Pflegewelt – Ausgabe 01/2016

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Ausgabe 1 - Januar 2016 Sonderedition zur 2. Berliner Pflegekonferenz Staatssekretär Karl-Josef Laumann zu den zentralen Herausforderungen der Pflege Stetige Veränderung Prof. Dr. Sandra Bachmann über die Akademisierung in der Pflege Palliative Care Aus indischer Perspektive auf Fragen in Deutschland blicken Ein Gespräch mit Prof. Dr. Becker–Ebel + exklusive Interviews + Otto Heinemann Preis 2015 + Marie Simon Pflegepreis 2015 + und weitere Highlights...

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Sonderedition zur 2. Berliner Pflegekonferenz

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Ausgabe 1 - Januar 2016Sonderedition zur 2. Berliner Pfl egekonferenzSonderedition zur 2. Berliner Pfl egekonferenz

Staatssekretär Karl-Josef Laumann zu den zentralen Herausforderungen der Pflege

Stetige VeränderungProf. Dr. Sandra Bachmann über die Akademisierung in der Pflege

Palliative CareAus indischer Perspektive auf Fragen in Deutschland blicken

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Becker–Ebel

+ exklusive Interviews + Otto Heinemann Preis 2015 + Marie Simon Pfl egepreis 2015

+

und weitere Highlights...

OT TO H E I N E M A N N P R E I S 2 0 1 6

Z U R V E R E I N B A R K E I T VO N B E RU F U N D P F L E G E

Wir suchen Vorbilder für eine

pflegefreundliche Arbeitswelt – bundesweit!

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird in immer mehr

Unternehmen zu einem wichtigen Thema. Vor dem Hintergrund der

demografischen Entwicklung und des absehbaren Fachkräftemangels

rücken dabei auch Erwerbstätige,

die gleichzeitig Familienangehörige pflegen müssen,

zunehmend in den Fokus der Arbeitgeber.

Gesucht wird daher das innovativste Unternehmen,

das in herausragender Weise für seine Beschäftigten optimale

Bedingungen zur Vereinbarkeit von Pflege und Arbeit schafft und

mit Ideenreichtum und unternehmerischer Weitsicht

auf das Wohl seiner Angestellten zielt.

Bewerbungsschluss: 31.8.2016

Alle Informationen rund um die Ausschreibung auf

www.otto-heinemann-preis.de

04

Yves Rawiel+

Geschäftsführer spectrumK Veranstalter der Berliner Pflegekonferenz

Garantie, dass ihr Engagement und Einkommen auch ihr

Auskommen sichert. Vieles wird bereits auf gesetzlichem

Wege eingeleitet. Aber bei allen Reformbemühungen

muss deutlich werden, dass das System dem Menschen

dient und nicht umgekehrt. Den bestehenden Konflikt

zwischen Pflegeversicherung und Kommune gilt es daher

durch ein geeignetes Case-Management zu überwinden

und unser gemeinsames Ziel muss es sein, ein umfassen-

des Coaching-Modell für Familien zu etablieren, damit

Angehörige in die Lage versetzt werden, auch zuhause zu

betreuen.

Ungeachtet aller Paragrafen und Richtlinien kann uns dies

aber nicht aus der Verantwortung entlassen, selbst etwas

dafür zu tun, dass aus unserer alternden Gesellschaft eine

familien- und altersfreundliche Gesellschaft wird. Viele

Beispiele, Anregungen und Positionen hierzu haben wir

auf der 2. Berliner Pflegekonferenz vorgestellt und disku-

tiert. Einige davon haben wir in unserem Magazin zur Kon-

ferenz noch einmal für Sie zusammengefasst und doku-

mentiert. Ich hoffe, dass viele der guten Ideen und Ansätze

den Weg in unseren Alltag finden, und wünsche Ihnen eine

spannende „Nachlese“.

Herzlichst Ihr

Yves Rawiel

05

„Der Wert einer Gesellschaft zeigt sich darin, wie sie mit

ihren alten Menschen umgeht.“ Dieses alte japanische

Sprichwort ist heute aktueller denn je. Wir leben in einer

alternden Gesellschaft, der demografische Wandel schrei-

tet in großen Schritten voran – und auch der derzeitige

Flüchtlingsstrom wird nicht verhindern, dass statistisch

gesehen immer weniger junge Menschen auf immer mehr

ältere treffen werden. Aber ist das wirklich ein Problem?

Mitnichten. Ja, unsere sozialen Sicherungssysteme stehen

vor großen Herausforderungen – und gewiss: Die Genera-

tionengerechtigkeit wird vor eine Geduldsprobe gestellt.

Doch wir alle sollten uns über die gewonnenen Lebensjah-

re freuen, statt über „die Alten“ und das Altern zu lamen-

tieren! Die Statistik besagt, dass jedes zweite neugebore-

ne Kind in Deutschland heute die Chance hat, 100 Jahre

alt zu werden. Meine Kinder werden sich also hoffentlich

auf ein langes Leben freuen können!

Damit aus der Chance auf ein langes, aber auch ein er-

fülltes Leben werden kann, müssen wir umdenken und

entsprechend handeln: Pflege und Beruf müssen wie

Kindererziehung und Beruf besser vereinbar werden, Ar-

beitgeber müssen ihre Mitarbeiter so lange wie möglich

so gesund wie möglich halten – Stichwort betriebliche Ge-

sundheitsförderung –, und pflegende Angehörige und pro-

fessionell Pflegende brauchen mehr Anerkennung und die

Editorial

06

Inhalt

Editorial + 04Inhaltsverzeichnis + 06

Impressum + 74

Pfl egepolitik

08Zentrale Herausforderungen der Pflege

+Staatssekretär Karl-Josef Laumann

Bevollmächtigter für Pflege der Bundesregierung

09Kraftakt

+Dr. Gerd Landsberg

Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes

10Sektorengrenzen überwinden

+Franz Knieps

Vorstand des BKK Dachverbandes e.V.

11Vereinbarkeit von Pflege und Beruf

+Jürgen Hohnl

Geschäftsführer des IKK e.V.

Ausgabe 1 — Januar 2016Sonderedition zur 2. Berliner Pflegekonferenz

12Pflegepolitik ist Chefsache

+Im Gespräch mit Andreas Westerfellhaus

Präsident des Deutschen Pflegerates

Demografi e

14Der Mensch entwickelt sich von der Konzeption

bis zum letzten Atemzug+

Interview mit Prof. Dr. Ursula LehrBAGSO e.V.

16Hält Arbeit jung und gesund?

+Interview mit Prof. Dr. Victoria Büsch

SRH Hochschule Berlin

18Für eine neue Sichtweise auf das Alter

+Prof. Dr. Hermann Brandenburg

Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar

20Die Midlife—Boomer

+Warum es nie spannender war, älter zu werden —

und warum Ältere immer bessere Karten im Arbeitsmarkt haben

Margaret Heckel

07

Pflegepraxis

22Gewaltprävention in der Pflege

+Interview mit Dr. Ralf Suhr

Zentrum für Qualität in der Pflege

24Malteser und Silviahemmet

+Interview mit Dr. med. Ursula Sottong

Malteser Deutschland gemeinnützige GmbH

28Ambulant und stationär

+Interview mit Dieter Wopen

Marseille–Kliniken AG

30Vereinbarkeits—Dilemma

+Eva Prinz

Commerzbank AG

33Selbstbestimmtes Leben

+Thomas Nöllen

spectrumK GmbH

343 Fragen

+Daniel BahrAllianz AG

Die Veranstaltung

35Impressionen zur 2. Berliner Pflegekonferenz

+Fotos, Berichte & die Preisträger

38Otto Heinemann Preis 2015

+Pflege und Beruf — Vom Tabuthema zur Normalität?

43Die Enkelin

+Frau Prof. Dr. Uta Ranke-Heinemann

46Marie Simon Pflegepreis 2015

+Ein Pflegeprojekt, das Schule machen sollte.

Pflegeausbildung

52Wir brauchen eine Revolution

+Prof. Dr. Michael Ewers

Charité Berlin

56Pflege — die Disziplin der Zukunft

+Prof. Dr. phil. Christian Rester

Technische Hochschule Deggendorf

58Stetige Veränderung

+Prof. Dr. Sandra Bachmann

Hochschule für Gesundheit Bochum

Palliativversorgung

63Der Tod gehört zum Leben

+Prof. Dr. med. Winfried Hardinghaus

Deutscher Hospiz- u. PalliativVerband e.V.

64Der Mensch fürchtet sich mehr vorm Sterben

als vor dem Tod+

Dr. Erika PreisigStiftung Eternal Spirit/ CH

66Palliative Care

+Prof. Dr. Jochen Becker-Ebel

MediAcion

08

Weichen gestellt. Jetzt kommt es darauf an, ganz konkret

vor Ort diesen gesetzlichen Rahmen mit Leben zu füllen.

Ich bin der festen Überzeugung, dass hierbei der Ausbau

der Tagespflege eine ganz zentrale Rolle spielt: Angehöri-

ge werden dadurch spürbar entlastet und Pflegebedürfti-

ge bekommen ein Angebot, das ihnen sinnvolle Beschäfti-

gungen und soziale Kontakte ermöglicht und somit ihrem

Alltag Struktur geben kann.

Rund 20 Jahre nach ihrer Einführung steht die Pflegever-

sicherung auf einem stabilen und jetzt auch modernen

Fundament. Denn mit den Pflegestärkungsgesetzen und

dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff machen wir die

Pflege zukunftssicher und gerechter. Das ist auch nötig,

denn der demografische Wandel ist real: Auf absehba-

re Zeit werden wir jedes Jahr zwei bis drei Prozent mehr

Pflegebedürftige in unserem Land haben.

In diesem Zusammenhang beschäftigt mich erstens die

Frage, wie es uns gelingt, dass sich auch künftig genügend

Menschen für den Pflegeberuf entscheiden. Dazu gehört

vor allem ein angemessener und fairer Verdienst. Und

deshalb brauchen wir endlich auch in der Pflege flächen-

deckend Tariflöhne. Wichtig ist zudem die Reform der

Pflegeausbildung im Sinne der Generalistik. Dies wird die

Bundesregierung mit dem geplanten Pflegeberufsgesetz

angehen. Damit wird dann auch das Schulgeld, das in eini-

gen Bundesländern noch für die Pflegeausbildung gezahlt

werden muss, endlich der Vergangenheit angehören.

Die zweite große Frage, die mich beschäftigt, ist, wie wir

die richtigen Angebote schaffen, um die Vereinbarkeit

von Familie, Pflege und Beruf zu stärken und dem Leben

der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen eine sichere

Struktur geben zu können. Mit den Pflegestärkungsge-

setzen der Bundesregierung wurden hierfür die richtigen

Zentrale Herausforderungen

der Pflege

Karl-Josef Laumann +

StaatssekretärBeauftragter der Bundesregierung für

die Belange der Patientinnen und Patienten sowie Bevollmächtigter für Pflege

www.patientenbeauftragter.de

Pflegeberuf attraktiver machen, Tagespflege ausbauen

09

Dr. Gerd Landsberg+

Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes

www.dstgb.de

Es war ein Kraftakt, ein kinderfreundliches Land zu er-

schaffen. Um auch ein alters- und familienfreundliches

Land zu werden sind noch eine Menge weiterer Schritte

erforderlich. Viele Arbeitgeber und auch viele Kommunen

haben die Notwendigkeit bereits erkannt, sich für ihre

Mitarbeiter und darüber mittelbar für deren Angehörige

einzusetzen. Für die Standortattraktivität ist nicht nur

entscheidend, dass ein Arbeitnehmer finanziell ausrei-

chend ausgestattet ist, sondern auch, dass lokale Akteure

einschließlich der Kommunen und der Unternehmen ein

soziales Umfeld gestalten – ein Umfeld, das es den Men-

schen ermöglicht, Familie und Beruf miteinander in Ein-

klang zu bringen. Aus Sicht des Deutschen Städte- und

Gemeindebundes ist es Aufgabe von Arbeitgebern und

der öffentlichen Hand, eine solche familienfreundliche

Umgebung zu schaffen. Deshalb ist es sinnvoll, wie auf der

Berliner Pflegekonferenz, die richtigen Fragen zu stellen

und aktiv nach Antworten zu suchen. Erste Ansätze, wie

Flexibilisierung von Arbeitszeiten oder Lokale Bündnisse

für Familie, weisen in die richtige Richtung.

KraftaktEin Statement von

Dr. Gerd Landsberg

Pflegepolitik

10

ihre Altvorderen das Privileg der Weißkittel mitnichten

für gottgegeben halten.

Pflegebedürftigkeit im Kontext der Pflegeversicherung

ist keine medizinische Diagnose, sondern eine komplexe

fachwissenschaftliche und sozialrechtliche Konstruktion.

Diese Konstruktion verlangt Antworten, die von gesamt-

gesellschaftlicher Verantwortung und Handeln geprägt

sind. Der eigentliche Paradigmenwechsel kommt erst zu-

stande, wenn wir Pflege gemeinsam neu denken, wenn

sich Krankenversicherung und Pflegeversicherung aufei-

nander zubewegen und wenn Beratungskompetenz der

Kassen, professionelle Pflegeangebote und kommunale

Infrastrukturplanung ineinandergreifen, damit Menschen

in ihren Wohnungen und in ihren gewohnten Nachbar-

schaften alt werden können. Und vor allem muss das pro-

fessionelle System endlich den Wunsch der Menschen re-

spektieren, möglichst lange selbstständig leben zu können.

Das deutsche Gesundheitswesen ist im internationalen

Vergleich sehr leistungsfähig, aber auch durch Abgren-

zung und erstarrte Strukturen geprägt. Hiervon ist die

Versorgung pflegebedürftiger Menschen nicht ausge-

nommen. In der Debatte können wir uns eine künstliche

Trennung zwischen kurativer medizinischer Versorgung

und Pflege nicht länger leisten. Wir orientieren uns in

beiden Bereichen zu wenig am Krankheitsverlauf der Pa-

tienten und am wirklichen Bedarf von Pflegebedürftigen.

Zudem hatten wir bisher zu sehr die Defizite der Betrof-

fenen im Blick. Erst jetzt betont das PSG II den Grad der

Selbstständigkeit und legt damit die Grundlage für einen

Paradigmenwechsel hin zur Ressourcenorientierung. Sol-

che Paradigmenwechsel sind allerdings keine Selbstläu-

fer, sie benötigen die richtige politische Weichenstellung,

die nicht an Sektorengrenzen haltmachen darf und auch

die sozialen Sicherungssysteme Pflegeversicherung und

Krankenversicherung gemeinsam hin zu einer konsequen-

ten Patientenorientierung verändert.

Wir müssen Faktoren identifizieren, die zwei massive Hin-

dernisse überwinden. Die starren und seit Jahren folgen-

los beklagten Sektorengrenzen der Versorgung wurden

durch ein Anreizsystem hervorgebracht, das vor allem

von Finanzierungsinteressen der Leistungserbringer ge-

steuert ist. Dies wird zuverlässig flankiert von Standes-

vertretern, die bei einem Pyramidenbild des Gesundheits-

systems verharren – mit den Ärzten an der Spitze. Aber

in einer Gesellschaft, in der wir weniger, älter und zuneh-

mend chronisch krank werden, stellen sich junge, moti-

vierte und gut ausgebildete Pflegefachkräfte auf für ein

vernetztes, patientenorientiertes Arbeiten auf Augenhö-

he. Sie treffen auf eine Generation junger Mediziner, die

in Zeiten globaler Informationsvernetzung nicht länger

auf Abgrenzung und Abschottung setzen und anders als

Sektorengrenzen überwinden

Franz Knieps+

Vorstand des BKK Dachverbandes e.V.www.bkk-dachverband.de

Kranken- und Pflegeversicherung müssen sich aufeinander zubewegen

11

Der demografische Wandel ist mittlerweile zum geflü-

gelten Wort geworden. Das darf aber nicht darüber hin-

wegtäuschen, dass auf unterschiedlichen Feldern kon-

krete Maßnahmen erforderlich sind, um die sozialen

Sicherungssysteme nachhaltig zu stabilisieren. Es liegen

große Aufgaben vor uns zur Sicherstellung der medizini-

schen und pflegerischen Versorgung sowie zur finanziel-

len Absicherung. Die gesetzliche Krankenversicherung

muss aufgrund der einkommensabhängigen Finanzierung

immer auch die Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt im

Blick haben. Gerade für die Innungskrankenkassen als

unternehmensnahe Krankenversicherung ist die Unter-

stützung ihrer Betriebe, der Arbeitgeber wie der Versi-

cherten eine große Herausforderung. Insbesondere die

Handwerksbetriebe – in der Regel kleinere bis mittel-

ständische Unternehmen – spüren den Fachkräftemangel

deutlich und müssen die Aufgaben, die mit einer alternden

Belegschaft einhergehen, stemmen. Ein Thema ist unter

anderem die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege: Was tun,

wenn in einem Malerbetrieb, der gerade mal fünf Mitar-

beiter zählt – den Handwerksmeister eingeschlossen –,

sich einer davon plötzlich um einen pflegebedürftigen

Angehörigen kümmern muss? Da sind dann Improvisati-

onskunst, Ärmelhochkrempeln und individuelle Lösungen

gefragt. Aber auch die Themen Gesundheitsförderung

und Prävention sind dabei wichtig: Wie kann es ein kleiner

Betrieb schaffen, dass seine Mitarbeiter möglichst lange

möglichst gesund bleiben? Und wie kann er das Arbeits-

umfeld so gestalten, dass es für den Nachwuchs attrakti-

ver wird? Solche und andere Fragen werden gerade bei

den Innungskrankenkassen ausgiebig diskutiert. Sie set-

zen sich deshalb ganz besonders dafür ein, Maßnahmen

der betrieblichen Gesundheitsförderung auszubauen und

die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu stärken.

Vereinbarkeit von Pflege und Beruf

Jürgen Hohnl+

Geschäftsführer des IKK e.V.www.ikkev.de

Wichtiger Baustein der betrieblichen Gesundheitsförderung

Pflegepolitik

12

Im Sommer hat das Bundeskabinett die jüngste Pflegereform gebilligt. Kern ist ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff. Künftig soll es nicht mehr drei Pflegestufen geben, sondern fünf Pflegegrade. Ist das in Ihren Augen sinnvoll?

Ja, sicher. Wir vom Deutschen Pflegerat haben an der Re-

form ja mitgearbeitet. Entscheidend ist, dass wir uns von

einer Defizit– zu einer Ressourcenorientierung hinbewe-

gen. Im Fokus steht, was der Mensch kann, wie man ihn

dabei unterstützen kann, nicht mehr wie früher, was er

nicht kann. Das ist nicht nur aus Sicht des Patienten abso-

lut sinnvoll, es entspricht auch sehr viel mehr dem profes-

sionellen Anspruch der Pflegenden.

Durch die Reform kommen aber auch große Probleme auf Sie zu. Da bei der Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade niemand schlechtergestellt werden soll,

werden eine halbe Millionen Menschen zusätzlich Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung haben. Ist das personell überhaupt zu leisten?

Das ist der Schwachpunkt an der Reform. Wenn nicht

sichergestellt ist, dass die zusätzlichen Leistungen, die wir

erbringen wollen, auch erbracht werden können, und zwar

von professionell dreijährig ausgebildeten Pflegenden,

wird sie zum Flop.

Vor zwei Jahren haben Sie gefordert, dass die Pflegepolitik zur Chefsache werden muss. Ist sie das heute?

An den Rahmenbedingungen der Leistungserbringer hat

sich bisher leider noch nichts geändert. Wenn nicht aus-

reichend Pflegende vorhanden sind, die nicht angemessen

bezahlt werden und Bedingungen vorfinden, unter denen

sie ihre Arbeit machen können, stehen wir demnächst vor

Pflegepolitik istChefsache.

Im Gespräch mit Andreas Westerfellhaus, Präsident des Deutschen Pflegerates

13

einem Scherbenhaufen. Man kann so viele Reformen ver-

ordnen, wie man will - wenn man niemanden hat, der das

leistet, wird daraus nichts.

Der Pflegeberuf ist nach wie vor wenig attraktiv. Viele springen schon in der Ausbil-dung wieder ab. Glauben Sie, dass sich unter diesen Umständen die personelle Frage in absehbarer Zeit lösen lässt?

Ich bin da optimistisch. Sonst wäre ich nicht im Ehrenamt

Präsident des Deutschen Pflegerates. Wir arbeiten mit

Hochdruck daran, den Beruf durch eine generalistische

Ausbildung zeitgemäßer und attraktiver zu machen. Wir

kämpfen um verpflichtende Personalschlüssel in allen

Sektoren, in der Altenpflege und in den Krankenhäusern.

Wir fordern von den Gewerkschaften, sich ohne Wenn

und Aber für eine Änderung der tariflichen Bezahlung

einzusetzen. Der Zug ist schon ins Rollen gekommen. Der

Pflegeberuf wird heute anders wahrgenommen als noch

vor einigen Jahren.

