PD Dr. med. H. Burkhardt: Medikamente und ihre Wirkung im ... · Polypharmazie bei Älteren • 64%...

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IV. Med. Klinik - Geriatrisches Zentrum PD Dr. med. H. Burkhardt: Medikamente und ihre Wirkung im Alter

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IV. Med. Klinik - Geriatrisches Zentrum

PD Dr. med. H. Burkhardt:

Medikamente und ihre Wirkung im Alter

Interessenkonflikte PD Dr. med. H. Burkhardt

• Ich beziehe keine finanzielle Zuwendungen aus der pharmazeutischen Industrie oder anderen vergleichbaren Geldgebern z.B. im Bereich Medizintechnik

• Ich arbeite als Mitarbeiter und Autor im Bewertungs-Konsortium FORTA (entwickelt an der Universitätsmedizin Mannheim)

Informationen zur Geriatrie

Wer ist der ältere Mensch?

• Definition bestimmter Altersklassen folgt gesellschaftlicher Konvention

• 65 Jahre und ältere Menschen werden als ältere Menschen (elderly) bezeichnet

• 80 Jahre und ältere Menschen werden als Subgruppe mit stark zunehmenden geriatrischen Problemen abgegrenzt

Aktuelle pragmatische Definition

Altern verläuft heterogen

Bedrohungen:

Gebrechlichkeit

Demenz

Isolation

…… Do you still like me when I´m old? Do you still respect me when I´m old?

Kategorien nach M. Gillick

• Der robuste ältere Mensch / Patient

• Der gebrechliche ältere Mensch / Patient (Frailty)

• Der Demenz-kranke ältere Mensch / Patient

• Der sterbende ältere Mensch / Patient

Klinische Entscheidungen

sind nicht nur durch

Organfunktion

determiniert.

Die richtige Lösung kann

nur in einem individuellen

Diskurs mit dem

Patienten und seinem

Umfeld gefunden werden

Wer ist der geriatrische Patient?

-Multimorbidität -Alltagskompetenz gefährdet oder

eingeschränkt

Intervention Veränderung

Begleitung

Adapt. Akutmedizin

Reha-bilitation

Palliativ- Medizin

Hilfsmittel Umwelt

Sozialarbeit Beratung

Die geriatrischen Syndrome

• Immobilität

• Inkontinenz

• Stürze

• Verwirrtheit bzw. kognitive Defizite -----------------------------------------------

• Malnutrition

• Depression

• Iatrogene Störungen (UAW – Pharmakotherapie)

• Störungen im Flüssigkeitshaushalt

• Visusprobleme - Hypakusis

Bewegung

Denken - Gedächtnis

Toilettengang

Muß die Medizin sich beim geriatrischen

Patienten anders ausrichten?

• Diagnostische Prozeduren und therapeutische

Strategien beinhalten Risiken

• invasive Prozeduren

(nicht-invasive Prozeduren)

• langfristig angelegte therapeutische Interventionen

(Medikamente)

• bei älteren Patienten oft besondere Situationen

Geriatrische Patienten sind weniger belastbar

und zeigen spezielle Risiken

Altersabhängige Prävalenz einiger wichtiger chronischen Erkrankungen

Muster der Multimorbidität chronischer Erkrankungen und Gesundheitsprobleme

Erkrankungen innerer Organe

Hochdruck

Herzschwäche Lungenerkr.

Diabetes Nierenschwäche

Tumore …..

Erkrankungen des

Bewegungsapparates (Knochen,

Gelenke, Muskulatur)

Arthrose (Knie,

Hüfte, Wirbelsäule) Osteoporose

……

Erkrankungen des

Nervensystems und der Psyche

Demenz

Depression Defektzustand nach

Schlaganfall M. Parkinson

……

+ +

Muster der Therapieziele im Verlauf einer chronischen Erkrankung

kurativ präventiv palliativ

Organfunktionen

Zeit

Therapeutische Arbeit

• Grenzen der Kategorien sind fließend

• Therapieziele müssen ständig neu justiert werden

• Geriatrische Konsil kann moderieren und unterstützen (Assessment)

Allgemeine Informationen zu Medikamenten im

Alter

Epidemiologie der Pharmakotherapie und

Polypharmazie bei Älteren

• 64% aller Medikamente werden den über 60jährigen

verschrieben

(Daten der gesetzlichen Krankenkassen)

