenzbeziehung einer kritischen Befragung und Überprüfung unterzogen.

Was damit angesprochen ist, ist die Frage nach dem Umgang mit beispielsweise Internetquellen. Die Nutzung der Daten auf einer von einem Verlag ausgelieferten CD-ROM kann noch wie ein Buch vom Vertrauensvorschuss in die Seriosität des Verlags getragen sein. Analoge Technik wie die Verpackung, eine Lieferung über den Buchhandel usw. sind geeignet, solches Vertrauen zu stützen.

Anders, wenn die Daten über das Internet kommen. Die Fülle des Spams, die unsere Mailboxen überflutet, zeigt uns auch, wie wenig wir den Absenderangaben vertrauen können. Wir müssen hier sozusagen Indizienbeweise zu führen versuchen, um hinreichend sicherzustellen, dass das Material wohl aus seriöser Quelle stammt, sprich: die Informationen, die wir in digitaler Form erhalten, „gedeckt“ (oder „authentisch“) sind.

Eine Bildungsquelle sind Computerdaten also nur, wenn ihre Nutzung entsprechend „abgesichert“ erfolgt. Es ist demnach eine wichtige Anforderung an die pädagogische Nutzung der Neuen Medien als Informations- und Wissensquellen, ein Bewusstsein dieser Problematik zu fördern und Methoden zu vermitteln, wie die nötige Authentizitätsprüfung vorgenommen werden kann.

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8. Kommunikation und Kooperation Der grundlegende Unterschied des Kommunikationsmediums zum instrumentalen Medium ist darin zu sehen, dass das instrumentale Medium eine Subjekt-Objekt-Konstellation, das Kommunikationsmedium dagegen eine Subjekt-Subjekt-Konstellation vermittelt (wenngleich – wie gezeigt – diese Unterscheidung nicht absolut ist, da in gewissem Sinne auch bei der Bearbeitung eines Objekts dieses zum Bearbeiter sozusagen „spricht“).

Um die Bedeutung des Computers als Kommunikationsmediums für Pädagogik und Bildung untersuchen zu können, soll vorweg der allgemeineren Frage nachgegangen werden, welche Funktion Computer und Internet überhaupt im Kontext gesellschaftlicher Kommunikation erlangen können.

8.1 Computer und Internet im Kontext gesellschaftlicher Kommunikation

Ich greife hierzu zurück auf Überlegungen, die ich in der Vorlesung über „Grundlagen der Informationspädagogik“ vorgetragen habe. Gesellschaftliche Kommunikation vermittelt sich allgemein über Zeichen, die aus einem gemeinsamen Zeichenvorrat geschöpft werden, der zudem die Regeln für mögliche Anordnungen der Zeichen, also für die formale Logik des kommunizierten Ausdrucks (Syntax) enthält. Einen solchen gemeinsamen Zeichenvorrat samt Syntax nennen wir Sprache. Wenn Menschen miteinander kommunizieren wollen, müssen sie über eine gemeinsame Sprache verfügen und eine gemeinsame Sprache sprechen.

Damit ist die technische Seite der Sprache bezeichnet. Im Sinne der Vermittlung des alltäglichen Zusammenlebens der Menschen jedoch ist Sprache mehr. Sie schöpft nicht nur aus einem gemeinsamen Reservoir, sondern sie bezieht sich auch auf eine gemeinsame Lebenswelt. Die Zeichen bezeichnen etwas, sie bedeuten etwas, das heißt sie deuten auf etwas hin. Nur wenn die Bedeutung der Zeichen (Semantik) verstanden wird, kann kommuniziert werden. Als Kommunikationsmedium ist Sprache also zudem durch bedeutsamen Bezug auf die geteilte Lebenswelt der Gesellschaftsmitglieder bestimmt.

Die im Wort Kommunikation enthaltene Bedeutung des „Gemeinsamen“ (lat. communis = gemeinsam) meint demnach dies doppelte: die formale, technische wie auch die inhaltliche, sinn-deutende Seite von Kommunikation.

Nun hat jeder einzelne Mensch seine ganz besondere Lebensgeschichte und seine einzigartige Lebenserfahrung, die er so mit keinem anderen Menschen vollständig teilt. Die Gemeinsamkeit deckt also nicht alles ab, was für den einzelnen Menschen

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bedeutsam ist. Sie bildet zunächst einmal nur einen Ausschnitt der individuellen Erfahrungswelt, jenen Bereich, in dem sich die individuellen Erfahrungswelten überschneiden. Kommunikative Verständigung scheint so gesehen auf diesen Übereinstimmungsbereich beschränkt zu sein.

Doch enthalten auch die persönlichen Lebenswelten der einzelnen Gesellschaftsmitglieder bei aller Differenz eine interne Verwiesenheit aufeinander, durch die sie genötigt sind, es nicht beim jeweiligen Status der Übereinstimmung zu belassen, sondern sich aktiv aufeinander zu beziehen. Die individuellen Unterschiede, die Besonderheiten sind Unterschiede und Besonderheiten im Rahmen eines umfassenderen Zusammenhangs.

So bezieht sich Kommunikation nicht nur auf bestehende Gemeinsamkeit und verdoppelt diese gleichsam im Zeichen, sondern sie schafft auch neue Gemeinsamkeit durch den Austausch über Gemeinsames und Differentes und bringt damit jenen eigenen sozialen Erfahrungsbereich hervor, den wir Kultur nennen. Sie schafft kommunizierte (kulturelle) Gemeinsamkeit und erweitert auf diese Weise zugleich ständig den Bereich, auf den sie sich beziehen kann. Immer mehr sind die Inhalte der Kommunikation selbst schon kommuniziert oder aus Kommunikation hervorgegangen. Kommunikation ist ein dynamisierendes Moment sozialen Lebens. Sie setzt in Bewegung, setzt Entwicklung in Gang.

An dieser Grundstruktur gesellschaftlicher Kommunikation ändert sich zunächst nichts Wesentliches, wenn sie über Computer vermittelt stattfindet. Die technische Seite erfährt gewisse Modifikationen, erfüllt damit aber nur auf andere Weise die formalen Anforderungen an Sprache. Die durch Computer vermittelte Kommunikation von Menschen bleibt auf die Interpretation der Zeichen in ihrer lebensweltlichen Bedeutung verwiesen.

Mit der Ausbreitung und der Vernetzung der Computer tritt aber ein neues Phänomen auf: der Datenaustausch zwischen Computern. Verwirrenderweise wird auch hierfür der Begriff der Kommunikation (technische Kommunikation) in Anspruch genommen. Und angeblich lesen und schreiben Computer auch. Wir müssen also prüfen, worin diese Art der Kommunikation besteht und ob sie tatsächlich in demselben Sinne Kommunikation ist, wie wir es bisher erörtert haben.

Computer benötigen, um Daten miteinander austauschen zu können, ebenfalls eine gemeinsame Sprache: einen gemeinsamen Zeichenvorrat und eine gemeinsame Syntax. Beides ist gegeben. Die Sprache, die Computer miteinander sprechen, erfüllt die formalen Anforderungen, die auch für die zwischenmenschliche Kommunikation erfüllt sein müssen. Wir nennen sie Maschinensprache.

Allerdings: Soweit wir nur die interne Kommunikation zwischen den Maschinen betrachten, gibt es keinerlei Bezugnahme auf so etwas wie eine gemeinsame Erfahrungswelt. Computer machen keine Erfahrungen, über die sie sich austauschen. Ihre Sprache ist kontextfrei – eben formal. Sie enthält keine Semantik. Technische oder

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maschinelle Kommunikation findet in einem geschlossenen formalen System statt und ist intern ohne Verweis auf äußere (materielle) Lebensrealität. (Gelegentlich wird dennoch von einer internen Semantik der maschinellen Kommunikation gesprochen, wenn nämlich als Kontext, in dessen Zusammenhang bestimmte Zeichen etwas Bestimmtes bedeuten, der jeweilige Systemzustand betrachtet wird. Dieselben Zeichen(folgen) können dann je nach Systemzustand etwas Unterschiedliches bedeuten, d.h. unterschiedliche Folgeprozesse auslösen. Es ist klar, dass hier eine Uminterpretation dessen stattgefunden hat, was Kontext und Bedeutung heißen. Sie ändert jedoch nichts an der fundamentalen Differenz in der Bezugnahme auf eine Erfahrungsrealität.)

Maschinen kommunizieren also in einer anderen Weise miteinander als Menschen. Man kann von einer Formalisierung der Kommunikation sprechen, wenn man von der „materiellen“ zwischenmenschlichen Kommunikation ausgeht. Sie ist dann verbunden mit De-Kontextualisierung und Ent-Materialisierung. Soweit Menschen innerhalb dieses formalen Systems des Datenaustauschs zwischen Maschinen Funktionen übernehmen, fungieren sie selbst als Maschinenbestandteile (sind also auch durch Maschinen prinzipiell ersetzbar).

Systeme miteinander kommunizierender Computer werden in den Kontext gesellschaftlicher Kommunikation eingebracht. Als Netzwerke vermitteln sie dann eine Kommunikation, die sie umgreift. Wir finden Menschen dann „außerhalb“ und „innerhalb“ dieser Systeme. „Innerhalb“ fungieren sie als Maschinenbestandteile, d.h. als Bestandteile technischer Kommunikation. „Außerhalb“ kommunizieren sie mit anderen Menschen, auch über Netzwerke. Sie können zugleich innerhalb und außerhalb sein. Aber was sie drinnen und was sie draußen tun, ist fundamental unterschieden. Damit vernetzte Computersysteme als Kommunikationsmedien fungieren können, muss im ersten Schritt die zwischenmenschliche Kommunikation formalisiert, also dekontextualisiert und entmaterialisiert werden. Dies entspricht dem „Schreiben“ (oder Sprechen) eines Textes. Im zweiten Schritt muss die formale Kommunikation wieder rekontextualisiert, materialisiert (interpretiert) werden. Dies entspricht dem „Lesen“ (oder Hören/Vernehmen) eines Textes.

Der Einsatz von Computern als Kommunikationsmedien bedeutet Vermittlung durch Formalisierung. Formalisierung ist die Entbindung von Kontexten; und eben diese Schaffung eines bedeutungsfreien Kommunikationsraums wiederum erlaubt eine Verselbständigung (Automatisierung) von Computeroperationen. Computer leiten nicht mehr nur weiter, was ihnen eingegeben wird, an eine Instanz nämlich, welche die übermittelte Botschaft zu interpretieren vermag. Sondern weil für formale Zeichenoperationen ein Verständnis der Bedeutung der Zeichen nicht mehr nötig ist, können sie selbst unmittelbar darauf reagieren. Sie werden „interaktiv“.

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8.2 Interaktivität Die durch Formalisierung der Kommunikation ermöglichte Interaktivität lässt Computer wie Kommunikationspartner auftreten. Statt nur die Kommunikation zwischen zwei oder mehr Personen zu vermitteln, erscheint er selbst als der Partner, an den man sich wendet, der antwortet oder auch selbst die Initiative ergreift. Was genau geschieht dabei?

Wir haben es hier mit einer Konfrontation des „Drinnen“ und „Draußen“ zu tun. „Draußen“ ist eine Person, die wissen will, welche Bücher eines Autors namens Seesink es gibt. Sie tippt den Namen in eine entsprechende Suchmaske ein und bekommt die Antwort, dass Bücher eines Autors mit diesem Namen nicht gefunden worden seien. Aber vielleicht sei ja ein gewisser Sesink gemeint, und von dem gebe es die folgenden Bücher. Und zu den Themenfeldern, die dieser Autor bearbeite, gebe es gerade eine interessante Neuerscheinung. Außerdem – wenn die Person draußen sich für Bücher dieses Autors interessiere, dann habe sie ja vielleicht auch ein Faible für blutige Horrorfilme; und da könne man ihr die folgenden Kettensägen-Streifen anbieten.

Anfangs ist die Person draußen relativ angetan. Sie erhält eine Rückmeldung, in der auf sie eingegangen wird, indem ihr eine Interpretation angeboten wird, was sie gemeint haben könnte. Und zudem bekommt sie auch noch einen sinnvollen und hilfreichen weiterführenden Literaturhinweis. Besser hätte sie es auch in ihrer Buchhandlung nicht antreffen können. Allerdings geht die Beratung noch einen Schritt weiter, und jetzt wird es dubios. Hätte die Empfehlung auf anspruchsvolle deutsche Autorenfilme gelautet, hätte es „gepasst“, und die Person draußen hätte sich noch besser verstanden gefühlt. So aber, als Liebhaber von Kettensägen-Massakern, empfindet sie sich doch auf kränkende Weise falsch wahrgenommen.

Für unsere Überlegungen ist es aber unerheblich, ob die Reaktion des Computers nun passte oder ob sie nicht passte. Solche Fehleinschätzungen von Personen sind auch in der zwischenmenschlichen Kommunikation an der Tagesordnung. Menschen können sich in anderen Menschen irren. Der Kommunikationspartner ist nicht der, für den man ihn hält. Aber der Computer hat sich in unserem Beispiel keineswegs geirrt. Sein Kommunikationspartner war durchaus der, für den er ihn hielt. Denn der Computer kommuniziert nicht mit der Person „draußen“ (das kann er gar nicht, weil es für ihn kein „draußen“ gibt). Er kommuniziert mit einem Datenmodell der Person „draußen“. Und dieses Datenmodell weist in der entsprechenden Variablen (Filmvorlieben) eben diesen Wert (blutiger Horrorfilm) auf. Einen „Irrtum“ in der Einschätzung sieht man nur, wenn man „drinnen“ und „draußen“ zueinander in Relation setzt. Das kann der Computer nicht. Seine Kommunikation bleibt rein intern.

Wie „passend“ seine Reaktionen sind, ist vom Grad der Adaptivität des Computers abhängig. Adaptivität ist aber formal eine Programmroutine ohne Bezug zur Person, an die das Programm sich anpassen soll. (Vgl. 5. Kapitel dieser Vorlesung) Für den Betrachter draußen gibt es eine mehr oder weniger gelungene Adaption und eine mehr

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oder weniger „sensible“ Adaptivität. Von draußen kann auch der Computer so programmiert werden, dass er sein Datenmodell vom Kommunikationspartner aufgrund bestimmter Eingaben modifiziert. Aber das tut er dann nicht, weil er seinen „Irrtum“ bemerkt, sondern weil und nur wenn er so programmiert ist.

Bei der Person draußen verhält es sich anders. Sie kommuniziert durchaus im ursprünglichen Sinne; denn für sie bedeuten sowohl ihre Eingaben als auch die Reaktionen des Computers etwas. Sie „meint“ etwas, wenn sie eine Eingabe macht; und sie interpretiert und versteht die Mitteilungen des Computers. Für sie ist es, als ob sie mit einem anderen Menschen kommuniziert.

Dies kann Unterschiedliches bedeuten:

Zum ersten kann der Gehalt der Kommunikation bereits so formalisiert sein, dass die Reaktion eines formalen Systems in der Tat als angemessen erscheint. Bei der Fahrplanauskunft etwa oder bei Reisebuchungen kommt es in der Regel nicht darauf an, ob der andere mich als Mensch versteht und weiß, was für mich „Reisen“ bedeutet, sondern auf die korrekte Operation. Wenn wir es gewohnt waren, dass andere Personen uns bei diesen Angelegenheiten als Ansprechpartner gegenüberstanden, kommt uns die Kommunikation mit dem Computer wahrscheinlich vor wie mit den Menschen zuvor. Doch kann man die Aussage auch umkehren: Schon zuvor haben wir mit diesen Menschen kommuniziert wie mit Maschinen.

Zum zweiten aber kann die Art der Reaktion des Computers bei uns das Gefühl auslösen, als Personen verstanden worden zu sein (das berühmte ELIZA-Beispiel [Weizenbaum 1978]). Da dies nicht der Fall sein kann, ist die Frage, was denn bei uns wirksam wird, wenn wir so empfinden.

Ich interpretiere dieses Empfinden als Folge und Ausdruck einer Projektion: Wir imaginieren ein personales Gegenüber, das uns versteht. Vielleicht nehmen wir wirklich an, dass da irgendwo verborgen im Hintergrund eine Person unsere Mitteilungen liest und uns persönlich antwortet; vielleicht anthropomorphisieren wir aber auch – bewusst oder unbewusst – den Computer. Die imaginierte Person ist eine subjektive Schöpfung; und mit dieser imaginierten Person kommunizieren wir. Es wäre also eine Art Selbstgespräch (wie wir es manchmal ja tatsächlich führen, wenn wir allein sind und uns sehr intensiv und konzentriert mit etwas auseinandersetzen). Der Computer bietet in dieser Interpretation nur eine mehr oder weniger günstige Fläche für die subjektiven Projektionen.

Interaktivität verbunden mit hoher Adaptivität führt zur Illusion der Individualisierung. Das kann unterstützt werden durch eine persönliche und namentliche Begrüßung im Anschluss an die Identifizierung des menschlichen Kommunikationspartners – wobei auch dies wiederum nicht dem persönlichen Wiedererkennen entspricht, sondern aus einer singulären Datenkonstellation abgeleitet wird. Individuen können nur durch Individuen als solche angesprochen werden; Individualität gibt es nur in personaler Kommunikation.

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8.3 Kommunikation in der Bildung Es mag uns als trivial erscheinen, Lehren und Lernen als kommunikative Prozesse zu betrachten. Tatsächlich ist jedoch die Bedeutung dieser Tatsache für die Didaktik erst relativ spät in den Vordergrund gerückt worden. Lang Zeit galt Lernen im wesentlichen als Nachvollzug der lehrend vorgestellten Gedankengänge. In Konsequenz dieser Sichtweise wurde den Lernenden kein wesentlicher eigener Beitrag zum Unterrichtsgeschehen zugebilligt. Als vollwertige Kommunikationspartner kamen sie so nicht in Betracht.

Eine kommunikative Didaktik, welche den Unterrichtsprozess als einen Austausch zwischen in Wissen und Erfahrung zwar unterschiedenen, einander prinzipiell jedoch gleichberechtigten Partnern versteht, entstand in Westdeutschland in den 70er Jahren [Schäfer/Schaller 1976]. Nicht nur die Lernenden haben demnach zu verstehen, was die Lehrenden vorstellen, sondern die Lehrenden haben auch zu verstehen, was die Lernenden mitbringen, was sie brauchen, was sie beizutragen haben; und sie haben sich den Lernenden auf dieser Basis verständlich zu machen. Nicht mehr die Korrektheit des Inhalts steht allein im Vordergrund; sondern das Gelingen der Kommunikation wird mindestens gleich wichtig für das Gelingen des Unterrichts.

Kommunikation kann in der Bildung in vielfältiger Weise bedeutsam werden. Ich unterscheide nach den beteiligten Partnern: Sie vollzieht sich a) zwischen Lehrenden und Lernenden, b) zwischen den Lernenden, c) zwischen den Lehrenden und d) im gesellschaftlichen Zusammenhang.

a) Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden:

• Unterrichtskommunikation im engeren Sinne: die Kommunikation, in der Lehren zum Lernen anregen soll und in der es vorrangig um die Inhalte des Lehrens geht;

• Austausch von Informationen, die benötigt werden, um jeweils die eigene Aufgabe erfüllen zu können;

• Beratung hinsichtlich empfehlenswerter Lernwege und dergleichen; • unterstützende Kommunikation beim Lernen (Betreuung); • lebensweltliche Kommunikation …

b) Kommunikation zwischen den Lernenden:

• Kommunikation im Rahmen von Zusammenarbeit (gemeinsames Lernen); • (gegenseitige) Hilfe bei der Erfüllung der Lernaufgaben; • Information über lernrelevante Dinge; • lebensweltliche Kommunikation …

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c) Kommunikation zwischen den Lehrenden:

• Kommunikation im Rahmen von Zusammenarbeit (gemeinsames Lehren); • (gegenseitige) Hilfe bei der Erfüllung der Lehraufgaben; • Information über lehrrelevante Dinge; • lebensweltliche Kommunikation …

d) Kommunikation im sozialen Kontext:

• Lernen aus dem sozialen Diskurs; • Unterricht als Beitrag zum sozialen Diskurs.

8.4 Computervermittelte Kommunikation in der Bildung

Folgende Formen der Vermittlung von Kommunikation durch Computernetzwerke sind zur Zeit vorwiegend im Gebrauch:

• Verteilung von Kommunikationsbeiträgen (elektronische Post); • direkte Kommunikation (Chat; Audio- oder Videokonferenzen; Internet-

Telefonie); • Kommunikationsforen zu speziellen Themen (Newsgroups u.a.); • Schwarze Bretter; • Plattformen …

Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, befindet sich doch die Technologie der neuen Medien in ständiger Weiterentwicklung, nicht zuletzt unter dem Einfluss der Anwender, deren Kommunikationsbedürfnisse, angeregt durch die Möglichkeiten, welche die neuen Medien bieten, sich verändern und entwickeln und entsprechende Anforderungen an die konkret verfügbare Kommunikationstechnik stellen.

In der Literatur werden Vorzüge und Nachteile, aber auch Besonderheiten der Kommunikation über Computernetzwerke vielfältig diskutiert. Wenn es darum geht, welche Aspekte der zwischenmenschlichen Kommunikationen unterstützt werden, werden u.a. folgende Punkte hervorgehoben:

• Spontaneität: bezieht sich auf die Senkung des Aufwands zum Verschicken von Nachrichten per eMail. Für Unterricht und Bildung kann dies heißen, dass Fragen dann gestellt werden können, wenn sie entstehen; dass Beiträge dann geliefert werden, wenn sie noch frisch sind usw. Spontaneität hat aber ihre Grenzen an Ort und Zeit der Verfügbarkeit der nötigen technischen Ressourcen (betriebsbereiter

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Rechner im unmittelbaren Zugriff); wenn erst der Rechner eingeschaltet und hochgefahren werden muss, ist es nicht mehr so weit her mit der Spontaneität;

• Zeitunabhängigkeit: bezieht sich darauf, dass keine Rücksicht genommen werden muss auf Öffnungszeiten und dergleichen; Grenzen wie oben;

• Asynchronität: meint die Möglichkeit zeitversetzter Kommunikation; kann aber auch ein großes Durcheinander erzeugen hinsichtlich der Einordnung unterschiedlicher Beiträge in den Verlauf des Kommunikationsprozesses;

• Ortsungebundenheit: hebt die Möglichkeit hervor, von jedem Ort aus (an dem ein Netzzugang gegeben ist) an Kommunikation teilzunehmen; die Kehrseite ist die Ortsgebundenheit, die darin besteht, dass nur von Orten aus teilgenommen werden kann, an denen Rechner und Netzwerkzugang verfügbar sind; dieses Problem wird gemildert im Zuge der Miniaturisierung der Geräte (kann man immer und überall bei sich tragen; in der Entwicklung sind „wearable“ und „invisible computing“) und der Technik drahtloser Datenübertragung;

• Anonymität: bezeichnet die Möglichkeit, am Kommunikationsprozess „ohne Ansehen der eigenen Person“ durch andere teilzunehmen, was es erleichtern kann, sich auf die Inhalte der Kommunikation zu konzentrieren und sie nicht vor dem Hintergrund einer Kenntnis der äußernden Person auf Ungesagtes hin zu interpretieren; verleitet andererseits zur Unverbindlichkeit.

