Personendarstellungen: Biblische Gestalten und...

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1 Personendarstellungen: Biblische Gestalten und Heilige Ravenna ist berühmt für seine mehrfigurigen Mosaikkompositionen, die die Innenwände der spätan- tiken Kirchenbauten schmücken. Auf diesen Mosaiken werden biblische Figuren mit Darstellungen von Lokalheiligen und historischen Personen kombiniert. Abb. 1: Abel und Melchisedech beim Opfer Abb. 2: Opferung Isaaks San Vitale, Südlünette San Vitale, Nordlünette An den Seitenwänden des Presbyteriums von San Vitale wird die Vorzeit der Heilsgeschichte dargestellt: Von links hebt Abel sein Lamm, von rechts bringt Melchisedech Brot und Wein dar (Abb. 1); in der Lünette der gegenüberliegenden Wand ist Abraham dargestellt, der im Begriff ist, seinen Sohn Isaak zu opfern (Abb. 2). 1 Das übergreifende Thema ist der Opfertod Christi, ein Ereignis, das die Erzväter präfigurierten und die Propheten voraussagten. Über den Opferszenen halten die Propheten Jeremia und Jesaja die Schriftrollen, in denen das bevorstehende Heil schon prophezeit ist, weswegen auch sie nach dem Vorbild christlicher Märtyrer Siegeskränze erhalten haben. 2 Doch während die Gestalten des Alten Testaments nur aus dem szenischen Zusammenhang und durch die Beischriften zu benennen sind und andere Figuren in Ravenna allgemein bekannte Typen der heidnischen Kunst wiedergeben, 3 ist für die Figuren des Neuen Testaments eine bereits fort- geschrittene eigenständige Ikonographie erkennbar. 1 Vgl. Artikel „Ravenna Teil III “, S. 3. 2 Abramowski 2001, S. 299-302; Pippal 2005, S. 109. 3 Von der paganen Ikonographie abgeleitet ist die Darstellung der drei Magier in Sant’Apollinare Nuovo (Hosen und Mützen sind den griechisch-römischen Barbarenbildnissen entnommen) oder die Personifikation des Jordan in den Taufszenen der zwei spätantiken Baptisterien, der mit seinen Attributen (Schilfrohr, Krebszangen bzw. Hörner und Wasserkrug) sowie in seiner Körperhaltung in der Tradition paganer Flussgötter steht.

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Personendarstellungen: Biblische Gestalten und Heilige

Ravenna ist berühmt für seine mehrfigurigen Mosaikkompositionen, die die Innenwände der spätan-

tiken Kirchenbauten schmücken. Auf diesen Mosaiken werden biblische Figuren mit Darstellungen

von Lokalheiligen und historischen Personen kombiniert.

Abb. 1: Abel und Melchisedech beim Opfer Abb. 2: Opferung Isaaks San Vitale, Südlünette San Vitale, Nordlünette

An den Seitenwänden des Presbyteriums von San Vitale wird die Vorzeit der Heilsgeschichte

dargestellt: Von links hebt Abel sein Lamm, von rechts bringt Melchisedech Brot und Wein dar

(Abb. 1); in der Lünette der gegenüberliegenden Wand ist Abraham dargestellt, der im Begriff ist,

seinen Sohn Isaak zu opfern (Abb. 2).1

Das übergreifende Thema ist der Opfertod Christi, ein Ereignis, das die Erzväter präfigurierten und

die Propheten voraussagten. Über den Opferszenen halten die Propheten Jeremia und Jesaja die

Schriftrollen, in denen das bevorstehende Heil schon prophezeit ist, weswegen auch sie nach dem

Vorbild christlicher Märtyrer Siegeskränze erhalten haben.2

Doch während die Gestalten des Alten Testaments nur aus dem szenischen Zusammenhang und

durch die Beischriften zu benennen sind und andere Figuren in Ravenna allgemein bekannte Typen

der heidnischen Kunst wiedergeben,3 ist für die Figuren des Neuen Testaments eine bereits fort-

geschrittene eigenständige Ikonographie erkennbar.

