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Aus Freude am Lesen

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Aus Freude am Lesen

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Buch: Die Bewohner eines einsam gelegenen Hofes werdenerschlagen aufgefunden. Eigenbrötler sollen sie gewesen sein,bauernschlau und geizig. Nun wurde die ganze Familie ineiner Nacht ausgelöscht, mit der Spitzhacke geradezuniedergemetzelt. Der Leser wird Zeuge eines Verbrechens,das auf einem authentischen Fall beruht, und begleitet jedenSchritt des Mörders, ohne dessen Identität zu kennen. Dieeinzelnen Dor�ewohner berichten, jeder hat eine eigeneVersion des Geschehenen. Unheimlich wird es, weil manjeden Schritt des Täters mitverfolgt, ohne aber zu wissen, werer ist …

Mehr Informationen über Andrea Maria Schenkel und ihrenRoman �nden Sie im Anhang.

Andrea Maria Schenkel bei btb: Kalteis. Roman (73800)

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Alle heiligen Patriarchen und Propheten,Heiliger Petrus,Heiliger Paulus,Heiliger Johannes,bittet für sie!

Alle heiligen Apostel und Evangelisten,Heiliger Stefanus,Heiliger Laurentius,bittet für sie!Alle heiligen Märtyrer,Heiliger Gregorius,Heiliger Ambrosius,bittet für sie!

Heiliger Hieronymus,Heiliger Augustinus,bittet für sie!

Alle heiligen Bischöfe und Bekenner,Alle heiligen Kirchenlehrer,Alle heiligen Priester und Leviten,Alle heiligen Mönche und Einsiedler,bittet für sie!

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Andrea Maria Schenkel

TannödRoman

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Herr, erbarme Dich unser!Christus, erbarme Dich unser!Herr, erbarme Dich unser!Christus, höre uns!Christus, erhöre uns!Gott Vater vom Himmel, erbarme Dich ihrer!Gott Sohn, Erlöser der Welt, erbarme Dich ihrer!Gott Heiliger Geist, erbarme Dich ihrer!Heilige Dreifaltigkeit, ein einiger Gott, erbarmeDich ihrer!

Heilige Maria, bitte für sie!Heilige Gottesgebärerin, bitte für sie!Heilige Jungfrau aller Jungfrauen, bitte für sie!

Heiliger Michael,bitte für sie!Alle heiligen Engel und Erzengel,Alle heiligen Chöre der seligen Geister,Heiliger Johannes der Täufer,bittet für sie!Heiliger Josef,bitte für sie!

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Verlagsgruppe Random House fsc-deu-0100Das fsc-zerti�zierte Papier Munken Pocket für dieses Buchliefert Arctic Paper Munkedals AB, Schweden.

1. Au�ageSonderausgabe November 2009,btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, MünchenCopyright © 2006 by Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg,HamburgLizenzausgabe mit freundlicher GenehmigungUmschlaggestaltung: semper smile, München, nach einem Filmplakatvon © 2009 Constantin Film Verleih GmbHUmschlag- und Innnefotos © 2009 Constantin Film Verleih GmbHDruck und Einband: CPI – Clausen & Bosse, LeckNB · Herstellung: SKPrinted in Germanyisbn 978-3-442-74025-3

www.btb-verlag.de

MixProduktgruppe aus vorbildlich bewirtschaftetenWäldern und anderen kontrollierten Herkünftenwww.fsc.org Zert.-Nr. GFA-COC-001223© 1996 Forest Stewardship Council

Die im Buch abgedruckte »Litanei zum Troste der armenSeelen (zum Privatgebrauch)« ist entnommen aus:»Myrtenkranz! Ein geistlicher Brautführer und Andachts-buch für die christliche Frau«, Kevelaer 1922.

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Den ersten Sommer nach Kriegsende verbrachteich bei entfernten Verwandten auf dem Land.

In jenen Wochen erschien mir dieses Dorf alseine Insel des Friedens. Einer der letzten heilgebliebenen Orte nach dem großen Sturm, den wirsoeben überstanden hatten.

Jahre später, das Leben hatte sich wieder nor-malisiert und jener Sommer war nur noch eineglückliche Erinnerung, las ich von eben jenem Dorfin der Zeitung.

Mein Dorf war zum »Morddorf« geworden unddie Tat ließ mir keine Ruhe mehr.

Mit gemischten Gefühlen bin ich in das Dorfgefahren.

Die, die ich dort traf, wollten mir von demVerbrechen erzählen. Reden mit einem Fremdenund doch Vertrauten. Einem der nicht blieb, derzuhören und wieder gehen würde.

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Herr, erbarme Dich unser!Christus, erbarme Dich unser!Herr, erbarme Dich unser!Christus, höre uns!Christus, erhöre uns!Gott Vater vom Himmel, erbarme Dich ihrer!Gott Sohn, Erlöser der Welt, erbarme Dich ihrer!Gott Heiliger Geist, erbarme Dich ihrer!Heilige Dreifaltigkeit, ein einiger Gott, erbarmeDich ihrer!

