Peter Hammer - dgraf.ch · Uster Report 4/2014 7 Was fasziniert Sie besonders an Mathematik? Mich...

4
5 Uster Report 4/2014 Peter Hammer Mathematiker und Spieleentwickler Seit der Antike ist Mathematik ein fester Bestandteil der schuli- schen Ausbildung. «Nicht ohne Grund», sagt Peter Hammer, der seit 1996 als Mathematiklehrer an der Berufsmittelschule des Bil- dungszentrums Uster unterrichtet. Im Interview spricht der Ma- thematiker über Vorurteile, die Schwierigkeiten der Lernenden, seine Spielernatur und die Schönheit von Ziffern und Zah- len. Herr Hammer, ich behaupte, dass für die meisten Lernenden Mathematik das unbeliebteste Fach ist. Stimmen Sie mir zu? Nein, denn die Beliebtheit ei- nes Fachs ist unter anderem stark abhängig davon, wer es unter- richtet. Ich denke jedoch, Ma- thematik ist jenes Fach, welches am meisten Einsatz und grossen Respekt abverlangt. Für mich als Lehrperson ist es deshalb wich- tig, durch vorbildliches Verhalten zu zeigen, dass es sich lohnt, sich dieser Herausforderung zu stel- len. Wie meinen Sie das? Heutzutage müssen Lehrper- sonen vermehrt gegen Einwir- kungen von aussen kämpfen wie Internet oder Smartphones, wel- che teilweise unsere Jugend- lichen negativ beeinflussen. Unangenehm ist, dass die mo- dernen Medien Jugendlichen verfälschte Bilder vermitteln. Tu- genden wie Konzentration, Ge- duld und Motivation leiden dar- unter und dies kann sich negativ auf die Leistungen der Lernen- den auswirken – insbesondere im Mathematikunterricht. Manche ältere Generationen erinnern sich ungern an den Mathematikunterricht. Wo liegt Ihrer Meinung nach die Ursache dafür? Wie im Sport oder bei Wett- kämpfen wird dieses Empfinden stark durch den Erfolg beeinflusst. Leider gibt es viele, die beim Zehnkampf Mathematik – und Mathematik ist ein Zehnkampf – nicht erfolgreich waren … Wie lässt sich dies im heutigen Unterricht ändern? Da braucht es weitaus mehr, als allgemein vermutet wird. Oft ist schlicht die Bereitschaft nicht vorhanden, sich auf eine grosse intellektuelle Herausforderung einzulassen. Jedoch sollten sich Lehrpersonen dessen bewusst sein, und sich vor allem um schwächere Lernende kümmern. Grösste Sorgfalt ist der Wertung zuzuordnen. Für mich ist es je- weils ein viel grösseres Vergnü- gen zu sehen, dass sich jemand entwickelt, sich von der Note 3 auf die Note 4 verbessert, als ei- nen Geniestreich mit einer 6 zu bewerten, denn das Genie wird sich so oder so durchsetzen. Der Mensch lernt besser mit Freude. Was unternehmen Sie, um den Lernenden den Um- gang mit Zahlen «angenehm» zu gestalten? Da gibt es verschiedene Me- thoden. Attraktives Unterrichts- material ist ebenso grundlegend wie Beispiele, die einen Aha-Ef- fekt bewirken und dadurch die Lust nach mehr wecken. Wie bei einer Bergwanderung versuche ich, das Blickfeld zu vergrössern, Peter Hammer.

Transcript of Peter Hammer - dgraf.ch · Uster Report 4/2014 7 Was fasziniert Sie besonders an Mathematik? Mich...

Page 1: Peter Hammer - dgraf.ch · Uster Report 4/2014 7 Was fasziniert Sie besonders an Mathematik? Mich begeistern in erster Li-nie die Vielfalt, die Schönheit der Muster, welche sich

5Uster Report 4/2014

Peter HammerMathematiker und Spieleentwickler

Seit der Antike ist Mathematikein fester Bestandteil der schuli-schen Ausbildung. «Nicht ohneGrund», sagt Peter Hammer, derseit 1996 als Mathematiklehreran der Berufsmittelschule des Bil-dungszentrums Uster unterrichtet.

Im Interview spricht der Ma-thematiker über Vorurteile, dieSchwierigkeiten der Lernenden,seine Spielernatur und dieSchönheit von Ziffern und Zah-len.

Herr Hammer, ich behaupte,dass für die meisten LernendenMathematik das unbeliebtesteFach ist. Stimmen Sie mir zu?

