Paradoxieder weltentsagung

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Paradoxie der weltgestaltenden Weltentsagung im Buddhismus Ein Zugang aus der Sicht der mimetischen Theorie R. Girards •Forschungsseminar Christliche Gesellschaftslehre: Ethik der Schöpfungsverantwortung Wintersemester 2008/2009 •Institut:Institut für Systematische Theologie •ao.Univ.Prof. Mag.Dr. Guggenberger Wilhelm Univ.-Prof. Mag.Dr . Palaver Wolfgang •Ilkwaen Chung

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Paradoxie der weltgestaltenden Weltentsagung im

Buddhismus Ein Zugang aus der Sicht der mimetischen Theorie R. Girards

•Forschungsseminar Christliche Gesellschaftslehre: Ethik der Schöpfungsverantwortung

•Wintersemester 2008/2009 •Institut:Institut für Systematische Theologie•ao.Univ.Prof. Mag.Dr. Guggenberger Wilhelm• Univ.-Prof. Mag.Dr. Palaver Wolfgang

•Ilkwaen Chung

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Einleitung

• ein Versuch zur Vertiefung vom bisherigen Annäherungsversuch von Girards mimetische Theorie und Buddhismus

• eine kulturtheoretische Lektüre von den gegenseitigen Abhängigkeiten der Mimesis, Differenz, Gewalt und Religion in der Genese und der Erhaltung der asiatischen bzw. buddhistischen Kulturen und Zivilisationen

• Eine Lektüre des Buddhismus aus der Sicht der mimetischen Theorie gemäß den drei Grundpfeilern der mimetischen Theorie (1. das mimetische Begehren, 2. der Mechanismus der mimetischen Versöhnung als Ursprung der Kultur und 3. das Christentum und die paradoxale Einheit alles Religiösen)

• Grundlagenforschung : Kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen! - Kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen! - Kein Dialog zwischen den Religionen und Kulturen ohne Grundlagenforschung! (Weltethos).

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Eine sozialanthropologische Lektüre des Buddhismus • Angelehnt an Dumonts sozialanthropologisches

Verständnis von der Paradoxie der Weltentsagung als Anti-Struktur und Reservoir der Kreativität wird die paradoxe Dialektik zwischen Weltordnung und Weltentsagung im Licht der mimetischen Theorie Girards bzw. des kulturtheoretischen Verständnisses von der paradoxen Ordnung des strukturierend-differenzierenden Mechanismus der mimetischen Versöhnung dargestellt.

• Die mimetische Theorie besitzt die große Beschreibungs- und Erklärungskraft für das Verständnis der Paradoxie der buddhistischen Zivilisationen mit weltentsagenden Orientierungen (vgl. Eisenstadt 1984).

• Eisenstadt, Shmuel N. 1984. Die Parado xie vo n Zivilisatio ne n mit auße rwe ltliche n Orie ntie rung e n. Übe rle gung e n zu Max Webe rs Studie übe r Hinduismus und Buddhismus. In: Max Webers Studie über Hinduismus und Buddhismus. Interpretation und Kritik. Hrsg. von Wolfgang Schluchter.Shurkamp Taschenbuch Wissenschaft 473. 333-360.

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The sacrificial interpretation of world renunciation (Malamoud)

• Inspiriert durch die sakrifizielle Interpretation von der Weltentsagung (Malamoud 1996) und mittels der Mytheninterpretation Girards vertritt diese Arbeit den g e ne tischen Ansatz im Verständnis von den hauptsächlich ursprünglichen und auch mythischen Quellen der Weltentsagung (vgl. “Zur Genese des Buddhismus” , Bronkhorst 2000b).

• Die Genese des Buddhismus ist “ im kulturgeschichtlichen Kontext Indiens” ( rama aś ň -Bewegung) zu verstehen.