Heilige Maria, bitte für sie!Heilige Gottesgebärerin, bitte für sie!Heilige Jungfrau aller Jungfrauen, bitte für sie!

Heiliger Michael,bitte für sie!Alle heiligen Engel und Erzengel,Alle heiligen Chöre der seligen Geister,Heiliger Johannes der Täufer,bittet für sie!Heiliger Josef,bitte für sie!

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Verlagsgruppe Random House fsc-deu-0100Das fsc-zerti�zierte Papier Munken Pocket für dieses Buchliefert Arctic Paper Munkedals AB, Schweden.

1. Au�ageSonderausgabe November 2009,btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, MünchenCopyright © 2006 by Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg,HamburgLizenzausgabe mit freundlicher GenehmigungUmschlaggestaltung: semper smile, München, nach einem Filmplakatvon © 2009 Constantin Film Verleih GmbHUmschlag- und Innnefotos © 2009 Constantin Film Verleih GmbHDruck und Einband: CPI – Clausen & Bosse, LeckNB · Herstellung: SKPrinted in Germanyisbn 978-3-442-74025-3

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MixProduktgruppe aus vorbildlich bewirtschaftetenWäldern und anderen kontrollierten Herkünftenwww.fsc.org Zert.-Nr. GFA-COC-001223© 1996 Forest Stewardship Council

Die im Buch abgedruckte »Litanei zum Troste der armenSeelen (zum Privatgebrauch)« ist entnommen aus:»Myrtenkranz! Ein geistlicher Brautführer und Andachts-buch für die christliche Frau«, Kevelaer 1922.

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Alle heiligen Patriarchen und Propheten,Heiliger Petrus,Heiliger Paulus,Heiliger Johannes,bittet für sie!

Alle heiligen Apostel und Evangelisten,Heiliger Stefanus,Heiliger Laurentius,bittet für sie!Alle heiligen Märtyrer,Heiliger Gregorius,Heiliger Ambrosius,bittet für sie!

Heiliger Hieronymus,Heiliger Augustinus,bittet für sie!

Alle heiligen Bischöfe und Bekenner,Alle heiligen Kirchenlehrer,Alle heiligen Priester und Leviten,Alle heiligen Mönche und Einsiedler,bittet für sie!

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Andrea Maria Schenkel

TannödRoman

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Am frühen Morgen, vor Tagesanbruch, betritt erden Raum. Mit dem Holz, das er von draußen he-reingebracht hat, heizt er den großen Herd in derKüche an, befüllt den Dämpfer mit Kartoffeln undWasser, stellt den gefüllten Kartoffeldämpfer auf dieHerdplatte.

Von der Küche aus geht er, den langen fenster-losen Gang entlang, hinüber in den Stall. Die Kühemüssen zweimal am Tag gefüttert und gemolkenwerden. Sie stehen in einer Reihe. Eine neben deranderen.

Er spricht mit gedämpfter Stimme auf sie ein.Er hat es sich zur Gewohnheit gemacht, wäh-rend der Arbeit im Stall immer mit den Tierenzu sprechen. Vom Klang seiner Stimme scheinteine beruhigende Wirkung auf die Tiere auszuge-hen. Ihre Unruhe scheint durch den monotonenSingsang der Stimme, durch die Gleichförmig-keit der Worte zu schwinden. Der ruhige, einför-mige Klang löst ihre Spannung. Er kennt dieseArbeit schon sein ganzes Leben. Sie macht ihmFreude.

Er streut neues Stroh auf die alte Unterlage auf.Das Stroh dafür holt er aus dem angrenzenden Sta-del. Es verbreitet im Stall einen angenehmen, ver-trauten Geruch. Kühe riechen anders als Schweine.

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Ihr Geruch hat nichts Aufdringliches, nichts Schar-fes an sich.

Danach holt er das Heu. Er holt es auch aus demStadel.

Die Verbindungstür zwischen Stadel und Stalllässt er offen.

Während die Tiere fressen, melkt er sie. Davor istihm etwas bange. Die Tiere sind es nicht gewöhnt,von ihm gemolken zu werden. Doch seine Befürch-tungen, dass das eine oder andere Tier sich nichtvon ihm melken lassen würde, waren umsonst ge-wesen.

Die garen Kartoffeln riechen bis hinüber in denStall. Es ist Zeit, die Schweine zu füttern. Er schüt-tet die Erdäpfel aus dem Dämpfer direkt in einenEimer, dort werden sie gequetscht, bevor er sie zuden Schweinen in den Schweinestall bringt.

Die Schweine quieken, als er die Tür zu ihremVerschlag öffnet. Er schüttet den Inhalt des Eimersin den Trog, dazu noch etwas Wasser.

Er hat seine Arbeit erledigt. Bevor er das Hausverlässt, achtet er darauf, dass das Feuer im Herderloschen ist. Die Tür zwischen Stadel und Stalllässt er offen. Den Inhalt der Milchkanne schütteter auf den Mist. Die Kanne stellt er wieder an ihrenalten Platz zurück.

