PeterHartmann DieArbeit Arbeiter-Rad-und „Solidarität Ortsgruppe … · 2008-07-31 · wurde...

12
Arbeiter-Rad-und Kraftfahrerbund „Solidarität" Ortsgruppe Oststeinbek „Fahrwohl von 1904" Peter Hartmann Vorbemerkung Der Aufsatz gibt einen Einblick in die Nachforschungen über die Oststeinbeker Ortsgruppe „Fahr wohl" des Arbeiter- Rad- und Kraftfahrerverbundes „Solidarität". Die Arbeit ist weder vollständig noch abgeschlossen. Das vorliegende Teilergebnis soll dazu anregen, in anderen Städten und Gemeinden unseres Landes den Blick auf die Erforschung der vielfältigen Sport- und Kulturtradition der Arbeiterbewegung zu lenken. Wie auch auf anderen Gebieten der Geschichte der Arbei- terbewegung ist die Quellenlage teilweise unbefriedigend. Aufzeichnungen im örtlichenBereich bestehen kaum. Manist sehr auf mündliche Überlieferungen angewiesen. Die Nachfor- schungen wurden aber bereitwillig von ehemaligen „Soli-Mit- gliedern" unterstützt, besonders dann, wenn Fotos die Lücken der persönlichen Erinnerung schließen halfen. Einiges Schrift- gut ist im Verbandsarehiv vorhanden, das für die Arbeit heran- gezogen wurde. Das Verbandsarehiv wird von Herrn Willi Karmowski, einem langjährigen Verbandsfunktionär der „Solidarität", in Hamburg aufbewahrt. Die deutsche Arbeiterbewegung konnte bis zu ihrer gewaltsa- men Zerschlagung durchdie Nationalsozialisten imJahre 1933 auf ein lebendiges Sport- und Kulturgeschehen zurückblicken. Höhepunkte in sportlicher Hinsicht waren die Arbeiterolym- piaden in Frankfurt 1925 und in Wien 1931. Verschiedene Fachverbände des Arbeitersports und anderer Arbeiterverbände schlössen sich 1912 zur Zentralkommission für Arbeitersport und Körperpflege zusammen. Zu Beginn des Jahres 1914 waren etwa 400000 Menschenin dieser Dachorga- nisation vereinigt, davon rund 150000 Radfahrer, die sich 1896 nach anfänglichen SchwierigkeiteninOffenbach zum Arbeiter- Radfahrer-Bund (ARB) zusammengeschlossen hatten. Die unterste Gliederung dieses Verbandes war die Orts- gruppe. Vor dem Verbot imJahre 1933 gehörte die Oststeinbe- ker Ortsgruppe dem 6. Bezirk des Gaues 4 an. Der Gau 4 umfaßte die Gebiete Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg- Strelitz, Lübeck und Teile Holsteins. Der 6. Bezirk erstreckte sich auf die Hamburgischen Landgebiete, Teile des Kreises Stormarn, den Kreis Herzogtum Lauenburg und Teile von Mecklenburg-Schwerin. Im 6. Bezirk waren insgesamt 17 Orts- gruppen zusammengefaßt, die Ende 1931 eine Mitgliederzahl von über 950 Radfahrern, männlich und weiblich, hatten. 1 Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Oststeinbeker Gruppe dem Gau 5 zugeordnet. Die Oststeinbeker „Fahrwohl" bildete einen kleinen Mosaikstein in der Gesamtgliederung der Ar- beiter-Radsportbewegung. 1 Vgl. Bundesjahrbuch 1931/1932 des A. R.K.B. „Solidarität", Sitz Offen- bach am Main. Arbeitersport in Deutschland Von der Gründung bis zum Beginn des 1 . Weltkrieges Im Jahre 1904 schlössen sich acht klassenbewußte, sportbegei- sterte junge Männer zusammen undgründeten die Ortsgruppe „Fahr wohl". Sie entwickelte sich „vorbildlich", wie es in der Festschrift zum 50jährigen Jubiläum der Oststeinbeker Orts- gruppe aus dem Jahre 1954 heißt. Zehn Jahrespäter, zu Beginn des 1. Weltkrieges, zählte der Verein an die 80 Mitglieder. Das Fahrrad war das volkstümlichste Verkehrsmittel. Es 197

Transcript of PeterHartmann DieArbeit Arbeiter-Rad-und „Solidarität Ortsgruppe … · 2008-07-31 · wurde...

