Panorama - Die Zeitung zur Ausstellung

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DIE ZEITUNG ZUR AUSSTELLUNG PANORAMA Deutsche Ausgabe Konstantin Grcic – Panorama 22.03. – 14.09.2014 LIFE SPACE Wie werden wir wohnen, und mit wem? / Zelle oder Weltblase? / Häuser aus dem 3D-Drucker / Ein unendliches Bedürfnis nach Nichtkommunikation / Wie klein ist zu klein? 2 WORK SPACE Die Revolution des Industriedesigns / Der Wandel der Arbeit / Wo ist mein Büro geblieben? / Ist Robotik die Zukunft? / Das Internet als kollektives Gedächtnis 4 PUBLIC SPACE Die offene Stadt / Smarte Stadt oder smarte Bürger? / Wander- kosmopoliten / Ist die Stadt der Zukunft schon da? / Wem gehört die Stadt? / Autobahn der Lüfte 6 „Die Zukunft ist bereits hier – sie ist nur nicht gleichmäßig verteilt.“ William Gibson, 1999 Konstantin Grcic ist einer der wichtigsten Designer unserer Zeit. Mit „Konstantin Grcic – Panorama“ präsentiert das Vitra Design Museum die bislang größte Einzelausstellung zu Grcic und seinem Werk. Eigens für die Ausstellung hat Grcic mehrere raumgreifende Installationen entwickelt, die seine persönlichen Visionen für das Leben von morgen darlegen: ein Wohninterieur, ein Designatelier und einen Stadtraum. Diese Zeitung enthält Hintergründe und Recherchebeispiele aus dem über dreijährigen Konzeptionsprozess der Ausstellung.

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Konstantin Grcic ist einer der wichtigsten Designer unserer Zeit. Mit „Konstantin Grcic – Panorama“ präsentiert das Vitra Design Museum die bislang größte Einzelausstellung zu Grcic und seinem Werk. Eigens für die Ausstellung hat Grcic mehrere raumgreifende Installationen entwickelt, die seine persönlichen Visionen für das Leben von morgen darlegen: ein Wohninterieur, ein Designatelier und einen Stadtraum. Diese Zeitung enthält Hintergründe und Recherchebeispiele aus dem über dreijährigen Konzeptionsprozess der Ausstellung.

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DIE ZEITUNG ZUR AUSSTELLUNGPANORAMA

Deutsche Ausgabe Konstantin Grcic – Panorama 22.03. – 14.09.2014

LIFE SPACE Wie werden wir wohnen, und mit wem? / Zelle oder Weltblase? / Häuser aus dem 3D-Drucker / Ein unendliches Bedürfnis nach Nichtkommunikation / Wie klein ist zu klein? 2

WORK SPACE Die Revolution des Industriedesigns / Der Wandel der Arbeit / Wo ist mein Büro geblieben? / Ist Robotik die Zukunft? / Das Internet als kollektives Gedächtnis 4

PUBLIC SPACE Die offene Stadt / Smarte Stadt oder smarte Bürger? / Wander- kosmopoliten / Ist die Stadt der Zukunft schon da? / Wem gehört die Stadt? / Autobahn der Lüfte 6

„Die Zukunft ist bereits hier – sie ist nur nicht

gleichmäßig verteilt.“ – William Gibson, 1999

Konstantin Grcic ist einer der wichtigsten Designer unserer Zeit. Mit „Konstantin Grcic – Panorama“ präsentiert das Vitra Design Museum die bislang größte Einzelausstellung zu Grcic und seinem Werk. Eigens für die Ausstellung hat Grcic mehrere raumgreifende Installationen entwickelt, die seine persönlichen Visionen für das Leben von morgen darlegen: ein Wohninterieur, ein Designatelier und einen Stadtraum. Diese Zeitung enthält Hintergründe und Recherchebeispiele aus dem über dreijährigen Konzeptionsprozess der Ausstellung.

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mit Freunden zu treffen, macht man die Brasserie an der Ecke zum Esszimmer; Räume, in denen man sich trifft, um zu trinken, zu tanzen oder Musik zu hören, werden zum Wohnzimmer und das Sportstudio dient als Badezimmer.

EINE WELT NEBENANTad Williams: „The price of creating a connected future“, in: BBC Future, 27. September 2013 • http://www.bbc.com/future/story/20130927-challenges-of-a-connected-world

Zukünftige Generationen werden in einer Welt leben, in der die Vernetzung aller Bereiche zunehmen wird […]. Neueren Studien über Gruppenpolarisierung im Cyberspace zufolge […] verhalten wir uns in Gruppen mit Gleichgesinnten extremer und verachten in stärkerem Maße andere Meinungen, als wir dies als Einzelpersonen tun würden. Die Herausforderung dieses Jahrhunderts ist es, der Versuchung zu widerstehen, sich in selbstkreierte und selbstgefällige Blasen zurückzuziehen. Wir sollten uns bewusst machen, dass es eine wachsende Zahl anderer großer oder kleiner Blasen gibt mit Menschen, die genauso überzeugt sind von ihren persönlichen Wahrheiten, ihren Leidenschaften und Bedürfnissen wie wir. […] Wir werden auch weiterhin an andere und nicht nur an uns denken müssen. In dem Maße, in dem die alten Formen verschwinden, werden wir Menschen ganz neue Wege finden müssen, einander Nachbarn zu sein.

ZELLE ODER WELTBLASE?Peter Sloterdijk: Sphären. Plurale Sphärologie. Band III: Schäume, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004, S. 568f., 573

Das moderne Apartment […] materialisiert die Tendenz zur Zellenbildung, in der man das architektonische und topologische Analogon zum Individualismus der modernen Gesellschaft erkennen kann. […] So wie die lebende Zelle im Organismus das biologische Atom und zugleich das generative Prinzip verkörpert […], arbeitet die moderne Apartmentkonstruktion das Habitat-Atom heraus – die Einraumwohnung mit dem alleinlebenden Einwohner als Zellkern seiner privaten Weltblase. […] Die Existenz in einer Einpersonenwohnung ist nichts anderes als das In-der-Welt-Sein in einem einzelnen Fall oder die Rück-Einbettung des zuvor eigens isolierten Subjekts in seine sogenannte „Lebenswelt“ unter einer raumzeitlich konkreten Adresse.

MACHT WOHNEN AUF ENGEM RAUM GLÜCKLICH?Jacoba Urist: „The health risks of small apartments“, in: The Atlantic, 19. Dezember 2013 • http://www.theatlantic.com/health/archive/2013/12/the-health-risks-of-small-apartments/282150/

Wohnen auf engem Raum kann zu psychischen Problemen führen. […] Aber wie klein ist zu klein? Dürfen wir es Paaren zumuten, in ein Apartment von der Größe eines Wandschranks einzuziehen? Kann ein Elternteil zusammen mit einem Kind in einer Wohnung leben, die so groß ist wie ein Hotelzimmer? […] Jenseits der wirtschaftlichen Implikationen einer kleinen Wohnstätte sollte diese aber auch die Kapazität eines echten Zuhauses haben, durch das wir unsere Werte und Ziele ausdrücken können. In der Wissenschaft spricht man hierbei gern von „Identitätsansprüchen“. […] „Wenn wir an ein Leben auf engstem Raum denken, konzentrieren wir uns gerne auf das Funktionale, ist beispielsweise ausreichend Platz für den Kühlschrank“, erklärt der Psychologieprofessor Samuel Gosling von der University of Texas, der die Verbindung zwischen Menschen und dem, was sie besitzen, untersucht. „Aber eine Wohnung muss auch andere psychologische Bedürfnisse erfüllen, wie Selbstdarstellung und Entspannung, was in einem stark überfüllten Raum kaum möglich ist.“

WIR BAUEN AM HAUS DER ZUKUNFT!

Jenna Wortham: „Building toward the home of tomorrow“, in: The New York Times, 19. Januar 2014 • http://www.nytimes.com/2014/01/20/technology/building-toward-the-home-of-tomorrow.html?_r=0

Schon seit einigen Jahren wird die Idee verfolgt, Alltagsobjekte mit Sensoren auszustatten und diese mit dem Internet zu verbinden. Man spricht hierbei vom sogenannten „Internet der Dinge“. Die Meldung, dass Google für 3 Milliarden US-Dollar den Hersteller für intelligente Haustechnikprodukte Nest gekauft hat, verleiht diesem aufkommenden Markt nun das Gütesiegel für vorausschauendes Handeln. […] Viele Anleger springen bereits auf diesen Zug auf, und seit Anfang 2012 wurden knapp 300 Millionen US-Dollar in entsprechende Produkte und Unternehmen investiert. […] „Der weltweite Markt für intelligente Haustechnikprodukte könnte in den nächsten fünf bis sieben Jahren einen Umfang von bis zu 40 Milliarden US-Dollar erreichen“, meint Gene Munster, ein Analyst bei Piper Jaffray. […] „In diesem Jahr werden die Weichen gestellt“, sagte Alex Hawkinson, der Gründer und Leiter von SmartThings. „Dieser gewaltige Schritt eines der ganz großen Technologieunternehmen bewirkt, dass jeder beginnt, über diese Branche nachzudenken. Die ganz Großen erkennen die Chance, und damit wird die Entwicklung wohl noch schneller voranschreiten.“

SCHON SEHR BALD, SO DIE VISION, KONTROLLIEREN WIR ALLES, VOM GARTENGERÄT BIS ZUM BADEZIMMER-ACCESSOIRE, DURCH EINE EINZIGE BERÜHRUNG AUF UNSEREM SMARTPHONE.Jenna Wortham: „Building toward the home of tomorrow“, in: The New York Times, 19. Januar 2014 • http://www.nytimes.com/2014/01/20/technology/building-toward-the-home-of-tomorrow.html?_r=0

IST MEIN TOASTER SCHLAUER ALS ICH?Bill Wasik: „Welcome to the programmable world“, in: Wired, 14. Mai 2013 • http://www.wired.com/gadgetlab/2013/05/internet-of-things/

In unseren Häusern, Autos und Fabriken sind wir umgeben von kleinen, intelligenten Geräten, die Daten darüber sammeln, wie wir leben und was wir tun. Jetzt beginnen sie, miteinander zu sprechen. Bald werden wir in der Lage sein, sie so zu vernetzen, dass sie unseren Bedürfnissen entsprechen, unsere Probleme lösen und sogar unser Leben retten. […] Die Vorstellung, das Unbelebte zu beleben, der physischen Welt unsere Wünsche aufzuzwingen, ist seit über einem halben Jahrhundert das Hauptthema von Science-Fiction. Häufig stellen wir uns solche Objekte wegen ihres Mangels an Intelligenz als widernatürlich vor, wie jene sich unbarmherzig vermehrenden Besen, die Mickey Mouse in Fantasia heraufbeschwor. Es gab auch Zeiten, da fürchteten wir die Widerspenstigkeit, die sich ergibt, wenn die Dinge intelligent werden, wie HAL, der sich weigerte, jene verflixten Verschlussklappen zu öffnen. Aber in der Realität wie auch bei unseren programmierbaren Computern wird die „Intelligenz“ in unserer programmierbaren Welt nie mehr oder weniger sein als jene Intelligenz, die wir in deren weitreichenden beweglichen Teilen installieren können.

HÄUSER AUS DEM 3D-DRUCKER: SPASS FÜR ARCHITEKTEN, IRRELEVANT FÜR ALLE ANDEREN?Ian Steadman: „3D-printed houses: fun for architects, irrelevant for the rest of us“, in: New Statesman, 17. Januar 2014 • http://www.newstatesman.com/future-proof/2014/01/3d-printed-houses-fun-architects-irrelevant-rest-us

Die Vorstellung ist natürlich charmant, aber es ist nicht zu erwarten, dass 3D-Drucker bald Bauarbeiter, Ziegel und Mörtel ersetzen werden. Dennoch, Bilder von Häusern aus 3D-Druckern gibt es immer häufiger. […] Die Probleme, die Forscher bei der Größe von Häusern aus dem 3D-Drucker haben, sind ziemlich klar – bloßer Beton ist nicht sehr stabil. Ein Haus aus dem 3D-Drucker steht vielleicht, […] aber das ist nichts im Vergleich zu Betonbauten, die mit langweiligen, traditionellen Dingen wie Bewehrungsstäben errichtet wurden. […] Wenn 3D-Drucker einen Platz in der Architektur finden, dann als Hilfsmittel für den privaten Häuslebauer. So wie das 3D-Drucken möglicherweise

zur Demokratisierung des Produktdesigns beitragen wird, ist es etwas, das – in Kombination mit Webseiten für Open-Source-Baupläne wie WikiHouse – architektonisch Ambitionierten großartige Dienste leisten könnte.