1 Vgl. Artikel „Ravenna Teil III“, S. 3. 2 Abramowski 2001, S. 299-302; Pippal 2005, S. 109. 3 Von der paganen Ikonographie abgeleitet ist die Darstellung der drei Magier in Sant’Apollinare Nuovo (Hosen und Mützen sind den griechisch-römischen Barbarenbildnissen entnommen) oder die Personifikation des Jordan in den Taufszenen der zwei spätantiken Baptisterien, der mit seinen Attributen (Schilfrohr, Krebszangen bzw. Hörner und Wasserkrug) sowie in seiner Körperhaltung in der Tradition paganer Flussgötter steht.

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Christusdarstellungen in Ravenna

Anders als in der paganen Kunst, die stark zur Personifizierung und Anthropomorphisierung neigt,

verwendeten die frühen Christen nach Vorbild der Juden Zeichen und Symbole, um die Präsenz des

unsichtbaren Herrn anzudeuten.4 Daneben finden sich aber seit dem 3. Jhdt. auch Personendar-

stellungen des Heilands, die vom heidnischen Schönheitsideal beeinflusst sind und ihn als bartlosen

Jüngling zeigen. Diese idealisierte Schönheit steht im Widerspruch zu den Bildnissen der Apostel,

die meistens alle – bis auf den jungen Johannes – einen Bart tragen, was der Mode in Judäa zu jener

Zeit entspricht. Auch Jesus dürfte zu Lebzeiten einen Bart getragen haben.5

Die früheste Darstellung des bartlosen Christus in Ravenna finden wir im Mausoleum der Galla

Placidia (Abb. 3).6 Der Herr erscheint hier als der Gute Hirte in einer pastoralen Szene, die die

Lünette über dem Eingang ausfüllt. Ausgestattet ist er mit

Nimbus, Goldgewand, einem purpurnen Pallium und einem

Kreuzstab, der den Hirtenstab ersetzt hat und in der Frühzeit

des Christentums nicht als Passionswerkzeug, sondern als

Siegeszeichen gilt.7 Das Sujet bezieht sich auf die Worte Jesu

in Joh. 10,11: „Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein

Leben hin für die Schafe.“ Der Typus war noch vor der Legali-

sierung des Christentums 313 in der Katakombenmalerei und

in der Sarkophagproduktion verbreitet, zumal er ein Motiv der

heidnischen Sepulkralkunst wiedergibt.8

Die goldene Tunika mit weit geschnittenen Ärmeln ist hier

zusätzlich durch zwei farbige Streifen (lat. clavi) geadelt. Das

römische Pallium bzw. das griechische Himation galt in der

Antike als Philosophenmantel.

Christus militans

In der Erzbischöflichen Kapelle im Museo Arcivescovile findet sich eine Darstellung des bartlosen

Christus in Militärtracht (Abb. 4).9 Er ist in ein purpurnes Paludamentum gehüllt, das ursprünglich

zur Tracht römischer Feldherren gehörte. Unter diesem trägt er eine kurze purpurne Tunika, einen

4 Die anikonischen Darstellungen Christi sind mit dem Bilderverbot im Alten Testament (Ex. 20,4; Dtn. 4,16; Dtn. 5,8; Dtn. 27,15) erklärbar: Büttner – Gottdang 2006, S. 27 f.; Pippal 2005, S. 22. Da aber im Christentum die Vorstellung von der Menschwerdung Gottes existierte, hat sich das alttestamentarische Bilderverbot letztendlich nicht durchgesetzt. 5 Baudry 2010, S. 124-126. 6 Vgl. Artikel „Ravenna Teil III“, S. 1. 7 Zum Kreuz: Baudry 2010, S. 32-36. 8 Baudry 2010, S. 37-39; Büttner – Gottdang 2006, S. 27 f. 9 Vgl. Artikel „Ravenna Teil II“, S. 7.

Abb. 3: Mausoleum der Galla Placidia Lünette über dem Eingang

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goldenen Brustpanzer, einen Soldatengürtel (lat. cingulum militare) und die Kothurne, wadenhohe

Jagdstiefel, in denen auch die Kaiser häufig aufgetreten sind. Die Göttlichkeit Christi wird allein

durch den Kreuznimbus veranschaulicht, der ausschließlich zu Christus gehört, sowie durch einen