• Individuelle verordnungsrate steigt üblicherweise

kontinuierlich bis in die 80er Dekade an

• 20 % der über 70 Jahre Alten erhalten 5 und mehr

Medikamente

(Daten aus der BASE)

Medikamente müssen aus geriatrischer Sicht bewertet werden: FORTA PRISCUS

Die am häufigsten verordneten Medikamente

aus: Arzneiverordnungsreport 2008

Warum erhalten ältere Menschen auch viele

Medikamente

• Mit dem Alter nehmen chronische Erkrankungen zu

• häufig bestehen mehrere chronische Erkrankungen

gleichzeitig (Multimorbidität)

• Herz- Kreislauferkrankungen

• chronischer Schmerz

• Diabetes

• psychiatrische Erkrankungen (Depression)

• Schlafstörungen

Die Probleme der Polypharmazie

• Unübersehbare Wechselwirkungen

• häufige Nebenwirkungen (UAW)

• Nutzen und Risiken addieren sich nicht immer

gleichmäßig auf

• häufige Fehler im Umgang mit Medikamenten

• je mehr Medikamente, um so mehr Probleme

• aber auch: zu wenig Medikamente - Nutzen verpasst,

bzw. Symptom nicht kontrolliert

Problematische Polypharmazie

• Schmerztherapie

• Psychiatrische Polypharmazie

• M. Parkinson

• HIV

• Herzinsuffizienz

• Hypertonus

• Koronare Herzerkrankung

Probleme

Problem-Medikamente für Ältere: -ZNS-Medikamente -Diuretika

-Schmerzmittel -Digitalis -Antikoagulantien

Therapietreue und Anzahl der Medikamente

Gründe für eine entbehrliche

Polypharmazie • Keine korrekte Indikation

(z.B. Neuroleptika bei Demenzkranken)

• Verordnungskaskade

(z.B. Übelkeit nicht als UAW erkannt)

• Nicht-pharmakologische Alternativen nicht genutzt

(z.B. Hypnotika)

• Therapiekomplexität nicht hinterfragt

(z.B. mehrere Antidepressiva)

• Step-down nicht initiiert

(z.B. Antidepressiva, PPI)

• Therapeutischer Horizont nicht beachtet

(z.B. CSE-Hemmer in Terminalphase)

• Patientenpräferenz nicht beachtet

…..

Indikation

Ger. Kategorien

Risiko/Nutzen

Multimorbidität

Verordnungskaskade

So kommt es häufig zu unnötiger

Medikation !

Ein Beispiel

• 84jährige Patientin, im Altenheim mit Verwirrtheit aufgefallen

• Pat. lebt aufgrund Einschränkung der Mobilität bei Spondylarthrose im

Altenheim

• Pflegebericht: Patientin nach Eintreffen auf Station wechselnd orientiert, kommt

mit dem Toilettengang und der i.v. Therapie nicht zurecht

Pat. erhielt Sormodren (Bornaprin) seit längerer Zeit,

jetzt Dosiserhöhung wegen vermehrter Transpiration

Pat. erhält in der Dauermedikation Trevilor

(Venlaflaxin),

Indikation dem Hausarzt nicht mehr erinnerlich

Nach Absetzen beider Medikamente ist Pat. klar,

ohne kognitive Defizite und ohne Schweißneigung

Umgang mit Medikamenten und funktionelle

Defizite

Einige grundsätzliche Informationen über die

Wirkungsweise von Medikamenten

Medikamente sind meistens nicht harmlos

• Hochwirksame Substanzen

• in vielen Fällen komplizierte Eingriffe in den

Stoffwechsel bzw. Körperfunktionen

• in vielen Fällen biologische Wirkung nicht in allen

Einzelheiten bekannt (z.B. bestimmte Schmerzmittel)

• unerwünschte Wirkungen oft schwer kalkulierbar

• „Verarbeitung“ des Medikaments im Körper häufig

sehr kompliziert

Auch „natürlich“ vorkommende Substanzen

können interagieren und entfalten Wirkungen!

Pharmakologie

Pharmakokinetik: →Wirkspiegel im Blut

Pharmakodynamik: →biologische Wirkung

Die Dosis macht die Wirkung (Paracelsus)

Welche Organsysteme sind hauptsächlich

beteiligt ?

• Resorption: Magen, Darm...

• Verteilung: Blutkreislauf, Blutbestandteile,

Körperzusammensetzung

• Elimination: Leber, Niere

das wichtigste Organsystem in diesem

Zusammenhang ist die Niere!