Im Rahmen von Bildungsprozessen spielen Computernetzwerke als Kommunikationsmedien jedoch noch eine untergeordnete Rolle. In der Hauptsache wird der Computer als instrumentales Medium oder als Reflexionsmedium (vgl. 9. Kapitel) eingesetzt, während doch in der Gesellschaft gerade seine kommunikationsvermittelnde Funktion zur Zeit erheblich an Bedeutung gewinnt. Weder findet die Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden, noch die zwischen den Lernenden oder zwischen den Lehrenden in einem nennenswerten Umfang über eMail oder Chat oder Foren statt. Allein die Kommunikation nach außen, die Kommunikation im sozialen Kontext ist bisher als bedeutsam wirklich erwähnenswert. Wir kennen eine darauf bezogene Diskussion unter der Schlagzeile „Schulen ans Netz“ . Wie an dieser Vorlesung zu sehen und in ihr zu erfahren (Foren, Online-Tutorium, Interaktives Skript), kann dies jedoch nur als vorläufige Feststellung gelten. Die Bildungsinstitutionen werden die Möglichkeiten computer- und netzwerkunterstützter Kommunikation sicher noch in umfassenderer Weise entdecken und nutzen.

8.4.1 Lernen aus dem sozialen Diskurs Das Programm „Schulen ans Netz“ ist zuerst ein Investitionsprogramm. Es hat nichts mit pädagogisch-didaktischen Konzepten zu tun. Schulen sollen mit Technik versehen werden. Aber natürlich steckt dahinter auch die Erwartung, dass sich in Folge dieser Investititionen die pädagogische Praxis in den Schulen verändere, und zwar in eine Richtung, die als wünschenswert gilt. Es sind zwei pädagogische Hauptmotive, die – neben den wirtschaftlichen Interessen – maßgeblich sind:

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• das Interesse an einer informationstechnischen Qualifizierung der nachwachsenden Generation zur Nutzung des Neuen Mediums Internet; dieser Gesichtspunkt gehört in den Reflexionsbereich Informationstechnischer (Grund-)Bildung und soll daher hier nicht weiter erörtert werden;

• die Erwartung einer Qualitätsverbesserung pädagogischer Arbeit durch die Nutzung des Neuen Mediums; dieser Aspekt betrifft die Frage einer Pädagogik der Neuen Medien und soll im folgenden weiter verfolgt werden.

Erwartet wird, dass die Schulen – wenn ihnen die Technik dafür erst einmal zur Verfügung steht – sich via Internet zur Gesellschaft, und zwar zur globalen Gesellschaft hin öffnen. Eine Funktion, die dem Internet zugeschrieben wird, ist sicher die eines ungeheuren und ständig wachsenden Wissensspeichers. So gesehen soll das Internet ergänzend zu den bisher in der Schule gebrauchten Medien der Repräsentation des Weltwissens treten. Die Funktion, um die es im Zusammenhang mit dem Internet als Kommunikationsmedium aber geht, ist die der Kontaktaufnahme und Kommunikation mit der Welt, sprich mit all den anderen Personen und Gruppen, die ebenfalls dieses Medium zur weltweiten Kommunikation nutzen.

„Verständigung weltweit“ hieß es etwa programmatisch in einer Broschüre des nordrhein-westfälischen Kultusministeriums zur Begründung der Initiative „Schulen ans Netz“. In Zeiten, in denen weltweit kulturelle Differenzen stärker hervortreten, sollte demzufolge die Vernetzung der Schulen „internationale Verständigung“, „interkulturelle Begegnung“, „grenzüberwindendes Lernen“ ermöglichen. Mit der Welt kommunizieren, so scheint die darin enthaltene These zu lauten, heißt die Welt verstehen.

Leider wird hier sehr umstandslos die technische mit der zwischenmenschlichen Kommunikation zusammengeworfen. Als ob der Mangel an „Verständigung weltweit“ in erster Linie auf einen Mangel an technischer Kommunikation zurückzuführen sei und, wenn dieser Mangel aufgehoben sei, sich wie von selbst alle Konflikte in das Wohlgefallen „weltweiter Verständigung“ auflösten.

Aber kann denn wirklich jemand ernsthaft glauben, dass unsere Skins, wenn sie im Internet auf einen ausländischen Mitbürger treffen, jene Akzeptanz für die Andersartigkeit seiner Kultur entwickeln, die sie im wirklichen Leben bei wirklicher Begegnung nicht aufbringen? Wir wissen doch, dass schon zwischen den Schülern zweier Schulformen im selben Schulzentrum bei uns kaum überwindbare Kommunikationsbarrieren bestehen und oft eher Gewalt als sprachliche Verständigung die Form ist, in der man sich „begegnet“. Und da soll die virtuelle Begegnung in der Lage sein, „weltweit“ ein anderes Klima zu schaffen?

Verstehen geht über technische Kommunikation hinaus. Denn es verlangt, sich auf die Lebenswirklichkeit des andern einzulassen. Gerade wenn sie meiner eigenen Erfahrung nicht unmittelbar zugänglich und sie mir daher erst einmal fremd ist, kann Kommunikation eine Gemeinsamkeit herstellen. Und selbstverständlich könnte das Internet im Prinzip hierfür ein wertvolles Medium sein – sofern es geeignet wäre, Einblicke und Einsichten zu vermitteln in die fremde Lebenswelt. Hierfür aber setzt die

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vermittelnde Formalisierung insofern Grenzen, als sie es der Imagination der Kommunikationsteilnehmer überlassen muss, am Leben der anderen teilzunehmen. Was zugänglich ist, ist immer nur eine mediale Darstellung dieses Lebens. Das ist bei anderen Medien nicht anders, aber das Internet suggeriert Unmittelbarkeit: „Verständigung weltweit“.

Was hingegen tatsächlich geschieht, ist die Etablierung einer neuen Kommunikationsgemeinschaft: der virtuellen Gemeinschaft des Internet, in der die Unterschiede der Lebensformen gerade keine Rolle mehr spielen, in der jeder, der die Spielregeln beherrscht, zugelassen ist, wahrhaft ohne Ansehen der Person.

Sherry Turkle hat eben darin die besondere kulturstiftende Rolle des Internet gesehen: Es bildet einen neue Kulturraum [Marotzki 2003], in dem die Kommunikation nicht mehr auf der Basis gemeinsamer Lebenswirklichkeiten stattfindet, sich nicht mehr auf diese bezieht und auch nicht mehr deren Weiterentwicklung intendiert, sondern wo gleichsam ein kultureller Neuanfang gemacht wird, der sich direkt und ursprünglich aus der formalisierten Kommunikation speist und keinen Bezug mehr pflegt zu einer materiellen Sphäre: „Life on the screen“ (so der Originaltitel von [Turkle 1999]). Die Personen, die hier miteinander kommunizieren, schlüpfen in beliebige konstruierte Identitäten; die Frage, ob sie die wirklich sind, als die sie sich ausgeben, spielt keine Rolle mehr. Jede/r ist, als was sie/er sich gibt.

Was kann man aus einer solchen Kommunikation lernen? Hat sie eine Bedeutung, die über die Binnensphäre des Internet hinausgeht? Oder wird hier nicht das Internet selbst zum Lernanlass?

Eine über die Binnensphäre des Internet hinausgehende Bedeutung hat diese Art der Kommunikation und Gemeinschaftsbildung, wenn sie in zunehmendem Umfang maßgeblich wird für die Kommunikation auch „draußen“ in der Lebenswelt, also auch dort die Unterschiede nach Geschlecht, Herkunft, Rasse, Behinderung usw. zurücktreten. Manche sehen darin einen potenziellen humanen Fortschritt, insofern Vorurteile, die sich an eben diese Merkmale der lebendigen Personen heften, ihre Wirksamkeit verlieren. Viele fürchten aber auch, dass damit zugleich die positiven Aspekte personaler Kommunikation, nämlich gerade die Anerkennung, Achtung und Wertschätzung der Andersheit der Kommunikationspartner irrelevant werden.

Im Schulbereich wird zum Beispiel viel Hoffnung auf die völkerverbindende Wirkung grenzüberschreitender Kommunikation gesetzt. Transnationale Begegnungen werden im virtuellen Raum des Internet arrangiert; und die Schülerinnen und Schüler berichten sich dort gegenseitig über ihre Interessen, Freizeitbeschäftigungen usw.

Was sich dabei zeigt, ist, dass die Themen, über die dort die intensivste Kommunikation stattfindet, aus Bereichen stammen, die längst Merkmale einer internationalen Kultur aufweisen (Mode, Popmusik, Sport, Kino), worin sich also gerade nicht die nationalen und regionalen Unterschiede in Kultur und Lebensform kennenlernen lassen.

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8.4.2 Lernen als Beitrag zum sozialen Diskurs Die Schulen und die Menschen in ihnen sollen sich über das Internet aktiv in einen weltweiten Kommunikationszusammenhang einbringen. Staatlich institutionalisierte Bildung soll aus der relativen Isolation des Schonraums Schule heraustreten und sich diskursiv bewähren, das heißt auch der Konkurrenz durch andere Instanzen stellen, welche ebenfalls pädagogische Angebote zu machen haben.

Schulen (und andere Bildungseinrichtungen) ans Netz zu bringen, eröffnet nicht nur die Chance, das Internet als Bildungsquelle zu nutzen. Das Programm bringt auch die Bildungseinrichtungen selbst in die (virtuelle) Öffentlichkeit, macht sie dort gleichsam „sichtbar“. Schulen sollen ihre Profile darstellen, für ihre Arbeit werben; also auch legitimieren, wie sie ihren gesellschaftlichen Bildungsauftrag wahrnehmen.

Institutionalisierte Bildung wird in aller Regel als eine Vorbereitung verstanden, durch die die Lernenden erst die Kompetenz zur mündigen Teilnahme an der gesellschaftlichen Diskussion erwerben. Diese Vorbereitung erscheint selbst nicht schon als Beitrag zu dieser Diskussion; weshalb sie abgetrennt vom öffentlichen Geschehen in der relativen Abgeschiedenheit der Institution organisiert wird.

Durch die Anbindung ans Netz wird institutionalisierte Bildung zu einem gewissen Maße herausgeholt aus ihrer Abgeschiedenheit und öffnet sich dem gesellschaftlichen Diskurs. Über das Internet wird Bildung potenziell selbst ein Beitrag zum gesellschaftlichen Kommunikationszusammenhang und bereitet nicht mehr nur auf die Teilhabe vor. Dies wird die Bildung voraussichtlich in nicht unerheblichem Maße verändern.

Lehrerinnen und Lehrer, die ihren Unterricht ein Stück weit „veröffentlichen“, indem sie Konzepte und Materialien ins Netz stellen, lassen sich damit auch auf einen potenziellen Diskurs über ihre pädagogische Arbeit ein. Und Schülerinnen und Schüler, die ihre Arbeitsergebnisse im Netz sichtbar machen, müssen sich auf eine ganz andere Art von Resonanz einstellen, als sie sie im geschlossenen Raum des Klassenzimmers gewohnt sind. Lernen erfährt ein höheres Maß der Anerkennung seines sozialen Werts. Diese Aufwertung kann zu einem höheren Maß an Verantwortlichkeit für die Qualität des eigenen Lernens führen.

8.5 Kollaboratives Lernen Beim Kooperativen oder kollaborativen Lernen findet eine Verbindung der instrumentalen Dimension des Mediums mit seiner kommunikativen statt. Kollaboratives Lernen ist Lernen in der Gruppe und als Gruppe durch Zusammenarbeit. Wirksam ist hier einerseits der Zusammenhang von Lernen und Arbeit, über den schon im 4. Kapitel dieser Vorlesung unter „Schularbeit“ geschrieben wurde: dass gelernt werden muss, um arbeiten zu können (Lernen als Voraussetzung der Arbeit), dass aber

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auch aus der Arbeit gelernt wird (Arbeit als Quelle des Lernens). Diese Bedeutsamkeit des Lernens für die Arbeit und der Arbeit für das Lernen erweitert sich in der Zusammenarbeit um die kommunikative Dimension.

Erörtern wir dies am Beispiel der Erstellung einer gemeinsamen Präsentation für einen Seminarvortrag durch eine Gruppe von Studierenden. Die Anforderungen an die Gruppenmitglieder haben zunächst einmal noch nichts mit dem Einsatz von Computer und Internet als Kommunikationsmedium zu tun, wohl aber mit Kommunikation. Erfolgreiche Zusammenarbeit verlangt nämlich (außer der Qualifikation der Einzelnen, überhaupt einen Beitrag zum gemeinsamen Produkt leisten zu können) etwas, das wir als Teamfähigkeit zu bezeichnen pflegen (vgl. dazu das 2. Kapitel dieser Vorlesung): Fähigkeit, auf den anderen einzugehen; Fähigkeit, sich anderen verständlich zu machen; Fähigkeit, mit Heterogenität (unterschiedlichen Stärken und Schwächen der Gruppenmitglieder) konstruktiv umzugehen; Fähigkeit, von anderen zu lernen und andere von sich lernen zu lassen; Fähigkeit, den Prozess der Kooperation miteinander zu reflektieren und gemeinsame Lehren aus den gemachten Erfahrungen zu ziehen; Verbindlichkeit und Verlässlichkeit; Fähigkeit, den eigenen Beitrag organisch mit den Beiträgen anderer zu einem konsistenten und stimmigen Ganzen zu verbinden, und sicher noch einiges mehr.

Dass Gruppenarbeit im studentischen Alltag nicht allzu gut funktioniert, ist bekannt. Der Rahmen, den die Universität steckt, ist im Großen und Ganzen auf die individuelle Studienleistung ausgerichtet. Es gibt kaum Arbeitsplätze und -räume für Gruppenarbeit; Stundenpläne werden individuell erstellt; Studien- und Prüfungsleistungen werden weit überwiegend individuell bewertet usw. Der „Arbeitsalltag“ von Studierenden sieht daher Kooperation kaum vor. Wenn sie dann doch verlangt wird, treten enorme Schwierigkeiten auf, die hauptsächlich mit der Inkongruenz der individuellen Zeitpläne zusammenhängen.

Das Resultat ist, dass es oft gar nicht zur wirklichen Kooperation kommt, sondern Gruppenarbeit in Einzelarbeit konvertiert wird: Aufgaben werden in Stücke geteilt und streng arbeitsteilig erledigt; die Ergebnisse werden additiv zusammengesetzt, aber weder aufeinander bezogen noch zu einem in sich stimmigen Ganzen integriert.

Da wäre es hilfreich, wenn die durch das Medium gegebenen Möglichkeiten asynchroner unsd ortsunabhängiger Kommunikation auch für die gemeinsame Bearbeitung von Arbeitsaufgaben genutzt werden könnten. Das Akronym für solche Software lautet CSCW (Computer Supported Collaborative Work). Obwohl nicht speziell für Lernzwecke entwickelt, kann sie doch hierfür ebenfalls genutzt bzw. zu CSCL (Computer Supported Collaborative Learning) weiterentwickelt werden.

Wichtige Merkmale solcher Systeme sind:

• Gemeinsam zu nutzende virtuelle Arbeitsräume (work-spaces), in denen für alle Beteiligten Tools, zu bearbeitende Aufgabenstellungen und Objekte sowie Informationen bereitgestellt werden;

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• Unterstützung unterschiedlicher Kommunikationsformen (Chat, Foren, Meetings; • Unterstützung der verteilten Arbeit mehrerer Personen an ein und demselben

Objekt bzw. Projekt (z.B. Dokument) mit Versionsverwaltung; • Unterstützung von Projektmanagement durch Kalender, Arbeitsfluss-Diagramme

usw. • Zuweisung unterschiedlicher Rollen in der Gruppe und für die Gruppe,

verbunden mit unterschiedlichen Berechtigungen.

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9. Simulationen

9.1 Theoretische und praktische Reflexion Mit dem Thema Simulationen kommen wir in den Bereich, der in der Übersicht über die Dimensionen der Medialität (vgl. 3. Kapitel) mit Reflexivität bezeichnet worden war.

Der Begriff der Reflexion ist im Kontext pädagogischer Überlegungen primär mit Nachdenken konnotiert. Etwas reflektieren heißt soviel wie über etwas nachdenken. Diese Bedeutung von Reflexion leitet sich aus einem Bild ab, demzufolge Nachdenken verstanden werden kann als eine Art geistiger Wiederspiegelungsprozess: Ich mache mir von dem, was ich leibhaftig erfahre oder wahrnehme, ein geistiges Bild, eine „Vorstellung“; d.h. ich erfahre etwas nicht einfach, sondern schaffe eine geistige Repräsentation des Erfahrenen. Diese kann ich nun „vor mich stellen“ (Vorstellung), also in gewissem Sinne von mir lösen und mir gegenüberstellen (geistige Objektivation).

So von mir gelöst und mir gegenübergestellt kann ich diese geistige Repräsentation des Erfahrenen sozusagen betrachten. Das Denken „betrachtet“ dann eine Hervorbringung seiner selbst und so sich selbst als Vorstellungen erzeugendes Denken – wie in einem Spiegel. Dadurch wird es dem Denken möglich, eine Relation herzustellen zwischen der Vorstellung (der geistigen Repräsentation) und dem Vorgestellten (dem Repräsentierten). Es kann seine Vorstellungen zum Beispiel daraufhin prüfen, ob sie dem Vorzustellenden angemessen sind, ob sich in ihnen die Erfahrungsgehalte hinreichend wiederfinden, und gegebenenfalls versuchen, andere, angemessenere Vorstellungen zu entwickeln.

Meinen Vorstellungen kann ich nun materiellen Ausdruck geben, indem ich sie äußere, im gesprochenen oder geschriebenen Text, in einem gemalten Bild, in einem Film oder sonstwie. In geäußerter Form stehen sie auch anderen Menschen zur Betrachtung zur Verfügung, auch sie können prüfen, ob meine Vorstellungen ihre Erfahrungen angemessen repräsentieren, und können dann mit mir in eine Auseinandersetzung darüber eintreten.

Das kann zu neuen, gemeinsamen oder geteilten Vorstellungen führen. Die theoretische Reflexion wird sozial. So in etwa kann man sich die Entwicklung von kollektiven (religiösen, philosophischen, wissenschaftlichen …) Vorstellungen „vorstellen“. Alle Medien, die es ermöglichen, für mich persönlich oder in sozialen Zusammenhängen Vorstellungen von Welt oder Ausschnitten der Welt materiell zum Ausdruck zu bringen, können als Medien theoretischer Reflexion angesehen werden: Bilder, Texte, Filme usw. (Das griechische Wort theoria meint ursprünglich „Betrachtung“.)

Weniger geläufig ist der Begriff praktische Reflexion. Damit meine ich folgendes: Die Vorstellung von Welt, die ich habe, kann noch in einem anderen Sinne materiellen Ausdruck erhalten: Sie kann sich in sozialen und technischen Apparaten und anderen

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Objektivationen niederschlagen, die nicht primär dazu gedacht sind, betrachtet zu werden, sondern dazu, die Welt gemäß diesen Vorstellungen zu formen. Auch in den Apparaten können wir unsere Vorstellungen von Welt (Weltbilder) gleichsam „betrachten“ (sie sind Ausdruck dieser Vorstellungen); aber zugleich sorgen sie für eine Übereinstimmung zwischen Welt und Vorstellung, indem sie nicht (wie bei der theoretischen Reflexion) die Vorstellung der Welt, sondern die Welt der Vorstellung anpassen. So reflektieren Apparate unsere Vorstellungen auf eine andere Weise: Wir werden von Betrachtern zu Gestaltern.

9.2 Modellierung und Simulation Diese allgemeinen Überlegungen zum Begriff der Reflexion lassen sich nun auf die Neuen Medien beziehen.

Institutionalisierten Bildungsprozessen ist grundsätzlich ein medialer, vermittelnder Charakter zu eigen, insofern Bildung in der Distanz zu den realen Lebensverhältnissen organisiert und realisiert wird. Die Sachverhalte, über die Bildung doch aufklären und die sie vermitteln soll, erscheinen im Bildungszusammenhang fast durchweg nur noch in Gestalt von symbolischen Repräsentationen. Diese sie prägende Tatsache ist jedoch selten selbst Gegenstand und Thema der Bildung. Wenn etwa anhand eines Schaubildes über die klimatischen Verhältnisse Südafrikas gelehrt und gelernt wird, wird über das südafrikanische Klima, nicht über Beschaffenheit, Funktion und Wirkung eines Schaubildes gesprochen, also gelernt, als ob die Sache durch ihre mediale Vermittlung hindurch in ursprünglicher unverfälschter Gegenständlichkeit erschiene.

So gesehen kann von einer sehr weitgehenden methodischen Unreflektiertheit institutionalisierter Bildung gesprochen werden. Wenn dennoch der wirklichkeitsferne Charakter schulischen Unterrichts geradezu sprichwörtlich ist, dann deshalb, weil die ihm bisher zur Verfügung stehenden medialen Vermittlungsformen nicht gerade geeignet sind, Verwechslungsgefahr (zwischen Repräsentation und Repräsentiertem) aufkommen zu lassen. Mit den Neuen Medien hat sich dies grundlegend geändert.

Eines der wichtigsten Charakteristika der Neuen Medien ist nämlich ihre hervorragende Eignung, unsere Vorstellungen der Wirklichkeit in formalen Modellen abzubilden und diese visuell zur Darstellung zu bringen. Formale Modelle sind Konstrukte, welche auf einer spezifischen theoretischen Abstraktion beruhen, die als Formalisierung zu bezeichnen ist. Formalisierung heißt Mathematisierung (Fassung in mathematischen Formeln/Gleichungen) und erlaubt die automatische, maschinelle Berechnung von Zuständen bzw. Zustands-Veränderungen im Rahmen des Modells.