Am Abend würde er erneut in den Stall gehen.Er würde den Hund füttern, der sich bei seinem

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Marianne liegt wach in ihrem Bett. Sie kann nichteinschlafen. Sie hört das Heulen des Windes. Wiedie »wilde Jagd« rast er über den Hof. Die Groß-mutter hat ihr schon oft die Geschichten von der»wilden Jagd« und der »Trud« erzählt, immer inden langen, dunklen Rauhnächten zwischen Weih-nachten und Neujahr.

»Die ›wilde Jagd‹ saust vom Wind getrieben da-hin, so schnell wie die Wolken im Sturm, schnellernoch. Sie sitzen auf Rössern, so schwarz wie derTeufel«, hat die Großmutter erzählt. »In schwarzeMäntel gehüllt. Kapuzen tief ins Gesicht gezogen.Die Augen glutrot, jagt sie dahin. Wenn einer sounvorsichtig ist, sich in einer solchen Nacht drau-ßen herumzutreiben, packt ihn die ›wilde Jagd‹. ImGalopp«, hat die Großmutter gesagt. »Einfach so,schnapp!«

Dabei machte sie mit ihrer Hand eine Bewegung,als ob sie selbst etwas packen und wegwischenwürde.

»Schnapp! Und sie heben den armen Teufelhoch in die Luft und reißen ihn mit sich fort. Fort,hoch hinauf zu den Wolken, in den Himmel emporreißen sie ihn. Er muss mit dem Sturm mitziehen.Sie lässt ihn nicht mehr los und johlt und lacht

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Kommen stets winselnd in die Ecke verkriecht. Erwürde die Tiere versorgen. Dabei würde er stetsdarauf achten, um den Strohhaufen in der linkenhinteren Ecke des Stadels einen Bogen zu machen.

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und manchmal sitzt er einfach da und summt vorsich hin. Das muss doch ein Zauberer sein, so wieder aus unserem Lesebuch. Da habe ich gerufen»Lügnerin, Lügnerin« und sie ist weinend heimge-laufen. Und weil sie doch am Samstag nicht in derSchule war und sie doch die Rohrnudeln meinerMama so gerne isst, habe ich ihr am Sonntag eine indie Kirche mitgebracht. Aber da war sie dann auchnicht. Mama hat gemeint, weil keiner von ihnenda war, die sind vielleicht auf Verwandtenbesuch.Drüben in Einhausen bei dem Bruder von ihremGroßvater. So habe ich halt die Nudeln selber ge-gessen.

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Betty, 8 Jahre

Die Marianne und ich sitzen in der Schule neben-einander. Sie ist meine beste Freundin. Deshalbsitzen wir ja auch beieinander.

Die Marianne mag die Rohrnudeln meiner Mamaimmer besonders gern. Wenn meine Mama welchemacht, bringe ich ihr immer eine mit, in die Schuleoder am Sonntag auch mit in die Kirche. Am letztenSonntag habe ich ihr auch eine mitgebracht, aberdie musste ich dann selbst essen, weil sie nicht inder Kirche war.

Was wir immer so gemeinsam machen? Was manhalt so spielt, Räuber und Gendarm, Fangerles, Ver-stecken. Im Sommer ab und zu bei uns im Hof Ver-kaufen. Da richten wir uns am Gartenzaun zumGemüsegarten einen kleinen Laden ein. Mama gibtmir dann immer eine Decke und wir können unsereSachen darauf ausbreiten: Äpfel, Nüsse, Blumen,buntes Papier oder was wir halt so finden.

Einmal hatten wir sogar Kaugummi, den hatmeine Tante mitgebracht. Der schmeckt prima nachZimt. Meine Tante sagt, die Kinder in Amerikaessen das immer. Meine Tante arbeitet nämlich beiden Amis und ab und zu bringt sie Kaugummi undSchokolade und Erdnussbutter mit. Oder Brot in so

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komischen grünen Dosen. Einmal im letzten Som-mer sogar Eis.

Meine Mama ist davon nicht so begeistert, weilder Freund von der Tante Lisbeth ist nämlich auchaus Amerika und ganz schwarz.

Die Marianne sagt immer, ihr Papa ist auch inAmerika und er kommt sie ganz bestimmt bald ho-len. Aber das glaube ich nicht. Ab und zu schwin-delt die Marianne nämlich ein bisschen. Mama sagt,das darf man nicht, und wenn die Marianne wiedereine ihrer Schwindelgeschichten erzählt, streiten wir.Meistens nimmt dann jeder seine Sachen aus demKaufladen weg und wir können nicht mehr wei-terspielen und die Marianne läuft dann nach Hause.Nach ein paar Tagen verstehen wir uns dann wie-der.