• Malamoud, Charles. Cooking the World : Ritual and Thought in Ancient India.• Mit dem genetischen Tiefenverständnis vom zivilisatorischen Transformierungsprozess ist

die moralistische Herabwürdigung von den späteren positiven Entwicklungen und Potentialen zu vermeiden.

• Im Unterschied zu den nihilistisch-pessimistischen Missverständnissen von der buddhistischen Weltentsagung bzw. vom Nichts wird die Paradoxie der kreativ-schöpferischen Weltentsagung kulturtheoretisch analysiert.

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Weltentsagung als Reservoir der Kreativität • Trotz des genetischen Interesse an der Erkenntnis der

ursprünglich bzw. mythologischen Quellen ist das Versöhnungspotential und Friedenspotential des Buddhismus in der Ge g e nwart (vgl. sozial engagierter Buddhismus) keineswegs zu verneinen, sondern im Sinne der Paradoxie der weltgestaltenden Weltentsagung zu bejahen und anzuerkennen

• Weltentsagung als Reservoir der Kreativität und ihr Friedenspotential

• Insbesondere wird das positive Potential der buddhistischen Ethik und Weisheit der Entsagung, Loslösung und Desinteressierung im Zeitalter der mimetischen Krise anerkannt (siehe Friedenspotential des Buddhismus im Reich der Eifersucht).

• Aufgebaut auf Girards mimetischer Lektüre der indischen Mythologie und Brahmaňas (Girard 2003) und auf der These Heestermans von der Interiorisierung des Opfers (1997a) wird die mime tische Lektüre von der paradoxen Dialektik zwischen Weltordnung und Weltentsagung versucht.

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Die letzte symbolische Einheit des Opfers

• Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Entsagungstraditionen der Weltreligionen werden im Sinne vom “Universale aus anthropologischer Sicht” (Dumont 1991, 192) und von der “ letzten symbolischen Einheit des Opfers,” die gesamte religiöse Geschichte der Menschheit zusammenfasst,(Girard) dargestellt.

• Interiorisierung des Opfers bzw. Opferfeuers

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1.1.2. Mimetisches Begehren und Buddhismus als Heilslehre

• Der Buddhismus besitzt eine hohe Sensibilität für die Problematik des Begehrens (vgl. Lefebure 1996; 2002).

• Diese große Sensibilität für das Begehren kann aber sozialanthropologisch differenziert werden.

• Die buddhistische Lehre von der Begierdelosigkeit und “Ethik der Desinteressierung” besitzt das positive Leistungspotential im modernen Reich der Eifersucht (vgl. Sloterdijk 2002).

• Aber trotz des spirituellen, mystischen und ethischen Potentials der buddhistischen Begierdelosigkeit kann das dekontextualisierte Verständnis der Begierdelosigkeit sozialanthropologisch nuanciert werden.

• Die buddhistischen Texte “ repräsentieren das Denken des Weltentsagers” . Die Literatur des frühen indischen Buddhismus spiegelt in erster Linie die Werte des Weltentsagers wieder. Manche frühe buddhistische Schriften spiegeln “Codes des asketischen Verhaltens” (Olivelle 1992, 12). Die buddhistische Lehre von der Begierdelosigkeit ist (sozial)anthropologisch zu explizieren.

• Die sozialanthropologische Lesart der weltentsagenden Dimension des Buddhismus vermeidet das nihilistische oder pessimistische Missverständnis des Buddhismus. Die buddhistische Leere ist nicht mit Nihilismus gleichzusetzen (Dalai Lama 1989, 208).

• Die Leere im Buddhismus kann als die sozialanthropologisch spezifische Größe des Weltentsagers nuancierter verstanden werden.