Für die Repräsentation von dynamischen Wirklichkeitsprozessen im Modell hat sich im Kontext der Neuen Medien der Terminus Simulation eingebürgert. Wenn wir von Simulationen sprechen, ist also immer ein Repräsentationsverhältnis der in ihnen

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enthaltenen theoretischen Abstraktion (der Simulation) zur Wirklichkeit (zum Simulierten) mitangesprochen.

Realität ist unserem Alltagsverständnis nach

• das, was uns gegenübersteht, die von uns unabhängige Objektwelt; aber auch • die Welt, in der wir leben, die daher auch uns selbst, unser Handeln, unser

Erleben, unsere Ziele, Wünsche und Träume mit beinhaltet. Simulation ist dagegen die Nachahmung der Realität bzw. von Ausschnitten aus der Realität. In diesem (vorläufigen) Sinne gibt es z.B.

• eine reale („natürliche“) Intelligenz (des Menschen) und eine simulierte („künstliche“) Intelligenz;

• eine reale Objektstruktur (z.B. den inneren Aufbau eines Atoms) und eine simulierte Objektstruktur (Atommodell);

• eine reale Lebenswelt und eine simulierte Lebenswelt (Virtuelle Realität).

Simulationen haben und gebrauchen wir, unabhängig vom Computer, zu unterschiedlichen Zwecken:

• zur Re-Konstruktion (Abbildung, Nachbildung) einer Realität, die es gibt; • zur projektiven Konstruktion (zum Entwurf ) einer Realität, die es geben sollte

und könnte; • zur freien (fiktionalen) Konstruktion (Erfindung) einer Realität, die es geben

sollte, unabhängig davon, ob es sie auch geben könnte.

9.3 Medium der theoretischen Reflexion (Simulation als re-konstruktive Abbildung)

Fungieren Simulationen als Nachbildungen existierender Realität, so entweder,

• um eine Nachbildung von Realität zur Verfügung zu haben, an und mit der wir etwas tun können, was wir mit dem Original nicht oder nur unter großen Schwierigkeiten, mit unvertretbarem Aufwand oder Risiko tun könnten; oder

• um in ihnen eine Objektivation theoretischer Vorstellungen zur Verfügung zu stellen, die sich leichter und genauer „betrachten“ lässt als andere Ausdrucksformen.

Wir finden beides auch in pädagogischen Zusammenhängen.

Prominentes Beispiel hierfür ist der Flugsimulator, der das Cockpit eines Flugzeugs ab- bzw. nachbildet und ungefährliches Pilotentraining erlaubt. Andere Beispiele sind Simulationen betriebswirtschaftlicher Zusammenhänge oder industrieller Fertigungsprozesse, wie sie in der beruflichen Bildung zunehmend eingesetzt werden,

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oder das simulierte Labor, die simulierte Versuchsanordnung für den naturwissenschaftlichen Unterricht.

Die Vorteile für Unterricht und Ausbildung liegen auf der Hand: Verminderung von Kosten, Arbeitsaufwand, Risiko. In solchen Fällen erfüllt die Simulation ihre Aufgabe am besten, wenn der Umgang mit ihr an die Stelle des Umgangs mit der Realität treten kann, sie also dem Original möglichst bis auf eine 1:1-Nachbildung nahekommt, d.h. die Differenz zwischen Simulation und Realität nahezu verschwindet.

Simulationen haben auch vor der Verfügbarkeit entsprechender Computerprogramme schon eine große Bedeutung vor allem in der beruflichen Bildung gehabt. Simulationen sollen in den Unterricht größere Praxisnähe bringen. Dennoch ist und bleibt die Simulation selbstverständlich ein Konstrukt. Sie ist nicht die Wirklichkeit, erscheine sie noch so gelungen und wirklichkeitsnah. Sie ist niemals eine 1:1-Rekonstruktion, sondern immer ein Modell, welches durch Abstraktion gebildet wurde und in dessen Konstruktion Annahmen darüber eingehen, was an der Wirklichkeit wesentlich ist und was nicht, worauf Lernen vorzubereiten hat und worauf nicht.

Lernen in Simulationen vermittelt daher nicht Konfrontation mit der Wirklichkeit, sondern ebenso wie konventionelles Lernen die Konfrontation mit einer Repräsentation der Wirklichkeit, die durch subjektive Interpretation zustandegekommen ist.

Das Problem ist: Simulationen lassen eben diesen subjektiv vermittelten Charakter des Wirklichkeitsbezugs eher im Dunkeln. Für den Einsatz von Simulationen in Lernprozessen bedeutet dies, dass das Wissen um die subjektive Vermitteltheit der medialen Repräsentation tendenziell schwindet. Der Lernende wähnt sich in der Unmittelbarkeit direkter, unvermittelter Begegnung mit Realität, wo er tatsächlich einer Modell-Welt konfrontiert ist. Und er mag glauben, in dieser Begegnung unbeeinflusst von den Intentionen anderer Personen authentische Erfahrungen machen zu können, ohne noch zu merken, dass er nur die Erfahrungen machen kann, die nach Ansicht derer, die das zugrundeliegende Modell konstruiert haben, es wert sind, gemacht zu werden.

Allerdings ist dies nicht eine Konsequenz, die sich zwangsläufig aus dem Einsatz von Simulationen ergibt. Während in Unterrichtskonzepten, die sich in erster Linie die Vermittlung funktionaler Qualifikationen zum Ziel setzen, eine deutliche Tendenz zu solchem Verschwindenlassen der Differenz von Simulation und Wirklichkeit vorherrscht, wird in Unterrichtskonzepten, die demgegenüber eine reflexive Distanz zur reinen Funktionalität des Objektbereichs zu wahren versuchen, eben diese Differenz eher ausdrücklich zum Thema gemacht werden müssen. Dieses letztere Interesse müsste dazu führen, den konstruktiven Charakter der Simulation möglichst offenkundig bleiben und Illusionen über eine angemessene und verlustfreie Abbildbarkeit von Realität in Simulationen gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Während es noch denkbar erscheinen mag, das objektive Funktionsgefüge etwa der Wirtschaft als wirtschaftliches „System“ in einem Modell einigermaßen realitätsgerecht

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wiederzugeben, wäre dies schon für die Beziehung zwischen dem Funktionssystem der Wirtschaft und ihrer gesellschaftlichen Versorgungsaufgabe ganz ausgeschlossen, da letztere mit der Versorgung von Menschen mit Gütern subjektive Kriterien von „Versorgung“ und „Gut“ einbezieht, die grundsätzlich zur Disposition stehen und daher in Modellannahmen nicht objektiviert werden können. Legitimationsfragen und moralische bzw. ethische Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, von Solidarität usw. lassen sich daher nicht in Simulationen, sondern nur in kritischer Distanz zu ihnen angehen. Je geschlossener die Simulation ist, je hermetischer sie die SchülerInnen in ihrem Modellzusammenhang einfängt, desto weniger Raum bleibt hierfür.

Computergestützte Simulationen sind ein Sonderfall der Unterrichtsform Simulation. Was allgemein über Simulationen im Unterricht gesagt wurde, hat prinzipiell auch Gültigkeit für die computergestützten Formen. Hier kommen jedoch einige Besonderheiten hinzu. Die wichtigste ist: Das zugrundeliegende Modell der Wirklichkeit oder des Wirklichkeitsausschnitts muss sich in mathematischen Funktionen beschreiben lassen. Es können also nur Modelle zur Anwendung kommen, die eine durchgängige Berechenbarkeit des zu simulierenden Geschehens unterstellen.

9.3.1 Trainings-Simulationen Geht es um Handlungstraining, wird der Lernende in eine durch ein Programm modellhaft rekonstruierte „Mikrowelt“ gestellt. Über seine Eingaben, die er per Tastatur, per Maus oder mit Hilfe sonstiger Eingabegeräte tätigt, hat er innerhalb dieser Welt bestimmte Funktionen zu übernehmen, d.h. er wird selbst zu einem Bestandteil, einem Faktor des Systems. In der Regel kennt das System bestimmte stabile Zustände, und es ist die Aufgabe des Lernenden, herauszufinden, wie er sich verhalten (also: welche Eingaben er machen) muss, um das System in einen stabilen Zustand zu bringen oder in einem solchen Zustand zu halten.

Das „Problem“ ist also drohende Instabilität oder drohender Zusammenbruch des Systems, Ziel ist es, die Verhaltensweisen (Weisen der Eingabe) zu finden und zu trainieren, die für Stabilität des Systems sorgen. Die Faktorenkonstellationen, bei denen das simulierte System stabil ist, sind dem Lernenden natürlich vom Programm vorgegeben. Auch die Wege, die zu solchen Konstellationen führen können, sind dem System als Vorgaben implementiert. Aber sie liegen nicht zutage, sondern müssen vom Lernenden erspürt, entdeckt, gefunden werden. In gewissem Sinne bietet eine Simulation dem Lernenden ein Forschungs-, Übungs- und Trainingsfeld an. Solchen Simulationen wird oft zugeschrieben, dass sie das entdeckende Lernen fördern.

Bei der Simulation von Handlungszusammenhängen, in die der Lernende selbst eingebunden wird, steht der Übungsaspekt im Vordergrund und spielt reflexives Lernen eine geringere Rolle. Aber je nach Komplexität des Systems und vom Lernenden zu übernehmender Funktion kann auch eine solche Simulation vom Lernenden durchaus Unterschiedliches verlangen.

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Bei einer Simulation vom Typ eines Flugsimulators z.B. kommt es vor allem auf Ausbildung und Training instrumenteller Fertigkeiten an. Hier ist es dem Lernenden kaum möglich, auf Distanz zu dem simulierten System zu gehen. Das würde dem Ausbildungszweck vielmehr geradezu widersprechen. Es geht schlicht und einfach darum, im Rahmen dieses Systems, dieser „Mikrowelt“ quasi automatisch zu funktionieren und die antrainierten Verhaltensweisen reflexionslos in schnell wechselnden Situationen zu realisieren (Aktionstraining). Dafür ist es unerheblich, ob man die logischen Strukturen dieser Mikrowelt, wie sie bei ihrer Konstruktion der Software einprogrammiert wurden, zu durchschauen vermag.

Bei der Simulation einer wirtschaftlichen Unternehmung hingegen wird der Anteil der kognitiven Fähigkeiten, die rationale Erfassung größerer Zusammenhänge für das intendierte Entscheidungstraining schon eine bedeutendere Rolle spielen. Simulationen, die Handlungstraining in solchen Funktionszusammenhängen intendieren, verlangen mehr Reflexion auf die Wirkungen, die eigene Verhaltensweisen auf den Gesamtzustand des Systems haben, und den Versuch, die Mechanismen zu ergründen, die den so probeweise erfahrenen Wirkzusammenhängen zugrundeliegen. Hier stellt die Simulation dem Lernenden nicht nur ein Übungsfeld für die Ausbildung instrumenteller Fertigkeiten, sondern zudem ein Erkenntnismedium bereit, das ihm helfen soll, Strukturen der Objektwelt zu durchschauen. Der Schwerpunkt liegt nicht auf Training, sondern auf Beobachtung und Analyse der Verhaltensweisen des simulierten Systems. In dieser Weise werden Simulationen zum Beispiel oft zur Darstellung komplexer sozialer, politischer oder ökologischer Systemstrukturen eingesetzt, deren Verhalten bei Parametervariationen rein kognitiv-analytisch nur schwer erschließbar ist, sich durch die Simulation aber unmittelbar anschaulich vor Augen führen lässt.

Damit sind wir bereits im Übergang zur zweiten pädagogisch relevanten Funktion von Simulationen. Je wichtiger für das praktische Handeln und Funktionieren Einsicht in verborgene Strukturen ist, desto bedeutsamer wird die Funktion von Simulationen als Reflexionsmedien. Wie wir gesehen haben, sind Trainings-Simulationen geradezu anti-reflexiv. Da Training etwas anderes ist als distanzierte Reflexion, ist dies erst einmal kein Mangel, sondern eine notwendige Eigenschaft. Dennoch birgt dies die Gefahr, dass die prinzipiell begrenzte Fähigkeit von Simulationen, das jeweilige reale Trainings- und Übungsfeld abzubilden, nicht mehr hinreichende Berücksichtigung findet. (Noch schließt sich an die Ausbildung am Simulator in der Pilotenausbildung eine Phase an, in der reale Übungsflüge gemacht werden; womit eingestanden ist, dass Simulationserfahrung noch nicht vollständig die Realerfahrung ersetzen kann und soll.)

Simulationen sollen handlungsorientiertes Lernen unterstützen. Das klingt gut. Aber wir haben es hier mit Handlungen ohne originäre Erfahrungen zu tun. Die Realität, an die durch Simulation eine Annäherung erreicht werden soll, ist nicht mehr die Realität, die erst in der Erfahrung erschlossen und der Reflexion aufgegeben wird, sondern es ist eine bereits von anderer Instanz erfahrungsmäßig erschlossene und reflektierte Realität, die abgebildet wird. Die Erfahrungen, die mit der so simulierten Realität gemacht werden können, sind demzufolge keine offenen, originären Erfahrungen, sondern solche

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aus zweiter Hand. Daher ist es auch nicht die Annäherung an die Realität an sich, die eine Simulation als realitätsnah erscheinen läßt, sondern deren Annäherung an Erfahrung und Wissen, sowohl an die eigene Erfahrung und das eigene Wissen des Konstrukteurs (dann hält er selbst seine Simulation für gelungen) als auch an die Erfahrungen und das Wissen der Nutzer (dann halten diese die Simulation für realitätsnah oder erkennen sie gar nicht als solche).

9.3.2 Objektivationen theoretischer Vorstellungen Die Reflexionsfunktion von Simulationen liegt näher, wenn es um ihren Einsatz zur Objektivation theoretischer Vorstellungen geht. Beispiel hierfür ist das Atommodell, das Strukturen des Objekts (des Atoms) sichtbar macht, die an sich nicht sichtbar sind. Besonderen Vorteil haben Computersimulationen vor allem da, wo andere Arten der Modelldarstellung (etwa das Drahtmodell des Atoms, das früher im Unterricht gebräuchlich war) an ihre Grenzen stoßen. Insbesondere bei dynamischen Prozessen in Abhängigkeit von variierbaren Parametereingaben sind Computersimulationen konkurrenzlos.

Bei Simulationen, die als Objektivationen theoretischer Vorstellungen eingesetzt werden, geht es nicht darum, in die Simulation gleichsam „einzutauchen“, sondern sie distanziert zu betrachten. Distanzierung ist eine wesentliche Bedingung für Reflexion. Dennoch gilt auch hier, den Modellcharakter der Simulation bewusst zu halten. Was betrachtet wird, ist nicht die Realität, sondern ein Modell. Und worüber wir anhand der Simulation etwas lernen, ist nicht die Wirklichkeit, sondern das Modell.

Selbstverständlich gehören Modelle und theoretische Vorstellungen zu den wesentlichen Inhalten von Bildungsprozessen. Deshalb können Simulationen hierfür außerordentlich wertvolle Bereicherungen sein. Dennoch stellen sie einen geschlossenen Modell-Zusammenhang (und eben nicht den offenen Zusammenhang der realen Welt) dar, der dem Lernenden lediglich verborgen ist. Während dann, wenn etwas über die Wirklichkeit gelernt wird, die Entwicklung von theoretischen Vorstellungen und von Modellen gerade zum geistigen Verarbeitungsprozess gehören, welchen wir als Bildung bezeichnen, erlauben Simulationen an sich eben dies nicht. Bestenfalls erlauben sie die Rekonstruktion des mathematischen Modells, das ihnen unterliegt. Die Simulation allein aber ist ohne jeglichen Bildungswert, wenn sie nicht in Relation gesetzt wird zu dem, wovon sie ein Modell präsentiert, also die Differenz von Simulation und Simuliertem zum Thema wird.

Wo dies nicht klar ist, können Simulationen eine Suggestivwirkung entfalten, die der Erkenntnis-Intention zuwiderläuft: Der Lernende glaubt, etwas über Zusammenhänge in der Realität entdeckt zu haben, wo er doch nur auf die einprogrammierten Strukturen einer absichtsvoll konstruierten Modellwelt gestoßen ist, in der der Lernende – wie auch immer er sich dreht und wendet – immer nur dort ankommt, wohin ihn der Software-Entwickler durch den Einsatz der Simulation führen wollte.

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Unter didaktischem Gesichtspunkt gibt es bei der Entwicklung von Simulations-Software daher zwei gegensätzliche Interessen:

Das Interesse, Simulationen „realistischer“ zu machen (welches besonders für Handlungstraining maßgeblich ist), führt dazu, den Modell-Charakter der Simulation möglichst wenig offenkundig werden zu lassen, ja zu verbergen. Die Tatsache, dass bei der Konstruktion der Software keine 1:1-Abbildung (Verdopplung) von objektiver Realität, sondern eine Objektivierung von subjektiven Annahmen (Theorien) über diese Realität stattfindet und dass diese Theorien notwendig mit Reduktionen arbeiten müssen, um das herauszustellen, was als „wesentlicher“ (handlungs- bzw. lernrelevanter) Kern des betrachteten Objektbereichs gilt, tritt in den Hintergrund gegenüber dem propagierten Anspruch einer realitäts-entsprechenden Simulation.

Das Interesse, durch Simulationen die Einsicht in komplexe Modell-Strukturen zu erleichtern, müsste hingegen dazu führen, den konstruktiven Charakter der Simulation möglichst offenkundig bleiben zu lassen und Illusionen über eine angemessene und verlustfreie Abbildbarkeit von Realität in Simulationen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Dies widerspricht aber wiederum dem wissenschaftlichen Ehrgeiz, der in den Modellkonstruktionen steckt: ein Modell der Wirklichkeit ohne wesentliche Reduktionen zu schaffen. Die Simulations-Software soll insofern Ausdruck der wissenschaftlichen Qualität der Modellbildung sein; und diese Qualität erscheint als umso höher, je weniger sie als solche noch erkennbar ist. Der Erkenntnisanspruch der Modellkonstrukteure, Realität angemessen erfaßt zu haben, verschleiert und verdeckt den (subjektiven) Erkenntnischarakter.

Durchaus analog zur Simulations-Software, die Trainingszwecken dient, kann sich der Erkenntnisgewinn, den der Benutzer einer Simulati-ons-Software mit hohem wissenschaftlichem Anspruch hat, dann doch reduzieren auf die Erfassung simpler Wenn-Dann-Beziehungen, wenn nämlich die komplexen Netzstrukturen von Funktionsbezügen, die dafür sorgen, dass auf ein „Wenn“ ein „Dann“ folgt, auf der Oberfläche weder sichtbar noch aus der Oberfläche erschließbar sind. Weshalb auf ein „Wenn (ich ... tue)“ dieses oder jenes „Dann (passiert wahrscheinlich ...)“ folgt, entzieht sich dem Erfassungsvermögen des Benutzers.

Monokausale Ursache-Wirkungs-Ketten können in der Tat nicht zugrundegelegt werden. Aber das dadurch angeblich geförderte „vernetzte Denken“ ist ein Denken, das sich auf das Niveau pragmatischen Sich-Hineinfindens zurückgenommen hat und nicht von neuer theoretischer Qualität. Diese wäre nur zu erreichen, wenn das Netzwerk der logischen Hintergrundstrukturen der Simulations-Software aufgedeckt und analysiert würde. In aller Regel aber wird hochkarätige Simulations-Software nicht dafür entwickelt, dass ihrem Konstruktionsweg nachgegangen wird, sondern um sie als veritablen Realitätsersatz zu benutzen.

Es besteht die Paradoxie: Je „schlechter“ die Simulation (d.h. je offensichtlicher die Abweichung der von ihr dargestellten Prozesse von der den SchülerInnen erfahrbaren Realität und je offensichtlicher ihr simplifizierender Charakter), desto leichter ist es,

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ihre Konstruktion zu durchschauen, ihre Annahmen zu hinterfragen, desto geringer aber auch die Gefahr der illusionistischen Überwältigung. Je „besser“ die Simulation, desto schwieriger ist die Aufdeckung ihrer Grundannahmen und ihres Konstruktionsaufbaus, desto größer aber auch die Gefahr, die Durchexerzierung der Simulation als einen hinreichenden Ersatz für die Beschäftigung mit dem Simulierten zu betrachten. Andererseits kann aber die „schlechte“ Simulation möglicherweise lediglich den Wunsch nach der „besseren“ Simulation wecken. Nicht der Simulation als solcher, sondern ihrer mangelnden Qualität würde dann eine offensichtliche Differenz zur Realität angelastet.

9.4 Medium der praktischen Reflexion (projektiv-konstruktive Simulation)

Jede Simulation ist Konstruktion. Immer gehen subjektive Annahmen darüber ein, was hervorhebenswert, was vernachlässigbar ist, auf welche Strukturen die Aufmerksamkeit gelenkt werden soll, und diese sind immer auch geleitet von Vorstellungen davon, wie diese Welt – moralisch, funktional, ästhetisch … – sein sollte. Das Abbild enthält so gesehen implizit auch immer einen Entwurf. Ist dies: einen Entwurf sein sollender Realität zu modellieren, expliziter Zweck der Simulation, kommen wir zur Simulation als einer projektiven Konstruktion.

Beispiele sind der Bau des Modells eines neuen Autotyps während der Entwicklungsphase, der im Modell simulierte Bau eines geplanten Staudamms oder die simulierte Konstruktion eines Hauses am Computerbildschirm. Was hier simuliert wird, existiert noch nicht in der Realität, soll aber später realisiert werden. Simulationen projektiv-konstruktiven Typs unterliegen deshalb in wesentlich geringerem Maße der Gefahr, als 1:1-Abbildungen von Realität missverstanden zu werden.

Die Realisierungsabsicht muss jedoch die Realisierbarkeit des Simulierten unterstellen und daher doch ebenso wie eine Simulation, die als Nachbildung fungieren soll, auf existierende Realität Bezug nehmen, nämlich auf das tatsächlich Machbare. Es geht um die Realisierung bisher unerschlossener Möglichkeiten, die man sich allerdings nicht einfach ausdenken kann, sondern die in der existierenden Realität gefunden, entdeckt werden müssen. Die Eigenschaften des Materials etwa, das beim späteren tatsächlichen Bau des entworfenen Automodells zum Einsatz kommt, müssen schon bei der simulativen Konstruktion berücksichtigt und also in den Modellannahmen abgebildet werden.