Noch mal zurück zur Ausbildung. Was meint die generalisierte Ausbildung?

Die drei bisher getrennten Ausbildungen Kinderkranken-

pflege, Altenpflege, Krankenpflege werden in eine neue

Pflegequalifikation überführt mit Schwerpunkt zum Bei-

spiel in der Pädiatrie oder Geriatrie. Die größere Durch-

lässigkeit in puncto Fachdisziplinen wird den Beruf ganz

sicher attraktiver machen.

Wie war das damals, als Sie sich für eine Ausbildung in der Pflege entschieden haben? Was hat Sie angetrieben?

Das ist schon relativ lange her. Ich habe den Beruf durch

Krankenhauspraktika und freiwillige Leistungen kennen-

gelernt. In der Ausbildung wurde mir schnell klar, wie

vielfältig er ist, welche enormen Chancen sich bieten, in

unterschiedlichsten Segmenten zu arbeiten. Auf der In-

tensivstation oder in der Geriatrie, in der Reha oder in

der Prävention, am Bett oder in der Lehre. Ich habe viele

Jahre am Bett des Patienten gearbeitet und mich später

dann für Management, Lehre und für die berufspolitische

Arbeit entschieden.

Letzteres ist ein sehr zeitintensives Ehren-amt. Es gibt 1,2 Millionen Pflegekräfte, das ist mit Abstand der größte Berufsstand im Gesundheitswesen.

Kann es sein, dass er politisch von Ehren-amtlichen vertreten wird?

Nein, deshalb brauchen wir eine größere Solidarität in

dieser Berufsgruppe. Wenn wir die mal haben, können wir

uns auch andere strukturelle Prozesse leisten.

Wer vertritt die Vielzahl von pflegenden Angehörigen?

Wir versuchen sehr intensiv, eine Brücke zwischen pro-

fessionellen Pflegenden und pflegenden Angehörigen zu

schlagen. Zu schauen, wo sind die Schnittstellen? Wo be-

darf es der gegenseitigen Unterstützung? Wir kommuni-

zieren eng mit Verbänden von pflegenden Angehörigen.

Dabei muss man immer auch im Auge behalten, wie weit

man in der Belastung des pflegenden Angehörigen gehen

kann und wo zwingend Profession einsetzen muss. Eines

ist klar: Ohne die Leistungen der Angehörigen und des Eh-

renamtes wäre das System längst kollabiert.

Vielen Dank für das Gespräch.

Andreas Westerfellhaus+

Präsident des Deutschen Pflegerateswww.deutscher-pflegerat.de

Pflegepolitik

14

Wie sind Sie als junge Wissenschaftlerin damals zum Thema Gerontologie gekommen?

Das war zu Beginn der 50er-Jahre. Ich bin Psychologin;

mich interessierte besonders Entwicklungspsycholo-

gie – und die endete im Alter von etwa Mitte 20 mit der

Berufsfindung und Familiengründung des Individuums.

Nach allen damaligen Lehrbüchern fand Entwicklung nur

in den ersten zwei bis drei Lebensjahrzehnten statt, war

eine „Ausfaltung von Anlagen“. Dann hat sich mein Leh-

rer, Prof. Hans THOMAE, intensiv mit den verschiedenen

Entwicklungstheorien auseinandergesetzt, diese kritisiert

und selbst Entwicklung definiert als „Veränderung des

Erlebens und Verhaltens auf dem Hintergrund des Kon-

tinuums eines Lebenslaufes“. So gesehen verändert sich,

entwickelt sich der Mensch von der Konzeption bis zum

letzten Atemzug. (Veränderung kann Zunahme, Abnahme,

qualitative Umstrukturierung, Gewinn von Potenzialen

und Kompetenzen, aber gleichzeitig auch auch Verlust von

Fähigkeiten und Fertigkeiten bedeuten). Dann suchten wir

durch empirische Untersuchungen Belege für diese Defi-

nition der „Entwicklung als Veränderung“. 1958 veröffent-

lichten wir die Ergebnisse einer Follow-up-Studie (mehr-

malige Untersuchungen der gleichen Personen über einen

längeren Zeitraum) zur „Leistungsfähigkeit älterer Arbeit-

nehmer“ und stellten fest, dass es keinen mit dem Lebens-

alter zu erklärenden Leistungsabbau gab. Nachdem wir

die 55-65-Jährigen erfasst hatten, interessierten uns die

Älteren. Durch die Stiftung Volkswagenwerk wurde eine

Längsschnittstudie (Männer und Frauen der Jahrgänge

Der Mensch entwickelt

sich von der Konzeption bis

zum letzten Atemzug

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Ursula Lehr

15

1890 bis 1910) finanziert, die von 1965 bis 1983 in zwei-

bis dreijährigem Abstand jeweils mehrere Tage lang psy-

chologisch, soziologisch und medizinisch untersucht wur-

den. Ergebnis: Es gibt keine Altersnormen, sondern nur

verschiedene Alternsformen. Die Anzahl der Lebensjahre

ist ein sehr fragwürdiges Kriterium für eine jede Alters-

grenze!! Schon 1968 forderte ich eine „Flexibilität der Al-

tersgrenze“, die jetzt nach bald einem halben Jahrhundert

der Realisierung etwas näher zu rücken scheint.

In meinem UTB-Taschenbuch „Psychologie des Alterns“

(1972) hatte ich mich erstmals mit dem Defizitmodell

des Alters auseinandergesetzt und dieses weitgehend

verworfen. Es war die erste deutsche wissenschaftliche

Arbeit, die ein positiveres Altersbild einleitete (11. A.

überarbeitet, 2007 – übersetzt ins Niederländische, Itali-

enische, Spanische, Türkische, Japanische). Das Thema Er-

forschung des Alterns ließ mich nicht mehr los, obwohl ich

auch andere Forschungsschwerpunkte hatte (Vergleich

Heimkinder/Familienkinder in den ersten drei Lebensjah-

ren; die Frau im Beruf; die Rolle der Mutter – und des Va-

ters – in der Sozialisation des Kindes u.a.m.)

Was hat sich von damals bis heute getan?

Gerontologie ist zu einem universitären Ausbildungsfach

geworden; 1986 hatte ich den ersten Lehrstuhl geschaf-

fen (Universität Heidelberg); Fragen zur „lebenslangen

Entwicklung“ und auch zur „Entwicklung im Alter“ werden

nun in jedem entwicklungspsychologischen Lehrbuch be-

handelt. Das Bild vom alten Menschen ist differenzierter

geworden. Die Politik befasst sich – seit 1989 – nun nicht

mehr nur mit Renten und Krankheiten im Alter, sondern

auch mit dem gesunden Alter, mit dem „Normal Ageing“,

mit dem Aktiven Alter (siehe Altenberichte der Bundes-

regierung). Ältere Menschen selbst sind aktiver, gesün-

der, engagementbereiter geworden. Die BAGSO bzw.

die durch sie vertretenen etwa 13 Millionen Seniorinnen

und Senioren in den 113 zur BAGSO gehörenden Verbän-

den spiegeln das sehr deutlich.

Und auch die Medizin hat erkannt, dass man durch Prä-

vention den Alternsprozess beeinflussen kann; dem Geri-

ater war das klar, aber erst ganz allmählich glaubt auch der

Hausarzt an Möglichkeiten einer Rehabilitation.

Was macht für Sie gutes Altern aus?

Nicht dem nachzutrauern, was früher besser, schöner,

leichter war, sondern sich an dem zu erfreuen, was noch

möglich ist, und diese Möglichkeiten zu nutzen. Altern

fällt leichter, wenn man mit großer Zufriedenheit auf sein

bisheriges Leben zurückschauen kann, wenn man manche

seiner Ideen in der jüngeren Generation weiterleben sieht.

Was muss noch getan werden, um unsere Gesellschaft nicht nur kinder-, sondern auch seniorenfreundlich zu machen?

Ich finde unsere Gesellschaft nicht gerade seniorenfeind-

lich. Sicher, zum Teil liegt es an den Senioren selbst, wie sie

auftreten, ob sie sich in andere, Jüngere, hineinversetzen

können – oder nur stur auf ihre Rechte pochen, ohne an

die Konsequenzen für die nachfolgenden Generationen

zu denken. Wir brauchen mehr Gemeinsamkeit zwischen

Jung und Alt (und Mittelalt!), denn auch manchen Jünge-

ren fällt es schwer, sich in gewisse Begrenzungen bei Se-

niorinnen und Senioren hineinzudenken und darauf Rück-

sicht zu nehmen.

Welche großen Chancen sehen Sie selbst im Alter(n)?

Zu erleben, wie das, wofür man früher bekämpft wurde,

heute allgemein anerkannt und hochgepriesen wird. Au-

ßerdem: Es ist beruhigend, auf allen Posten, die man je

innehatte, gute, sehr gute Nachfolger zu haben, die das

Geschaffene weiter aufbauen! Es ist etwas eigenartig,

die eigenen Söhne (wegen derer man als „Rabenmutter“

verschrien wurde! Vielleicht haben sie sich gerade wegen

einer ununterbrochen vollzeitberufstätigen Mutter so gut

entwickelt??) an der Schwelle zum „Seniorenalter“ zu erle-

ben – aber es ist sehr wohltuend, mit erwachsenen Enkeln

zu diskutieren, ihnen etwas weiterzugeben, aber auch, von

ihnen zu lernen, zu erfahren, was junge Menschen von 20

bis 35 Jahren heute denken, anstreben, planen, wie sie die

Welt gestalten wollen. Es ist einfach spannend, in der heu-

tigen Zeit zu leben!

Vielen Dank für das Gespräch.

Prof Dr. Ursula Lehr+

Stellvertretende Vorsitzende BAGSO e.V.Bundesministerin a.D.

www.bagso.de

Demografie

16

Prof. Dr. Victoria Büsch+

Präsidentin der SRH-Hochschule Berlinund Expertin in Sachen Demografie und alternde

Belegschaften in Unternehmenwww.srh-hochschule-berlin.de

17

Hält Arbeit jung und gesund?

Da gibt es kein eindeutiges Ja oder Nein. Das hängt von

der Branche ab, vom Beruf, von der Persönlichkeit. Die in-

dividuellen Unterschiede sind so groß, dass man weniger

darauf schauen sollte, was mit dem Alter passiert, sondern

welchen Menschen ich vor mir habe. Der Workability-In-

dex zeigt, dass sich bei 30 Prozent die Leistungsfähigkeit

reduziert, bei 60 Prozent bleibt sie auf demselben Level

und bei 10 Prozent steigt sie sogar.

Was folgt daraus für das Unternehmen?

Habe ich die genannten 30 Prozent vor mir, muss ich

mich fragen, warum die Workability abnimmt, warum der

Mensch, den ich vor mir habe, an Leistungsfähigkeit ein-

gebüßt hat. Ich muss also keine altersabhängigen, sondern

typenabhängige Konzepte schneidern. Alter ist kein guter

Indikator, welches Gesundheitskonzept greift.

Interessant ist beim Workability-Index, dass es immer diese drei Gruppen gibt: eine, deren Leistungsfähigkeit nachlässt, eine, die sie hält, und eine, die sie sogar verbessert, unabhängig von der Berufsgruppe. Je älter man wird, desto unterschiedlicher wird die Workability. Woran liegt das?

Dazu haben wir keine Forschung gemacht, ich würde also

in den Rahmen der Spekulation gehen.

Was wir untersucht haben, ist die Bereitschaft für eine

Weiterbeschäftigung im Rentenalter. Für Frauen ist es

wichtig, im Unternehmen Wertschätzung zu erfahren. Ge-

brauchtwerden bewirkt bei ihnen eine hohe Identifikation

mit dem Job. Für Männer steht eher die Karrierefrage im

Vordergrund, Perspektiven für eine Weiterentwicklung.

Generell werden unsere Erwerbsbiografien länger. Des-

halb muss man dringend darüber nachdenken, sie flexibler

zu gestalten. Modelle wie Senior for Success zeigen, dass

es vielen älteren Menschen guttut, noch dazuzugehören.

Sie wollen vielleicht keinen Vollzeitjob mehr, sich aber für

eine bestimmte Zeit im Jahr engagieren. Aus Umfragen

wissen wir, dass 45 Prozent Interesse haben, später in

Rente zu gehen. Im Gegenzug wünschen sie sich allerdings

eine höhere Selbstbestimmtheit.

Wie stehen die Unternehmen zu längeren Erwerbszeiten?

Hier findet ein Umdenken statt, aber das ist noch kein

flächendeckendes Phänomen. In den 1990er-Jahren, als

wir die ganzen Frühverrentungen hatten, war eine hohe

Stigmatisierung von Älteren zu beobachten. Das hat sich

durch die Einführung des allgemeinen Gleichstellungsge-

setzes geändert. Man hat auch gemerkt, dass man in vielen

Branchen einen hohen Wissensbedarf hat. Unternehmen

wie die Otto Group halten die Älteren gern länger.

Vielen Dank für das Gespräch.

Hält Arbeit jung und gesund?Interview mit Prof. Dr. Victoria Büsch

Demografie

18

+ Mehr oder weniger durch Zufall kam Prof. Dr. Hermann

Brandenburg mit dem Thema Pflege in Berührung: In den

80er-Jahren war er Zivildienstleistender in einem Pflege-

heim. Ursprünglich wollte er den Dienst in einer Schule für

geistig behinderte Kinder ableisten. Er war aber spät dran,

und am Nachmittag war die Schule natürlich geschlossen.

Das Altenheim, das er danach aufsuchte, hat ihm dann ei-

nen Job als Zivildienstleistender angeboten. Sein erster

Eindruck: „Man versuchte zwar auch damals schon, den

alten Menschen ein möglichst lebenswertes Umfeld zu

schaffen, aber die Abläufe erinnerten doch sehr stark an

das Krankenhaus, waren in hohem Maße reguliert.“ An

eine Situation erinnert er sich noch ganz genau: „Da kam

ich nach dem Urlaub zurück auf die Station – und da hieß

es nur: In den hinteren Zimmern müssen Sie gar nicht

nachschauen – die Herren sind leider verstorben. Fangen

Sie doch einfach vorne an!“ Dennoch bemerkte Branden-

burg damals eine „Offenheit“ in der Einrichtung – und

dass es Menschen gibt, die „etwas bewegen wollen“. Dass

er selbst einmal zu den Triebfedern in der Pflegewissen-

schaft gehören könnte, glaubte er damals nicht.

„Ich habe zunächst Sozialwissenschaften in Bochum, später

Gerontologie in Heidelberg studiert, das hatte mit Pfle-

ge eher wenig zu tun. Aber bereits damals habe ich mich

für Grenzsituationen im Alter sehr interessiert“, erzählt

Brandenburg. Richtig relevant wurde das Thema Pflege

für ihn dann erst in den 90er-Jahren, als er in die Pflege-

wissenschaft einstieg. Zu seinem Erstaunen hatte sich

bis dahin nicht viel getan – und auch heute bewegt sich

alles in kleinen Schritten: „Auch damals war das Thema

der Personalsituation schon prekär, auch die zunehmen-

de Vulnerabilität und Multimorbidität der Bewohner –

die Herausforderungen waren also damals schon ganz

ähnlich wie heute.“ Er gehöre aber gewiss nicht zur Frak-

tion der „Dramatiker, die auf die Langzeitpflege einschla-

gen“. Denn auf Heime wird man auch in der Zukunft nicht

Für eine neue Sichtweise

auf das AlterProf. Dr. Hermann Brandenburg über den Kampf

für die Weiterentwicklung der Versorgung und eine bessere Anerkennung der Pflegeberufe

19

verzichten können. Aber aus Sicht von Brandenburg gibt

es „einiges zu optimieren – und im Bereich der Prozesse

sehe ich eher eine Verschlechterung“. Das liege aber nicht

allein in der Verantwortung der Heime. Finanziell eng be-

grenzte Ressourcen und eine „durchgetaktete“ Pflege er-

schwerten die Bedingungen zunehmend, so Brandenburg.

„Wenn man sich mal überlegt, was sich die Mitarbeiter in

der Pflege alles vorschreiben lassen – wie viele Minuten

sie welche Arbeit verrichten dürfen. Da würde jede Fach-

gesellschaft bei den Ärzten Sturm laufen!“, ärgert sich der

Pflegeexperte. „Kaum ein Bereich in der Versorgung in

Deutschland ist so fremdbestimmt wie die Pflegearbeit.“

Prof. Dr. Brandenburg will das nicht auf Dauer hinnehmen.

Als Pflegewissenschaftler kämpft er gemeinsam mit ande-

ren Experten für die Weiterentwicklung der Versorgung

und eine bessere Anerkennung der Pflegeberufe. „Das ist

nicht leicht, denn wir bewegen uns da in einem Spagat“,

weiß er. Auf der einen Seite seien da die stetig steigenden

Anforderungen an die Pflegenden – auf der anderen Sei-

te der Fachkräftemangel. In Deutschland versuche man,

dem mit Pragmatik zu begegnen und mehr Menschen in

die Pflegeberufe zu bekommen. „Das sehe ich aber sehr

ambivalent. Denn man löst kurzfristig ein Problem – aber

langfristig wird das Image des Berufes dadurch schlechter.“

Internationale Studien, die zeigten, dass durch eine Pro-

fessionalisierung der Pflege die Mortalität gesenkt wer-

den kann, würden hierzulande weitgehend ignoriert. „Da

wird bei uns dann die übliche Polemik gefahren, dass wir

nur noch examinierte Pflegekräfte haben wollen – aber

wir wissen doch alle, dass es auf eine gute Mischung zwi-

schen der Praxis vor Ort und konzeptioneller Planung an-

kommt.“ Zudem liege der Akademikeranteil in der Pflege

bei verschwindenden 1 bis 2 Prozent. „Hier von einer Aka-

demikerschwemme zu reden, ist also geradezu lächerlich“,

sagt Brandenburg.

Auch seien die Zeiten, in denen es ausreichte, in der Pfle-

ge „nur das Herz am rechten Fleck zu haben“, vorbei. Um

gute Pflege zu organisieren, sei zukünftig mehr gefordert:

Angehörige müssten genauso einbezogen werden wie das

bürgerschaftliche Engagement. „Dies zu managen, setzt

Moderationsfähigkeiten und Gestaltungskompetenz vor-

aus, die heute so bei den Pflegekräften nicht immer vor-

handen ist.“

Brandenburg wirbt aber nicht nur für ein besseres Image

der Pflege, sondern auch für ein besseres Bild des Alters.

„Wenn ich sehe, dass im Bundestag darüber diskutiert

wird, dass wir uns die Pflege von demenziell Erkrankten

bald nicht mehr leisten können – und wenn ich lese, dass

alte Menschen nach Thailand geschickt werden, damit

sie dort gepflegt werden, dann frage ich mich schon, wo

wir angekommen sind: Wir leben in einem der reichsten

Länder der Erde“, betont er. Es gehe nicht darum, die Pfle-

ge weg zu organisieren, sondern Pflege anders zu organi-

sieren. In diesem Zusammenhang spricht sich der Pflege-

experte auch gegen die sogenannten Demenzdörfer, wie

sie in Holland zu finden sind, aus: „Damit stoßen wir eine

Entwicklung an, deren Dynamik wir nicht mehr kontrol-

lieren können“, meint Brandenburg. Vielmehr müsse man

demenzkranke Menschen auch weiterhin am öffentlichen

Leben beteiligen. Das sei nicht nur das Thema der Fami-

lien, sondern auch der Bürgerschaft insgesamt. „Und hier

geht es auch nicht in erster Linie ums Geld, sondern dar-

um, dass zum Beispiel der Sportverein die alten Menschen

nach wie vor ins Geschehen einbindet, dass der öffentli-

che Nahverkehr sich auf ältere Menschen einstellt, dass

wir also eine Haltung entwickeln, Krankheit und Gebrech-

lichkeit in das Leben zu integrieren – und nicht jedes Mal

nach öffentlicher Entsorgung durch Professionelle ru-

fen.“ Pflege sei schließlich eine Aufgabe, die alle angehe –

von der Familie über die Gemeinde bis hin zu kirchlichen

Einrichtungen. Darauf müssten sich insbesondere auch

die Kirchen einstellen: „Die Zeiten des verklärten Alters-

bildes mit Kaffeenachmittag und Singstunde sind vorbei!“

Prof. Dr. Hermann Brandenburg+

Dekan der Pflegewissenschaftlichen FakultätLehrstuhl für Gerontologische Pflege

Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar www.pthv.de

Demografie

20

Die Midlife—Boomer

Warum es nie spannender war, älter zu werden — und warum Ältere immer bessere Karten im

Arbeitsmarkt haben

Von Margaret Heckel

Heike Nash war 52 Jahre alt, als sie ihr Diplom als „staat-

lich examinierte Altenpflegerin“ in den Händen halten

wird. Die Mutter von zwei erwachsenen Kindern sprüht

vor Lebensfreude, wenn sie über ihre berufliche Zukunft

erzählt: „Nach ein paar Jahren will ich Teamleiterin wer-

den und dann sicher bis 67, vielleicht auch noch länger ar-

beiten.“ Die resolute Rheinländerin hatte Zeit ihres Lebens

immer wieder als Hilfskraft in der Pflege gearbeitet. Doch

sie ist viel mit ihrer Familie umgezogen, alle Pläne für eine

Ausbildung zerschlugen sich. Mit Ende 40 wollte sie das

nachholen. Sie marschierte zum Arbeitsamt – auch, weil

sie gehört hatte, dass es Ausbildungsangebote für Ältere

gibt. Ihr erster Berater hat sie nur angesehen und gesagt:

„Sie sind zu alt.“ Nash ließ sich davon nicht beirren. Sie ging

einfach zur nächsten Beraterin im Jobcenter. Und die ver-

mittelte sie an die Sozialholding Mönchengladbach, die

ein eigenes Programm für ältere Auszubildende aufgelegt

hat. Die sympathische Frau mit den Lachgrübchen kann es

kaum erwarten, nach den Prüfungen im Herbst richtig los-

zuglegen: „Das ist der Beruf, den ich schon immer machen

wollte“, sagt sie zufrieden, „ich habe gezeigt, wie stark ich

bin.“ Nash ist zu Recht stolz auf das, was sie geschafft hat:

„Ich könnte ja auch hier sitzen und rumjaulen, ich bin jetzt

schon über 50 und das Leben ist schlecht zu mir.“ Heike

Nash ist eine Midlife-Boomerin: In der Mitte ihres Lebens

ist sie noch einmal aufgebrochen, Neues zu erkunden. Sie

gehört zu einer zahlenmäßig starken und gut ausgebilde-

ten Generation um die 50, deren Erfahrungen und Quali-

täten auch morgen gefragt sein werden.