An Weihnachten habe ich eine Puppe vom Christ-kind bekommen und die Marianne war ganz nei-disch. Sie hat nur eine ganz alte, die ist aus Holzund noch von ihrer Mutter. Da hat die Mariannewieder mit ihrer Geschichte angefangen. Ihr Papakommt bald und nimmt sie mit nach Amerika. Ichhabe ihr gesagt, ich bin nicht mehr ihre Freundin,wenn sie immer so viel lügt. Seitdem hat sie nichtsmehr darüber erzählt.

Im Winter waren wir ab und zu beim Schlittenfahren auf der Wiese hinter unserem Hof. Das istein prima Schlittenberg, da kommen immer alle ausdem Dorf hin. Wenn man nicht rechtzeitig bremst,

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saust man unten in die Hecken. Dann gibt’s zuHause meistens Ärger. Marianne musste ab und zuihren kleinen Bruder mitnehmen, zum Aufpassen.Der hängt einem dann immer am Rockzipfel. Ichhabe ja keinen kleinen Bruder, nur eine großeSchwester, aber das ist auch nicht immer schön.Die ärgert mich oft.

Wenn der kleine Bruder mal in den Schnee gefal-len ist, hat er angefangen zu weinen und hat meis-tens auch noch in die Hose gepieselt und Mariannehat dann nach Hause gemusst und schlimmen Ärgerbekommen. Weil sie nicht auf ihn aufgepasst hatund weil er wieder in die Hose gemacht hat undso weiter. Am nächsten Tag in der Schule war siedann ganz traurig und hat mir erzählt, dass sie wegmöchte, denn der Großvater ist so streng und dieMama von ihr auch.

Vor ein paar Tagen hat sie mir erzählt, dass derZauberer wieder da ist. Sie hat ihn im Wald ge-sehen und der bringt sie bestimmt zu ihrem Papa.Ja, der Zauberer, hat sie gesagt. Diese Geschichtehat sie im Herbst schon einmal erzählt, gleich nachSchulanfang und ich habe ihr nicht geglaubt, denZauberer gibt es nicht und Zauberer, die einem ei-nen Papa herzaubern, der in Amerika sein soll, diegibt es erst recht nicht. Da habe ich mich wiedermit ihr gestritten und sie hat geweint und gesagt,den Zauberer gibt es und er hat lauter bunte Fla-schen in seinem Rucksack und andere bunte Dinge

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und manchmal sitzt er einfach da und summt vorsich hin. Das muss doch ein Zauberer sein, so wieder aus unserem Lesebuch. Da habe ich gerufen»Lügnerin, Lügnerin« und sie ist weinend heimge-laufen. Und weil sie doch am Samstag nicht in derSchule war und sie doch die Rohrnudeln meinerMama so gerne isst, habe ich ihr am Sonntag eine indie Kirche mitgebracht. Aber da war sie dann auchnicht. Mama hat gemeint, weil keiner von ihnenda war, die sind vielleicht auf Verwandtenbesuch.Drüben in Einhausen bei dem Bruder von ihremGroßvater. So habe ich halt die Nudeln selber ge-gessen.

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Betty, 8 Jahre

Die Marianne und ich sitzen in der Schule neben-einander. Sie ist meine beste Freundin. Deshalbsitzen wir ja auch beieinander.

Die Marianne mag die Rohrnudeln meiner Mamaimmer besonders gern. Wenn meine Mama welchemacht, bringe ich ihr immer eine mit, in die Schuleoder am Sonntag auch mit in die Kirche. Am letztenSonntag habe ich ihr auch eine mitgebracht, aberdie musste ich dann selbst essen, weil sie nicht inder Kirche war.

Was wir immer so gemeinsam machen? Was manhalt so spielt, Räuber und Gendarm, Fangerles, Ver-stecken. Im Sommer ab und zu bei uns im Hof Ver-kaufen. Da richten wir uns am Gartenzaun zumGemüsegarten einen kleinen Laden ein. Mama gibtmir dann immer eine Decke und wir können unsereSachen darauf ausbreiten: Äpfel, Nüsse, Blumen,buntes Papier oder was wir halt so finden.

Einmal hatten wir sogar Kaugummi, den hatmeine Tante mitgebracht. Der schmeckt prima nachZimt. Meine Tante sagt, die Kinder in Amerikaessen das immer. Meine Tante arbeitet nämlich beiden Amis und ab und zu bringt sie Kaugummi undSchokolade und Erdnussbutter mit. Oder Brot in so

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Marianne liegt wach in ihrem Bett. Sie kann nichteinschlafen. Sie hört das Heulen des Windes. Wiedie »wilde Jagd« rast er über den Hof. Die Groß-mutter hat ihr schon oft die Geschichten von der»wilden Jagd« und der »Trud« erzählt, immer inden langen, dunklen Rauhnächten zwischen Weih-nachten und Neujahr.