Kreuzstab, den er wie eine Trophäe geschultert trägt.10 Das Motiv ist von paganen Darstellungen

des siegreichen Mars bekannt, der mit geschultertem Tropaion auf Münzen römischer Kaiser

erscheint. In der pietätvoll verhüllten linken Hand hält

Christus ein aufgeschlagenes Buch zum Betrachter

hin, in dem Joh. 14,6 zitiert ist: „Ich bin der Weg und

die Wahrheit und das Leben.“

Christus steht hier – dargestellt vor einem Hintergrund

aus goldenen Tesserae – auf den Köpfen von einem

Löwen und einem Drachen. Die Komposition basiert

auf Psalm 91: „Denn der Herr ist deine Zuflucht, du

hast dir den Höchsten als Schutz erwählt […] Du

schreitest über Löwen und Nattern, trittst auf Löwen

und Drachen.“ Abb. 4: Erzbischöfliche Kapelle, Narthex

Christus als Weltenherrscher

Einen ganz anderen Eindruck macht Christus auf dem Apsismosaik von San Vitale, wo er auf einer

Weltenkugel mit einer Schriftrolle, dem Evangelium, in der Hand thront (Abb. 5). Es ist der Typus

Christi als Weltenherrscher (lat. Maiestas Domini, griech. Pantokrator), ein Bild Christi in seiner

Herrlichkeit, zu dem auch der goldene Hintergrund beiträgt.11 Dabei ist die Weltkugel, die ihm als

Thron dient, nicht als Erdkugel zu verstehen. Vielmehr verbirgt sich in ihr das ganze Universum,

das von Gott beherrscht wird.12 Daher erscheint hier die Erde als grüner Streifen am unteren

Bildrand, was mit der antiken Vorstellung von der Form der Welt zusammenhängt, die von der

modernen abweicht. „So spricht der Herr: Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel

für meine Füße.“ (Jes. 66,1) Die ganze Szene ist folglich ein Sinnbild des von Christus beherrschten

Kosmos.

Letztendlich offenbart sich in diesem Typus die Messianität Christi, da sein griechischer Name

Χριστός („Gesalbter“) auf die Salbung eines neuen Königs zurückgeht. Damit war aber das Bild des

thronenden Herrschers schon im Namen enthalten, bevor es auch visuell umgesetzt wurde.13

10 Zum Nimbus: Baudry 2010, S. 123. Zum Verhältnis von Kreuz und Tropaion: Baudry 2010, S. 35. 11 Zum Typus der Maiestas Domini: Baudry 2010, S. 47 f.; Büttner – Gottdang 2006, S. 109 f. Zur Symbolik der Gold-farbe: Baudry 2010, S. 118 f. 12 Baudry 2010, S. 76 f. 13 Baudry 2010, S. 47.

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Das Gewand Christi besteht aus Tunika und Pallium; es ist mit Goldstreifen verziert und mit Purpur

gefärbt, wobei der Purpurfarbe eine besondere Bedeutung zukam, da sie im alten Rom nur dem

Triumphator, dem Kaiser und hohen Amtsträgern vorbehalten war.

Am linken Bildrand wird der Hl. Vitalis, der Titelheilige der Kirche, von einem vermittelnden

Engel zu Christus geführt, um die Märtyrerkrone in velierten Händen vom Weltenherrscher zu

empfangen. Rechts präsentiert der Bischof Ecclesius als Auftraggeber von San Vitale eine Miniatur

des Bauwerks; auch er hat seine Hände verhüllt aus Ehrfurcht vor dem heiligen Gegenstand.14

Aus einem Felsen unter dem thronenden Christus entspringen die vier Paradiesesflüsse Pischon,

Gihon, Tigris und Euphrat. Es sind die vier Hauptflüsse im Garten Eden, die Gott am Anfang der

Weltgeschichte geschaffen hat: „Ein Strom entspringt in Eden, der den Garten bewässert; dort teilt

er sich und wird zu vier Hauptflüssen ...“ (Gen. 2,10-14). In der Exegese wurden diese Flüsse mit

dem Strom identifiziert, der im Neuen Testament als Fluss des Lebens bezeichnet und im himm-

lischen Jerusalem lokalisiert wird: „Und er zeigte mir einen Strom, das Wasser des Lebens, klar wie

Kristall; er geht vom Thron Gottes und des Lammes aus.“ (Offb. 22,1) Demzufolge spielt die

dargestellte Szene im Paradies, dem Ort, an dem die Seligen und Gerechten verbleiben und wohin

auch die verstorbenen Vitalis und Ecclesius aufgestiegen sind.15

Abb. 5: San Vitale, Apsismosaik

Auch das Mosaik an der Südwand des Mittelschiffs von Sant’Apollinare Nuovo greift das Thema

der Herrlichkeit Christi auf (Abb. 6).16 In seiner Majestät sitzt der Weltenherrscher auf einem

14 Zur Beschreibung des Apsismosaiks: Abramowski 2001, S. 291 f. 15 Zu den vier Paradiesesflüssen: Baudry 2010, S. 220 f. 16 Vgl. Artikel „Ravenna Teil I“, S. 4.