Die Simulation in konstruktiver Absicht simuliert, vorwegnehmend, das Mögliche als real existierend. Sie arbeitet das noch nicht Seiende, daher Verborgene, heraus und führt es vor Augen. Sie hat so gesehen eine utopische Funktion. In der Vorwegnahme liegt aber ebenso wie bei der Nachbildung subjektive Annahme, hier über den Realitätsaspekt des Machbaren. Erst an der späteren tatsächlichen Realisierung hat die

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konstruktive Simulation das nötige Korrektiv. Weil man dies weiß, werden vor der Serienproduktion in der Regel erst Prototypen unter Realbedingungen hergestellt und erprobt.

Dennoch erlaubt die projektiv-konstruktive Simulation eine besondere Erfahrung, die in der Schule insgesamt zu kurz kommt: die Selbst-Erfahrung der eigenen Fähigkeit, eine mögliche Zukunft zu entwerfen, welche die Lernenden sich in ihren konstruktiven Entwürfen vor Augen führen können. Sie ermutigt und stärkt – vorausgesetzt, die notwendige Rückbindung an Realität bleibt bewusst – die Gestaltungskraft der Lernenden. Auch wenn die Entwürfe neuer Realität zunächst virtuell bleiben, ist dies doch ein wichtiger erster Schritt jeder schöpferischen Tätigkeit. In dieser Form von Simulation reflektiert sich das Subjekt als praktisch schöpferisch. Sie fungiert als Medium der praktischen Reflexion.

In ihrer konstruktiven Funktion löst die Simulation sich von bestehender Realität ab; löst sie abstrahierend auf, um an ihre Stelle den Entwurf einer neuen, anderen (besseren, wünschenswerten) Realität zu setzen. Dadurch enthält sie ein emanzipatorisches Moment. Denn die vorgefundene Realität ist zunächst die Realität, die wir hinnehmen müssen und durch die wir bestimmt werden. Sie bedeutet für uns also Fremdbestimmtheit, Heteronomie. Der konstruktive Entwurf des Neuen dagegen lässt die Welt wenigstens ein Stück weit zu einer durch uns selbst bestimmten Welt werden, steigert also die menschliche Selbstbestimmung. In eben dieser Weise soll auch Bildung den Menschen aus der Fremdbestimmtheit heraus zur Möglichkeit der Selbstbestimmung führen. Zwischen dem emanziaptorischen Motiv des technischen Fortschritts und dem emanzipatorischen Motiv der Bildung besteht also eine nahe Verwandtschaft.

Diese nahe Verwandtschaft wird durch die Neuen Medien potenziell zu einem Zusammenstimmen und Zusammenwirken. Denn auch die Realität der Bildung ist – etwa als Schule – zunächst eine gewordene, die wir vorfinden, auch wenn sie durch Menschen gestaltet worden ist. Wer als Pädagoge tätig werden will, muss sich dieser Bestimmtheit seiner Bemühungen zunächst einmal fügen. Die Neuen Medien lösen diese Bestimmtheit auf. (Darin liegt erst einmal auch etwas Zerstörerisches, das beängstigend wirken kann.) Sie schaffen so die Möglichkeit einer Neubestimmung, zugespitzt: einer Neuerfindung von pädagogischer Praxis als Bildungsrealität jenseits der überkommenen, gewohnten Formen, in denen wir lehren und lernen. Pädagogische Praxis wird durch die Neuen Medien genötigt, sich selbst neu zu bestimmen, sich zu erneuern. Das Bildungsmotiv der Selbstbestimmung wendet sich so auf die pädagogische Realität der Bildung selbst. Bildung wird praktisch reflexiv.

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9.5 Medium der kulturellen Reflexion (fiktionale Simulation)

In den beiden vorhergehenden Abschnitten wurden Formen relativer Bedeutsamkeit von Simulation und Modellierung erörtert. Relativ deshalb, weil sie sich nur in der Relation zu einer abzubildenden oder herzustellenden Realität erwies. In diesem Abschnitt geht es nun um die Herstellung von eigener (virtueller) Realität, deren Bedeutung nicht in ihrer Bezugnahme auf Realität, sondern in ihr selbst liegen soll, als einem neuen, eigenen „Aufenthaltsort“ der Subjekte. Wir sprechen über Simulation als Fiktion.

Wenn die konstruktive Simulation keine Rücksicht mehr nimmt auf das, was sein kann, wird sie zur Erfindung von Realität eigener Wertigkeit (die als Ersatz für existierende Realität, aber auch neben ihr koexistieren kann).

Nachbildung unterstellt eine objektiv und an sich existente Realität, die zur Kenntnis zu nehmen ist und in die man sich zu fügen hat. Ihr entspricht beim Computer die Rekonstruktion der Außenwelt durch Einspeisung von Messdaten (Input).

Konstruktion unterstellt eine mögliche, gestaltbare Welt, die man sich zur Aufgabe machen kann. Ihr entspricht beim Computer die Ausgabe von Signalen, die auf wie immer vermitteltem Wege schließlich die Realisierung eines intern generierten neuen Zustandes der Außenwelt bewirken sollen (Output).

Die Simulation als Erfindung löst sich von diesen Realitätsbezügen ab und schafft die Paradoxie einer unmöglichen Realität, einer Phantasie- und Wunschwelt wie z.B. in Spielen. Mit Bezug auf das Vordringen dieses Simulationstypus‘ stellt Baudrillard fest: „Heutzutage funktioniert die Abstraktion nicht mehr nach dem Muster einer Karte, des Duplikats, des Spiegels und des Begriffs. Auch bezieht sich die Simulation nicht mehr auf ein Territorium, ein referentielles Wesen oder auf eine Substanz. Vielmehr bedient sie sich verschiedener Modelle zur Generierung eines Realen ohne Ursprung oder Realität, d.h. eines Hyperrealen.“ [Baudrillard 1978, S. 7]

Auch diese „hyperrealen“ Simulationen können durchaus „realitätsnah“ gestaltet werden, womit sich hier besonders schlagend zeigt, dass Realitätsnähe nicht die Annäherung an eine (hier ja unmögliche) Realität bedeutet, sondern die Erzeugung eines Eindrucks von Realitätserfahrung, indem die bewussten und unbewussten Erwartungen des in diese simulierte Welt einzubeziehenden Menschen bedient werden, was besonders effektiv auf der Ebene machbar ist, auf der eine reflexive Distanz zum Erfahrenen noch gar nicht einsetzen kann: auf der Ebene der sinnlichen Wahrnehmung.

Die computergestützte Konstruktion Virtueller Realitäten setzt da an, wo „sonst“, d.h. in der realen Lebenswelt, die Instanz zur Realitätswahrnehmung, vor aller distanznehmenden Reflexion, angesprochen wird. Sie täuscht ihn primär nicht intellektuell, sondern physisch-sinnlich. Die eigenen Wahrnehmungen zeigen nicht mehr das leibliche Dasein in einer materiellen Welt an, sondern sind kybernetisch präformierte, nämlich in eine kybernetisch in sich rückgekoppelte Welt funktional

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einbezogene Wahrnehmungen. Der eigene Leib wird zum virtuellen Leib, zum Cyber-Body, Maschinenkörper, und die physische Selbstwahrnehmung führt zur Formierung eines subjektiven Körperschemas, das zwar auf authentische Körperwahrnehmungen zurückgreift (zurückgreifen muss), dies aber in der listigen Absicht, sie mit konstruierten Bedeutungen zu koppeln.

Die in Virtuellen Realitäten erzeugte (oder jedenfalls künftig erzeugbare) Illusion ist nicht nur Täuschung über die Welt, die mich umgibt, sondern setzt tiefer an, indem sie mich über mich selbst täuscht und in die Manipulation die der Selbstwahrnehmung einbezieht. „In der Virtuellen Realität ist die gesamte Person nur Kostüm.“ [Steinmüller 1993, S. 137]

Indem solche fiktionalen Welten ganz bewusst zum Zwecke des Ausstiegs aus der Realität geschaffen werden, als Fluchtort, gehören sie in die lange Tradition der kulturellen Produktion, die auch dies immer schon intendierte, im Theater, im Roman, im Kino, im Fernsehen. Die Möglichkeiten der Menschen, die reale Welt zu verändern, sind immer begrenzt. Die Erzeugung fiktionaler Welten erlaubt, in selbstgeschaffene Welten einzutauchen und damit diese Beschränkungen hinter sich zu lassen. Auch wenn es den Menschen nicht möglich ist, völlig ohne Bezugnahme und Anleihen auf die Realität solche Welten hervorzubringen, so liegt doch die Entscheidung: welche Bezugnahmen und welche Anleihen, allein beim schöpferischen Subjekt; und ebenso die Ausgestaltung dieser Welt, also was Übernahme und was Erfindung ist, was Anklang an Realität und was reine Fiktion.

Das Besondere der kultuellen fiktionalen Welt ist, dass sie ihre Legitimation nicht aus der Realität erhält, dass sie nicht für diese, sei es konservativ, sei es revolutionär, in Dienst genommen werden kann, ohne ihre kulturelle Qualität zu verlieren. Was Menschen erfinden, ist selbstverständlich höchst unterschiedlicher Qualität. Es mag kulturelle Schöpfungen geben, die wir scheußlich finden; andere ergreifen uns im Innersten. Wichtig ist: Dies ist nicht abhängig von ihrem Wert für Realität.

Indem ich in diesem Zusammenhang von kultureller Reflexion spreche, nehme ich dennoch eine Beziehung an zwischen der realen und der fiktionalen Welt. Diese Beziehung besteht darin, dass sich im Raum, den die Realität der kulturellen Schöpfung lässt, das Maß zeigt, in dem sie die schöpferischen Kräfte der Menschen freizulassen vermag. Im Reichtum der kulturellen Schöpfungen erweist sich ein nicht-materieller Reichtum der menschlichen Welt: ihr Reichtum an schöpferischer Kraft, unabhängig davon, wieweit diese Kraft in der Lebenswelt Resonanz zu finden vermag, also verwirklichbar ist. Kultur zeigt ein Sich-voraus-sein-Können des Menschen an, seine Verwirklichung im Unwirklichen. Das macht ihre Faszination aus.

Aber auch ihre latente Melancholie. Denn die Kehrseite ist eben das Zurückbleiben der Wirklichkeit, die Diskrepanz der kulturellen Produktion zu einer sich verweigernden, entziehenden Realität, die dagegen als vergleichsweise armselig erscheinen muss. Gesellschaften, die dies nicht zulassen können (wie die nationalsozialistische Gesellschaft, die sich als beste aller überhaupt möglichen Welten darstellen musste),

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verarmen kulturell. (Der Nationalsozialismus bot ein ungeheures Arsenal an Riten und Symbolen auf, um seine barbarische Lebensrealität selbst sozusagen zu virtualisieren und damit kulturell zu überhöhen.) In jeder kulturellen Produktion bleibt im Material, mit dem gearbeitet wird, die Spur des Sichentziehenden. Eben diese Spannung von Form und Material ist charakteristisch für die kulturelle Schöpfung: der Aufweis der Grenze der schöpferischen Kraft als Bedingung ihres Erweises.

Computersimulationen aber erscheinen als virtuelle Realitäten ohne Materialität und daher ohne Melancholie. Hier gibt es scheinbar keine Spur des widerständigen, sich entziehenden Materials; daher auch nicht den Erweis einer schöpferischen Kraft, die sich in der Überwindung des materiellen Widerstands, aber auch in ihrer Begrenzung am Material manifestiert.

Ich sagte: „scheinbar“. Denn sobald Computersimulationen Welten bereithalten, in die Menschen eintauchen können, werden sie auch materiell. Ohne Ansprache der menschlichen Sinnlichkeit sind all die fantastischen Erlebnisse nicht denkbar, die hier möglich werden sollen. Als selbst materielles (da sinnliches) Wesen ist der Mensch nur durch Materielles zu berühren. Die formalen Prozeduren der Software müssen seitens der Hardware in Sinnenreize umgesetzt werden. Materielle Technik wird ausschlaggebend, somit auch ihre Begrenzungen, ihre Relation zur Leiblichkeit. Und auch in den Vorstellungsbildern, die erzeugt werden sollen, muss Bezug genommen werden auf Erfahrungen und Erinnerungen, die sich von „draußen“, aus der Materialität der real existierenden Welt speisen. Wäre diese Erinnerung aus dem Innern des Menschen, der in virtuelle Welten eintaucht, spurlos verschwunden, könnte er auch dort keine Erfahrungen machen.

9.6 Spielzeug und Spielwelten Unter solchen Gesichtspunkten können nun auch Computerspiele Bildungsmedien sein. Denn Computerspiele sind fiktionale Simulationen. Sie sind ein kulturelles Phänomen.

Das sehen nicht unbedingt alle Pädagoginnen und Pädagogen so. Für viele LehrerInnen vor allem an weiterführenden Schulen hat die Vorstellung, dass ihre Schülerinnen und Schüler an den Computern, die für den Unterricht angeschafft wurden, möglicherweise spielen könnten (ja dies höchstwahrscheinlich tun werden, wenn man sie lässt), etwas Besorgniserregendes. Der Computer erscheint ihnen dann als gleichsam „missbraucht“. Sie möchten, dass das Lernen ernstgenommen wird; und der Gebrauch des Computers als Spielzeug bzw. Spielmaschine scheint dem zu widersprechen. Schließlich wird für das Leben gelernt.

Da Pädagoginnen und Pädagogen in der Regel auch Realisten sind, sehen sie ein, dass es relativ aussichtslos ist, den Kindern und Jugendlichen das Spielen zu verbieten. Also hat man eine neue Spiel-Form erfunden, die auch als Neues Medium auftreten kann: das „pädagogisch wertvolle“ Spiel.

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Pädagogisch wertvolle Spiele sind Spiele, die nicht einfach Spaß machen, indem man sie spielt, sondern bei deren Spiel noch etwas anderes (eben pädagogisch „Wertvolles“) herauskommt: ein Lerneffekt. So werden Spiele gleichsam pädagogisch geadelt, indem sie dem Lernen dienen. Man kann auch sagen: Die Spielenden werden ausgetrickst, indem man ihre Lust am Spiel ausnutzt, um ihnen etwas anderes, wozu sie weniger oder keine Lust haben (nämlich zu lernen), „unterjubelt“.

Dem Spiel als solchem wird damit kein pädagogischer Wert beigemessen. Und umgekehrt, dass Lernen sozusagen von Haus aus etwas mit Spiel zu tun haben könnte, wird zumindest implizit ebenfalls geleugnet. Weshalb denn auch Lernspiele eine merkwürdige Zwischenstellung haben: Sie sind weder „richtige“ Spiele, noch „richtiges“ Lernmaterial, sondern eine Art Kompromiss, auf den man sich nur einlässt, wenn weder richtiges Spielen erlaubt noch richtiges Lernen möglich ist.

In der pädagogischen Theorie steht das Spiel allerdings in höherem Ansehen als bei den Schulpraktikern (wie gesagt: vor allem der weiterführenden Schulen). Meine eigene pädagogische Interpretation des Spiels ist geprägt durch die psychoanalytisxche Entwicklungstheorie D.W. Winnicotts, in der Spiel und Kultur in eine unmittelbare Nähe und Beziehung zueinander gebracht werden. Diese Theorie kann ich hier nicht in der gebotenen Breite darstellen. [Sesink 2002] Sie bildet aber den mit einzubeziehenden Hintergrund der folgenden Erörterungen.

In seiner Eigenschaft als Simulations- (oder Spiel-)Maschine kann der Computer die Lösung von der bestehenden Realität erleichtern. Das kann positive und negative Bedeutung haben. Die positive Bedeutung liegt darin, dass er der subjektiven Phantasie ein Betätigungsfeld bietet, dem nicht schon gleich von den Bedingungen der Wirklichkeit einengende Grenzen gesetzt werden. Während in der didaktischen Literatur als positiver Bildungssinn der Computersimulation in der Regel die Möglichkeit hervorgehoben wird, wesentliche Funktionsbezüge im Modell durchspielen zu können und so zu einer realitätsbezogenen Einsicht in die objektiven Zusammenhänge der Welt zu gelangen, stelle ich hier gleichsam den Gegenpol vor: die Unterstützung der erfinderischen, existierende Realität gleichsam übergehenden Kraft der Subjektivität.

Darin liegt auch eine Verführung: Das Computerspiel kann zu einer Ablösung der Phantasie vom menschlichen Maß verführen, das ja kein bloß gedanklich ausgedachtes, sondern ein der existierenden menschlichen Realität inhärentes Maß ist. Sie kann damit die schon vorhandene Tendenz zum konstruktivistisch-instrumentellen Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen unterstützen und verstärken. Sie kann ebenso zur Flucht aus der Realität in eine Scheinwelt verleiten, die dem subjektiven Wollen nicht die Schwierigkeiten in den Weg stellt, die in der Realität zum Eingehen auf die menschliche und natürliche Umwelt zwingen.

Ganz sicher aber ist dadurch das Computerspiel hervorragend geeignet, das Verhältnis von Subjektivität und Objektivität in den verschiedensten Aspekten zu thematisieren. Man mag die in der industriellen Produktion zum Ausdruck kommende (und durch

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Computersimulation unterstützte) konstruktivistische Einstellung zur menschlichen Lebenswelt kritisieren, weil sie zur Entfremdung von unserer natürlichen Lebensgrundlage in der Natur und damit zur Zerstörung menschlichen Lebens führt. Aber der Konstruktivismus ist eine notwendige Seite der menschlichen Lebensbewältigung.

Man mag die Flucht aus der Realität verurteilen, zu der Computerspiele verleiten, weil sie zur „Entvölkerung“ der Realität beiträgt und damit zum Verzicht, auf deren Entwicklung noch gestaltend Einfluss zu nehmen. Aber man sollte daraus nicht ableiten, dass die Kinder davon abgehalten werden müssen, am Computer zu spielen. Im Spiel, auch im Computerspiel, kann ein Kind seine Gestaltungswünsche gegenüber der Welt ausdrücken und seine Gestaltungsfähigkeiten realisieren und entwickeln. Ein Computerspiel, das hierzu nicht taugt, wird langweilig und ohnehin nicht mehr gespielt.

Wenn ein Kind in exzessiver Weise Computerspiele als Flucht vor der Realität benutzt, dann sollte man sich Gedanken über diese Realität machen, die das Kind in die Flucht treibt, statt ihm die Flucht zu verunmöglichen (was ohnehin kaum möglich sein dürfte; schließlich gibt es immer noch andere Möglichkeiten für ein Kind, sich davonzumachen; sich in Büchern zu „vergraben“, mag z.B. im Einzelfall durchaus eine ähnliche Funktion erfüllen).

Wenn Kinder nur noch Computerspiele spielen, dann ist dies sicherlich ein Symptom, das man zu verstehen versuchen sollte. Statt Computerspiele zu unterbinden, sollten Lehrende sich daher Gedanken darüber machen, wie sie die dem Spielen vorausliegenden (und sich daher in irgendeiner Form in ihm ausdrückenden) und die im Spiel gemachten Erfahrungen und ihre emotionale Besetzung zum Gegenstand des Gesprächs und der Verarbeitung werden lassen könnten. Vielleicht wäre es hilfreich, sich hierzu zusätzlich auf Erfahrungen und Überlegungen aus der Praxis der Spieltherapie zu stützen, die uns in grundlegender Weise lehren können, dass und wie Kinder im Spiel ihre Konflikte mit der Welt ausagieren. Auch wenn ein Kind im Extremfall nur noch am Computer spielt, ist dies wahrscheinlich besser für die Entwicklung seiner Subjektivität, als wenn es überhaupt nicht spielt.

9.6.1 Spiel – Regel – Gesetz Das Wesentliche am Spiel ist in meinen Augen die Chance zum Ausagieren der eigenen Subjektivität, die es bietet. Je weniger die Wirklichkeit selbst einem Menschen diese Chance lässt, desto bedeutsamer wird für ihn vielleicht das Spiel. Man mag dies dann als Flucht aus der Wirklichkeit interpretieren. Dies ist die subjektive Seite des Spiels.

Seine objektive Seite ist die Regel. Es gibt Spiele ohne Spielregeln; sie werden allein gespielt (z.B. Spiel mit Puppen) oder mit anderen und dann auf der Grundlage informeller Übereinkünfte über den Rahmen, in dem das Spiel sich bewegt. In gewissem Sinne spielen kleine Kinder wohl immer allein (selbst wenn sie mit anderen spielen), nämlich ohne sich an vorgegebene Regeln zu halten; und in gewissem Sinne

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spielen größere Kinder, Jugendliche und Erwachsene immer mit anderen (selbst wenn sie allein spielen), nämlich unter Beachtung irgendwelcher übernommener Regeln.

Computerspiele sind (ebenso wie z.B. Brettspiele) vollständig formal geregelte Spiele. Die SpielerInnen müssen sich bei solchen Spielen den Regeln unterwerfen, sonst können sie nicht gespielt werden (beziehungsweise: sonst wird ein anderes Spiel daraus). Piaget z.B. hat aus dem Verhältnis von Kindern zu Spielregeln Rückschlüsse auf den Stand der Entwicklung ihrer moralischen Urteilsfähigkeit gezogen. [Piaget 1983] Sich an Spielregeln zu halten, ist soziales Verhalten; und umgekehrt: soziales Verhalten heißt, sich Regeln für das Miteinanderleben zu geben und sich zu diesen Regeln zu verhalten.

Das soziale Verhalten kann sich dann in der Hinsicht unterscheiden, wieweit die Regeln als unumstößlich und absolut oder als Sache der Vereinbarung gelten. In den von ihnen angegebenen Gründen für Regelbefolgung (Zwang oder Vereinbarung) und ihrer Beurteilung von Regelverstößen (mit oder ohne Berücksichtigung der subjektiven Motivation des Regelverstoßes) drücken Kinder ihr moralisches Bewusstsein (heteronome oder autonome Moral) aus. Nach Piaget hängt autonome Moral ganz offensichtlich eng mit der Vorstellung von Demokratie zusammen.

Hieran anknüpfend möchte ich eine Unterscheidung aufgreifen, die ich mit den Begriffen „Regel“ bzw. „Gesetz“ kennzeichnen möchte. Regeln basieren auf Vereinbarung; die Subjekte sind ihre Urheber und unterwerfen sich ihnen „aus freien Stücken“. Gesetze sind „gegeben“; die Subjekte sind ihnen unterworfen und können sie nicht durch Vereinbarung aufheben. Eine Verfassung für ein Sozialwesen ist Ergebnis einer Vereinbarung (obwohl es „Gesetz“ heißt). Naturgesetze sind gegeben. Regeln betreffen eine von uns gestaltete, Gesetze betreffen eine uns gegebene Wirklichkeit. Da unser tatsächliches Leben beides ist: gegeben in seinen unveränderlichen Bedingungen des Lebens, wie sie uns die Natur bereitstellt, und gestaltet durch menschliche Praxis, verläuft es sowohl geregelt als auch nach Gesetzen.