WENN HACKER IN DAS „SMART HOME“ EINDRINGEN…Kashmir Hill: „When ‚smart homes‘ get hacked: I haunted a complete stranger‘s house via the internet“, in: Forbes, 26. Juli 2013 • http://www.forbes.com/sites/kashmirhill/2013/07/26/smart-homes-hack/

Über das Internet habe ich mich kürzlich in das Haus eines völlig fremden Menschen eingeloggt. „Ich kann alle Geräte in deinem Haus sehen, und ich kann sie wohl auch alle steuern“, sagte ich zu Thomas Hatley, einem Herrn aus Oregon, den ich unsanft mit einem Telefonanruf am Donnerstagmorgen geweckt hatte. Er und seine Frau waren noch im Bett. Erstaunt fragte er mich, ob ich wohl das Schlafzimmerlicht ein- und ausschalten könnte. Ich saß in meinem Wohnzimmer in San Francisco und legte den Schalter mit einem Klick um. Gleichzeitig widerstand ich der Versuchung, Poltergeist zu spielen und den Fernseher ebenfalls einzuschalten. […] Thomas Hatleys Haus war eines von acht Häusern, zu denen ich mir Zugang verschaffen konnte. Sensible Daten lagen mir offen. […] Ich fand ausreichend Informationen, um die Häuser im Internet mit deren realen Standorten zu verbinden. Die meisten Systeme hatten Standardnamen, aber in einem Fall enthielten sie auch die genaue Adresse, die ich bis zu einem Haus in Connecticut zurückverfolgen konnte.

DIE HERAUSFORDERUNG DIESES JAHRHUNDERTS IST ES, DER VERSUCHUNG ZU WIDERSTEHEN, SICH IN SELBSTKREIERTE UND SELBSTGEFÄLLIGE BLASEN ZURÜCKZUZIEHEN. WIR SOLLTEN UNS BEWUSST MACHEN, DASS ES EINE WACHSENDE ZAHL ANDERER GROSSER ODER KLEINER BLASEN GIBT MIT MENSCHEN, DIE GENAUSO ÜBERZEUGT SIND VON IHREN PERSÖNLICHEN WAHRHEITEN, IHREN LEIDENSCHAFTEN UND BEDÜRFNISSEN WIE WIR.Tad Williams: „The price of creating a connected future“, in: BBC Future, 27 September 2013 • http://www.bbc.com/future/story/20130927-challenges-of-a-connected-world

Mein Privatberg„Man ordered to remove fake mountain villa on top of Chinese tower“, in: Dezeen Magazine, 13. August 2013 • http://www.dezeen.com/2013/08/13/house-built-inside-a-fake-mountain-on-top-of-chinese-tower/

Ein chinesischer Geschäftsmann, der sich ein Haus unter einem künstlichen Berg auf einem 26-geschossigen Apartmenthaus in Peking gebaut hatte, musste dieses wieder zurückbauen, da ihm mit dem Abriss gedroht wurde. Lokalen Medienberichten zufolge, darunter die South China Morning Post, habe der Mann sechs Jahre lang an dem Bau gearbeitet und künstliche Felsen, aber auch echte Bäume und Grasflächen eingesetzt.

DER BLICK AUS DEM FENSTER…Haruki Murakami: 1Q84. Buch 1&2, Dumont, Köln 2012, S. 788f.

Der Blick aus dem Fenster belegte einen Zustand der Welt, der durch die ungehinderte Ausbreitung kleiner Welten, von denen jede einzelne ihre eigene dezidierte Form hatte, irgendwo zwischen „tragisch“ und „freudlos“ angesiedelt war. Andererseits existierten auf dieser Welt auch unleugbar schöne Ansichten […]. Es war nicht leicht zu entscheiden, auf was man mehr vertrauen sollte. […] Dann schloss er den Vorhang, um in seine eigene kleine Welt zurückzukehren.

MAN MÜSSTE EIN LOB DER ISOLIERUNG SCHREIBEN. DAS WÜRDE EINE DIMENSION DES ZUSAMMENLEBENS AUSARBEITEN, DIE ANERKENNT, DASS DIE MENSCHEN AUCH EIN UNENDLICHES BEDÜRFNIS NACH NICHTKOMMUNIKATION HABEN.Peter Sloterdijk: „Architekturen des Schaums“, in: Arch+, • Nr. 169/170, Mai 2004, S. 22

Einflussfaktor: GESELLSCHAFT DER NARZISSTENW.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise: Mind The Future, NZZ Libro, Zürich 2012

Der Einzelmensch steht unangefochten im Zentrum der Wohlstandsgesellschaft. Obwohl das Wachstum der Massenmärkte und die globale Angleichung der Modestile das nach wie vor dominante Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit belegen, zelebrieren wir unsere Individualität mit der Forderung nach Selbstverwirklichung. Während die Stärkung des Einzelmenschen in weniger freiheitlichen Ländern als Grundlage der Demokratie an Bedeutung gewinnt, erhöht die Hyperindividualisierung im Westen das Risiko einer sinkenden gesellschaftlichen Solidarität. Die Festigung der Gemeinschaft wird zur zentralen Herausforderung der kommenden Jahre.

TOKIO IN FLUX

Arch+, Situativer Urbanismus, Nr. 183, Mai 2007, S. 133

Das wichtigste für die jungen Einwohner Tokios ist, in der Stadt zu leben. Sie mieten sich ein Zimmer, wo sie wohnen, oder besser: übernachten. Denn alles andere können sie im städtischen Umfeld erledigen. Um sich

Künstliche Bergvilla auf dem Dach eines Hochhauses in Peking, 2013 © Luo Xiaoguang/Keystone

Das automatische Heim von morgen: Wie anfällig ist es für Internetkriminalität? © Trend Micro

Antonello da Messina, Der Heilige Hieronymus im Gehäuse, um 1475 © The National Gallery, London

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DIE ZEITUNG ZUR AUSSTELLUNG LIFE SPACE 3

UND WIE WOHNEN SIE?Quelle: Europäische Kommission, Eurostat, Juli 2013 • http://epp.eurostat.ec.europa.eu/statistics_explained/index.php/Housing_statistics

Etwa 11,4 % der Bevölkerung der EU-28 lebten im Jahr 2011 in Haushalten, in denen mindestens 40 % des verfügbaren Äquivalenzeinkommens für Wohnraum ausgegeben wurde. 2011 lebten rund 17,1 % der Bevölkerung der EU-28 in überbelegten Wohnungen. Gut siebzig Prozent (70,8 %) der Bevölkerung der EU-28 lebten 2011 in selbstgenutztem Wohneigentum, 18,0 % lebten in zu Marktpreisen angemieteten Wohnimmobilien und 11,2 % in Wohnungen, die zu ermäßigten Mietpreisen oder unentgeltlich überlassen wurden. Im Jahr 2011 lebten 40,9 % der Bevölkerung der EU-28 in Wohnungen, über ein Drittel (34,7 %) in Einfamilienhäusern und 23,6 % in Doppelhaushälften.

WIE KLEIN IST ZU KLEIN?„Life in 2050: How much space will you have to live in?“, in: BBC Future, 29. Mai 2013 • http://www.bbc.com/future/story/20130529-how-living-space-changes-by-2050

Bereits heute leben über 3,5 Milliarden Menschen in Städten, und bis 2050 soll diese Zahl auf etwa 7,5 Milliarden steigen, was den Druck auf alle Bereiche von öffentlichem Nahverkehr und Energie bis zur Lebensmittelversorgung und Infrastruktur noch deutlich erhöhen wird. Es wird auch unseren Wohnraum und insbesondere die Größe des Raumes verändern, auf dem wir wohnen werden.

Einflussfaktor: DIE NEUE MITTELKLASSEW.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise: • Mind The Future, NZZ Libro, Zürich 2012

Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg von Indien, China und Brasilien entsteht eine neue globale Mittelschicht, die schon in wenigen Jahren 19 % der Weltbevölkerung ausmachen wird. 1,5 Milliarden Menschen werden ein Einkommen erreichen, das dem Bruttosozialprodukt pro Kopf der USA von 1950 entspricht. Diese neuen Mittelschichten bilden nicht nur das Rückgrat des wirtschaftlichen Aufschwungs der Schwellenländer, sondern stärken mit ihrem Konsum auch die globale Wirtschaft. Währenddessen zeichnet sich in den Industrienationen ein Rückgang der tragenden Mittelschichten ab – mit weitreichenden Konsequenzen für Wirtschaft und Gesellschaft.

Torre DavidThomas Wagner: „Hausbesetzer in Venezuela: Sozialismus im Wolkenkratzer“, in: Spiegel Online, 31. Mai 2012 • http://www.spiegel.de/politik/ausland/torre-de-david-in-caracas-chavez-leute-besetzen-hochhaus-a-834195.html

In vielen Metropolen stehen Bürogebäude leer. In Caracas haben im Jahr 2007 frühere Slumbewohner den seit den 1990er Jahren leer stehenden Rohbau eines Hochhauses übernommen und in privaten Wohnraum umgewandelt. Die Bewohner nennen das Gebäude Torre David. Der Turm ist eine vertikale Stadt, in der heute über 2.500 Menschen leben. Dazu Der Spiegel:

„Manche Nachbarn sagen, der Torre David sei das höchste besetzte Gebäude der Welt. Andere finden, er sei ein Slum, der Stock für Stock nach oben wächst. Auf der 22. Etage wohnt Josefina. Sie hat zwei Zimmer und eine Küche für sich und ihren sechsjährigen Sohn. […] Josefina zog wie die meisten Besetzer eine Brüstung am Abgrund hoch.“

IST DAS DAS ENDE DES EINFAMILIENHAUSES?Joel Kotkin: „Don‘t bet against the (single-family) house“, in: Forbes, 28. Februar 2012 • http://www.forbes.com/sites/joelkotkin/2012/02/28/home-depot-lowes-lennarsingle-family-house/

Die ganze Welt prophezeit den Niedergang des Einfamilienhauses. Von klugen Köpfen wie Richard Florida bis zu Investoren der Wall Street, alle denken, dass die Zukunft Amerikas zunehmend von Mietern geprägt sein wird, die sich in kleinen Wohnungen zusammendrängen, [… aber in Wirklichkeit wohnt] die große Mehrheit der Amerikaner lieber in einem freistehenden Einfamilienhaus als in einer Wohnung. […] Die Gründe hierfür liegen auf der Hand – der Wunsch nach Privatheit, genügend Platz für die Kinder sowie zunehmend auch für das Zusammenleben mit betagten Eltern und erwachsenen Kinder, die unterbezahlt arbeiten müssen. Solche Überlegungen dringen selten in das Bewusstsein von Professoren für Stadtplanung vor. […] Man muss sich nur die Zahlen anschauen. Obwohl die Verdichtung in den Städten in aller Munde ist, entschieden sich nach einer Untersuchung des American Community Survey in den letzten zehn Jahren fast 80 % aller neuen Haushalte für ein Einfamilienhaus.

WIE WERDEN WIR WOHNEN – UND MIT WEM?Quelle: Statistisches Bundesamt: Demografischer Wandel in Deutschland. Heft 1. Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung. Ausgabe 2011, Wiesbaden 2011; Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB): Pressemitteilung Nr. 9/2013 • https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Bevoelkerung/VorausberechnungBevoelkerung/ evoelkerungsHaushaltsentwicklung5871101119004.pdf?__blob=publicationFile; http://www.bib-demografie.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Download/Grafik_des_Monats/2013_07_pro_kopf_wohnflaeche.pdf?__blob=publicationFile&v=3

Die Zahl der Haushalte in Deutschland belief sich im Jahr 2009 auf 40,2 Millionen. Gegenüber 1991 ist sie um 14 % angestiegen. Der Trend zu kleineren Haushalten führt jedoch dazu, dass sich die Zahl der Haushalte anders als die Bevölkerung entwickelt. Von 1991 bis 2009 ist die Zahl der Haushalte fast sechs Mal so stark angestiegen wie die Zahl der in ihnen lebenden Menschen. Die Zahl der Einpersonenhaushalte wird um rund 11 % bis 2030 steigen; die Zweipersonenhaushalte werden noch stärker zunehmen: um 13 %. Dagegen wird die Zahl der größeren Haushalte erwartungsgemäß abnehmen: die Dreipersonenhaushalte und die Haushalte mit vier und mehr Personen jeweils um minus 26 % gegenüber 2009. Im Jahr 1998 standen jedem Einwohner durchschnittlich 39 m² zur Verfügung, 2013 ist die Pro-Kopf-Wohnfläche auf mittlerweile 45 m² angewachsen. Seit 1996 ging die Zahl der Familien – dazu zählen im Mikrozensus Zwei-Generationen-Haushalte, in denen Eltern (oder ein Elternteil) mit Kindern leben – mit zumindest einem minderjährigen Kind um rund 13 % zurück. Die Zahl der Ehepaare mit Kindern unter 18 Jahren sank sogar um 22 %, während die Zahl der Alleinerziehenden zunahm. Auch diese Trends werden sich in Zukunft fortsetzen.

Avatar der Wirklichkeit„Avatar der Wirklichkeit“, in: W.I.R.E. Abstrakt, Das grosse Rauschen. Warum die Datengesellschaft mehr Menschenverstand braucht, Vol. 12, 2013, S. 153; Vgl. www.bbc.co.uk/news/technology-22125682

Der achtjährige Grady Hofmann musste für zwei Monate in ein Isolationszimmer im Krankenhaus. Eine Situation, die ihm seine Mutter nicht antun wollte – weshalb sie die Firma Anybots bat, ihr einen ihrer Telepräsenzroboter zu leihen. So kam Grady zu seinem ganz persönlichen Grady-Bot, einem Stellvertreterroboter, der für ihn in die Schule ging, mit seinen Freunden auf dem Pausenplatz rumstand und am Abend mit den beiden Brüdern fernsah. Die Maschine in – wenn auch abstrakter – Menschenform filmte mit ihren Kameraaugen, zeichnete Ton mit ihren Mikrofonohren auf und schickte das erlebte in Echtzeit an Grady, dessen Reaktion darauf wiederum auf dem Bildschirm zu sehen war, der auf dem Gesicht des Roboters platziert ist. Wo der Roboter hinblickt und entlanggeht, steuerte Grady von seinem Computer im Spitalbett aus. Und das wirkte offenbar so authentisch, dass die Brüder ihn beim gemeinsamen Abendessen (Grady im Krankenhaus, der Grady-Bot am Familientisch) schon auch mal liebevoll in die Seite boxten.