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prächtigen edelsteinbesetzten Thron vor goldenem Hintergrund und hat die Füße auf ein goldenes

Suppedaneum gestützt. Die rechte Hand ist im Segnungsgestus erhoben, in der linken hält er ein

Blitzbündel, doch scheint das Motiv von einem misslungenen Restaurierungsversuch herzurühren.

Eigentlich verlangt der Typus des Pantokrator nach einer Schriftrolle oder einem Buch in der linken

Hand. Zum Hofstaat des Weltenherrschers gehören vier Engel mit Botenstab und Taenia im Haar.

Abb. 6: Sant’Apollinare Nuovo, Südwand Abb. 7: Sant’Apollinare Nuovo, Nordwand

Das, was diese Darstellung Christi vom Weltenherrscher in San Vitale unterscheidet, ist der Bart.

Der bärtige Typus wird als „östlicher“ oder „syrischer“ Typus bezeichnet. Er verbreitet sich aber

schnell auch im Westen und wird v. a. für Darstellungen der Maiestas Domini zum Standardtyp.17

An der gegenüberliegenden Nordwand ist eine parallel aufgebaute Komposition, deren Mitte die

Maestàdarstellung der thronenden Mutter Gottes mit dem Christuskind einnimmt (Abb. 7). Auch sie

präsentiert sich in ihrer ganzen Herrlichkeit mit Thron, Suppedaneum und in den Farben Purpur und

Gold.18

Hoch über der thronenden Madonna sind Szenen aus dem Leben Jesu angebracht (Abb. 8).19 Der

Heilsbringer und Prediger wird bartlos, dazu noch mit einem kindlichen Gesicht gezeigt, jedoch ist

er auch hier in Purpur gekleidet und mit dem Kreuznimbus als Messias gekennzeichnet. Außerdem

überragt seine Gestalt die Nebenfiguren, wenn auch minimal. Der Zyklus setzt sich an der Südwand

über der Darstellung des thronenden Christus fort, wo die Passion erzählt wird, wobei man für ihn

hier den bärtigen Typus wählt (Abb. 9). Die unterschiedliche Darstellung Christi ist der Grund

dafür, dass man diesen Zyklus zwei Meistern zuwies.

17 Zum Bart in der Christusikonographie: Baudry 2010, S. 126. 18 Zur Beschreibung der Mosaiken mit Christus und der thronenden Madonna: Urbano 2005, S. 76. 19 Zum christologischen Zyklus: Urbano 2005, S. 76-78. Der Zyklus und die Mosaiken mit Christus und der thronenden Madonna gehören zur ursprünglichen Mosaikausstattung aus der Zeit des Theoderich: Urbano 2005, S. 80-82, waren aber offensichtlich auch für die Orthodoxen akzeptabel und wurden deswegen auch in postgotischer Zeit nicht ersetzt.

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Abb. 8: Berufung von Andreas und Petrus Abb. 9: Letztes Abendmahl Sant’Apollinare Nuovo, Nordwand Sant’Apollinare Nuovo, Südwand

Engel

Die Engel sind himmlische Wesen, die oft als Assistenzfiguren Christus und Maria zur Seite stehen

wie in Sant’Apollinare Nuovo (Abb. 6-7) oder auf dem Apsismosaik von San Vitale, wo sie den

Märtyrer Vitalis und den Bischof Ecclesius dem thronenden Christus zuführen (Abb. 5). Bereits im

Alten Testament wurde ihre Funktion als Gottes Boten (griech. ἄγγελοι) festgelegt: Sie werden vom

Gott entsandt, um mit den Gläubigen in Kontakt zu treten.