Page 1: PeterHartmann DieArbeit Arbeiter-Rad-und „Solidarität Ortsgruppe … · 2008-07-31 · wurde für dietäglichenFahrtenzur Arbeitbenutzt,umdas Geldfür dieöffentlichenVerkehrsmittelzusparen.Aufdem

Arbeiter-Rad-undKraftfahrerbund„Solidarität"OrtsgruppeOststeinbek„Fahrwohl von1904"

Peter Hartmann

Vorbemerkung

Der Aufsatz gibt einenEinblick in die Nachforschungen überdie Oststeinbeker Ortsgruppe „Fahr wohl" des Arbeiter- Rad-und Kraftfahrerverbundes „Solidarität". Die Arbeit ist wedervollständig noch abgeschlossen. Das vorliegende Teilergebnissoll dazu anregen, inanderen StädtenundGemeindenunseresLandes denBlick auf die Erforschung der vielfältigen Sport-undKulturtradition der Arbeiterbewegungzu lenken.

Wie auch auf anderen Gebieten der Geschichte der Arbei-terbewegung ist die Quellenlage teilweise unbefriedigend.Aufzeichnungen imörtlichenBereichbestehen kaum.Manistsehr aufmündliche Überlieferungen angewiesen. DieNachfor-schungen wurden aber bereitwillig von ehemaligen „Soli-Mit-gliedern" unterstützt, besonders dann, wennFotosdieLückenderpersönlichenErinnerung schließen halfen. Einiges Schrift-gut ist im Verbandsarehivvorhanden,dasfür die Arbeit heran-gezogen wurde. Das Verbandsarehiv wird von Herrn WilliKarmowski, einem langjährigen Verbandsfunktionär der„Solidarität", in Hamburg aufbewahrt.

Die deutsche Arbeiterbewegung konnte bis zu ihrer gewaltsa-men Zerschlagung durchdieNationalsozialistenimJahre 1933auf ein lebendiges Sport-undKulturgeschehen zurückblicken.Höhepunkte in sportlicher Hinsicht waren die Arbeiterolym-piaden inFrankfurt 1925 und in Wien 1931.

VerschiedeneFachverbände des Arbeitersportsund andererArbeiterverbände schlössensich 1912 zur Zentralkommissionfür Arbeitersport undKörperpflegezusammen. ZuBeginndesJahres 1914 waren etwa 400000 Menschenin dieserDachorga-nisationvereinigt,davon rund150000Radfahrer,diesich1896nachanfänglichen SchwierigkeiteninOffenbachzum Arbeiter-Radfahrer-Bund (ARB) zusammengeschlossenhatten.

Die unterste Gliederung dieses Verbandes war die Orts-gruppe. Vor dem Verbot imJahre1933gehörtedie Oststeinbe-ker Ortsgruppe dem 6. Bezirk des Gaues 4 an. Der Gau 4umfaßte die Gebiete Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz,Lübeck und TeileHolsteins. Der 6. Bezirk erstrecktesich auf die Hamburgischen Landgebiete, Teile des KreisesStormarn, den Kreis Herzogtum Lauenburg und Teile vonMecklenburg-Schwerin. Im6. Bezirk wareninsgesamt 17 Orts-gruppen zusammengefaßt, die Ende1931 eine Mitgliederzahlvon über 950 Radfahrern, männlichund weiblich,hatten.1

Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Oststeinbeker Gruppedem Gau5 zugeordnet. DieOststeinbeker „Fahrwohl"bildeteeinen kleinen Mosaikstein in der Gesamtgliederung der Ar-beiter-Radsportbewegung.

1 Vgl. Bundesjahrbuch 1931/1932 desA. R.K.B. „Solidarität", Sitz Offen-bach amMain.

Arbeitersport inDeutschland

Von der Gründung biszum Beginndes1. Weltkrieges

Im Jahre 1904 schlössensich acht klassenbewußte, sportbegei-sterte jungeMänner zusammen undgründeten die Ortsgruppe„Fahr wohl". Sie entwickelte sich „vorbildlich",wie es in derFestschrift zum 50jährigen Jubiläum der Oststeinbeker Orts-gruppeausdemJahre 1954heißt. ZehnJahrespäter,zuBeginndes 1. Weltkrieges, zählte der Vereinan die80 Mitglieder.