Ältere Menschen neigen zu einer verzögerten Elimination eines Medikamentes und daher erhöhten

Wirkspiegeln

Wie beurteilen wir die Wirkung eines

Medikamentes?

Blutspiegel

des Medikaments

Effekt am

Zielsystem

Effekt am

gesamten

Menschen

Spezielle Aspekte für ältere Patienten

Welche Probleme ergeben sich für ältere

Patienten

• Polypharmazie

• veränderte Bedingungen im Organismus

• veränderte Risiko-Nutzen-Bilanz

• zunehmend funktionelle Einschränkungen

(spezielle Risiken, Adherence-Probleme)

Veränderter Nutzen

• veränderte Relevanz

(besonders im Umfeld der Multimorbidität)

• verringerte Lebenserwartung

• häufig tritt präventive Wirkung zugunsten der

Symptomkontrolle zurück

Risiken bei älteren Patienten

• UAW-Risiko erhöht

• spezielle kritische Ereignisse spielen eine

zunehmende Rolle:

-Stürze

-Verwirrtheitszustände

UAW: Unerwünschte Arzneimittelwirkung

Für viele Medikamente ist der Nutzen-Nachweis

bei älteren Menschen unsicher

Studienteilnehmer:

kooperativ

monosymptomatisch

eher nicht multimorbide

wenige funktionelle Defizite

im engen Monitoring

Extrapolation von Studienergebnissen am

Beispiel metabolische Kontrolle bei

Diabetes-Patienten Strenge metabolische Kontrolle kann Eintreten

vaskulärer Komplikationen vermindern (DCCT

UKPDS)

Repräsentanz der Altersgruppe in den Studien?

Nein !

Differentielle Risiko-Nutzen-Relation

1.: Ältere Patienten neigen mehr zu Hypoglykämien

2.: Lebenserwartung evtl.unter dem

Erwartungshorizont 8-10 Jahre

ja

nein

Veränderungen der Physiologie

Pharmakokinetik

GFR

Leberdurchblutung

Wassergehalt

UAW

Natrium-Rückresorption

cerebrale Veränderungen

diastolische Dysfunktion

Adherence

Kognition

Visus

manuelles Handling

Pharmakodynamik

cerebrale Veränderungen

(Herz-Kreislaufsystem)

Bedside-Bestimmung der Nierenfunktion

Burkhardt et al. 2005

nach Levey et al. 1999

Kreatinin-blinder Bereich (inhärentes Problem der reziproken

Beziehung zwischen GFR und SRC)

Sarkopenie

Kritische Ereignisse beim älteren Menschen -

Sturz

• Jeder 3. über 65 Jahre stürzt mindestens einmal pro Jahr.

• 20-45% aller Patienten in Institutionen stürzen

mindestens einmal während des Aufenthaltes.

• Bei über 65jährigen sind Stürze das häufigste Unfallgeschehen.

• Die häufigste schwere Sturzfolge ist die Hüftfraktur

• Mortalität durch Stürze auf 100 000 / Jahr Einwohner gerechnet:

65 Jahre: <50

75 Jahre: 150

>85 Jahre: 525

Medikamente die Sturzereignisse auslösen

oder begünstigen können

• Antidepressiva

• Benzodiazepine

• Neuroleptika

• (Antihypertensiva)

Kritische Ereignisse beim älteren Menschen -

Verwirrtheitszustand

• 5-20% aller neu ins Krankenhaus aufgenommenen

Patienten über 65 Jahre zeigen einen Verwirrtheitszustand

• gilt als Merkmal eines ungünstigen Verlaufes

(z.B. nach Operationen)

• verlängerte Behandlungsdauer

• erhöhte Mortalität

• erhöhtes Risiko bleibender funktioneller Defizite

• Bewußtseinsstörung

• Aufmerksamkeitsstörung

• Desorientierung

• Gedächtnisstörung

• Wahrnehmungsstörungen

• Psychomotorik (Erregung aber auch Apathie)

• Veränderter Schlaf-

Wach-Rhythmus

• Zeitliche Dynamik (entwickelt sich in Stunden

bis Tage, wechselt in seiner Ausprägung im

Verlauf)

Medikamente, die einen Verwirrtheitszustand

auslösen können

• Antidepressiva

• bestimmte Neuroleptika

• Benzodiazepine

• Digitalis

• bestimmte Antibiotika

• Kortikosteroide

• Analgetika (Schmerzmittel)

• Theophyllin

• ....