Der demografische Wandel schafft für Menschen um die

50 eine Vielzahl von neuen Möglichkeiten. In Deutschland

ist die Gruppe der 40- bis 50- Jährigen die zahlenmäßig

stärkste Dekade, die wir im Land haben. 13,7 Millionen

Menschen, jeder sechste, der im Land lebt. Sie werden

gebraucht. Durch den sich in Zukunft kontinuierlich ver-

schärfenden Facharbeitermangel werden sie auf dem Ar-

beitsmarkt immer gefragter. Wer als Firma attraktiv sein

will, muss in Zukunft flexible Arbeitszeitmodelle anbieten,

die dem einzelnen Arbeitnehmer weit mehr individuelle

Gestaltungsmöglichkeiten als früher einräumen.

Kein Bereich der Personalpolitik wird sich so stark än-

dern wie der Umgang mit älteren Mitarbeitern. Schon in

wenigen Jahren wird es keine Frage mehr sein, dass Ar-

beitnehmer bis weit ins sechste Lebensjahrzehnt geschult

und fortgebildet werden. Altersgemischte Teams werden

normal sein. In den Fabriken werden die Arbeitsabläufe,

Fließbänder und Maschinen so optimiert sein, dass die

Mitarbeiter so körperschonend wie nie zuvor arbeiten

können – egal, ob sie alt oder jung sind. Es wird noch immer

21

Bereiche harter körperlicher Arbeit geben, doch die Un-

ternehmen werden sie schon aus Eigeninteresse so weit

wie nur irgend möglich reduzieren.

Der von der Politik immer wieder heraufbeschworene

Dachdecker wird ganz selbstverständlich nach seinem 50.

Geburtstag in andere Tätigkeiten hineinwachsen – egal,

ob in die Büroarbeit, in die Beratung von Kunden oder die

Ausbildung anderer Mitarbeiter. Auch wenn er nicht mehr

auf dem Dach steht, wird er im Arbeitsleben bis an die

Schwelle des 70. Geburtstages gebraucht werden. Dieses

»Gebraucht Werden« ist ein Paradigmenwechsel, dessen

Bedeutung man kaum überschätzen kann. Er löst ein

Vierteljahrhundert ab, in dem der ältere Arbeitnehmer in

der Politik, der Wirtschaft und den Medien als ersetzbar,

nicht belastbar und verbraucht beschrieben wurde. Die-

se Abwertung menschlicher Leistungsfähigkeit ist noch

weit schlimmer als die immens hohen Kosten, die uns die

fatale Frühverrentungspolitik seit Ende der 1980er Jahre

beschert hat.

Zu viele Menschen glauben noch, dass es ab dem 50. Ge-

burtstag abwärts geht. Mit dem Leben. Mit der Karrie-

re. Mit der Gesundheit. Mit dem Glück. Das aber ist ein

Trugschluss, wie unzählige neue Studien zeigen. Ganz im

Gegenteil deuten sie daraufhin, dass die Menschen ab

50 glücklicher und zufriedener werden. Die Glückskurve

stellte sich als »U«-Form heraus, mit einem statistischen

Tiefpunkt im Alter von 46. Auch die Lebenszufriedenheit

ist im Alter noch weit höher als in der Phase der frühen

Erwachsenenzeit. Noch gibt es nur wenige Unternehmen,

die offensiv Angebote für ihre älter werdende Belegschaft

machen. Einer davon ist Helmut Wallrafen-Dreisow, der

Chef von Heike Nash. Die Motivation seiner älteren Aus-

zubildenden sei außergewöhnlich, sagt der Geschäfts-

führer der Sozial-Holding Mönchengladbach. Der Alters-

schnitt seiner ungewöhnlichen »Lehrlinge« liegt bei 45,

eine Dame war bei Ausbildungsbeginn bereits 57 Jahre alt.

Wallrafen-Dreisow ist es auch wichtig, mit dem Vorurteil

aufzuräumen, dass die älteren Auszubildenden nicht so

leistungsfähig oder etwa häufiger krank seien als seine

jüngeren Mitarbeiter. „Die Gruppe der Über-50-Jährigen

hat bei uns mit 4,5 Prozent den geringsten Krankenstand

überhaupt“, sagt er, „das ist in der Realität ganz anders

als es so oft diskutiert wird.“ Die Krankenquote über alle

Altersgruppen liegt bei der Sozialholding bei unter sechs

Prozent und damit weit unter dem Branchenschnitt. Er

betont, dass die Wertschätzung der älteren Mitarbeiter

der wichtigste Motivationsfaktor überhaupt sei. In einer

noch laufenden Studie mit der Forschungsgesellschaft

für Gerontologie hat er 300 ältere Mitarbeiter befragen

lassen. „Bei älteren Mitarbeitern spielt die Ansprache

durch die Vorgesetzten die entscheidende Rolle“, sagt

Wallrafen-Dreisow, „wenn der Vorgesetzte dem älteren

Mitarbeiter sagt, das begreifst Du nie, dann wird das auch

nichts – und umgekehrt.“

Ein Jahrzehnt noch, dann werden an den Bändern des

Automobilbauers BMW vier von zehn Mitarbeitern über

50 Jahre sein. Bei der Softwareschmiede SAP wird es

deutlich mehr 55-Jährige als 35-Jährige geben. Und bei

der Berliner Stadtreinigung haben ein Drittel der rund

3.000 Müllmänner den 60. Geburtstag hinter sich. In den

deutschen Unternehmen bahnt sich eine Zeitenwende an.

Der so lange vorherrschende Jugendkult in deutschen Un-

ternehmen geht zu Ende. Selbst wenn es den Firmen hier

und da gelingt, junge Zuwanderer aus allen Erdteilen nach

Deutschland zu locken, bleibt der grundsätzliche Befund

eindeutig: Ältere werden in Fabriken und Büros immer

wichtiger. Durch den demografischen Wandel nimmt die

Zahl jüngerer Mitarbeiter beständig ab. Die Bundesagen-

tur für Arbeit erwartet bereits Mitte der 2020er Jahre

rund 6,5 Millionen erwerbsfähige Personen weniger als

heute. Einen wichtigen Teil dieser Lücke werden Frauen

und Männer füllen, die mindestens bis 67, vielleicht aber

auch noch länger im Berufsleben bleiben. Ältere verfügen

über einen über Jahrzehnte hinweg aufgebauten Erfah-

rungsschatz, haben ihre Gefühle besser im Griff, sind zu-

verlässig und gewissenhaft. Sie sind: aus Erfahrung gut.

Margaret Heckel

Die Midlife-Boomer:

Warum es nie spannender war, älter zu werden

220 Seiten, Gebunden mit Schutzumschlag

ISBN: 978-3-89684-091-2

Margaret Heckel+

Politikjournalistin, Autorin, Moderatorinwww.margaretheckel.de

Demografie

22

Ein Schwerpunkt Ihrer Stiftungsarbeit ist „Gewaltprävention in der Pflege“. Wo fängt Gewalt in der Pflege überhaupt an und wie äußert sie sich?

Misshandlung gegen alte und pflegebedürftige Menschen

ist – auch aus Sicht der WHO – eine der großen, weltwei-

ten Herausforderungen von Gesundheitssystemen. Sol-

che Misshandlungen zu verhindern, ist ein höchst relevan-

ter Aspekt bei der Sicherstellung von Versorgungs- und

Pflegequalität in Deutschland.

Gewalt gegen diese hoch verletzlichen Menschen kann

viele Gesichter haben. Dazu gehören neben körperlichen

Übergriffen oder verbalen Aggressionen ebenso die Miss-

achtung der Intimsphäre, finanzielle Ausbeutung, Ein-

schränkung der Entscheidungs- und Bewegungsfreiheit,

aber auch Vernachlässigung. Umgekehrt können aber

auch Pflegende von gewalttätigem Verhalten betroffen

sein, zum Beispiel in Form von Beleidigungen oder aggres-

siven Übergriffen seitens der pflegebedürftigen Person.

Dieses Verhalten kann durch eine Krankheit oder manch-

mal auch durch die Nebenwirkungen bestimmter Medika-

mente hervorgerufen werden.

Generell gilt: Die Gründe, die letztendlich zu gewalttäti-

gem Verhalten gegenüber Pflegebedürftigen führen, sind

komplex und vielschichtig und in hohem Maße abhängig

von der individuellen Konstellation.

Gewaltprävention in der Pflege

Im Gespräch mit Dr. Ralf Suhr

Dr. Ralf Suhr+

Vorstandsvorsitzender der gemeinnützigen Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege

www.zqp.de

23

Was muss denn konkret getan werden, um Gewalt in der Pflege zu verhindern?

Der Aufklärungsbedarf zu dem Thema ist zunächst einmal

erheblich. Gewalt in der Pflege findet häufig nicht bös-

willig statt. Die öffentliche Wahrnehmung des Problems

wird aber leider zu häufig von einer skandalisierenden Be-

richterstattung geprägt. Dies trägt dazu bei, dass Vorfälle

verheimlicht werden. Wichtig ist, für die verschiedenen

Erscheinungsformen von Gewalt zu sensibilisieren und

aufzuzeigen, welche Möglichkeiten es gibt, etwas dagegen

zu tun.

Aus Sicht des ZQP muss einiges angepackt werden, damit

Gewaltprävention im Pflegealltag besser gelingen kann.

Pflegeanbieter müssen stärker als bisher die Verantwor-

tung für Gewaltprävention wahrnehmen. Sie dürfen ihre

Mitarbeiter mit dem Thema nicht allein lassen. Insbeson-

dere eine bessere Qualifizierung der professionellen Pfle-

ge wäre notwendig. Zudem muss die geplante neue Quali-

tätsberichterstattung umfassender als bisher Transparenz

zu Gewaltpräventionsmaßnahmen und der Vermeidung

von Freiheitsentzug schaffen. Darüber hinaus müssen

pflegende Angehörige besser beraten und bei belastender

Pflege stärker als bisher unterstützt werden.

Mit mehr Wissen und Kompetenz in dem Thema könnten

viele Krisenfälle verhindert werden, weil eskalierende

Pflegesituationen oftmals im Vorfeld vermeidbar wären.

Deshalb stellt das ZQP einen kostenfreien Ratgeber und

ein Onlineportal bereit, das allen Beteiligten in der Pflege

wertvolle Informationen zu Hilfe- und Entlastungsmög-

lichkeiten sowie Kontaktdaten zu bundesweiten Krisente-

lefonen bietet.

Wenn wir über Gewalt in der Pflege sprechen, beleuchten wir nur einen Teilaspekt der Qualitätsdiskussion zum deutschen Pflegesystem. Wo sehen Sie weitere zentrale Herausforderungen für eine nachhaltige Verbesserung?

Wir sind mittlerweile in einer Gesellschaft des langen Le-

bens angekommen. Diese Entwicklung schenkt uns zusätz-

liche gesunde Lebenszeit und damit Chancen. Wenn wir

über die Herausforderungen sprechen, die damit auch ein-

hergehen, müssen wir zunächst feststellen, dass die Zahl

älterer Menschen, die von Pflegebedürftigkeit und even-

tuell Demenz betroffen sein werden, steigt. Um diesen

Menschen gerecht werden zu können, brauchen wir mehr

zeitgemäß ausgebildete Fachkräfte. Außerdem müssen

wir pflegende Angehörige besser unterstützen und Prä-

vention und Rehabilitation in der Pflege vermehrt in den

Blick nehmen. Nicht zuletzt gilt es, eine gesellschaftliche

Haltung zu entwickeln, die Menschen mit Einschränkun-

gen in ihrer Leistungsfähigkeit anerkennt – und sich nicht

abwendet.

In der genaueren Analyse muss dann teilweise zwischen

den Problemen der stationären und der häuslichen Pfle-

ge unterschieden werden. Im stationären Bereich hat

sich die Bewohnerstruktur in den vergangenen Jahren

gravierend verändert. Eine unserer Studien stützt die Er-

kenntnis, dass immer mehr multimorbide Bewohner mit

einem hohen Pflegebedarf und zum Teil chronischen und

komplexen Erkrankungen in den Einrichtungen gepflegt

werden. Etwa drei Viertel der Bewohner sind in ihrer

Alltagskompetenz stark eingeschränkt. Aber wir wissen

auch: Jeder fünfte Bewohner könnte seinen Alltag selbst-

ständiger gestalten, wenn gezielte gesundheitsfördernde

Maßnahmen eingeleitet und die Hilfsmittelversorgung

optimiert würde. Anforderungen an die Pflege haben sich

also grundlegend geändert. Es geht unter anderem darum,

dass wir uns auf neue Bedarfs- und Bedürfnislagen viel

besser als bisher einstellen. Zudem muss die Qualitäts-

sicherung und -darstellung in der stationären Pflege nun

endlich auf eine solide Basis gestellt werden.

Von der Öffentlichkeit weithin unbeachtet ist nach wie vor

das Versorgungsgeschehen in der häuslichen Pflege. Über

1,2 Millionen Menschen und damit etwa die Hälfte aller

Pflegebedürftigen in Deutschland werden im eigenen

Zuhause ausschließlich von nahestehenden Personen ge-

pflegt – gänzlich ohne professionelle Unterstützung. Hier

müssen Möglichkeiten der Entlastung und Beratung pfle-

gender Angehöriger weiter verbessert werden. Wichtige

Schritte dazu sind im Rahmen der derzeitigen Pflegere-

form bereits erfolgt bzw. stehen in Aussicht. Dazu zählen

die Stärkung der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI, des

Beratungsbesuchs nach § 37,3 SGB XI sowie der Schulung

nach § 45 SGB XI. Dies entspricht auch unseren Wünschen

an die Bundesregierung. Das ZQP stellt zur Unterstützung

dieses Gesetzesvorhabens ab Anfang 2016 einen Quali-

tätsrahmen zur Beratung und Schulung zur Verfügung, der

von maßgeblichen Experten erarbeitet wurde.

Überdies sind Herausforderungen im Bereich der Quali-

tätssicherung der ambulanten Pflege gravierend und noch

komplizierter als im stationären Bereich, weil es sich bei

der Pflege zu Hause oftmals um einen komplexen Versor-

gungsmix von verschiedenen Akteuren handelt. Zunächst

muss hier ein einheitliches Qualitätsverständnis definiert

werden. Auch hieran arbeitet die Stiftung bereits mit einer

multidisziplinären Arbeitsgruppe. Zudem wird nun fest-

zulegen sein, wie Qualität von professioneller häuslicher

Versorgungsleistung eigentlich gemessen und dargestellt

werden soll.

Vielen Dank für das Gespräch.

Pflegepraxis

24

Frau Dr. Sottong, wie sind Sie als Ärztin denn überhaupt zum Thema Pflege gekommen?

Ich habe schon als Schülerin Ende der 60er-, Anfang der

70er-Jahre in den Ferien immer in der Altenpflege gear-

beitet. Das waren Zustände, da dürften Sie heute nicht

den MDK im Haus haben. Es gab teilweise Zimmer mit fünf

oder sechs Betten – und mitten darunter auch Demenz-

kranke. Es ging im Grunde genommen nur ums Verwahren.

Ich stellte mir damals die Frage: „Möchte ich alt werden,

um so zu leben?“ Dann habe ich während meines Studiums

lange im Krankenhaus in der Pflege gearbeitet und dort

erlebt, wie Menschen in der „vertrauten“ Umgebung blei-

ben konnten, bis sie gestorben sind.

Damals habe ich auch gesehen, dass die Pflegekräfte ei-

gentlich die engere Beziehung zu den Menschen haben.

Mir wurde klar: Wenn wir als Ärzte nicht eng mit den Pfle-

gekräften zusammenarbeiten, können wir die Menschen

nicht richtig versorgen. Wenn Sie zum Beispiel als Ärztin

in der Therapie alles dafür tun, dass der Mensch wieder

nach Hause kommen kann und dann von der Nachtwa-

che erfahren, dass die Angehörigen das gar nicht wol-

len, weil sie Angst davor haben. Das ist die eigentliche

Herausforderung.

Nach dem Studium habe ich mich als junge Ärztin im Ärz-

tinnenbund stark für das Thema Pflege engagiert und

auch an Anhörungen im Bundestag teilgenommen. Mich

hat gestört, dass es anscheinend unter anderem nur da-

rum ging, dass Töchter und Schwiegertöchter die Eltern

pflegen – und nicht auch die Söhne und Schwiegersöhne.

Und dann habe ich über meine Arbeit bei den Maltesern,

für die ich seit 25 Jahren arbeite, immer wieder mit dem

Thema Pflege zu tun gehabt.

An eine Situation kann sich Frau Dr. Sottong noch ganz genau erinnern: Da stapfte sie mit ihrer Kollegin im

Februar 2005 durch den Stockholmer Schnee die Anhöhe hinauf zum Silviahemmet. Oben angekommen, sagt sie,

sei die Überraschung groß gewesen: „Dort erschloss sich uns eine andere Welt.“

Malteser und Silviahemmet

25

Wie kam es denn zum Projektmit Silviahemmet?

Wir haben uns als Malteser schon sehr früh mit dem The-

ma Demenz beschäftigt – ganz einfach aus dem Grund,

weil wir in der Pflege damit konfrontiert werden und da-

mit umgehen müssen. Um die Jahrtausendwende hatten

wir bereits ein Konzept für die Altenhilfe – „Leben und

wohnen mit Demenz“.

Zu unserer Altenhilfetagung in Wismar haben wir dann

2001 die erste Palliativmedizinerin Schwedens, Prof.

Barbro Beck-Friis, eingeladen, die die Mutter der schwe-

dischen Königin medizinisch betreut hat. Prof. Beck-Friis

hat bereits in den 80er-Jahren eine Einrichtung für de-

menzkranke Patienten aufgebaut und sie auf der Grund-

lage der Palliative-Care-Philosophie versorgt. Sie hat die

Idee der Palliativmedizin – Erhalt von Lebensqualität bei

unheilbaren Erkrankungen bis zum Lebensende – auf die

Versorgung von Demenzkranken ausgedehnt. Sie war der

Auffassung, dass man den Fokus viel stärker auf die Pflege-

bedürftigen und deren Angehörige legen und viel pragma-

tischer an das Thema herangehen sollte. Dieser Ansatz ist

dann die Basis der Arbeit von Silviahemmet geworden, der

von der schwedischen Königin Silvia gegründeten Stiftung.

Was ist für Sie das Besondere an Silviahemmet?