Die Fassade des Torre David in Caracas, 2012© Iwan Baan

EINE BIOGRAFIE IN ZAHLEN„Eine Biografie in Zahlen“, in: W.I.R.E. Abstrakt. Der Schein des Neuen. Thesen zum Mythos Innovation, Vol. 11, 2013, S. 118f.; Vgl. fumaga.com/7835 • Quellen: Food and Agriculture Organization of the U.S., U.S. Census Bureau, UK National Statistics, U.S. Energy Information Administration, ABC, U.S. Bureau of Labor Statistics u.a.

Wir wandern durch unsere Leben wie durch einen Nebel, ohne je den Blick fürs große Ganze zu haben: ein kleiner Happen Essen hier, ein bisschen Schlaf da, und dazwischen vielleicht noch ein kurzes Telefonat. Wenn man alles addiert, was wir Zeit unseres Lebens tun oder konsumieren, kommen allerdings ein paar beeindruckende Zahlen zustande.

WIE WIR UNTERWEGS SIND:

• 56.000 Kilometer zu Fuß (Das entspricht zweimal der Strecke Paris-Shanghai und zurück.)

• 1,3 Millionen Kilometer am Steuer* (Das entspricht 3,5 Mal der Strecke zum Mond.)

• 37.047 Stunden im Auto*

• 9.100 Stunden zur Arbeit pendelnd*

• 4.050 Stunden im Stau stehend*, genug für 506 Nächte à 8 Stunden Schlaf

• 4.320 Stunden an Ampeln wartend*

• 11,7 Mal den Wohnort wechselnd

WIE WIR UNSERE ZEIT VERBRINGEN:

• 18.140 Stunden Konversation betreibend*

• 5.365 Stunden davon am Telefon*

• 73 Millionen Wörter benutzend*

• 20.748 Stunden lesend (Das ist Zeit genug, um Moby Dick 1.346 Mal zu lesen.)

• 9 Jahre fernsehend, dabei 2 Millionen Werbungen konsumierend

WIE UND WOFÜR WIR ARBEITEN:

• 12 Mal die Stelle wechselnd*

• 420 Tage abwesend durch Krankheit*

• 2,3 Millionen US-Dollar Einkommen (USA)

• 8.000 US-Dollar Einkommen (Uganda)

WIE LANGE WIR SCHLAFEN:

• 217.175 Stunden (Das wäre genug Zeit, um sich jeden Film anzuschauen, der in den USA je landesweit im Kino gestartet ist.)

* gilt für einen Durchschnittsamerikaner

Einflussfaktor: STATUSSYMBOL GESUNDHEITW.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise: • Mind The Future, NZZ Libro, Zürich 2012

Gesundheit wird neu definiert. Nicht mehr nur das körperliche, sondern auch das seelische Wohl bestimmt, wer krank und wer gesund ist. Damit wird der persönliche Lebensstil – von der Ernährung bis hin zur Freizeitgestaltung – zum Entscheid für oder gegen Gesundheit. Die Medizin behandelt nicht mehr nur Kranke, sondern auch Gesunde. Der Patient wird zum Konsumenten. Doch mit dem Gesundheitshype wächst auch der Druck auf den Einzelnen, den wachsenden Anforderungen der Leistungsgesellschaft zu entsprechen. Zur Kompensation menschlicher Makel entwickelt sich ein neuer Markt für Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Schönheit: Jede Sekunde werden sechs Viagra-Pillen geschluckt, Wellness und Biolebensmittel verzeichnen überproportionale Wachstumsraten – obwohl ein effektiver Nutzen für die Gesundheit oft nicht belegt ist.

Einflussfaktor: EMOTIONALE MASCHINENW.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise: • Mind The Future, NZZ Libro, Zürich 2012

Roboter gehören zu den alten Visionen der Menschheit. Industrie und Technologie bedienen sich ihrer Hilfe seit Jahren. Künstliche Intelligenz und Sensortechnik erlauben heute den Einsatz von Robotik in immer mehr Bereichen, von der Medizin über den Haushalt bis hin zum öffentlichen Sektor. In Südkorea verrichten Roboter bereits in fast jedem Haushalt ihre Dienste. Die nächste Entwicklungsstufe bringt neben Intelligenz nun auch Empathie: Maschinen sollen liebenswert werden. Und wenn die Leistungsfähigkeit der künstlichen Gehirne weiterhin so stark wächst, werden einst vielleicht sogar „Menschenrechte“ für Roboter eingeführt.

ZUSAMMEN STARK?Owen Hatherley: „Communal living – forget stereotypes, it could solve the UK‘s housing crisis“, in: Guardian, 30. Oktober 2012 •http://www.theguardian.com/commentisfree/2012/oct/30/communal-living-answer-uk-housing-crisis

Kollektives Wohnen wird wohl kaum zum cDiese Projekte werden nun verstärkt kriminalisiert und das bezeichnenderweise zu einer Zeit, in der sie dringend benötigt werden. […] Das Besetzen von Häusern ist in der Regel – und insbesondere heute – eine Reaktion auf eine Notlage, eine Improvisationsmaßnahme; ein heruntergekommenes Haus wird übernommen, die Bäume, die in den Fluren wachsen, werden gefällt, und die Strom- und Wasserversorgung wird wieder in Gang gebracht. Wie bei allen Experimenten dieser Art machen die Hausbesetzer aus der Not eine Tugend. Dies wäre nicht notwendig, wenn kollektives Wohnen geplant und gestaltet würde.

Stadträume. Wie der Raum in dem Du lebst sich bis 2050 verändern wird © 2013 BBC

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Konstantin Grcic – Panorama 22.03. – 14.09.20144 WORK SPACE

Würden Sie ein Auto herunterladen?James Vincent: „Would you download a car? Man 3D prints life-size Aston Martin DB4“, in: The Independent, 2. August 2013 • http://www.independent.co.uk/life-style/gadgets-and-tech/news/would-you-download-a-car-man-3d-prints-lifesize-aston-martin-db4-8744159.html

Ein Mann druckt mit einem 3D-Drucker einen Aston Martin DB4 in Originalgröße aus. Das Chassis wird in etwa 10 cm großen quadratischen Segmenten ausgedruckt und dann auf dem Korpus eines Nissans angebracht. Ivan Sentch arbeitet mit einem 3D-Drucker für 500 US-Dollar und einem kostenlosen 3D-Modell, das er aus dem Internet heruntergeladen hat. Er greift damit die bekannte Werbung gegen illegale Downloads auf, in der verkündet wird, dass anständige Leute auch „kein Auto stehlen“ würden. Die Standardantwort darauf – „nun… würde ich schon, wenn ich es herunterladen könnte“ – ist der Wirklichkeit etwas näher gekommen.

DER NEUE STATUS DES NEUEN GEGENSTANDES BEZIEHT DIESEN NICHT MEHR AUF EINE RÄUMLICHE PRÄGEFORM, DAS HEISST AUF EIN VERHÄLTNIS FORM – MATERIE, SONDERN AUF EINE ZEITLICHE MODULATION, DIE EINE KONTINUIERLICHE VARIATION DER MATERIE EBENSO WIE EINE KONTINUIERLICHE ENT-WICKLUNG DER FORM IMPLIZIERT.Gilles Deleuze: Die Falte, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am

Main 2000, S. 35f.

IST EINE WELT OHNE GESCHÄFTE ODER FABRIKEN VORSTELLBAR?Peter Day: „Imagine a world without shops or factories“, in: BBC News, 11. Oktober 2013 • http://www.bbc.co.uk/news/magazine-23990211

„Im 20. Jahrhundert ging es um mehrere Dutzend Märkte mit Millionen von Verbrauchern. Im 21. Jahrhundert geht es um Millionen von Märkten mit einigen Dutzend Verbrauchern.“ [Joe Kraus, Dotcom-Pionier] Allein diese eine Aussage […] stellt tatsächlich die konventionelle Massenproduktion der Geschäftswelt des 20. Jahrhunderts auf den Kopf. Wirklich revolutionär ist, was mit dem Begriff „Verbraucher“ geschieht, der zum ersten Mal in einem Katalog von Sears Roebuck gegen Ende des 19. Jahrhunderts verwendet wurde, aber erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts große Bedeutung erlangte. In vielen Gesellschaften hinterfragen die Verbraucher nun massiv ihre passive Rolle als Nutzer von Dingen, die andere ihnen präsentieren. Verbraucher heute werden eher zu kreativen Akteuren, wie sie es zuvor kaum sein konnten.

DAS ENDE DER LAGERHALTUNG?Chris Anderson: The Long Tail – Der lange Schwanz. Nischenprodukte statt Massenmarkt. Das Geschäft der Zukunft, Hanser Verlag, München 2007, S. 114

Der Trend unserer Zeit geht dahin, Produkte, die früher als Sachgüter ausgeliefert wurden, in Daten zu verwandeln und sie dem Kunden per Datenstrom direkt auf den Computer zu liefern. [...] Die ultimative Kostensenkung besteht natürlich darin, komplett auf materielle Güter zu verzichten und nur noch mit Bits zu handeln. Rein digitale Aggregatoren haben ihren Lagerbestand auf Festplatten und liefern über Breitbandkabel aus. Die Kosten für Herstellung, Lagerung und Vertrieb liegen fast bei null, und

WIRD DER 3D-DRUCK DIE MASSEN- FERTIGUNG ERSETZEN?Carl Bass: „An insider’s view of the myths and truths of the 3D printing ‚phenomenon‘“, in: Wired, 28. Mai 2013 • http://www.wired.com/opinion/2013/05/an-insiders-view-of-the-hype-and-realities-of-3-d-printing/

Ein Insider spricht über die Mythen und Wahrheiten des „Phänomens“ 3D-Druck: […] „Die meisten 3D-Drucke werden nach den eigenen persönlichen Vorstellungen angefertigt, ähnlich wie wir heute unsere Tintenstrahl-Drucker einsetzen. […] Ein 3D-Drucker wird die Herstellung von Produkten zuhause ermöglichen, aber es wird eine andere Art der Produktion sein, und das wird wahrscheinlich nicht die Arbeitsplätze zurückbringen, die dadurch verloren gehen. Die Produkthersteller der Zukunft werden das Design, die Technik und die Fabrikation noch enger miteinander verknüpfen – das schnelle Anfertigen von Prototypen und die Möglichkeit, kleine Serien zu fertigen, werden entscheidend für ihren Erfolg sein. Dies bedeutet, die Arbeitsplätze der Zukunft werden nach immer hochqualifizierteren Fachkräften verlangen und die Fertigkeiten der zukünftigen Handwerker werden mehr im digitalen als im analogen Bereich liegen.“

IN EINEM DIGITALEN HERSTELLUNGSPROZESS SPART STANDARDISIERUNG KEIN GELD MEHR EIN. UND ZUGLEICH IST DIE HERSTELLUNG INDIVIDU-ELLER PRODUKTE KEIN KOSTENFAKTOR MEHR.Mario Carpo: The Alphabet and the Algorithm, The MIT Press, Cambridge, MA 2011, S. 41

VON DER MEDIENDEMOKRATIE ZUR FERTIGUNGSDEMOKRATIE?Thomas Escher: „3D-Drucker: Revolution aus der Düse“, in: Spiegel Online, 21. Januar 2013 • http://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/replicator-2-makerbot-eroeffnet-ersten-laden-fuer-3-d-drucker-a-878116.html

Ein kleiner Laden in Manhattan soll das Epizentrum der nächsten industriellen Revolution werden. Das Unternehmen MakerBot verkauft dort 3D-Drucker, mit denen jeder Privatkunde Tassen, Lampen und alle möglichen anderen Objekte herstellen kann. […] Der Replicator 2 ist ein desktopfähiges Endgerät mit einem vergleichsweise niedrigen Startpreis von umgerechnet etwa 1.650 Euro. […] Ambitionierte Hobby-Ingenieure erstellen auf der ganzen Welt computergenerierte 3D-Modelle und teilen sie auf Internettauschbörsen wie MakerBots eigener Plattform Thingiverse mit der Welt. Kostenfreie 3D-Software wie Googles Sketchup liefert die digitale Werkbank direkt ins Wohnzimmer. […] Wer sich die Hardware sparen möchte, findet etwa mit Shapeways Anbieter, die die Produktion des eigenen Kunstwerks übernehmen. „Was die Erfindung des Desktop-Publishing für die Medienbranche war“, glaubt [Bre Pettis, Chef von MakerBot], „ist die rasant fortschreitende Entwicklung des Desktop-Manufacturing für die fertigende Industrie.“

WIR DRUCKEN EIN HAUS AUF DEM MOND!Vgl. ESA, „Building a lunar base with 3D printing“, 31. Januar 2013 • http://www.esa.int/Our_Activities/Technology/Building_a_lunar_base_with_3D_printing

Der Architekt Norman Foster hat in Zusammenarbeit mit der European Space Agency einen Vorschlag für die Schaffung von Gebäuden auf dem Mond entwickelt. Für den Bau soll das lose Regolithgestein auf dem Mond als Basis für Zement genutzt werden. Roboter mit integriertem D-Shape Drucker – dem bisher weltgrößten 3D-Drucker – sollen auf dem Mond anschließend eine Struktur aufbauen, die so viel lokales Material wie möglich nutzt.

