pharma:ch 1/2014: Gesundheit und Wirtschaftswachstum

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Gesundheit und Wirtschaftswachstum – eine attraktive Kombination Der medizinische Fortschritt leistet einen wesentlichen Beitrag zum Wohlstand unserer Gesellschaft. Viel Schmerz und Leid werden gelindert oder gar vermieden. Wir leben länger und sind länger gesund. Hinter dieser erfreulichen Entwicklung stehen Forscher, Ärzte, Pflegepersonen, Spitäler, die Medizi- naltechnik und die Pharmaindustrie. Die Gesundheitswirtschaft trägt als eine der grössten Branchen wesentlich zum Wirtschaftswachstum bei. Wer heute in der Schweiz zur Welt kommt, hat eine Le- benserwartung von 83 Jahren. Das ist eine der höchsten Lebenserwartungen weltweit. Wir werden aber nicht nur älter, sondern bleiben auch länger gesund. Hinter dieser Entwicklung stecken ein enormer medizinischer Fort- schritt und in der Schweiz ein Gesundheitssystem, das zu den besten der Welt zählt. Dazu leistet die Pharmaindus- trie einen wichtigen Beitrag. Neue Medikamente und The- rapien tragen erheblich zu einer besseren Lebensqualität vieler Patientinnen und Patienten bei. Sie erhöhen die Aus- sichten auf Überleben und Heilung. Viele Medikamente haben gar die Sterberate von ganzen Patientengruppen – zum Beispiel Aids und Leukämie – massiv gesenkt. Mit dem medizinischen Fortschritt ging auch eine wirt- schaftliche Entwicklung einher. In der Schweiz arbeiten rund 351 000 Personen in der Gesundheitswirtschaft ein- schliesslich Pharmaindustrie. Das ist mehr als im Detail- handel oder im Baugewerbe. Im Zuge der Bestrebungen, die Qualität im Gesundheitswesen im Interesse der Pati- entinnen und Patienten weiter zu verbessern, wird die Gesundheitswirtschaft auch in Zukunft eine Wirtschafts- branche bleiben. Dabei profitieren Schweizerinnen und Schweizer nicht nur von immer besseren medizinischen Leistungen, sondern die Schweiz steht weltweit an der Spitze in Forschung und Entwicklung. Die hoch innovati- ven Branchen Pharma und Medizinaltechnik werden auch anderswo geschätzt. Deshalb ist die Pharmaindus- trie die wichtigste Exportbranche der Schweiz. Diese wirtschaftliche Ausnahmestellung ist keine Selbstver- ständlichkeit. Und es ist alles andere als selbstverständ- lich, dass das so bleibt. Dafür braucht es enorme An- strengungen der Unternehmen, denn die Konkurrenz schläft nicht. Es braucht aber auch beste Rahmenbedin- gungen für den Forschungsstandort Schweiz. Mit dem Massnahmenpaket zur Verteidigung dieser Spitzenposi- tion bei der biomedizinischen Forschung und Technolo- gie hat der Bundesrat seinen Willen bekundet, dieses weltweit einmalige und fruchtbare Nebeneinander und Miteinander von ausgezeichneten Hochschulen und füh- renden Unternehmen zu fördern. Doch Tatsache ist vor- erst, dass die klinische Forschung in der Schweiz seit Jahren rückläufig ist. 1/14 Markt und Politik pharma: ch

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Der medizinische Fortschritt leistet einen wesentlichen Beitrag zum Wohlstand unserer Gesellschaft. Viel Schmerz und Leid werden gelindert oder gar vermieden. Wir leben länger und sind länger gesund. Hinter dieser erfreulichen Entwicklung stehen Forscher, Ärzte, Pflegepersonen, Spitäler, die Medizi­- naltechnik und die Pharmaindustrie. Die Gesundheitswirtschaft trägt als eine der grössten Branchen wesentlich zum Wirtschaftswachstum bei.

Transcript of pharma:ch 1/2014: Gesundheit und Wirtschaftswachstum

Gesundheit und Wirtschaftswachstum – eine attraktive KombinationDer medizinische Fortschritt leistet einen wesentlichen Beitrag zum Wohlstand unserer Gesellschaft.

Viel Schmerz und Leid werden gelindert oder gar vermieden. Wir leben länger und sind länger gesund.

Hinter dieser erfreulichen Entwicklung stehen Forscher, Ärzte, Pflegepersonen, Spitäler, die Medizi­

naltechnik und die Pharmaindustrie. Die Gesundheitswirtschaft trägt als eine der grössten Branchen

wesentlich zum Wirtschaftswachstum bei.