Da wird in der Ausbildung ganz viel Wert auf die prakti-

sche Tätigkeit gelegt. Wir haben uns gefragt, ob Silviahem-

met auf Deutschland übertragen werden kann – und auch,

ob wir das so überhaupt wollen. 2007 hatten wir eine ers-

te Delegation für eine Modellschulung im Silviahemmet in

Schweden – ein multiprofessionelles Team, bestehend aus

(Chef-)Ärzten, Krankenschwestern, Sozialarbeitern, Psy-

chologen, Physiotherapeuten und Ehrenamtlichen. Da-

mals kamen wir zu der Erkenntnis, dass wir in Deutschland

keine schlechte Arbeit leisten, dass die Schweden aber

viel praxisnäher ausbilden – und näher am Menschen. Für

uns war klar: Es lohnt sich, sich mit dem Thema näher zu

befassen. 2009 haben wir dann ein Modellprojekt gestar-

tet, das wir wissenschaftlich evaluiert haben und in dem

wir in verschiedenen Bereichen – vom Krankenhaus über

die Altenhilfe und ambulante Pflege bis hin zum Ehrenamt

– geschaut haben, ob es gelingen kann, das Silviahemmet-

Modell auf Deutschland zu übertragen.

Und das Ergebnis?

Das war überwältigend und überzeugend zugleich: Es

stellt den Menschen in den Mittelpunkt und lässt sich gut

umsetzen. Wir lernen vom Demenzkranken. 2011 wurde

auf Basis von Silviahemmet die Strategie der Malteser

zum Thema Demenz verabschiedet und eine Fachstelle

Demenz eingerichtet. Inhalt der Strategie ist, dass alle

Malteser-Mitarbeiter – angefangen beim Pförtner über

die Hausleitung bis hin zum Chefarzt und Rettungsdienst-

fahrer – und mindestens 80 Prozent der Ehrenamtlichen,

die mit demenzkranken Menschen und ihren Angehörigen

zu tun haben, in Anlehnung an ihre Tätigkeit verbindlich

geschult werden. Für die Angehörigen sollte ein eigenes

Schulungskonzept entwickelt werden. Wir haben ange-

fangen, die verschiedenen Curricula zu entwickeln, zu er-

proben und systematisch einzuführen. Im Laufe der Arbeit

haben wir gesehen, dass viele Menschen nicht wissen, was

sie tun müssen, wie sie reagieren sollen, wenn sie einen

Menschen mit Demenz versorgen. Wir reden zum Beispiel

von herausforderndem Verhalten. Nun ist es aber so, dass

das meist kein Symptom der Erkrankung ist, sondern da-

mit zu tun hat, dass der Demenzkranke auf eine bestimm-

te Situation nicht mehr adäquat reagieren kann. Wenn Sie

zum Beispiel ein Vanilleeis angeboten bekommen und es

nicht mögen, dann sagen Sie: „Nein danke.“

Wenn eine demenzkranke Person das angeboten be-

kommt und nicht mehr sagen kann, dass sie kein Vanilleeis

mag, dann gibt es drei Möglichkeiten: Sie isst es erst gar

nicht; sie isst es einfach ganz still, obwohl sie es nicht mag

– oder sie wird aggressiv. Die Aggressivität ist dann nicht

durch die Demenzerkrankung bedingt, sondern dadurch,

dass die erkrankte Person sich nicht verständigen und die

Umgebung damit nicht angemessen umgehen kann. Wir

müssen verstehen, dass wir oft die Ursache für Verhal-

tensweisen sind, die wir bei Demenzkranken erleben. Und

das ist ein Teil der Schulung. Eigentlich ist das der Erfolg,

dass wir in die Lage versetzt werden, mit Demenzkranken

angemessen und respektvoll umzugehen, und damit ihnen

auch ermöglichen, länger in der gewohnten Umgebung

bleiben zu können – unter anderem, indem wir auch die

Angehörigen unterstützen und entlasten. 2012 haben wir

übrigens in Bottrop die erste Einrichtung für Menschen

mit einer beginnenden Demenz eröffnet und diese Ein-

richtung von der Evangelischen Hochschule Berlin evalu-

ieren lassen.

Wie haben Sie es geschafft, gegen die alten Gewohnheiten in der Pflege anzugehen?

Das Erste ist, dass wir Modelleinrichtungen haben – und

dort zeigen, dass es geht und wie es geht. Das Zweite ist:

Es braucht natürlich den Willen der obersten Leitungs-

ebene. Wir haben zum Beispiel in unseren Krankenhäu-

sern besondere Stationen für akut erkrankte Menschen,

die auch eine Demenz haben. Dort haben wir eine späte

Nachtmahlzeit eingeführt, damit diese Menschen nicht

Pflegepraxis

26

um fünf Uhr morgens denken, es ist Frühstückszeit – und

zwar nicht deshalb, weil sie eine Demenz haben, sondern

weil sie unterzuckert sind, denn im Krankenhaus gibt es

in der Regel schon gegen fünf, sechs Uhr Abendessen.

Als „normaler“ Krankenhauspatient haben Sie vielleicht

noch ein paar Kekse im Nachtkasten und essen die nachts,

wenn Sie Hunger bekommen. Als Demenzkranker haben

Sie die vielleicht auch im Schrank, aber Sie wissen das

nicht mehr. Diese späte Nachtmahlzeit war natürlich nicht

so einfach umzusetzen, denn da tauchen sofort die Fragen

der Gestaltung des Ablaufs, der Hygiene und des notwen-

digen Personals auf.

Im Grunde folgt im Krankenhaus der Patient den Organi-

sationsstrukturen – bis die Struktur dem Patienten folgt,

braucht es lange Zeit. Aber wir müssen uns daran gewöh-

nen, mehr auf den Patienten und auf seine Bedürfnisse

einzugehen.

Ein weiteres Beispiel ist, dass wir meinen, wir müssten die

Menschen im Altenheim den ganzen Tag beschäftigen, und

uns wundern, wenn sie aggressiv werden. Aber mal ganz

ehrlich: Wollen Sie, wenn Sie 90 Jahre alt sind, den ganzen

Tag zugetextet werden? Da brauchen Sie vielleicht auch

mal Ruhephasen und nicht noch ein Gedicht und noch ein

Gedächtnistraining. Apropos Gedächtnistraining: Hier

geht es nicht um „schulische Leistungen“, sondern um den

Erhalt wichtiger Funktionen und Fähigkeiten im Alltag. Da

müssen wir noch viel dazulernen.

Wir müssen auch mit den Angehörigen darüber reden,

dass alte Menschen ruhig mal dasitzen dürfen, zuschauen

und „nichts tun“. Wir müssen also darüber reden, was das

Leben im Alter wertvoll macht. Wir rennen das ganze Le-

ben hinter unseren Verpflichtungen her – das müssen wir

doch im Alter nicht auch noch machen.

Das bedeutet doch aber auch eine Personali-sierung der Pflege – ich muss mich dann auf jeden einzelnen Patienten einlassen.

Sie haben aber dann doch nicht mehr Arbeit, sondern eine

andere. Ein Beispiel: Wir, eine Praktikantin und ich, haben

in einem Wohnbereich Sterne ausgeschnitten. 18 Frauen

– und keine hat mitgemacht. Aber eine hat mir das Papier

gereicht und eine andere den Kleber. Als wir fertig waren

und die Sterne aufgehängt haben, kam die Stationsleitung

und fragte: „Wer hat denn die schönen Sterne gebastelt?“

– und die Frauen sagten: „Ich.“ Das ist auch eine Form von

Beteiligung – und ein Stimulus. Und das ist Lebensqualität,

weil alle dachten, sie hätten etwas vollbracht! Im Grun-

de genommen muss ich meine Konzepte, die Leitlinien

etc. stets an die Bedürfnisse meiner Patienten anpassen.

Heutzutage ist es ja so, dass Sie für alles einen Experten,

einen Manager haben. Aber im Pflegealltag müssen Sie

viele Entscheidungen aus der Erfahrung heraus gleichzei-

tig selbst treffen. Dazu müssen wir in der Ausbildung die

Menschen aber auch befähigen. Darüber hinaus brauchen

wir eine offene Fehlerkultur. Der Mensch ist nun mal kein

Computer. Sind wir eine „Pflegefabrik“ und optimieren wir

uns – oder müssen wir nicht die Pflegeeinrichtung als letz-

tes Zuhause sehen? Dann kann ich jemanden sein Zimmer

umdekorieren oder in seinem Schrank kramen lassen ...

Auch die Form der Angebote sollte überdacht werden. Die

gemeinsamen Mahlzeiten strukturieren ja ohnehin schon

den Alltag in der Gruppe – da brauche ich nicht unbedingt

noch eine große Zahl zusätzlicher Gruppenangebote.

Manchmal reicht es einfach, eine Mahlzeit gemeinsam

vorzubereiten oder nach dem Essen noch gemeinsam

länger erzählend am Tisch zu sitzen und nicht, weil der

Speisewagen zurück muss, die Tafel aufzulösen und ab-

zuräumen. Für mich sind das vielfach strukturelle Fragen

und keine Pflegefragen – aber die strukturellen Fragen

steuern heute die Pflege.

Ich glaube – und da bin ich vielleicht ein bisschen revolu-

tionär –, die Pflegekräfte sollten aufhören, darüber zu kla-

gen, dass sie mehr Geld, mehr Personal und Zeit brauchen,

um ordentlich pflegen zu können. Sondern: Sie sollten

ganz selbstbewusst hervorheben, dass sie unter den Be-

dingungen, die heute herrschen, gute Arbeit leisten. Dass

sie aber noch mehr könnten, wenn ... Das heißt, dass Pfle-

ge auch mehr einfordern und manchmal sagen sollte: So

geht das nicht — und gleichzeitig konstruktive Vorschläge

macht. Im Grunde genommen müssen sich alle, die in der

Pflege arbeiten, als Team verstehen. Ich möchte allen Pfle-

gekräften Mut machen, ihre Kompetenz in die Waagschale

zu werfen!

Vielen Dank für das Gespräch.

27

Wilhelmina Hoffmann+

Dr. med. Wilhelmina Hoffman CEO, Stiftelsen Silviahemmet, SE

www.silviahemmet.se

Dr. med. Ursula Sottong+

Leiterin der Fachstelle DemenzMalteser Deutschland gemeinnützige GmbH

www.malteser-demenzkompetenz.de

28

Welche Berührung mit dem Thema „Pflege“ hatten oder haben Sie als Privatperson ?

Jeder verdrängt es, mit „Pflege“ in Berührung zu kommen,

solange es nur geht. Das ist menschlich. Doch irgendwann

ereilt es einen. Das war auch letztes Jahr bei uns zu Hau-

se der Fall. Meine 82-jährige Mutter hatte sich bei einem

Sturz einen Hüft- und Oberschenkelhalsbruch zugezogen.

Einem langen Krankhausaufenthalt folgte eine vierwöchi-

ge stationäre Rehabilitation. Nachdem auch danach die

Gehfähigkeit noch nicht wieder hergestellt werden konn-

te, gab ich meine Mutter anschließend für vier weitere

Wochen in die Kurzzeitpflege einer Pflegeeinrichtung in

Wohnortnähe. Dort hat man sich liebevoll um meine Mut-

ter gekümmert. Physiotherapeuten und Psychologen ha-

ben Körper und Seele wieder stabilisiert. Heute lebt meine

Mutter wieder in ihren eignen vier Wänden und versorgt

sich selbst. Alles geht etwas langsamer als vor dem Sturz,

aber das nimmt man gerne in Kauf. Ich bin dem Pflegeper-

sonal in der Einrichtung sehr dankbar.

Was tun die Marseille-Kliniken, um ihren Mitarbeitern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern ?

Gerade in der Pflege ist es für die Beschäftigten nicht

leicht, das Familienleben und die unterschiedlichen beruf-

lichen Anforderungen zu vereinbaren. Dies ist für uns alle

eine besondere Herausforderung. Ein familienbewusstes

Verhalten gegenüber den Mitarbeitern ist ein wichtiger

Bestandteil unserer Unternehmensphilosophie.

Ein wesentlicher Aspekt ist beispielsweise eine transpa-

rente und konstante Bestimmung von Einsatzzeiten.

Beschäftigte sehen Einsatzzeiten als familienfreund-

lich an, wenn diese mit Vorlauf planbar und verlässlich

sind. Oft wird in der Altenpflege auf Basis einer Monats-

dienstplanung gearbeitet. Eine Entwicklung zu langfristig

ausgerichteten Dienstplänen ist hier eine zielgerichtete

Maßnahme.

Wichtig ist es, dass die betriebliche Beweglichkeit mit den

Wünschen der Beschäftigten in Einklang gebracht wer-

den kann. In den Einrichtungen der Marseille-Kliniken AG

haben wir beispielsweise erfolgreich eine Dreimonatspla-

nung eingeführt, die den Angestellten eine optimalere Ein-

teilung und dementsprechende Verlässlichkeit verschafft.

Für uns ist eine lebensphasenorientierte Personalpo-

litik eine nicht mehr wegzudenkende Säule im Bereich

der Mitarbeitergewinnung und -bindung. So ist eine ver-

lässliche und gute Kinderbetreuung während der Arbeits-

zeiten der Eltern entscheidend, wenn Vereinbarkeit von

Beruf und Familie funktionieren soll. Daraus resultierend

erhalten unsere Mitarbeiter einen Betreuungszuschuss

für ihre Kinder, der für die Tagespflege oder den Besuch

einer Kita verwendet werden kann.

Wie entwickeln die Marseille-Kliniken als Leistungserbringer die Pflege weiter?

• Ständige Evaluation der Pflegeprozesse

• Konzentration auf das Wesentliche

mit Unterstützung durch intelligente Assistenzsysteme

• Innovative Kommunikations- und

Austauschmöglichkeiten mit Angehörigen

Ein hoch professionelles Team von Qualitätsmanagern

kümmert sich ausschließlich um die Optimierung der

Ambulant und stationär

Alles zu seiner Zeit — ein Gespräch mit Dieter Wopen

29

Pflegeprozesse. Dabei steht einzig die Qualität aller Leis-

tungen am und für den Bewohner im Fokus.

Durch die Entwicklung eigener Programme zur Unter-

stützung der Mitarbeiter in ihren Tätigkeiten an unseren

Standorten können wir sehr direkt sämtliche zur Steue-

rung im Tagesgeschäft notwendigen Prozesse aufzeigen

und auswerten. Dabei nutzen wir vorwiegend die Mög-

lichkeit der grafischen Darstellung, um einen möglichst

leichten Zugang zu ermöglichen.

Unsere Leitungskräfte an den Standorten können bei-

spielsweise die wichtigsten Kennzahlen zur Lage ihrer Ein-

richtung in „Realtime“ abrufen. Insbesondere der schnelle

Zugriff auf Indikatoren zur Qualitätsentwicklung bildet

hierbei ein neues Niveau, da es den Führungskräften vor

Ort mit einem Blick möglich ist, anstehende Problemfelder

zu identifizieren und gezielt in die Analyse einzusteigen.

Mithilfe unserer langjährigen Erfahrung in der Entwick-

lung des Pflegemarktes und der damit einhergehenden

Charakteristika ist zudem die Darstellung von Prognosen

möglich – wir bewerten demnach nicht nur die zurücklie-

genden Daten und den Status quo, sondern können auch

nach vorne schauen auf der Basis unserer empirischen

Daten.

Durch diese aktive Gestaltung wollen wir das Bewusstsein

des täglichen Leitens einer Pflegeeinrichtung verbessern

und fordern und fördern ein Umdenken unserer Leitungs-

kräften. Diese assistierenden und auch sensorischen Sys-

teme können dazu beitragen, den Fokus auf die wesentli-

chen Dinge zu richten – nämlich die Bedürfnisse unserer

Bewohner und Mitarbeiter.

Neben der Steuerung unserer Einrichtungen möchten

wir, an die wandelnden Familienstrukturen unserer Zeit

angepasst, den Angehörigen unserer Bewohner die Mög-

lichkeit geben, jederzeit über den Zustand informiert zu

sein. Im Gegensatz zu früheren Generationen leben die

Familienmitglieder heutzutage oftmals weit voneinander

entfernt. Für Besuche der Eltern oder Großeltern bleibt,

bedingt durch Beruf und eigene Kinder, wenig Zeit.

Um dieses Ziel umzusetzen, wurde „Mein Gesundheits-

buch“ entwickelt. Mit diesem individualisierten Zugang

kann der Angehörige die Vitaldaten, Berichte zum Befin-

den und weitere Details rund um die pflegerische Versor-

gung jeweils 24 Stunden nach Eintrag in unsere Dokumen-

tation geschützt einsehen. Die Sicherheitsstandards sind

dabei identisch mit denen des Online-Bankings und garan-

tieren ein Höchstmaß an Sicherheit bei der Abfrage dieser

sensiblen Daten.

Hinterlegt der Angehörige seine Mobilnummer und

stimmt dem Empfang von SMS zu, wird in Notfällen wie

zum Beispiel einer Einweisung ins Krankenhaus sofort eine

Mitteilung durch unser System automatisiert versandt.

Wie möchte ich als Privatperson im Alter leben? Welche Vorstellungen habe ich davon?

Daheim, im Hunsrück, in Schöneberg, fühle ich mich auch

sehr wohl – hier, in meinem Zuhause in Hanglage. 60 Kilo-

meter weit kann ich über Wälder und Weinberge schauen.

Hier, auf dem Land, möchte ich im Alter bleiben. Zum Alter

gehört es dann, unser Haus, in dem wir seit vielen Jahren

leben, Zug um Zug seniorengerecht umzugestalten, bis

sämtliche Hilfestellungen vorhanden sind – ein Treppen-

lift zum Beispiel, ebenerdige Duschtassen. Zu Hause will

ich bleiben, solange es geht. Und dann? Darüber hinaus

kann ich mir eine Wohngemeinschaft vorstellen – mit Leu-

ten, die sich in ähnlichen Situationen befinden und sich

gegenseitig unterstützen. Mein größter Wunsch ist eine

Mischform: betreutes, aber weitgehend selbstbestimmtes

Wohnen. So viel Betreuung wie nötig also, so viel Selbst-

bestimmung wie möglich. Für diesen Lebensabschnitt, für

diesen großen Wunsch, haben meine Frau und ich schon

ein Grundstück gekauft. Rund 1.100 Quadratmeter. Es

liegt neben unserem Haus, wir haben es immer im Blick.

Dort könnte die WG einmal Wirklichkeit werden. Dabei

kann ich auch meinem Hobby nachgehen, dem Bau von

Senioreneinrichtungen, den natürlich nicht ich selbst,

sondern befreundete Architekten übernehmen. Zu dem

Thema habe ich übrigens ein Buch geschrieben. Wenn

ein Leben in einer Wohngemeinschaft nicht mehr funkti-

oniert, wenn meine Frau und ich pflegebedürftig werden

sollten, werden wir in eine Pflegeeinrichtung ziehen. Wir

erwarten nicht, dass unsere Kinder uns pflegen. Mehr

noch: Ich möchte das nicht. Das sollen Profis tun. Das

haben wir schon jetzt schriftlich festgelegt und damit so

früh entschieden, dass es kein anderer für mich entschei-

den muss. Ganz klar: Für mich ist dies die letzte Station.

Wenn ich selbst nicht mehr kann.Ähnlich denke ich auch

als Vorstand eines Pflegeheimkonzerns. Auch hier gilt die

Auffassung: Ambulant geht vor stationär. Wer sich noch

selbst versorgen kann, wer das körperlich und finanziell

schafft, soll dies tun. Dafür steht das Portfolio der Mar-

seille-Kliniken AG. Wir halten sämtliche Wohnformen

vor. Wir betreiben bundesweit 60 voll- und teilstationäre

Einrichtungen. Drei Wohnanlagen für betreutes Wohnen

und ein ambulanter Pflegedienst gehören als wesentliche

Pfeiler dazu.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dieter Wopen+Vorstand der Marseille-Kliniken AGwww.marseille-kliniken.de

Pflegepraxis

30

Eva Prinz+

Stellvertretende Abteilungsdirektorin Diversity Management Commerzbank AG www.commerzbank.de

31

Die Commerzbank ist nicht nur im Werbespot „die Bank

an Ihrer Seite“. Vielmehr gilt dieses Versprechen für unse-

re Kunden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In Zei-

ten des demografischen Wandels und des zunehmenden

Fachkräftemangels ist es für uns besonders wichtig, dass

wir unsere Angebote als Bank verstärkt an den Bedürf-

nissen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausrich-

ten – deshalb setzt sich die Commerzbank als Arbeitgeber

intensiv für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein.

Das gilt für die Betreuung der Kinder von berufstätigen

Eltern ebenso wie für flexible Arbeitszeitmodelle bis hin

zur Unterstützung von Mitarbeitern mit pflegebedürfti-

gen Angehörigen.