Einflussfaktor: REVOLUTION DES INDUSTRIEDESIGNSW.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise: Mind The Future, NZZ Libro, Zürich 2012

Mit der Verschiebung der Forschungsebene von der Mikro- auf die Nanoskala eröffnen sich neue Perspektiven für die Entwicklung von Werkstoffen. Die Nanotechnologie ermöglicht die Schaffung antibakterieller Oberflächen für die Medizin, selbstreinigender Materialien oder von Verpackungen, die den Frischezustand von Lebensmitteln messen. Zukunftsforscher kündigen gar das „Zeitalter des totalen Designs“ an: Aus einzelnen Atomen sollen Maschinen und Roboter in Milliardstelmetergröße entstehen. Doch viele der heutigen Nanovisionen sind noch reine Science-Fiction. Stattdessen läuten 3D-Drucker schon heute eine neue Ära der Produktgestaltung ein, in der Objekte – von Kleidern bis zu Möbeln – zu Hause gefertigt und beliebig reproduziert werden können.

DIGITALE DATENSCHWEMME„Die Digitale Datenschwemme“, in: W.I.R.E. Abstrakt, Der Schein des Neuen. Thesen zum Mythos Innovation, Vol. 11, 2013, S. 136; W.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise: Mind The Future, NZZ Libro, Zürich 2012; Vgl. www.wired.com/magazine/2013/04/bigdata, US Census Bureau, 2011; United Nations, 2004, Berkley Education, 2003, CERN, Google, Facebook, Nasdaq, National Climate Data Center u.a.

Vor 20 Jahren entstanden die ersten elektronischen Datenbanken, digitale Musik war für viele noch reine Fantasie und Google-Kogründer Sergey Brin Praktikant bei einer Software-Firma. In den letzten beiden Jahrzehnten war hingegen ein explosionsartiger Anstieg digitaler Datensätze zu verzeichnen. Allein im Jahr 2012 wurden laut der International Data Corporation 2,8 Zettabytes – ein Zettabyte entspricht einer Trilliarde Bytes oder 24 Quintillionen Tweets – an Daten generiert. Das globale Wissen verdoppelt sich alle fünf Jahre. Eine Ausgabe der New York Times enthält mehr Informationen, als dem Durchschnittseuropäer des 17. Jahrhunderts in seinem ganzen Leben zur Verfügung standen. Pro Sekunde werden 1110 Terabyte an Daten generiert. Zum Vergleich: Ein Terabyte entspricht rund 250 Millionen Schreibmaschinenseiten oder einem Papierstapel von 25 km Höhe. Da die Datenmenge schneller wächst als die verfügbare Speicherkapazität, kann aktuell rund die Hälfte aller neu produzierten Informationen nicht mehr langfristig gespeichert werden.

DATENSCHMUTZ STATT UMWELTSCHUTZ?James Glanz: „The cloud factories. Power, pollution and the internet“, in: The New York Times, 22. September 2012 • http://www.nytimes.com/2012/09/23/technology/data-centers-waste-vast-amounts-of-energy-belying-industry-image.html?pagewanted=all

Die Cloud-Fabriken. Energie, Umweltver-schmutzung und das Internet. […] Riesige Datenmengen werden tagtäglich bewegt, wenn die Menschen mit einem harmlosen Mouseklick oder einer Berührung des Touchpads Filme bei iTunes herunterladen, ihre Kreditkartenrechnung über die Website von Visa prüfen, über Yahoo E-Mails mit Anhängen verschicken, Produkte bei Amazon kaufen, einen Post auf Twitter schreiben oder online Zeitung lesen. Eine einjährige Untersuchung der New York Times kam zu dem Ergebnis, dass das, worauf die Informationsindustrie gründet, überhaupt nicht mit ihrem Selbstbild von Effizienz und Umweltfreundlichkeit übereinstimmt. So wie die meisten Datenzentren angelegt sind, verschleudern sie ungeheure Mengen an Energie, wie Interviews und Dokumente belegen. Online-Unternehmen fahren ihre Standorte unabhängig von der Nachfrage rund um die Uhr auf Maximallast. Das Ergebnis ist, dass die Datenzentren oft 90 % oder mehr des Stroms, den sie aus dem Netz ziehen, verschwenden.

Luftbild einer riesigen von Google gegründeten Solarfarm, #8796, 27. Oktober 2012 © 2012 Jamey Stillings,

jameystillingsprojects.com

Lizenzgebühren werden nur bezahlt, wenn das Produkt auch verkauft wird. Das ist der ultimative Markt auf Abruf: Weil waren digital sind, können sie so oft wie nötig kopiert und ausgeliefert werden, in einer Auflage von null bis zu einer Milliarde. Ein Bestseller und ein Buch, das wie Blei in den Regalen liegt, sind nur Bestandteile einer Datenbank; technisch und unter dem Aspekt der Lagerkosten betrachtet, besteht kein Unterschied zwischen ihnen.

IST KREATIVITÄT DAS NEUE KAPITAL?Bastian Lange: „Wachstumsmotor Kreative – Eine Kritik an Richard Florida“, in: Philipp Oswalt (Hrsg.): Schrumpfende Städte. Band 2: Handlungskonzepte, Hatje Cantz, Berlin 2005, S. 401ff.

In westeuropäischen Gesellschaften vollzieht sich durch den Rückzug des Wohlfahrtsstaats die Entwicklung zu einem neuen individuellen Unternehmertum. Der mit den Begriffen „Creative Class“ und „Creative Industries“ zusammengefasste Versuch der Kapitalisierung kreativer Arbeit und deren direkte Steuerung schien mit den Flops der „New Economy“ und dem Ich-AG-Sektor zwar an öffentlichkeitswirksamer Bedeutung verloren zu haben, der Umbau hin zu einer Gesellschaft mit eigenverantwortlichen Kreativunternehmern, die ihrer Leidenschaft und ihrem Talent folgen und dies zugleich erfolgreich vermarkten, findet aber weiterhin statt.

DER DESIGNER VON MORGEN: MENSCH ODER MASCHINE?Tom Campbell: „The end of the creative classes in sight“, in: Guardian, 4. März 2013 • http://www.theguardian.com/culture-professionals-network/culture-professionals-blog/2013/mar/04/technology-end-of-creative-classes

Politiker feiern „Kreativität“ und Wirtschaftler versuchen sie zu messen, Informatiker arbeiten an ihrer Replikation – aber wird sich diese Industrie entwickeln wie andere vorher? […] Seit einigen Jahrzehnten haben wir uns daran gewöhnt, dass manuelle Arbeit in Großbritannien immer mehr obsolet wird, nicht mehr wettbewerbsfähig ist oder schlecht bezahlt wird. Aber sind wir darauf vorbereitet, dass genau dies nun auch mit den Fachkräften, den Angestellten und den Kreativen passiert? […] Ist die Arbeit eines Designers oder eines Filmemachers in Großbritannien per se qualitätvoller und spricht irgendetwas dagegen, die Arbeit nicht schneller und billiger in einem anderen Land zu machen? Es wird viel vom „kreativen Prozess“ gesprochen – aber es ist letztlich ein Prozess und als solcher kann er auch ein Algorithmus sein.

Einflussfaktor: WIEDERENTDECKUNG DES INDUSTRIESEKTORSW.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise: Mind The Future, NZZ Libro, Zürich 2012

In der entwickelten Welt werden heute über zwei Drittel der Wertschöpfung im Dienstleistungssektor erwirtschaftet, in großen Städten sind es vielfach gar über 90 %. Durch die steigende Lebenserwartung und den ökonomischen Aufstieg der Schwellenländer wird sich das globale Marktpotenzial des Dienstleistungssektors weiter erhöhen. Doch mit dem Druck auf die Margen kommt es zu einer Automatisierung von Dienstleistungen. Und mit der Abhängigkeit von der Servicebranche wächst vielerorts der Ruf nach einer Reindustrialisierung zur Erhöhung der wirtschaftlichen Stabilität.

DER DESIGNER VON MORGEN MUSS EIN DATENBANK-DESIGNER, EIN META-DESIGNER, WERDEN, DER KEINE OBJEKTE ENTWIRFT, SONDERN EINE DESIGNUMGEBUNG MIT BENUTZERFREUNDLICHEN OBERFLÄCHEN, IN DER LAIEN IHRE EIGENEN OBJEKTE ENTWERFEN KÖNNEN. […] SEINE AUFGABE IST ES, DURCH DIE DESIGNWELT ZU LEITEN.Jos de Mul: „Redesigning Design“, in: B. van Abel, L. Evers, R. Klaassen, P. Troxler, Open Design Now: Why Design Cannot Remain Exclusive, BIS Publishers/Premsela, Amsterdam 2011

European Space Agency /Norman Foster, Mondbasis, 2013 © ESA/Foster + Partners

Digitale Datenbanken im Vergleich© W.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research &

Expertise

Page 5: Panorama - Die Zeitung zur Ausstellung

DIE ZEITUNG ZUR AUSSTELLUNG WORK SPACE 5

DESIGN DIREKT!Jonathan Olivares: „D2C Generation“, in: Domus 964, Dezember 2012 • https://www.domusweb.it/en/design/2012/12/17/d2c-generation.html

Unterstützt durch das Internet spart das Modell „Designer-to-Consumer“ (D2C) die traditionellen Distributionskosten und ermöglicht es dem Designer, weniger Stücke mit höheren Margen als bei der traditionellen Herstellung zu verkaufen. […] Das D2C-Modell ist neuartig, und es macht eine Reihe neuer Fertigkeiten auf Seiten des Designers erforderlich, während die entstehenden Produkte in gewisser Weise konservativ bleiben. Zwar haben einige aus dem Bereich D2C innovative Wege gefunden, die begrenzten Entwicklungsbudgets zu umgehen, aber die D2C-Produkte, die bisher auf den Markt gekommen sind, entsprechen vielen typologischen Normen, die von bestehenden Designmarken etabliert wurden. Es bleibt abzuwarten, ob das D2C-Modell zu Produkten führen wird, die so neu sind, wie das Distributionsmodell selbst.

Crowdfunding via KickstarterCharlotte Gerling: „Crowdfunding via Kickstarter. Eine-Milliarde-Dollar-Marke geknackt“, in: Taz. Die Tagezeitung, 5. März 2014 • http://www.taz.de/Crowdfunding-via-Kickstarter/!134253/

Ein Grund zu feiern für das Unternehmen Kickstarter mit Sitz in New York: Knapp über eine Milliarde US-Dollar haben Unterstützer seit der Gründung der Plattform vor fast fünf Jahren insgesamt zugesagt. […] Kickstarter hat schon manch hochfliegendem Vorhaben zur Realisierung verholfen. Möglich wird das durch 5,7 Millionen Nutzer, die über das Portal Geld an Projekte verteilen, die sie gerne realisiert sehen möchten. […] Kickstarter gilt als weltweit bekannteste Crowdfunding-Plattform. Nach Angaben des Unternehmens haben die Nutzer 2013 durchschnittlich 913 US-Dollar pro Minute gespendet. […] Kickstarter verdient an jedem erfolgreich umgesetzten Projekt mit: 5 % der Einnahmen gehen als Provision an das Unternehmen. […] Bei Projekten, für die die zugesagten Spenden am Stichtag nicht ausreichen, scheitert die gesamte Finanzierung. Kickstarter gibt als aktuelle Erfolgsquote 43,55 % an.

Einflussfaktor: NEUDEFINITION GEISTIGEN EIGENTUMSW.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise: Mind The Future, NZZ Libro, Zürich 2012

Waren früher Land und Gold die Quellen des Wohlstands, so sind es heute Ideen. Innovation generiert in der entwickelten Welt rund die Hälfte des wirtschaftlichen Wachstums, Wissen gilt als wertvollster Rohstoff des 21. Jahrhunderts. Doch damit blüht auch die Wissens- und Produktpiraterie. Seit der Verbreitung von Internettauschbörsen werden Urheberrechtsverletzungen zudem im großen Stil auch durch Individuen begangen. Die Industrie fordert einen höheren Schutz für geistiges Eigentum und setzt teils drastische Maßnahmen durch. Diese greifen in einer Welt, in der alles kopierbar wird, langfristig aber zu kurz. Was es braucht, sind neue Lizenztypen, die es erlauben, Wissen auszutauschen und trotzdem Urheberrechte zu schützen.