Abb. 10: San Vitale, Gewölbe des Presbyteriums Abb. 11: Erzbischöfliche Kapelle, Gewölbe

Engel werden als Jünglinge mit hellem Haar dargestellt und in einer strahlend weißen langen

Tunika (lat. alba) und einem schneeweißen Pallium gekleidet. Der Heiligenschein symbolisiert ihre

himmlische Leuchtkraft. Als kosmische Erscheinungen stützen sie häufig das anzubetende Symbol

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Abb. 12: Erzengel Michael Sant’Apollinare in Classe, Triumphbogen

im Gewölbescheitel: in San Vitale das Lamm Gottes (Abb. 10), in der Erzbischöflichen Kapelle ein

Medaillon mit eingeschriebenem Christusmonogramm, bei dem die Anfangsbuchstaben der Namen

Jesu Christi (griech. Ἰησοῦς Χριστός) ligiert sind (Abb. 11).20

Auch die heidnische Kunst kannte geflügelte Genien und Victorien, von denen sich die Engel des

Frühchristentums dadurch absetzen, dass sie zunächst – etwa in den römischen Katakomben –

ausschließlich männlich und flügellos erschienen sind. Erst seit dem 5. Jhdt. wurde das Bild der

geflügelten Engel üblich und entsprach nun ihrer transzendenten Stellung am Übergang zwischen

Himmel und Erde und ihrer kosmischen Natur.21

Neben der Funktion als Medium und Beschützer, ist für die Erzengel auch ein kriegerischer Typus

verbreitet, der sie gerüstet zeigt. Die Erzengel und besonders Michael werden im Alten Testament

als Herrscher und Engelfürsten bezeichnet (Dan. 10,13). In der Erzählung der Apokalypse spielen

sie eine wichtige Rolle beim Weltgericht. Sie vertreiben die Abtrünnigen vom Himmel und stürzen

den Satan in den Abgrund (Offb. 12; Offb. 20).22

In Sant’Apollinare in Classe sind die Erzengel Michael und Gabriel

am Triumphbogen links bzw. rechts der Apsis dargestellt (Abb. 12).23

So situiert erfüllen sie die Funktion von Wächtern des Presbyteriums

und sind dementsprechend in ein purpurnes Paludamentum, den

römischen Soldatenmantel und spätrömischen Beamtenumhang,

gehüllt. Sie halten Standarten (lat. labara), auf denen das Wort ἅγιος

(„heilig“) in Anlehnung an das Alte Testament (Jes. 6,3) dreimal

geschrieben ist: „Sie [die sechsflügeligen Engel] riefen einander zu:

Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heere. Von seiner Herrlichkeit

ist die ganze Erde erfüllt.“24

Evangelisten und Evangelistensymbole

Die Wand der Emporen über den alttestamentarischen Szenen in San Vitale ist mit Mosaiken

verkleidet, die die Autoren der vier kanonischen Evangelien zeigen (Abb. 13-15). Die „Portraits“

der „Geschichtsschreiber“ Christi sind typologisch mit antiken Philosophen- und Autorenbildnissen

verwandt.25 Die grauen Haare und der Philosophenbart illustrieren ihre Weisheit. Sie tragen eine

weiße Tunika mit Purpurstreifen und den griechischen Philosophenmantel. Dazu kommen die

20 Zu den Christusmonogrammen: Baudry 2010, S. 29-31. 21 Zur Engelikonographie: Baudry 2010, S. 82; Büttner – Gottdang 2006, S. 66. 22 Zur Funktion der Erzengel: Büttner – Gottdang 2006, S. 67. 23 Vgl. Artikel „Ravenna Teil I“, S. 8. 24 Abramowski 2001, S. 303. 309. 25 Büttner – Gottdang 2006, S. 95.

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Evangelien, in denen sie die Ereignisse der Heilsgeschichte festgehalten haben. Sie sind als offene

Bücher dargestellt und mit dem Namen des jeweiligen Autors signiert.

Das ist aber nicht das primäre Erkennungsmerkmal für die Bildnisse der vier Evangelisten. Ihre

persönlichen Symbole sind die Figuren, die über ihnen erscheinen (Abb. 15).