Gerne möchte ich noch genauer auf das Thema Pflege ein-

gehen: Die Entwicklungen, die der demografische Wandel

mit sich bringt, sind für ein Unternehmen wie die Com-

merzbank deshalb von zentraler Bedeutung, weil sich die

Altersstruktur der Belegschaft ändern wird: In wenigen

Jahren wird die größte Altersgruppe der Commerzbank-

Mitarbeiter bei Anfang bzw. Mitte 50 liegen. Und gerade

diejenigen Mitarbeiter, die zum heutigen Erfolg beigetra-

gen haben, werden dann – und zwar nahezu zeitgleich – in

den Ruhestand gehen. Darüber hinaus übernehmen bei

uns auch immer mehr ältere Beschäftigte pflegerische

Verantwortung, oder sie fallen kurzfristig aus, weil sie die

Betreuung von Angehörigen regeln müssen. Und wir alle

wissen, dass dies eine große Herausforderung ist: Pfle-

ge ist nicht vorhersehbar - oder zumindest größtenteils -

planbar. Der „Pflegefall“ tritt meist plötzlich und uner-

wartet ein, der Verlauf ist unberechenbar und die Dauer

ungewiss. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Familie

und Beruf unter einen Hut bekommen müssen, stecken

dann schnell in dem Dilemma, beides zu vereinbaren. Die

Folge: Sie sind doppelt, manchmal auch dreifach, belastet,

sie können sich schlecht konzentrieren, sind nicht mehr so

leistungsfähig – und fallen dann häufig durch Krankheit

aus.

Für die Angebote im Rahmen der Vereinbarkeit von Pfle-

ge und Beruf sprechen neben den menschlichen also auch

viele unternehmerische Gründe. Was also können wir als

Commerzbank tun? Durch entlastende Maßnahmen wie

flexiblere Arbeitszeiten, Vermittlung von Pflegekräften

und Tagespflegeplätzen, aber auch durch eine Notbetreu-

ungshotline, einen Hausnotruf und Information bieten wir

unseren Mitarbeitern Unterstützung auf allen Ebenen.

Mit vielen maßgeschneiderten Angeboten zur Pflege von

Angehörigen stellt sich die Commerzbank frühzeitig auf

die Alterung der Belegschaft und die damit verbundenen

Herausforderungen ein. Hierzu entwickelt das Team „Di-

versity Management“ innovative Konzepte.

In Kooperation mit dem Pflegedienstleister AGAPLESION

und pme Familienservice bietet die Commerzbank auch

direkte Unterstützung zur Pflege an: Um eine qualitativ

gute Betreuung eines pflegebedürftigen Angehörigen

sicherzustellen, zum Beispiel aufgrund betrieblicher Er-

fordernisse, kann das Martha-Keller-Haus in Frankfurt-

Sachsenhausen als Tagespflegeeinrichtung genutzt wer-

den. Des Weiteren gibt ein geriatrisches Assessment im

Diakonissen-Krankenhaus Frankfurt (Medizinisch-Geria-

trische Klinik) Klarheit über die erforderliche Behandlung

und Betreuung eines Angehörigen. Dass wir mit unseren

Angeboten ins Schwarze treffen, zeigen uns die Reakti-

onen der Mitarbeiter. Diese sind nicht nur unter den Be-

troffenen durchweg positiv, sondern auch bei denjenigen,

die sie nicht nutzen. Ein wichtiger Aspekt für uns ist auch,

dass durch unsere pflegeorientierten Angebote das The-

ma unter den Mitarbeitern nicht mehr verschwiegen wird,

sondern dass offen darüber gesprochen wird – und das

hilft nicht nur dem Unternehmen und seiner Belegschaft,

sondern auch der Gesellschaft.

Vereinbarkeits–dilemma

Die Commerzbank bietet Auswege

Pflegepraxis

32

Pflegefall- was nun ?

0800 - 72 37 26724h - 7 Tage - kostenfrei!

33

Das Thema Pflege geht uns alle an. Spätestens dann, wenn

ein Mitglied der eigenen Familie betroffen ist, steht man

vor vielen Herausforderungen: Worum muss ich mich

kümmern? An wen kann ich mich wenden? Woher bekom-

me ich gesicherte Informationen? Solche und andere Fra-

gen gilt es zu beantworten. Dabei helfen die Pflegeberate-

rinnen und Pflegeberater von spectrumK. Sie übernehmen

nicht nur die Pflegeberatung, die den Betroffenen und

Angehörigen gesetzlich zusteht, sondern noch viel mehr:

Die etwa 700 bundesweit tätigen Pflegeexperten helfen

den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen, sich im

Dschungel des Gesundheitswesens zurechtzufinden, ana-

lysieren den Hilfebedarf, erstellen einen Versorgungsplan

– und unterstützen die Familien darin, ihn auch umzuset-

zen. Ziel des Servicedienstleisters spectrumK ist es dabei

immer, den Hilfebedürftigen ein möglichst selbstbestimm-

tes Leben im familiären Umfeld zu ermöglichen – und die

Angehörigen so gut wie möglich zu unterstützen.

Der Bedarf an häuslicher Pflege wird zunehmen. Das be-

deutet, dass auch der Beratungsbedarf steigen wird. Aus

unserer langjährigen Erfahrung vor Ort wissen wir, dass

sich Angehörige oft überfordert und alleingelassen fühlen.

Nur wenige wissen, wo sie Hilfe bekommen können – und

dass sie ein Recht auf eine umfassende Pflegeberatung

haben. Dabei ist gerade qualitätsgesicherte und leicht

zugängliche Information der Angehörigen wichtig, um

dem Grundsatz „Ambulant vor stationär“ gerecht werden

zu können. spectrumK baut deshalb als Dienstleister der

Pflegekassen nicht nur die Pflegeberatung stetig aus, son-

dern kümmert sich auch um eine gute Kommunikation zwi-

schen Pflegenden, Pflegebedürftigen und Pflegekassen.

Stichwort Kommunikation: Zwar hat die Bundesregie-

rung in den vergangenen Jahren vieles getan, um die

Pflege und die Pflegenden zu stärken. Doch bleiben viele

Möglichkeiten heutzutage weitestgehend ungenutzt: Bei-

spielsweise nutzt auch nach dem zweiten Pflegestärkungs-

gesetz bisher nur ein halbes Prozent aller 1,25 Millionen

Pflegenden die Möglichkeit, sich vorübergehend vom Job

freistellen zu lassen. Und auch das Darlehensangebot er-

reicht noch nicht viele Menschen.

spectrumK als Dienstleister der gesetzlichen Kranken-

und Pflegekassen sieht seine Aufgabe deshalb auch darin,

die Möglichkeiten, die der Gesetzgeber heute schon bie-

tet, zu identifizieren, den Betroffenen aufzuzeigen und

ihnen Wege zu eröffnen, diese auch zu nutzen. Ein gutes

Beispiel sind die Pflegekurse für pflegende Angehörige

und Ehrenamtliche nach § 45 SGB XI, die vielerorts noch

nicht sehr bekannt sind: spectrumK hat für seine Pfle-

gekassen die „Individuellen Pflegekurse für Angehörige“

(INKA) entwickelt. Ziel der Schulungen ist es, die häus-

liche Pflege zu stärken und das ehrenamtliche Engage-

ment von Pflegekräften wirkungsvoll und nachhaltig zu

unterstützen. In bis zu sechs Hausbesuchen bekommen

pflegende Angehörige und Ehrenamtliche Basiswissen

zur Pflege vermittelt – und werden praktisch angeleitet.

Damit unterstützt spectrumK nicht nur die gesetzlichen

Krankenkassen in ihrem Vorhaben, die ambulante Pflege

zu stärken, sondern gibt den Pflegenden einen Leitfaden

an die Hand, wie gute Pflege im häuslichen Umfeld neben

all den anderen Anforderungen des Alltags gelingen kann.

Und das ist letztlich ein Gewinn für alle!

Selbstbestimmtes Leben

spectrumK unterstützt bundesweit bei der häuslichen Pflege

Thomas Nöllen+Referent PflegeversorgungspectrumK GmbHwww.spectrumk.de

Pflegepraxis

34

Daniel Bahr+

Generalbevollmächtigter Allianz Private Krankenversicherung (APKV) Leistungsmanagement und Zentrale Vertriebskoordination

Bundesminister a. D.www.allianz.de

Welche Berührungen hatten oder haben Sie als Privatperson mit dem Thema Pflege?

Intensiv habe ich mich erstmals vor etwa 15 Jahren mit

der Pflege auseinandergesetzt, als mein Großvater durch

einen Schlaganfall pflegebedürftig wurde. Er konnte dann

nicht mehr alleine in seiner bisherigen Wohnung bleiben

und wir haben ihn zu uns geholt. Seitdem begegnet mir das

Thema Pflege immer wieder. Ich halte die Pflege für eine

der größten gesellschaftlichen Herausforderung in einer

alternden Bevölkerung.

Was tut die Allianz, um ihren Mitarbeitern die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu erleichtern?

Als großer Arbeitgeber stellen wir unseren Mitarbeitern

konkrete Unterstützungsangebote zur Verfügung. Das

reicht von Beratung bei einem Pflegefall eines Angehöri-

gen über Informationstage zum Thema bis zur Bezuschus-

sung bei Kurzzeitpflege.

Wir wissen, dass Mitarbeiter mit pflegebedürftigen An-

gehörigen besonders belastet sind, und unterstützen sie,

damit sie Beruf und Pflege vereinbaren können.

Wie möchten Sie im Alter leben? Welche Vorstellungen haben Sie davon?

So wie die meisten Menschen: möglichst lange aktiv und

gesund in meinem persönlichen Umfeld.

Vielen Dank für das Gespräch.

3 Fragenan Daniel Bahr

35

Die Veranstaltung2. Berliner Pflegekonferenz

36

Impressionen der 2. Berliner PflegekonferenzTag 1, 3. November 2015

37

38

Karriere und Pflege: Für viele Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist das immer noch ein Widerspruch. Das muss sich ändern. Auf der Berliner Pflegekonferenz wurden deshalb erstmals drei Unternehmen für ihr zukunftsweisendes Engagement zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Pflege mit dem Otto-Heinemann-Preis ausgezeichnet.

Die Zahl der Pflegebedürftigen in Deutschland nimmt ra-

sant zu. Waren es Ende 2013 noch 2,63 Millionen, gehen

Prognosen für das Jahr 2030 von 3,4 Millionen aus – Ten-

denz weiterhin steigend. Damit finden sich immer mehr

Arbeitnehmer in der Rolle des Pflegenden wieder. Wie ge-

hen Arbeitgeber damit um? Wie weit ist das Thema Pflege

bereits auf das Radar von Unternehmen und Behörden

gerückt? Was tun sie, um ihre Mitarbeiter zu unterstützen

und die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zu verbessern?

Der Otto-Heinemann-Preis zur besseren Vereinbarkeit

von Beruf und Pflege, der in diesem Jahr erstmals verlie-

hen wurde, lenkte den Blick auf diese wichtigen Fragen –

und zeigt, dass es bereits heute innovative und zukunftsfä-

hige Lösungen gibt.

Für die Kreishandwerkerschaft Cloppenburg, die den

Preis in der Kategorie bis 50 Mitarbeiter erhielt, ist die

Vereinbarkeit von Pflege und Beruf täglich gelebte Reali-

tät, denn ein Drittel der Beschäftigten nimmt bereits jetzt

Betreuungspflichten für Angehörige wahr.

Otto-Heinemann-Preis

Pflege und Beruf — vom Tabuthema zur Normalität?

Iris Gleicke, Staatssekretärin im BMWI mit den Preisträgern Dr. Michael Hoffschroer und Günther Tönjes von der Kreishandwerkerschaft Cloppenburg

39

„Wir haben den Anspruch, ein guter Arbeitgeber zu sein.

Da gehört es einfach dazu, dass wir unsere Mitarbeiter

auch in dieser Frage unterstützen. So haben wir schon

vor vier Jahren damit begonnen, neue Dienstzeitver-

einbarungen mit dem Personalrat auszuhandeln, um die

Arbeitszeitregelungen zu flexibilisieren“, sagt Hauptge-

schäftsführer Dr. Michael Hoffschroer. „Das ist ein ganz

entscheidender Aspekt, wenn es um die Pflege von Ange-

hörigen geht. Ob Teilzeitregelungen, Vertrauensarbeits-

zeiten, Lebensarbeitszeitkonten oder Ähnliches: Hier

sollten gerade im Kleinbetrieb Grundlagen geschaffen

werden, um auf dieser Basis in gegenseitiger Wertschät-

zung schnell und flexibel agieren zu können. Uns geht es

darum, pflegenden Mitarbeitern verlässliche Strukturen

zu geben und sie aus der Rolle des Bittstellers zu holen.

Denn das Thema Angehörigenpflege ist für viele Arbeit-

nehmer noch immer heikel. Bei uns im Betrieb wird heute

deutlich offener über dieses Thema gesprochen und darü-

ber bin ich auch persönlich sehr froh.“

Die Enttabuisierung des Themas Pflege ist auch für Ludger

Osterkamp ein ganz wesentlicher Punkt. Der Geschäfts-

führer der ExTox Gasmess-Systeme GmbH, die in der Ka-

tegorie 50 bis 250 Beschäftigte ausgezeichnet wurde, ist

davon überzeugt, dass Initiativen in diesem Bereich „von

oben“ kommen müssen. Nur so können Berührungsängste

abgebaut werden.

„Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ist bei uns Chef-

sache, und das muss auch so sein“, sagt Herr Osterkamp.

„Als wir vor zwei Jahren zu einem ‚Elternsprechtag‘ einlu-

den, gab es noch viel Zurückhaltung. Aber bei vielen hat

dann die Neugier gesiegt. Die älteste Teilnehmerin war

91 und fuhr mit dem Rollator vor. Es wurde ein sehr schö-

ner Nachmittag; für die Eltern der ‚angenehmste Eltern-

sprechtag, den sie je hatten‘. Dabei zeigte sich, dass Pflege

für viele ein wichtiges Thema ist.“

Heute gibt es bei ExTox zahlreiche Unterstützungsmaß-

nahmen, von flexiblen Arbeitszeiten über umfangreiche

Informations-, Beratungs- und Vermittlungsangebote bis

hin zu zwei ausgebildeten Pflegebegleitern als ständige

Ansprechpartner im Unternehmen (einer davon ist der

Chef selbst). Für Ludger Osterkamp ergibt sich das zwin-

gend aus dem Selbstverständnis des Unternehmens: „Wir

sehen uns als Familienbetrieb im wahrsten Sinne des Wor-

tes. Die Firma ist kein Selbstzweck, sondern für uns und

unsere Familien da. Niemand ist bei uns ersetzbar. Es zählt

der Mensch, nicht die Personalnummer.“

Wie sehr dem Unternehmen das Thema Pflege am Herzen

liegt, zeigt sich auch im neuesten Song der Firmenband, in dem

es um die schwierige Beziehung eines Demenz-

kranken zu seinem Pfleger geht (zu hören auf der

Website des Unternehmens www.extox.de).

In der Kategorie über 251 Mitarbeiter wurde das Soft-

wareunternehmen SAP ausgezeichnet. Das Walldorfer

Unternehmen hat vor etwa eineinhalb Jahren damit be-

gonnen, quartalsweise Informationsveranstaltungen zum

Thema Pflege abzuhalten.

„Zunächst war die Teilnahme sehr gering, trotz unserer

traditionell offenen und wertschätzenden Unterneh-

menskultur“, sagt Christine Rosendahl, die bei SAP für die

Vereinbarkeit von Pflege und Beruf verantwortlich ist. „Da

hat man schon gemerkt, dass das Thema für viele Kollegen

Iris Gleicke, Staatssekretärin im BMWI, mit den Preisträgern Ludger Osterkamp und Olaf Kayser von der ExTox Gasmess-Systeme GmbH

Die Veranstaltung

40

Schlüsselposition der Chefs wurde auch bei SAP klar er-

kannt: „Ein wichtiger Schwerpunkt für die Zukunft ist,

Führungskräfte noch stärker für das Thema zu sensibili-

sieren. Berührungsängste müssen abgebaut und pragma-

tische Lösungen möglichst unkompliziert und zeitnah aus-

gehandelt werden können“, sagt Frau Rosendahl.

Als weltweit tätiges Großunternehmen, das Fachkräfte

aus allen Teilen Deutschlands und der Welt anzieht, sieht

Frau Rosendahl auch die zunehmende Mobilität von Ar-

beitnehmern als Herausforderung, die es zu meistern

gilt: „Bei uns gibt es relativ wenige Mitarbeiter, die ihre

Angehörigen in der Nähe haben. Viele müssen Pflege aus

der Ferne organisieren. Das ist heute bereits ein weitver-

breitetes Phänomen. In dem Maße, in dem sich der Alters-

durchschnitt im Unternehmen erhöht, wird das Thema

Pflege für viele immer stärker in den Fokus rücken. Da ist

es ganz entscheidend, dass man gut vorbereitet ist und

nicht aus allen Wolken fällt, wenn es so weit ist.“

Für alle Preisträger und Nominierten ist die Bindung qua-

lifizierter Mitarbeiter ein wichtiger Beweggrund, sich mit

der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf auseinanderzuset-

zen. „Für uns geht es auch ganz klar darum, die Produktivi-

tät unserer Mitarbeiter zu erhalten“, sagt Frau Rosendahl.

„Deshalb wollen und müssen wir sie hier unterstützen. Das

liegt in der Verantwortung der Unternehmen, die ihre Mit-

arbeiter zu Recht als höchstes Gut betrachten. Wir müs-

sen die Rahmenbedingungen schaffen, um loyale und leis-

tungsfähige Fachkräfte gewinnen und halten zu können.“

scheinbar schwierig ist. Wir haben uns entschlossen, ein-

fach weiterzumachen, und das Interesse hat ständig zu-

genommen. Hier ist Kontinuität sehr wichtig. Wir haben

deutlich gemacht, dass wir das Thema ernst nehmen, und

unsere Mitarbeiter haben das irgendwann auch realisiert.

Heute haben wir viele sehr positive Rückmeldungen.“

Bei den ergänzenden Pflegeseminaren geht es zum Bei-

spiel um so wichtige Themen wie Vollmachten, Finanzie-

rung und Zeitmanagement. Für die Zukunft will SAP die

„Selbstpflege“ noch stärker in den Blick nehmen. „Ein ganz

wichtiger Punkt ist doch: Wie gehe ich als pflegender oder

mit dem Thema Pflege konfrontierter Angehöriger mit der

Belastungssituation um, die daraus erwächst? Wie kann

ich für Ausgleich sorgen? Wer kann mir helfen, das als Per-

son durchzustehen? Das sind entscheidende Fragen, die

am Ende auch die Qualität der Pflegesituation beeinflus-

sen“, sagt Frau Rosendahl.

In relativ kurzer Zeit hat SAP einen „bunten Strauß“ an

Maßnahmen für Mitarbeiter zusammengestellt, die ei-

nen Pflegefall in der Familie haben oder sich vorbeugend

beraten lassen möchten. Dabei arbeitet SAP auch mit

externen Dienstleistern zusammen. So können Mitar-

beiter selbst entscheiden, ob sie pflegebezogene Fragen

im Unternehmen selbst klären oder lieber anonym blei-

ben möchten. Flexible Arbeitszeitmodelle, Vertrauens-

arbeitszeit und auch Arbeitszeitkonten sind bei SAP seit

Längerem selbstverständlich und können ganz individuell

ausgehandelt werden. Erleichtert wird das dadurch, dass

die meisten Mitarbeiter auch mobil arbeiten können. Die

Staatssekretärin Iris Gleicke überreicht den Preis an Anka Wittenberg und Christine Rosendahl von SAP SE

41

Für alle drei Preisträger ist der Otto-Heinemann-Preis

eine Bestätigung ihres Weges und zugleich ein wichtiges

Signal an andere: „Der Preis bestärkt uns darin, unser En-

gagement fortzuführen und zu vertiefen. Und wir hoffen

natürlich, dass er dazu beiträgt, immer mehr Betriebe an

das Thema heranzuführen“, sagt Dr. Hoffschroer.

Der Preis wurde von Iris Gleicke, Staatssekretärin im

Bundeswirtschaftsministerium und Beauftragte für den

Mittelstand, im Beisein von rund 400 geladenen Gästen

verliehen. Namensgeber für den Preis ist der ehemali-

ge Prokurist der Firma Krupp in Essen. Der engagierte

Kommunalpolitiker und Vater des dritten Präsidenten

der Bundesrepublik Deutschland hat sich in ganz be-

sonderer Weise um das Betriebskrankenkassenwesen

verdient gemacht.

42

Die Preisträger

Preisträger Nominierte

43

Die Enkelin

Frau Prof. Dr. Uta Ranke-Heinemann

Unser besonderer Dank für die aktive Mitwirkung bei der Auslobung und Verleihung des Otto Heine-mann Preises zur Vereinbarkeit von Beruf und Pfle-ge gilt der Familie Heinemann, speziell der Enkelin von Otto Heinemann, Frau Prof. Dr. Uta Ranke-Heinemann und ihrem Sohn.

In einem Filmbeitrag zitierte die katholische Theologin

und international renommierte Kirchenkritikerin Uta

Ranke-Heinemann u. a. aus den Lebenserinnerungen ih-

res Vaters, dem ehemaligen Bundespräsidenten Gustav

Heinemann. Darin schildert dieser seinen Vater Otto

Heinemann als ausgesprochen willensstarken und

engagierten Mann beim Aufbau des betrieblichen Gesund-

heitswesens und zugleich als liebevollen Familienvater.