IM 20. JAHRHUNDERT GING ES UM MEHRERE DUTZEND MÄRKTE MIT MILLIONEN VON VERBRAUCHERN. IM 21. JAHRHUNDERT GEHT ES UM MILLIONEN VON MÄRKTEN MIT MEHREREN DUTZEND VERBRAUCHERN.Joe Kraus, Dotcom-Pionier

Einflussfaktor: SIEGESZUG DER OFFENEN NETZWERKEW.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise: Mind The Future, NZZ Libro, Zürich 2012

In der globalen Wirtschaft und Forschung nehmen Kooperationen und Partnerschaften in den Strategien von Unternehmen oder Universitäten eine immer wichtigere Rolle ein. Die Auslagerung der Produktion bringt Kosteneinsparungen, die Zusammenarbeit mit kreativen Partnern mehr Innovation. Da die Komplexität der resultierenden Netzwerke oft nur noch schwer kontrollierbar ist und die Organisationen

überfordert, wächst die Bedeutung von offenen, selbstorganisierten Kollaborationsmodellen. Der Softwaremarkt wurde bereits durch sogenannte Open-Source-Modelle revolutioniert. Selbstständige Experten arbeiten dabei gemeinsam an einem frei verfügbaren Programm und verbessern es durch freie Lizenzen laufend. Die Herausforderung liegt nun in der Übertragung dieser Arbeitsweise von der Internetbranche auf die reale Wirtschaft und in der Bestimmung von Möglichkeiten, aber auch von Grenzen der komwmerziellen Nutzung offener Kollaborationsmodelle.

AUTOMATISIERTER JOBKLAU?Kevin Kelly: „Better than human: why robots will – and must – take our jobs“, in: Wired, 24. Dezember 2012 • http://www.wired.com/gadgetlab/2012/12/ff-robots-will-take-our-jobs/

Man mag es kaum glauben, aber noch vor dem Ende dieses Jahrhunderts werden 70 % der heutigen Arbeitsplätze in Folge der Automatisierung wegfallen. […] Auch Ihr Job wird von einer Maschine übernommen worden sein. Das heißt, es ist nur eine Frage der Zeit, bis man von einem Roboter ersetzt wird. Diese Umwälzung entsteht durch eine zweite Welle der Automatisierung, die auf künstlicher Kognition, billigen Sensoren, lernfähigen Maschinen und sogenannten „distributed smarts“ basiert. Diese weitreichende Automatisierung wird alle Bereiche des Berufslebens betreffen, von denen, die handwerklich arbeiten, bis zu denen, die geistige Arbeit leisten. […] Man stelle sich vor, es werden morgen sieben von zehn Leuten in Amerika entlassen. Was würden all diese Menschen dann tun?

IST ROBOTIK DIE ZUKUNFT?Eric T. Hansen: „Kolumne Wir Amis: Das nächste große Ding“, in: Zeit Online, 31. Dezember 2013• http://www.zeit.de/wirtschaft/2013-12/roboter-boom-usa

Im letzten Jahr hat Google mehrere Roboterfirmen aufgekauft, etwa die japanische Firma Schaft, die den Darpa Robotics Challenge gewonnen hat. Die Firma entwickelt humanoide Roboter und wurde nicht vom Militär ins Leben gerufen, sondern fing als Start-Up an, ähnlich wie Microsoft oder Apple. […] Mit dem Robo-Stox, dem ersten Aktienindex nur für Robotertechnik, kann jetzt jeder in die Robo-Start-Ups investieren. Plötzlich kann man die Entwicklung klar erkennen: Der Roboter steht heute da, wo der Computer Anfang der 1970er stand. Wer morgen reich sein will, sollte heute in Roboter investieren.

ROBOTER FÜR ALLES!Steven Poole: „Makers: The New Industrial Revolution by Chris Anderson – review“, in: Guardian, 7. Dezember 2012 • http://www.theguardian.com/books/2012/dec/07/makers-chris-anderson-review

In Andersons schöner neuer Welt ist jeder ein kreativer Freak und Tüftler, und niemand macht etwas Langweiliges. Es soll viele neue Jobs im Bereich der Fabrikation geben – wenngleich die Unternehmen unentgeltliche Arbeit verlangen und so viele Roboter wie möglich einsetzen werden. (Ich für meinen Teil begrüße unsere neuen Roboter-Untergebenen, solange sie sich ihres Sklaven-Status nicht unangenehm bewusst werden und uns stürzen, so wie sie es in R.U.R. von Karel Čapek und vielen düsteren utopischen Romanen seither tun.) Und am Ende eines langen Produktionstages, an dem all jener exklusive Schnickschnack für die gesetzlose Plutokratie hergestellt wurde, wo gehen diese heldenhaften Unternehmer hin, um eine Pizza zu essen oder ihr nach eigenem Wunsch ausgedrucktes Hemd gewaschen zu bekommen? Wen kümmert‘s, mal ehrlich? Vielleicht gibt es dann auch bald dafür Roboter.

DARF MAN DAS SILICON VALLEY HASSEN?Evgeny Morozov: „Big Data. Warum man das Silicon Valley hassen darf“, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Nr. 45, 10. November 2013, S. 49f. • http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/big-data-warum-man-das-silicon-valley-hassen-darf-12656097.html

Silicon-Valley-Firmen umgeben unser Leben mit einem, wie ich es nennen möchte, „unsichtbaren Stacheldrahtzaun“. Man verspricht uns mehr Freiheit, mehr Offenheit, mehr Mobilität […]. Aber die Art von Freiheit, die wir wirklich erhalten, ist nur eine Scheinfreiheit: die Freiheit eines gerade entlassenen Kriminellen, der eine Fußfessel trägt. […] Silicon Valley hat unsere Fähigkeit zerstört, uns andere Modelle für Organisation und Betrieb unserer Kommunikationsinfrastruktur vorzustellen. […] Wir sollen akzeptieren, dass Gmail der beste und einzig mögliche Weg zum Verschicken von E-Mails und Facebook der beste und einzig mögliche Weg zum Social-Networking sei. […] Von Silicon Valley inspiriert, beginnen Politiker Probleme auf unvollständige Informationen zurückzuführen und Lösungen zu suchen, die nur eines tun: mehr

Information durch geeignete Apps liefern. […] Wir konstruieren Apps, um Probleme zu lösen, die unsere Apps lösen können, statt Probleme anzugehen, die wirklich gelöst werden müssen.

DER ARBEITSPLATZ: BIOSPHÄRE ODER SCHUL-CAMPUS?Victoria Woollaston, Mark Prigg: „Facebook‘s ‚hacker campus‘ to take on Apple‘s spaceship, Google‘s new Googleplex and Amazon‘s Biosphere in battle of the hi-tech offices“, in: MailOnline, 27. Mai 2013 • http://www.dailymail.co.uk/sciencetech/article-2331658/Facebooks-hacker-campus-Applesspaceship-Googles-new-Googleplex-Amazons-Biosphere-battle-hi-tech-offices.html

Facebooks „Hacker Campus” hat Apples Spaceship, Googles neuen Googleplex und Amazons Biosphere im Kampf um die High-Tech-Büros im Visier. […] • Amazons Biosphären-Büro wird voller Pflanzen sein, die eigens dafür gezüchtet wurden, um den Angestellten ein angenehmes Mikroklima zu bieten. • Das neue Facebook-Bürogebäude, entworfen von Frank Gehry, orientiert sich an einem Universitäts-Campus und wird das größte Großraumbüro der Welt sein, in dem 3.400 Ingenieure Platz finden werden. • Apples riesiger Spaceship-Campus, geplant vom britischen Stararchitekten Norman Foster, beschreibt eine einzigartige monumentale Ringform. • Googles in San Francisco Bay gelegenes „Dorf“ wird auf 99.000 m2 errichtet und aus neun rechteckigen, über Brücken miteinander verbundenen Gebäuden bestehen.

WANDEL DER ARBEITQuelle: Statistisches Bundesamt: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Fachserie 18, Reihe 1.4, Wiesbaden 2013 • https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/VolkswirtschaftlicheGesamtrechnungen/Inlandsprodukt/InlandsproduktsberechnungVorlaeufig PDF_2180140.pdf?__blob=publicationFile

1995 arbeiteten 42,5 % aller Erwerbstätigen in Deutschland in wissensbasierten Branchen, 2012 waren es bereits 50,8 %. Im gleichen Zeitraum sank der Anteil der Erwerbstätigen in nicht wissensbasierten Branchen von 55,8 % auf 43,8 %.

WO IST MEIN BÜRO GEBLIEBEN?Myriam Robin: „Decentralised, diverse and flexible: Why Deloitte thinks offices in 2030 will look radically different“, in: Smart Company, 26. Juli 2013 • http://www.smartcompany.com.au/leadership/management/32863-decentralised-diverse-andflexible-why-deloitte-thinks-offices-in-2030-will-look-radically-different.html#

Die Büroangestellten werden älter sein, verschiedener Herkunft, eher weiblich und sehr wahrscheinlich auch dicker. […] Die Büroflächen werden flexibler sein, mit verschiedenen Raumzonen für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Mitarbeiter. […] Da es bei den Mitarbeitern auf den Input, den sie einander geben, ankommt, wird die Gemeinschaft und Kommunikation mit den Kollegen großgeschrieben werden, um so immer neue Ideen zu entwickeln. Das heißt, Arbeitsplätze werden informeller und bieten mehr Raum für Zusammenarbeit, aber sie werden auch kleiner und zahlreicher. Da viele Tätigkeiten von Zuhause aus erledigt werden können, werden viele diese Möglichkeit nutzen, wenn das Büro weit entfernt oder schwer zu erreichen ist. Große Unternehmen werden mehr Standorte haben, aber dafür kleinere und dezentralere. Gemeinschaftsbüros und Co-Working-Büros, wie sie heute primär von Start-Ups genutzt werden, gewinnen auch für größere Unternehmen an Bedeutung.

SUCHEN SIE EINEN NEUEN JOB?Quelle: „Shape of jobs to come“, Fast Future Research, 2010 • http://fastfuture.com/wp-content/uploads/2010/01/future_jobs_sheet.pdf

Neue Karrieremöglichkeiten durch den Fortschritt in Wissenschaft und Technik (2010–2030) 1. Körperteile-Techniker 2. Nano-Medic 3. Pharmabauer für genetisch veränderte

Pflanzen und Tiere 4. Senioren-Wellness-Manager/Berater 5. Gedächtniserweiterungschirurg 6. Ethiker für „Neue Wissenschaften“ 7. Weltraumpilot, -führer und -architekt 8. Vertikallandwirt 9. Klimawandel-Umkehrungsspezialist 10. Quarantänevollstrecker 11. Wetterveränderungspolizei 12. E-Jurist 13. Avatar-Manager / E-Lehrer 14. Entwickler für alternative Fahrzeuge 15. Randgruppenjournalist 16. Datenmüllabfuhr-Arbeiter 17. Datenentrümpelungsunternehmer 18. Zeitbroker / Bankhändler für Zeit 19. Sozial-„Netzwerke“-arbeiter 20. Personal Branding Spezialist

Einflussfaktor: DAS METAVERSUMW.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise: Mind The Future, NZZ Libro, Zürich 2012

Die nächste Generation des Internets verändert nicht nur die Art und Weise, wie wir online Informationen suchen, sondern auch, wie wir uns in der realen Welt zurechtfinden. Digitale Landkarten und Erweiterte-Realitäts-Anwendungen eröffnen neue Orientierungsmöglichkeiten und agieren als Browser zur Welt: Ortsinformationen werden mit Restaurantempfehlungen, Angaben über freie Parkplätze oder persönlichen Ferienerlebnissen verknüpft. Doch weil die einzelnen Informationssysteme bislang kaum miteinander verbunden und die Daten nach unterschiedlicher Relevanz geordnet sind, bringen sie oft mehr Verunsicherung als Vereinfachung mit sich. Das semantische Web soll deshalb Inhalte verstehen und den Bedürfnissen des Nutzers anpassen: Die Zukunft des Netzes wird durch eine Vorselektion weniger, dafür qualitativ hochwertige Daten zur Verfügung stellen und dadurch auch neue Einkommensquellen erschließen.

DAS AUSGELAGERTE GEDÄCHTNISBetsy Sparrow, Jenny Liu, Daniel M. Wegner: „Google effects on memory: cognitive consequences of having information at our fingertips“, in: Science, 14. Juli 2011 • http://www.wjh.harvard.edu/~wegner/pdfs/science.1207745.full.pdf

Durch das Aufkommen des Internets mit seinen komplexen Algorithmen der Suchmaschinen sind Informationen heute auf Knopfdruck erhältlich. Wir müssen nicht mehr viel Zeit und Geld investieren, um die gewünschten Dinge zu finden. Wir können ehemalige Klassenkameraden „googlen“, Artikel online finden oder nach dem Schauspieler suchen, dessen Name uns gerade mal nicht einfallen will. Die Ergebnisse von vier Studien zeigen, dass Menschen, die schwierige Fragen beantworten sollen, in der Regel sofort an Computer denken, und dass Menschen, die erwarten, zukünftig Zugang zu Informationen zu haben, selbst weniger Informationen behalten, aber sich besser daran erinnern, wo sie diese Informationen finden. Das Internet ist zu einem externen beziehungsweise transaktiven Gedächtnis geworden, in dem Informationen kollektiv außerhalb unserer selbst gespeichert werden.

IST WIKIPEDIA EINE AUTORITÄT?Chris Anderson: The Long Tail – Der lange Schwanz. Nischenprodukte statt Massenmarkt. Das Geschäft der Zukunft, Hanser Verlag, München 2007, S. 82.