Wer heute in der Schweiz zur Welt kommt, hat eine Le­

benserwartung von 83 Jahren. Das ist eine der höchsten

Lebenserwartungen weltweit. Wir werden aber nicht nur

älter, sondern bleiben auch länger gesund. Hinter dieser

Entwicklung stecken ein enormer medizinischer Fort­

schritt und in der Schweiz ein Gesundheitssystem, das zu

den besten der Welt zählt. Dazu leistet die Pharmaindus­

trie einen wichtigen Beitrag. Neue Medikamente und The­

rapien tragen erheblich zu einer besseren Lebensqualität

vieler Patientinnen und Patienten bei. Sie erhöhen die Aus­

sichten auf Überleben und Heilung. Viele Medikamente

haben gar die Sterberate von ganzen Patientengruppen

– zum Beispiel Aids und Leukämie – massiv gesenkt.

Mit dem medizinischen Fortschritt ging auch eine wirt­

schaftliche Entwicklung einher. In der Schweiz arbeiten

rund 351 000 Personen in der Gesundheitswirtschaft ein­

schliesslich Pharmaindustrie. Das ist mehr als im Detail­

handel oder im Baugewerbe. Im Zuge der Bestrebungen,

die Qualität im Gesundheitswesen im Interesse der Pati­

entinnen und Patienten weiter zu verbessern, wird die

Gesundheitswirtschaft auch in Zukunft eine Wirtschafts­

branche bleiben. Dabei profitieren Schweizerinnen und

Schweizer nicht nur von immer besseren medizinischen

Leistungen, sondern die Schweiz steht weltweit an der

Spitze in Forschung und Entwicklung. Die hoch innovati­

ven Branchen Pharma und Medizinaltechnik werden

auch anderswo geschätzt. Deshalb ist die Pharmaindus­

trie die wichtigste Exportbranche der Schweiz. Diese

wirtschaftliche Ausnahmestellung ist keine Selbstver­

ständlichkeit. Und es ist alles andere als selbstverständ­

lich, dass das so bleibt. Dafür braucht es enorme An­

strengungen der Unternehmen, denn die Konkurrenz

schläft nicht. Es braucht aber auch beste Rahmenbedin­

gungen für den Forschungsstandort Schweiz. Mit dem

Massnahmenpaket zur Verteidigung dieser Spitzenposi­

tion bei der biomedizinischen Forschung und Technolo­

gie hat der Bundesrat seinen Willen bekundet, dieses

weltweit einmalige und fruchtbare Nebeneinander und

Miteinander von ausgezeichneten Hochschulen und füh­

renden Unternehmen zu fördern. Doch Tatsache ist vor­

erst, dass die klinische Forschung in der Schweiz seit

Jahren rückläufig ist.

1/14Markt und Politik

pharma:ch

Gesundheit – ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor wider WillenDie steigenden Gesundheitskosten und als Folge davon die regelmässigen Erhöhungen der Kranken­

kassenprämien sind in der Schweiz ein Dauerthema. Die Diskussion dreht sich dabei zu einseitig

um die Kosten. Oft gehen der Nutzen für die Menschen und die Bedeutung des Gesundheitswesens

als Wirtschaftsfaktor für das ganze Land vergessen.

Dank den Fortschritten in der medizinischen Forschung

– auch der Pharmaindustrie – leben wir heute nicht nur

länger, sondern erleben das Älterwerden in einer besse­

ren gesundheitlichen Verfassung. Die demografische Ent­

wicklung ist eine Erfolgsgeschichte von Medizin und For­

schung und hat dafür gesorgt, dass das Gesundheitswe­

sen (inkl. Pharmaindustrie) zum wichtigsten Wirtschafts­

zweig der Schweiz geworden ist – vor dem Baugewerbe

und dem Detailhandel.

Medikamente können Spitalaufenthalte verkürzen

Die auf die Kosten ausgerichtete gesundheitspolitische

Diskussion klammert vielfach den Nutzen neuer Behand­

lungsmethoden aus. Neue Medikamente verkürzen die

Dauer oder mildern die Folgen einer Krankheit. Dadurch

entstehen auch ökonomische Vorteile. Innovative Medika­

mente sind zwar teurer als ihre Vorgängerpräparate, aber

unter dem Strich können sie die Kosten reduzieren, weil

sie zum Beispiel Spitalaufenthalte verkürzen oder gar ope­

rative Eingriffe vermeiden. Untersuchungen belegen, dass

neue Medikamente (neben einer gesünderen Lebens­

weise) den grössten Beitrag an die gestiegene Lebenser­

wartung leisten.