Das Fahrrad war das volkstümlichste Verkehrsmittel. Es

197

Page 2: PeterHartmann DieArbeit Arbeiter-Rad-und „Solidarität Ortsgruppe … · 2008-07-31 · wurde für dietäglichenFahrtenzur Arbeitbenutzt,umdas Geldfür dieöffentlichenVerkehrsmittelzusparen.Aufdem

wurde für die täglichen Fahrten zur Arbeit benutzt, um dasGeld für die öffentlichenVerkehrsmittel zu sparen. Auf demplatten Lande,zudem Oststeinbek gehörte,warendieseohne-hin schlecht. Selbstverständlich unternahm die Gruppe auchWanderfahrten in Gemeinschaft Gleichgesinnter. Man wid-mete sich aber bald nach der Gründung dem Saalsport, derKunstfahrerei.Das Kunstradfahren wurde auf Straßenrädernohne und später mit Freilauf betrieben. Die enge Verbindungzur politischen Arbeiterbewegung, derSozialdemokratie, wirdin der Losung deutlich: „Für Einigkeit, Freiheit und Rechtkämpft der Arbeiterradfahreralle Zeit".Generellunterstütztendie Arbeiter-Radfahrer die Sozialdemokraten bei Wahlkämp-fendurchsogenannte „Agitationsfahrten".Für Oststeinbek istdies bisher noch nicht belegt. Von den politischen Gegnernwurden die Arbeiter-Radfahrer daher auch als „Rote Husa-ren"bezeichnet.

Einen tiefenEinschnitt indas Vereinslebenvollzog sich mitdem Beginn des 1. Weltkrieges. Die eingezogenen Mitgliederwurden aufgrund eines Bundesbeschlusses aufgefordert, ihreMitgliedsbücher andie Bundesgeschäftsstelle zusenden.Nachdem Krieg konnten die heimgekehrten Soldaten wieder ihreBücher anfordern. So erhielt die Organisation einen ziemlichverläßlichen Überblick über die gefallenen Bundesgenossen.Vondenetwa 100000eingezogenen Mitgliedernerhieltenetwa850001919 wieder ihre Mitgliedsbücher zurück. BisEnde1916waren bereits 6000 Arbeiter-Radsportler gefallen.2 AuchOst-steinbeker waren vondiesen sinnlosenOpfern betroffen.

2 Vgl. Handbuch für die Mitgliederdes A.R. K.B. Solidarität, Offenbach1927,5. 52.

Gruppenfoto am dem Jahre MOden Arheiier-Radfahr-VereinJahr wohl"mn1904 Oststeinbek

198

Page 3: PeterHartmann DieArbeit Arbeiter-Rad-und „Solidarität Ortsgruppe … · 2008-07-31 · wurde für dietäglichenFahrtenzur Arbeitbenutzt,umdas Geldfür dieöffentlichenVerkehrsmittelzusparen.Aufdem

VomWiederaufbaunachdem 1.WeltkriegbiszurZerschlagungdurch dieNationalsozialisten

Mit viel Idealismus packten die Alten 1919 zusammen miteinigen Jüngeren an und bauten den Verein wieder auf. Ausdieser Zeit stammt auch das folgende Lichtbild. Selbstbewußtsitzen die sechs Männer auf ihren Rädern in sportlicher Klei-dungund der klassischen Arbeitermütze als Kopfbedeckung.

ImSommer 1925 hatten Oststeinbeks „Solidaritätler"einenaußerordentlichen Grund zumFeiern. VollerStolz weihtendieMitglieder imRahmeneinesSommerfestes ihrBannerein.Dasursprüngliche Gartenfest mußte wegen schlechter Wetterlagein denSaaldes VereinslokalsBehnverlegt werden.

Zu den traditionellen Veranstaltungen, die von den Ost-steinbekerRadlern besucht wurden,zähltendieFeiern zum1.Mai im benachbarten Schiffbek. Schiffbek, heute ein OrtsteilvonHamburg-Billstedt,gehörtebis zum Jahre 1937 zum KreisStormarn undhattesich seit dem Beginn unseres Jahrhundertszueiner Industrie-Gemeinde entwickelt.Im Rahmen der ver-gnüglichen Veranstaltungen traten die „Solidaritäts"-Radlerals Kunstfahrergruppe zur Freude und Begeisterung der zahl-reichen Gäste auf.Leider bliebendie Jahre für die Radfahrernichtsounbeschwert. Dieaufkommende Weltwirtschaftskrise,die Spaltung der Arbeiterbewegung und dasAufkommen desNationalsozialismuslassensichindenBundes-Jahrbüchern derfrühen dreißiger Jahre deutlich ablesen: „Die Mitgliederzahldes Bezirks konnte 1931 auffrüherer Höhegehalten werdentrotz Spaltungsarbeit von Rotsport und schlechter Wirtschafts-lage. Der Saalsport wird, wie immer, rege betrieben. Doch esfällt den Ortsgruppen schwer, die Licht- und Saalmiete aufzu-bringen."3