Der Vorteil dieser auf Wahrscheinlichkeit basierenden Systeme besteht darin, dass sie vom Wissen der Masse profitieren und daher sowohl in die Breite als auch in die Tiefe wachsen können. Dafür wird jedoch die absolute Genauigkeit auf der Mikroebene geopfert, weswegen man jedes einzelne Ergebnis mit Vorsicht genießen sollte. Wikipedia sollte die Informationsquelle sein, an die man sich zuerst wendet, nicht zuletzt. Wikipedia dient dazu, Informationen zu erkunden, ist aber keine definitive Quelle für Fakten. Das Gleiche gilt für Blogs, auch hier kann man einen einzelnen Blog nicht als zuverlässige Quelle für Fakten einstufen. Blogs bilden einen „Long Tail“, und es ist immer ein Fehler, bei einem „Long Tail“ allgemeine Schlüsse über die Qualität oder Natur des Inhalts zu ziehen – der Inhalt ist definitionsgemäß variabel und vielfältig. Andererseits sind Blogs zusammengenommen den Massenmedien mindestens ebenbürtig. Man muss nur einfach mehr als einen Blog lesen, bevor man sich seine eigene Meinung bildet.

Albert France-Lanord Architects, Pionen White Mountains, Server-raum in Stockholm, 2008 © Åke E:son Lindman

Page 6: Panorama - Die Zeitung zur Ausstellung

Konstantin Grcic – Panorama 22.03. – 14.09.20146 PUBLIC SPACE

gehen ließ. Doch die Zukunft ist unklar. Sicher ist aber, indem Cloud-Verbindungen in der Realität immer größer und dauerhafter werden, wird es immer plausibler, dass sich eine neue Nation der Emigranten bildet.

DER ÖFFENTLICHE PLATZ: EINE FREIE VOLKSREPUBLIK?Mohamed Elshahed: „Tahrir Square: social media, public space“, in: Design Observer, 27. Februar 2011 • http://places.designobserver.com/feature/tahrir-square-social-media-public-space/25108/

Tahrir-Platz: Soziale Medien, öffentlicher Raum. […] In diesen Tagen wurde der Tahrir eine Schaltzentrale für soziale Aktivitäten und Kreativität. Menschen verkauften Essen und Trinken, stellten Mülltonnen und tragbare Toiletten auf, organisierten alles, was für das tägliche Leben notwendig ist. Man sah viele humorvolle, kreative Protestplakate. […] Auf dem ganzen Platz waren Blogger, die ihre Kommentare und Bilder ins Internet stellten. Ärzte und Krankenschwestern leisteten in improvisierten Klinikzelten kostenlose Erste Hilfe. Filmemacher interviewten die Demonstranten und schufen Filmdokumente und Hörbeiträge, die unmittelbar die historischen Augenblicke einfingen. Musiker, Profis sowie Amateure, verfassten Lieder und trugen sie einem interessierten Publikum vor. Mit dabei waren Dichter, Puppenspieler und Komiker. Kunstlehrer unterstützen Kunstaktionen und stellten die entstandenen Werke an öffentlichen Wänden aus. Ein Künstler malte ein großes Plakat, das die Demonstranten einlud, am Entstehen des Kunstwerks mitzuwirken. Der Tahrir-Platz hatte sich nicht nur in einen sozialen und öffentlichen Raum verwandelt. Er wurde Schauplatz eines so noch nie gesehenen spontanen Events, in dem sich nicht nur eine große Gemeinschaft sondern eine ganze Nation formierte.

WEM GEHÖRT DIE STADT?Jeevan Vasagar: „Public spaces in Britain‘s cities fall into private hands“, in: Guardian, 11. Juni 2012 • http://www.theguardian.com/uk/2012/jun/11/granary-square-privately-owned-public-space

Öffentliche Räume in Großbritanniens Städten fallen in private Hände. […] Sie erinnern sich vielleicht daran, wie „Occupy London“ begann. Auf einer Facebook Seite wurde proklamiert: „Lasst uns die Londoner Börse besetzen“. Ich bin nicht sicher, ob diesen Leuten anfänglich klar war, dass der Paternoster Square ein Privatgrundstück ist. Spätestens mit den ersten Presseberichten lag es dann auf der Hand. Dort war zu lesen: „Haben sie eigentlich mit Mitsubishi gesprochen, denen der Paternoster Square gehört?“ Im Antrag der Verwaltung des Paternoster Square auf eine einstweilige Verfügung heißt es: „Der Protest ist von der Bewegung des Arabischen Frühlings inspiriert.“ Die Londoner Demonstranten mussten ihren Tahrir-Platz jedoch an anderer Stelle finden.

IST DIE STADT DER ZUKUNFT SCHON DA?Bruce Sterling: „Bruce’s Sterling’s vision of the future city“, in: BBC Future, 8. Mai 2013 • http://www.bbc.com/future/story/20130507-bruce-sterling-2050-city-vision/2

Menschen können relativ leicht flüchten, aber Städte sind empfindliche und verwurzelte Wesen. Wenn die Überlebenden zu ihren geliebten Steinen zurückkehren, werden sie sich eine andere Stadt bauen müssen – eine, die ihren Bedürfnissen entspricht. Nur Ingenieure und Architekten würden sich bei dieser schrecklichen Zukunftsaussicht die Hände reiben. Diese Modernisten haben eine heimliche Absprache mit verwilderten Stadtkrähen und hungrigen Tauben geschlossen, die in der zerstörten Zone herumpicken. Jahrelang, während eine sentimentale Menschheit sich an eine museumsreife Wirtschaft geklammert hat, haben sie eine andere Stadt gepredigt, ein rationales Monster mit klaren Winkeln und einem urbanen Gewebe, das weit mehr als nano-, robo- und geno… ist; Gebäude, die sie formen können und die somit den Rest von uns formen. Um die Wahrheit zu sagen, wir mochten diese Stadt nie. Aber sie existiert einfach.

DIE OFFENE STADTRichard Sennett: „The Open City“, Vortrag am Center for Research in the Arts, Social Sciences and the Humanities (CRASSH) in Cambridge am 19. März 2013 • http://www.crassh.cam.ac.uk/events/24635

Die Begrenzung ist eine Randzone, in der Dinge enden; die Grenze ist eine Randzone, in der sich unterschiedliche Gruppen gegenseitig beeinflussen. […] Die Zellwand hält möglichst viel im Innern des Zellkörpers zurück; analog zu einer Begrenzung. Die Zellmembran ist offener, eher wie eine Grenze – Membranen enthüllen jedoch etwas Wichtiges darüber, was „offen“ bedeutet. Die Membran fungiert nicht als offene Tür; eine Zellmembran ist porös und bietet zugleich auch Widerstand. […] Offenheit ist nicht das Fehlen jeglicher Form. Sie ist eine spezielle Struktur, die es ermöglicht, dass gegensätzliche Bedingungen zur selben Zeit existieren. […] Die geschlossene Stadt ist voller Begrenzungen und Wände, die offene Stadt besitzt eher Grenzen und Membranen. Die geschlossene Stadt kann von oben nach unten durchgestaltet und gesteuert werden; sie ist eine Stadt, die den Herren gehört. Die offene Stadt ist ein Ort, an dem Dinge von unten nach oben geschehen, sie gehört den Menschen. Diese Gegensätze sind selbstverständlich nicht absolut wie der von Schwarz und Weiß; die Realität besteht aus Grautönen. Dennoch müssen wir, wenn wir die moderne Stadt gestalten wollen, meines Erachtens gedankenlose Annahmen über das urbane Leben in Frage stellen, die der Geschlossenheit den Vorzug geben. Ich glaube, wir müssen weniger den beruhigenden, sondern eher den fiebrigen Ideen des Zusammenlebens den Vorzug geben, die auf die stimulierende Wirkung der visuellen wie auch sozialen Unterschiede setzen und dadurch Offenheit schaffen.

WILLKOMMEN IN DER ENKLAVE!Keller Easterling: „Zone: the spatial softwares of Extrastatecraft“, in: Design Observer, 6. November 2012 • http://places.designobserver.com/feature/zone-the-spatial-softwares-of-extrastatecraft/34528/

Seit einiger Zeit ist die (freie Wirtschafts-)Zone in gewisser Weise ein Nährboden für das Entstehen von Produkten mit Raumbedarf – z. B. Call-Center, Software-Hersteller, Mischkonzerne, Office-Parks – die alle leicht um die Welt wandern können und die sich besonders gut in rechtlichen und politischen Grauzonen entwickeln und von der Isolation und den Ausnahmeregelungen in der Zone profitieren. Tatsächlich ist die Zone als Unternehmensenklave ein entscheidender Aggregatzustand der zeitgenössischen globalen Stadt, der einen „sauberen Neubeginn“, „einen klar definierten“ Zugang zur Wirtschaft eines fremden Landes bietet. […] Paradoxerweise ist die Zone einerseits der Liebling in den Hauptlehrsätzen des Marktliberalismus, steht aber zugleich auch in Widerspruch zu ihnen. […] In gewissem Sinn ist die freie Zone selbst das Paradebeispiel von „Big Government“, das mit viel Mühe bestehende Netzwerke globaler vertraglicher Beziehungen in Abwesenheit eines robusten internationalen Rechts zu verknüpfen versucht. […] Die Ausbreitung der Zone als ein weltweites urbanes Infrastrukturformat leitet sich weniger aus finanzieller Rendite oder ökonomischer Weisheit ab als aus der Tatsache seiner sich selbst aufrechterhaltenden Ausbreitung.

ERST DIGITALE CLOUD DANN REALE GEMEINSCHAFTBalaji Srinivasan: „Software is reorganizing the world“, in: Wired, 22. November 2013 • http://www.wired.com/opinion/2013/11/software-is-reorganizing-the-world-and-cloud-formations-could-lead-to-physical-nations/

Von „Occupy Wall Street“ und YCombinator bis zu „Co-Living“ in San Francisco und „Co-Housing“ in Großbritannien, es zeichnen sich große Veränderungen ab. Menschen begegnen Gleichgesinnten in der Cloud und machen sich dann auf den Weg, sich offline zu treffen. In diesem Prozess entsteht Gemeinschaft – und die Wege zu einer Gemeinschaft –, wo es zuvor keine gab. Netzwerke in der Cloud, in denen Menschen miteinander kommunizieren, Fotos teilen und die ihnen fehlende Zugehörigkeit finden, beginnen, reale Wanderungsbewegungen zu initiieren und die Welt neu zu organisieren. Wird das letztlich in einem eigenen Cloud-Staat enden, wie Page, Thiel und Musk es in unterschiedlicher Form vorschlagen? Es könnte ein langfristiges Ziel werden, wie jener Traum, der Millionen ihre Heimat verlassen und nach Amerika

Die Begrenzungsmauer der Favela Paraisópolis in São Paulo© Tuca Vieira

Tahrir-Platz in Kairo während des Arabischen Frühlings, Februar 2011 © Jonathan Rashad

Einflussfaktor: DIE MEGALOPOLEN-GESELLSCHAFT W.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise: Mind The Future, NZZ Libro, Zürich 2012

Die moderne Metropole, Knotenpunkt wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens, läuft als bevorzugter Wohnort dem Landleben den Rang ab. Heute lebt über die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten, deren Gesamtfläche knappe 2 % der Erde bedecken. Nach Prognosen der UNO wächst die städtische Bevölkerung alle zehn Tage um 1,6 Millionen Menschen. Die neuen Megalopolen werden die ökonomische und kulturelle Landschaft des 21. Jahrhunderts dominieren. Doch der Austausch zwischen Stadt und Land wird zur zentralen Herausforderung für eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft.

DAS 19. JAHRHUNDERT WAR EIN JAHRHUNDERT DER GROSSMÄCHTE, DAS 20. JAHRHUNDERT WAR EIN JAHRHUNDERT DER NATIONALSTAATEN. DAS 21. JAHRHUNDERT WIRD EIN JAHRHUNDERT DER STÄDTE SEIN. Wellington E. Webb, Ehemaliger Bürgermeister von Denver • Quelle: IBM Report, “A vision of smarter cities”, 2009 • http://public.dhe.ibm.com/common/ssi/ecm/en/gbe03227usen/GBE03227USEN.PDF

Einflussfaktor: KNAPPHEIT VON GRUND UND BODENW.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise: Mind The Future, NZZ Libro, Zürich 2012

Während auf einen Menschen um 1950 noch 5.600 m2 Ackerfläche kamen, werden es bis 2050 noch 1.500 m2 sein. Ursachen sind das weltweite Bevölkerungswachstum, die globale Tendenz zur Verstädterung und landwirtschaftliche Methoden, die den Boden auslaugen, bis er unfruchtbar wird. Infolge der Klimaerwärmung entstehen zudem neue Wüstengebiete, welche die nutzbare Fläche weiter verknappen. Die Bodenpreise für Agrar-, aber auch für attraktives Wohnland steigen rasant. Gleichzeitig breitet sich das Phänomen des „Land Grabbing“ aus: Industriestaaten sichern sich fruchtbaren Boden in Entwicklungsländern, um dort für den Eigenbedarf zu produzieren.