Von dieser Unterscheidung ausgehend gibt es zwei prinzipielle Möglichkeiten, die Wirklichkeit zu verkennen und zu verfehlen: Regeln als Gesetze oder Gesetze als Regeln zu betrachten. Beides kann im Umgang mit Computern eine Rolle spielen.

9.6.2 Gesetze als Regeln betrachten Computer verkörpern Regelhaftigkeit. Jedes Programm funktioniert nach Regeln. Zwar funktionieren Computer real auch nach physikalischen Gesetzen, wie ein Kurzschluss im Computer vor Augen führen kann. Aber die physikalische Daseinsform eines Computers ist nur eine mögliche Realisierungsform des logischen Prinzips dieser „Maschine“. Ein Programm funktioniert unabhängig von der physikalischen Existenzform, schon vorweg, „auf dem Papier“; und ein Kurzschluss berührt seine Funktionstüchtigkeit ebensowenig, wie gesagt ist, dass ein physikalisch störungsfrei arbeitender Computer logisch funktioniert.

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Ein Computerprogramm zu schreiben, ist also ein Spiel, das der Programmierer nach den allgemeinen Spielregeln für die Konstruktion von Computerprogrammen spielt. Und das Computerprogramm selbst ist dann ebenfalls ein Spiel (ein System von Regeln), das durch seine Anwendung gespielt wird.

Diese Kennzeichnung ist wichtig im Hinblick auf den Versuch, in Computerprogrammen Wirklichkeit zu erfassen oder zu konstruieren. Soweit die Wirklichkeit „geregelt“ ist, bedeutet eine Übertragung dieser Regeln in ein Computerprogramm nur eine 1:1-Abbildung. Soweit sie aber von Gesetzen bestimmt ist, bedeutet deren Simulation eine Umformung von Gesetzen in Regeln. Computerwelten, die Wirklichkeit simulieren sollen, ersetzen Gesetzmäßigkeiten durch Regelhaftigkeiten.

Dazu gehört, dass Regeln, da von uns gesetzt, im Prinzip vollständig überschaubar sind und daher ein geschlossenes System darstellen können. Die Gesetzmäßigkeit der Welt hingegen ist in den von uns bisher gefundenen und überhaupt findbaren Gesetzen immer nur unvollständig erfasst (es wird immer noch neue Gesetze zu entdecken geben) und daher prinzipiell unüberschaubar und offen. In ihrer Übersetzung in Regelwerke geht dieser Charakter von Wirklichkeit verloren.

Und wenn die Differenz von Gesetz und Regel, von Wirklichkeit und Spiel (Simulation) nicht bewusst wird, kann leicht die Illusion einer Überschaubarkeit und Beherrschbarkeit der Welt entstehen, die nicht anders denn als Realitätsverlust zu charakterisieren wäre und wirklich gefährlich werden kann, wenn das, was aus Simulationen über die Welt entnommen und gelernt wird, auf das Verhalten in der wirklichen Welt übertragen wird. In dieser Variante würde der Umgang mit Computern eine Art „Hypersubjektivierung“ der Welt implizieren: Alles ist machbar.

Ich denke, dass diese Gefahr vor allem auf der Spielebene des Programmierens besteht.

9.6.3 Regeln als Gesetze betrachten Umgekehrt kann der simulierten Welt (dem Computerspiel „Welt“) der Charakter der wirklichen Welt zugeschrieben werden. Der Regelcharakter der Computerprogramme würde interpretiert als Darstellung von Gesetzmäßigkeit; oder: was ein Computer ausgibt, ist Gesetz. Die gestalterische Leistung, das Konstruktive in der Erstellung von Computerprogrammen bliebe dann verborgen. Auch die aus der Wirklichkeit entnommenen regelhaften Bestandteile würden mit Gesetzmäßigkeit identifiziert. Wenn Computerprogramme interpretiert werden als Rekonstruktionen realer Gesetzmäßigkeiten, dann stellen sie eine Art unumstößlicher objektiver Rationalität dar. Die Welt wird hier „entsubjektiviert“. Alles erscheint als vorbestimmt.

Diese Gefahr einer Auslöschung der Differenz von Regel und Gesetz dürfte vor allem auf der Spielebene der reinen Anwender bestehen.

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Nicht jeder, der der Faszination des Computers und der mit ihm spielbaren Spiele erliegt, erleidet einen Realitätsverlust. Die Faszination kann gerade im gewussten Unterschied zwischen Regel und Gesetz liegen und darin, sich ganz absichtsvoll in eine „Software“-Welt zu begeben, in der die eigenen gestalterischen Intentionen weniger oder gar nicht eingeschränkt werden durch die Gesetzmäßigkeiten der „harten“ Realität. Und wo Realitätsverlust stattfindet, da gibt es immer beide Möglichkeiten: Die Welt ist ein Spiel; oder – das Spiel ist die Welt.

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10. Multimedia

10.1 Multimedia und Multimedia-Technik Die Verbreitung der Neuen Technologien als Neue Bildungsmedien, die sich in der zweiten Hälfte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts beschleunigte, war eng verbunden mit einer Konjunktur des Begriffs Multimedia. Multimedia, von der Gesellschaft für deutsche Sprache im Jahre 1995 zum Wort des Jahres erklärt, schien zeitweilig geradezu synonym mit Neuen Medien. Zugleich schien der Zusatz Multi- besser noch als der doch qualitativ unspezifische Zusatz Neue das Wesen dieser Medien in Absetzung von den früheren, bisherigen Medien auszudrücken: nicht festgelegt zu sein auf eine mediale Form, sondern mehrere solcher Formen miteinander in einem Medium kombinieren zu können.

Im Net-Lexikon wird folgende Definition gegeben:

„Als Multimedia bezeichnet man den gleichzeitigen Einsatz mehrerer Darstellungsmedien, zum Beispiel Text, Ton, Grafik, Animation und Video.“ [http://www.net-lexikon.de/Multimedia.html; Aufruf am 21.6.2004]

Gemäß der für diese Vorlesung zugrundegelegten Terminologie ist jedoch zu unterscheiden zwischen Medium und Medientechnik – was in der zitierten Lexikon-Definition nicht geschieht. Von Medium sprechen wir demzufolge erst, wenn auch ein Inhalt (die Informatiker sprechen von content) gegeben ist. Die leere Tafel ist kein Medium (wir werden diese Aussage im kommenden Kapitel ein wenig modifizieren), sondern erst die beschriebene oder bemalte Tafel. Die leere Tafel ist Medientechnik.

Beziehen wir dies auf den Terminus Multimedia. Zum Beispiel kann man an die Simulation eines Ökosystems denken, in der zunächst in Form von Text eine Erläuterung gegeben wird, was ein Ökosystem überhaupt ist und welche Art von Ökosystem mit welchen Elementen hier konkret simuliert werden soll. Es gibt eine Grafik, welche die verschiedenen Elemente und ihre Beziehungen untereinander darstellt. Es tritt eine Person auf (durch eine animierte Grafik dargestellt), welche den User anspricht und auffordert, seinerseits in die Rolle eines Akteurs in diesem System zu schlüpfen. Die Aktionen des Users wiederum bestehen in der Eingabe von numerischen Werten für bestimmte vorgegebene Parameter. Die Abfolge der medialen Formen ist: Text, 2D-Grafik, Animation, Ton, Zahl. Wir können uns andere Formen hinzudenken: Foto, Video, 3D-Grafik, Virtual Reality; künftig vielleicht noch anderes.

Was ich hier mit medialer Form bezeichnet habe, nennt man auch ein „Format“. Innerhalb dieser Formate können wiederum unterschiedliche Varianten existieren, die dann ebenfalls als „Formate“ bezeichnet werden. Auf der obersten Ebene würde also etwa vom Textformat (im Unterschied zum Grafik- oder Videoformat) gesprochen; auf der Ebene darunter können unterschiedliche Textformate unterschieden werden; zum Beispiel Absatzformate oder Zeichenformate.

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Um die unterschiedlichen Formate darstellen zu können, bedarf es einerseits der entsprechenden Software (reine Texteditoren können zum Beispiel keine Grafik- oder Videoformate darstellen; die üblichen Textverarbeitungsprogramme sind allerdings keine reinen Texteditoren mehr und enthalten in wachsendem Ausmaße auch Funktionen zur Darstellung anderer Formate); andererseits der entsprechenden Hardware-Komponenten (für das Grafikformat etwa einen grafikfähigen Bildschirm; für Virtual Reality eine CAVE). Zum Begriff des Formats tritt auf der technischen Ebene also auch die Festlegung der Hard- und Software-Techniken hinzu, welche die konkrete Darstellung des jeweiligen Formats bewerkstelligen. Damit verschiedene Rechner und verschiedene Programme miteinander kommunizieren, sprich Datenformate austauschen können, bedarf es hierzu auch der Normierung von Formaten. (Damit kommen neue Problematiken ins Spiel, da die jeweiligen technischen Lösungen nicht einfach nur neutrale Umsetzungen von Formaten sind, sondern diese auch rückwirkend mit-definieren. Was auf einem Rechner tatsächlich als Grafikformat darstellbar wird, hängt eben nicht zuletzt von den technischen Normierungen ab und damit auch von der Definitionsmacht derer, die an solchen Normierungsprozessen beteiligt sind.)

Und schließlich braucht man natürlich einen Inhalt (Content), der in dem betreffenden Format dargestellt wird. So kann ich einen Apfel im Textformat präsentieren, im 2D- oder 3D-Grafikformat, im Video, als Liste von Werten für bestimmte Messdaten (z.B. Vitamingehalt) oder anders. Setze ich mehrere solcher Formate ein (wie im obigen Beispiel der Simulation eines Öko-Systems), um den Apfel darzustellen, handelt es sich um eine multimediale Darstellung des Apfels.

Soweit bezieht sich die Bezeichnung Multimedia also wie die des Mediums sowohl auf die Medientechnik als auch auf einen Inhalt. Das heißt, ein entsprechend ausgestattetes Computersystem ist allein noch nicht Multimedia, sondern lediglich multimediafähig.

Eine weitere Abgrenzung muss vorgenommen werden gegenüber dem im 6. Kapitel eingeführten Begriff der Modalität und Multimodalität. Die Modalität eines Mediums bezieht sich darauf, welche menschlichen Sinne angesprochen werden. Multimodalität heißt also, dass eine Mehrzahl von Sinnen angesprochen wird. Formate richten sich zwar notwendigerweise ebenfalls an die menschlichen Sinnesfähigkeiten, sind aber nicht zwingend an bestimmte von ihnen gebunden.

Text kann visuell (als gedruckter Text) oder akustisch (als gesprochener Text) oder haptisch (bei Blindenschrift) wahrgenommen werden. Eine Grafik kann visuell oder haptisch wahrgenommen werden. Neuere Untersuchungen zeigen, dass es sogar möglich ist, über akustische Signale Bildvorstellungen (etwa bei erblindeten Menschen) hervorzurufen. Unterschiedliche Formate auf der anderen Seite können dieselbe Modalität aufweisen, sich also an dieselben Sinne richten: Grafik, Bild (Foto), Video. Manche Formate wie Video sind in sich multimodal.

Warum ist diese Unterscheidung zwischen Multimedialität und Multimodalität wichtig? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir noch einmal darauf eingehen,

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welche Gesichtspunkte bei der Wahl einer Modalität bzw. bei der Wahl eines Formats bedeutsam sind.

10.2 Modalität und Multimedia Menschen können überhaupt nur über ihre Sinne erreicht werden. Unsere unterschiedlichen Sinne sind unterschiedliche Potenziale der Wahrnehmung. Was wir wahrnehmen können, wird durch die Sinne bestimmt. Geht es uns darum, den Menschen, an die wir uns mit einem Medium richten, bestimmte Eigenschaften der Sache wahrnehmbar zu machen, etwa die Farbe einer Blüte, so haben wir grundsätzlich zwei Möglichkeiten:

• den direkten Weg der Sinnesansprache, indem wir die Farbe der Blüte durch das Medium wahrnehmbar machen; das können wir nur über die entsprechende, in diesem Falle die visuelle Modalität;

• oder den indirekten Weg über die Ansprache der Vorstellungskraft; das können wir auch, indem wir beispielsweise den Hörsinn ansprechen, wenn wir eine verbale Beschreibung der Farbe geben oder einen bestimmten Klang einsetzen, der diese Farbe repräsentieren soll – obwohl sich Farbe nicht hören lässt.

Auf den ersten Blick mag der direkte Weg als der nach Möglichkeit zu bevorzugende erscheinen. Immer dann nämlich, wenn wir sagen würden: Man muss dies oder jenes einfach mal gehört (gesehen, gefühlt, gerochen …) haben, um zu wissen, wie es klingt (aussieht, sich anfühlt, riecht …). Solange man eine Klarinette nicht wirklich einmal gehört hat, ist es schwierig bis unmöglich, eine Vorstellung vom Klarinettenklang auf anderem Wege hervorzurufen. Andererseits klingen nicht alle Klarinetten genau gleich. Und deshalb habe ich, wenn ich eine Klarinette gehört habe, noch nicht alle möglichen Klarinetten gehört. Oder wenn ich eine Blüte gesehen habe, kenne ich noch nicht die Varianz der Rottöne, die möglich sind.

Das Repräsentamen (Symbol, Zeichen, Medium) muss aber, wie wir gesehen haben, über sich hinausweisen können, mehr „bedeuten“, als es ist; in diesem Falle die Farbe jeder möglichen Blüte der betreffenden Art. Es wird also über die unmittelbar sinnliche Wahrnehmung hinaus noch eine Abstraktionsleistung gefordert, wonach es nicht nur dieses ganz einzigartige Rot ist, das sich mit der Vorstellung dieser Blütenart verbindet, sondern ein allgemeineres (schematisiertes) Rot.

Eine solche Schematisierung geschieht zum großen Teil unwillkürlich, so dass ein abweichendes Rot dennoch automatisch als „richtig“ (für diese Blütenart) angesehen wird. Aber es kann auch sein, dass diese eher instinktive Wahrnehmungstoleranz nicht ausreicht, so dass ein bestimmtes Rot zwar gesehen, aber nicht als zu dieser Blütenart gehörig erkannt wird. Anders ausgedrückt: die nötige Transferleistung wird nicht erbracht, wenn die Vorstellung von der Sache zu sehr gekoppelt ist mit bestimmten direkten und damit singulären sinnlichen Wahrnehmungen.

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Immer also müssen wir in Bildungsprozessen mehr leisten als eine Ansprache der Sinne. Wir müssen die Bildung von Schemata unterstützen, die ein „allgemeineres“ Bild von der Sache geben. Solche Schemata haben eine Zwischenstellung zwischen dem unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmungsbild und dem abstrakten Begriff. Obwohl Rot dann nicht mehr nur ein ganz bestimmtes einmaliges Rot meint, sondern eine unendliche Varianz möglicher Rottöne unter sich begreift, hat es dennoch weiterhin sinnliche Qualität. Will ich dieses „Rot“ im Bildungsprozess vermitteln, so gibt es dafür keine direkte Sinnesansprache; denn es ist „unsichtbar“. Hier muss ich den indirekten Weg gehen, also die geistige Vorstellungskraft ansprechen, die mit dem Symbol für Rot dann ein sinnlich-unsinnliches Schema von Röte zu verbinden vermag. Auch der direkte Weg, bei dem ein Rot gezeigt wird, erweist sich als ein indirekter Weg, wenn er nicht dieses Rot, sondern das Schema der Röte vermitteln möchte.

Auf der anderen Seite kann ich einen abstrakten Begriff von Rot vermitteln, indem ich Rot etwa definiere durch ein abgegrenztes Frequenzspektrum des sichtbaren (oder auch für unsere Augen unsichtbaren) Lichts. Auch ein Computerprogramm, das nie ein Rot wirklich gesehen hat, kann dann einem bestimmten Messwert den Begriff Rot zuordnen. Was ihm fehlt, ist die sinnliche Wahrnehmungsqualität. Voraussetzung dafür, dass das Schema der Röte angesprochen werden kann, bleibt daher, dass es eine direkte sinnliche Wahrnehmung von Rot gegeben hat (und immer wieder gibt; weil solche Vorstellungsschemata mit der Zeit auch verblassen können, wie man weiß).

10.3 Formate und Multimedia Dass es zwischen den Modalitäten und den Formaten einen Zusammenhang gibt, dürfte einsichtig sein. Die genannten Formate sind selbstverständlich in unterschiedlicher Weise geeignet, Sinnesqualitäten auf direktem Wege zu vermitteln. Will ich den Hörsinn unmittelbar ansprechen, so ist dafür das Grafikformat ungeeignet. Wenn ich eine Grafik betrachte, höre ich nichts.

So vermittelt mir ein Bild von einer Klarinette nicht, wie eine Klarinette klingt. Habe ich aber schon jenes Schema des Klarinettenklangs entwickelt, von dem im vorhergehenden Abschnitt die Rede war, kann der Anblick einer Klarinette bei mir eine akustische (schematisierte) Vorstellung wecken.

Oder ich sehe einen Auszug aus einer Partitur. Das Notenbild lässt, sofern ich es „lesen“ kann, in meiner Vorstellung eine Melodie „hörbar“ werden; bin ich ein erfahrener Notenleser und Konzertbesucher, „höre“ ich vielleicht noch mehr: das ganze Orchester, wie es diese Musik spielt.

Die Frage, welches Format ich einsetze oder welche Formate ich multimedial miteinander verbinde, lässt sich also zum Teil, aber auch nur zum Teil mit der Wahl der Modalität beantworten. Ebenso wichtig wie die unmittelbare Sinnesansprache ist ein anderer Gesichtspunkt, nämlich die Unterstützung der für den Transfer so wichtigen

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Abstraktionsleistung (Schematisierung und Begriffsbildung). Die Schematisierung macht die Sache vorstellbar; die Begriffsbildung macht sie denkbar.

Jedes Format muss sich am Ende in einer bestimmten Modalität (oder in mehreren bestimmten Modalitäten) realisieren. Ich kann es lange offenhalten, wie ich die Sache im Textformat präsentiere. Aber wenn es an die Realisierung geht, muss ich mich entscheiden, ob ich ihn sprechen oder anzeigen lasse. Dafür kann es Gründe geben, die bei den Adressaten liegen. Vor einem blinden Publikum werde ich den Text selbstverständlich sprechen.

Geht es mir nicht um Themen, die mit der Sinnesqualität der Textpräsentation zusammenhängen (also etwa das Schriftbild einer Handschrift oder die Stimmlage des Vortragenden), sondern allein um den Inhalt, werde ich, wie im 6. Kapitel schon angesprochen wurde, versuchen, die Modalität der Präsentation so „transparent“ werden zu lassen, dass sie als solche gar nicht mehr wirklich „wahrgenommen“ wird; dass durch sie „hindurch“ ein möglichst ungehinderter Zugang zu dem geistigen „Wahrnehmungsraum“ eröffnet wird, dem der Text seinem Gehalt nach zugehört. Dann ist es gleichgültig, ob ich den Text anzeige oder spreche.

Für die Wahl eines Formats ist immer dann, wenn es mir nicht primär um die Vermittlung von Sinnesqualitäten geht, sondern um Schemata und Begriffe, entscheidend, was an der Sache ich herausstellen, worauf ich die Aufmerksamkeit lenken will, um entweder die notwendigen Abstraktionsleistungen bei den Lernenden zu unterstützen oder auf solchen Leistungen aufbauen zu können.

Ein Gesichtspunkt ist etwa, ob ich die Entwicklung oder Geschichte einer Sache darstellen möchte, also auch ihre Veränderungen in der Zeit. Welche Möglichkeiten, so etwas darzustellen, bieten mir die verschiedenen Formate? Denkbar wäre eine Bilderfolge auf einer Zeitleiste. Oder eine Zeitreise durch virtuell rekonstruierte Vergangenheiten.

Ein anderer Gesichtspunkt könnte sein, dass ich die Aufmerksamkeit auf eine bestimmte, invariante Grundstruktur einer Sache mit ihren konstitutiven Elementen und den Wechselbeziehungen zwischen ihnen lenken möchte. Hier könnte ein grafisches Modell hilfreich sein.

Vielleicht möchte ich aber gerade die Veränderbarkeit einer Sache in Abhängigkeit von bestimmten variierbaren Einflussfaktoren zeigen, also einen dynamischen, gleichwohl von bekannten Gesetzmäßigkeiten diktierten Prozessverlauf. Man denkt hier vielleicht an ein Diagramm; oder auch an eine animierte Grafik.

Eine Sache mag aus verschiedenen Perspektiven sich immer wieder anders darstellen. Oder es gibt unterschiedliche Ebenen, auf denen eine Sache thematisiert werden kann. Welche Formate können die Darstellung von Multiperspektivität oder Schichtungen am besten unterstützen? (Manchmal liefert schon die Metaphorik unseres Redens über die darzustellenden abstrakten Strukturmerkmale gute Hinweise: Schichten, Ebenen, Perspektiven …)

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Es wird auf diese Fragen in der Regel keine eindeutigen Antworten geben, weil der Zusammenhang zwischen Vermittlungsintention und Bildungsgehalt der zu vermittelnden Sache auf der einen und dem Repräsentationsformat auf der anderen Seite nicht eindeutig und zwingend ist. Wie die Beispiele schon gezeigt haben, kann es unterschiedliche Weisen geben, bestimmte interessierende Merkmale oder Strukturen einer Sache herauszustellen. Es gibt auch unterschiedliche Verarbeitungsweisen bei den Lernenden, auf die Rücksicht zu nehmen ist.

Für Lernende ist es oft schwierig, direkt bei und mit den Abstraktionen zu beginnen. Sie benötigen Unterstützung, sich zu den Begriffen etwas „vorstellen“ zu können, um ihre „Bedeutung“ zu erfassen und damit auch etwas Lernwürdiges in ihnen sehen zu können. Dann hilft es, wenn das eigentlich Unsichtbare sichtbar gemacht (im übertragenen und wörtlichen Sinen „vor Augen geführt“) wird. Darin liegt auch eine Gefahr: die Gefahr, dass die Versinnbildlichung eines Abstraktums (Beispiel Atommodell) für ein Abbild oder eine Reproduktion der Sache gehalten wird. Visualisierungen und andere Versinnbildlichungen von abstrakten Zusammenhängen sind also dann von großem didaktischen Wert, wenn sie einen indirekten Zugang zum Abstraktum eröffnen, das Unsichtbare sichtbar machen im Bewusstsein, dass es gerade nicht das Sichtbare ist, auf das es dabei ankommt, sondern dessen mediale, „transparente“ Qualität (als eine Art „Fenster“).