Innovative Medikamente können zwar teurer sein als ihre Vorgänger­präparate, aber unter dem Strich reduzieren sie die Kosten.

Auch wenn die grossen medizinischen Durchbrüche sel­

ten sind, wurden in den vergangenen Jahrzehnten auf

mehreren Gebieten deutliche Verbesserungen erzielt. So

ging in den 1980er­Jahren eine grosse Bedrohung von der

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Aidsepidemie aus, da die Krankheit unheilbar war. 1994

starben in der Schweiz fast 700 Menschen an Aids. In der

Zwischenzeit wurden dank intensiver Forschung Medika­

mente entwickelt, welche die Krankheit beherrschbar ma­

chen. Heute gibt es über 50 Aidsmedikamente. Die Ster­

berate reduzierte sich dadurch bis 2011 auf 12 Personen.

Ein weiteres Beispiel betrifft die Asthmakranken (5% aller

Erwachsenen, 10% der Kinder). Neue Medikamente, die

zur Erweiterung der Bronchien führen, reduzieren die Zahl

der Notfälle und verbessern die Lebensqualität der Betrof­

fenen erheblich.

Selbst bei der «Volkskrankheit» Krebs konnte die For­

schung gewichtige Fortschritte erzielen. Rund die Hälfte

aller Krebsleiden können heute geheilt werden. Dies gilt in

erster Linie für Krebsarten, die früh erkannt werden und

deshalb besser zu behandeln sind. Besonders erfreulich

sind die Fortschritte für Kinder, die an Krebs erkrankt sind.

Waren es in den 1970er­Jahren erst 40% der betroffenen

Kinder, die geheilt werden konnten, sind es heute bereits

drei Viertel. Dank besserer Früherkennung und modernen

Wirkstoffen konnte die Sterblichkeitsrate auch beim Brust­

krebs in den letzten 20 Jahren um rund 30% gesenkt wer­

den. Bei bösartigen Tumoren des Lymphsystems («Non­

Hodgkin­Lymphomen») gelang dank neuer Medikamente

eine Reduktion des Sterberisikos um fast 50%.

Rund die Hälfte aller Krebsleiden können heute geheilt werden. Dies gilt in erster Linie für Krebsarten, die früh erkannt werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Wer krank ist, verur­

sacht nicht nur Kosten, um wieder gesund zu werden. Er

bewirkt auch indirekte Kosten wie den Produktivitätsver­

lust durch das Fehlen am Arbeitsplatz, die informelle

Pflege durch Verwandte und Freunde sowie verlorene

Freizeit. Neue Medikamente tragen dazu bei, die Krank­

heitskosten zu senken. In der Gesamtrechnung können

sich also höhere Ausgaben für die Gesundheit durchaus

lohnen, weil sie im Gegenzug volkswirtschaftliche Einspa­

rungen erbringen.

Die höhere Lebenserwartung hat aber auch ihre Kehr­

seite. Mit steigendem Alter nimmt das Risiko zu, an De­

menz, Alzheimer oder Krebs zu erkranken. Gemäss einer

Studie der Schweizer Alzheimervereinigung sind hierzu­

lande heute mindestens hunderttausend Menschen von

einer Demenzerkrankung betroffen. Bis im Jahre 2050

dürfte sich ihre Zahl auf über 300 000 Personen verdrei­

fachen.

Alterung der Gesellschaft wird zur Herausforderung

Und noch ist kein Medikament in Sicht, das die Ursache

von Alzheimer bekämpfen könnte. Die heutigen Medika­

mente zögern zwar den Krankheitsverlauf hinaus, aber die

zerstörten Nervenzellen im Gehirn können sie nicht mehr

reparieren. Alzheimer entsteht auf komplexe Weise und

verändert das Gehirn über Wege, die noch immer nicht

ganz geklärt sind. Trotzdem versuchen Forscherinnen und

Forscher weltweit Wirkstoffe zu entwickeln, welche den

Krankheitsverlauf positiv beeinflussen. Das Ziel muss

sein, den Betroffenen mit neuen Therapien möglichst

lange ein selbstständiges Leben zu ermöglichen oder zu

verhindern, dass die Krankheit überhaupt ausbricht.

Dem ganzen Gesundheitswesen wird künftig eine noch

grössere Bedeutung als Wirtschaftsfaktor zukommen.

Bereits heute zählt der Gesundheitssektor (Gesundheits­

wesen oder Pharmaindustrie) in der Schweiz rund 351 000

Beschäftigte, womit jeder zwölfte Beschäftigte in diesem

Bereich angestellt ist. Das Gesundheitswesen dürfte in

absehbarer Zeit zum wichtigsten Arbeitgeber des Landes

werden.