»Die ›wilde Jagd‹ saust vom Wind getrieben da-hin, so schnell wie die Wolken im Sturm, schnellernoch. Sie sitzen auf Rössern, so schwarz wie derTeufel«, hat die Großmutter erzählt. »In schwarzeMäntel gehüllt. Kapuzen tief ins Gesicht gezogen.Die Augen glutrot, jagt sie dahin. Wenn einer sounvorsichtig ist, sich in einer solchen Nacht drau-ßen herumzutreiben, packt ihn die ›wilde Jagd‹. ImGalopp«, hat die Großmutter gesagt. »Einfach so,schnapp!«

Dabei machte sie mit ihrer Hand eine Bewegung,als ob sie selbst etwas packen und wegwischenwürde.

»Schnapp! Und sie heben den armen Teufelhoch in die Luft und reißen ihn mit sich fort. Fort,hoch hinauf zu den Wolken, in den Himmel emporreißen sie ihn. Er muss mit dem Sturm mitziehen.Sie lässt ihn nicht mehr los und johlt und lacht

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Kommen stets winselnd in die Ecke verkriecht. Erwürde die Tiere versorgen. Dabei würde er stetsdarauf achten, um den Strohhaufen in der linkenhinteren Ecke des Stadels einen Bogen zu machen.

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Der Winter will und will dieses Jahr dem Frühlingnicht Platz machen. Es ist viel kälter als es norma-lerweise in dieser Zeit des Jahres ist. Seit AnfangMärz hat es abwechselnd geregnet oder geschneit.Das Grau der Morgennebel will auch im Laufe desTages nicht weichen.

Am Freitagmorgen nun klärt es endlich ein biss-chen auf. Die dunkel-grauschwarzen Wolken ver-ziehen sich ein wenig. Ab und an bricht sogar dieWolkendecke ganz auf. Die ersten Strahlen der Früh-lingssonne bahnen sich zaghaft ihren Weg.

Am Mittag verfinstert sich der Himmel jedocherneut und am Nachmittag fängt es wieder an zuregnen.

Es wird so dämmrig, dass man den Eindruck hat,der Tag geht bereits zu Ende und die Nacht ziehtherauf.

Zwei Gestalten, ganz in Schwarz gekleidet, bah-nen sich in diesem trüben Licht ihren Weg. Sie gehengeradewegs auf den einen Hof zu. Eine von beidenschiebt ein Rad, die andere trägt einen Rucksackauf dem Rücken. Der Bauer, der gerade sein Hausverlassen hat, um in den Stall hinüberzugehen, lässtvorsichtshalber den Hofhund von der Leine. Erst alssie den Hof fast erreicht haben, erkennt er in denGestalten zwei Frauen.

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ganz höhnisch. Ho, ho, ho«, lachte da die Oma miteiner tiefen Stimme.

Marianne konnte es sich richtig vorstellen, wiedie »wilde Jagd« einen packt, hochreißt und lacht.

»Oma, was passiert dann?«, fragte da die Ma-rianne. »Kommt der denn nie mehr herunter?«

»Doch, doch«, antwortete die Großmutter. »Erkommt schon wieder herunter manchmal, manch-mal nicht! Die ›wilde Jagd‹ schleift den armen Kerlmit sich, solange es ihr Spaß macht. Manchmal setztsie ihn wieder ganz sachte ab, nachdem sie ihrenSchabernack mit ihm getrieben hat. Manchmal. Abermeistens wird der arme Kerl am anderen Mor-gen irgendwo gefunden mit zerschlagenen Gliedern.Der ganze Körper zerschunden, zerschlagen. Mancheiner ist nimmer gesehen worden. Den hat die ›wildeJagd‹ gleich beim Teufel abgeliefert.«

An die Geschichte von der »wilden Jagd« muss sienun die ganze Zeit denken. Nie würde sie bei soeinem Wetter das Haus verlassen. Die »wilde Jagd«soll sie nicht packen. Sie nicht!

Sie liegt lange wach. Wie lange, weiß sie nicht.Ihr kleiner Bruder liegt im gleichen Raum. Die Bet-ten stehen so, dass sie fast Kopf an Kopf liegen. Siein ihrem Bett und er in seinem Kinderbettchen.

Sie hört seinen Atem ruhig und gleichmäßig. Sonah liegen sie beieinander. Er atmet ein und aus.Manchmal, wenn sie nicht schlafen kann, lauscht

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Na, bis ich ins Altenheim bin. Im Januar bin ichins Altenheim. Eine gute brave Haushaltshilfe, dieMarie. War eine ganz brave. Ganz brav. Hat immeralles schön erledigt.

Ich merk, ich werde jetzt müde. Ich möchtejetzt schlafen. Wissen S’, im Alter braucht manviel Schlaf. Viele können ja nicht schlafen, aberich brauch viel Schlaf. Hab schon immer gerneund viel geschlafen.

Äh, was haben Sie mich gefragt, jetzt hab iches ganz vergessen, ja mit dem Alter, Sie wissen ja.Nach der Marie haben Sie mich gefragt. Tja, dieMarie. Die war eine ganz brave und arbeitsam undfleißig.