Nein, denn die Beliebtheit ei-nes Fachs ist unter anderem starkabhängig davon, wer es unter-richtet. Ich denke jedoch, Ma-thematik ist jenes Fach, welches

am meisten Einsatz und grossenRespekt abverlangt. Für mich alsLehrperson ist es deshalb wich-tig, durch vorbildliches Verhaltenzu zeigen, dass es sich lohnt, sichdieser Herausforderung zu stel-len.

Wie meinen Sie das?Heutzutage müssen Lehrper-

sonen vermehrt gegen Einwir-kungen von aussen kämpfen wieInternet oder Smartphones, wel-che teilweise unsere Jugend-lichen negativ beeinflussen.Unangenehm ist, dass die mo-dernen Medien Jugendlichenverfälschte Bilder vermitteln. Tu-genden wie Konzentration, Ge-duld und Motivation leiden dar-unter und dies kann sich negativauf die Leistungen der Lernen-den auswirken – insbesondereim Mathematikunterricht.

Manche ältere Generationenerinnern sich ungern an denMathematikunterricht. Wo liegt Ihrer Meinung nach die Ursache dafür?

Wie im Sport oder bei Wett-kämpfen wird dieses Empfindenstark durch den Erfolg beeinflusst.Leider gibt es viele, die beimZehnkampf Mathematik – undMathematik ist ein Zehnkampf –nicht erfolgreich waren…

Wie lässt sich dies im heutigen Unterricht ändern?

Da braucht es weitaus mehr,als allgemein vermutet wird. Oftist schlicht die Bereitschaft nichtvorhanden, sich auf eine grosseintellektuelle Herausforderungeinzulassen. Jedoch sollten sichLehrpersonen dessen bewusstsein, und sich vor allem umschwächere Lernende kümmern.Grösste Sorgfalt ist der Wertungzuzuordnen. Für mich ist es je-weils ein viel grösseres Vergnü-gen zu sehen, dass sich jemandentwickelt, sich von der Note 3auf die Note 4 verbessert, als ei-nen Geniestreich mit einer 6 zubewerten, denn das Genie wirdsich so oder so durchsetzen.

Der Mensch lernt besser mitFreude. Was unternehmen Sie,um den Lernenden den Um-gang mit Zahlen «angenehm»zu gestalten?

Da gibt es verschiedene Me-thoden. Attraktives Unterrichts-material ist ebenso grundlegendwie Beispiele, die einen Aha-Ef-fekt bewirken und dadurch dieLust nach mehr wecken. Wie beieiner Bergwanderung versucheich, das Blickfeld zu vergrössern,Peter Hammer.

Page 2: Peter Hammer - dgraf.ch · Uster Report 4/2014 7 Was fasziniert Sie besonders an Mathematik? Mich begeistern in erster Li-nie die Vielfalt, die Schönheit der Muster, welche sich

6 Uster Report 4/2014

unabhängig davon, ob der Gip-fel erreicht wird. Bei mir führengute Ideen, raffinierte Lösungs-wege zu Pluspunkten bei denTests. Dadurch wird das Schöneakzentuiert und das Resultat zurNebensache. Keineswegs seltenist es sehr schwierig, den Erfolgmit den einzelnen Lernendenquasi zu planen.

Zu den Erinnerungen an denMathematikunterricht gehörtauch der Satz: «Ich habe dasErlernte nie mehr gebraucht.»Was meinen Sie hierzu?

Diese Behauptung ist absurd.Es geht nicht darum, Mathema-tikaufgaben zu lösen, die in dernahen oder fernen Zukunft wie-der auftauchen. Mathematik istein hervorragendes Instrument,um das Denkvermögen zu för-dern. Erlauben Sie mir eineGegenfrage: Weshalb hat dieGeometrie 2000 Jahre überlebtund wird zum Glück noch immerin der Grundausbildung ge-pflegt?

In der Mathematik gibt es nur richtig oder falsch. Richtig oder falsch?

Nicht nur falsch, sondern völ-lig falsch. Das Resultat allein darf

nie zentral sein! Der Weg zumZiel ist das Ziel, und dieser Wegist mit zu bewerten. Ich versuche,die Lernenden vom reinen Resul-tatdenken abzubringen, indemich beispielsweise selbst für einfalsches Resultat 3 von 4 mög-lichen Punkten gebe, wenn derLösungsansatz korrekt ist.

Dennoch dreht in der Schuledas Noten-Karussell um dieAnzahl Fehler. Das ist doch deprimierend?

Wie im Leben ist es wichtig,sich auf das zu konzentrieren,was man kann, und nicht stetsnur auf das, was man nicht kann.Leider ist dies eine Tatsache:Wenn bei einem Test von zehnAufgaben zwei nicht gelöst wer-den, stehen letztlich diese beidenAufgaben im Rampenlicht. Essollte jedoch genau umgekehrtsein.