Bereits heute zählt der Gesundheitssektor in der Schweiz rund 351 000 Beschäftigte.

Dabei ist die pharmazeutische Innovation der Motor für

Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliches Wachstum.

Die forschende Pharmaindustrie steht direkt und indirekt

für fast 170 000 Arbeitsplätze in der Schweiz. Im Jahre

2013 erwirtschaftete sie einen Exportüberschuss von

über 37 Milliarden Franken. Die Interpharma­Mitgliedfir­

men investieren allein in der Schweiz jährlich mehr als

6 Milliarden Franken in Forschung und Entwicklung,

machen hier aber nur rund 1,2 Milliarden Umsatz.

GESUNDHEIT UND WIRTSCHAFTSWACHSTUM

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GESUNDHEIT UND WIRTSCHAFTSWACHSTUM

Einige Fakten zur Bedeutung des Pharma­ und For­

schungsstandorts Schweiz vorweg:

• Seit der Finanzkrise sind die Exporte pharmazeutischer

Produkte markant gestiegen. Sie beliefen sich 2013 auf

66 Milliarden Franken und machen damit rund einen

Drittel des Exportvolumens der Schweiz aus.

• Die Pharmaindustrie hat seit 1990 ihre um die Preisent­

wicklung korrigierte Wertschöpfung von 3,3 Milliarden

auf 20,3 Milliarden Franken gesteigert. Dies entspricht

einem jährlichen Wachstum von knapp 9%. Damit hat

sich die Pharmaindustrie deutlich dynamischer entwi­

ckelt als die Gesamtwirtschaft.

• Im Jahr 2012 beschäftigte die Pharmaindustrie 39 500

Personen. Mehr als 130 000 Menschen sind in ihrem

Umfeld tätig (inkl. Zulieferer).

• Die nominale Arbeitsplatzproduktivität lag im Jahr 2012

bei 488 000 Franken und somit um den Faktor 3,9 über

dem gesamtwirtschaftlichen Wert von 124 000 Franken.

Zwischen 1990 und 2012 lag das durchschnittliche jähr­

liche Wachstum der Arbeitsplatzproduktivität bei 5,3%

(Gesamtwirtschaft ca. 2% pro Jahr).

• Die Interpharma­Firmen investieren in der Schweiz in

Forschung und Entwicklung jährlich rund 6 Milliarden

Franken, was einem Anteil ihrer gesamten Forschungs­

ausgaben von rund 34% entspricht.

• Auch im internationalen Vergleich investiert die Phar­

maindustrie überdurchschnittlich viel in Forschung und

Entwicklung. 2013 lagen Novartis und Roche unter den

ersten zehn Firmen weltweit, was die absolute Höhe

ihrer Ausgaben für Forschung und Entwicklung angeht

(an der Spitze liegt Volkswagen). Werden diese Ausga­

ben auf den Gesamtumsatz umgelegt, ist Roche mit

21% führend, Novartis kommt auf Platz vier.

• Gemessen an der Zahl der gesamten Erwerbstätigen

werden in der Schweiz überdurchschnittlich viele Phar­

mapatente über das Europäische Patentamt angemel­

det. Übertroffen wird die Schweiz nur von Dänemark.

Bis ein Patent angemeldet werden kann, ist es aber ein

langer Weg. Überdies ist die Pharmaforschung mit gros­

sen Risiken behaftet. Oftmals sind die Bemühungen nicht

von Erfolg gekrönt, weil unbefriedigende Wirkungen oder

ernste Nebenwirkungen erst in aufwendigen klinischen

Versuchen erkannt werden. Von 10 000 Substanzen

schaffen es nur 20 in die präklinische Phase. Von diesen

wiederum erreichen nur zehn die klinische Phase, in der

Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit eines neuen

Medikaments geprüft werden. Die klinische Phase, also

das dreistufige Verfahren mit freiwilligen Testpersonen so­

wie kleineren und grösseren Patientengruppen, ist denn

auch mit einem Anteil von 36% der grösste Kostenblock.

Doch selbst in der Phase III ist die Erfolgswahrscheinlich­

keit noch relativ gering. Ein Fünftel der gesamten Kosten

entfällt auf die Erforschung neuer Wirkstoffe.

Pharmazeutische Produkte machen rund einen Drittel des Exportvolumens der Schweiz aus.