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Stillschweigende Voraussetzungen des buddhistischen Denken

• Unter dem Titel “Stillschweigende Voraussetzungen” (des buddhistischen Denkens) hat Conze den grundsätzlich weltentsagenden bzw. yogischen Charakter des buddhistischen Denkens festgestellt (1988; “yogische Philosophien” , ebd., 18)

• Buddhistische Denker gehen, so Conze, “von einer Reihe stillschweigender Voraussetzungen aus, die von modernen europäischen Philosophen ausdrücklich abgelehnt werden.” Die erste ist nahezu allem indischen ‘wissenschaftlichen’ Denken – im Gegensatz zum europäischen – gemeinsam.

• Nach Conze sieht sie in den yoga-Erfahrungen das entscheidende Rohmaterial für philosophische Betrachtung (ebd., 15).

• Manche buddhistische P li-Wörter tragen, so Conze, “yogische Bedeutung”:ā “Leider erweist sich eine Übertragung als unmöglich, teils deswegen, weil manche Pāli-Wörter yogische Bedeutung tragen, während sie in unseren Sprachen, die für diese Dinge keinen Wortschatz besitzen, etwas ganz Alltägliches bezeichnen”, so meint Conze (ebd., 105). Die Bedeutung jener Begriffe, die den “besonders geheiligten Kern der Lehre” betreffen, erschließt sich nach Conze “nur im Zustand religiöser Entrückung” (ebd., 32).

• Das buddhistische Denken wurde für einen (weltentsagenden) sa ghaņ entwickelt (ebd., 32-33). Philosophische Argumente und Denkrichtungen stehen“ lediglich mit den meditativen Praktiken der Mönche” in Zusammenhang (ebd., 40).

• Die Formulierung ist offenbar als Meditationshilfe gedacht, nicht als Grundlage irgendwelcher rationalen Spekulationen (ebd., 46).

• Die buddhistischen Begriffe werden in erster Linie mit “den Augen des yogin” gesehen: Es wird, so Conze, als unumstrittene Tatsache hingestellt, welche “den Augen des yo g in” sichtbar wird, sobald er “einen Zustand der Gnosis” erreicht hat, der es ihm erlaubt, allem Bedingten gegenüber gleichmütig zu bleiben (ebd., 74).

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Die anthropologische Lektüre und die yogische Voraussetzung des buddhistischen Denken

• Conze(ebd., 348) hat die (yogischen) Motive hinter der M dhyamikaā -Dialektik hervorgehoben:

• Zugegeben – eine derartige Philosophie hat dem gesunden Menschenverstand wenig Tröstliches zu bieten und muss den Durschnittsmenschen in atemberaubende Verwirrung stürzen...Die Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass sie ihre Ideen nicht aus den Interessen und Problemen des Mannes von der Straße ableitet, sondern aus den religiösen Erwartungen desjenigen, den wir hier des Kontrastes wegen den »Mann im Wald« nennen wollen.

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Zwei Arten von Buddhismus

• In diesem Zusammenhang hat Conze von “zwei Arten von Buddhismus” gesprochen: Nach ihm hatte es von Anfang an “zwei Arten von Buddhismus” gegeben.

• Da war einmal der “Buddhismus der Mönche” , die über die vier Wahrheiten, drei Merkmale, “verkehrte Sichtweisen” und derartige Themen “meditierten” und “durch yogische Übungen nach mystischer Einswerdung und endgültiger Erlösung” trachteten.

• Und da gab es den “Buddhismus der Laien und Könige” , die nach einer günstigeren Wiedergeburt strebten. Die Riten des “Buddhismus der Laien und Könige” kreisten um die Reliquien des tath g ataā und um st paū -Verehrung (Conze 1988, 389).

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Buddhismus als ‘Heilslehre’ und ‘ reine Soteriologie’

• Der Buddhismus als Heilslehre und reine Soteriologie war weniger interessiert an der ordnungsgemäßen Bewahrung der Gesellschaft, als vielmehr an der ‘Erlösung’ (mo k aş ).

• Der buddhistische Weg erscheint als “Heilsweg für Welte ntsag e r” , also für Mönche und Nonnen. Die buddhistischen Laie nanhäng e r werden nicht explizit in das Schema eingeordnet (Schmithausen 2003, 85).