Wie wichtig ist Kopfrechnen?Das Kopfrechnen ist so wich-

tig, dass es jedem, der es nichtbeherrscht, Kopfzerbrechen ver-ursachen sollte. Es stört michenorm, wenn die Bedeutung desKopfrechnens heruntergespieltwird. Abgesehen davon, entste-hen bei der Suche nach ver-

schiedenen Wegen sogar amü-sante Modelle. Zum Beispiel er-gibt bei mir 2 hoch 11 zwei Tage,weil ein Tag 24 Stunden hat und2 hoch 10 zur Zahl 1024 (einTag mit 24 Stunden) führt. Wirddieser «eine Tag» verdoppelt,so braucht es zur Findung von2048 weniger als eine Se-kunde.

Nun haben wir lange über Vorurteile gesprochen. Kommen wir zu den offensicht-lich positiven Seiten der Mathematik: Weshalb ist eswichtig, dass wir mathematischgeschult werden?

Nehmen wir als eines von vie-len Beispielen die Technik: DieTechnik wäre ohne Mathematiktot – kein Rad würde sich be-wegen. Aber auch in der Wirt-schaft, in der Informatik undselbst in der Politik wird ein Denk-vermögen verlangt, welches mitder Mathematik geschult wird.Auch hier liegt der Sinn der Ma-thematik weniger in der direktenAnwendung als vielmehr in derAnalyse von analogen Proble-men.

Was hat Politik mit Mathematik zu tun?

Auch in der Politik ist bei-spielsweise logisches Denkengefragt, insbesondere weil sichTheorien nicht mit einzelnen Bei-spielen begründen lassen unddie vermeintliche Beweisführungoft hypothetisch ist. Aktuell hatdas Thema «Gripen» viel mit Ma-thematik zu tun, denn es istschwierig, Argumente bezie-hungsweise Zahlen wie AnzahlArbeitsplätze, finanzielle Gegen-geschäfte, Kosten der Anschaf-fung usw. zu durchschauen, umdie richtigen Entscheidungs-grundlagen zu erhalten. SolcheProbleme überlasse ich abergern den Experten.

Richtig oder falsch? Raffinierte Lösungswege belohnt Hammer mit Pluspunkten. Wäre das auch hier der Fall?

Page 3: Peter Hammer - dgraf.ch · Uster Report 4/2014 7 Was fasziniert Sie besonders an Mathematik? Mich begeistern in erster Li-nie die Vielfalt, die Schönheit der Muster, welche sich

7Uster Report 4/2014

Was fasziniert Sie besonders an Mathematik?

Mich begeistern in erster Li-nie die Vielfalt, die Schönheit derMuster, welche sich beim Arbei-ten mit Zahlen ergeben sowieder Umstand, dass es mir dieMathematik erlaubt, Komplexesbesser zu verstehen. Zudem bie-tet die Mathematik die Möglich-keit, kreativ und schöpferisch zusein. Gute Beispiele hierfür sindmeine Freunde Albert Gübeliund Caspar Schwabe (derzeit aneiner Universität in Japan), wel-che Zahlen aus einem ganz an-deren Blickwinkel betrachten.Beide sind grosse Meister in dergestalterischen Kunst von Zah-len.

Auch Sie haben sich kreativund schöpferisch gezeigt, indem Sie vor 30 Jahren dasDenkspiel «Martello» entwickel-ten. Dieses Spiel ist seit kurzemsogar als App für iOS erhält-lich. Was steht hier im Vorder-grund, das Lernen oder das reine Spielvergnügen?

Dank der Möglichkeit, beider App die Brettgrösse und denSchwierigkeitsgrad zu variierensowie Hints einzuholen und eineBibliothek zu eröffnen, hat derLerneffekt in diesem Spiel einengrossen Stellenwert. Aus meinerSicht ist diese App ein hübschesBeispiel dafür, dass die moderneTechnik das Lernverhalten verän-dert. In einer weiteren Phase wer-den wir «Martello» erweitern undauch Martello-Duelle offerieren.

Weshalb geniesst das Duellieren bei Ihnen einen so hohen Stellenwert?

Das englische WunderkindJohn Nunn (59) war an der Uni-versität Oxford mit nur 15 Jah-ren der jüngste «Undergradua-te», der seit 500 Jahrenakzeptiert wurde. Nach seinem

Doktortitel musste er sich ent-scheiden für Schach oderMathematik. Er bevorzugte,Schachprofi zu werden, weil er esspannender fand, Schach zuspielen. Ich denke auch, wiebeim Schach ist es letzten Endesspannender, wenn es gegen ei-nen direkten Gegenspieler da-rum geht, die besseren Ideen zuentwickeln.