Ein Jahr später zeichnet Rudolf Basedau, Bezirksleiter fürden 6. Bezirk, folgendes Bild: ,Auch im Jahre 1932 war keinnennenswerter Mitgliederverlust zu verzeichnen, obgleich inmanchenOrtsgruppen dieMitglieder zu100Prozent erwerbslossind. Die meisten Motorradfahrer des Bezirks haben ihreMaschinenabmelden müssen. ImSaalsport wirdgutgearbeitet.Im Werbemonat ist es geglückt, die Ortsgruppe Schwarzenbek

3 Bundes-Jahrbuch 1931/1932 desA.R.K.B. Solidarität S. 18.

Fahrer des Ostsleinbeker A.R.V., ca.1920.

199

Page 4: PeterHartmann DieArbeit Arbeiter-Rad-und „Solidarität Ortsgruppe … · 2008-07-31 · wurde für dietäglichenFahrtenzur Arbeitbenutzt,umdas Geldfür dieöffentlichenVerkehrsmittelzusparen.Aufdem

zu gründen. Infolge Eingemeindung wurden die OrtsgruppenSchiffbek, OejendorfundKirchsteinbekzuder OrtsgruppeBill-stedt zusammengefaßt. "4

Mündlich überliefert ist der letzte öffentliche Auftritt vordem Verbot durch dieNationalsozialisten. Während einesSil-vesterballs zum Jahreswechsel 1932/33 führten die Oststeinbe-ker ihre Fahrkünste in der Nachbargemeinde Schönningstedtim GasthausFürböter einembegeistertenPublikum vor.

Nach der Machtübernahme durch die Nazis 1933 wurdensämtliche Arbeitervereine verboten und deren Vermögenbeschlagnahmt. Als einige Braunhemden aus der GemeindeWillinghusen im Vereinslokaldas Banner,die Saalmaschinenund den Aktenschrank „einkassieren" wollten,gingen sie leeraus. Die Oststeinbeker hattendavon „Wind bekommen" undalleGegenstände vorher aus demLokal geschafft und beiver-schiedenenMitgliedern in Sicherheit gebracht. Dieoberfläch-lich durchgeführten Haussuchungen bei einigen Mitgliedernblieben erfolglos.

Daß die Grenze zwischen Arbeiterbewegung und National-sozialismus manchmal quer durch die Familien ging, mag fol-gende Oststeinbeker Begebenheit verdeutlichen. Die BrüderRobertund OttoRiebeselentstammten einersozialdemokrati-schen Familie. Beide waren aktiveMitglieder der „Solidariät".Otto folgte der neuen „Heilslehre" und wurde Mitglied derNSDAP. Sein Bruder blieb Sozialdemokrat und wurde nachdem Krieg ein angesehener Gemeindevertreter. Als es darumging, das Banner vor dem Zugriff der braunen Herrscher zusichern,versteckte es Robert auf dem DachbodenseinesBru-ders Otto. Hier schien es ihm am sichersten aufgehoben zusein.Mit Ausnahme einiger Mottenlöcherhat das Banner das„Tausendjährige Reich" überdauert. ,Auf dem Dachbodenhaben wir heimlich geübt", erinnert sichWilli Soltau, „undalsdasmitdenNazis zuEnde war,brauchten wirnurLuftaufpum-penund die „Soli" war wieder da", scherzt er weiter.

4 Bundes-Jahrbuch 1932/1933 desA. R.K.B. Solidarität S. 23.

Etwa 1926 konntesich der Verein dieersten Saalmaschinenkaufen.

200

Page 5: PeterHartmann DieArbeit Arbeiter-Rad-und „Solidarität Ortsgruppe … · 2008-07-31 · wurde für dietäglichenFahrtenzur Arbeitbenutzt,umdas Geldfür dieöffentlichenVerkehrsmittelzusparen.Aufdem