Hier geht's zum Film:

Die Veranstaltung

44

Impressionen der 2. Berliner PflegekonferenzAbendveranstaltung, 3. November 2015

45

46

Gute Pflegeprojekte sind intelligent, pragmatisch und ganz nah am Menschen – wie die Initiative, die in diesem Jahr auf der zweiten Berliner Pflegekonferenz mit dem Marie-Simon-Pflegepreis geehrt wurde. Die Seniorengemeinschaft Kronach Stadt und Land e. V. beweist seit Jahren, welche wichtige Rolle bürgerschaftliches Engagement in der Pflege spielen kann. Aber auch die Bedeutung professioneller Pflegekräfte wurde bei der Preis-verleihung gewürdigt.

Wirklich gute Ideen sind oft einfach. Aber man muss erst

einmal drauf kommen. Ein gutes Beispiel: die Senioren-

gemeinschaft Kronach Stadt und Land e. V., die in diesem

Jahr mit dem Marie-Simon-Pflegepreis ausgezeichnet

wurde. Der Verein hat das Ziel, Pflegebedürftigen und

älteren Menschen, die ihren Alltag nicht mehr allein be-

wältigen können, schnell und unkompliziert zu helfen. Die

Mitglieder des Vereins unterstützen sich gegenseitig bei

einfachen häuslichen und handwerklichen Tätigkeiten,

mähen den Rasen, versorgen zum Beispiel bei Kranken-

hausaufenthalten Blumen und Haustiere, gehen einkau-

fen oder bieten Fahrdienste an. Der Grundgedanke: Jeder

macht, was er kann.

„Es sind die kleinen, aber wichtigen Dinge des Alltags, die

für ältere Menschen oft zu großen Problemen werden

können“, sagt Bianca Fischer-Kilian, die den Verein 2010

gründete und seitdem die Hilfeleistungen koordiniert.

„Für eine 80-jährige Dame ist schon das Auswechseln ei-

ner Glühbirne eine kaum zu bewältigende Hürde. Oder

der große Einkauf, der in unserer ländlichen Region ohne

Auto meist nicht bewältigt werden kann. Oder wer füt-

tert die Katze, wenn ich mal nicht da bin? All diese Dinge

werden von den Mitgliedern unseres Vereins übernom-

men, die noch fit sind und gern helfen wollen. So werden

die einen unterstützt, und die anderen haben das Gefühl,

gebraucht zu werden und einen Beitrag zu leisten. Das ist

für beide Seiten ein gutes Gefühl. Und es trägt dazu bei,

dass ältere Menschen länger selbstbestimmt in ihren eige-

nen vier Wänden leben können und eben nicht so schnell

zum akuten Pflegefall werden.“

Der Verein, der mittlerweile 663 Mitglieder im Alter von

14 bis 99 Jahren hat, ist in allen 18 Gemeinden des Land-

kreises aktiv und war der erste in Bayern, der eine flä-

chendeckende Versorgung anbot. Im Monat werden von

den Mitgliedern etwa 500 Arbeitsstunden geleistet. Je ge-

leistete Stunde erhalten sie vom Leistungsempfänger eine

Ehrenamtspauschale von acht Euro. Zwei Euro gehen an

den Verein, der davon einen Teil der laufenden Kosten be-

streitet, der Rest verbleibt beim Leistungserbringer. Die-

ser hat aber auch die Möglichkeit, die geleisteten Stunden

auf einem Unterstützungskonto gutschreiben zu lassen,

um später selbst die Hilfe anderer Mitglieder in Anspruch

nehmen zu können.

„So können gerade Menschen, die finanziell nicht so gut

dastehen, zum Beispiel Hausfrauen oder Frührentner, für

die Zeit vorsorgen, wenn sie selbst einmal Hilfe benöti-

gen“, sagt Frau Fischer-Kilian. „Dabei stehen wir nicht in

Konkurrenz zu professionellen Pflegediensten, das kön-

nen wir auch gar nicht leisten. Unsere Mitglieder überneh-

men die Aufgaben, die ein Pflegedienst eben nicht machen

kann, die aber genauso wichtig sind. Das alltägliche Drum-

herum. Wichtig ist auch die soziale Komponente. Unsere

Mitglieder stehen untereinander in Kontakt, verabreden

Marie-Simon-Pflegepreis

Ein Pflegeprojekt, das Schule machen sollte.

47

sich zu Spielenachmittagen, gehen miteinander spazieren,

ins Café oder erkundigen sich einfach mal, wie es dem an-

deren geht. So wirken wir auch der Vereinsamung im Alter

entgegen.“ Darüber hinaus organisiert der Verein regel-

mäßig Ausflüge und Veranstaltungen und sorgt so für ein

lebendiges, menschliches Miteinander.

Der Start des Projektes wurde unter anderem durch För-

dermittel des Landes Bayern ermöglicht. Die laufenden

Kosten werden aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und

dem Vereinsanteil aus der Stundenvergütung bestritten.

Am Leben erhalten wird der Verein durch das große eh-

renamtliche Engagement der Mitglieder, des Vorstandes

und vor allem durch Frau Fischer-Kilian, die viel Zeit und

Energie in das Projekt investiert: „Es ist schon eine gewis-

se Selbstausbeutung, die ich hier betreibe. Aber als pfle-

gende Angehörige habe ich damals selbst gemerkt, wie

viel diese Unterstützung bedeuten kann. Ich glaube an

unser Projekt und habe die Hoffnung, dass es sich noch

weiter herumsprechen wird. Dann könnten vielleicht auch

weitere Fördermittel bereitgestellt werden. Ab 1.000 Mit-

gliedern trägt sich solch ein Projekt selbst, inklusive der

Bezahlung des nötigen Personals.“

Doch Frau Fischer-Kilian denkt noch weiter. Ihre Vision ist

ein landesweites Netzwerk von Seniorengemeinschaften

mit einem übergreifenden System von Unterstützungs-

konten. Denn gerade in ländlichen Regionen wie dem frän-

kischen Kronach ziehen die Kinder irgendwann aus be-

ruflichen Gründen in andere Gegenden, können sich also

nicht mehr selbst um ihre Eltern kümmern. Ein System,

wie es Bianca Fischer-Kilian vorschwebt, würde es ihnen

ermöglichen, an ihrem Wohnort Leistungen für Senioren

zu erbringen und so ein Unterstützungsguthaben auf-

zubauen. Diese Stunden könnten dann mit den Hilfeleis-

tungen verrechnet werden, die andere für ihre Eltern und

Angehörigen daheim erbringen, oder für das eigene Alter

angespart werden.

Für Frau Fischer-Kilian ist der Marie-Simon-Pflegepreis

eine willkommene Bestätigung der bisher geleisteten Ar-

beit: „Zum fünfjährigen Jubiläum einen solchen Preis zu

bekommen, ist toll. Es wäre schön, wenn das dazu beiträgt,

unser Projekt noch weiter bekannt zu machen. Wir haben

schon jetzt immer wieder Anfragen aus anderen Teilen

Bayerns und der Bundesrepublik. Neulich war sogar eine

Delegation aus Südkorea da.“

V.l.n.r Yves Rawiel, Ulla Schmidt, Bianca Fischer-Kilian, Dr. Gerd Landsberg, Loring Sittler

Die Veranstaltung

48

Neben dem bürgerschaftlichen Engagement spielt natür-

lich die professionelle Pflege eine entscheidende Rolle.

Hier braucht es noch viel mehr qualifizierte und motivier-

te Fachkräfte, um den demografischen Wandel langfristig

zu meistern und einem Pflegenotstand entgegenzuwirken.

Darauf verweist auch der Sonderpreis, den die Jury des

Marie-Simon-Pflegepreises in diesem Jahr an den Verein

zur Förderung Pflegerischer Qualität e. V. vergab.

Eine wichtige Initiative des Vereins ist der Bundeswett-

bewerb „Bester Schüler in der Alten- und Krankenpflege“,

der seit 2011 stattfindet. In diesem Jahr nahmen 25.000

Pflegeschülerinnen und -schüler teil. „Uns geht es nicht

nur darum, den besten Schüler auszuzeichnen, sondern

insbesondere sollen damit die Werte und Fachkompeten-

zen, aber auch die Motivation der jungen Menschen in der

Pflege gestärkt werden“, sagt Jens Frieß, Präsident der

Initiative. Zudem sei gute Pflege nicht nur die Frage einer

qualifizierten Ausbildung, sondern hänge auch maßgeblich

davon ab, wie viel Wertschätzung den Menschen in der

Pflege entgegengebracht wird. Der Sonderpreis wurde

von Melanie Segelke (DRK-Schwesternschaft Hamburg)

entgegengenommen, die in diesem Jahr einen der beiden

zweiten Plätze beim Bundeswettbewerb belegte.

Der Marie-Simon-Pflegepreis für herausragende Pro-

jekte in der Pflege wurde 2015 bereits zum zweiten Mal

durch spectrumK und den Deutschen Städte- und Ge-

meindebund verliehen. Die Übergabe des Preises auf der

Berliner Pflegekonferenz erfolgte durch Bundesgesund-

heitsministerin a. D. Ulla Schmidt. Benannt ist der Preis

nach der „deutschen Florence Nightingale“ Marie Simon

(1824–1877). Die Krankenpflegerin, die unter anderem

im Deutschen und im Deutsch-Französischen Krieg auf-

opferungsvoll Kranke und Verwundete versorgte, leistete

einen wichtigen Beitrag zur Professionalisierung von Pfle-

geberufen und zum Aufbau des Deutschen Roten Kreuzes

im damaligen Königreich Sachsen.

Yves Rawiel, Ulla Schmidt und Dr. Gerd Landsberg mit der Jurypreisträgerin Melanie Segelke

49

Die Preisträger

Preisträger Nominierte

Die Veranstaltung

50

Impressionen der 2. Berliner PflegekonferenzTag 2, 4. November 2015

51

52

53

Wie sind Sie denn zum Thema Pflege gekommen?

Das ist sehr, sehr lange her! Meine Karriere begann in

der Aids-Krise in den 80-er Jahren. Da war meine erste

Anstellung im Bereich der Großmodelle Aids- und Sozial-

stationen, in denen es darum ging, Menschen mit HIV auf

dem letzten Weg ihres Lebens pflegerisch zu begleiten.

Das nannte man damals noch nicht so, heute könnte man

aber von Palliative Care sprechen.

Was hat sich zwischen damals und heute in der Pflege getan?

Es hat sich alles in sehr kleinen Schritten weiterentwickelt.

Ich würde eher von einer Evolution sprechen denn von

einer Revolution, die wir eigentlich bräuchten. Nach wie

vor wird der Beruf als der mit dem großen Herzen wahr-

genommen – und nicht der, der wissenschaftlich fundiert

und kompetent arbeiten kann. Das Image der Pflege ist

erheblich verbesserungsbedürftig – das sieht man zum

Beispiel sehr gut im palliativen Bereich, über den ja gerade

viel diskutiert wird. Wenn es um die wissenschaftliche

Auseinandersetzung geht, dann spricht man gerne von der

Palliativmedizin – obwohl die Palliativpflege sicherlich

fachlich genauso fundiert ist.

Wie erklären Sie sich das?

Der Status der Pflege ist historisch bedingt. Ein nachge-

ordneter Frauenberuf, der hier in Deutschland nachhal-

tig beeinflusst wurde durch kirchliche Traditionen. Diese

kirchliche, sehr stark auf Frauen ausgerichtete Entwick-

lung, verbunden mit einer starken Medizin und einem hi-

erarchisch strukturierten Gesundheitssystem, führt dazu,

dass Pflege als nachgeordneter Beruf gesehen wird, den

jeder praktizieren kann.

Wie könnte die Revolution in der Pflege aussehen?

Wir benötigen mehr akademisch qualifiziertes Pflegeper-

sonal, das in der Lage ist, die wissenschaftlichen Erkennt-

nisse anzuwenden oder auch zu entwickeln – davon sind

Im Gespräch mit Prof. Dr. Michael Ewers, Charité, Berlin

Wir braucheneine Revolution

Pflegeausbildung

54

wir noch sehr weit entfernt. Der Wissenschaftsrat hat vor

zwei Jahren gefordert, dass 10 bis 20 Prozent aller Auszu-

bildenden eines Jahrgangs an einer Hochschule ausgebil-

det werden sollten – davon sind wir meilenweit entfernt.

Wir brauchen viel Geld im Bereich der Forschung, um

neue Erkenntnisse gewinnen zu können. Da sind wir in Eu-

ropa Schlusslicht! Das ist natürlich immer ein Kampf um

Ressourcen, weil das Geld, das für Veränderungen in der

Pflege eingesetzt würde ja anderswo weggenommen wer-

den müsste. Und das ist wiederum eine Frage der Macht

und des Einflusses. Hier gibt es mächtige Lobbyverbän-

de, die sich dagegen wehren. Ich wäre ja aber schon froh,

wenn es einige wichtige Dinge außer der Akademisierung

gäbe, die sich ändern würden – zum Beispiel die berufliche

Ausbildung: Hier brauchen wir mehr akademisch ausge-

bildetes Lehrpersonal in allen Einrichtungen. Ich erlebe

ja persönlich auf Diskussionsrunden immer wieder eine

Überraschung, wenn ich erzähle, dass in Deutschland je-

der Grundschullehrer ein Studium braucht, aber um Ge-

sundheitsberufe auszubilden, brauchen Sie das nicht! Da

müssen Sie vielfach nur den Beruf gelernt und eine Wei-

terbildung durchlaufen haben – dann sind Sie Lehrer!

Was ist also zu tun?

Wir müssen beides verbessern: Wir müssen die Anstren-

gungen im Bereich der Akademisierung intensivieren. Da

sind wir dabei – aber wir müssen gleichzeitig dafür sorgen,

dass sich die Berufsausbildung verbessert. Die hat erheb-

liche Mängel hierzulande. Wir müssen auch über die Frage

diskutieren, wie wir international anschlussfähig bleiben:

Deutschland ist das letzte Land, in dem man mit einer

zehnjährigen Schulausbildung eine Pflegeausbildung be-

ginnen kann. In allen anderen Ländern wurde das auf zwölf

Jahre Allgemeinbildung festgelegt. Wir hoffen ja auf das

neue Pflegeberufegesetz. Eine Akademisierung und eine

bessere Ordnung der Berufe sind ja Schritte, auf die wir

lange gewartet haben und die auch über einen fast 20-jäh-

rigen Diskurs gegangen sind. Und natürlich brauchen wir

stärkere Lobbyverbände. Ich begrüße daher die Bemü-

hungen um die Einrichtung von Pflegekammern in einigen

Bundesländern. Letztlich muss die Pflege ihre Interessen

besser organisieren, als dies in der Vergangenheit der Fall

war!

Die Schwierigkeit ist, dass wir sehr spät angefangen ha-

ben mit den Veränderungen, dass wir dafür sehr lange

benötigen und dass die Veränderungen bei den Pflege-

bedürftigen noch nicht immer ankommen. Ich glaube, das

Problembewusstsein ist überall da. Es gibt immer noch

Lobbygruppen, die bremsen, aber den Zug zum Stehen

bringen, können Sie glaube ich nicht mehr. Dazu ist das

Thema Pflege politisch auch zu wichtig geworden.

Was können wir aus dem Ausland lernen?

Was mir immer wieder auffällt: dass die Kolleginnen und

Kollegen eine sehr fundierte Ausbildung haben und ein

sehr gesundes Selbstbewusstsein. Zwischen medizini-

schen Wissenschaftlern und Pflegewissenschaftlern gibt

es keine Unterschiede in der Wertschätzung mehr. Sie

bewegen sich dort sehr souverän und können mithalten –

und daran mangelt es hierzulande. Wir haben viel zu we-

nig Selbstbewusstsein, um zu sagen, dass wir auch schon

vieles geleistet haben und dass wir Erfolge vorweisen

können. Da können wir von den internationalen Kollegen

etwas lernen. Und ich träume ja immer noch von einem

unbefristeten Pflegestreik, bei dem alle die Arbeit nieder-

legen – und wir dann schauen, was in diesem Land passie-

ren würde. Pflegende leisten eine Arbeit, über die wir sehr

wenig sprechen und die von der Gesellschaft auch wenig

gewürdigt wird. In Ländern wie Kanada und den USA sind

„Fireworkers“ und „Nurses“ die Helden des Alltags!

Was geben Sie Ihren Studenten denn mit auf den Weg?

Ich hoffe, Selbstbewusstsein. Dass sie stolz sein können

auf das, was sie hier lernen – und dass sie bereit sind, als

Kliniker oder auch Lehrende Verantwortung zu über-

nehmen und die Pflege mitzugestalten. Das ist uns ganz

wichtig, sie in ihrer Professionalität zu stärken und sie zu

Pflegenden zu machen, die wissen, dass sie einen Beruf

mit langer Tradition und großer Verantwortung für die

Zukunft unserer Gesellschaft haben. Das ist unser Ansatz.

Vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. Michael Ewers+

Charité – Universitätsmedizin Berlin www.ewers-ecc.de

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56

+ Prof. Dr. Christian Rester kommt aus einer „Pflegefami-

lie“ – sein Bruder ist Pflegewissenschaftler, die Mutter ar-

beitete in der Altenpflege, sein Vater leitete 30 Jahre lang

ein Altenheim und ist erst kürzlich in Rente gegangen. „Ich

war schon im Alter von zehn Jahren oft im Altenheim dabei,

da war es fast kein Wunder, dass ich am Ende jetzt auch im

Bereich Pflege arbeitet. Rester wollte aber eigentlich Mu-

siker werden, gesteht er. „Ich habe auch Schlagzeug in ei-

ner Band gespielt, kann aber sehr gut damit leben, dass es

nicht zum Rockstar gereicht hat“, erzählt er schmunzelnd.

Er hat dann – ganz solide – eine Pflegeausbildung gemacht.

Und sich mit Pflegejobs auch sein Studium finanziert.

„Und glückliche Umstände ermöglichten es mir dann, dass

ich auch noch promoviere“, sagt er bescheiden. Kürzlich

hat er in Deggendorf damit begonnen, den Schwerpunkt

Pflege an der dortigen Technischen Hochschule aufzubau-

en. „Moment einmal – Pflege und Technische Hochschule,

wie passt denn das zusammen?“, mag sich der eine oder

andere da fragen. „Wir fangen zwar dieses Jahr mit dem

ersten Studiengang an, aber ich sehe jetzt schon, dass

da ganz große Potenziale in der Verbindung zwischen

Pflege und Technik liegen“, sagt Prof. Rester stolz. „Da

passiert sehr viel, da gibt es auch einen Markt – da liegt

Wirtschaftspotenzial!“

Die Menschen würden schließlich immer technikaffiner.

„Handy, Technik, Mobilität, Einkaufen – bis hin zur Frage

der betrieblichen Angehörigkeit pflegender Angehöriger –

das alles befindet sich im Wandel“, erklärt Rester. Einer-

seits sei da das sozialpolitische Ziel, die Lebensarbeitszeit

zu verlängern, andererseits sei es gerade diese Generati-

on, die die Pflege von Angehörigen zu managen habe. „Die

50-plus-Tochter, die in der ländlich strukturierten Gegend

lebt und die die Mutter versorgen muss, ist da so ein ganz

typischer Fall, für den wir neue Formen der Kooperation

brauchen“, so der Gerontologe. Kreativität sei da nicht nur

bei den Betrieben gefragt, sondern auch in der Wissen-

schaft: „Pflegewissenschaft, Gerontologie und Demogra-

fie müssen da ganz eng zusammenarbeiten.“

Gerade in den strukturschwachen Regionen werde das

Missverhältnis von Erwerbspersonen und Pflegebedürfti-

gen noch mehr an Schärfe gewinnen, meint Rester – da es

dort zusätzlich eine Emigration der Jugend in die Ballungs-

zentren gebe. „Klar wollen die alten Menschen zu Hause

in ihrer gewohnten Umgebung bleiben, das zeigt jede

Umfrage – aber es wird eine große Herausforderung wer-

den, dies auch zu bewerkstelligen“, betont der Pflegewis-

senschaftler. Kommunen, Betriebe und der Staat müssten

hier die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen,

fordert Rester.