Medikamente, die im

Gehirn wirken

Wie können die Probleme der Polypharmazie

beherrscht werden?

• Beurteilung der Medikamente

(Beers- Liste, Start-Stop,

PRISCUS, FORTA)

• Beurteilung der Patienten nach Risiko

(Vulnerabilität, Ressourcen)

• Regeln für Umgang mit Medikamenten

Aktuelle Entwicklungen

PRISCUS FORTA START-STOPP

PRISCUS

• BMBF-geförderte Verbundforschung

• Deutsche Negativliste zur Identifizierung der PIM´s

• Delphi-Prozess

• Abrufbar im Internet http:priscus.net

• 83 Arzneistoffe aus 18 Klassen bewertet

• Empfehlungen zum Monitoring

• Kontraindikationen abgeleitet

(überwiegend organspezifisch – nicht geriatrisch

fokussiert)

PRISCUS

Medikament

Likert-Skala Kontra-

indikationen

Begründung

Alternativen Maßnahmen

zur Risiko-

minimierung

START-STOPP

• Von University of Cork (Ireland) Geriatrie –

Pharmakologie initiiert

• START-Liste stammt von O´Mahony (32p) 2007

• STOPP-Liste (65p) – abgewandelte Beers-Liste 2008

• Delphi-Prozess

• START in prospektiver Kohorte untersucht (57%

verbessert)

• STOPP in prospektiver Kohorte effektiver als Beers

• Im Netz verfügbar www:cumbria.nhs.uk

• Keine deutsche Version

START-STOPP

START

Warfarin (Vorhofflimmern)

Aspirin (KHK)

L-DOPA (Parkinson)

Statine (KHK)

ACE-Hemmer (Herzinsuffizienz)

Calcium-Vitamin D (Osteoporose)

Heimsauerstoff (resp. Insuff.)

Ballaststoffe (sympt. Divertik.)

FORTA

• Von UMM initiiert 4 Autoren (Geriatrie –

Pharmakologie – Psychiatrie – Onkologie)

• 13 klassische Diagnosefelder plus 5 geriatrische

Syndrome besprochen (EBM-Daten Risiko-Nutzen-

Relation)

• Abstufung der Medikamente nach Risiko-Relation

• Delphi-Prozess abgeschlossen

• wird in prospektiver klinischer Kohorte untersucht

• Liegt in Buchform vor

• Internet: http://www.umm.uni-

heidelberg.de/ag/forta/FORTA_liste_deutsch.pdf

Bewertungskategorien der FORTA-

Klassifkation

Evidenz

Repräsentanz Risikopotential

Selbstmanag.

Extrapolation

Bewertung

FORTA

A

B

C

D

fit for the aged - FORTA A: unbedenklich B: Einschränkung C: ungünstige NR-Rel. D: grundsätzlich ungünstig Wehling 2008

FORTA

Bewertung in vier

Stufen A-D

Kombiniert

Listendarstellung mit

den Vorteilen der

Buchform

Kategorisierung von älteren

Patienten nach Belastbarkeit –

Risiko-Nutzen-Abwägung

go go no go slow go

Nutzen

Risiko

Komorbidität Organe

allgemeine Ressourcen

Patientenpräferenz

Lebenserwartung

Geriatrisches Basisassessment von AGAST (1993)

(Arbeitsgruppe Geriatrisches Assessment)

bis Inter-RAI

ADL Barthel Interview

Mini-Mental State Examination (MMSE) Performance

Geriatrische Depressions-Skala (GDS) Fragebogen / Interview

Soziale Situation (SoS) Fragebogen / Interview

Handkraft Performance

Geldzählen Performance

Timed „Up & Go“ Performance

Tinetti-Test (FICSIT) Performance

Uhrentest Performance

(mittlere Erhebungszeit: 75 Minuten)

Rehabilitative Intervention

Hilfsmittel-versorgung

Pflegebedarf Wohnumfeld

Placement

Risiko-Stratifizierung (OP – Interv.)

Selbst-

management

Prävention kritische

Ereignisse

Pharmako-therapie

Domänen ADL

Kognition Emotion Mobilität

soziales Umfeld ---

Ernährung Visus

Schmerz

Erweiterung Kognitive Tests Ganganalyse

Neuropsychol. Lebensqualität

--- Sarkopenie

PD Dr. med. H. Burkhardt 2011

Warum Assessment bei Pharmakotherapie?