Multimedialität ist daher einerseits nicht etwas – etwa gegenüber Monomedialität – von vornherein didaktisch „Besseres“. Die verschiedenen Formate müssen sich von der Vermittlungsintention her begründen, die sie unterstützen sollen. Ein Bild sagt keineswegs „mehr als tausend Worte“, sondern es sagt etwas anderes als tausend Worte. Ob ich also ein Bild gebrauche oder tausend Worte hängt davon ab, was denn „gesagt“ werden soll. Und da kann es genauso nichtssagende Bilder wie nichtssagende Worte geben.

Andererseits bieten mehrere Formate auch immer mehrere mögliche Aufmerksamkeitsrichtungen auf die Sache. Das kommt unterschiedlichen Lernertypen entgegen; und es kommt durch die darin manifestierte Multiperspektivität der Relativierung einzelner Perspektiven entgegen, regt an, sowohl der Verschiedenheit der Perspektiven als auch deren möglichem Zusammenhang miteinander auf den Grund zu gehen, also einen reicheren und differenzierteren Begriff von der Sache zu entwickeln.

10.4 Multimedia und Neue Medien Die anfangs zitierte Definition von Multimedia enthielt keine Einschränkung auf Neue Medien. Es ist also die Frage, ob und inwiefern Multimedia überhaupt etwas zu tun hat mit den Neuen Medien – außer dass diese eben praktischerweise mehrere Formate zugleich darstellen können (was Computer anfangs ganz und gar nicht zu leisten vermochten).

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Multimedia ist ein moderner Begriff. Aber das erste Multimedium (im Zusammenhang von Lern- und Bildungsprozessen) war die lehrende Person. Sie sprach zu den Schülern, sie schrieb an die Tafel, sie zeichnete eine Skizze, sie schlüpfte in verschiedene Rollen usw. Das heißt: Sie vermittelte den Lernenden auf verschiedenen Wegen Einsichten über die Sache. Dabei setzte sie zusätzlich gegenständliche Medien ein: das Buch, die Landkarte, Abbildungen und Grafiken; Audioaufzeichnungen, Film und Video usw. Multimedial war der Unterricht also immer schon.

Neu ist Multimedia nicht für den Unterricht, sondern für den Computer. Und nur soweit Computer in Bildungsprozessen eingesetzt werden, sind auch seine neuen multimedialen Fähigkeiten etwas Neues für Schule und Unterricht. Letztlich bedeutet es nicht mehr als die technische Integration unterschiedlicher Datenformate.

Allerdings ist dies keine belanglose Nebensache. Die Integration der Datenformate ermöglicht auch eine einfachere Integration unterschiedlicher Darstellungsformen, kann also den Lehrenden davon entlasten, einen gewaltigen Geräteaufwand betreiben zu müssen, um die Lernenden auf unterschiedlichen Wahrnehmungs-, Aufmerksamkeits- und Rezeptionsebenen ansprechen, auf unterschiedliche Aspekte der Sache die Aufmerksamkeit richten und unterschiedliche Verarbeitungswege unterstützen zu können. Darüber hinaus bietet Multimedia auch den Lernenden Werkzeuge zur Integration unterschiedlicher Formen der Erschließung und Bearbeitung von Unterrichtsthemen.

Und schließlich ist der technische Hintergrund dieser Integrationsfähigkeit des Computers zu beachten. Auf der elementaren Ebene der Bits und Bytes gibt es keine medialen Differenzierungen mehr. Jede mediale Darstellungsform ist hier mit jeder anderen austauschbar. Anders ausgedrückt: Was aus dem Datenmaterial gemacht wird, ist vollständig arbiträr. Die formalisierte Information ist technisch von ihrem Ausdruck entkoppelt. Es gibt auf der technischen Ebene sozusagen keine „natürliche“ oder selbstverständliche, dem gespeicherten Datenmaterial zugehörige Ausdrucksform mehr. Diese Verbindung ist „nach beiden Seiten hin“ gekappt: sowohl zum Objekt (zur Sache) hin, das (die) repräsentiert werden soll, als auch zur medialen Darstellungsform hin, in der das Objekt (die Sache) repräsentiert wird. (Vgl. Kapitel 6)

Erst die technische Kopplung mit Peripheriegeräten schafft zusammen mit der Software, die eine entsprechende Umwandlung der Daten in die Ansteuerung von Endgeräten betreibt, die medialen Differenzierungen. Werden die Daten als Text interpretiert, können sie zum Druck von Buchstabenfolgen ausgegeben werden. Werden sie als Bildinformationen interpretiert, wird eine Grafik projiziert, usw. Grundsätzlich ließe sich daher beispielsweise das Datenmaterial, das zur Erzeugung eines gesprochenen Textes dient, auch zur Herstellung visueller Muster oder Generierung von Zahlenfolgen verwenden. Technisch sind alle diese Ausdrucksformen ineinander überführbar. (Dass das meist keinen Sinn macht, steht auf einem anderen Blatt. „Liest“ ein Textverarbeitungsprogramm eine Grafikdatei als Text, so kommt – für uns – unsinniges Zeug dabei heraus. Für das Programm macht das keinen Unterschied.)

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Es wäre daher ein Missverständnis, Multimedia durch Aufzählung unterschiedlicher medialer Ausdrucksformen zu definieren. Nicht die Vielfalt der Ausdrucksformen, sondern das Fehlen jeglicher zugehörigen Ausdrucksform zum basalen Datenmaterial macht die Multimedialität aus: Jede überhaupt nur mögliche mediale Ausdrucksform kann zur Darstellung der Daten gewählt werden. Daher werden diese medialen Ausdrucksformen sich weiterentwickeln und wechseln. Multimedia ist in dieser Betrachtungsweise auch die Nichtfestgelegtheit der medialen Ausdrucksform.

Was heute neu ist, hatte ich früher schon einmal gesagt, ist morgen „Schnee von gestern“. Eben deshalb lässt sich das Neue der Neuen Medien nicht mit dieser oder jener medialen Ausdrucksform und den Geräten zu ihrer Produktion und Darstellung identifizieren. Das Neue der Neuen Medien ist vielmehr ihre ständige Erneuerung. Die Neuen Medien sind die sich ständig erneuernden Medien.

Wer sich darauf einlässt, die Neuen Medien in pädagogischen Prozessen einzusetzen, muss sich daher auf diesen permanenten Erneuerungsprozess einlassen. Einsatz Neuer Medien heißt permanante Innovation, und dies nicht nur auf technischer Ebene. Denn die Techniken unterstützen in unterschiedlicher Weise die genannten Dimensionen der Medialität. Immer impliziert das Nachdenken über technische Innovation auch das Nachdenken über pädagogisch-didaktische Neu-Strukturierungen.

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11. Lernumgebungen

11.1 Zum Begriff der Lernumgebung Solange es menschliches Lernen gibt, hat dieses in einer natürlichen und gestalteten, materiellen, sozialen und kulturellen Umgebung stattgefunden. Der Terminus „Lernumgebung“ scheint insofern etwas zu bezeichnen, was zum Lernen überhaupt hinzugehört. Wenn dieser Terminus dennoch erst in den letzten Jahren in die Diskussion über das Lernen und seine optimale Förderung Eingang gefunden hat, müsste dies eigentlich darauf hinweisen, dass die Bedeutung einer fördernden Umgebung für das Lernen erst in neuester Zeit erkannt und anerkannt worden ist.

So ist es aber nicht. Die Konjunktur des Terminus Lernumgebung hat nichts zu tun mit neuen didaktischen Einsichten. Sie ist vielmehr verbunden mit der Ausbreitung der neuen Netzwerktechnologien (Stichwort Internet). Und sie weist zunächst einmal vor allem darauf hin, dass sich bei denen, die sich seit den 70er Jahren mit Möglichkeiten computer-unterstützten Lernens beschäftigen, der Problemhorizont zuletzt begrüßenswerterweise doch erweitert hat. Man konzediert nun, dass – anders als in den 70er-Jahre-Konzepten unterstellt (vgl. Kapitel 5) – menschliches Lernen kein isolierbarer und analog zu produktionstechnischen Vorgängen steuer- und kontrollierbarer Vorgang ist, sondern eingebettet in übergreifende Zusammenhänge des gesellschaftlichen und des individuellen Lebens, d.h. geprägt von institutionellen Strukturen ebenso wie von persönlichen Lernvoraussetzungen und -bedürfnissen, ausgerichtet an gesellschaftlichen Interessen ebenso wie an eigenen Motiven und Zielsetzungen der Lernenden. Mit der Ablösung von Einzelplatzsystemen durch Netzwerke wird auch Lerntechnologen deutlich, dass technische Lernsteuerung angesichts der Komplexität der Zusammenhänge, in denen Lernen stattfindet, und der Dynamik ihrer Veränderungen undenkbar ist und durch Konzepte der Selbststeuerung abgelöst werden muss.

An die Stelle der Vorstellung, Lernen vollziehe sich als Abarbeitung von Algorithmen, oder: Lernen lasse sich durch Einsatz technischer Instrumente zweckrational auf Effektivität hin optimieren, tritt als neues Bild das einer vorbereiteten Umgebung, innerhalb derer die Lernenden ihren Lernprozess selbst planen, steuern und kontrollieren.

Dass Kontexte und Zusammenhänge für Lernen relevant sind, erscheint nun allerdings oft nicht als eine (späte) Einsicht in pädagogisch-didaktische Binsenweisheiten, die durch die Ausbreitung der Netzwerktechnologien lediglich befördert wurde, sondern als eine pädagogisch-didaktische Errungenschaft, welche auf die neuen Technologien sozusagen ursächlich zurückzuführen ist. Entsprechend reduziert sich in dieser Sicht, was als Umgebung für Lernen zu betrachten und zu gestalten sei, zu oft wieder auf die technischen Komponenten, die zum Einsatz kommen.

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Sehr deutlich ist dies, wenn etwa von virtuellen Lernumgebungen die Rede ist und damit doch nur die technische Plattform gemeint ist, die dazu dient, verschiedene Komponenten eines E-Learning-Systems zugänglich zu machen. Dagegen wäre zu sagen: Sowenig wie ein Schulgebäude an sich schon eine Lernumgebung ist, selbst wenn alles da ist, was man braucht, um dort Unterricht stattfinden zu lassen, so wenig ist ein technisches System eine Lernumgebung. Ein Schulgebäude wird erst zur Lernumgebung, wenn es im Rahmen entsprechender institutioneller Regelungen, eines organisationalen Arrangements, einer pädagogisch-didaktischen Konzeption und einer je spezifischen Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden genutzt wird. Schulgebäude kann man mit Baumaschinen bauen; die Lernumgebung Schule nicht. Lernplattformen (oder Learning-Management-Systeme, wie der aktuelle Terminus dafür lautet), kann man programmieren; die Geräte, auf denen sie „läuft“, kann man bauen; eine virtuelle Lernumgebung (die diesen Namen verdient), kann man allein so nicht herstellen.

Dennoch gibt es eine Beziehung zwischen dem technischen Bau und dem institutionellen sowie pädagogisch-didaktischen „Bau“ einer Lernumgebung. Auch hier kann man die Analogie zum Schulbau heranziehen. Wie ich durch den Innenausbau eines Schulgebäudes dafür sorgen kann, dass Kinder beispielsweise in einer bestimmten Ausrichtung zur Lehrerin sitzen, um so einen frontal durchgeführten Unterricht zu unterstützen; oder wie ich ein Schulhaus so bauen kann, dass es möglichst keine uneinsehbaren Winkel und Ecken gibt, in denen Kinder unkontrolliert tun können, was ihnen gefällt, so kann ich auch durch den technischen Bau einer Lernplattform lenken, welche Aktivitäten gefördert und welche unterbunden werden.

Das Programmierte Lernen war im 5. Kapitel als eine extreme Form der Steuerung und Kontrolle von Lernen vorgestellt worden. Selbstverständlich sind Lernplattformen denkbar, welche ausschließlich diesen Typ von computerunterstütztem Lehren und Lernen vorsehen. Lernplattformen fördern also nicht per se selbstreguliertes Lernen. Es kommt immer darauf an, wieweit technisches System und pädagogisch-didaktisches Konzept zueinander stimmig sind.

Bisweilen ist auch von einer neuen Lernkultur die Rede, welche durch die Neuen Medien befördert werde. Eine Kultur aber ist von dem Verhältnis zwischen denen geprägt, die sie gemeinsam entwickeln und tragen; hier also von der Kommunikation und Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden. Möchte ich, dass die Lehrenden den Lernenden zuhören, auf sie eingehen, sensibel sind für ihre Bedürfnisse, dann kann ich dafür nicht auf technischem Wege sorgen. Ich kann allerdings die notwendigen Voraussetzungen dafür schaffen, indem ich Instrumente zur Verfügung stelle, welche Interaktion und Kommunikation unterstützen. Oder wenn ich will, dass die Lernenden die Möglichkeit erhalten, selbstständig Projekte in Angriff zu nehmen, dann kann ich dafür sorgen, dass sie ungehinderten Zugriff auf die dafür nötigen Mittel erhalten. Wie die Mittel genutzt werden, ist aber damit niemals festgelegt, sondern davon abhängig, ob die Gesamtkonstellation aus institutionellen Regelungen, pädagogisch-didaktischem

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Konzept und bereitgestellten technischen Möglichkeiten eine entsprechende „Kultur“ aufweist und – vor allem – ob diese Kultur auch von den Akteuren wirklich gelebt wird.

Insofern kann hier von der Technik auch als einem Ermöglichungsmedium gesprochen werden. Sie ist, so gesehen, nicht mehr Mittel für einen bestimmten Zweck, der durch ihren Einsatz effektiver erreicht werden kann, sondern bietet einen Rahmen für die eigene Festlegung von Zwecken (Lernzielen), Formen und Mitteln durch die Lernenden, für eine Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden, in der die pädagogisch-didaktischen Konzepte der Lehrenden als Angebote erscheinen, die angenommen oder verworfen bzw. die gemeinsam modifiziert werden können; für eine Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden, die weniger Führung und Unterweisung als vielmehr Beratung und Unterstützung seitens der Lehrenden bedeutet.

Sie ermöglicht, aber sie schafft nicht diese Art von Lehren und Lernen. Weitere Ermöglichungsfaktoren (zum Beispiel institutioneller Art: wer darf was?) kommen hinzu.

Ich habe für diese Funktion der Technik als Ermöglichungsmedium an anderer Stelle den Begriff der „Zurückhaltenden Technik“ entwickelt. [Sesink 2004, S. 96-99] Eine solche Technik ist im doppelten Sinne „zurückhaltend“:

• Sie entlastet, hält Anforderungen, Ansprüche, Zwänge „vom Leib“, welche den Lernenden zu Reaktionen nötigen und in einer Art Reaktionsbereitschaft fesseln.

• Zum zweiten hält sie sich selbst zurück mit Anforderungen, zieht nicht Aufmerksamkeit auf sich, wird nicht selbst zu einer zu bewältigenden Aufgabe.

Durch diese doppelte Zuzrückhaltung schafft sie einen freien Raum für Neues; nicht zuletzt eben für ein selbstbestimmtes und nicht durch äußere Anforderungen diktiertes Lernen.

Aus diesen Vorüberlegungen ergibt sich folgende Differenzierung des Begriffs Lernumgebung:

• Umgebung des Lernens: Lernen findet immer schon in einer Umgebung statt und wird durch deren Gegebenheiten und Anforderungen geprägt. So gehören ökonomische Zwänge zur Umgebung des Lernens und wirken auf seine Zielsetzungen, seine Inhalte und seine Formen ein.

• Umgebung für das Lernen: Speziell vorbereitete Umgebungen sollen das Lernen gezielt in bestimmter Weise gestalten. Es kann zum Beispiel spezifisch dafür gesorgt werden, dass Lernen störungsfrei und konzentriert und daher effektiver stattfinden kann. Die Schule ist eine solche Umgebung für das Lernen; aber z.B. auch didaktische Arrangements im Rahmen der beruflichen Bildung gehören hierher.

• Pädagogisch gestaltete Lernumgebung: Hier wird die Umgebung für das Lernen so ausgestaltet, dass selbstbestimmtes Lernen (Bildung) unterstützt wird. In Erfüllung ihres öffentlichen Bildungsauftrags sollte die Schule eine solche Umgebung sein.

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• Technische Lernumgebung: Die Gesamtheit der technischen Elemente einer Lernumgebung. Ihre isolierte Betrachtung ist pädagogisch sinnlos, solange nicht davon ausgegangen werden kann, dass das Technische die Umgebung erschöpfend definiert, also das Lernen lediglich das technische Funktionieren des Lernenden zum Ziel hat. In allen übrigen Fällen geht es um übergreifende Kontexte des Lernens (Sinn-, Funktions- und Bedingungszusammenhänge), innerhalb deren technische Elemente ihre Bedeutsamkeit als bereichernd zu erweisen haben.

So kann das Internet als technisch induzierte Umgebung des Lernens im ersten Sinne angesehen werden. Das Internet ist mehr als die Internet-Technik. Aber die Internet-Technik hat die Entwicklung dessen ermöglicht, was wir heute als Internet kennen: eine neue Sphäre des weltweiten Austauschs von Daten, Informationen, Wissen; eine neue Sphäre der Kommunikation und Interaktion; eine neue Sphäre auch des Lernens und des Lehrens, obwohl es nicht für Zwecke des Lernens geschaffen wurde.

Technische Systeme können aber auch gezielt zur Unterstützung des Lernens eingesetzt werden; sie gehören dann zur Umgebung zweiten Typs. Kurs-Management-Systeme gehören hierher, wie sie insbesondere zur Unterstützung von Schulungen und Trainings eingesetzt werden.

Beispiele für pädagogischen Einsatz wären Bildungsserver oder Lernplattformen, welche Angebote bereithalten, die als Teil einer pädagogisch vorbereiteten Umgebung für Lernprozesse genutzt werden, bei denen es um die Förderung der Fähigkeiten zur selbstbestimmten Lebensführung geht.

11.2 Instrumentalität und Potenzialität Bei der Erörterung des Begriffs der Lernumgebung sind wir auf eine Funktion der Technik gestoßen, die sich weder mit dem traditionellen Verständnis von Technik als Mittel zum vorgegebenen Zweck noch mit dem neueren Verständnis der Technik als Medium, also Vermittlungsinstanz zwischen Subjekt und Objekt oder zwischen Subjekten so ganz fassen lässt: sie räumt Möglichkeiten ein oder schafft Raum für Möglichkeiten. Damit steht sie nicht mehr „zwischen“, sondern umfasst.

Da die Computertechnologie ja dennoch ganz unzweifelhaft auch instrumentellen Charakter hat (wie wir in den Kapiteln 4-7 gesehen haben), stellt sich die Frage, wie sich diese beiden Bestimmungen, Mittel zum Zweck und gleichzeitig nicht mehr instrumentell auf bestimmte Zwecke bezogen zu sein, denn miteinander vereinbaren lassen.

Die Antwort auf diese Frage liefert uns der spezifische Charakter der „Maschine“ Computer. Als „Maschine“ ist der Computer ein Instrument. Aber anders als alle anderen Maschinen ist er nicht mehr Instrument für einen bestimmten Zweck oder eine Reihe von bestimmten Zwecken, sondern Instrument für jeden möglichen Zweck, der

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sich überhaupt instrumentell, sprich zweckrational angehen lässt. Er ist eine „universelle Maschine“, die jede denkbare konkrete Maschine virtuell darstellen kann.

Als „universelle virtuelle Maschine“ lässt sich der Computer nicht mehr mit bestimmten jeweils existierenden Anwendungsformen identifizieren. Vielmehr stellt er ein unerschöpfliches Potenzial für den Bau virtueller Maschinen dar. (vgl. zur virtuellen Maschine das 9. Kapitel der Vorlesung „Grundlagen der Informationspädagogik“) Als „Mittel“ birgt der Computer daher ein über jeden bestimmten Zweck hinausweisendes Potenzial.

Der Überschuss der Mittel über die vorgegebenen Zwecke gehört zur Technik überhaupt und ist kein ausschließliches Charakteristikum der Computertechnologie. Das Neue ist jedoch, dass nun jede technische Beschränkung dieses Überschießens „im Prinzip“ aufgehoben ist, weil der Computer jede mögliche Maschine ist und Beschränkungen nur noch als Schranken der Technik überhaupt maßgeblich werden können.

Damit setzt eine Entwicklung ein, in deren Verlauf die Geisteswissenschaften ihre tradierte Leit-Funktion an die Ingenieurwissenschaften abzugeben gezwungen sein könnten. Eben dies erfährt die Pädagogik zur Zeit angesichts der Anforderung, sich endlich der Herausforderung durch die Neuen Technologien zu stellen. Die erste Überschrift in einer Broschüre, in der das Land NRW sein Programm „Schulen ans Netz“ den Lehrerinnen und Lehrern seinerzeit (1996) schmackhaft machen wollte, lautete: „Ideen gesucht”. Damit waren pädagogische Ideen gemeint. Nicht mehr erst die Idee, dann die Frage nach den Mitteln zu ihrer Realisierung; sondern jetzt: erst die Mittel, dann die Frage nach den pädagogischen Ideen, welche die technisch eröffneten Möglichkeiten ausschöpfen.

Der Erneuerungsimpuls – so scheint es – geht jetzt von den Geräten und Programmen aus, von der Technik; und diese verlangt dann sekundär nach der subjektiven Anstrengung, ihrem Einsatz einen Sinn abzugewinnen. Die „Mittel” übernehmen die Führung. „Der vernetzte Computer ist kein einfaches Werkzeug”, hieß es in der genannten Broschüre des NRW-Kultusministeriums. Er eröffne „neue Lernräume, die es verantwortungsbewußt zu entdecken gilt” [Neues Lernen 1996].

Damit wird erkennbar, worin das innovative Potenzial der Neuen Medien liegt. Keineswegs werden die Neuen Medien sozusagen von sich aus das Lernen verändern. Sie sind nicht selbst pädagogisch innovativ. Aber sie provozieren das Nachdenken über neue Lernformen und nötigen Pädagoginnen und Pädagogen dazu, innovativ zu sein. In einem gewissen Sinne werden wir durch sie aufgefordert, die Pädagogik neu zu erfinden. Ob dabei immer etwas wirklich Gutes herauskommt, steht auf einem anderen Blatt.