• Streng genommen wäre es schwierig, von einer ‘buddhistischen Gesellschaftsordnung’ zu sprechen. Der Buddha wollte nicht eine neue Ordnung für die Welt und die Welt folgt ihren eigenen Gesetzen:

• “Die Lehre des Buddha ist zwar eine Lehre für alle Menschen, aber sie ist ihrer ursprünglichen Zielsetzung nach keine Lehre für die Gestaltung des Lebens in der Welt, sondern eine Lehre zur Erlösung, als zur Befreiung aus der Welt. Deshalb wollte der Buddha nicht in dem Sinne eine neue Ordnung für die Welt geben, wie es etwa Muhammad beabsichtigt hat. Die Welt folgt ihren eigenen Gesetzen”, so bemerkt Bechert (1984b, 9-10).

• Der Buddhismus als weltentsagende Heilslehre oder reine Soteriologie hatte ursprünglich wenig zu tun mit der gesellschaftlichen Ordnung.

• Aber paradoxerweise hatte der buddhistische Weltentsager die kreative bzw. gründende, differenzierende und strukturierende Rolle gespielt. Die Paradoxie der Weltordnung dank oder durch die Weltentsagung kann mimetisch erhellt werden.

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Die weltentsagende Hauslosigkeit• Die buddhistische Begierdelosigkeit gehört ursprünglich zu

der (spezifischen) Sache des Weltentsagers in seiner Hauslosigkeit.

• “ Im Hausvaterleben des Produzierens und Reproduzierens war das Begehren nötig, in diesem Rahmen sogar lobenswert.” Begehren gehörte zum gesellschaftlichen Lebensplan und der Weltordnung. Das Begehren hielt einen in der Welt, in der Gesellschaft, und garantierte somit den Fortbestand dieser Gesellschaft (Gombrich 1997, 55-6).

• Im Gegensatz zu dem Hausvaterleben kann der buddhistische Weltentsager “weder produzieren noch reproduzieren” , denn für ihn ist Begierde Tod (ebd., 57).

• Der in Sri Lanka geborener Sozialanthropologe Tambiah hat den spezifisch weltentsagenden Hintergrund der Begierdelosigkeit herausgestellt: Das buddhistische Bhik usa ghaş ņ untersagte seinen Mitgliedern die produktive landwirtschaftliche Tätigkeit, “ ja sogar das Kochen ihrer eigenen Speisen” . Die Arbeit als solche genoss keine Wertschätzung, und das bedeutete die völlig materielle Abhängigkeit der Bhik uş von den Hausbewohnern (Tambiah 1984a, 218-9).

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Weltentsager als eine ganz besondere Art von der Elite

• tiefes Verständnis vom “Dialog” zwischen dem hauslosen Weltentsager und der dörflichen Welt des Hausvaters (vgl. Dumont 1976, 311-12)

• Der theravadisch-buddhistische Bhik uş will seinen Mitmenschen keine Botschaft verkünden und hat nicht die Absicht, direkt auf die soziale Ordnung einzuwirken. Dasselbe gilt auch für den indischen Weltentsager (Silber 1981, 170; vgl. Eisenstadt 1984, 351).

• Anders als in den monotheistischen Religionen hatte der Weltentsager als “eine ganz besondere Art von der Elite” die kreative Rolle der paradoxen oder dialektischen Positivität gespielt.

• In seinem Buch Wo rld Co nque ro r and Wo rld Reno unce r[1 ] hat Tambiah (1977) die paradoxe oder dialektische Verbundenheit von Weltentsager und Welteroberer herausgestellt.