Weil der Forschungs­ und Entwicklungsprozess bis zu ei­

nem neuen Medikament zeitaufwendig und teuer ist,

kommt dem Patentschutz grosse Bedeutung zu. Patente

schützen eine Erfindung für die Dauer von 20 Jahren. In

dieser Zeit geniesst der Erfinder ein begrenztes Exklusiv­

recht zur kommerziellen Nutzung des Produkts. Ohne Pa­

tentschutz entfällt das Interesse von privaten Investitionen

in die Medikamentenforschung. Oder anders ausge­

drückt: Der Patentschutz schafft die Anreize für weitere

Innovationen, auf die wir alle angewiesen sind. Nur durch

Innovationen kann die Schweiz den Ruf als wettbewerbs­

fähigstes Land behaupten.

Der Forschungsplatz Schweiz muss Weltspitze bleibenDie Erforschung neuer Wirkstoffe und die Entwicklung von Medikamenten haben sich in den letzten

Jahren massiv verteuert, weil ein viel grösserer Aufwand betrieben werden muss. Breit abgestützte

klinische Versuche sind in der Schweiz seit einiger Zeit rückläufig. Um die Wettbewerbsfähigkeit

des Standortes zu erhalten, sind Reformen und bessere Rahmenbedingungen nötig. Sonst droht dem

Land der Verlust der internationalen Spitzenposition.

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Angesichts des starken Rückgangs der klinischen For­

schung in der Schweiz besteht aber die Gefahr, dass un­

ser Land ins Hintertreffen gerät. Waren es im Jahre 2004

noch rund 400 klinische Versuche, die hierzulande durch­

geführt wurden, so sank deren Zahl im Jahre 2013 auf 205

Versuche. Dafür sind verschiedene Faktoren verantwort­

lich: kleine Patientenzahlen, dezentrale, langwierige Ver­

fahren sowie die Verlagerung in neue Länder. Der Rück­

gang schadet den Patienten und beeinträchtigt die Qua­

lität der Medizin. Die Pharmaindustrie hätte es deshalb

begrüsst, wenn der Bundesrat in seinem Ende des letzten

Jahres verabschiedeten «Masterplan zur Stärkung der

biomedizinischen Forschung und Technologie» For­

schungsanreize im Bereich des geistigen Eigentums auf­

genommen hätte.

Positiv zu werten ist, dass bei den Verfahren in den Ethik­

kommissionen neu das Leadprinzip gilt, im Gesetz eine

Limite von 60 Tagen gesetzt wurde und Swissmedic ihre

Aufgaben effizient ausführt. In die richtige Richtung geht

der Masterplan bezüglich einer besseren Qualität der Aus­

bildung für die Ärzteschaft an den Universitäten und Kli­

niken. Positiv zu vermerken sind die Ansätze, ein regula­

torisches Umfeld zu schaffen, das fördert statt behindert.

Es ist unabdingbar, dass die Strukturen und Formen der

Zusammenarbeit zwischen Universitäten, Industrie, regi­

onalen und kantonalen Zentren verbessert werden müs­

sen. Die Zusammenarbeit zwischen der akademischen

Forschung und der Industrie ist zu intensivieren.

Die auf Verordnungsebene bereits in Kraft gesetzten Ver­

besserungen gilt es nun aber in die Praxis umzusetzen.

Dabei geht es in erster Linie um die Beschleunigung der

Verfahren für die Bewilligung von klinischen Studien sowie

die raschere Aufnahme von neuen Medikamenten auf die

Spezialitätenliste. Dadurch kann der schnellere Zugang

von Patientinnen und Patienten zu innovativen Medika­

menten sichergestellt werden. Zusammengefasst kann

gesagt werden, dass der Bundesrat mit dem Masterplan

die Notwendigkeit zur Revitalisierung des Forschungs­

und Pharmastandorts Schweiz erkannt hat.

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GESUNDHEIT UND WIRTSCHAFTSWACHSTUM

Die Pharmaindustrie ihrerseits ist gewillt, weiterhin auf den

Standort Schweiz zu setzen und in Forschung und Ent­

wicklung zu investieren. Sie sieht den Masterplan als Be­

kenntnis zum weiteren Dialog und zur Notwendigkeit eines

stärkeren Austausches zwischen Anspruchsgruppen.

Weiter sind für die Branche auch eine hohe Qualität der

Ausbildung in Schulen, in der Berufsbildung und an Uni­

versitäten und der Zugang zu hoch qualifizierten Fachkräf­

ten aus dem In­ und Ausland ein wichtiger Wettbewerbs­

faktor.

Die Aidsforschung in den Neunzigerjahren ist eine Erfolgs­

geschichte der Medizin. Ermöglicht wurde sie durch die

transparente Zusammenarbeit der forschenden Firmen.