Sie waren während zehn Jahrenim Schweizer Schach-National-team. Weshalb sind Sie nichtSchachprofi geworden?

Als Jugendlicher hat mich dasSchachspiel geprägt, ja sogardominiert, bis ich begann, dieSchönheiten der Mathematik zuentdecken…

Die Schönheit der Mathematik?Wenn ich davon spreche,

werde ich selten auf Anhieb rich-tig verstanden. Häufig hat manauch kaum eine Chance, dies zu

erklären. Überall, im Berufsle-ben, im Alltag, in den Ferien, gibtes Zahlen in Hülle und Fülle. Werbeginnt, damit zu spielen, Zu-sammenhänge und vor allemauch Muster zu entdecken, wirddie Schönheit der Mathematiksogar riechen!

Für einen Mathematiker scheinen Sie überaus verspieltzu sein…

Seit meiner Kindheit bin ichvon A bis Z ein Spieler, und diesauf allen Ebenen. Zum Beispielwurde ich 1990 mit meinemFreund Werner Hug in der ku-riosen Disziplin «Schach-Tennis»,bei der abwechslungsweiseSchach und Tennis gespielt wird,Schweizer Meister. Ebenso be-geistert bin ich vom Jassen, dasleider heutzutage bei den Ju-gendlichen nicht mehr in ist.Übrigens, das Solitaire-Spiel«Martello» ist ein verkapptes Kar-tenspiel. Zudem habe ich zwei,

«Martello», eine Erfindung von Peter Hammer, ist auch als App für iOS erhältlich.

Page 4: Peter Hammer - dgraf.ch · Uster Report 4/2014 7 Was fasziniert Sie besonders an Mathematik? Mich begeistern in erster Li-nie die Vielfalt, die Schönheit der Muster, welche sich

8 Uster Report 4/2014

drei Jassarten und das Würfel-spiel «Black Cat» kreiert.

Und die Verbindung zur Mathematik ist bei diesen Spielen auch vorhanden…

Ja, denn viele Spiele verlan-gen mathematische, manchmalsogar naturwissenschaftlicheDenkweisen. Damit kann ichzwei meiner Leidenschaften ide-al miteinander verknüpfen. Beiden Denkspielen geht es letztlichauch darum, Zusammenhängezu verstehen und daraus opti-male Strategien zu entwickeln.Für mich ist das Spielen – insbe-sondere im Zusammenhang mitZahlen und Ziffern – fast dieschönste Form des Seins.

Möchten Sie unseren Lesern einen Tipp mit auf den Weg geben?

Der erste Schritt zur Freude ander Mathematik ist in unserer

hektischen Welt die so oft ver-misste Tugend Geduld. Letztlichhat aber jeder eine Chance, dieSchönheit der Ziffern und Zahlenzu entdecken, denn Zahlenspie-

lereien gibt es in jeder Situationetwa gleich viel wie Sand in derWüste!

Patrick Borer

Peter Hammer, geb. 1951, wohnhaft in Rüschlikon, ist verhei-ratet und Vater von drei erwachsenen Töchtern. Er studierte Ma-thematik an der Uni Zürich und trat 1984 in den Lehrerberuf ein.Seit 1996 ist er tätig an der BMS im Bildungszentrum Uster (BZU).Seit 1999 leitet er die Fachschaft Mathematik am BZU. Hammerwar von 1975 bis 1985 Mitglied der Schweizer Schach-National-mannschaft und nahm an zwei Olympiaden teil. Er ist Autor(«V mal X Jassideen», «Denkwürdiges», «Fahnder») und Spieleer-finder («Martello», «Black Cat», Jassart «Zweier-Sidi») und betreu-te von 1985 bis 2008 die Rubrik Denksport im «züritipp».

«Martello»: Das Konzept ist simpel und identisch mit dem phy-sischen Vorgänger: Auf dem Feld befinden sich 36 Steine in sechsFarben und sechs Symbolen. Steine, die entweder die gleiche Far-be oder das gleiche Symbol haben, können miteinander kombi-niert werden, bis schliesslich nur noch ein Stein übrig bleibt. DasSpiel ist als App für iOS erhältlich. www.martello-app.com

Das Duellieren im Vordergrund: «Es ist spannender, wenn es gegen einen direkten Gegenspieler darum geht, die besseren Ideen zu entwickeln.»