• Deshalb ist die spezifisch buddhistische bzw. weltentsagende Tugend nicht nihilistisch-weltflüchtig misszuverstehen, sondern die kreative Rolle der paradoxen Positivität kulturtheoretisch zu erkennen und anzuerkennen

• [1] A Study o f Buddhism and Po lity in Thailand ag ainst a histo rical Backgro und (Cambridge Studies in Social Anthropology 15).

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Paradoxie der weltgestaltenden Weltentsagung

• Die mimetische Lektüre von der Paradoxie der weltgestaltenden Weltentsagung versucht, die Paradoxie und “Widerspruch” in den “sehr spezifischen zivilisatorischen Entwicklungen” auf außerweltlichen bzw. weltentsagenden Prämissen und Orientierungen kulturtheoretisch zu erklären.

• Die mimetische Lektüre der Weltentsagung interessiert sich primär für die genetische Erklärung der Mechanismen der Weltordnung dank der Weltentsagung sowie für die Weltzivilisation “paradoxerweise auf der Grundlage außerweltlicher Orientierungen” .

• Dieser paradoxe, ja sogar widersprüchliche Aspekt der Weltordnung aufgrund der Weltentsagung kann aus der Sicht der paradoxen Mechanismen der Kulturbegründung in der Theorie Girards analysiert werden.

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Der nirvana-suchende Weltentsager

• Girard vertritt nicht die “Entsagung des mimetischen Begehrens selbst” . Er hat im Buddhismus die Gefahr der “ totalen nirvanischen Entsagung” (reno ncement nirvane sque to tal) gesehen.

• Die totale nirvanische Entsagung im Buddhismus ist aber weniger nihilistisch misszuverstehen, als vielmehr sozialanthropologisch im Sinne der nirvanischen Weltentsagung des “nirvāňa-suchenden Entsagers” (Collins 1982, 265) zu verstehen.

• Denn das urbuddhistische Nirv aāň bezeichnet den “Zustand der höchsten Selbstverwirklichung des Tathāgata” (Dumoulin 1978, 57), d.h. den (weltentsagenden) Endzustand des Buddha.

• Nirv aāň ist nicht nihilistisch misszuverstehen, sondern sozialanthropologisch als die transzendentale Beschreibung des Endzustands des Weltentsagers zu verstehen.

• Die Gewaltlosigkeit (Ahi sņ ā) als das ursprünglich Sondergebot für den Weltentsager lässt sich im Kontext der Interiorisierung der Opfergewalt begreifen. Ahi sņ ā verkündet den Versuch, die sakrifizielle Gewalt zu interiorisieren und sich selbst zum Ort des Opfers zu machen

• Ursprünglich war die Meditation die spezifische Sache des Weltentsagers: “Die buddhistische Meditation, die von und für Entsager entwickelt wurde” (Gombrich 1997, 210).

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Die paradoxe Dialektik von Weltordnung und Weltentsagung

• Mit der Feststellung des “komplementären Charakters” zwischen Kastengesellschaft (Weltordnung) und Weltentsagung hat Dumont weiter gefragt: “Man kann sich sogar fragen, ob das Kastensystem unabhängig vom im Gegensatz zu ihm stehenden Weltverzicht hätte existieren und dauern können” (Dumont 1976, 226).

• Interessant und wichtig ist die folgende Feststellung Dumonts: Hierarchie gipfelte in ihrem Gegenpol, dem Weltentsager (“Hierarchy culminated in its contrary, the renouncer!” ).

• Dies kann als ein wertvoller Hinweis auf das Verständnis der strukturierend-differenzierenden Rolle der Weltentsagung (und des Weltentsagers) für die Weltordnung angesehen werden. Paradoxerweise spielt die “Anti-Struktur der Weltentsagung” die Rolle der differenzierenden Strukturierung und Gründung.

• Dieser paradoxe Mechanismus kann im Sinne des Gründungsmechanismus Girards (1983, 166) erklärt werden. In der menschlichen Kultur kommt die Ordnung aus äußerster Unordnung (ebd., 40).