Wiederaufbau undHöhepunktedesVereins nach1945

Nach dem Zusammenbruch des faschistischen Regimes lagDeutschland in Schutt und Asche. Oststeinbek war von denunmittelbaren Kriegseinwirkungen im Vergleich zu anderenOrten weitgehendverschont geblieben. Aber inder Gemeindedrängten sich Flüchtlinge aus den Ostgebieten und ausge-bombteHamburger. ElementareAufgaben, diedas Überlebensicherten,mußten bewältigt werden. An einenWiederaufbauder „Solidarität" dachte zunächst niemand. Auch war derSportbetrieb von den Besatzungsmächten generell untersagtworden. Die seit 1933 gleichgeschalteten bürgerlichen Sport-vereine mußten erst „entnazifiziert" werden.Beiden ehemali-gen Arbeitersportvereinen brachte eine Neugründung nochgrößere Schwierigkeiten mit sich, sollte der Sport doch nachAuffassung der Alliiertenfrei seinvonpolitischer Ausrichtung.Große Verluste hatte der 2. Weltkrieg der Gruppe der Ost-steinbekerSportler gebracht. Dennoch wurde der Verein wie-deraus kleinsten Anfängen aufgebaut. Jene, die vor1933demVerein angehörten, und einige Jüngere widmeten sich demRadsport. BesondersdemEinsatzunddempersönlichenEnga-gement von Robert Riebesel und Emil Soltau, dem langjähri-gen VorsitzendennachdemKrieg, ist es zuverdanken, daß derSportbetrieb wieder aufgenommen werdenkonnte. Die Neu-gründung erfolgte am 29.März 1947.3

Aufwärts ging es, „alsdie Mark wiedereineMark war",alsonach der Währungsreform. Die ersten öffentlichen Startsbrachten einen deutlichen Mitgliederzuwachs.Die Oststeinbe-ker Gruppe nahm an den ausgeschriebenen Meisterschaftenteil, nachdem sich wieder ein Landesverband konstituierthatte.

Einbesonders freudiges Ereignis war der GewinnderNord-deutschenMeisterschaft im Jahre 1951.Die ersteMannschaftim 4er Steuerrohr6 mit Theodor Westphal, Karl Adolphi, Wer-ner Rathund Werner Nohr hatte damit die Startberechtigungzur Bundesmeisterschaft am 4. und 5. November in Sindelfin-gen erkämpft. Die Teilnahme stand aber keinesfalls fest. Esbedurfte noch eines regen Schriftwechsels mit verschiedenenVerbandsinstanzen, um die Oststeinbeker Teilnahme zusichern. Überglücklich siegte die Mannschaft in Sindelfingenmit 157,5Punkten und brachte denTitel mit nach Hause.DerVorsprungzudem Zweitenbetrug glatte 13 Punkte.Der „Rad-lerundKraftfahrer",OrgandesArbeiter-undKraftfahrerbun-des„Solidarität", berichtet inder Dezemberausgabe 1951u. a.„DieHamburger Teilnehmerhattensich Urlaubgenommen. Siefuhren nichtgleich wieder nachHause, sondern Gauvorsitzen-der Antony fuhr nach denMeisterschaften, von denen sich Ost-steinbek auch einen Titel mit nach Hause nehmen konnte mitihnen durch Süddeutschland, umeinmal eine andereLuft ken-nenzu lernen, als ander Waterkant weht. MitfröhlichemHum-mel-Hummel steigensie imVerlauf ihrer Reise auch imBundes-büro ab."Die Siegesfeier wurde in der festlich geschmücktenGastwirtschaft Behnunter Anwesenheit derGauvorstandsmit-glieder Sänne, Antony, Dahlke und Garvs sowie den nochlebenden Gründungsmitgliedern Hermann Schulz, Wilhelm

5 Im Protokollbuch des A.R.K. B...Solidarität"Oststeinbek ist u.a. ver-merkt,daß „23 Mann" ander Wieder-gründungsversammlung teilnahmen.Weiter heißt es: „Auf einstimmigenBeschluß schließt sich der Ortsverein,der sichnach dem alten Namen .Fahrwohl' nennt, dem Rad- und Kraftfah-rerbund .Solidarität' an."

6 Eine Disziplin im Kunstradfahren,bei der vier Fahrer eine Mannschaftbildenund bestimmte Figuren fahrenmüssen.

201

Page 6: PeterHartmann DieArbeit Arbeiter-Rad-und „Solidarität Ortsgruppe … · 2008-07-31 · wurde für dietäglichenFahrtenzur Arbeitbenutzt,umdas Geldfür dieöffentlichenVerkehrsmittelzusparen.Aufdem

Grünitz undRudolf LutherbegangenEinJahr später errang die gleiche Mannschaft inNeumün-

ster wieder dieNorddeutsche Meisterschaft. VondenOststein-bekern wurde noch eineMeisterschaft inNeumünster gewon-nen.Die Junioren des 6er Steuerrohrreigen7 hattensich eben-falls für die „Deutschen" am 4. und 5. Oktober in Würzburgqualifiziert. Gegen starke Konkurrenz aus Süd- und West-deutschland setzte sich der „Westphal-Vierer" durchund ver-teidigte denTitelmit 315,0Punkten.Die Junioren wurdenmitEmil Leis, Reimund Serveis, Walter Lindemann, ManfredKoall, Peter Jankowiak und Horst Loleit Vizemeister.BeideEreignisse löstenimVerein, inder Gemeindeundder näherenUmgebungeine große Freudeaus, wiePresseberichtebelegen.