Sie stellten sich gegenseitig ihre in Entwicklung befindli­

chen Moleküle zur Verfügung, um so rascher wirksame

Medikamentenkombinationen zu finden. Aus HIV/Aids

wurde dadurch eine zwar nicht heilbare, aber chronisch

behandelbare Krankheit. Die Sterberate konnte massiv

gesenkt werden.

Was damals neu und eine Ausnahme war, gehört heute

zur gängigen Praxis. Um zu aussagekräftigen Daten zu

kommen, braucht es grosse Patientenzahlen, die nur über

Kollaborationen gewonnen werden können. Die «perso­

nalisierte Medizin» machte die Öffnung notwendig. Sie

arbeitet mit Biomarkern, die zeigen, welche Patienten­

gruppen auf ein bestimmtes Medikament ansprechen,

und benötigt deshalb möglichst viele Daten.

Trotz dieser Erfolge einer schrittweisen Öffnung schiesst

der Ruf nach absoluter Transparenz übers Ziel hinaus. Aus

drei Gründen:

1. Die Problematik des Datenschutzes. Gerade bei

hochinnovativen Medikamenten besteht das Risiko, dass

Patienten «re­identifiziert» werden können, beispielsweise

durch die Verlinkung mit den in den sozialen Medien zu­

gänglichen Daten.

2. Die Integrität der regulatorischen Systeme. Die

Verantwortung über die Zulassung neuer Medikamente

liegt bei den staatlichen Arzneimittelbehörden und nicht

bei den Firmen oder Netzwerken von Wissenschaftlern.

Angesichts des Konkurrenzkampfes unter den Forschern

und der um sich greifenden Tendenz nach rascher Publi­

zität und fetten Schlagzeilen überwiegen die Nachteile

einer schrankenlosen Offenlegung der Rohdaten von kli­

nischen Studien.

3. Der Schutz «vertraulicher kommerzieller Daten».

Wer über eine Milliarde Franken in die Entwicklung eines

neuen Medikaments investiert, hat Anspruch auf den Un­

terlagenschutz. Damit soll verhindert werden, dass Tritt­

brettfahrer in den Besitz von Daten kommen und davon

profitieren.

Der Lernprozess bei der Aidsforschung hat aber zur Ein­

sicht geführt, dass die Industrie offener über klinische

Studien informieren muss. Entsprechende gemeinsame

Grundsätze sind von den Dachorganisationen der

forschenden Pharmafirmen in den USA und Europa im

letzten Jahr verabschiedet worden. Der breitere Zugang

zu Daten, kombiniert mit dem technologischen Fortschritt

und der «personalisierten Medizin», kann zu neuen The­

rapieansätzen führen. Und dies ist im Interesse von uns

allen, den Patienten, der Medizin und den forschenden

Firmen.

Weshalb die Transparenz nicht absolut sein kann 6

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INTERVIEWINTERVIEW

Dr. Müller, wie beurteilen Sie den

Stand der klinischen Forschung

in der Schweiz?

Die klinische Forschung in der

Schweiz befindet sich im Auf­

wärtstrend. Vor dem Hinter­

grund einer über Jahrzehnte

hinweg eher schwachen klini­

schen Forschung haben der

Bundesrat, der Schweizeri­

sche Nationalfonds, die Rekto­

unsere Kinder – schützt und sicherstellt, dass sie in der

Forschung berücksichtigt werden. Um im internationalen

Forschungswettbewerb mitzuhalten, muss auch das

Umfeld stimmen: Forschungsgruppen müssen Zugang

zu Spezialisten haben, aber auch zu Forschungseinrich­

tungen mit Core Facilities und topmodernen Geräten.

Weltklasseforschung lässt keine Barrieren innerhalb der

Schweiz zu. International dürfen wir den Zugang für Ta­

lente aus dem Ausland nicht behindern. Dienstleister in

der Klinik, klinische Forscher und Grundlagenforscher

müssen sich vernetzen und auf Augenhöhe zusammen­

arbeiten. Ebenso darf die «Dreifaltigkeit» der klinischen

Forscher als Dienstleister, Lehrer und Wissenschaftler

nicht zu einem Interessenkonflikt führen. Und schliesslich

müssen wir unsere Nachwuchsforscher fördern.