Pflege — die Disziplin der

ZukunftProf. Dr. phil. Christian Rester

über neue Formen der Kooperation

Prof. Dr. phil. Christian Rester+Gerontologie und demografische EntwicklungTechnische Hochschule Deggendorf www.th-deg.de

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Prof. Dr. Sandra Bachmann+

Studiengang Pflege (Bachelor)Hochschule für Gesundheit, Bochum

www.hsg.de

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+ Frau Prof. Dr. Sandra Bachmann ist Professorin im Studi-

engang Pflege an der hsg in Bochum – der einzigen Hoch-

schule in Deutschland, die grundständige Studiengänge im

Bereich der Ergotherapie, Hebammenkunde, Logopädie,

Pflege und Physiotherapie sowie ab 2015/16 den Master-

Studiengang Evidence-based Health Care anbietet. Und

darauf ist sie ganz besonders stolz: „Wir leisten einen

Beitrag zur Akademisierung der Gesundheitsfachberufe“,

erzählt die Expertin in Sachen Pflege. Die Kombination

aus staatlicher Prüfung und Studium ermögliche es, dass

man gleichzeitig die Berufszulassung erlangen und einen

Bachelor-Abschluss erwerben kann. Seit 2009 vereinigt

die hsg so alle Gesundheitsfachberufe an einem Campus,

seit Neuestem sogar auf dem Gelände der Ruhr-Uni — dem

Gesundheitscampus. Das gebe es sonst nirgendwo. Ist Bo-

chum in der Gesundheitsausbildung der Nabel der Welt?

„Die Hochschule hat sozusagen das Thema Professionali-

sierung der Gesundheitsfachberufe und Weiterentwick-

lung der Versorgung verinnerlicht“, erzählt die Professo-

rin. Parallel dazu sei die Hochschule aber auch zentrales

Glied eines einzigartigen Modellprojektes in Deutschland.

„NRW ist momentan das einzige Bundesland, das die Aka-

demisierung der Gesundheitsfachberufe wissenschaftlich

begleitet und evaluiert“, freut sich Bachmann. Die ersten

Erkenntnisse dazu seien im Frühjahr veröffentlich worden.

Das Ergebnis: „Akademisierung ist der nächste Schritt in

Richtung Professionalisierung. Wir sind noch nicht so weit,

dass wir belegen können, dass wir die Versorgung verbes-

sern. Aber unsere Studenten bringen auf jeden Fall einen

höheren Grad an Reflexionsvermögen mit.“ Hinterfragen,

evaluieren, Verbesserungen anstoßen – darum geht es ihr.

Und darum, dass diese Erkenntnisse dann auch in der Pra-

xis umgesetzt werden. Die Rückmeldungen der Absolven-

ten zeigen, dass diese in direktem Patientenkontakt, also

in der Versorgung, bleiben. „Das bedeutet, dass wir also

höher qualifizierte Menschen in der Versorgung haben.“

Kritischer Punkt sei nach wie vor die Bezahlung. „Da hat

sich zwar im Tarifrecht einiges getan“, erzählt Bachmann.

Sie weiß aber aus der eigenen Erfahrung, dass es nicht

von heute auf morgen geht. „Ich habe selbst Pflegepäda-

gogik studiert, und auch da hat sich erst im Laufe der Zeit

gezeigt, dass es unterschiedliche tarifliche Eingruppierun-

gen geben kann.“

Einen großen Bedarf sieht Bachmann für Absolventen

aus dem Bereich der Pflege auch in ganz neuen Berufs-

feldern: „Besonders bemerkenswert finde ich, dass viele

der Studenten und Absolventen im beraterischen Kontext

Interesse zeigen und Arbeitsplätze finden“, sagt sie. Etwa

Stetige Veränderung

Prof. Dr. Sandra Bachmann über die Akademisierung in der Pflege

Pflegeausbildung

60

ein Drittel der Absolventen nutzt auch die Möglichkeit,

sich im Master-Studiengang der hsg weiterzuqualifizieren,

bleibt aber der Praxis studienbegleitend erhalten.

Geht es nach Sandra Bachmann, wird sich das Bild der

Pflege stetig verändern: „Meine Idee ist, dass wir mit mehr

akademisch qualifizierten Experten in der Pflegepraxis ar-

beiten. Wir haben ja jetzt schon Pflegeexperten, die sich

im Bereich der onkologischen Erkrankungen spezialisiert

haben, im Bereich von Menschen mit demenziellen Er-

krankungen, im Entlassungsmanagement oder als Wund-

experten arbeiten. Eigentlich müssten wir in Zukunft auf

jeder Station Experten für unterschiedliche fachliche

Fragen haben – oder für ein bestimmtes Patientenklien-

tel“, meint sie. Zwar sollten diese Mitarbeiter auch direkt

im pflegerischen Bereich tätig sein – aber ganz bestimm-

te Fachfragen beantworten können. Im Moment gebe es

kaum Ressourcen für eine Spezialisierung. Den Fachkräf-

ten sei es so kaum möglich, Fallbesprechungen durchzu-

führen und ihr eigenes Handeln zu reflektieren.

Mit Studiengängen, wie sie an der hsg angeboten werden,

könnte sich das ändern. „Und ich merke auch, dass das ge-

nau bei meinen Studenten ankommt: nicht nur lernen, son-

dern das erworbene Wissen auch umsetzen.“ Das erlebt

sie als Professorin täglich. Praktische Erfahrungen sam-

meln die Studenten bei einem der über 500 Kooperations-

partner, mit denen die Hochschule zusammenarbeitet –

große Kliniken, aber auch kleinere Praxen und Altenpfle-

geheime in und um Bochum. Für die Pflegestudenten sind

diese gleichzeitig Ausbildungsbetrieb und Arbeitgeber.

Auch in Hospizen, beim MDK und bei der Alzheimergesell-

schaft können die Studierenden Praktika absolvieren. Die

einzige Herausforderung dabei: „Für uns gilt sowohl das

Hochschulgesetz als auch das Berufsrecht“, erklärt Bach-

mann. Doch die nimmt sie gemeinsam mit ihren Studenten

gerne an.

„Von der klassischen berufsschulischen Ausbildung in der

Pflege, die ich ja auch noch durchlaufen habe, werden wir

so zwar keine Vollakademisierung erreichen – aber zumin-

dest eine Teilakademisierung“, sagt Bachmann. Und das sei

auf jeden Fall erstrebenswert. „Die Studierenden sind fest

verwurzelt in der Pflege, haben aber gleichzeitig die Mög-

lichkeit, sich weiterzuentwickeln und sich andere Wege zu

erschließen.“ Pflege sei damit keine Sackgasse mehr.

Gut findet Bachmann auch die Generalisierung in der Pfle-

ge. „Wir haben hier die Studierenden der Altenpflege, der

Gesundheits- und Krankenpflege und der Gesundheits-

und Kinderkrankenpflege, die alle dieselbe theoretische

Ausbildung durchlaufen. Auch die praktischen Einsatzfel-

der sind generalistisch ausgerichtet. Am Ende unterschei-

den sich die Absolventen nur darin, dass sie die praktische

staatliche Prüfung in dem Schwerpunkt ablegen, den sie

vertraglich gewählt haben“, so Bachmann.

Dass zu wenige Absolventen am Ende in der Altenpflege

arbeiten, sieht Bachmann überhaupt nicht: „Diese strikte

Trennung ist heute nicht mehr zeitgemäß. Wir sehen, dass

sich die Studierenden nach spätestens zwei Jahren ent-

scheiden, in welchen Bereich sie gehen wollen. Viele wol-

len in die Altenpflege gehen. Aber viele entscheiden sich

auch für ganz andere Bereiche, die wir ja zukünftig auch

verstärkt brauchen – beim MDK, im Bereich der Pflegebe-

ratung oder in großen Unternehmen, die eigene Pflegebe-

rater einstellen. “

Problem der Altenpflege sei vielmehr, dass die Arbeit zwar

hochgeschätzt werde. „Aber die Art und Weise, wie man

mit den Kolleginnen und Kollegen umgeht, zeigt ein ganz

anderes Bild. Der Altenpflege täte es gut, wenn in Zukunft

mehr akademisch qualifizierte Fachkräfte da sind, die sich

behaupten, die reflektierter sind und die aufstehen und

sagen: So geht es nicht mehr!“

Ohnehin sei in Zukunft eine multikomplexe Behandlung

nötig: Gerade Menschen mit kognitiven Einschränkungen

bräuchten eine andere Expertise – und eine Kombinati-

on aus Altenpflege und Gesundheits- und Krankenpflege.

„Im Moment haben wir eine Trennung in der Finanzierung

zwischen SGB-V-Leistungen und SGB-XI-Leistungen, das

heißt, dass eine Pflegekraft in der stationären Altenpfle-

ge bestimmte pflegerische Handlungen nicht durchführen

darf und diese nicht abgerechnet werden können.“ Das

führe dazu, dass alte Menschen zum Beispiel wegen einer

Exsikkose oder einer Pneumonie häufig im Krankenhaus

landeten, obwohl die Behandlung auch genauso gut im Al-

tenheim hätte stattfinden können.

Und auf eine bessere Versorgung von Menschen mit einer

Demenz legt Bachmann ganz besonderen Wert. Schließ-

lich hat sie lange Zeit in einem Projekt zur Verbesserung

der Versorgung von Menschen mit Demenz im häuslichen

und stationären Setting gearbeitet.

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62

63

+ Wenn ich das Wort Freitodbegleitung höre, geht es mir

nicht gut. In meiner langjährigen Praxis als Palliativmedizi-

ner habe ich noch nie erlebt, dass jemand, der einen Todes-

wunsch äußerte, dabei geblieben ist, nachdem ich ihm die

Möglichkeiten und Alternativen einer würdevollen, angst-

und schmerzfreien Palliativbehandlung aufgezeigt habe.

Mein Eindruck ist, dass Menschen eine Selbsttötungsbe-

gleitung ins Auge fassen, weil sie ungenügend aufgeklärt

sind. Dass der Tod zum Leben gehört, dass wir ihn in jedem

Alter erleiden können, ist noch nicht wirklich in den Köpfen

angekommen. Bei einer Umfrage des DHPV vor drei Jahren

kannte gerade mal die Hälfte der Befragten den Begriff Pal-

liativmedizin, davon wiederum konnten ihn nur 30 Prozent

richtig definieren. Nimmt man polarisierende Positionen

von Politikern hinzu, die von „Qualtod“ sprechen, schürt

das zusätzlich Ängste. Dabei muss unter den heutigen Be-

dingungen wirklich niemand einen „Qualtod“ erleiden.

Das Wichtigste ist Aufklärung. Mit dem Projekt „Hospiz

macht Schule“ engagiert sich unser Verband dafür, dass die

Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben schon im

Grundschulalter beginnt. Dann kommen viele Ängste gar

nicht erst auf.

Ich bin entschieden gegen Liberalisierungsbestrebung, die

die Selbsttötung als etwas scheinbar Normales ans Ende

der Behandlungskette stellt. Das würde den Druck, sich ei-

ner solchen Selbsttötungsmöglichkeit zu bedienen, auf Alte

und Schwache in fataler Weise erhöhen. Im Einzelfall kann

ich nachvollziehen, dass einem eventuell nur die Sterbe-

hilfe bleibt. Dazu muss man allerdings nicht in die Schweiz

fahren. Sie ist in Deutschland auch nach dem neuen Ge-

setz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der

Selbsttötung der Gruppe straffrei. Zusammen mit dem von

Bundesgesundheitsminister Gröhe initiierten und mittler-

weile in Kraft getretenen Hospiz- und Palliativgesetz sind

damit in diesem Jahr zwei äußert wichtige Entscheidung

zur Sterbebegleitung getroffen worden, vereinen sich hier

doch die klare Absage an die organisierte, gewerbliche

Beihilfe zum Suizid und die Stärkung der zugewandten hos-

pizlichen und palliativen Versorgung und Begleitung. Beide

Gesetze werden dabei helfen, dass jeder Mensch unabhän-

gig von seiner zugrunde liegenden Erkrankung, der persön-

lichen Lebenssituation oder vom Versorgungsort eine qua-

litativ hochwertige palliative und hospizliche Behandlung

und Begleitung erhält.

Der Tod gehörtzum Leben

Prof. Dr. med. Winfried Hardinghaus+

Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands e.V. www.dhpv.de

Prof. Dr. Winfried Hardinghaus über die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben

Palliativversorgung

64

Dr. Erika Preisig+

Hausärztin und Präsidentin der Stiftung Eternal Spiritwww.lifecircle.ch

65

+ Die größte Angst hat der Mensch nicht vor dem Tod,

sondern davor, wie er stirbt. Vor Schmerzen, dem Ausge-

liefertsein, der Erstickungsnot, den Angstzuständen. Ich

habe 20 Jahre als Hausärztin palliativmedizinisch gearbei-

tet und Dinge erlebt, dass ich Angst vor meinem eigenen

Sterben bekommen habe. Durch die Freitodbegleitung

meines Vaters durfte ich erfahren, dass es noch etwas an-

deres gibt. Auch für mich persönlich ist es sehr wichtig, zu

wissen: Wenn ich es nicht mehr aushalte, kann ich Natriu

Pentobarbital nehmen. Das Narkotikum ermöglicht einen

schnellen, angst- und schmerzfreien Tod.

Die Freitodbegleitung wird in Deutschland kritisch gese-

hen. Dabei blendet man jedoch aus, dass das Leiden durch

den enormen medizinischen Fortschritt ein unerträgliches

Ausmaß annehmen kann. Ist es falsch, dafür eine Lösung

anzubieten? Nachdem Ärzte dem Herrgott, der den Men-

schen schon lang hat heimholen wollen, so viele Male ins

Handwerk gepfuscht haben?

Die Palliativmedizin begleitet beim Sterben, wir begleiten

zum Sterben, und zwar Menschen, die klar denken und ei-

genständig Entscheidungen treffen können.

Palliativmediziner sagen: „Wir wissen es besser. Wenn

wir helfen, hat der Mensch nicht mehr den Wunsch, zu

sterben.“

Wie auch? Die Palliativmedizin setzt gegen Schmerzen,

Angst und Atemnot Morphium ein. Der Mensch stirbt in

einem komaähnlichen Zustand. Nicht er, ein Mediziner

entscheidet die terminale Sedation. Menschen müssen 70,

80 Jahre Verantwortung für ihr Leben übernehmen, nur

für ihr Sterben dürfen sie es nicht? Das ist absurd.

Ja, es gibt einen negativen Aspekt bei der Freitodbeglei-

tung: dass Menschen in einem absolut reiseunfähigen Zu-

stand in die Schweiz reisen müssen und auch noch als Ster-

betouristen bezeichnet werden. Deshalb wünsche ich mir

für Deutschland klare Richtlinien, unter welchen Bedin-

gungen Ärzte eine Freitodbegleitung machen dürfen. Der

deutsche Gesetzgeber könnte beispielsweise eine sechs-

monatige Probezeit einrichten. Erfahrene Schweizer Ärz-

te könnten Hausärzte begleiten.

Vor allem brauchen wir eine Sterbekultur. Dazu gehört,

sich über alle Facetten des Sterbens zu informieren. Über

die Pflege zu Hause, über Hospize, Palliativmedizin, Ster-

be- und Freitodbegleitung. Jeder sollte mit Erreichen der

Volljährigkeit eine Patientenverfügung verfassen. Aber

was macht man mit 18? Man kauft sich ein Motorrad. Wie

schwer Sterben sein kann, dass man Angehörige entlasten

muss, wird vielen erst bewusst, wenn sie einen Menschen

verloren haben.

Der Mensch fürchtet sich mehr vorm Sterben als

vor dem TodDr. Erika Preisig über Freitodbegleitung und

die Notwendigkeit einer Sterbekultur

Palliativversorgung

66

Sehr geehrter Herr Professor, Sie arbeiten bereits seit geraumer Zeit im Bereich Palliativversorgung und Sterbebegleitung. Wie kam es zu dieser speziellen Ausrichtung des beruflichen Schwerpunktes? Was war Ihre Triebfeder?

Im Erstberuf war ich katholischer Priester. Dann hat es

mich nach Indien gezogen, wo ich insgesamt siebenein-

halb Jahre gelebt habe. Als ich dann aus Indien zurückkam,

nicht mehr Priester war und auch nicht mehr als Entwick-

lungshelfer tätig war, stellte sich mir die Frage: Was mache

ich jetzt?

Ich startete als Supervisor im Bereich Hospiz- und Palliati-

ve Care. Dies gab schließlich den Anstoß für die Gründung

eines Unternehmens, das Pflegefachkräfte speziell im Be-

reich Palliativversorgung ausbildet. Dieses Unternehmen

ist von Hamburg aus inzwischen für ganz Norddeutsch-

land und seit einiger Zeit auch in Südindien tätig.

Sehr interessant, und in Indien bilden Sie nun auch Fachkräfte im Bereich PalliativeCare aus?

Genau, mein Schwerpunkt liegt dennoch weiterhin in

Deutschland. Um Palliativmediziner zu werden, sieht die

BÄK meist ein Curriculum von viermal fünf Tagen (160 Un-

terrichtsstunden) vor. Ähnliches gilt für die Pflege. Wir ha-

ben bei MediAcion inzwischen 3.500 Pflegende und über

2.000 Mediziner so weitergebildet.

In Indien gibt es demgegenüber erst seit etwa acht Jah-

ren erste Bestrebungen zur geregelten Palliativbildung.

Die Inder haben sich entweder für ein sechswöchiges E-

Learning entschieden (mit drei Kontakttagen/optionalem

Praktikum) oder für eine zweijährige Facharztweiterbil-

dung in Palliative Care. Das E-Learning mag für eine erste

intellektuelle Begegnung mit diesem Thema genügen, aber

das Emotionale und Kommunikative fehlt vollkommen.

Meine Arbeit besteht darin, dass ich reguläre Universi-

tätsprofessoren der Medizin und der Pflege in diesem Pal-

liativbildungsbereich ausbilde. Inzwischen habe ich zwei

20-tägige Schulungen für Universitätsprofessoren durch-

geführt. Die nächsten starten Mitte Dezember. Bei diesen

Kursteilnehmern handelt es sich um Multiplikatoren, die

dann wiederum die anderen Studenten und weiter fortge-

schrittene Berufsangehörige unterrichten. Ziel ist es, die

in Deutschland bewährten Viermal-Fünftagekurse auch

in Indien zu etablieren und durch eine Reisetätigkeit der

Lehrenden gut auf ganz Indien zu übertragen.

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, waren Sie in Indien zunächst noch als katholischer Theologe tätig. Ist dies Ihre aktuelle Tätigkeit in Indien?

Also, meine jetzigen Tätigkeiten sind an der privaten Ma-

nipal-Universität und der muslimischen Yenepoya-Uni-

versität. Dort wurde mir im Mai ein Sonderlehrstuhl für

Palliative Care eingerichtet. Ich bin also gewissermaßen

ein muslimischer Professor mit katholischer Herkunft.

Palliative Careaus indischer Perspektive auf

Fragen in Deutschland blicken

Ein Interview mit Prof. Dr. Becker-Ebel

67

Sowohl meine Studentinnen als auch unterrichtende Do-

zentinnen kommen teilweise in Jeans oder mit schwarzem

Umhang vom Scheitel bis zum Knöchel in die Vorlesungen.

Gibt es da unterschiedliche Herangehensweisen hinsichtlich des Themas Palliativversorgung und Sterbebegleitung? Das Wertebild in Deutschland ist ja eher christlich geprägt, wonach der Mensch eigentlich keinen Einfluss auf den eigenen Tod nehmen darf.

Also, ich bin nicht mehr ganz in der alten Haltung der Ab-

lehnung des Suizidenten und der Verbannung vom kirch-

lichen Friedhof groß geworden. Weiß aber, dass es solche

Tendenzen bis 1975 im Katholischen gab.

Indien ist wirklich ein Vielvölkerstaat und das Erstaunli-

che ist, dass die skeptische Haltung sowohl in der Bevölke-

rung als auch in Fachkreisen fast gegenüber jeder Art von

Sterbebegleitung besteht, das scheint kulturell bedingt zu

sein. Indien ist ein sehr lebensbejahendes Land.

Der Untersuchung aus Singapur zufolge nimmt Indien

2015 auf einer Skala der 80 untersuchten Länder den

Platz 67 ein, wenn es um die Bedeutung und Umsetzung

von Palliativmedizin geht. Jede Überlegung, ob man die

Therapie eines unheilbar an Krebs Erkrankten zugunsten

einer reinen Schmerzbehandlung beendet, wurde meist

verneint. Erst vor zwei Jahren wurde das Verbot des Ein-

satzes von Opiaten in der häuslichen Krankenversorgung

aufgehoben. Und so entwickelt sich da langsam so etwas

wie Palliative Care, ähnlich wie in Deutschland vor 20 Jah-

ren. Der indische Arzt versteht sein Tun als Lebensrettung

und Lebensverlängerung. Angehörige fühlen sich ver-

pflichtet, den Patienten irgendwie dem Tod zu entreißen,

ansonsten sind sie schlechte Kinder. Diesen Schuldmecha-

nismus aufzulösen, ist eine sehr anstrengende Arbeit.