Risiko-Abschätzung

Sturzrisiko -

Lokomotion

(FRIDS)

Delir –

kognitive Reserven

(CNS-Med.)

allg. Belastbarkeit

Frailty

(Chemotherapie)

Nutzen-

Abschätzung

geriatrisches Profil

mit Relevanz für

- Lebensqualität

- Lebenserwartung

- Patientenpräferenz

(Demenz,

Frailty,

Kategorien nach

Gillick)

Selbstmanagement-

Abschätzung

Kognition

Visus

manuelles Handling

(obligat bei z.B.

Insulin –

Dosieraerosolen -

Antikoagulation)

Kombiniertes

Screening Kognition,

manuelles handling und

Visus

Geldzähltest (TTMC)

Timed Test of Money Counting: Portemonnaie ca. 12x9cm ein Außenfach mit Druckknopf für Scheine 5 € im Außenfach 1x 2 € Münze 2x 1 € Münze 1x 50 ct Münze 3x 10 ct Münze Testgröße: Zeit in sec. bis zur Nennung des richtigen Ergebnisses. Ablauf: Proband die Fächer zeigen, Geldbörse schließen,

Prob. Übergeben, Zeit starten. Ende der Zeitmessung bei Nennung des korrekten Ergebnisses (9,80 Euro). Bei Nennung eines falschen Prob. Darauf aufmerksam machen, daß das Ergebnis nicht richtig ist, drei Versuche erlaubt, dann Abbruch, bei t>300sec. ebenfalls Abbruch

bis 45 sec: normal 45-70 sec. wahrscheinlich hilfsbedürtig >70 sec hilfsbedürftig

Nikolaus T, et al. Age and ageing. 1995;24(3):257-8

Adaptiert für Euro-Münzen

Wichtige allgemeine Regeln

• Start low, go slow

• jedes neue Medikament kritisch prüfen

(bringt es wirklich einen zusätzlichen Nutzen)

• jedes bestehende Medikament kritisch prüfen

(bringt es noch einen Nutzen)

• Selbstmedikation kommunizieren

• wozu nehme ich welches Medikament und wie heißt

der Wirkstoff

• komme ich mit den Tabletten zurecht

Was ist zu fordern?

• Geriatrie-Check bei Pat. mit anspruchsvollen pharmakotherapeutischen Konzepten (oder in regelmäßigen Abständen bei allen über 80 Jahren)

• Assessment in den Studien zur Darstellung der Funktionalität

• Adressieren der geriatrischen Risiken bei Entwicklung von Pharmaka (Darreichungsform, Selbstmanagement, spez. Risiken)

• Einbinden funktioneller Aspekte in Therapieleitlinien

- Selbstmanagement-Reserve -Lokomotorische Reserve - Kognitive Reserve - Ger. Kriterien zur Abschätzung des therapeutischen Horizontes (Gillick-Kriterien)

Auch „natürlich“ vorkommende Substanzen

können interagieren und entfalten Wirkungen!

Spezielle Therapiesituationen

Demenz

Demenz

• Der Begriff Demenz umfasst verschiedene ähnliche

Erkrankungen, die sich aber in ihrer Entstehung

teilweise stark unterscheiden

• 5-8% der über 65jährigen und bis zu 30% der 90-

jährigen leiden an einer Demenz

• Alzheimer-Demenz ist die häufigste Form (60%)

• mittlere Krankheitsdauer sehr variabel (6-11Jahre)

• nicht heilbar

Häufigkeit der Demenz in verschiedenen

Altersklassen

0

10

20

30

40

50

65-70 71-75 76-80 81-85 86-90

[%]

Das Problem der auffälligen Verhaltensweisen

• Herumlaufen und Weglaufen

• Aggression

• sexuelle Enthemmung

• Rufen

• Weinen

Psychopharmaka bei Demenz

• Können bei nicht weit fortgeschrittener Demenz

zumindest bis zu einem Jahr den Abbau der

kognitiven Fähigkeiten günstig beeinflussen,

beeinflussen aber nicht den kausalen Vorgang der

Degeneration

• wirken nicht bei allen Demenz-Formen gleich

• können nur Teil eines mehrdimensionalen

Behandlungskonzeptes sein

• beeinflussen vermutlich nicht das Gesamt-Überleben

• optimale Behandlungsdauer unklar

Ziel der Pharmakotherapie bei

Demenzerkrankungen

• Halten der Selbsthilfefähigkeit

• Halten der Lebensqualität

• ob diese Ziele erreichbar sind oder erreicht werden,

muß im Verlauf der Erkrankung immer wieder kritisch

geprüft werden

Verlauf der Demenzerkrankungen

0

10

20

30

40

50

60

70

80

90

100

30 35 40 45 50 55 60 65 70 75 80 85

Lebensalter [Jahre]