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11.3 Ein erweiterter Medienbegriff Es wurde schon angedeutet, dass sich die Dimension von Medialität als Ermöglichung nicht mehr deckt mit dem bisher zugrundegelegten Verständnis des Mediums. Die Unterscheidung von Medium und Medientechnik etwa beruhte ja darauf, dass die Medientechnik selbst aufgrund ihrer Inhaltsleere noch kein Medium ist. Als Beispiel diente uns u.a. die ganz traditionelle Medientechnik Tafel. Eine leere Tafel vermittelt nichts. Sie ist ein Produktions- und Präsentationsmittel für ein Medium (die Tafelanschrift), aber solange sie leer ist, erscheint sie als pädagogisch wertlos.

Wir können feststellen, dass im verbreiteten alltäglichen Sprachgebrauch diese Unterscheidung keineswegs konsequent durchgehalten wird. So wird der Computer oft als Medium bezeichnet, während er nach der in dieser Vorlesung bisher zugrundegelegten Terminologie als Medientechnik zu benennen wäre. Und auch Tafel und Kreide werden gelegentlich als (althergebrachte) Medien bezeichnet.

Der bisherige Gebrauch des Begriffs Medium bezog sich in dieser Vorlesung auf eine Mittlerstelle des Mediums, wie es dem Wortsinn ja auch ursprünglich entspricht. Das zu Vermittelnde erscheint in dieser Betrachtung allerdings als selbst dem Medium vorausgesetzt. So gibt es einerseits den Lernenden, andererseits den Lehrenden, und das Medium eMail beispielsweise vermittelt ihre Kommunikation, vermittelt also, was sie sich zu „sagen“ haben.

An diesem Beispiel kann man aber auch schon eine Erweiterung des Medienbegriffs plausibel machen. Denn was heißt: Das Medium eMail vermittelt ihre Kommunikation? Es kann heißen: die jeweils geschickten eMails vermitteln ihre Kommunikation; so wie ein handgeschriebener Brief die Kommunikation vermitteln kann. Man kann den Satz aber auch anders interpretieren: Mit der entsprechenden Technologie (Hardware, Vernetzung, Mailprogramm usw.) steht die grundsätzliche Möglichkeit zur Verfügung, über eMails miteinander zu kommunizieren. Die bereitstehende Technologie vermittelt also die Möglichkeit des eMail-Austauschs.

Das Medium als Ermöglichungsmedium vermittelt nicht mehr „zwischen“, sondern bildet eher einen Rahmen oder Hintergrund, innerhalb dessen oder vor dem etwas möglich wird, was ohne es nicht möglich wäre. Es steckt den Möglichkeitsrahmen ab. Und darin ist beides enthalten: die Erweiterung der bisherigen Möglichkeiten und zugleich die Begrenzung dieser neuen Möglichkeit: Ich kann nur auf die Weise kommunizieren, die dieses Medium zulässt.

Eine leere Tafel wird so also doch – entgegen der bisherigen Terminologie in dieser Vorlesung – zum Medium; oder allgemeiner: die Technik (sowohl die Produktions- als auch die Präsentationstechnik) ist in dem Sinne Medium, dass sie ermöglicht, einräumt; darin aber auch formt und prägt. Beides gehört immer zusammen.

Sehe ich die Aufgabe der Pädagogik darin, den Lernenden die Entfaltung ihrer Fähigkeiten zu ermöglichen; und bestehen menschliche Fähigkeiten nicht zuletzt auch

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darin, Technik zu gebrauchen, dann ist es ein wesentlicher Beitrag zur Erfüllung des pädagogischen Bildungsauftrags, ihnen Technik zur Erprobung und Entwicklung zur Verfügung zu stellen, sie Techniken im Gebrauch von Hard- und Software entwickeln zu lassen.

Vorausgesetzt ist, dass Technik im vorher charakterisierten Sinne „zurückhaltend“ eingesetzt wird; dass die Lernenden also nicht darauf getrimmt werden, der Technik zu Diensten zu sein; aber auch nicht darauf, Technik ihren Interessen dienstbar zu machen. Zurückhaltende Technik schafft vielmehr einen Raum, in dem sich objektive und subjektive Potenziale, also die in Technik enthaltenen noch unentborgenen Möglichkeiten und die im Menschen noch schlummernden unentwickelten Fähigkeiten wechselseitig erschließen.

Im Falle des Computers ist es das Maschinenpotenzial, das die menschlichen konstruktiven Fähigkeiten herausfordert. So wie wir ohne Menschen wie Mozart nie erfahren hätten, welche Musik durch den Geigenbau möglich geworden ist, so werden wir ohne Menschen nie erfahren, zu welchen Leistungen Computertechnologie geführt werden kann. Und wie wir ohne den Bau von Musikinstrumenten niemals erfahren hätten, welches musikalische Genie in Menschen wie Mozart steckt, könnten wir ohne Computer nicht erfahren, welche virtuellen Maschinen Menschen zu erfinden bzw. konstruieren in der Lage sind.

11.4 Ein konstruktivistisches Medium Der Computer ist auf der einen Seite eine Technik, die als solche selbst konstruiert ist. Insofern ist sie – wie alle Technik – ein Zeugnis von den konstruktiven Kräften der Menschen. Zugleich ist er eine Technik, die zum Konstruieren einlädt, weil sie wesentlich – wie in den vorherigen Abschnitten ausgeführt – Potenzial ist.

Der Computer kann zur Simulation jeder bekannten Technik genutzt werden. Dient er zur Simulation einer analogen Technik wie der Schreibmaschine, werden mit ihm die gleichen Erfahrungen möglich, welche mit einer herkömmlichen Schreibmaschine gemacht werden können. Wie im vorherigen Kapitel dargestellt, liegen in seinem Kern aber Möglichkeiten, die sich von den Limitationen analoger Technik völlig lösen.

Als digitale Technik gibt der Computer zwar nicht als physische Hardware, wohl aber in seinem technologischen Prinzip der freien Programmierbarkeit jede physische Bindung an die existierende Welt auf. Ein Programm steht in keinem physischen Austausch mehr mit der wirklichen Welt. Was immer es simulieren mag, wie realitätsnah es sich darstellt (etwa im Flugsimulator) – die simulierte Wirklichkeit (hier: das reale Cockpit eines Flugzeugs; die Kräfte, die bei Sturm auf das Flugzeug einwirken) hat selbst keinen Einfluss auf das Programm. Immer ist ein Programm freie Konstruktion, keinen Gesetzmäßigkeiten der wirklichen Welt zwangsläufig unterworfen.

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Wer Computerprogramme lediglich benutzt, wie sie sind, arbeitet mit diesen freien Konstruktionen, ohne selbst diese Freiheit des Konstruierens in Anspruch nehmen zu können. Wo immer aber Momente der Interaktivität eingebaut sind, wird der Nutzer – mit mehr oder weniger großem Gestaltungsspielraum – mit einbezogen in die Konstruktion. Dabei ist seine Freiheit niemals von der dargestellten Sache in ihrer wirklichen Gesetzmäßigkeit limitiert, sondern immer nur von den Spielregeln (vgl. Kapitel 9 zu „Simulationen“), die der Programmierer gesetzt hat. Wenn er sich buchstäblich in einem Rollenspiel „zum Affen machen“ kann, aber nicht zum Löwen, dann, weil der Programmierer das nicht vorgesehen hat, aber nicht, weil dies irgendetwas zu tun hätte damit, dass Menschen in der Wirklichkeit zwar Affen, aber niemals Löwen sein könnten.

Der Computer ist eine Konstruktionsumgebung. Das Konstruktionsmaterial, das er zur Verfügung stellt, ist das Bit. Aus diesem Material kann der, der den Computer als Computer nutzt, also der Programmierer, beliebige Welten bauen. Es liegt an ihm, wie ähnlich diese Welten der wirklichen Welt sind.

Aus diesem Grunde stellt der Computer ein Medium dar, dessen kulturelle Bedeutung sich von den traditionellen Kulturtechniken (die er weiterhin simulieren kann) unterscheidet. Sprache ist ein Medium, das zu einer Kultur gehört, die davon ausgeht, dass man die Welt zur Sprache bringen kann; dass die Welt sich uns gegenüber ausspricht und dass wir sie aussprechen können. Die Schrift gehört zu einer Kultur, in der die Welt als lesbar und in Texten beschreibbar erscheint. Das Rechnen entspricht einer Welt, die als berechenbar und kalkulierbar erscheint. Der Computer ist das Medium für eine Welt, die als konstruierbar gilt.

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12. Neue Medien – neue Methoden

12.1 Methode Dass die Neuen Medien eine neue Lernkultur forderten, wird vielfach behauptet. In dieser Vorlesung haben wir gesehen, dass dies keineswegs zwingend ist. In Form etwa des Programmierten Lernens können sie durchaus auch zur Effektivierung eines Lehrkonzepts genutzt werden, das als frontal zu kennzeichnen und eher als Bearbeitung von Kinderköpfen intendiert ist, als dass hier eine diskursive Kultur freier Bildungsbewegung unterstützt würde.

Einsatz Neuer Medien hat also nicht ohne weiteres auch neue Methoden des Lehrens und Lernens zur Folge. Nicht „ohne weiteres“ – das heißt: ein „weiteres“ muss hinzutreten, nämlich ein didaktisches Konzept, das die Potenzialität der Neuen Medien für eine neue Lernkultur, sprich für neue Methoden erschließt.

Die Bedeutung der Lehr- und Lernmethoden für Bildung ist in der pädagogisch-didaktischen Tradition lange vernachlässigt worden. Es waren vorzugsweise die Bildungsinhalte, die als bildungsförderlich gesehen wurden, während der Methodenfrage eine nur nachgeordnete Aufmerksamkeit gelten sollte. Wolfgang Klafkis schon zitierter Satz vom „Primat der Didaktik im engeren Sinne gegenüber der Methodik“ brachte diese Haltung zum Ausdruck. Dahinter stand die Sorge, dass dann, wenn Didaktik auf Methodik reduziert werde, also von den Zielen und Inhalten des Lernens absehe, Methodik zur bloßen Lehr- und Lerntechnik verkümmere.

Neuere pädagogisch-didaktische Konzepte rückten dann jedoch methodische Fragen stärker in den Vordergrund, ohne den pädagogischen Anspruch auf die Bildungsqualität von Lernen aufzugeben. Wie schon in der Reformpädagogik wurde in der kommunikativen oder in der handlungsorientierten Didaktik die hohe Relevanz der Methode für Ziele des Lernens, sozusagen eine eigene inhaltliche Bedeutung der Methode für Lehren und Lernen anerkannt.

Dabei kann man sich auf den Ursprungssinn des Wortes Methode berufen, der so viel besagt wie Weg; hier Weg des Lernens, der Entwicklung. Methode ist dann nicht eine technische Verfahrensweise, die sich vom konkreten Lernprozess abgelöst erwerben und in beliebigen Kontexten benutzen ließe, sondern die Ausgestaltung eines Lernwegs.

Wenn Methode so vom Ursprungssinn des Wortes her als Weg verstanden wird, dann kann es zwei unterschiedliche Vorstellungen von „Weg“ geben:

• den sichtbaren, „gebauten“ Weg (objektiv) und • den unsichtbaren, „gegangenen“ Weg (subjektiv).

Beide Wege können zusammenfallen, müssen dies aber nicht:

• Im Schienenmodell fallen sie zusammen: Subjektiv wird dem gebauten Weg gefolgt.

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• Im Schneisenmodell dagegen wird subjektiv ein neuer, nie gegangener Weg gebahnt.

Beide Modelle erscheinen als unangemessen. Das Schienenmodell lässt dem Lernen überhaupt keinen Freiraum. Es kann nur „erfahren“ werden, was vorgebahnt wurde. Lernen wird zur Wiederholung des Lernens anderer, die das von ihnen Gelernte im Lehren weitergeben. Eine Weiterentwicklung über einen einmal erreichten Stand schiene unmöglich; individuelle Wege ungangbar. Ein solches Lernen kommt immer nur dahin, wo andere schon waren und sind.

Das Schneisenmodell dagegen mutet dem einzelnen Lernenden die ganze ursprüngliche Pionierarbeit eines ersten Lernens auf, das allein aus eigener Kraft sich die Welt auf seine und nur seine Weise erschließt. Ein solches Lernen kommt nicht weit.

Die Wirklichkeit des Lernens besteht in einer Verbindung von Elementen beider Modelle: Eine Unterstützung des Lernens durch Bereitstellung von „Geh-Hilfen“, Wegebahnungen, Wegweiser, Landkarten, Wegbegleitung; und ein Freilassen des Lernens durch Raum-lassen und Zeit-lassen für das eigene Finden und Gehen des Wegs.

Aus solchen Vorüberlegungen zur Methode als Weg ergeben sich Fragen an Mediengestaltung und Medieneinsatz: Wie kann Bildung als Gehen des eigenen Wegs unterstützt werden durch:

• ein Angebot an Lernhilfen (Geh-Hilfen bis hin zu ganzen „Schienensträngen“, die helfen, unwegsames Gelände zu überwinden und freies Gelände zu erreichen);

• Orientierung durch spezifische Beleuchtung der Dinge, über die etwas gelernt wird (Repräsentation);

• Schaffung freien Raums als Ermöglichung eigener Bildungsbewegung; • Wiederspiegelung der eigenen Bildungsbewegung durch Rückmeldung des

Standes bzw. des zurückgelegten Weges (Anlass zur Reflexion).

12.2 Werkstattkonzept Im abschließenden Abschnitt soll nun ein Konzept für die pädagogische Gestaltung einer Lernumgebung unter Einbeziehung der Neuen Medien vorgestellt werden, wie wir es im Arbeitsbereich Bildung und Technik an der TU Darmstadt für die PädagogInnen-Ausbildung selbst zu praktizieren versuchen. Wesentlich hierfür ist der Werkstattgedanke („Computer-Studienwerkstatt“). Die Untergliederung orientiert sich an den verschiedenen Bestandteilen des Namens „Studienwerkstatt“.

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12.2.1 Stätte Raum und Ort Die Werkstatt ist zunächst ein Raum, der sich an einem bestimmten Ort befindet. Sie hat eine „Adresse“, an der man sie finden kann, zu der man hingehen kann. Der Raum selbst ist als Raum zum Lernen gestaltet (wobei hier eine besondere Form des Lernens gemeint ist, die sich eben mit dem Werkstattkonzept verbindet).

Durch den Einsatz der Neuen Medien erweitert sich, was „Raum“ heißt und an welchem „Ort“ er sich befindet. Wir müssen also die Erweiterung der Werkstatt in den virtuellen Raum in unsere Überlegungen mit einbeziehen. Die Web-„Adresse“ der Werkstatt bezeichnet nicht mehr den physisch identifizierbaren Ort (Pankratiusstraße 2, 64289 Darmstadt), sondern eine virtuelle Ortsangabe (www.tu-darmstadt.de/fb/fb3/paed/), an der man die Werkstatt „aufsuchen“ und „finden“ sowie ihre virtuellen Räume „betreten“ kann.

Der virtuelle Raum kann erscheinen als ein Raum im Raum. Die Lernenden müssen erst den realen Raum betreten, um von dort in den virtuellen Raum zu gelangen. Andererseits ist der virtuelle Raum aber nicht ein Teil des realen Raums, sondern in gewissem Sinne seine Erweiterung.

Die Stätte ist durch dies Zusammenspiel von realem und virtuellem Raum charakterisiert. Dadurch entsteht ein Spannungsverhältnis, das in der architektonischen Raumgestaltung bewusst konzeptionsprägend geworden ist.

Zur Innenarchitektur der Computer-Studienwerkstatt (Text von Alexander Bernjus, Architekt)

Computerräume sind im allgemeinen neutrale Räume ohne eigenen Charakter, in welchen flächenoptimiert möglichst viele Geräte aufgestellt sind. Unabhängig von äußeren Einflüssen, ermöglichen weitgehend konstante Bedingungen ein ungestörtes Eintauchen in digitale bzw. virtuelle Welten. Realität und direkte Zwischenmenschlichkeit werden weitgehend ausgeblendet, oft entsteht ein befremdendes Gefühl von Unwirklichkeit.

Um einer Abstraktion der direkten Umgebung entgegenzuwirken und diese wieder mehr in das Bewusstsein zu rufen, wurde beim Entwurf der Computerstudienwerkstatt des Institutes für Pädagogik, neben der reinen Bearbeitung funktionaler Anforderungen, besonderer Wert auf die materielle Ausgestaltung des Raumes gelegt. Kontrastierend stehen sich reale und digitale Welt, Mensch und Maschine, Natur und Technik gegenüber, um in anregende Wechselbeziehungen zu treten.

Der eigentliche Raum gliedert sich in einen Seminar- bzw. Arbeitsbereich und einen Kommunikationsbereich, die durch einen Erschließungsring miteinander verbunden sind. Im Arbeitsbereich können bis zu 8 Computerplätze, für Einzel-und Gruppenarbeit,

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installiert werden. Um auf unterschiedliche Seminarsituationen gut reagieren zu können, bleibt die Organisation der Arbeitsplätze flexibel.

Im Kontrast dazu steht der fest möblierte Kommunikationsbereich, der Arbeitsgruppen die Möglichkeit zur Vorbereitung und Besprechung gibt. Hier wurde eine eher intime Atmosphäre geschaffen, die prägend ist für die Gesamtsituation der Computerstudienwerkstatt.

Die handwerklichen Materialien, die zur Ausgestaltung des Raumes verarbeitet wurden, stehen als Kontrapunkt seiner hauptsächlich technischen Funktion gegenüber. Modernste Verarbeitungstechniken garantieren höchste Präzision und bilden somit den Brückenschlag zur Genauigkeit der digitalen Welt. Anachronismus in der Gestaltung von realer Umgebung ist nicht angestrebt. Die Oberflächen der verwendeten einfachen, natürlichen Materialien wie Putz, Holz, Flechtstroh und Sisal, sind in ihrer hohen Qualität nicht nur visuell, sondern auch haptisch erfahrbar. Sie bringen somit eine weitere Ebene der Wahrnehmung ins Spiel, die nur im realen Raum spürbar ist. Im digitalen Zeitalter stehen diese Materialien als Zeugen elementarer Schönheit.

Die Belichtung des Raumes erfolgt weitestmöglich durch Tageslicht, um einen direkten Außenbezug herzustellen. Störungen, wie z.B. Blendung durch direkte Sonneneinstrahlung, können manuell korrigiert werden, indem Flechtstrohelemente als Blendschutz vor die Fenster geschoben werden. Schwaches Tageslicht kann durch Kunstlicht unterstützt werden, das im Raum sowohl direkt als auch indirekt verwendet wird. Direktes Licht, über der Arbeitsfläche des Seminarbereiches, sorgt für optimale Ausleuchtung der Arbeitsplätze, die indirekte Beleuchtung der Verkehrsfläche und des Kommunikationsbereichs steigert die Gesamtraumwirkung und erzeugt eine behagliche, angenehme Lichtstimmung.

Die Computerstudienwerkstatt gibt das Prinzip des reinen Funktionsraums auf, indem sie die reale Umgebung nicht mehr neutral im Hintergrund verharren, sondern in ihrer Vielschichtigkeit selbst zum Thema werden lässt. Die reale Umgebung kontrastiert der digitalen Funktionalität und nötigt, Eindrücke ins Verhältnis zu setzen und interessante Wechselbeziehungen aufzubauen, die in den kreativen Arbeits- und Lernprozess einfließen können. Reale und Digitale Welt sollen einander annähern und überschneiden, nicht nebeneinander, sondern miteinander existieren.

Zurückhaltung Eine Werkstatt ist in der Regel so gebaut, dass sie einerseits Schutz bietet gegen störende Einflüsse von außen (etwa Wetter), andererseits nach innen hin Freiraum gibt für die Erstellung des Werks. Die Stätte ist „umhüllt“ (Wand, Dach, Boden).

Für diese Seite der Gestaltung von Lernumgebungen wurde von mir der Begriff der doppelten Zurückhaltung geprägt: Zurückhaltung der äußeren Störungen, Bedrohungen, Gefahren; und Zurückhaltung nach innen, also Freigeben und Freilassen von Raum für

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die Konzentration auf Bildung. Ungestörtheit und Konzentration sind wichtige Bedingungen für erkundendes Lernen.

Zurückhaltend sind die Neuen Medien sicherlich allein dadurch, dass sie per se die reale Welt ausschließen und insofern eine Konzentration auf das ermöglichen, was sie präsentieren. Andererseits drängen sie sich oft mit eigenen Anforderungen den Lernenden auf, etwa indem ihre Nutzung erst aufwändige Qualifikationsbemühungen verlangt, aufwändige technische Maßnahmen zur Installation voraussetzt oder immer wieder Anstrengungen zur Wiederingangsetzung nach Abstürzen und dergleichen nötig macht. Dadurch nimmt eine aufdringliche Technik den Freiraum wieder, der durch Zurückhaltung der äußeren Welt entstehen könnte.

Durchlässigkeit Bei aller Zurückhaltung darf und soll die Werkstatt nicht hermetisch abgeschirmt sein von der Außenwelt; darf und soll die Außenwelt nicht völlig ausgeschlossen sein. Die „Hülle“ der Werkstatt muss vielmehr so durchlässig sein, dass der lebensnotwendige Kontakt zur Außenwelt erhalten bleibt und deren Anforderungen lediglich in ihrer Gewalt gebrochen werden. Sonst würde der Raum zur Grabesstätte. Türen, Fenster und jetzt auch die Netzwerkleitungen der Computer schaffen Verbindungen nach draußen, die verhindern, dass der architektonische Schutzraum zum Sarg wird.

Die wichtigste Verbindung zur Natur und nach draußen stellen die Menschen allerdings selbst dar. Als physisch-leibliche Wesen können sie nie bloß Funktionselemente in einem geschlossenen Raum sein. So muss der Raum nicht nur nach außen hin durchlässig sein, er muss auch nach innen hin auf die Natur der Menschen eingehen. Natur ist im Raum selbst präsent. Architektonisch spielt dieser Gesichtspunkt u.a. bei der Auswahl der Materialien für Boden, Wände, Möbel, bei der Farbgebung und bei der Lichtgestaltung eine besondere Rolle, die eben nicht nur unter funktionalen und nicht nur unter ergonomischen Gesichtspunkten erfolgen.