Abb. 13: Johannes Ev. Abb. 14: Markus Abb. 15: Matthäus San Vitale, Presbyterium San Vitale, Presbyterium San Vitale, Presbyterium

In der Apokalypse wird von einer Vision am Jüngsten Tag erzählt, in der vier Wesen ihren Platz

unmittelbar beim Thron Gottes einnehmen: „Und vor dem Thron war etwas wie ein gläsernes Meer,

gleich Kristall. Und in der Mitte, rings um den Thron, waren vier Lebewesen voller Augen, vorn

und hinten. Das erste Lebewesen glich einem Löwen, das zweite einem Stier, das dritte sah aus wie

ein Mensch, das vierte glich einem fliegenden Adler. Und jedes der vier Lebewesen hatte sechs

Flügel, außen und innen voller Augen.“ (Offb. 4,6-8)

Daraus haben die Kirchenväter eine Zuordnung der vier Wesen zu den vier Evangelisten versucht,

von denen sich die Zuordnung des Hieronymus durchgesetzt hat. Nach seiner Version steht der

Engel für Matthäus, der Löwe für Markus, der Stier für Lukas und der Adler für Johannes.26

Gleichzeitig wurden aber die Symbole als Hinweise auf Christus verstanden und mit den einzelnen

Phasen der Erlösung assoziiert: der Engel mit der Inkarnation, der Löwe mit der Auferstehung, der

Stier mit dem Opfertod und der Adler mit der Himmelfahrt.27 Auf diese Weise verselbständigten

sich die Symbole von den Evangelisten und wurden häufig auch allein am Himmelsgewölbe von

26 Baudry 2010, S. 65 f.; Büttner – Gottdang 2006, S. 95 f.; Pippal 2005, S. 72. 27 Büttner – Gottdang 2006, S. 96. Zum Löwen im Physiologus als Symbol für die Auferstehung: Büttner – Gottdang 2006, S. 102. Auch der Adler wird im Physiologus als Symbol für die Himmelfahrt aufgefasst: Büttner – Gottdang 2006, S. 103.

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Kuppeln und Kirchendecken – und damit in ihrem Element – schwebend dargestellt (Abb. 11; Abb.

16).

Abb. 16: Mausoleum der Galla Placidia, Kuppel Abb. 17: Hetoimasia, Baptisterium der Arianer, Kuppel

Apostel

Für die zwölf Apostel, die sehr häufig im Kirchenkontext auftreten, haben sich seit der Spätantike

allmählich Darstellungskonventionen entwickelt. So ist Paulus an seiner Glatze und dem dunklen

Vollbart erkennbar, Andreas an seiner wilden Frisur und Petrus an seinen weißen Haaren und dem

kürzeren Bart (Abb. 8; Abb. 17). Im Übrigen wurden die Barthaare des Hl. Andreas als Reliquien in

Ravenna aufbewahrt.28

Ein Mosaikfries mit den zwölf Aposteln umgibt die Taufszene im Baptisterium der Arianer, dessen

Bildprogramm vom Neonsbaptisterium übernommen ist.29 Hier stehen die Apostelfürsten Paulus

und Petrus vor goldenem Hintergrund zu beiden Seiten eines für den Weltrichter vorbereiteten

Throns (ἑτοιμασία) mit aufgestelltem Gemmenkreuz (Abb. 17). In den verhüllten Händen Pauli ist

eine Schriftrolle abgebildet, während Petrus den Schlüssel zum Himmelreich als sein persönliches

Attribut hält. Sie tragen eine weiße Tunika und ein weißes Pallium. Die immergrünen Siegespalmen

zeichnen sie als Märtyrer aus und stehen für den Triumph des Christentums in der Zeit der Christen-

verfolgungen, die Überwindung des Todes und das ewige Leben danach.30 “Sie standen in weißen

Gewändern vor dem Thron und vor dem Lamm und trugen Palmzweige in den Händen […] Es sind

die, die aus der großen Bedrängnis kommen; sie haben ihre Gewänder gewaschen und im Blut des

Lammes weiß gemacht.“ (Offb. 7,9-14)

28 Abramowski 2001, S. 317. Zur Ikonographie der zwölf Apostel: Baudry 2010, S. 71 f. 29 Zum Baptisterium der Arianer vgl. Artikel „Ravenna Teil III“, S. 5; zum Neonsbaptisterium vgl. Artikel „Ravenna Teil II“, S. 4. 30 Zur Symbolik der Palme: Baudry 2010, S. 100.