[%] Degenerationsprozess

funktionierendesHirngewebe

Leistungsfähigkeit

diagnostischeSchwelle(Demenztests)

diagnostischeSchwelle (VerlaufSpezialtests)

Welche Psychopharmaka werden eingesetzt?

• Acetylcholinesterase-Hemmer

(Donezepil, Rivastigmin, Galantamin)

wirken einer Verarmung des ACH entgegen

• einschleichender Behandlungsbeginn

• kritische Überprüfung nach 8 Wochen

• problematisch bei bradykarder Herzrhythmusstörung

und obstruktiver Lungenerkrankung

• Memantine bei fortgeschritteneren Formen möglich

(verstärken die glutaminergen Systeme)

Können auffällige Verhaltensweisen mit

Medikamenten beeinflusst werden?

• Medikamente ersetzen keine Zuwendung

• Medikamente helfen keiner angst-machenden oder

irritierenden Umgebung ab

• Medikamente können nur kurzfristig Krisen kupieren

• Depression: SSRI (Citalopram)

• Halluzinationen: Neuroleptika (Haldol, Risperidon)

• Unruhe: Neuroleptika (Risperidon, Melperon)

• Schlafstörung: Zolpidem, Mirtazapin

Medikamente, die bei Demenzkranken

problematisch sind

• Alle Psychopharmaka mit antcholinerger Wirkung

z.B. Neuroleptika, Antidepressiva, best. Parkinson-

Medikamente, best. Medikamente zur

Inkontinenzbehandlung

• Benzodiazepine bergen bei Demenzkranken ein

hohes Sturzrisiko

Bewertung der Antidementiva

• Acetylcholinesterasehemmer B

• Memantine B

• Gingko C

• „durchblutungsfördernde Mittel“ andere

Phytotherapeutika, Vitamine haben bisher keinen

rationalen Wirksamkeitsnachweis erbracht

Depression

Depression bei älteren Menschen

• Haupt-Risikofaktor für Suizid

• häufig körperliche Leitsymptome

• aber auch häufig hinweisend auf organische

Erkrankung

• häufig in Begleitung chronischer körperlicher

Erkrankungen

• häufig ungünstiger Faktor wenn andere Erkankungen

begleitend

• sehr wichtiger Faktor für die Lebensqualität

• bei Älteren gibt es häufig schwer behandelbare

unterschwellige Depressionen (Dysthymie)

Depression kann durch Medikamente ausgelöst

oder begünstigt werden

• Sedativa

• Opiate

• Betablocker

• Clonidin

• Parkinson-Mittel

• Steroide

• Interferon

Häufigkeit der Depression im Vergleich zu

anderen psychiatrischen Problemen bei Älteren

Behandlung der Depression

• Medikamente spielen eine wichtige Rolle

• soziale und psychologische Maßnahmen sind aber

auch wichtige Bestandteile einer erfolgreichen

Therapie

Besonderheiten in der Behandlung der

Depression beim älteren Patienten

• Verträglichkeit der Medikamente steht mehr im

Vordergrund (kardiale Begleiterkrankungen)

• Problem Polypharmazie (Antidepressiva sind

interaktionsfreudige Medikamente)

• verminderte Ressourcen, auch psychische

Ressourcen erschweren den medikamentösen

Behandlungserfolg

Welche Medikamente werden benutzt?

• Klassische sog. Trizyklische Antidepressiva

Amitriptylin, Imipramin...

(viele unerwünschte Wirkungen, beim älteren

Patienten sehr ungünstige Medikamente)

• MAO-Hemmer

(Interaktionen mit anderen Medikamenten, bei älteren

Patienten problematisch)

• SSRI (moderne Antidepressiva)

Citalopram, Sertralin, Paroxetin

(werden heute für ältere Patienten favorisiert)

Problem-Medikamente trizyklische

Antidepressiva (Imipramin, Amitriptylin)

• In Beers´ Liste und in PRISCUS einstimmig als ungeeignet klassifiziert (starker anticholinerge, antihistaminerge und a1-antiadrenerge Wirkung,

Chinidin-ähnliche proarrhythmische Wirkung,

starke Plasma-Eiweißbindung, rel. geringe therap. Breite)

• Niedrige Dosierung unter 25mg nicht evaluiert (Studien-Kohorten mit Start-Dosis 25mg bis 50mg, Mindest-Dosis

Depressionsbehandlung 75mg/die)

Kautie et al. 2008

kleine RCT mit niedriger init.