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1.2.3. Weltentsagung als Anti-Struktur und Reservoir der Kreativität

• In den Vorstellungen wie Weltentsagung als “Sicherheitsventil” für die brahmanische Ordnung (Dumont 1976, 320), “das enthaltene Chaos” (Hardy 1994, 553; 526-553) und “Anti-Struktur der Weltentsagung” kann man Filter und Umleitungen der mimetischen Konflikhaftigkeit für die Weltordnung finden.

• Durch die Weltentsagung kann ein Mensch “ in den Augen der Gesellschaft tot sein, dem engmaschigen Netz der Interdependenz entgehen,” und zwar in einem solchen Maß, dass “er vom Leben der Gesellschaft schlechthin abgeschnitten wird” (Dumont 1976, 225).

• Dumont hat die Frage gestellt, ob diese Komplementarität zwischen Kasten und Weltentsagungslehre nicht bis zu einem gewissen Grad die Komplementarität von Rein und Unrein ersetzt (ebd., 231). Dieser Frage ist weiter nachzugehen. Nach Shulman (1984, 139) gibt es zwischen dem Weltentsager und dem “Outcast” “ in mancher Hinsicht eine frappierende Ähnlichkeit” .

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Repräsentant festlicher Umkehrung der Werte

• Nach Dumont (1976, 320) ist der Weltentsager “Repräsentant dieser Umkehrung der Werte” und “Sicherheitsventil” für die brahmanische Ordnung:

• “Er, mit seiner Verleugnung der Welt, seiner Askese, ist der Repräsentant dieser Umkehrung der Werte, die wir uns eigentlich vom Fest erwarteten: Wenn man so will, hat die brahmanische Ordnung darin ihr Sicherheitsventil gefunden, sie berücksichtigt das Transzendente und schützt sich auf diese Weise vor dessen Angriffen. Mit Hilfe dieses Kompromisses herrscht der Brahmane seelenruhig über die Welt, wie eine Art ein wenig monotoner Immanenz” .

• Das Fest selbst wird ersetzt durch die spezialisierende Arbeitsteilung. Das sakrifizielle Fest wird spezialisiert im Weltentsager als Repräsentant der Umkehrung der Werte.

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Weltentsagung als Reservoir der Kreativität

• Dumont hat die Weltentsagung nicht nur als “Sicherheitsventil” (1980, 279), sondern auch als “Reservoir der Kreativität” verstanden.

• Er hat den Weltentsager als eine “Triebkraft in der Entwicklung der indischen Religion und Theorie” aufgefasst.

• Nach ihm entwickelte sich der Hinduismus, die Religion der Kaste und des Weltverzichts, indem er die Früchte aus dem Gedankengut und der Mystik des Weltentsagers integrierte (in das Brahmanentum) oder tolerierte (in den Sekten) (ebd., 326-7).

• Nicht nur die Gründung und Erhaltung der Sekten, sondern auch die großen Ideen, die ‘Erfindungen’ , gehen auf das “Konto des Verzichtenden” , der in gewisser Hinsicht das Monopol darauf besaß, alles radikal in Frage zu stellen (ebd., 317).

• Nach ihm (1991, 35) war der Weltentsager verantwortlich für alle religiösen Erneuerungen.

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1.2.4. Dharma des Weltentsagers • Das Dharma der Weltentsagung besteht in der Negation des

Dharma der Gesellschaft. Die Weltentsagung ist nicht definiert durch sein eigenes Dharma, sondern durch die Negation des Dharma des Lebens in der Welt.

• Das Dharma des Weltentsagers besteht aus Verboten (niv tti straŗ śā ) anstatt Geboten. Weltentsager ist eine “Ausnahme”.

• Das negativistische Dharma des Weltentsagers scheint mit dem “zivilen Tod des Weltentsagers” zu tun zu haben.