Dr. med. Conrad E. Müller

CEO Universitäts­Kinderspital

beider Basel (UKBB)

renkonferenz der Schweizer Universitäten (CRUS) sowie

Hochschulen und Institute Massnahmen ergriffen, um

die medizinische Forschung zu stärken. Ein Beispiel sind

Netzwerke wie die Clinical Trial Units: Klinische Studien

in der Kindermedizin werden neu in einem schweizweiten

Swiss PedNet zusammengeführt. Damit können u.a. kli­

nische Multicenterstudien mit hohem Qualitätsstandard

in allen kindermedizinischen Disziplinen durchgeführt

werden. Es besteht aber nach wie vor ein Mangel an

klinischen Forscherinnen und Forschern, die mit Erkennt­

nissen aus der Biomedizin und der Epidemiologie eben­

so vertraut sind wie mit klinischen Krankheitsbildern.

Wie hat sich die Forschung in den letzten Jahren verän-

dert?

Mit der exponentiell ansteigenden technologischen Ent­

wicklung können immer grössere Datensätze und Para­

meter erfasst werden. Forschung kann deshalb heute, im

Gegensatz zu früher, nicht mehr von Einzelnen erfolg­

reich durchgeführt werden. Forscherteams aus klini­

schen Forschern, Genetikern, Pharmakologen, Biostatis­

tikern und Bioinformatikern können dagegen komplexere

Forschungsfragen bearbeiten, als dies noch vor Jahren

möglich gewesen wäre. Dabei gibt es einen Trend zur

translationalen Forschung, d.h. zum Transfer von Grund­

lagenwissen in die medizinische Anwendung.

Wo liegt aus Ihrer Sicht die grösste Herausforderung, damit

die Schweiz bei der klinischen Forschung nicht weiter ins

Hintertreffen gerät?

Eine Grundvoraussetzung sind angemessene Rahmen­

bedingungen. Schweizer Forscher müssen freien Zu­

gang zu internationalen Forschungs­Grants haben und

uneingeschränkt global und vernetzt Forschung auf­

bauen können. Die Schweizer Forschung braucht eine

Gesetzgebung, die qualitativ hochstehende und ethische

Forschung garantiert – ohne die Forschungstätigkeit zu

stark einzuschränken. Sie braucht ein Arzneimittelge­

setz, welches Investitionen in die Forschung für die In­

dustrie lohnend macht und gleichzeitig Minoritäten – wie

«Die Schweizer Forschung braucht eineGesetzgebung, die qualitativ hochstehende und ethische Forschung garantiert.»

Welchen Stellenwert hat dabei die Zusammenarbeit mit der

pharmazeutischen Industrie?

Einen sehr wichtigen Stellenwert. In Basel haben wir ei­

nen hervorragenden Cluster von Pharmafirmen, und wir

sollten uns gegenseitig unterstützen. Forschung soll un­

abhängig sein, aber man soll auch durch gemeinsame

Forschungsprojekte Synergien zum Wohl des Patienten

nutzen. Spitäler wie das UKBB können helfen, die Lücke

zwischen der akademischen Gemeinschaft und den Ex­

perten aus der Wirtschaft zu schliessen. Nicht nur in der

Produktentwicklung, aber beispielsweise auch bei der

Nutzung von für den öffentlichen Sektor beinahe uner­

schwinglicher Infrastruktur.

Als Vorsitzender der Geschäftsleitung des Universitäts-

Kinderspitals beider Basel stehen bei Ihrer Arbeit die kleins-

ten Patienten im Zentrum. Wo liegen in diesem Bereich die

Forschungsschwerpunkte?

Wenn wir nicht für unsere kleinen Patienten forschen, wer

tut es dann? Deshalb haben wir die Verpflichtung, ein erst­

klassiges Forschungsportfolio aufzubauen, das mit den

Zielen der Universität einhergeht, das aber auch dort

forscht, wo in der Versorgung der Kinder Lücken beste­

hen. Hier arbeiten wir oft mit Stiftungen zusammen. Dank

der Eckenstein­Geigy­Stiftung konnten wir beispielsweise

ein Zentrum für pädiatrische Pharmakologie aufbauen –

aktuell sind nur 11% der Pharmazeutika für die Behand­

lung von Neugeborenen registriert. Weitere Forschungs­

schwerpunkte am UKBB sind Entwicklungspädiatrie und

Pneumologie, Hämatologie und Onkologie, Immunologie

und Infektiologie sowie die Kinderorthopädie.