Als Dank und Anerkennung für die betriebene Aufbauar-beit wurde Oststeinbekim September 1952Austragungsort fürdie Gaumeisterschaft im Saalsport. Insgesamt hattendreizehnVereine mit insgesamt dreißig Mannschaften ihre Teilnahmegemeldet. In zehnminütigem Abstand starteten die Mann-schaften und Einzelfahrer und führten denPunktrichternundzahlreichen Zuschauern im Saal der „Gaststätte Behn" ihreLeistungen vor. Einen trefflichen Einblick in die damaligeSituation der Gemeindevermitteln die Grußworte des ehren-amtlichen Bürgermeisters OttoBehn: „Das DorfOststeinbekist ein aufstrebender Ort, der mit allen Mitteln versucht Woh-nungund Heimfür Vertriebene und Einheimische zuschaffen.Sportverein, Radfahrer- und Sängerbund werden von derGemeindetatkräftiggefördert.DerSport isteineSache, dieStadtund Dorf verbindet. Der Sport schafft eine Atmosphäre desVertrauens innerhalb unseres Volkes und zeigt der Welt unsereFriedensliebe."

Ein weiterer Höhepunkt in der Geschichte der Oststeinbe-ker „Solidarität"wardas50jährige Jubiläum imJuli1954. ZweiGründungsmitglieder, Wilhelm Grünitz und Rudolf Luther,konnten diesesFestnoch miterleben. Ineiner offenenKutschewurdensie währenddesUmzuges vonOttoRiebesel durchdasDorf gefahren. Die Organisatoren hatten keine Mühegescheut, diesen Tag für die Bevölkerung Oststeinbeks unddenRadsport zu einem unvergeßlichen Erlebnis zugestalten.Diese Jahre lassen sich rückblickend in der Vereinsgeschichteals die „goldenen Jahre"bezeichnen.Der Vereinverfügte übereinausgezeichnetes Sportmaterial, 12 Saalmaschinen,3Kunst-maschinenund über einengutenNachwuchs.

1Disziplin im Kunstradfahren mitsechs Fahrern ineiner Mannschaft.

OststeinbekerRadfahrer im Spiegeldes Landesverbandes

Einen interessantenEinblick in das Engagement der Oststein-beker „Solidarität" geben die Landestagsberichte und derenProtokolle, von denen einige für den Aufsatz herangezogenwerden konnten. Auf dem Landestag 1958 bemängelten dieOststeinbeker,daß keinLandesvorstandsmitglied denWeg zuihrer Jahreshauptversammlung gefunden hatte, obwohl recht-zeitig dazu eingeladen worden war. Werner Nohr berichtetedenDelegierten, daß in Oststeinbek der Beschluß gefaßt wor-den sei, „jeglichen Sportverkehr mit dem BDR (Bund Deut-scher Radfahrer, P. H.) abzulehnen.

"8 Die Oststeinbeker for-

8 Auf oberer Verbandsebenc bahntesich allmählich eine ZusammenarbeitdesArbeiterradsportsmitdembürger-lichen BDR an. Der BDR war Mit-glied des Deutschen Sport Bundes(DSB), die „Solidarität"wurdeeserstnach langwierigenProzessen 1977.

202

Page 7: PeterHartmann DieArbeit Arbeiter-Rad-und „Solidarität Ortsgruppe … · 2008-07-31 · wurde für dietäglichenFahrtenzur Arbeitbenutzt,umdas Geldfür dieöffentlichenVerkehrsmittelzusparen.Aufdem

derten weiterhin,den Breitensport stärker als den „Spitzen-sport" zu fördern.Gerade in der Betonung des Breitensportsunterschiedsich der Arbeitersport vom bürgerlichen Sport.

Als es nach mehrmaligen Bemühungen nicht möglichwar,einenLandeskassierer zu wählen,schlugdie VersammlungdenOststeinbeker Karl Adolphi vor. Er nahm den Vorschlag anund „wurde einstimmig zum Kassierer gewählt".