SCHRUMPFENDE STÄDTEHans Schlappa, William J V Neill: Cities of Tomorrow – Action Today. URBACT II Capitalisation. From crisis to choice: re-imagining the future in shrinking cities, URBACT, Saint-Denis 2013 • http://urbact.eu/fileadmin/general_library/19765_Urbact_WS1_SHRINKING_low_FINAL.pdf

Nach derzeitigen Schätzungen haben 40 % aller europäischen Städte mit über 200.000 Einwohnern in den vergangenen Jahren wesentliche Teile ihrer Bevölkerung verloren […]. Schrumpfende Städte haben weniger Einnahmen, die Arbeitslosigkeit steigt, die wirtschaftlich aktiven Bevölkerungsteile wandern ab, es gibt Leerstand und zu viele ungenutzte Flächen sowie eine für die noch vorhandene Bevölkerung überdimensionierte Infrastruktur. Diese Probleme stehen in Verbindung mit dem derzeitigen demografischen Wandel. Die Unterschiede zwischen verschiedenen Regionen in Europa sind ebenso wie die Unterschiede zwischen Stadt und Land zwar sehr groß, aber die Gesamttendenz zeigt sinkende Zahlen bei der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter und ein Wachstum bei der Bevölkerung über 65 Jahre. […] Der Anteil von Rentnern ab 65 Jahren in Bezug zur arbeitenden Bevölkerung beträgt derzeit bereits fast 25 % und soll auf 45 % im Jahr 2050 steigen. […] Diese Entwicklungen haben schwerwiegende Folgen für alle Städte hinsichtlich der entsprechenden Anpassung von Gebäuden, des öffentlichen Nahverkehrs, der Dienstleistungsangebote sowie der Gestaltung des öffentlichen Raumes. Darüber hinaus treten die Folgen des demografischen Wandels in schrumpfenden Städten stärker zutage, da diese nur begrenzte Ressourcen, aber einen hohen Anteil älterer Bevölkerung haben.

Einflussfaktor: PLANET DER NOMADENW.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise: Mind The Future, NZZ Libro, Zürich 2012

Etwa 192 Millionen Menschen auf der Welt sind Migranten. Neben mittellosen und politischen Flüchtlingen verlassen auch immer mehr hoch qualifizierte Arbeitskräfte ihre Heimat, um an attraktiveren Standorten Kaderpositionen in Forschung oder Wirtschaft zu besetzen. Obschon die Einwanderer einen elementaren Beitrag zum lokalen Wirtschaftswachstum leisten, wächst in vielen Industrienationen die Angst vor Überfremdung. Als Folge rückläufiger Geburtenraten könnte allerdings schon bald ein internationaler Wettbewerb um ausländische Arbeitskräfte entstehen.

WANDERKOSMOPOLITENRichard Sennett: „The public realm“, 2008 • http://www.richardsennett.com/site/SENN/Templates/General2.aspx?pageid=16

Die Auseinandersetzung mit dem vielschichten Leben der Kosmopoliten half mir beim Verständnis des öffentlichen Raumes, in praktischer wie in analytischer Hinsicht. Meine Projekte führten mich nach New York, London, Beirut und Johannesburg, und überall war ich mit Wanderern zwischen Welten konfrontiert, die nur überleben konnten, indem sie geschickte Kosmopoliten wurden. […] Der öffentliche Raum in seiner Unpersönlichkeit und Anonymität bietet ihnen einen Überlebensraum, egal, ob sie gültige Papiere besitzen oder nicht. Der für sie wichtigste räumliche Kontext ist die Lücke im urbanen Gewebe, in der sie einen Platz für ihren Aufenthalt finden. […] Die „Wanderkosmopoliten“, die gut überleben, sind geübte Schauspieler; sie haben die Rituale dessen, was Erving Goffmann „die Darstellung des Selbst im Alltag“ nennt, gelernt, so dass sie mit Fremden kommunizieren können. Sie beherrschen die Kunst, im Hier und Jetzt zu leben, können auf jede Veränderung reagieren. In den Entwicklungsländern sind sie die Zukunft der Stadt; vielleicht sind sie auch in der entwickelten Welt das Modell dafür, wie man eine Stadt gut bewohnen kann.

OFFENHEIT IST NICHT DAS FEHLEN JEGLICHER FORM. SIE IST EINE SPEZIELLE STRUKTUR, DIE ES ERMÖGLICHT, DASS GEGENSÄTZLICHE BEDINGUNGEN ZUR SELBEN ZEIT EXISTIEREN.Richard Sennett: „The Open City“, Vortrag am Center for Research in the Arts, Social Sciences and the Humanities (CRASSH) in Cambridge am 19. März 2013 • http://www.crassh.cam.ac.uk/events/24635

DAS ÖFFENTLICHE GESTALTENSaskia Sassen: „Public interventions: the shifting meaning of the urban condition“, in: Jorinde Seijdel, Liesbeth Melis (Hrsg.): Open! Art, Culture and the Public Domain. Key Texts 2004-2012, NAI Publishers, Rotterdam 2012, S. 67, 72

Öffentlich zugänglicher Raum ist nicht mit öffentlichem Raum zu verwechseln. Öffentlicher Raum impliziert Gestaltung – durch das Tun und die Persönlichkeit von Individuen. Durch ihr aktives Handeln lassen die Nutzer des öffentlichen Raumes unterschiedliche Arten von Öffentlichkeit entstehen […]. Somit wird sowohl das Gestalten des Öffentlichen als auch des Politischen im urbanen Umfeld entscheidend in einer Zeit immer größerer Geschwindigkeit, des Sieges von Prozess und Fluss gegenüber Artefakten und Dauerhaftigkeit, von massiven, nicht mehr dem menschlichen Maßstab entsprechenden Bauten und dem Branding als Mittler zwischen Individuen und Märkten. Design lässt Erzählungen entstehen, die den Wert bestehender Kontexte oder zumindest das Versorgungsprinzip der Wirtschaftswelt unterstützen.

Issey Miyake, Age of the world, 2009 Mit freundlicher Genehmi-gung von Perimeter Art&Design © Foto Alexandre Balhaiche

Page 7: Panorama - Die Zeitung zur Ausstellung

DIE ZEITUNG ZUR AUSSTELLUNG PUBLIC SPACE 7

Aber es gibt auch eine Gestaltung des Öffentlichen, die aufrüttelnde Erzählungen herbeiführt und das Lokale sowie das zum Schweigen Gebrachte lesbar macht.

WER HAT ANGST VOR DER DRITTEN INDUSTRIELLEN REVOLUTION?Jeremy Rifikin: Die Dritte Industrielle Revolution. Die Zukunft der Wirtschaft nach dem Atomzeitalter, Campus, Frankfurt/New York 2011, S. 10, 49

Erneuerbare Energien werden mit dem Internet zur mächtigen Infrastruktur einer Dritten Industriellen Revolution (DIR) fusionieren, und diese wird die ganze Welt verändern. […] Die fünf Säulen der Dritten Industriellen Revolution sind: (1) der Umstieg auf erneuerbare Energien; (2) die Umwandlung des Baubestandes aller Kontinente in Mikrokraftwerke, die die erneuerbaren Energien vor Ort erzeugen; (3) der Einsatz von Wasserstoff- und anderen Energiespeichern in allen Gebäuden sowie an den Knotenpunkten dieser Infrastruktur zur Speicherung unregelmäßiger Energie; (4) die Nutzung der Internettechnologie, um das Stromnetz auf jedem Kontinent in ein Energy-Sharing-Netz (Intergrid) zu verwandeln, über das lokale Überschüsse der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden können; (5) die Umstellung der Transportflotten auf Steckdosen- und Brennstoffzellenfahrzeuge, die Strom über ein intelligentes und interaktives kontinentales Stromnetz kaufen und verkaufen können.

LEBENDIGE GEBÄUDE UND METABOLISCHE STÄDTE?Rachel Armstrong: „Living buildings for tomorrow’s cities“, in: BBC Future, 21. Mai 2013 • http://www.bbc.com/future/story/20130520-greening-the-cities-of-tomorrow

Am Beginn des 21. Jahrhunderts sind wir an einem Punkt angelangt, an dem wir die Natur nicht kopieren müssen, sondern deren Prozesse direkt nachbauen können, und das mit solcher Präzision – und in unterschiedlichen Maßstäben –, man könnte von einer neuen Technologieform sprechen. Diese lebenden Technologien haben einzigartige Eigenschaften, die uns in die Lage versetzen, unsere urbanen Räume ganz neu zu planen und zu gestalten, da sie anpassbar und robust sind und die Fähigkeit mit sich bringen, Dinge zu transformieren. […] In der nahen Zukunft werden wir beginnen, in das technologische Potenzial dieser „metabolischen“ Vielfalt zu investieren und sie innerhalb der Struktur unserer Städte strategisch zu nutzen. […] Vielleicht geht es in der Zukunft unseres urbanen Umfelds nicht um das Planen und Gestalten von Gebäuden, wie wir es bislang kennen, sondern um die Schaffung synthetischer Ökosysteme, die unsere Lebensqualität verbessern.

SMARTE STADT ODER SMARTE BÜRGER?Jane Wakefield: „Tomorrow‘s cities: do you want to live in a smart city?“, in: BBC News, 18. August 2013 • http://www.bbc.co.uk/news/technology-22538561

Die Städte von morgen: Wollen Sie in einer smarten Stadt leben? […] In der Zukunft wird alles in einer Stadt, vom Stromnetz über die Abwasserleitungen bis zu den Straßen, Gebäuden und Autos mit dem Internet verbunden sein. Gebäude werden das Licht für Sie ausschalten, selbststeuernde Autos werden für Sie den Parkplatz finden, sogar die Mülleimer werden smart sein. Aber wie erreichen wir diese so smarte Zukunft? Wer wird die Sensoren, die zunehmend in Gebäuden, jeder Straßenlaterne und jedem Rohr in der Stadt installiert sein werden, steuern und kontrollieren? Und ist das eine Zukunft, die wir wirklich wollen? Technologieunternehmen wie IBM, Siemens, Microsoft, Intel und Cisco verkaufen fleißig ihre Software, um eine ganze Palette von urbanen Problemen zu lösen, von Lecks in Rohren über Luftverschmutzung bis zu hohem Verkehrsaufkommen. […] Es gibt noch ein weiteres Kapitel in der Geschichte der smarten Stadt – und dieses wird von den Bürgern geschrieben, die Apps, selbst installierte Sensoren, Smartphones und das Internet nutzen, um die städtischen Probleme zu lösen, die sie betreffen. […] „Ob diese Daten von den alles überwachenden Firmen oder den Bürger kontrolliert werden, ist noch nicht klar, aber es ist wichtig, sich daran zu erinnern, wofür Städte ursprünglich geplant wurden“, meint Dan Hill, Leiter des Forschungsunternehmens Fabrica. […] „Es werden smarte Bürger sein, die smarte Städte bauen“, sagt er.

ENERGIE FÜR DIE URBANE REVOLUTION?Gaia Vince: „Smart planet. How to power the urban revolution“, in: BBC Future, 18. April 2013 • http://www.bbc.com/future/story/20130418-how-to-power-the-urban-revolution

Die meisten Länder versuchen, in den nächsten Jahren intelligente Versorgungsnetze einzurichten, zum Teil,

weil diese weitaus effizienter sind und somit weniger Energie verbrauchen, aber auch weil sie die Integration erneuerbarer Energien ermöglichen – Bedarf und Verbrauch werden in Echtzeit überwacht und Lasten entsprechend ausgeglichen – und damit können Einzelhaushalte ihren überschüssigen Strom ins Netz einspeisen. […] Schnelle Veränderungen, wie der konsequente Einsatz von Niedrigenergielampen (20 % der Energie in Gebäuden wird für die Beleuchtung eingesetzt) und verbesserte Dämmung, werden durch politisch lancierte Baubestimmungen und Gesetze für Immobilienverkäufe- und vermietungen forciert werden. Das sind kleine Schritte, aber wir müssen dahin kommen, dass alle neuen Gebäude autarke Energieerzeuger sind, die in Verbindung mit kleinen Versorgungsnetzen in den Quartieren in einem städtischen Netz zusammenlaufen.

Die Wüste als Kraftwerk?Quelle: Desertec Foundation, The Desertec Concept • https://dl.dropboxusercontent.com/u/2639069/DESERTEC%20Concept.pdf

Die systematische Nutzung von Wüsten und ariden Regionen als Energiequellen wird in der nationalen und internationalen Energiepolitik noch nicht ausreichend bedacht. Die Desertec Foundation sieht darin eine große Möglichkeit, sauberen und erschwinglichen Strom für die Versorgung einer wachsenden Weltbevölkerung und Weltwirtschaft zu gewinnen. Die konsequente Umsetzung des Desertec Konzepts und das Ersetzen von fossilen Treibstoffen durch saubere Energie aus Wüsten und ariden Regionen könnte den weltweiten CO2-Ausstoß um 80 % senken.

Geladener Asphalt„Geladener Asphalt“, in: W.I.R.E. Abstrakt, Das große Rauschen. Warum die Datengesellschaft mehr Menschenverstand braucht, Vol. 12, 2013, S. 144; Vgl. news.volvogroup.com/2013/05/23/the-road-of-tomorrow-is-electric

Einer der größten Nachteile von Elektrofahrzeugen sind ihre schweren Akkus, die selbst bei voller Aufladung nur für relativ kurze Strecken ausreichen. In Zusammenarbeit mit Partnern aus Industrie und Forschung arbeitet der schwedische Fahrzeugbauer Volvo nun daran, die Elektrizität im wahrsten Sinn des Wortes auf die Straße zu bringen. Dabei versorgen zwei an der Oberfläche der Straße montierte Stromschienen einen in die Fahrzeuge integrierten Kollektor mit Elektrizität, wenn sich das Fahrzeug mit mindestens 60 km/h bewegt.