• Der Eintritt in den (weltentsagenden) Bodhisattva-Pfad ist durch den Verzicht auf Haus und Familie “negativ gekennzeichnet” (Dumoulin 1995, 186).

• Deshalb lässt sich die “negativistische Philosophie des Buddhismus” (Winternitz 1968c, 431) und “Vorliebe des Buddhismus für die Negation” (Dumoulin 1976, 131) vor diesem sozialanthropologischen Hintergrund des negativistischen Dharma der Weltentsagung erklären.

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1.3.3. Kreuz und Bettelschale • The Cro ss and the Be g g ing Bo wl: De co nstructing o f the

Co smo lo g y o f Vio le nce (Fredericks 1998).• Der Bettelgang ist grundlegend wichtig, und ein Tag

des Weltentsagers scheint sich um seinen Bettelgang zu drehen.

• Die Gabe an den Bhik uş wird gleichgesetzt mit dem Pi as ňđ (Reisbälle als Opfergabe an den Toten).

• Das Opferfeuer brennt im Inneren des Weltentsagers (Brekke 1998, 304).

• So wurde die Nahrungsaufnahme des Asketen zu den obligatorischen morgendlichen und abendlichen Feuerritualen erklärt (Michaels 1998, 355; Olivelle 1992, 134).

• Der Spezialist des Sakralen spielte die Rolle einer Art Opfergefäß (p traā ) und Opferfeuer.

• Durch den Bettelgang wird der buddhistische Weltentsager “ein Dissolver” der kulturellen Kategorien und “ein Brecher der Konventionen”

• Durch den Almosengang verletzt der Weltentsager das Gesetz der Reinheit: “A renouncer eats food begged from all castes, thus violating the laws of purity” (Olivelle 1992, 139

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1.4.1. Christus und Bodhisattva Die letzte symbolische Einheit des Opfers

• Im Buch The Christ and the Bo dhisattva veröffentlichen Aufsatz hat Thurman (1987, 84-5) über Bodhisattvas “exzeptionelle Erlaubnis, die grundlegenden Regeln der Moral in besonderen Fällen von altruistischer Motivation zu brechen,” geschrieben.

• Die (initiatorische) Transgression des Bodhisattvas lässt sich weniger moralistisch, als vielmehr im Sinne der “obligatorischen Transgression von Tabus” seitens des versöhnenden Opfers (Fleming 2004, 58-9) deuten.

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1.5.1. Interkulturelle Mimesis

1.5.2. Dekontextualisierung der Meditation 1.6. Mimesis, Fest, Umkehrung und Entdifferenzierung1.6.1. Umkehrung und Entdifferenzierung in Weltentsagung und Tantras

• Umkehrung und Entdifferenzierung sind zwei wichtige Begriffe für die Bezeichnung der mimetischen Krise in der Theorie Girards.

• Dieser tantrisch-yogische Prozess kann als ein Entdifferenzierungsprozess aufgefasst werden. Die yogische Auflösung in den Hö chste n Yo g a-Tantras lässt sich als eine Simulierung der mimetischen Krise im yogischen Körper deuten.

• Die yogische Zusammenpressung der Kanäle mit einer “gewaltsamen Methode” lässt sich als eine Art von gewalttätiger Entdifferenzierung im Sinne Girards erklären.

• Im Zuge der Interiorisierung des Opfers scheint das Ha tha-Yo gaţ als eine “gewaltsame Vereinigung” die gewalttätige Entdifferenzierung (l indiffé re nciatio n vio le nte ) vor dem opfersymbolischen Opfertod zu simulieren.

• Die transgressive Vereinigung zwischen hohen Kasten und niedrigen Prostituierten ist entdifferenzierend und “gewalttätig”

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Entdifferenzierung und Differenzsystem

• In dieser Arbeit wird die Entdifferenzierung und Wertumkehrung nicht im Rahmen der moralistischen Problematisierung, sondern in Bezug auf die Genese der Ordnung und die Differenzierung mittels der Mechanismen der mimetischen Versöhnung analysiert.