Es beginnt schon mit den „breaking bad news“, also ins

Deutsche übersetzt mit dem Überbringen der Todesnach-

richt bzw. der Nachricht der unheilbaren Erkrankung. Das

wird in Indien einfach nicht gemacht. Generell nicht. Indi-

en hat da seine Besonderheit, wir haben ein Curriculum

für Ärzte und Pflegende geschrieben: 18 indische Exper-

ten und der Brite Max Watson und die Leiterin der ameri-

kanischen Palliativgesellschaft und ich.

Und dort bestand die Problematik, ein Wort mit der De-

finition für Collution zu finden. Collution wird übersetzt

mit verbotenen Drittmittelgeschäften und ist mit der

Börse verbunden. In Indien wird dieser Begriff im Pallia-

tive-Care-Bereich gebraucht. Er bedeutet, dass der Arzt

immer dem (ältesten) Familienmitglied sagt, wie es um

den Patienten steht, niemals dem Patienten selbst. Und

selbst wenn in seltenen Fällen dem Patienten direkt vor

seinem Tod doch mitgeteilt wird, wie es um ihn steht, weil

es unausweichlich ist, dann stirbt der Patient meist bald

danach. Daraus folgern viele Ärzte, dass der Patient durch

die Nachricht demotiviert wird und daher sofort stirbt.

Das hat sich in der indischen Kultur stark verfestigt. Die

sehr engagierte Professorin für Geriatrie mit Interesse für

das Thema Palliative Care, Prof. Dr. Prabha Adhikari, hat

mich für die Manipal-Universität gewonnen. Sie hat ihre

Mitarbeiter/Oberärzte, die dort an der Uni unterrichten,

zusammengetrommelt. Dann begann der Unterricht. Fast

alle haben steif und fest behauptet, in Indien ginge das mit

„breaking bad news“ nicht.

Über ein Rollenspiel haben wir dann erarbeitet, wie es

doch funktionieren könnte. Ich habe das Projekt auch dem

Staatssekretär im Gesundheitswesen vorstellen können,

der das Projekt stark unterstützte. Ich habe mit meinem

deutsch-indischen Team anschließend viermal fünf Tage

unterrichtet. Einer der Teilnehmenden kam nach zwei Mo-

naten auf mich zu und berichtete, er hätte das gemacht,

„mit den Patienten sprechen“. Es sei total schwierig gewe-

sen, aber es hätte funktioniert. Meiner Frage nach der in-

dischen Kultur wurde entgegnet, dass es wohl eher daran

lag, dass sie nicht wussten, wie man das macht.

Welchen Mehrwert hat es denn für Patienten, Gewissheit über den eigenen Zustand zu haben? Früher war es auch in unserer Kultur durchaus üblich vorher Angehörige zu fragen, ob der Patient die Wahrheit verträgt.

Ich habe mit dem „Papst“ der indischen Palliative-Care-

Bewegung, Dr. Rajagopal aus Trivandrum, einmal in Kal-

kutta zusammen zu diesem Thema unterrichten dürfen.

Die teilnehmenden Ärzte fragte Dr. Raj, wie sie es denn

selbst für sich haben wollten. Da war die Meinung dann

einhellig, dass jeder darüber informiert sein wollte. Eine

Begründung dafür, warum es denn für andere Patienten

nicht so sein solle, blieben sie schuldig.

Palliativversorgung

68

Meiner Meinung nach weiß jeder Sterbende, dass irgend-

was nicht stimmt, aber die Angst, darüber miteinander zu

kommunizieren, ist groß. Meine Arbeit zielt darauf ab, in

20 Tagen Professoren, Ärzte und Studenten darin zu un-

terrichten, wie man darüber miteinander ins Gespräch

kommen kann. Und das ist ein Mehrwert an sich, weil man

sich nicht mehr versteckt. Weil Schuld und Scham das Le-

ben nicht bestimmen und weil man manche Sachen auch

noch planen und regeln kann und auch noch letzte Worte

wechseln kann.

Die Frage, wie mit dem Thema Sterben und Tod umgegangen wird, kann damit durchaus kulturübergreifend beantwortet werden. Wobei das Thema Tod auch bei uns gern tabuisiert wird.

Der Tod selbst ist in Indien weniger tabuisiert. Es ist mehr

das Sterben. In Indien ist nach dem allgemeinen Gefühl der

Tod selbst nicht so heftig.

In Indien ist der Tod präsenter. Es wird auch sehr heftig ge-

trauert. Es gibt Klageweiber aus der Nachbarschaft, die da-

für Essen und Geld bekommen, damit sie laut weinen und

die anderen mitweinen, man wird dazu eingeladen. Auch

Trommler kommen dazu. Dann kann auch laut geschluchzt

werden, weil die Trommelwirbel viel lauter sind. Anschlie-

ßend geht man mit Blumen dann zur Verbrennungsstätte.

Aber das Sterben, die Zeit vorher, das ist in Indien tabu-

isiert. Die neu ausgebildete Assistenzprofessorin berich-

tete aber auch Erfolge: Vier Familien von verstorbenen

Angehörigen seien auf sie zugekommen, die berichteten,

wie positiv sie diese Begleitung in der letzten Lebensphase

empfunden hätten. Das sei ihr in 20 Berufsjahren vorher

nicht passiert. Das hat zur Folge, dass diese Vorgehens-

weise nun auch weiter Anwendung und Verbreitung fin-

den wird.

Das stellt ja schon eine deutliche Veränderung im Umgang mit dem Sterben dar. Die aber nach Ihrer Einschätzung kulturübergreifend positiv von den Menschen aufgenommen wird.

Also, ich würde mich jetzt nicht als Handelsreisenden se-

hen, der als Nächstes nach Kenia oder sonst wohin reist.

Vielmehr ist es so, dass ich siebeneinhalb Jahre in Indien

gelebt habe, mit der dortigen Kultur vertraut bin, und vor

diesem Lebenshintergrund traue ich es mir zu, die Kultur

in Indien für dieses Thema zu öffnen. Mein Ziel ist es, die

einheimischen Fachkräfte dafür zu gewinnen und auszu-

bilden, damit diese die Sterbebegleitung weitertragen.

Es gilt, die Menschen vor Ort davon zu überzeugen, diese

Idee weiterzutragen.

Gibt es da Unterschiede im Umgang mit dem Thema Sterbebegleitung, ob es sich um eine hinduistisch geprägte oder um eine muslimische Familie handelt?

Nein, das Thema Lebensverlängerung um jeden Preis

scheint in allen Bevölkerungsschichten gleich zu sein. Ich

sehe da wenige Unterschiede. In meinen Ausbildungs-

gruppen gibt es Christen, Muslime, Hindu und Neulibera-

le. Also Menschen, die zwar einer Religion angehören, die

auch gewisse Riten beachten, aber eigentlich an keinen

Gott mehr glauben. Die Probleme sind bei allen dieselben.

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Wie ich das verstehe, konnten Sie in Indien inzwischen einen wichtigen Impuls zu einer neuen Sichtweise auf das Thema Sterbebegleitung geben. Haben Sie im Gegenzug auch etwas aus Indien mitgenommen, das Sie hier in Deutschland einsetzen möchten, bzw. was haben Sie dort gelernt, das Ihre Arbeit hier in Deutschland beeinflusst?

Ich würde sagen, dass Indien mein Leben mehr beeinflusst

hat als umgekehrt. Ich bin mit 25 das erste Mal nach Indi-

en gekommen. Ich habe neben der Entwicklungshilfe auch

viel meditiert. Das, was ich an Intuition besitze, habe ich

der Meditation zu verdanken. Die Einfühlung in andere

Menschen und in mich selbst, die Wahrnehmung der eige-

nen Gefühle. Das habe ich durch langjähriges Meditieren

in Indien gelernt. Und das ist das Handwerkszeug, das ich

nun für die Palliative Care einsetze.

Und wenn mich Ärzte in Deutschland fragen, was ich für

das Wichtigste halte, was ich vermitteln will, dann sage ich

immer: „Ich nehme an, Sie sind alle gekommen, um das Ge-

fühl der Hilflosigkeit zu überwinden. Mein Ziel ist es, dass

Sie sich mit Ihrer Hilflosigkeit anfreunden. Es geht um still

werden, aushalten lernen und Emotionen erleben dürfen,

ohne weggeschwemmt zu werden.“

Ich habe in einem der Palliativmedizinkurse einen Arzt er-

lebt, der berichtete von einem Krebspatienten, vor dem er

sich immer bei Hausbesuchen gefürchtet habe. Nach der

Methode des Psychodramas habe ich dann ein Rollenspiel

inszeniert, bei dem eine Person den Patienten und eine

andere dann auch die Rolle der Angst spielt. In diesem Rol-

lenspiel wählte der Arzt, der selbst nur 1,75 Meter groß

war, für die Rolle der Angst einen Mann, der über 1,95

Meter groß war. Dadurch war der dahinter sitzende Mit-

spieler „Patient“ gar nicht mehr zu sehen. Ich schlug vor,

mit der „Angst“ zu verhandeln, etwas zur Seite zu gehen.

Dann erschrak sich der Arzt: „Jetzt sieht mich ja der Pa-

tient, dass ich mit einer so großen Angst zu ihm komme

…“ Ich schlug ihm vor, die Rolle des Patienten zu überneh-

men und sich alles aus dieser Perspektive anzusehen. Und

plötzlich lächelte er. In diesem Moment wurde dem Arzt

klar, dass ihn seine Angst sehr nahe an den Patienten he-

rangebracht hat, der unter der gleichen großen Angst litt.

Als „Patient“ mochte er genau diesen „Arzt mit Angst“. Im

Austausch in der Kursgruppe konnten dann auch die ande-

ren Kursteilnehmer von ihren Ängsten berichten.

Die Angst des Mediziners war die Angst, dem Patienten nicht helfen zu können.

Nicht helfen zu können, nicht die richtigen Worte zu ha-

ben, hilflos dazustehen, beschimpft zu werden, warum

heilst du mich nicht usw. Plötzlich war die Angst nicht mehr

der Knoten, sondern die verbindende Brücke, um mit dem

Patienten Klartext zu reden, dass wohl keine Hilfe mehr

möglich ist. Das war ein besonders eindrucksvoller Fall.

Aber das passierte in den Folgejahren immer wieder. Dass

die Ärzte erkannt haben, dass alles, was sie verbergen wol-

len, genau das ist, was sie für den Umgang mit Sterbenden

brauchen. Das klappt auch nicht mit jedem Patienten, und

so etwas gelingt höchstens einmal am Tag oder einmal in

der Woche, um sich selbst emotional nicht zu überfordern.

Der Kampf zielt also nicht darauf, wie verdränge ich meine

Gedanken und Gefühle, sondern, wie lasse ich all diese Ge-

danken, auch die negativen Bilder über mich, zu.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation der Palliativversorgung und der Sterbebegleitung in Deutschland. Welche Note würden Sie Deutschland auf dieser Ebene geben?

Also, die Note, die eine Gruppe von Professoren – geför-

dert von einer Stiftung in Singapur – 2010 Deutschland

gegeben hat, war die Note 9 von 40, also der Platz 9. Mitt-

lerweile ist Deutschland noch weiter raufgeklettert (Platz

7 von 80 in 2015). Es hat sich einiges verbessert in den

letzten fünf Jahren.

Ich bin viel in Niedersachsen tätig gewesen. Im ländlichen

Raum ist es sehr schwierig, durch die langen Anfahrtswege

die gleiche Wirkung in der Krankenversorgung zu erzielen

wie in städtischen Gebieten. Und das bedeutet, dass die

Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum entweder auf

Kosten der Gesundheit oder auf Kosten der finanziellen

Stabilität der Arztpraxen geht, und das gilt dann auch für

die Pflegedienste. Das neue Hospiz- und Palliativgesetz

vom November 2015 will hier nachbessern.

Mein Hauptaugenmerk gilt seit über zehn Jahren den

Pflegeheimen. Ich glaube, dass der Pflegeheimbewohner,

speziell der demente Pflegeheimbewohner, in seinen Nö-

ten wenig wahrgenommen wird und auch die Angehörigen

wenig wahrgenommen werden. Da haben wir sicher was

zu verbessern.

Aber Palliative Care muss auch aufpassen, sich nicht in-

strumentalisieren zu lassen. Denn nicht die Symptom-

freiheit ist das Ziel, sondern dem Leben mehr qualitative

wertvolle Tage zu verschaffen – und nicht einfach nur ins-

gesamt mehr „symptomfreie“ Tage.

Palliativversorgung

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Meine Befürchtung geht genau dahin, dass sterbenskranke Menschen so stark unter Drogen gesetzt werden, dass sie weder denken noch fühlen können, aber dafür symptomfrei sind und dann auf Dauer am Leben erhalten werden, wie ein Patient, der sich im Koma befindet, ohne Aussicht, jemals daraus zu erwachen. Symptomfrei wäre dann ein fragwürdiges Ziel.

Ich glaube, damit geht es an den ethischen Knackpunkt.

Ich teile diese Einschätzung nicht ganz. Der Patient be-

stimmt ja vorher, wie weit es gehen soll.

Ich bin zwar der Meinung, dass es gesellschaftlich rich-

tig ist, Grenzen aufzuzeigen, aber ebenso wichtig ist es,

dem Menschen seine Entscheidungshoheit zu belassen.

In Nordrhein-Westfalen gab es Fälle, dass Menschen mit

aufsteigender Nervenlähmung, ALS genannt, todbringen-

de Medikamente auf Verlangen zur Verfügung gestellt

wurden, die sie hätten nehmen können, wenn sie es denn

haben wollten. Diese wurden nur in sehr seltenen Fäl-

len genommen. Aber die Lebensqualität während dieser

Krankheit ist dadurch erheblich und nachweislich gestie-

gen, auch weil der Patient selbst entscheiden durfte, wie

weit er sein Leben weiterführen wollte. Er muss nicht je-

den Tag schauen, was noch geht und was nicht mehr geht,

also nicht mehr nur vom Defizit her denken.

Wo Sie die Entscheidung im Bundestag erwähnen. Es gibt Äußerungen, wonach die Entwürfe mangels hinreichender Bestimmtheit zum Thema Sterbehilfe dem Grundgesetz nicht standhalten würden, wie sehen Sie das?“ (Redaktioneller Hinweis: Mittlerweile wurde der neue § 217 mit Mehrheit im Bundestag beschlossen).

Wenn ein Sterbender bei vollem Bewusstsein entschei-

det, dass er so nicht weiterleben möchte, muss hier eine

professionelle Begleitung möglich sein. Es kann nicht sein,

Sterbende dann allein zu lassen, nur damit sich niemand

strafbar macht. Da fehlt mir der humanitäre Ansatz. Ich

bin kein Experte in Rechtsfragen, ich betrachte das eher

von der Praxis und von der Umsetzung her. Ich empfehle

keinem Pflegeheim und keinem Arzt, damit zu werben,

hier gibt es Sterbehilfe. Aber es wird immer wieder ein-

zelne Situationen geben, wo Menschen in eine solche Not-

lage kommen. „Es ist eine intime Verabredung zwischen

zwei Menschen und der eine von beiden ist dann tot“, sag-

te der letzte BÄK-Präsident Hoppe, „und so soll man das

auch belassen.“

Deutschland steht nicht vor der Wahl, dass Ärzte regulär

die Suizidbeihilfe oder gar die Tötung auf Verlangen im

Rahmen ihrer ärztlichen Tätigkeit übernehmen sollen. In

Deutschland wird ständig auf Windmühlen hingewiesen,

die keiner baut. Es steht überhaupt nicht zur Diskussion,

dass Ärzte Sterbehilfe leisten. Und sie tun das auch nicht.

Es ist nur die Beihilfe zum Suizid, die gerade in der Diskus-

sion ist. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.

Gibt es denn ein Land, von dem Sie sagen würden, die haben das vorbildlich gelöst, das heißt im Sinne der Betroffenen?

Noch einmal zurückgehend auf meine Indienerfahrung. Es

gibt in jedem Land eine gewisse Kultur und der Gesetzge-

ber wird sich auch an dieser Kultur des Landes – zumin-

dest ein Stück weit – orientieren. Und da gibt es liberalere

Länder, wie die Benelux-Länder, und nicht ganz so liberale.

In Deutschland wirken immer noch die Erfahrungen der

Nazizeit nach. Ich vermute, dass hier die Schuld bei den

Ärzten auch noch nachwirkt, denn Ärzte werden vielfach

in Ärztefamilien geboren. Da stellt sich dann die Frage:

Was haben die Großeltern im Krieg gemacht? Und deshalb

übt Deutschland hier mehr Vorsicht als andere Länder.

Daher können wir nicht sagen, dort ist es super, sondern

die Kultur des Landes muss zur Gesetzgebung passen. Und

die Kultur in Deutschland, unter der Ärzteschaft, ist leider

Gottes eine völlig andere als die Kultur der Bevölkerung.

Welchen Umfragen man auch immer glaubt. Es gibt keine

Mehrheit für das Verbot der Suizidbeihilfe und auch kei-

ne Mehrheit für ein Verbot der Sterbehilfe. Darauf muss

der Gesetzgeber auf Dauer eine Antwort finden. Und

wenn Kirchen und Ärzteschaft so stark auf ihren eigenen

Ideen und Vorbehalten beharren, dann könnte es auf die

Dauer zu einer Entfremdung kommen und das wäre sehr

bedauerlich.

Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin hat zumin-

dest schon darauf hingewiesen, dass der Sterbewunsch

eines Patienten erst einmal wahrgenommen werden soll,

um mit dem Patienten im Gespräch dann zu ermitteln, was

dem zugrunde liegt. Die Aussage der Ärzteschaft kann

nicht mehr nur lauten, „Dafür sind wir nicht zuständig!“,

sonst bleibt der Sterbende allein. Aber den Menschen ge-

rade nicht allein zu lassen, das ist für mich Palliative Care.

Und damit ist nicht gesagt, noch am selben Abend sofort

das Gift auf den Tisch zu stellen. Aber es wird noch viel zu

stark tabuisiert. Da wird auch viel vermischt. Vielfach wird

nicht zwischen Sterbehilfe und Suizidbeihilfe unterschie-

den. Ich bitte daher Journalisten immer wieder explizit da-

rum, damit sorgsamer umzugehen.

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Da fehlt es also an der nötigen Trennschärfe?

Absolut!

In der Schweiz gibt es diesbezüglich nun gar keine Regelung, es sei denn, dem Unterstützer eines Suizids können selbstsüchtige Gründe nachgewiesen werden. Vertreter von Dignitas in der Schweiz gehen sogar davon aus, dass durch ein bestehendes legales Angebot der Beihilfe zum Suizid die Anzahl der Suizidversuche rückläufig sei. Also ähnlich wie in der von Ihnen beschriebenen Situation in Nordrhein-Westfalen, wo es dem Todkranken freigestellt war, das tödliche Gift zu sich zu nehmen oder nicht.

Also, ich sehe mich in meiner Haltung nicht gerade an der

Seite von Dignitas. Die sind mir dann doch zu tendenziell

in ihren Äußerungen und in der Handhabung der gesam-

ten Sache. Da eignet sich schon eher die Vorgehensweise

von Exit, die allerdings nur Schweizern hilft und auch nur

ehrenamtlich, das heißt ohne Kosten praktiziert. Das ist

für mich insgesamt stimmiger. Das mit den ALS-Patienten

in Nordrhein-Westfalen ist mir von einem Arzt, der dort

ALS-Patienten berät, berichtet worden. Das wird so natür-

lich nicht mehr durchgeführt, nachdem die Berufsordnung

für Ärzte geändert worden ist, und es ist daher im Moment

nicht mehr erlaubt.

„Gesellschaftsfreundliches Frühableben“ wurde es in den

70er-Jahren schon in der Literatur sarkastisch genannt.

Aber ob das Strafrecht da das Richtige ist, das bezweif-

le ich. Das sage ich als Sohn von Juristen. Meine Mutter

war als Juristin trotz ihrer Gläubigkeit immer gegen das

strafrechtsbewehrte Abtreibungsverbot. So was lässt sich

durch das Strafrecht nicht wirklich regeln. Das trifft oft

den Falschen.

Wir müssten eigentlich viel mehr überlegen, wie wir in

Deutschland etwas Gutes für die alten Menschen tun und

die Lebensqualität älterer Menschen gerade in Pflegehei-

men heben können, dann sinkt auch der Sterbewunsch

und das Suizidinteresse.

Für mich war das ein sehr anregendes Gespräch, das viele neue Perspektiven eröffnet hat. Offensichtlich löst das Thema Sterbebegleitung kultur- und religionsübergreifend Ängste aus, auf die vielfach mit Tabuisierung reagiert wird. Ziel muss es also sein, Tabus zu brechen, um über das Sterben einen anderen Blick auf das Leben zu erhalten. Und dass Sterben nicht nur ein schmerzvoller, erschreckender, lang dauernder unerträglicher Prozess sein muss.

Prof. Dr. Jochen Becker-Ebel+

Gründer und Geschäftsführer MediAcionwww.MediAcion.de

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