Dosis (10mg)

Chemoth. Ind. Neuropathie

Effekt n.s.

Adaptiert nach

Baron et al. 2010

Anticholinerge Last

typischer Standard-

Medikamente

In vitro Assessment der zu

erwartenden anticholinergen Aktivität

Chew et al. 2008 JAGS

Häufige Fehler in der Therapie der Depression

• zu früher Wechsel der Substanz

(Wirkung tritt erst nach 2 Wochen ein)

• zu niedrige Dosierung

• Einsatz von Benzodiazepinen

• Vernachlässigung nicht-medikamentöser Verfahren

• Verkennen einer Demenzerkrankung

Verwirrtheit

Verwirrtheitszustände

• Psychopharmaka können helfen bei starker Erregung

oder Halluzinationen

(Neuroleptika wie Haldol, Risperidon)

• Psychopharmaka spielen bei der Reorientierung aber

eine untergeordnete Rolle

• in der Prophylaxe haben Psychopharmaka keinen

Platz

• viele Psychopharmaka können einen

Verwirrtheitszustand auslösen

Langzeittherapie mit Neuroleptika

• Kann nicht behandelbare Bewegungsstörungen

verursachen

• ist mit einer erhöhten Sterblichkeit an

kardiovaskulären Ereignissen verbunden

Schlafstörungen

Schlafstörungen

• Bei älteren Menschen mit die häufigsten

Beschwerden überhaupt (bis 60%)

• meistens nicht angemessen behandelt

• Schlaf-Architektur bei älteren Menschen verändert

(früheres zu-Bett Gehen, niedrigere Arousal-

Schwelle)

• viele Schlafstörungen sind Ausdruck einer

zugrundeliegenden chronischen Erkrankung

(z.B. Herzinsuffizienz, chron. Schmerz)

Häufige Fehler in der Behandlung von

Schlafstörungen

• langfristige Verschreibung eines Schlafmittels

• Unterlassen einer sorgfältigen Ursachenerforschung

(Schlafprotokoll, Suche nach organischer

Grunderkrankung oder Depression...)

• Verzicht auf exakte Diagnose

• nicht-pharmakologische Maßnahmen nicht

ausgeschöpft

Behandlungsregel No. 1

• Nicht-pharmakologische Maßnahmen haben Vorrang

-tagsüber nicht schlafen

-abends kein Alkohol, Nikotin, Kaffee,

schweres Essen

-tagsüber ausreichende körperliche

Aktivität

Welche Medikamente können kurzfristig

gegeben werden?

• Z-drugs (Zolpidem, Zaleplon)

• Benzodiazepine (Oxazepam)

• oft werden auch Antidepressiva (trizyklische)

gegeben (nicht zugelassen, keine ausreichende

Evidenz, viele UAW)

• Neuroleptika (Pipamperon) werden oft eingesetzt

(Wirksamkeit nicht ausreichend bewiesen, viele

UAW)

Probleme der Benzodiazepine

• Suchtgefahr

• Sturzrisiko erhöht

• auch die Z-drugs haben ein Gewöhnungspotential

(nicht länger als 10 Tage anwenden)

• dennoch:

derzeitige Empfehlung: 1. Wahl - Z-dugs

2. Wahl - Pipamperon

Zwei Bereiche, in denen eine Polypharmazie oft

nicht vermeidbar ist

Bluthochdruck

Medikamente bei Bluthochdruck

• Bedeutung: bis zu 60% der älteren Menschen betroffen,

wichtigstes Schlaganfall- und Herzschwäche-Risiko

• Problematik: kaum Symptome,

Therapietreue unter 50%,

zur Blutdruckkontrolle meist mehrere Med. nötig

RAAS-Hemmer Betablocker Ca-Antagonisten Diuretika Vasodilatatoren

Gute Verträglichkeit Gute Kombinierbarkeit z.T. Kombinationspräparate Geringes UAW-Risiko