• Die entdifferenzierende Umkehrung ist politisch und differenziell, d.h. mit Rücksicht auf den strukturierenden Gründungsmechanismus zu lesen. Die tantrische Entdifferenzierung zielt auf die neue Differenzierung.

• Mit Davild Gordon White und Charles Orzech hat Urban in seinem Buch Tantra . Se x, Se cre cy, Po litics, and Po we r in the Study o f Re lig io n (2003a) die “wichtige politische Rolle des Tantras als eine fundamentale Ideologie” für das Königtum und für die königlichen Hierarchien in Tibet, Nepal, China und India herausgestellt.

• “Die politische Rolle des Tantra in der Staatsgründung und der königlichen Macht” (ebd., 275) lässt sich im Licht des differenzierenden Gründungsmechanismus interpretieren (vgl. 6.1. Das sakrale Königtum als Ursprung politischer Macht, Palaver 2003).

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2.1.1. Die mimetische Krise und der meditativ-yogische Prozess

• In seinem Aufsatz Die Inte rio risie rung de s Opfe rs und de r Aufstie g de s Se lbst (atman) hat Heesterman (1997a) den Prozess der Interiorisierung festgestellt. Der yogische Körper wird mit dem “Opferplatz (de vayajanam)” identifiziert

• Die mimetische Krise bzw. Furor im yogischen Meditationsritual kann vor dem Hintergrund der “Interiorisierung des Feuers” im Weltentsager als ein “Opferplatz (de vayajanam)” (Krick 1977, 107-8) erklärt werden.

• Tapasvin (“ ‘hitzeerfüllte’ Asketen” , Meisig 2003, 72) interiorisiert das Opferfeuer und wird Opfer.

• Der Weltentsager ist Feuer: “Da der Asket selbst das Feuer ist – tapas ist der gängige Ausdruck sowohl für Hitze und Feuer als auch für Askese- , ist Nahrung die Opfergabe, die durch seine innere Hitze verbrannt wird”

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2.1.4. Zwillingschaft (sahaja) und die gewalttätige Entdifferenzierung

• Der endgültige Zweck des Yoga wird wie der buddhistische Sahaja-Samadhi beschrieben (Gonda 1963, 221).

• Yab-Yum im tibetischen tantrischen Buddhismus – die männlich-weibliche Vereinigung im Sinne der “Zwillingseinheit” der Polaritäten (Keilhauer 1987, 131) ist ein Beispiel. Y malaā (“Zwillinge” oder “Paare”) bezeichnet die sexuelle Beziehung zwischen ivaŚ and aktiŚ

• Der Prozess des sam dhiā wird als die “Umkehrung” (re ve rsio n) beschrieben. Die “graduelle Eliminierung der Differenzierung” durch die Yogins ist als eine Art technische Reinszenierung der (krisenhaften) Entdifferenzierung anzunehmen

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Paradoxale Einheit alles Religiösen • 2.1.5. Verbale Wettkämpfe und die mimetische Krise• 2.1.6. Die mimetische Krise und die Opferdimension der

Initiation • 2.1.7. Kōan als ein Gift gegen Gift: Eine mimetische

Interpretation• 2.1.8. Eine mimetische Lektüre von Wild Fuchs Kōan • 2.2.6. Das versöhnende Opfer als transzendentaler

Signifikant • 2.2.7. Paradoxie der Einheit von

Weltentsager/Welteroberer• 3. Buddhismus zwischen Gewalt und Gewaltlosigkeit • 3.2. Transformationskraft des Opfers und Bodhisattva-

Ethik• 3.2.2. Transformationskraft des Opfers und der sozial

engagierte Buddhismus• 3.2.3. Friedenspotential des Buddhismus im Reich der

Eifersucht• Zusammenfassung: Paradoxale Einheit alles Religiösen