Was macht die jetzt eigentlich?Ist die nicht bei ihrer Schwester?Ach, bin ich müde, ich möchte jetzt schlafen.

Wissen S’, wenn man alt ist, braucht man seinenSchlaf.

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sie diesem Geräusch in der Nacht, versucht, sich sei-nem Atem anzupassen, atmet ein, wenn er einatmet,und atmet aus, wenn er ausatmet.

Manchmal hilft das, und sie wird auch müde undschläft selbst ein. Aber heute gelingt ihr das nicht.Sie liegt wach.

Soll sie ihr Bett verlassen? Der Großvater wirdwieder fürchterlich schimpfen. Er mag es nicht,wenn sie in der Nacht aufsteht und nach der Mutteroder der Großmutter ruft.

»Du bist alt genug. Du kannst alleine schlafen«,sagt er dann und schickt sie wieder in ihr Bett zu-rück.

Unter der Tür schimmert ein Lichtstrahl durch.Schwach, aber sie sieht den Schein des Lichts wieeinen schmalen Streifen.

Es ist also noch jemand wach. Die Mutter viel-leicht? Oder die Großmutter?

Marianne nimmt ihren ganzen Mut zusammen,sie streckt ihre nackten Füße aus dem Bett. Es istkalt im Zimmer. Sie schiebt die Bettdecke beiseite.Ganz sachte, damit der kleine Bruder nicht aufwacht,schleicht sie sich auf Zehenspitzen zur Tür. Vorsich-tig, damit die Dielenbretter nicht knarren.

Langsam und behutsam drückt sie die Türklinkenach unten und öffnet leise die Tür. Sie schleichtüber den Gang hinüber in die Küche.

In der Küche brennt noch Licht. Sie setzt sichan das Fenster und blickt hinaus in die Nacht. Un-

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Früher bin ich gelaufen wie ein Wiesel. Mit mei-nem Ottmar, Gott hab ihn selig, bin ich immer zumTanzen. Am Sonntagnachmittag zum Tanztee insOdeon. Noch vor dem Krieg war das. Der Ottmarwar ein guter Tänzer. Beim Tanzen haben wir unsauch kennen gelernt, damals noch unterm Kaiser.Ein schneidiger Bursch war er, mein Ottmar mitseiner Uniform. Der Ottmar war beim Militär da-mals, jetzt ist er auch schon wieder fast fünfzehnJahre tot.

Die Zeit vergeht, die Zeit vergeht. Ich hab dieSchwierigkeiten mit der Hüfte gekriegt. Man wirdja nicht jünger.

Da ist die Marie zu mir ins Haus. Geschlafenhats in der Kammer. Anspruchsvoll war sie ja nicht,die Marie. Ein Bett, ein Stuhl, ein Tisch und ein Klei-derschrank. Mehr hats nicht braucht.

Wie ich im Januar, lassen Sie mich nachdenken,ja im Januar war’s, ins Altenheim bin, denn mit demLaufen ist es jetzt ganz schlecht. Ganz schlecht.Na, da ist die Marie zu ihrer Schwester.

Ich hab gar nicht gewusst, dass sie jetzt eine Stelleals Magd hat. Aber gepasst hat das schon zu derMarie. Die hat hinlangen können. Geredet hat sienicht viel. War mir recht, denn die geschwätzigenDinger mag ich nicht. Die tratschen und tratschenden ganzen Tag und daheim verlottert Haus undHof.

Ja, ja, die Marie war bei mir als Haushaltshilfe.

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heimlich ist ihr und sie fängt an zu frösteln in ihremleichten Nachthemd.

Da bemerkt sie, dass die Tür zum Nebenraumnoch ein Stück offen steht.

Die Mutter wird noch in den Stall gegangen sein,denkt sich Marianne. Sie öffnet die Tür zum Ne-benraum ganz. Von dort gelangt man durch eineweitere Tür in den Gang, der zum Stall und in denStadel führt.

Sie ruft nach ihrer Mutter. Nach ihrer Großmut-ter. Aber es kommt keine Antwort.

Das Mädchen geht durch den langen, düsterenFuttergang. Sie zögert, bleibt stehen. Ruft erneutnach ihrer Mutter, nach ihrer Großmutter. Diesmaletwas lauter. Wieder keine Antwort.

Im Stall sieht sie das Vieh angebunden, mit Ket-ten an den eisernen Ringen des Futterbarrens. DieLeiber der Kühe bewegen sich ruhig. Der Raum istnur durch eine Petroleumlampe erleuchtet.

Am Ende des Futtergangs sieht Marianne, dassdie Tür zum Stadel offen steht.

Ihre Mutter wird im Stadel sein. Sie ruft erneutnach der Mutter, wieder ohne Antwort.

Sie geht den Gang weiter entlang in RichtungStadel. An der Tür bleibt sie erneut unschlüssig ste-hen. Keinen Laut vernimmt sie aus dem Dunkel.Sie atmet tief durch und geht hinein.