Chronischer Schmerz

Chronischer Schmerz bei Älteren

Epidemiologie

• Prävalenz 25-50% im ambulanten Bereich

45-80% bei Bewohnern von Altenpflegeeinrichtungen

• Lifetime-Prävalenz der Osteoarthritis mit 85 Jahren 65%

• Neuropathischer Schmerz bei bis zu 10%

• Übergang in postzoster. Schmerz steigt auf ca. 28% der Älteren

mit Herpes Zoster

Newcaste 85+ Study Duncan R et al. 2011

Arthrose / Arthritis

Total-Pain Konzept

nach Dame C. Saunders

Physisches

Leiden

Kulturelles

Leiden

Spirituelles

Leiden

Psychosoziales

Leiden

Total

pain

WHO-Stufenschema im geriatrischen Kontext

Non-pharmakologische non-invasive Methoden der Schmerzkontrolle

• Bestätigung und Fördern der Selbstbewahrungskräfte • Physikalische Therapie (Wärme / Kälte / Elektrizität /

Ultraschall / manuelle Therapie..) • Physiotherapie - Aktivität fördern

(Kraft, Bewegungsumfang – muster) • Ergotherapie – Alltagskompetenz erhalten • Sens. Therapie (Musiktherapie – Aromatherapie) • Entspannungstechniken (progr. Muskelrelax., autog.

Training) • Suggestive Techniken (Hypnose, Biofeedback) • Verhaltenstherapie (cognitive Therapie, operante

Therapie) • Mind-Body practices (Yoga, Chi-Gong…) • Spiritualität

NSAID´s

• UAW-Inzidenzrate bis 30% • Ältere Patienten haben eine deutlich erhöhte erwartete

Vulnerabilität (Blutungsrisiko, Hypertonie, Nierenfunktion, kardiovask. Erkrankungen, Volumendepletion)

• UAW-Profil: 1.: gastrointestinale Probleme incl. Blutungen 2.: Verlust Hypertonus-Kontrolle 3.: Verschl. Nierenfunktion bis zum komplettem ANV 4.: delirogenes Potential 5.: erhöhtes Risiko kardiovask. Und cerebrovask. Ereignisse

• COX2-Hemmer zeigen kein generell günstigeres Profil (nested case-control-Studie UK 9000 Fälle, 90000 Kontrollen) Hippisley-Cox et al. 2005

Spezielle Aspekte der Opiate Wirkstoff Übelkeit Obstipation Sedierung Delir Kommentar

Tramadol

>10% >10% >10% 1-10% Stark sedierender Effekt, senkt die

Krampfschwelle, keine Kombination

mit SSRI (serotonerges Syndrom!)

Tapentadol 10% 10% 10% 1-10-% Noch keine ausreichende Daten aus

der Pharmakovigilanz, keine

Kombination mit SSRI (s.o.)

Tilidin/Naloxon

>10% - 1-10% - Selten sedierender Effekt, kurze

Wirkdauer, Gewöhnungspotential

Buprenorphin

1-10% <1% >10% <1% Stärker sedierender Effekt, geringer

delirogener Effekt, transdermale

Applikation verfügbar

Morphin

9% 40% 48% >10% Verzögerte Elimination bei Älteren,

Hypotension häufiger

Hydromorphon

1-10% 1-10% 1-10% 5-7% Geeignet zur Akutbehandlung bei

Schmerzdurchbrüchen, auch bei

eingeschränkter Nierenfunktion

Fentanyl

(transdermales

System)

>10% 1-10% >10% 1-10% Keine enterale Applikation,

Hypotension etwas häufiger

Oxycodon

>10% 1-10% >10% - Nur in retardierter Form anwendbar

Fazit Schmerzmedikamente

• Derzeit kein optimales Medikament verfügbar • Kurze Wirkdauer • Sehr hohe UAW-Raten bis 30% • Hohes Interaktionspotential • Komplexe Therapieformen

Wer berät?

• derjenige der verordnet: Hausarzt, Facharzt

(Verordner müssen miteinander kommunizieren)

• derjenige der Medikamente abgibt: Apotheke

• Geriatrisches Konsil

• auch wir können Sie beraten:

Ambulanz des Zentrums für

Gerontopharmakologie

am Klinikum Mannheim

Tel.: 0621-3835981

Geriatrisches Konsil am GZ Mannheim

Beurteilung und Beratung individueller Patienten

Beratung und Förderung von Strukturen und

Institutionen

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Sie nach!