Mit einer wahren Antragsflut warteten die Oststeinbeker zudem Landestag 1961 inBoberg, Lokal „Zur Fernsicht",auf.Die weitgespannte Palette der Anträge gibt einen Einblick in

die vielfältigen Probleme des damaligen Radsportes.Mitihrer Auffassung,sportliche Kontakte ohnedenBDRzu

pflegen,konntensichdie Oststeinbekernicht durchsetzen.DerBDR war Austräger der gemeinsamen Hamburger-Meister-schaft im Kunst- und Reigenfahren. Der Landesbericht von1960 berichtet darüber: „Die Oststeinbeker Ortsgruppe warallein mit 8 Mannschaften vertreten und konnten 6 Landestitelerwerben. Besonders der Nachwuchs der Oststeinbeker Orts-gruppe zeigte bemerkenswerte Leistungen."

Anträge der Ortsgruppe Oststeinbekzum Landestag 1961.

203

Page 8: PeterHartmann DieArbeit Arbeiter-Rad-und „Solidarität Ortsgruppe … · 2008-07-31 · wurde für dietäglichenFahrtenzur Arbeitbenutzt,umdas Geldfür dieöffentlichenVerkehrsmittelzusparen.Aufdem

Aus weiteren Aufzeichnungen geht hervor, daß im Jahre1972 in der Oststeinbeker Turnhalle Landes-Lehrgänge fürGruppen- und Kunstfahren stattfanden.

Im gleichen Jahr war Oststeinbek Austragungsort für dieHamburger Jugendmeisterschaft im Hallenradsport.

Für die 40jährige Mitgliedschaft wurde BrunoDümmel mitder goldenen Bundesnadelgeehrt; ebenso der 4er mit Steuer-rohr.

Über dasSolidaritäts-Heim inBörnsen

In einem Antrag der Oststeinbeker auf dem Landestag inBoberg 1961 wurde bereits auf das Heim hingewiesen. DieNotwendigkeit einer Telefonanlage fand die breite Zustim-mung der Versammlung. Verschiedene Vereine und Einzel-mitglieder gaben dempositiv verabschiedeten Antrag die not-wendige materielleUnterstützung und stifteten insgesamt 225Mark. Oststeinbek war daran mit 100Mark beteiligt.

Begonnen hatte es mit dem Heim im Jahre 1927. Darüberberichtet das Buch „Arbeiterkultur in Hamburg um 1930":„Als 1927 eine Festwoche in Rothenburgsort (Stadtteil vonHamburg, P. H.)finanziellen Gewinnbringt, kauft die dortigeSolidaritätsabteilungein7500Quadratmeter-Grundstück inderDahlbeckschlucht bei Börnsen { Schleswig-Holstein), auf demeine ehemalige Polizeibaracke aufgebaut wird. 1931/32 finan-ziert die Stadt Hamburg die Ausbauarbeiten, den FreiwilligenArbeits-Dienst (ADF) vonetwa 40Erwerbslosenbei Weiterzah-lungdes Arbeitslosengeldes, freier Unterkunft und Verpflegung.Vor allem Ältere nutzten das Heim im Grünen, doch als alleseinigermaßen fertig war, war es auch schon wieder weg. DieHamburger Polizeibeschlagnahmte1934 dasHeim, dessen Trä-ger der Verein Erholungsheim Dahlbeckschlucht war. Börnse-ner Nazis hatten es vorher beschmiert und Bauern es als rote

Nach dem Kriege diente das Heim wieder als Erholungs-heim. Es wurde von den Jugendlichen oft als Ferien- undWochenendziel aufgesucht. Als es später für den Verbandfinanziellnicht mehr tragbar war, verkaufte es der Landesver-band an die Gemeinde Börnsen.

Höllebezeichnet." (S. 197)

204

Page 9: PeterHartmann DieArbeit Arbeiter-Rad-und „Solidarität Ortsgruppe … · 2008-07-31 · wurde für dietäglichenFahrtenzur Arbeitbenutzt,umdas Geldfür dieöffentlichenVerkehrsmittelzusparen.Aufdem

DerallmählicheNiedergang desVereins und diespätere Auflösung

Der langsameNiedergangzeichnetesich allmählich ab.KonnteimJahr1951demKreissportverband eineZahlvon102 Mitglie-derngemeldet werden,so sankdiese bis zumJahre 1964auf51Mitglieder ab. Erschreckend war der Rückgang der jugendli-chen Mitglieder. In den letztenJahren hatte kaum Saalsportbetrieben werden können. Einzelne Fahrer mußten ihrenDienst bei der Bundeswehr ableisten. Es war schwer, eineMannschaft über einen längeren Zeitraum beisammen zuhal-ten. Auch das InteressederJugendlichen hattesich verlagert.Sie zogen andere Sportarten vor. Hinzu kam ein ständigerTrainermangel. Niemand fand sichbereit, sich dieser Aufgabeanzunehmen, obwohl der Verein über erfahrene Kunstfahrerverfügte.