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ImpressumHerausgeber: Thomas B. Cueni, Sara KächRedaktion: InterpharmaLayout: Continue AG, BaselFotos: Barbara Jung, istock

Pharma:ch ist der Newsletter von Interpharma, dem Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz, Actelion, Novartis, Roche, AbbVie, Alcon, Amgen, Bayer, Biogen Idec, Boehringer Ingelheim, Bristol-Myers Squibb, Gilead, Janssen, Merck Serono, Pfizer, Sanofi, UCB und Vifor. Diese Plattform will durch differenzierte Information Verständnis für die medizinisch-pharmazeutische Forschung und Entwick-lung in der Schweiz schaffen.

www.interpharma.ch

InterpharmaPostfach, 4009 BaselTelefon 061 264 34 00Telefax 061 264 34 [email protected]

Was der Forschungsstandort Schweiz brauchtNur in wenigen Wirtschaftsbereichen ist die Schweiz globale Spitze. Sicher trifft dies auf die Pharma­

industrie zu. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Qualität unseres Gesundheitswesens und erzielt eine

sehr hohe Wertschöpfung. Soll das so bleiben, müssen die Rahmenbedingungen optimiert werden.

Die Schweiz gehört zu den Ländern mit dem höchsten Le­

bensstandard. Das ist bemerkenswert für ein Land fast

ohne Rohstoffe. Unser wichtigster Rohstoff ist das Wissen,

denn der Schlüssel zu unserem Wohlstand ist die Innova­

tion. Wir sind darauf angewiesen, Produkte und Dienstleis­

tungen zu erschaffen, die weltweit gefragt sind, weil sie

qualitativ hochwertig und in weit überdurchschnittlichem

Mass nützlich sind. Das ist anspruchsvoll, die Schweiz hat

aber immer wieder gezeigt, dass sie dazu in der Lage ist.

Sie profitiert dabei vom hohen Bildungsniveau, von der glo­

balen Vernetzung und von der Präsenz multinationaler Un­

ternehmen.

Die forschende Pharmaindustrie ist ein Paradebeispiel für

Wirtschaftsleistungen «à la Suisse». Und sie forscht nicht

zuletzt in der Schweiz. Mehr als sechs Milliarden Franken

geben die Mitgliedfirmen von Interpharma hier jährlich für

Forschung und Entwicklung aus. Das Ergebnis sind immer

wieder neue Medikamente, die Krankheiten heilen, die Le­

bensqualität von Kranken verbessern und Leiden lindern.

Anderseits bringen solche Produkte jene Erträge ein, wel­

che die Unternehmen brauchen, um immer wieder in Inno­

vation investieren zu können. Dieser Kreislauf ist indes alles

andere als selbstverständlich. Und er hält sich nicht einfach

von selbst in Schwung. Voraussetzungen sind zunächst

das Nebeneinander von forschenden Pharmaunterneh­

men, Hochschulen und Spitzenmedizin. Dann braucht es

genügend Wissenschaftler. Es muss auch künftig möglich

sein, Fachkräfte unbürokratisch zu rekrutieren, unabhängig

von ihrer Nationalität. Letzteres ist mit der Annahme der

Masseneinwanderungsinitiative infrage gestellt. Denn sie

schafft Unsicherheit und wirft Fragen auf zur Berechenbar­

keit der politischen Stabilität, eine wichtige Rahmenbedin­

gung für Unternehmen, die in der Schweiz investieren wol­

len. Die bilateralen Verträge I und II und das Freihandelsab­

kommen mit der EU sind angesichts der vielfältigen Han­

delsbeziehungen der Schweiz von enormer Bedeutung für

die Schweizer Wirtschaft.

Andere Staaten haben ihre Rahmenbedingungen für inno­

vative Industriezweige laufend verbessert und buhlen um die

Gunst der Investoren. In der Schweiz hat der Bundesrat erst

kürzlich den «Masterplan biomedizinische Forschung und

Technologie» verabschiedet. Dieser Ansatz einer proaktiven

Industriepolitik kann zweifellos Verbesserungen bringen, in­

dem administrative Verfahren beschleunigt und effizienter

werden sollen. Auch die Bemühungen, die Schweiz in der

klinischen Forschung, wo sie in den vergangenen Jahren viel

und entscheidendes Terrain verloren hat, wieder attraktiver

zu machen, sind positiv. Indessen tut sich die Schweiz etwa

schwer damit, neue Forschungsanreize zu schaffen. Ein gu­

tes Beispiel sind die seltenen Krankheiten, wo die USA und

die EU mit gesetzlichen und administrativen Massnahmen

die Forschungstätigkeit im Interesse der Patienten ankurbeln

konnten. Viele Jahre später ist die Schweiz erst oder nach

wie vor in der Phase der Diskussion. Das ist unverständlich,

wenn Innovation die Triebfeder für das wirtschaftliche Fort­

kommen des Landes sein soll.

Thomas B. Cueni, Generalsekretär Interpharma

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