Autobahn der Lüfte„Autobahn der Lüfte“, in: W.I.R.E. Abstrakt, Das große Rauschen. Warum die Datengesellschaft mehr Menschenverstand braucht, Vol. 12, 2013, S. 170; Vgl. www.terrafugia.com/tfx-vision

Der Prototyp der Firma Terrafugia kann sich Dank ausklappbarer Flügel und Propeller innerhalb von Sekunden von einem Auto in ein Flugzeug verwandeln und umgekehrt. Er kann auf bis zu 160 km/h beschleunigen und 800 m Flughöhe erreichen. Die Hersteller rechnen damit, bis in rund zehn Jahren ein marktfähiges Produkt anbieten zu können – in der Preisklasse eines heutigen Luxuswagens. Einziger Wermutstropfen: Das Gefährt benötigt eine Start- und Landebahn, da erst nach 30 Metern abgehoben werden und das landende Auto sich auch noch nicht ohne weiteres wieder in eine Autobahn einfädeln kann.

LEBEN WIR IN EINER DESIGNBLASE?John Thackara: In the bubble. Designing in a Complex World, MIT Press, Cambridge, MA 2005, S. 77 ff.

Richard Florida nennt sie „die kreative Klasse“. Management-Guru Peter Drucker bezeichnet sie als „Wissensarbeiter“. Britische Parteiideologen sprechen von „Kulturindustrien“. Wie auch immer sie betitelt werden, es gibt viele von ihnen – nach Floridas Berechnungen etwa 30 % der Werktätigen in den USA. Eine neue Untersuchung der nordamerikanischen Städte mit sprunghaftem Aufschwung schreibt den Erfolg dieser Städte der Präsenz der kreativen Klasse zu, den PR-Spezialisten, Kommunikationsanalytikern, Werbeagenten und dergleichen. […] Doch was für

Konzept der Desertec Foundation für eine globale Versorgung mit regenerativer Energie © Desertec

Netzwerke und Infrastruktur gilt, gilt auch für Standorte: Zu viel von unserer Welt ist einfach zu sehr entworfen. Wir können eine Menge lernen von den formlosen Herangehensweise an Stadtplanungen, die in Situationen florierten, in denen der Staat zusammenbrach.

BESITZEN SIE EIN AUTO?Michel Taride: „Viewpoint: the future of mobility“, in: BBC News, 3. Januar 2013 • http://www.bbc.com/news/business-20671090

In London besitzen 40 % der Haushalte kein eigenes Auto, wie ein Bericht von Transport for London 2012 feststellte. Der Rückgang beim Besitz von Automobilen wird insbesondere deutlich in der geringeren Zahl der Haushalte mit mehreren Fahrzeugen; sie fiel von 21 % im Jahr 2001 auf 17 % im Jahr 2007. Statt traditionell den Fokus auf das Auto und das „Selbstfahren“ zu legen, nutzen die Menschen vermehrt verschiedene Fortbewegungsmittel und passen diese ihren Bedürfnissen an – sie nutzen das, was sie brauchen, wenn sie es brauchen – und die radikalen technologischen Fortschritte machen eine solche smarte Mobilität möglich. Mobilitäts-Apps gestalten den Wechsel zwischen unterschiedlichen Verkehrsmitteln problemlos und nahtlos. Es wird immer einfacher, Fliegen, Bahnfahren und Autofahren in neuer Weise zu kombinieren, um schnell und unkompliziert an ein Ziel zu gelangen.

DIE KURZSTRECKE ALS ZUKUNFTSMODELL?Dr Ryan Chin: „Solving transport headaches in the cities of 2050“, in: BBC Future, 18. Juni 2013 • http://www.bbc.com/future/story/20130617-moving-around-in-the-megacity

Im Jahr 2050 könnten 2,5 Milliarden Autos auf der Welt fahren, und die meisten von ihnen würden sich in den Städten konzentrieren, so ein Bericht der OECD. […] 2012 berichtete das Transportation Sustainability Research Center der UC Berkeley, dass es bereits geschätzt 1,7 Millionen Mitglieder in Car-Sharing Programmen in insgesamt 27 Ländern gibt. Car-Sharing bringt offensichtliche Vorteile in der Stadt. Zipcar schätzt, dass jedes so geteilte Auto 20 Privatautos ersetzt, wodurch weniger Kilometer gefahren werden und Parkraum eingespart wird. […] A-MoD Systems basiert auf einer Untersuchung der City Science Initiative am MIT Media Lab von CityCar, eines faltbaren Elektro-Zweisitzers für ein Sharing System, der für den Betrieb auf Abruf entwickelte wurde. […] Wir müssen die urbanen Strukturen unserer Städte vollkommen überdenken, wir sollten das Wohnen und Arbeiten nicht mehr so stark räumlich voneinander trennen, so wären wir nicht mehr grundsätzlich auf motorbetriebene Fortbewegungsmittel angewiesen. Wir brauchen hoch verdichtete Quartiere mit kurzen Wegen und einer Mischnutzung, in denen jeder Bewohner in einer Laufweite von weniger als 20 Minuten das findet, was er braucht.

A-soziale Netzwerke„A-soziale Netzwerke“, in: W.I.R.E. Abstrakt, Der Schein des Neuen. Thesen zum Mythos Innovation, Vol. 11, 2013, S. 162; Vgl. avoidtheshoppingcrowds.com

Bisher dienten soziale Netzwerke primär dazu, in Erfahrung zu bringen, wo sich alle coolen Freunde gerade aufhalten, damit man selbst auch dort hingehen kann. Nun hat die niederländische Firma They eine App entwickelt, die genau das Gegenteil ermöglicht: Zu erfahren, wo gerade möglichst wenig Leute sind, man also seine Ruhe hat. Aufgrund von Daten aus sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder Instagram eruiert die Software in Echtzeit, welche Kaufhäuser und Shoppingmeilen gerade überfüllt sind, und welche nicht. Da dies auf solch große Nachfrage stieß, ist bereits eine Nachfolge-App entstanden, die die Menschendichte in Zügen analysiert.

STANDORTBASIERTE APPS SIND KEINE TECHNOLOGIE DER ZUKUNFT; VIELMEHR GEHT ES DARUM, DEN STANDORT VOLLKOMMEN IRRELEVANT WERDEN ZU LASSEN.Balaji Srinivasan: „Software is reorganizing the world“, in: Wired, 22. November 2013 • http://www.wired.com/opinion/2013/11/software-is-reorganizing-the-world-and-cloud-formations-could-lead-to-physical-nations/

Einflussfaktor: DIE UNSICHTBARE GEFAHRW.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise: Mind The Future, NZZ Libro, Zürich 2012

Neben den materiellen Abfallbergen nimmt auch die immaterielle Umweltverschmutzung durch Licht, Lärm und Elektrosmog zu. Die voranschreitende Verwendung von Mobiltelefonen, WLAN, Blue-tooth oder auch Rundfunkanlagen setzt den Menschen immer mehr elektromagnetischer Strahlung aus. Der technische Fortschritt schreitet dabei so schnell voran, dass ihm die Forschung über die Wirkung der erzeugten Strahlenfelder weit hinterherhinkt. Insbesondere Langzeitfolgen sind noch nicht abzuschätzen, so etwa Auswirkungen auf den Hormonhaushalt, die Fruchtbarkeit oder das Krebsrisiko. Der Druck wächst, diesbezügliche Studien voranzutreiben und daraus resultierende Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung umzusetzen.

Himmlische Windmühlen„Himmlische Windmühlen“, in: W.I.R.E. Abstrakt, Machen ist Macht. Zum Aufstieg der Do-it-yourself-Kultur, Vol. 8, 2012, S. 126; Vgl. www.makanipower.com

Die kalifornische Firma Makani Power hat Windmühlen in den Himmel versetzt, wo sie 50 % mehr Energie produzieren als auf dem Boden. Wie Drachen kreisen sie an einer Schnur in einer Höhe von 250 bis 600 m, wo der Wind ungleich stärker und konstanter weht als in Bodennähe. So können 90 % des Materials, das für konventionelle Windturbinen verwendet wird, und 50 % der Kosten eingespart werden. Bei der Bestimmung der Flughöhe wurde darauf geachtet, dass sie tiefer ist als jene von Flugzeugen, jedoch höher als die der meisten Vögel, um Kollisionen zu vermeiden.

Künstliche Wolken„Künstliche Wolken gegen Klimaerwärmung“, in: W.I.R.E. Abstrakt, Die große Gemeinschaft. Gedanken zur Solidarität von morgen, Vol. 9, 2012, S. 136; Vgl. www.atmos.washington.edu/~robwood

Um die Klimaerwärmung einzudämmen, will der Physiker Rob Wood von der University of Washington künstliche Wolken erzeugen. Diese sollen einen Großteil der Sonnenstrahlen reflektieren und so die Erdtemperatur herunterkühlen. Das Prinzip ist einfach: Schwimmende Boote sollen Salzpartikel aus dem Meer in die Atmosphäre sprühen, um die Wolkenbildung zu erleichtern. Denn damit Luftfeuchtigkeit kondensieren kann, braucht sie Kondensationskerne wie Staub-, Ruß- oder eben Salzpartikel. Die Idee sei nur eine Notfalllösung, betont Wood. Das primäre Ziel müsse weiterhin bleiben, den globalen CO2-Ausstoß drastisch zu reduzieren.

Einflussfaktor: BOOM DER SAUBEREN TECHNOLOGIENW.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise: Mind The Future, NZZ Libro, Zürich 2012

Mit den steigenden Ölpreisen, den wachsenden Risiken durch den Klimawandel und dem wiedererwachten Bewusstsein für die Gefahren der Atomkraft nach der Fukushima-Katastrophe wächst das ökologische Bewusstsein der Gesellschaft und damit auch die Bedeutung der sauberen Technologie. Konglomerate aus Hightechunternehmen, Militär und Wissenschaftlern wollen mit Investitionen in Solarenergie, Biotreibstoffe und Gezeitenkraftwerke den Anteil an erneuerbarer Energie nachhaltig erhöhen. Mittelfristige Ziele sind die Selbstversorgung von Haushalten und Fabriken mit sauberer Energie sowie die totale Wiederverwertbarkeit aller durch die Energieproduktion generierten Abfallprodukte.

Fliegende Windmühle des Herstellers Makani Power © Makani Power, Inc

Page 8: Panorama - Die Zeitung zur Ausstellung

Konstantin Grcic – Panorama 22.03. – 14.09.20148 IMPRESSUM

AUSSTELLUNG Direktoren Vitra Design Museum:Mateo Kries, Marc Zehntner

Ausstellungskonzept: Konstantin Grcic, Mateo Kries

Kuratorenteam: Jan Boelen, Friederike Daumiller, Konstantin Grcic, Ils Huygens, Mateo Kries, Janna Lipsky

Ausstellungsgestaltung: Konstantin Grcic, Friederike Daumiller

Projektleitung: Janna Lipsky

Assistenz: Julia Selzer

Beteiligte Künstler: Mia Grau, Neil Campbell Ross

Wissenschaftliche Beratung: W.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise

Ausstellungsgrafik: Konstantin Grcic Industrial Design, Thorsten Romanus

Übersetzung: Barbara Hauß, Norma Keßler, Gregory Sims

Technische Leitung: Stefani Fricker

Installationsbau: Michael Simolka, Anthony Bohmani, Marc Gehde, Martin Glockner, Patrick Maier, George Pruteanu, Manfred Utz

Medientechnik: Ina Klaeden

Konservatorische Betreuung: Susanne Graner, Luise Lutz, Anita Fux, Grazyna Ubik

Registrar: Boguslaw Ubik-Perski

Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit:Viviane Stappmanns, Denise Beil, Sabine Müller, Katharina Giese, Gianoli PR

Ausstellungstournee: Reiner Packeiser, Bettina Besler-Slawik

Begleitprogramm: Katrin Hager, Stefan Klein

Besucherdienste: Christina Scholten, Anna Deninotti, Annika Schlozer

ZEITUNG Redaktion: Janna Lipsky, Friederike Daumiller, Ils Huygens, Viviane Stappmanns, W.I.R.E. Web for Interdisciplinary Research & Expertise

Konzept & Design: Viviane Stappmanns, Takiri Nia

Druck: Freiburger Druck GmH & Co, KG

Typographie: FB PANO, DTL Albertina, Franklin Gothic

Unser herzlicher Dank gilt den Partnern und Sponsoren, sowie den Firmen und Galerien, die mit Schenkungen und Leihgaben die Ausstellung unterstützen.

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Wir danken

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Vitra Design Museum Charles-Eames-Str. 2D-79576 Weil am RheinT +49.7621.702.3200www.design-museum.de © Vitra Design Museum, 2014

„Ich weigere mich, irgendwelche vorgefassten Vorstellungen von Funktionalität,von Komfort und Schönheit zu haben. Ich möchte verstehen, wie Design mit dem Leben verbunden ist.“

– Konstantin Grcic, 2014