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Babette Kirchmeier, Beamtenwitwe, 86 Jahre

Die Marie, die Marie.Die war bei mir als Haushaltshilfe. Na, bis ich

ins Altenheim bin.Ja, ja, als Haushaltshilfe, die Marie. War eine ganz

brave. Ganz brav. Hat immer alles schön erledigt.Nicht so wie die jungen Dinger, immer nur fortgehenund mit den Burschen poussieren. Nein, die Mariewar nicht so. Ein braves Mädel war sie.

Nicht besonders hübsch, aber brav und arbeit-sam. Die hat mir den ganzen Haushalt in Schussgehalten.

Wissen Sie, ich bin nicht mehr so gut auf den Bei-nen, darum bin ich auch ins Heim.

Kinder hab ich keine und mein Mann ist auchschon fast fünfzehn Jahre tot. Im Juni am 24. wer-den es fünfzehn Jahre.

Der Ottmar war ein guter Mann. Ein guterMann.

Die Marie ist zu mir ins Haus, weil die Beinenicht mehr so wollten. Die Beine, die wollen schonlange nicht mehr. Wenn man alt wird, will vielesnicht mehr, nicht nur die Beine. Alt werden ist nichtschön, das hat schon meine Mutter immer gesagt,glauben Sie mir. Nicht schön ist das.

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Heilige Maria Magdalena,bitte für sie!Heilige Katharina,bitte für sie!Heilige Barbara,bitte für sie!

Alle heiligen Jungfrauen und Witwen,bittet für sie!Alle Heiligen Gottes,bittet für sie!

Sei ihnen gnädig! – Verschone sie, o Herr!Sei ihnen gnädig! – Erlöse sie, o Herr!

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Babette Kirchmeier, Beamtenwitwe, 86 Jahre

Die Marie, die Marie.Die war bei mir als Haushaltshilfe. Na, bis ich

ins Altenheim bin.Ja, ja, als Haushaltshilfe, die Marie. War eine ganz

brave. Ganz brav. Hat immer alles schön erledigt.Nicht so wie die jungen Dinger, immer nur fortgehenund mit den Burschen poussieren. Nein, die Mariewar nicht so. Ein braves Mädel war sie.

Nicht besonders hübsch, aber brav und arbeit-sam. Die hat mir den ganzen Haushalt in Schussgehalten.

Wissen Sie, ich bin nicht mehr so gut auf den Bei-nen, darum bin ich auch ins Heim.

Kinder hab ich keine und mein Mann ist auchschon fast fünfzehn Jahre tot. Im Juni am 24. wer-den es fünfzehn Jahre.

Der Ottmar war ein guter Mann. Ein guterMann.

Die Marie ist zu mir ins Haus, weil die Beinenicht mehr so wollten. Die Beine, die wollen schonlange nicht mehr. Wenn man alt wird, will vielesnicht mehr, nicht nur die Beine. Alt werden ist nichtschön, das hat schon meine Mutter immer gesagt,glauben Sie mir. Nicht schön ist das.

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Heilige Maria Magdalena,bitte für sie!Heilige Katharina,bitte für sie!Heilige Barbara,bitte für sie!

Alle heiligen Jungfrauen und Witwen,bittet für sie!Alle Heiligen Gottes,bittet für sie!

Sei ihnen gnädig! – Verschone sie, o Herr!Sei ihnen gnädig! – Erlöse sie, o Herr!

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Früher bin ich gelaufen wie ein Wiesel. Mit mei-nem Ottmar, Gott hab ihn selig, bin ich immer zumTanzen. Am Sonntagnachmittag zum Tanztee insOdeon. Noch vor dem Krieg war das. Der Ottmarwar ein guter Tänzer. Beim Tanzen haben wir unsauch kennen gelernt, damals noch unterm Kaiser.Ein schneidiger Bursch war er, mein Ottmar mitseiner Uniform. Der Ottmar war beim Militär da-mals, jetzt ist er auch schon wieder fast fünfzehnJahre tot.

Die Zeit vergeht, die Zeit vergeht. Ich hab dieSchwierigkeiten mit der Hüfte gekriegt. Man wirdja nicht jünger.

Da ist die Marie zu mir ins Haus. Geschlafenhats in der Kammer. Anspruchsvoll war sie ja nicht,die Marie. Ein Bett, ein Stuhl, ein Tisch und ein Klei-derschrank. Mehr hats nicht braucht.

Wie ich im Januar, lassen Sie mich nachdenken,ja im Januar war’s, ins Altenheim bin, denn mit demLaufen ist es jetzt ganz schlecht. Ganz schlecht.Na, da ist die Marie zu ihrer Schwester.

Ich hab gar nicht gewusst, dass sie jetzt eine Stelleals Magd hat. Aber gepasst hat das schon zu derMarie. Die hat hinlangen können. Geredet hat sienicht viel. War mir recht, denn die geschwätzigenDinger mag ich nicht. Die tratschen und tratschenden ganzen Tag und daheim verlottert Haus undHof.