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Dazu kommt, dass das griechische Wort für Palme (φοῖνιξ) mit dem Namen des mythischen Phönix

identisch ist, des Vogels also, der im Mythos verbrennt und sogleich aufersteht.31

Märtyrer und Heilige

Als Patrone von Kirchenbauten werden christliche Märtyrer häufig auf Apsismosaiken in der Nähe

Christi platziert und dadurch ganz besonders geehrt. So erscheint der Hl. Vitalis in der Apsiskalotte

der nach ihm benannten Kirche (Abb. 5). Er hat die Hände mit einem Mantel umhüllt und zu dem

thronenden Christus ausgestreckt, um die Märtyrerkrone vom Weltenherrscher persönlich zu

empfangen. Der Rang des Namensheiligen wird besonders durch die Kleiderpracht betont: Tunika

und Paludamentum sind mit Gold und Silber durchwirkt, und der Saum der Tunika zusätzlich mit

Juwelen verziert.

Häufig sind Märtyrer mit dem Instrument ihres Martyriums abgebildet, das ihre Identifizierung

ermöglicht, wenn auch die Darstellung der Folter selbst vermieden wird. Die frühchristliche Kunst

hat sich von Passionsbildern weitgehend distanziert und den Akzent auf die Glorifizierung der

christlichen Idee und ihrer Hauptakteure gelegt. Daher erscheint der siegreiche Laurentius in einer

Lünette im Mausoleum der Galla Placidia mit geschultertem Kreuz als Trophäe, während der

brennende Gitterrost lediglich die Person identifiziert und auf die Umstände seines Sieges hinweist

(Abb. 18).

Abb. 18: Hl. Laurentius Abb. 19: Jungfrauenprozession Abb. 20: Märtyrerprozession Mausoleum der Galla Placidia Sant’Apollinare Nuovo, Nordwand Sant’Apollinare Nuovo, Südwand Lünette gegenüber dem Eingang

31 Zum Phönix: Baudry 2010, S. 114; vgl. Artikel „Tierdarstellungen auf Mosaiken“, S. 6.

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Die Seitenwände des Mittelschiffs von Sant’Apollinare Nuovo werden von zwei parallel laufenden

Prozessionen von Märtyrern und heiligen Jungfrauen beherrscht, die kostbare Märtyrerkronen in

ihren Manus velatae tragen (Abb. 19-20).32 Die Figuren sind von immergrünen Märtyrerpalmen

getrennt und nur durch Beischriften voneinander zu unterscheiden. Es sind hauptsächlich Heilige

der Kirchen in Rom, Mailand und Ravenna, den drei Hauptzentren des Christentums in Italien, die

auch nacheinander römische Hauptstädte waren.

Mit weißen Kopfschleiern, schillernden Goldgewändern und reich mit Perlen und Edelsteinen

geschmückt nähern sich die Jungfrauen der thronenden Madonna. Sie werden von der Hl. Eufemia

von Chalkedon angeführt, was einem Bekenntnis zum christologischen Dogma des Konzils von

Chalkedon 451 gleichkommt. In Alba und weißem Mantel gekleidet bewegen sich die Märtyrer

zum thronenden Christus. Zu ihrer Ikonographie gehören auch die weißen Lilien im Gras, die

Reinheit und Unschuld verkörpern. Angeführt wird der Zug der Männer von Martin von Tours, der

als Kämpfer gegen das Heidentum und die Ketzerei gefeiert wurde und dem die Kirche seit ca. 560

geweiht war.33 Der Patron ist durch seine prominente Position und durch einen purpurnen Mantel

hervorgehoben.

Der älteste überlieferte Bischof Ravennas ist Apollinaris, der um

200 in Classis wirkte und als Bekenner in die Überlieferung

einging. Eine spätere Legende hat versucht, seine Amtszeit ins

1. Jhdt. zu verlegen und ihn zum Jünger von Petrus zu machen.34

Auf dem Apsismosaik von Sant’Apollinare in Classe steht der

Titelheilige im Paradiesesgarten (Abb. 21). Er betet mit zum

Kreuz emporgestreckten Händen für seine Gemeinde, die als

eine Herde von weißen Schafen dargestellt ist. Der Bischof hat

die Kasel (lat. planeta) angezogen und ein Pallium um seine

Schultern gelegt, das seit dem 6. Jhdt. als Abzeichen der

Metropoliten gilt und hier anachronistisch dem frühchristlichen

Bischof beigegeben ist.35 Das Pallium war aus Wolle angefertigt

und ersetzte symbolisch das Lamm, das der Bischof im übertragenen Sinn auf den Schultern trägt.