Zur Durchlässigkeit gehört das Betreten und Verlassen des Raums. Jedes Betreten und Verlassen bedeutet für den Lernenden eine Umstellung: den Eintritt in eine andere Welt. Meist ist uns dies so selbstverständlich, dass wir die besondere Anforderung, die darin liegt, gar nicht mehr registrieren. Je hermetischer allerdings der Raum zum Lernen von der Außenwelt abgeschirmt ist (je weniger durchlässig er ist), desto schwerer fällt die Umstellung und umso bemerkbarer ist die Anstrengung, die sie kostet.

Wir können dies gut beobachten am Verhalten von Kindern beim Betreten und Verlassen des Schulgebäudes. Das explosive „Ausbrechen“ der Kinder nach Schulschluss zeigt, wie sehr der Aufenthalt im Schulraum als Eingesperrt- und Abgesperrtsein empfunden wird, wie sehr es die Kinder drängt, wieder in die Welt draußen zurückkehren zu können. Es weist auf eine mangelnde Durchlässigkeit der Schule hin.

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Aber auch unter günstigeren Umständen verlangt das Eintreten in den Raum zum Lernen ein Hineinfinden, das seine Zeit braucht. Die Lernenden müssen sich immer erst auf die andere Art der Auseinandersetzung mit der Welt einstellen, die einer anderen Lebensform gleichkommt. Es dauert immer etwas, bis die Lernenden „dort ankommen“. Und ähnlich ist es mit dem Verlassen dieses Raums, der „Rückkehr“ ins Leben.

Die Sache wird erheblich komplizierter, wenn die Übergänge (Türen und Fenster) zwischen realem und virtuellem Raum hinzukommen. Innerhalb der Werkstatt können die Lernenden zusätzlich in die virtuelle Welt der Netzwerke eintreten und diese wieder verlassen. Auch dies will erst einmal gekonnt sein. Den meisten von uns mag das inzwischen so geläufig sein, dass sie es gar nicht mehr bemerken, welche Umstellung bei diesem „Eintauchen“ jedesmal stattfindet, um sich in diesem Raum orientieren zu können, um die Art der Objekte, die man dort antrifft, einschätzen zu können, um an der dort üblichen Art der Kommunikation teilnehmen zu können usw. Aber wer noch seine ersten Schritte unternimmt, sieht sich mit der Fremdheit dieser Welt konfrontiert.

Und auch hier ist das Zurückfinden keineswegs trivial. Durchlässig ist der virtuelle Raum des Lernens dann, wenn er es unterstützt, den Bezug zur Außenwelt präsent zu halten, wenn er nicht das Vergessen dieser Außenwelt forciert, so dass der Lernende sich im virtuellen Raum gleichsam verliert und vergisst und die Rückkehr einem mehr oder weniger gewaltsamen Sich-Herausreißen aus der virtuellen Welt gleichkommt.

Ressourcen Wenn wir an traditionelle Werkstätten denken, dann sicher immer auch an das Material und die Werkzeuge, die dort bereitliegen und -stehen. Eine Lern- oder Studienwerkstatt ist ein Ort, an dem die Lernenden Ressourcen zum Lernen vorfinden.

Zu den Ressourcen gehören beim Werkstattkonzept nicht nur Materialien und Werkzeuge; es gehört auch das Lehrangebot dazu, wobei die Betonung auf Angebot liegt.

Die Arbeit in einer Lernwerkstatt ist nicht lehrgangsmäßig organisiert. Was und wie gelernt wird, bestimmen die Lernenden selbst. Für diese selbstbestimmte Form des Lernens bietet sie eine fördernde Umgebung. Wenn Lehrveranstaltungen angeboten werden, hat dies nicht die traditionelle Bedeutung. Sie gehören sozusagen zum „Lernzeug“, das in der Werkstatt verfügbar ist. Ob darauf zugegriffen wird oder nicht, ob das Angebot wahrgenommen wird oder nicht, liegt bei den Lernenden.

Neue Medien gehören zu diesen Ressourcen, die den Lernenden zur Verfügung gestellt werden: als Lernzeug für selbstbestimmtes Lernen. Ebenso wie informationspädagogische Lehrangebote.

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Freigabe Die Ressourcen einer Werkstatt haben Geld gekostet. In Bildungseinrichtungen wird daraus oft abgeleitet, dass man sie vor ihren Nutzern schützen muss. Kindern und Jugendlichen wird oft unterstellt, dass sie von sich aus nicht sorgsam genug mit den teuren Geräten umgehen. Die Konsequenz ist, dass die Ressourcen weggeschlossen werden und nur unter Aufsicht an „Befugte“ ausgegeben werden.

So verständlich dies angesichts knapper Mittel der Institutionen sein mag, wird damit doch den Lernenden signalisiert, dass diese Dinge nicht für sie da sind, sondern dass man sich als Lernender erst eine spezielle Berechtigung erwerben muss, um sie nutzen zu können; und dass ihre Nutzung mit einem grundsätzlichen Misstrauen beobachtet wird. Die Priorität – so der vermittelte Eindruck – liegt beim Werterhalt der Geräte, nicht beim Lernfortschritt der Lernenden.

Dies ist ein außerordentlich demotivierendes Signal. Werkstatt heißt demgegenüber, dass die Ressourcen frei zugänglich sind und von jedem genutzt werden können, der in der Werkstatt lernt. Damit soll ein anderes Signal gegeben werden: Alles dient Eurem Lernen. Was wir hier tun, wofür wir Vorsorge treffen, was wir bereitstellen – das alles ist für Euch. (Vermutlich wird durch ein solches Signal Vandalismus ein wesentlich geringeres Problem, als befürchtet.)

12.2.2 Werk Aufgaben, Projekte Lernen unterscheidet sich vom Arbeiten. Deshalb ist der Werkstattgedanke auch nicht ganz unmodifiziert auf Stätten des Lernens übertragbar. Beim Arbeiten geht es in erster Linie um das Produkt, das irgendein Bedürfnis befriedigen soll. Bei der handwerklichen Arbeit steht es allerdings auch für die Leistung seines Urhebers: „Das Werk soll den Meister loben.“

Beim Lernen wird nichts hergestellt. Die Lernleistung ist mit der Arbeitsleistung insofern nicht gleichzusetzen. Lernen hat zwar Ergebnisse, doch sind diese nicht vom Lernenden ablösbar. Der Zuwachs an Können, die neu gewonnene Einsicht – dies sind keine Produkte.

Dennoch gibt es gute Gründe dafür, auch in einer Lernstätte das Werk hervorzuheben. Dabei ist der zweite Aspekt primär: Das Werk soll den Meister loben. Genauer gesagt: Es soll seinen Lernerfolg „loben“. Im Werk soll das, was sonst verborgen in der Subjektivität des Lernenden eingeschlossen bleibt, nach außen treten und sichtbar werden, für andere und für den Lernenden selbst.

Das Werk, in dem der Lernende sein erworbenes Können demonstriert, gibt ihm eine Rückmeldung; im Prozess seiner Erstellung ebenso wie im Produkt. Der Lernende kann auf eine indirekte Weise sein eigenes Lernen betrachten; dadurch auch befragen,

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reflektieren, selbstkritisch beurteilen. Lernen stellt seine Wirksamkeit unter Beweis und damit seine lebenspraktische Relevanz.

Bildung ist Entfaltung der subjektiven Potenziale, insofern Persönlichkeitsentwicklung. Die pädagogische Tradition hatte daher immer Schwierigkeiten, eine Vereinbarkeit von Bildung mit der Orientierung an Anforderungen anzuerkennen. Für letzteres stand stattdessen der Begriff der Ausbildung.

Die Fähigkeiten der Person müssen sich aber immer unter gegebenen Lebensbedingungen erweisen und verwirklichen, enthalten daher notwendig immer auch eine Orientierung an diesen Bedingungen, zu denen auch Anforderungen gehören. Die Qualität von Bildung erweist sich nicht im Ignorieren gesellschaftlicher Anforderungen, sondern im kreativen Umgang mit ihnen. Die Erfüllung von Anforderungen, die Erledigung von Aufgaben, die von anderen gestellt werden, widerspricht daher nicht per se dem Anliegen der Bildung, sondern kann auch eine Chance bieten, Bildung als realitätstüchtig zu erweisen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Bildung sich nicht erschöpft in der zufriedenstellenden Erfüllung von Aufgaben.

Es ist ein wesentliches Moment des Werkstattkonzepts, Möglichkeiten bereitzustellen, den persönlichen Bildungsprozess in Relation zu setzen zur Anforderungsstruktur der Lebensrealität. Deshalb liegt eine Betonung auf aufgaben- und projektorientiertem Lernen. Der Begriff Aufgabe akzentuiert stärker die Orientierung an Anforderungen, die von außen gestellt werden; der Begriff des Projekts akzentuiert stärker das eigene Vorhaben. (Allerdings kann man sich selbstverständlich auch selbst Aufgaben stellen; oder an Projekten teilnehmen, die von anderen konzipiert und initiiert wurden.)

Das „Werk“ besteht hier also in der Lösung bzw. Bewältigung der Aufgabe bzw. des Vorhabens. Und das Lernen dient diesem Ziel. Für viele Lernende ist damit ein erheblicher Motivationsgewinn verbunden. Lernen ist oft auch anstrengend; und es gibt für viele attraktivere Betätigungen. Wenn deutlich wird, „wofür“ es gut ist, fällt es ihnen sehr viel leichter, die Anstrengung des Lernens auf sich zu nehmen. (Daneben gibt es natürlich auch immer diejenigen, für die Lernen selbst schon soviel persönliche Bereicherung bedeutet, dass sie sich die Frage des „Wofür“ in dieser Weise gar nicht eigens zu stellen brauchen.)

Die traditionelle Form des Leistungsnachweises ist allerdings die schriftliche Arbeit. Die Textform ist also die übliche Gestalt des „Werks“. Der Einsatz der Neuen Medien böte jedoch ein erheblich weiteres Spektrum an Verarbeitungs- und Ausdrucksformen. Und Projekte könnten daher in anderen Ergebnissen resultieren als in einer schriftlichen Arbeit. Will man diese neuen Möglichkeiten wahrnehmen, muss man über diese anderen Ausdrucksformen und ihre spezifischen Qualitäten nachdenken. Projektarbeit mit Neuen Medien verlangt also eine genauere Reflexion der unterschiedlichen medialen Ausdrucksformen.

Damit verbunden ist die Frage der Verarbeitung. Auch Text ist nicht gleich Text. Aus dem Deutschunterricht weiß jeder noch, dass zwischen einer Nacherzählung und einer

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Erörterung ein gewaltiger Unterschied besteht, der unterschiedliche Verarbeitungsweisen eines Themas durch die Lernenden verlangt. So stellen selbstverständlich auch die erweiterten Ausdrucksmöglichkeiten der Neuen Medien ganz unterschiedliche Anforderungen an die Verarbeitung eines Themas. Ob die Lernenden ein Video produzieren, eine Website gestalten oder einen wissenschaftlichen Aufsatz schreiben – jedesmal kommt eine andere Qualität der Vermittlung der gewonnenen Einsichten zustande; und jedesmal finden andere Weisen der Verarbeitung statt.

Veröffentlichung Die traditionellen Formen der Leistungsnachweise richten sich an meist nur einen oder zwei Beurteiler, bleiben also in die Sphäre des Bezugs zwischen diesen Personen eingeschlossen. Höchstens Abschlussarbeiten wie Magister- oder Diplomarbeiten werden noch durch Veröffentlichung einem breiteren potenziellen Publikum zugänglich gemacht. Die meisten Arbeiten aber, in die von ihren AutorInnen ja oft erhebliche Lebenszeit, „Herzblut“ und Engagement gesteckt wurden, verschwinden in Schubladen, Kartons oder an sonstigen Abstellorten und erblicken nie mehr „das Licht der Öffentlichkeit“. (Referate richten sich immerhin schon an die „Öffentlichkeit“ einer Schulklasse, eines Kurses oder eines Seminars; doch ist dies eine bewusst eingeschränkte Öffentlichkeit; und die schriftlichen Ausarbeitungen erfahren dann doch das gleiche Schicksal wie sonstige schriftliche Leistungsnachweise.)

Leistungsnachweise erscheinen daher als Leistungen für die Bildungsinstitution und nicht „fürs Leben“. Und selbst die Bildungsinstitution arbeitet ja nicht weiter mit diesen Arbeitsergebnissen, sondern bewahrt sie lediglich auf. Um erfahrbar zu machen, dass Lernleistungen Leistungen „fürs Leben“ sind, sollte daher über Formen ihrer „Veröffentlichung“ nachgedacht werden.

Unsere Bildungseinrichtungen kennen dergleichen ja. Um ihre Arbeit der Öffentlichkeit zu präsentieren, werden regelmäßig „Tage der offenen Tür“ o.ä. veranstaltet, an denen u.a. eben auch Arbeiten der Lernenden ausgestellt, gezeigt, vorgeführt werden. Auch die Projektwochen in den Schulen schließen meist mit einer öffentlichen Präsentation der Ergebnisse ab. Wenn Projektarbeit nicht nur als Ausnahme und Unterbrechung des normalen Betriebs, vielmehr als eine Regelform des Arbeitens vorgesehen wird, sind entsprechend auch solche öffentlichen Präsentationen der Arbeitsergebnisse als Regelfall vorzusehen.

Das Medium Internet bietet hierfür eine ausgezeichnete Plattform, bei der es kaum mit Platzproblemen zu kämpfen gilt und unterschiedliche Arten von Arbeitsergebnissen präsentierbar sind; der Text ebenso wie die Slide-Show; das Video ebenso wie ein Cluster von HTML-Seiten; eine Software ebenso wie eine Animation. Über das Internet sind zudem die Präsentationen für die größte Öffentlichkeit zugänglich, die man sich derzeit denken kann. (Die lokale Präsentation mit persönlicher Anwesenheit, der

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Möglichkeit zum persönlichen Gespräch mit BesucherInnen ist dennoch nicht durch die Internet-Präsentation ersetzbar.)

Teamarbeit, Interdisziplinarität Der pädagogische Projektgedanke (ein reformpädagogisches Erbe) verbindet sich traditionell mit Gruppen- oder Teamarbeit.

Problematisch ist, dass in den Bildungseinrichtungen in Bezug auf die Vorstellungen von Lernen und Leistung immer noch die Konzeption des einsamen Lerners dominiert und entsprechend die institutionellen Vorgaben eine Anerkennung von Gruppenarbeit nicht wirklich vorsehen. Auch wenn Gruppenarbeit zugelassen oder sogar erwünscht ist, wird sie immer noch primär unter dem Gesichtspunkt betrachtet, dass sie lediglich einen Kontext für individuelles Lernen darstellt bzw. dass das individuelle Lernen als identifizierbarer Beitrag zur Gesamtleistung isoliert werden kann. Alle jene Aspekte des Lernens, die damit zu tun haben, dass man in einer Gruppe voneinander lernt, dass die Leistung der Gruppe Elemente enthält, die nicht mehr ihren individuellen Mitgliedern zuschreibbar sind, dass es auch ein Lernen der Gruppe gibt, zu dem zwar alle ihren Beitrag leisten, das aber dennoch nicht lediglich die Summe des Lernens der Einzelnen darstellt, erfahren nicht wirklich eine Würdigung. Das Beurteilungs- und Bewertungssystem der Institutionen klammert sie aus. Deshalb gehört zur Einbeziehung von Team- und Projektarbeit auch die Überlegung, welche Formen der Leistungsbeurteilung und -bewertung entwickelt werden können, die den neuen Anforderungen gerecht werden.

12.2.3 Didaktische Rahmung Freiraum, Spielraum Wenn ich vom Ermöglichungsmedium spreche, dann intendiere ich damit eine spezifische Dimension von Medialität, welche sich mit dem Raumbegriff verbindet. Zum einen ist das Medium sozusagen das Lebenselexier, wie das Wasser für den Fisch. Die Ermöglichung ist hier in der umfassendsten Weise gedacht: Wasser ermöglicht dem Fisch sein Leben; es ist sein Lebensraum. So könnte das Medium gedacht und konzipiert werden als „Lebensraum“ für Bildung.

Bildung „lebt“ von der Ermöglichung selbstbestimmten Lernens. Ihr „Lebensraum“ wäre also ein Raum, in dem die Potenziale der Lernenden sich aus ihrem eigenen Sinn heraus entfalten können. Ein solcher Freiraum für Bildung braucht eine didaktische Rahmung, welche den Lernenden die Sicherheit gibt, dass dieser Freiraum tatsächlich existiert, also in das institutionelle Umfeld als Freiraum integriert ist; dass sich zum Beispiel nicht plötzlich herausstellen kann, dass die von den Lernenden in Anspruch genommene Freiheit, etwas auf die und die Weise zu machen, von der Institution gar nicht wirklich zugestanden war. (Auf die universitäre Situation bezogen: dass für eine

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ungewöhnliche Verarbeitungsform eines Themas nicht plötzlich der Schein verweigert wird.)

Eine solche Rahmung (man könnte auch von „Fassung“ sprechen) bedeutet immer auch eine Eingrenzung: Nicht alles ist möglich oder zugestanden. Es ist wichtig, sich bewusst zu halten, dass es keinen Freiraum ohne solche Eingrenzung geben kann; die Eingrenzung also keine Negation des Freiraums, sondern seine Ermöglichungsbedingung ist.

Ermöglichung Im Abschnitt über Instrumentalität und Potenzialität im 11. Kapitel wurde es schon gesagt: Medien lassen sich nicht nur als Mittel zur Erreichung vorgegebener Zwecke verstehen; sie eröffnen auch neue Möglichkeiten. Sie bringen die Lernenden auf neue Ideen; und der ihnen eingeräumte Freiraum soll ihnen die Umsetzung ihrer Ideen ermöglichen.

Zum Werkstattkonzept gehört die Offenheit für neue Ideen, die wiederum nicht unvermittelt vom Himmel fallen, sondern in einem Prozess der Erkundung, des Ausprobierens, Experimentierens entstehen. Dazu gehört die Verfügbarkeit von Ressourcen für die Verwirklichung. Dazu gehört Toleranz für Umwege und Irrwege, auch für das Misslingen. Letztlich aber heißt Ermöglichung: es in die „Hand“ der Lernenden legen, was sie aus dem Angebot machen.

Selbsttätigkeit, Selbstregulierung, Eigenverantwortlichkeit Das Neue der Neuen Medien besteht in ihrer permanenten Erneuerungsdynamik. Deshalb hat sich in der Diskussion um die pädagogisch-didaktische Bedeutung der Neuen Medien die Einsicht durchgesetzt, dass das traditionelle Verständnis von institutionalisiertem Lernen nicht länger tragfähig ist. Die Institution verfügt nicht mehr über die Voraussicht, um vorgeben zu können, was heute für morgen gelernt werden muss. Damit hängt zusammen, dass die Lehrenden sich nicht mehr auf gesicherte Qualifikationsvorsprünge gegenüber den Lernenden stützen können, jedenfalls nicht im Bereich der Neuen Technologien. Die Lehrenden selbst haben Mühe, sich auf dem Laufenden zu halten; und ihre Aufgabe besteht immer mehr darin, den Lernenden Unterstützung zu geben bei der Organisation ihres eigenen Lernprozesses.

Es hat sich daher ein geändertes Verständnis von der Verantwortlichkeit in Lehr-Lern-Prozessen entwickelt. Die Verantwortlichkeit wird nicht mehr per se beim Lehrenden gesehen; das Gewicht wird sehr viel mehr in Richtung Selbstverantwortlichkeit der Lernenden verschoben.

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Unterstützung, Begleitung Das heißt nicht, dass die Lernenden schlicht sich selbst überlassen werden. Die didaktische Rahmung steckt auch die Grenzen der Eigenverantwortlichkeit ab. Und die Institution übernimmt Verantwortung für die Bereitstellung der Rahmenbedingungen: von Ressourcen, Lehrangeboten, persönlicher Unterstützung, Begleitung, Beratung.

Selbstverständlich bedeutet dies eine Veränderung der Rollen von Lehrenden und Lernenden und ihres Verhältnisses zueinander. Lehrende sind auch Lernende. Und die Lernenden müssen sehr viel mehr autodidaktische Fähigkeiten entwickeln, also sich unabhängig machen von der Anleitung durch Lehrende.

Verbindlichkeit Dass Freiraum kein Leerraum ist, dürfte schon deutlich geworden sein. Freiraum bedeutet aber auch keine Beliebigkeit. Zur didaktischen Rahmung gehört auch die Festlegung einer gewissen Verbindlichkeit. Engagement seitens der Lernenden, Einsatz, Bemühung um Qualität – dies ist die erwartbare Antwort auf den Einsatz auf Seiten der Lehrenden, auf die institutionellen Ermöglichungen.

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Höfling, S./Mandl, Heinz (Hg.): Lernen für die Zukunft – Lernen in der Zukunft. Wissensmanagement in der Bildung. München: Hanns-Seidel-Stiftung, 1997

Kultusministerium NRW: Neues Lernen. Mit learn: line. Was Sie wissen müssen müssen, um Ihre Schule ans Netz zu bringen. NRW-Schulen ans Netz. Verständigung weltweit. Eine Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen (1996)

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9. Literatur zum Kapitel „Simulationen“ Adler, Bernhard/Sorkau, Eduard: Computersimulationen in der Chemie. Leipzig: Dt. Verlag f. Grundstoffindustrie, 1990

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Weizenbaum, Joseph: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1978

Wink, Stefan/Lindner, Katharina: Kids & Computerspiele. Eine pädagogische Herausforderung. Mainz: Logophon, 2002

10. Literatur zum Kapitel „Multimedia“ Issing, Ludwig J./Klimsa, Paul (Hg): Information und Lernen mit Multimedia. Weinheim: Beltz, 1995 (3. Aufl.: Issing, Ludwig J./Klimsa, Paul (Hg): Information und Lernen mit Multimedia und Internet. Weinheim: Beltz, 2002)

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11. Literatur zum Kapitel „Lernumgebungen“ Kultusministerium NRW: Neues Lernen. Mit learn: line. Was Sie wissen müssen müssen, um Ihre Schule ans Netz zu bringen. NRW-Schulen ans Netz. Verständigung weltweit. Eine Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen (1996)

Schulmeister, Rolf: Software für e-Learning: Lernplattformen. In: ders.: Virtuelle Universität – Virtuelles Lernen. München-Wien: Oldenbourg, 2001. 165-194

Sesink, Werner: In-formatio. Die Einbildung des Computers. Beiträge zur Theorie der Bildung in der Informationsgesellschaft. Münster: LIT-Verlag, 2004

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