DasFahrrad hattedarüber hinaus auch seineBedeutung alsVerkehrsmittel verloren. Das Autoals fast geheiligtes Indivi-dualverkehrsmittel hatteseinen bis heute ungebrochenen Sie-geszug angetreten.

Im August 1964 feierte die Oststeinbeker „Solidarität" ihr60jähriges Bestehen in einem kleinen festlichen Rahmen. Inder wechselvollen Vereinsgeschichte bis 1964konnte die Ost-steinbeker Ortsgruppe einebeachtenswerteErfolgsbilanz vor-weisen

Die verschiedenenMannschaftendes Vereinserrangen:11Bezirksmeisterschaften12 Hamburger Meisterschaften4 Landesmeisterschaften9NorddeutscheMeisterschaften2 Deutsche Meisterschaften2 Deutsche Vizemeisterschaften2 Dritte Plätzebei denDeutschenMeisterschaften

Alsder Radsport inOststeinbek imLaufe der folgenden Jahrevöllig erlahmte, entschlossen sich die restlichen MitgliederschwerenHerzens,die Ortsgruppe aufzulösen.EinAbschieds-fest wurdegefeiert. DasVereinsvermögenwie Saalmaschinen,Banner und Anschlagtafel wurden an die Mitglieder verteilt.DieAnschlagtafel, einGeschenkzum 50jährigenBestehenderOrtsgruppe, unddas Banner, reich verziert und handgestickt,heute kaum mehr zu bezahlen, sind in denBesitz des SPD-Ortsvereins Oststeinbek-Havighorst übergegangen.

Bei besonderen Anlässen wird das Banner entfaltet,schmückt den Versammlungsraum und erinnert die Gäste andie Traditionder Arbeiterbewegung inunserer Gemeinde.

Kunstfahrer der Jugendgruppe, ca.1954.

Quellen und LiteraturMündliche Ausführungen vonHans Behn, Willi Soltau, HenryGrünitz und Werner NohrAktenmappe des A.R.K.B. Solidariät, Ortsgruppe Ost-steinbekBedun, Ralf: Die Roten Radler, Illustrierte Geschichte desArbeiterradfahrerbundes „Solidarität", Münster 1982Berichte des Landesverbandes bzw. Protokolle der Landes-tage: 1958,1960, 1961, 1964, 1973 und Hamburger Landesju-gendtag1973Billstedt und Homer Anzeiger, 6. August 1964

205

Page 10: PeterHartmann DieArbeit Arbeiter-Rad-und „Solidarität Ortsgruppe … · 2008-07-31 · wurde für dietäglichenFahrtenzur Arbeitbenutzt,umdas Geldfür dieöffentlichenVerkehrsmittelzusparen.Aufdem

Bundes-Jahrbuch1931/32 und 1932/1933 des A.R.K.B. Soli-darität,Sitz Offenbach am MainDortmund kulturell 1985, hrsg. v. Museum für Kunst undKulturgeschichte der StadtDortmund, S. 115-122Festschrift zum 50jährigen Jubiläum, Juli 1954Handbuch für die Mitglieder des A.R.K.B. Solidarität,Offenbach 1927Heimatbeilage des „Hamburger Echo"Nr. 268,77. JahrgangProgramm der Gaumeisterschaft Gau 5 im Hallensport„Radler und Kraftfahrer", Dezember 1951 und November1953„Soli-Telegraphmeldet imNovember 1968"Flugblatt desLan-des-Verbandes Hamburgdes A.R.K.B.SolidaritätVorwärts - und nicht vergessen, Arbeiterkultur inHamburgum 1930, hrsg. v. d. Projektgruppe Arbeiterkultur Hamburgim Auftrag d. Kulturbehördeder Freien u. Hansestadt Ham-burg,Hamburg1982

206

Page 11: PeterHartmann DieArbeit Arbeiter-Rad-und „Solidarität Ortsgruppe … · 2008-07-31 · wurde für dietäglichenFahrtenzur Arbeitbenutzt,umdas Geldfür dieöffentlichenVerkehrsmittelzusparen.Aufdem

207

Page 12: PeterHartmann DieArbeit Arbeiter-Rad-und „Solidarität Ortsgruppe … · 2008-07-31 · wurde für dietäglichenFahrtenzur Arbeitbenutzt,umdas Geldfür dieöffentlichenVerkehrsmittelzusparen.Aufdem