32 Zur Beschreibung der Prozessionsmosaiken: Urbano 2005, S. 76-78. 91 f. Sie wurden erst in spätjustinianischer Zeit als Ersatz für die abgearbeiteten Mosaiken der Arianer verlegt: Urbano 2005, S. 80-82. 33 Pippal 2005, S. 108. 34 Abramowski 2001, S. 293; Pippal 2005, S. 111; vgl. Artikel „Übersetzung: Vita S. Vitalis, Vita S. Apollinaris”, S. 6. 35 Das Pallium wurde erstmals dem Bischof Maximian (546-556) verliehen: Abramowski 2001, S. 293. 296. Zur Sym-bolik der Schafe: Baudry 2010, S. 103. Zur Beschreibung der Figur auf dem Mosaik: Abramowski 2001, S. 304.

Abb. 21: Sant’Apollinare in Classe Apsismosaik

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Quellenverzeichnis:

ABRAMOWSKI L., Die Mosaiken von S. Vitale und S. Apollinare in Classe und die Kirchenpoli-

tik Kaiser Justinians, Zeitschrift für antikes Christentum 5, 2001, 289-341

BAUDRY G.-H., Handbuch der frühchristlichen Ikonographie 1. bis 7. Jahrhundert (Freiburg 2010)

BÜTTNER F. – GOTTDANG A., Einführung in die Ikonographie. Wege zur Deutung von Bild-

inhalten (München 2006)

PIPPAL M., Kunst des Mittelalters. Eine Einführung, UTB 8223 ²(Wien 2005)

URBANO A., Donation, Dedication, and Damnatio Memoriae. The Catholic Reconciliation of

Ravenna and the Church of Sant'Apollinare Nuovo, Journal of Early Christian Studies 13, 2005, 71-

110

Abbildungsverzeichnis: Abb. 1: BAUDRY G.-H., Handbuch der frühchristlichen Ikonographie 1. bis 7. Jahrhundert (Freiburg 2010) 160

Abb. 2: BOTTARI S. (Hrsg.), Ravenna. Basilica di San Vitale. Tesori d'Arte Cristiana (Bologna 1966) 127

Abb. 3: CARILE A. (Hrsg.), Storia di Ravenna II (Venezia 1992) Taf. 30

Abb. 4: CARILE A. (Hrsg.), Storia di Ravenna II (Venezia 1992) Taf. 138

Abb. 5: BAUDRY G.-H., Handbuch der frühchristlichen Ikonographie 1. bis 7. Jahrhundert (Freiburg 2010) 59

Abb. 6-7: Verfasser

Abb. 8: WILPERT J. – SCHUMACHER W. N. (Hrsg.), Römische Mosaiken der kirchlichen Bauten vom IV. – XIII.

Jahrhundert (Freiburg 1976) Taf. 98

Abb. 9: KEMP M. (Hrsg.), DuMont Geschichte der Kunst (Köln 2003) 74 Abb. 93

Abb. 10: BAUDRY G.-H., Handbuch der frühchristlichen Ikonographie 1. bis 7. Jahrhundert (Freiburg 2010) 129

Abb. 11: CARILE A. (Hrsg.), Storia di Ravenna II (Venezia 1992) Taf. 138

Abb. 12: FU-Berlin, Kunsthistorisches Institut, Diathek

Abb. 13: CARILE A. (Hrsg.), Storia di Ravenna II (Venezia 1992) Taf. 12

Abb. 14: CARILE A. (Hrsg.), Storia di Ravenna II (Venezia 1992) Taf. 11

Abb. 15: CARILE A. (Hrsg.), Storia di Ravenna II (Venezia 1992) Taf. 10

Abb. 16: BAUDRY G.-H., Handbuch der frühchristlichen Ikonographie 1. bis 7. Jahrhundert (Freiburg 2010) 36

Abb. 17: CARILE A. (Hrsg.), Storia di Ravenna II (Venezia 1992) Taf. 73

Abb. 18: CARILE A. (Hrsg.), Storia di Ravenna II (Venezia 1992) Taf. 20

Abb. 19: BAUDRY G.-H., Handbuch der frühchristlichen Ikonographie 1. bis 7. Jahrhundert (Freiburg 2010) 99

Abb. 20: BAUDRY G.-H., Handbuch der frühchristlichen Ikonographie 1. bis 7. Jahrhundert (Freiburg 2010) 124

Abb. 21: GRABAR A., L'age d'or de Justinien. De la mort de Théodose à l'Islam (Paris 1966) 140 Abb. 151

Siana Pressler