Ja, ja, die Marie war bei mir als Haushaltshilfe.

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heimlich ist ihr und sie fängt an zu frösteln in ihremleichten Nachthemd.

Da bemerkt sie, dass die Tür zum Nebenraumnoch ein Stück offen steht.

Die Mutter wird noch in den Stall gegangen sein,denkt sich Marianne. Sie öffnet die Tür zum Ne-benraum ganz. Von dort gelangt man durch eineweitere Tür in den Gang, der zum Stall und in denStadel führt.

Sie ruft nach ihrer Mutter. Nach ihrer Großmut-ter. Aber es kommt keine Antwort.

Das Mädchen geht durch den langen, düsterenFuttergang. Sie zögert, bleibt stehen. Ruft erneutnach ihrer Mutter, nach ihrer Großmutter. Diesmaletwas lauter. Wieder keine Antwort.

Im Stall sieht sie das Vieh angebunden, mit Ket-ten an den eisernen Ringen des Futterbarrens. DieLeiber der Kühe bewegen sich ruhig. Der Raum istnur durch eine Petroleumlampe erleuchtet.

Am Ende des Futtergangs sieht Marianne, dassdie Tür zum Stadel offen steht.

Ihre Mutter wird im Stadel sein. Sie ruft erneutnach der Mutter, wieder ohne Antwort.

Sie geht den Gang weiter entlang in RichtungStadel. An der Tür bleibt sie erneut unschlüssig ste-hen. Keinen Laut vernimmt sie aus dem Dunkel.Sie atmet tief durch und geht hinein.

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Na, bis ich ins Altenheim bin. Im Januar bin ichins Altenheim. Eine gute brave Haushaltshilfe, dieMarie. War eine ganz brave. Ganz brav. Hat immeralles schön erledigt.

Ich merk, ich werde jetzt müde. Ich möchtejetzt schlafen. Wissen S’, im Alter braucht manviel Schlaf. Viele können ja nicht schlafen, aberich brauch viel Schlaf. Hab schon immer gerneund viel geschlafen.

Äh, was haben Sie mich gefragt, jetzt hab iches ganz vergessen, ja mit dem Alter, Sie wissen ja.Nach der Marie haben Sie mich gefragt. Tja, dieMarie. Die war eine ganz brave und arbeitsam undfleißig.

Was macht die jetzt eigentlich?Ist die nicht bei ihrer Schwester?Ach, bin ich müde, ich möchte jetzt schlafen.

Wissen S’, wenn man alt ist, braucht man seinenSchlaf.

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sie diesem Geräusch in der Nacht, versucht, sich sei-nem Atem anzupassen, atmet ein, wenn er einatmet,und atmet aus, wenn er ausatmet.

Manchmal hilft das, und sie wird auch müde undschläft selbst ein. Aber heute gelingt ihr das nicht.Sie liegt wach.

Soll sie ihr Bett verlassen? Der Großvater wirdwieder fürchterlich schimpfen. Er mag es nicht,wenn sie in der Nacht aufsteht und nach der Mutteroder der Großmutter ruft.

»Du bist alt genug. Du kannst alleine schlafen«,sagt er dann und schickt sie wieder in ihr Bett zu-rück.

Unter der Tür schimmert ein Lichtstrahl durch.Schwach, aber sie sieht den Schein des Lichts wieeinen schmalen Streifen.

Es ist also noch jemand wach. Die Mutter viel-leicht? Oder die Großmutter?

Marianne nimmt ihren ganzen Mut zusammen,sie streckt ihre nackten Füße aus dem Bett. Es istkalt im Zimmer. Sie schiebt die Bettdecke beiseite.Ganz sachte, damit der kleine Bruder nicht aufwacht,schleicht sie sich auf Zehenspitzen zur Tür. Vorsich-tig, damit die Dielenbretter nicht knarren.

Langsam und behutsam drückt sie die Türklinkenach unten und öffnet leise die Tür. Sie schleichtüber den Gang hinüber in die Küche.

In der Küche brennt noch Licht. Sie setzt sichan das Fenster und blickt hinaus in die Nacht. Un-

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Andrea Maria Schenkel

TannödRoman

Taschenbuch, Broschur, 176 Seiten, 11,8 x 18,7 cmISBN: 978-3-442-74025-3

btb

Erscheinungstermin: November 2009

In der tiefsten bayerischen Einöde: Eine ganze Familie wird in einer Nacht ausgelöscht, mit derSpitzhacke erschlagen. Jetzt heißt er nur noch Mordhof, der einsam gelegene Hof der Dannersin Tannöd. Gemocht hat sie kaum jemand, mürrische, geizige Leute waren sie, und den einoder anderen hat der alte Bauer wohl auch übers Ohr gehauen. Aber selbst die Kinder wurdengrausam ermordet, und so geht die Angst um im Dorf, denn vom Mörder fehlt jede Spur … Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis!