Philipsborn Wahrheitspflicht Prozessbetrug...FSLizst 1911

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Un artículo de comienzos del s. XX en el que se intenta delimitar la problemática respecto del deber de veracidad institucionalizado en el parágrafo 138 I de la Ley Procesal Alemana y la estafa procesal.

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  • 5/17/2018 Philipsborn Wahrheitspflicht Prozessbetrug...FSLizst 1911

    1/13

    T

    FESTSCHRIFT

    FRANZ

    VON

    LISZT

    ZUM 60

    GEBURTSTAGE

    D RGEBR CHT VON

    SCHLERN UND FRHEREN MITGLIEDERN

    DES BERLINER KRIMIN LISTISCHEN SEMIN RS

    NEUDRUCK DER

    AUSGABE

    BERLIN 9

    97

    SCIENTIA

    VERLAG

    AALEN

  • 5/17/2018 Philipsborn Wahrheitspflicht Prozessbetrug...FSLizst 1911

    2/13

    Neudruck mit Zustimmung des Springer-Verlags

    Titelnummer 203 00210 ISBN 3. Sll. 00210. 9

    Druck: fotokop wilhelm weihert,

    Kleyerstrafie 12 Darmstadt

    PRINTED

    IN G ERMANY

    r---

    Inhaltsverzeichnis

    Seite

    Anstiftung und Aufforderung de lege lata et de lege ferenda von

    Dr.

    P. C. Bisoukides

    Reohtsanwalt in Konstantinopel 5

    Der riohterliche Strafbefehl u nd die deutsohe Strafprozf lreform von

    Siegfried Bleeok

    Reohtsanwalt in Berlin . . . . . . 30

    Die Religionsvergehen im deutsohen Strafgesetzentwurf von Dr.

    Erns t Feder Reohtsanwalt

    n

    Berlin . . . . . . . . .

    54

    Der Sohutz des Wahlreohts im Voreutwurf zu einem deutschen

    Strafgesetzbuche von Dr. Alfred

    Gotts chalk

    Reohtsanwalt

    in

    Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

    Zur Frage der Strafbark eit der systematisohen Insiohgesohfte des

    Bankiers von Dr. K. KI e e, Staatsanwalt und Privatdozent inBerlin 104

    Der Handlungsbegriff als Grundlage der herrsohenden, insbesondere

    duroh v. Liszt vertretenen StrafreohtssYtematik von Dr.

    Horst

    Kollmann in Dresden.

    . . . . . . . . . . . . . . . 122

    Prolegomena zum Begriff der ffentlichen Meinung von Dr. Her b e

    t

    Kraus in

    Dresden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

    Zum Prinzip

    der

    freien Beweiswrdigung von Dr. J

    ohannes

    Meissner k. k. Riohter in Matzer;t (Niedersterreioh). . . . . 168

    Wahrheitspflic ht, Prozebetrug und Prozeschikane von Dr.

    Alexander

    Philipsborn Reohtsanwalt in Berlin 188

    Die wirtschaftlichen Kmpfe der Arbeiter und die Strafrechtspflege

    von Dr. Siegfried Weinberg Rechtsanwalt in Berlin

    209

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    WahrheitspDicht, Prozebetrug un

    Prozeschikane.

    Von Dr. Alexander Phillpsbom, Rechtsanwalt in Berlin.

    Inhaltsangabe. Einleitung: Hellwigs Aufsatz

    in

    der Woche

    und die hieran anknpfenden Errterungen. Przisierung der Streit

    fra.gen. - J.

    Die Wahrheitspflicht im Zivilproze:

    1. Recht und

    Moral;

    2.

    Umfang der behaupteten Wahrheitspflicht; 3. Privatrechtliche

    oder ffentlichrechtliche

    Natur

    der Wahrheitspflicht; 4. Nichtbestehen

    der Wahrheitspflicht nach deutschem Zivilprozerecht

    und

    Bedenken

    gegen ihre Einfhrung. -

    11_

    Der Prozebetrug:

    1.

    Prinzipielle

    Mg-

    lichke it des Prozebetrugs durc h jede , auch die sog. einfache Proze

    lge;

    2.

    Widerlegung der herrschenden Meinung, insbesondere der Proze

    betrug durch gef.lschte Beweismittel; 3. Widerlegung der herrschenden

    Meinung, insbesondere der Prozebetrug durch formell richtige, materiell

    unrichtige Beweismittel. -

    111. Die Prozeschikane: 1

    BindingS

    Vorschlag, die Prozeschikane als Sonderdelikt zu bestrafen; 2. Bedenken

    gegen Bindings Vorschlag.

    Literatur

    Judikatur und Abkrzungen

    sind am Schlu der Ab

    handlung zusammengestellt. Im

    Text

    sind in der Regel blo der Name

    des Verfassers und die Seitenzahl angegeben.

    Einleitung.

    Die

    Geschichte ist ein ewiges

    Auf

    und Nieder.

    Man

    knnte

    fast

    meinen, es gibt nur einen kleinen eisernen Bestand ver-

    schiedenartiger Ideen, und die Entwickelung besteht in einer um

    schichtigen Herrschaft dieser Ideen. uerlich betrachtet, ist es

    sicherlich so; freilich fehlt es nie an Versuchen, nachzuweisen,

    da wir, wenn wir auf eine frhere Periode zurckgreifen, das

    Alte nicht unverndert wiederherstellen, sondern den neuen

    Be-

    drfnissen der Gegenwart anpassen, in dieser Anpassung lge

    dann ein wirklicher Fortschritt.

    Da in unsern Tagen mehr wie je aUf frhere Ideen zurck

    gegriffen wird, lt sich allenthalben beobachten.

    Wahrheitspflicht, Prozebetrug tmd Prozeschikane. 189

    Rckkehr zum Idealismus, zur Romantik, zurck zu Mozart,

    Biedermeierkunst - so heien einige Schlagworte, die diese Be-

    wegungen kennzeichnen.

    In der Rechtswissenschaft ist es nicht anders; nur, da. von

    den einzelnen Disziplinen, die auch hierin ohne Zusammenhang

    sind, jede ihre Ideale wo anders herholt. Die Rechtsphilosophen

    knpfen an das Naturrecht an, die Strafrechtsreformer berhren

    sich vielfach mit der Aufklrungsperiode, in der Zivilproze

    wissenschaft ist die Zahl der Anhnger einer mehr oder weniger

    straffen Inquisitionsmaxime im Wachsen,

    wie

    auch die Gesetz

    geber sich ihr wieder nhern.

    Da.

    man sich heute nicht mehr

    scheut, dieser frher allgemein verhaten Maxime das Wort zu

    reden, steht offenbar im Zusammenhang mit der wieder gr

    eren Wertschtzung des staatlichen und gesellschaftlichen

    Zwanges berhaupt.

    Aus diesen soeben angedeuteten Ideen heraus ist neuer

    dings Hell w i g i n seinem Zivilprozelehrbuch II

    32

    69 und

    in zwei Aufstzen in der Woche

    08 1715

    ff. Heft

    40

    und in

    der JW

    08

    665

    ff.

    gegen die sog. Prozelge zu Felde gezogen.

    Er vertritt die Meinung, da die Parteien im Zivilprozesse zur

    Wahrheit verpflichtet und da unwahre Behauptungen als Be-

    trug strafbar sind. In der deutschen ZPO. sei das Wahrheits

    gebot zwar nicht ausdrcklich ausgesprochen, es gelte aber trotz

    dem, da es zu den fundamentalen Rechtsstzen gehre, die ein

    Gesetz nicht erst zu normieren brauche. Nun habe der vor

    lufige Entwurf zur Zivilprozenovelle von .

    1908

    vorgeschlagen,

    das Wahrheitsgebot zu normieren und klipp und klar ausge

    sprochen, da die Parteien sich vollstndig und wahr zu er

    klren htten.

    In

    der Streichung dieser Worte, die spter auf

    Betreiben der Rechtsanwaltschaft beschlossen worden sei, er

    blickt

    Hell

    w i g ein beschmendes Zeugnis fr den Tiefstand

    der sittlichen Auffassung unserer Zeit .

    Soweit

    Hell

    w i g s Aufsatz in der Woche Angriffe gegen die

    Rechtsanwlte enthlt, sind sie durch Neu man n

    JW.

    08, 641 und

    667 gebhrend zurckgewiesen worden. Sachlich ist ihm ferner

    Sc h m i d t DJZ.

    09

    39 entgegengetreten. Dagegen hat

    Bin

    d i n g

    DJZ. 09 161 sich nicht

    nur

    fr die Wahrheitspflicht und die

    Bestrafung gem 263 StGB. ausgesprochen, sondern auch die

    im Lehrbuch II 517 bereits angeregte Ausdehnung der Proze

    verbrechen in der Weise erneut vorgeschlagen, da die Erhebung

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    190

    Dr. Alexander Philipsborn.

    einer bewut unbegrndeten zivilistischen Ldstungsklage wegen

    des durch sie beabsichtigten Mibrauchs der Rechtspflegeorgane

    und wegen der Schikane, die darin gegen den Beklagten liegt,

    als Sonderdelikt bestraft werden soll. Der Beklagte aber, der

    seine Schuld leugnet, obwohl er sie als zu Recht bestehend

    kennt, sollte dem Klger zu mehr verurteilt werden, als dieser

    von Rechts wegen zu fordern hat.

    Vom Standpunkt des Strafrechts spitzt sich hiernach der

    Streit zu folgenden Fragen

    zu:

    1

    In welchen Fllen ist die Lge im Zivilproze als

    Be-

    trug

    strafb ar? Diese frher in der Litera tur hufiger behandelte

    Streitfrage scheint von der herrschenden Meinung besonders mit

    Rcksicht auf die konstante Rechtsprechung des Reichsgerichts

    als erledigt betrachtet

    zu

    werden. U. E. zu Unrecht; wir wollen

    den Nachweis versuchen, da die herrschende Meinung vor allem

    in der Abgrenzung der strafbaren Flle von den nicht straf

    baren durchaus unlogisch vorgeht.

    2. Ist es daneben kriminalpolitisch gerechtfertigt, im Sinne

    Bin

    d i n g

    seinen

    neuen Deliktstatbestand, den wir kurz Pro z e -

    sc

    h i k a n e nennen wollen, zu legalisieren?

    3.

    Als Vorfrage zu bei den Punkten ist die z i v i Ipro z e s -

    s u al e Wahr

    he

    i ts p

    l ich

    t zu errtern.

    Die

    Strafrechts

    wissenschaft mu zu dieser Frage Stellung nehmen. Manche Irr

    tmer in der Literatur und Widersprche in der Rechtsprechung

    beruhen auf einer unklaren oder falschen Auffassung von dem

    Bestehen oder dem Nichtbestehen des Wahrheitsgebots und von

    dem Verhltnis der Wahrheitspflicht und berhaupt der Zivil

    prozemaximen zum Strafrecht.

    I

    Die

    Wahrheitspieht im Zivilproze.

    1

    Diejenigen, welche das Bestehen der Wahrheits pflicht der

    Parteien im Zivilproze verneinen, werden von der groen

    Menge

    wohl immer zunchst mit scheelen Augen betrachtet werden.

    Sie erscheinen ihr als die Verfechter einer moralisch laxen

    An-

    schauung, und wenn auch im allgemeinen die Verschiedenheit

    von Moral und Recht anerkannt wird, so wird doch leicht

    die-

    jenige Theorie bevorzugt, welche beides in Einklang zu bringen

    sucht.

    I ~

    Wahrheitspflioht, Prozebetrug und Prozesohikane.

    191

    Wenn aber irgendwo die Anforderungen von Moral und Recht

    verschieden sind, so wird es im Proze der ~ l l sein. Es ist

    kein Zeichen von Verlegenheit oder begrifflicher Unklarheit, son

    dern im Wesen der Sache begrndet, wenn gerade in unserem

    Zusammenhang so oft auf die Natur des Prozesses als eines

    Kampfes hingewiesen wird. In der Tat, wenn man erwgt,

    da sich im Proze der Streit fast nie auf die sachlichen

    Diffe-

    renzen beschrnkt, kann man

    nur

    unter Verkennung der wirk

    lichen Verhltnisse von den Parteien verlangen, da sie selbst

    ihre Waffen aus der Hand legen sollen; es wrde dieses, wie

    schon

    Mit

    t ermai e run Gei b hel IOrheben, eine wahrhaf t

    heroische Tugend voraussetzen, die man im gewhnlichen Leben

    von niemandem verlangen kann.

    Der prozessuale Kampf kann sogar Situationen schaffen,

    in welchen selbst vom moralischen Standpunkt aus die Unwahrheit

    nicht verwerflich ist. So handelt eine Partei nach W ach

    218

    taktisch berechtigt, wenn sie die wahren Klagebehauptungen

    be-

    streitet und daher Beweis verlangt vom gewissenlosen Klger.,

    der die Mngel des Einredebeweises fr sich ausnutzen will und

    vielleicht zum, falschen Schwur bereit ist.

    2. Schon dieses Beispiel zeigt, zu welchen Konsequenzen die

    Statuierung der Wahrheitspflicht fhren wrde. Sie widerspricht

    eben dem modernen Zivilproze vollkommen. Dies wird ganz.

    deutlich, wenn wir einmal scharf hervorheben, wie die von den

    Gegnern geforderte Wahrheitspflicht im einzelnen beschaffen sein

    wrde.

    a) Zunchst sollen beide Parteien verpflichtet sein, nur wahre

    Behauptungen aufzustellen,

    d.

    h. der Klger darf nur solche

    Tatsachen behaupten, von deren Wahrheit er berzeugt ist, der

    Beklagte

    nur

    solche bestreiten, von deren Unwahrheit er ber

    zeugt ist; so definiert

    z.

    B. T r u t t e r 59.

    b)

    Die

    Parteien sollen ferner verpflichtet sein, auch alle

    er-

    heblichen Tatsachen anzufhren. Wenn sich die Anhnger des

    Wahrheitsgebots auch meist scheuen, mit klaren Worten den

    Umfang der Wahrheitspflicht so weit zu erstrecken, so geht doch

    aus der Bezugnahme auf die Bestimmungen lterer Gesetze, z.B.

    PreuAGOEinl.

    13

    fer:ner auf den 178 der OsterrZPO., und

    auf den Entwurf der deutschen Zivilprozenovelle von 19Q8und

    endlich aus den zur Erluterung gebildeten Beispielen die

    Meinung klar hervor, da die Parteien sich nicht nur wahr,.

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    192

    Dr. Alexander Philipsborn.

    /

    sondern auch vollstndig zu erklren haben. Danach hat z. B

    der Klger, welcher ein zurckgezahltes Darlehen einklagt, wie

    Hellw i g II 42 ausfhrt, kein Recht, die Rckzahlung zu ver

    schweigen; tut er es doch, so handelt

    er

    rechtswidrig. Ebenso

    rechtswidrig mu dann aber auch der Glubiger handeln, welcher

    eine

    an

    sich noch zu Recht bestehende Forderung einklagt, aber

    verschweigt, da ein Dritter durch befreiende Schuldbernahme

    an die Stelle des Beklagten getreten ist; nicht minder derjenige,

    welcher die dem Beklagten zustehende Gegenforderung ver

    schweigt

    c)

    Von

    der Rechtswidrigkeit, die durch das Stellen rechtlich

    unbegrndeter Antrge begangen wird, sprechen die modernen

    Anhnger der Wahrheitspflicht kaum.

    Hierbei ist folgendes zu beachten. Sofern die Rechtswidrigkeit

    des Klage- oder des Abweisungsantrages darauf beruht, da die

    Parteien erhebliche Umstnde verschweigen, liegt der soeben zu

    b)

    errtert e Tatbestand vor. Dieser Tatbestand kann also ent

    weder als Prozelge im weiteren Sinne (oben zu

    b)

    oder als

    rechtswidriges Begehren aufgefat werden. Wer wie K

    ein

    59

    ff., 94

    ff.

    als Prozelge nur die positive Lge behandelt,

    wird sich fr das letztere entscheiden.

    Das Parteibegehren kann aber auch deshalb rechtswidrig sein,

    weil der in Anspruch genommene Rechtssatz nicht existiert oder

    versagt. Jemand erheb t z. B eine Unterhaltsklage gegen seinen

    Bruder, obwohl

    er

    wei, da das BGB. die Unterhaltspflicht

    der Geschwister beseitigt hat. Hier ist von Verletzung der Wahr

    heitspflicht keine Rede; und wir erwhnen den Tatbestand hier

    auch nur deshalb, weil er in der Calumnia des rmischen und

    gemeinen Rechts, worauf

    Hell

    w i g und seine Anhnger als Vor-

    bild gern hinweisen, enthalten war.

    U.

    E.

    liegt eine Belebung

    dieses Teils der Calumnia ebensowenig im Bereich der Mglich-

    keit wie das Wahrheitsgebot.

    3. Unter den Anhngern des Wahrheitsgebots herrscht keine

    Einigkeit,ob die Wahrheitspflicht dem Gericht gegenber be-

    steht (so

    Hell

    wig und wohl auch

    Binding

    oder unter den

    Parteien (so

    Trutter

    und

    Grres

    34ff.) oder nach beiden

    Richtungen so neuerdings Gei bRechtsschutzbegehren und An-

    spruchsbettigung 195 ff.).

    Wenn sie berhaupt bestnde, so knnte die Wahrheitspflicht

    nur einen prozessualen, ffentlich-rechtlichen Charakter haben.

    Wahrheitspflicht, Prozebetrug und Prozeschikane.

    193

    Die Wahrheitspflicht wird aus dem Prozeverhltnis abgeleitet.

    Dieses ist, wie Hell w i g nachgewiesen hat, publizistisch und

    nicht geeignet, Rechte oder Pflichten unter den Parteien zu

    erzeugen.

    4. Die Einfhrung des Wahrheitsgebots wrde den schwersten

    Bedenken begegnen. Da

    es

    heute nach deutschem Recht, obwohl

    die ZPO. es nicht ausspricht, bereits gilt , wird von

    Hell

    w i g

    durchaus mit Unrecht behauptet. Hellw i g meint, es gehre

    zu den furidamentalen Rechtsstzen, die auch unausgesprochen

    Geltung htten. Demgegenber ist darauf hinzuweisen, da das

    Wahrheitsgebot, abgesehen vom rmischen und gemeinen Recht,

    zuletzt, wie erwhnt, in der Preu. AGO. Einl.

    13

    ausgesprochen

    war, da diese Bestimmung aber durchaus nicht unangefochten

    geblieben ist. Wenn sie also in der ZPO. fortgeblieben ist, liegt

    die Annahme ihrer Beseitigung nher als die ihrer stillschweigen

    den Geltung. Ganz zweifellos spricht aber fr jene der gerade

    von '

    Hellwig

    besprochene Umstand, da der Vorschlag des

    Entwurfs von

    1908

    keine Billigung gefunden hat und hiernach

    alles beim alten geblieben ist.

    Auch de lege ferenda kann einer nderung nur auf das Ent

    schiedenste widerraten werden.

    a) Wenn eine Wahrheitspflicht bestnde, mte es auch eine

    Einlassungs- und insbesondere eine Erklrungspflicht geben. Da

    die beiden letzte'ren nicht existieren, nimmt auch Hell wig mit

    der herrschenden Meinung an. Ob sich die Partei am Proze

    beteiligen will, ist ihre Sache; eine Verpflichtung,

    im

    eigenen

    Interesse ttig zu sein, ist nicht anzuerkennen. Ist das richtig,

    so kann

    man

    der Partei auch keinen Zwang zur Wahrheit

    aUf-

    erlegen. Gesetz und Richter ziehen aus der Nichtbeteiligung ihre

    Schlsse, ebenso beurteilt der Richter das Verhalten einer Partei,

    die er auf einer Lge ertappt.

    Geradezu unvereinbar mit der Ablehnung einer Erklrungs

    pflicht ist die Annahme einer Wahrheitspflicht in dem Sinne

    des Zwangs zur Vollstndigkeit (oben 2 b). Beides bedeutet ja,

    wie auf der Hand liegt, dasselbe.

    b) Auch die Verhandlungsmaxime und die Mglichkeit bin

    dender unwahrer Gestndnisse zeigen, da dem Zivilproze ein

    Wahrheitszwang 'fern liegt.

    Hell

    w i g erwidert hierauf, da, weil dem so ist, die Partei

    noch kein Re c h t zur Lg e hat. Das ist durchaus richtig und

    Festschrift. 13

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    194

    Dr. Alexander Philipsborn.

    wird von uns auch nicht bestritten. Nur folgt daraus nichts

    fr Hell w i

    g.

    Denn weil die Partei kein Recht zur Lge hat,

    so ist sie deshalb noch nicht zur Wahrheit verpflichtet; ebenso

    folgt umgekehrt aus der Ablehnung des Wahrheitszwanges noch

    keineswegs die Berechtigung zur Unwahrheit. Die Prozelgen

    sind nicht rechtswidrig, aber sie geschehen ohne Recht. Sie

    sind fr das Prozerecht, wie so oft Moralbegriffe und Betti

    gungender natrlichen Freiheit des Menschen fr das Recht

    berhaupt, indifferent. Dagegen knnen sie sehr wohl, wie wir

    zu II sehen werden, eine strafbare Handlung, einen durch Tu

    schung begangenen Betrug, bilden.

    Mit Sc h m i d t die Prozelge als si t t l ich indifferent zu

    bezeichnen, geht wohl - wenigstens fr die Regel - zu weit.

    Aber es kommt

    ja

    fr uns nicht auf ihre sittliche Qualifikation,

    sondern auf ihre rechtliche Bedeutung an. Wenn wir letztere

    dahin bestimmen, da das Prozerecht die Lge weder verbietet,

    noch erlaubt, da aber das Strafrecht auf sie, wenn alle er

    forderlichen Voraussetzungen vorliegen, mit den Betrugsstrafen

    reagiert, so liegt, glauben wir, ein Grund zur Entrstung im

    Sinne

    Hellwigs

    und

    Bindings

    nicht vor.

    c) Mit Recht wird auch geltend gemacht, da die Beiweislast

    verteilung der Wahrheitspflicht entgegensteht. Dies gilt vor allem

    fr die Wahrheitspflicht n dem weiteren oben zu 2

    berrterten

    Sinn. Die Regelung, welche die Geltendmachung von Einrede

    tatsachen und ihren Beweis dem Beklagten auferlegt, istun-

    vereinbar mit einem Zwang zur Wahrheit fr den Klger. Wenn

    Hell w i g hiergegen anfhrt, da hieraus kein Recht des Klgers

    folge, die geschehene Rckzahlung des eingeklagten Darlehns

    zu verschweigen, so gengt es auf unsere Ausfhrungen zu 3 b

    zu verweisen.

    d) Die Einfhrung der Wahrheitspflicht wrde nicht nur,

    wie gezeigt, gegen die Grundstze des Zivilprozesses verstoen

    und

    ihn dem Strafproze nhern, sondern noch darber hinaus

    fhren.Nicht einmal

    imStrafproze

    verlangt man von dem An-

    geklagten, da er sich selbst beschuldige; er wird nicht bestraft,

    wenn

    er

    berfhrungsmittel beiseite bringt. Man ist einig, da

    der moderne Strafproze weder eine Erklrungs- noch eine Wahr

    heitspflicht kennt. Die Zeit der Folter ist vorber. Charakte

    ristisch ist es, da KIi e n, der im Jahre 1816 fr unbedingte

    Wahrheitspflicht und fr Bestrafung der Prozelge als solcher

    Wahrheitspioht, Prozebetrug und Prozesohikane.

    195

    als Betrug eintrat, zur Begrndung u. a. folgendes sagt 146 ff.) :

    Fr

    den Kriminalproze erinnere ich nur daran, da schon gegen

    den, welcher wahrscheinlicherweise wider die Wahrheit leugnete,

    martervoller Zwang zum Gestndnisse mitte1st der Tortur in

    wichtigen Fllen stattfand. Bei diesem Mittel konnte man der

    Strafen gegen das freventliche Lgen der Verbrecher berhoben

    sein. Dem Begriffe nach gehrt es gewi zur Klasse der durch

    Lge verfangenen besonderen Rechtsverletzungen, da im Staate

    das Recht des Richters, Wahrheit zu verlangen, als positIv

    g ~

    grndet angenommen werden mu und er nicht auf dem Richter

    stuhl sitzt, um sich vorlgen zu lassen. Die klare Bezugnahme

    auf die Folter sollte die modernen Vertreter des Wahrheits

    zwanges im Zivilproze. bedenklich machen

    D Der

    ProzeBbetrug

    1. Wir glauben, nachgewiesen zu haben, da im Zivilproze

    eine Wahrheitspflicht der Parteien

    nicht

    besteht. Da die Nicht

    existenz dieser Pflicht den Parteien kein Recht auf Lge gibt

    und daher die Annahme eines strafrechtlichen Betrugs nicht aus

    schliet, haben wir bereits erwhnt I 4 b). Hier ist auf jene

    alte, ihrer Zeit weit verbreitete Lehre hinzuweisen, welche von

    L e y se r angeregt, von

    Fe

    u erb ach aufgenommen und von

    v.

    W c h t er, Mar t in u. a. fester geprgt wurde. Sie alle be-

    zeichneten als Objekt des Betrugs das Recht auf Wahrheit (vgl.

    die Nachweise bei

    Merkel

    31ff.), meinten damit aber nicht

    ein positives Recht, sondern lediglich das negative Recht, nicht

    durch Unwahrheit verlet zt zu werden. Ausdrcklich fhr t K e n

    z.

    B. aus:

    Ein Recht auf Wahrhaftigkeit, d. h. ein Recht von

    dem Andern zu verlangen, da

    er

    im Reden und Handeln Wahr

    heit verknde und Tuschung vermeide, gibt

    es

    nicht, das

    be-

    deute aber nicht, da durch Betrug keine Rechtsverletzung be-

    gangen werden knne (139ff.). ' Wenn auch Klien selber, wie

    wir sahen, an anderer Stelle hierber hinausgegangen ist, so

    war doch ihm und seinen Zeitgenossen der - damals allerdings

    stets zivilistisch - formulierte Gedanke, da das Nichtrechts

    widrige nicht erlaubt zu sein braucht, durchaus gelufig.

    Heute taucht diese Frage fr den Betrug im allgemeinen

    nicht mehr auf, da sein

    Objekt das Vermgen ist. Dagegen

    ist

    sie fr den Prozebetrug noch immer von Bedeutung. Wir werden

    bei Besprechung der Judikatur des RG. auf sie zurckkommen

    13*

  • 5/17/2018 Philipsborn Wahrheitspflicht Prozessbetrug...FSLizst 1911

    7/13

    196 Dr. Alexander Philipsborn.

    und dabei erkennen, da auch die moderne Strafrechtsliteratur

    allen Anla htte, sich mit dem Verhltnis von Wahrheitspflicht

    und Prozebetrug nher zu beschftigen. - Auch die umgekehrte

    Schlufolgerung ist natrlich, wie erwhnt sei, falsch, so, wenn

    Hell w i g aus der Bestrafung der Prozelge als Betrug ein

    Argument fr das Bestehen der Wahrheitspflicht entnimmt.

    Ebensowenig wie die Ablehnung der WahrheitspfIicht kann

    der Hinweis auf andere wichtige Maximen des Zivilprozesses dahin

    fhren, einen Betrug durch Prozelge berhaupt abzulehnen.

    Beides bersehen die Ausfhrungen von Es ehe r

    Gei b

    K s

    t-

    li n und K h I

    er

    sweit sie prinzipiell den Prozebetrug leugnen.

    Eins schliet eben das andere nicht aus.

    Wir stimmen daher mit

    Bin

    d i n g Lehrbuch I 350 Anm. 2

    darin berein, da wir die Strafbarkeit all e r Prozebehaup

    tungen als Betrug grundstzl ich fr mglich halten. Hierbei

    sind zwei Tatbestnde zu unterscheiden: Betrug durch Tuschung

    des Prozegegners und durch Tuschung des Richters. Die Sch

    digung betrifft auch im letzteren Fall den Prozegegner, was

    ja unerheblich ist, da Identitt des Getuschten und des

    Ge-

    schdigten nicht erforderlich ist.

    Die Tuschung des Prozegegners macht keine Schwierig

    keiten. Man ist heute darber einig,

    da;

    die Partei, die durch

    eine Prozelge den Gegner tuscht und ihn zu einer ihm nach

    teiligen Prozehandlung veranlat , Klagercknahme , Aner.

    kenntnis, Vergleich) Betrug begeht vgI.

    z.

    B. Hegler in Vergl.

    D.

    VII 437). Der Betrugst.atbestand liegt jedoch nicht vor, wenn

    entweder der Gegner die Unwahrheit kennt oder die ihm nach

    teilige Przehandlung nicht, weil

    er

    der Gegenpartei glaubt,

    sndern aus anderen Grnden,

    um

    des lieben Friedens willen

    .oder, weil

    er

    die Beweisschwierigkeiten frchtet, vornimmt. Des-

    wegen liegt jedoch kein Grund vor, mit Mi ehe 1 16 ff. und andern

    den Satz aufzustellen, da der Betrug entfllt, solange nicht.

    Beweise gebracht werden. Der Betrug durch einfache Proze

    behauptungen wird allerdings nicht sehr hufig praktisch werden;

    meist wird es sich um einen Verzicht auf den Beweis handeln

    vgI. Merkel 286

    Ziff.

    3). Trotzdem ist als Grundsatz davn aus

    zugehen, da zum Prozebetrug durch Tuschung des Gegners

    jede unwahre Behauptung geeignet ist.

    Whrend die herrschende Meinung diesen Standpunkt teilt,

    macht sie hinsichtlich des Betruges durch T u s eh u n g des

    Wahrheitspfiicht, Prozebetrug und Prozeschikane.

    197

    Richters einen Unterschied, b es sich um, wie es heit, ein

    fache, bloe Parteibehauptungen handelt .oder nicht. Es werden

    folgende Stze aufgestellt vgl.

    z.

    B.

    01

    s hau sen 263

    No.

    40,

    41, v. Liszt

    469

    Anm. 10):

    a) Bloe Par teibehauptungen, .ohne Beweis, stellen keinen

    Betrug dar. Denn der Richter darf ihnen nicht glauben. Tut

    er

    es doch, so liegt eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs

    vr. Der Gegner wird nicht durch die Tuschung der Partei,

    sndern durch die Pflichtwidrigkeit des Richters getuscht. Anders

    ist es nur in den Fllen, wo der Richter auf Grund einseitigen

    Parteivorbringens, das

    zu

    prfen ist, zu entscheiden hat.

    b) Tritt die Partei jedoch Beweis an, so ist, gleichgltig ob

    das Beweismittel falsch oder zwar echt, aber materiell unrichtig

    ist, Betrug mglich, es sei denn, da die Entscheidung, wie im

    Versumnisverfahren, mit gesetzlicher Notwendigkeit erfolgen mu.

    Die herrschende Meinung steht im Einklang mit dem

    Re

    ich s-

    ge r c h

    t

    welches sich in zahlreichen Entscheidungen hierber

    ausgesprochen hat. Wir kmien dem nicht zustimmen und wollen

    im folgenden an der Hand der reichsgerichtlichen Flle die

    Un-

    richtigkeit nachzuweisen versuchen.

    2. Die herrschende Meinung stellt der einfachen Partei

    behauptung zunchst das g

    efl

    s c h te Bewe i s mit

    te

    I gegen-

    ber,

    z.

    B. der Klger erhebt eine Klage auf Grund eines ge-

    flschten Schuldscheins, oder der Beklagte legt zum Beweise seines

    Zahlungseinwandes eine geflschte Quittung vor. Diese Flle

    sllen stets Betrug oder Betrugsversuch sein, whrend die bloe

    Behauptung, der Beklagte habe ein Darlehn erhalten oder die

    einfache Behauptung des Beklagten, er habe bezahlt, fr straflos

    erklrt werden

    M.

    E.

    liegen beide Flle grundstzlich vllig .gleich. Der

    Beklagte z.

    B

    wird gegenber dem Schuldschein bestreiten, da

    er ihn ausgestellt habe und im zweiten Fall, da er das Darlehen

    erha.lten habe. In beiden Fllen ist der Klger beweispflichtig.

    Verurteilt der Richter, so kann er hierzu entweder auf Grund

    anderer falscher Beweise,

    z.

    B. von Zeugenaussagen, kommen

    oder im Wege der freien Beweiswrdigung, indem er auf Grund

    des ganzen Sachverhalts dem Klger mehr als dem Beklagten

    glaubt, oder endlich, indem er pflichtwidrig gar keine Beweise

    erhebt. Wird dem Klger, .obwohl er selbst beweispflichtig ist,

    der Eid auferlegt, s stellt die Eidesleistung selbst keinen Betrug

  • 5/17/2018 Philipsborn Wahrheitspflicht Prozessbetrug...FSLizst 1911

    8/13

    198

    Dr. Alexander Philipsborn.

    dar da. der Richter ihm jetzt glauben mu (dasselbe gilt fr den

    z u g ~ c h o e n e n Eid), aber, da ihm der Eid auferlegt ist, ver

    dankt der Klger seiner Tuschung, wenn auch der Richter nicht

    berzeugt ist. .- Milingt der Beweis, so ist es fr die Frage

    des Versuchs gleichgltig, ob der Klger auch Beweise angetreten

    hat. Es kann sein, da mit der Klage nur ein Fhler ausgestreckt

    Y e ~ d e n

    soll, und

    da.

    die Absicht besteht, die Klage bei substan

    ziiertem Bestreiten fallen zu lassen. Es kann aber auch so liegen,

    d

    der Klger hofft, das Gericht ohne Beweisaufnahme zu ber

    zeugen, (etwa weil keine Beweismittel vorhanden sind oder das

    Gericht sie fr berflssig hlt).

    Hieraus ergibt sich, da eine Tuschung des Richters durch

    bloe Behauptungen sehr wohl mglich ist, wenn auch die Tu

    schung durch falsche Beweismittel hufiger vorkommen mag. Auch

    hier sind wir deshalb ebensowenig wie bei der Tuschung des

    Prozegegnersberechtigt, die selteneren Flle von dem Grundsatz

    auszuschlieen.

    Der einzige Unterschied zwischen beiden Fllen betrifft eben

    nur

    die Qualitt oder Intensitt des Tuschungsmittels. Die

    herrschende Meinung hebt aber sonst stets hervor, da. schon die

    nackte Behauptung einer falschen 'Tatsache gengt, und ein wei-

    teres Tun nicht erforderlich ist (vgl. z. B. die Nachweise bei

    Frank 263 II 1 S. 430). Auch Frank selbst ist jetzt diesel'

    Meinung; im brigen begngte er sich auch frher schon mit der

    Ha.rf:nckigkeit und Sicherheit des Vorbringens an Stelle des

    V o f ~ c h t z e n s

    falscher Beweise.

    Die Theorie des

    Re

    ich s ger ich t

    s

    da, wenn der Richter

    einseitigen Angaben glaubt , der Kausalzusammenhang unter

    brochen sei, geht nach zwei Richtungen fehl. Einmal handelt der

    Richter in solchen Fllen, wie wir gesehen haben, durchaus

    nicht immer pflichtwidrig. Hierauf hat auch schon Bin d i n g

    Lehrbuch I 350 Anm. 2 hingewiesen. Sodann ist auch bei Pflicht

    widrigkeit die Annahme des Kausalzusammenhanges nicht zu

    billigen. Der Kritik von Fra n k

    Z.

    XII 320 und Kommentar 440

    und Bin d in g

    a.

    a. O. ist durchaus beizupflichten. Ersterer weist

    darauf hin; da dieser Standpunkt des Reichsgerichts der sonst

    von ihm vertretenen Kausalittslehre nicht entspricht.

    Bin

    d

    in

    g

    fhrt mit Recht aus, da der Richter in einem solchen Falle eoon

    die Irrtum verursachexide Kraft der Tuschung gewhren lt,

    statt sie zu kupieren und gerade durch die pflichtwidrige U n t e r ~

    Wa.brheitspflicht, Prozebetrug und Prozeschikane.

    199

    lassung dem Betrger die Herstellung des Kausalzusammenhangs

    ermglicht Neuestens

    hat

    auch He g I e r sich dem angeschlossen.

    Das Reichsgericht hat seinen Satz ohne nhere Begrndung

    aufgestellt. . Nicht ohne Interesse ist es, zu sehen, da anfnglich

    das Preuische Obertribunal in zwei Entscheidungen aus dem.

    Jahre 1872 (Goltd.-Arch.

    20 556

    Oppenhoff 13, 413) den richtigen

    Standpunkt vertreten hat. Es spricht hier ausdrcklich aus: Ob

    der Irrtum des Richters ein vermeidlicher war, ist fr den Tat

    bestand des Betruges einflulos, sobald nur aus ihm eine Ver-

    mgensbeschdigung entstanden ist... Ferner : Derjenige, welcher

    den Richter durch Tuschung veranlat, eine von ihm gewollte,

    einenandern

    beschdigende Handlung vorzunehmen, ist fr diese

    Tat verantwortlich, selbst wenn der Richter seinem Antrage nicht

    htte stattgeben sollen. Pltzlich im Jahre 1879 verlt das

    Obertribunal diesen Standpunkt und nimmt in der Entscheidung

    Rechtsprechung 20

    319

    eine Unterbrechung des Kausalzusammen.

    hanges an, wenn ein Gerichtsvollzieher pflichtwidrig handelt.

    Es ist hier wohl dem Reichsgericht gefolgt, welches diese Theorie

    zuerst 1877 in Goltd.

    A.

    46,

    31

    aufgestellt

    und

    seitdem in RG. 1

    227 und 5, 321 wiederholt hat. Indessen ist der entgegengesetzte

    Standpunkt vom RG. in einer dazwischenliegenden Entscheidung

    R 1

    499 vertreten, wonach es nicht darauf ankommen soll, ob

    der Gerichtsvollzieher seinen Dienstvorschriften vollkommen ent

    sprechend gehandelt hat. Und in dem Urteil vom 16.2.06. Goltd.

    A.

    53, 174 wird der allgemeine Satz abgelehnt, da niemand oder

    doch kein Beamter durch eine Tuschung zu einer Handlung oder

    Unterlassung dann bewogen sein k

    a.n

    n wenn seine Rechts- oder

    Amtspflicht ihm gebot, trotz der Tuschung die Handlung zu unter

    lassen oder vorzunehmen. Allerdings macht das Reichsgericht in

    dieser Entscheidung einen Unterschied zwischen der Tuschung

    des Richters und der Tuschung des Gerichtsvollziehers. Aber diese

    Unterscheidung ist willkrlich; es ist nicht einzusehen, warum

    die Pflichtwidrigkeit im einen Falle den Kausalzusammenhang

    unterbrechen soll und im andern nicht. Es ist daher zu hoffen,

    da das Reichsgericht auch hinsichtlich des Richters zu dem

    richtigen Standpunkt zurckkehren wird.

    Wie haltlos die Unterscheidung zwischen unbewiesenen Be-

    hauptungen und geflschten Beweismitteln ist, sei noch an zwei

    weiteren Tatbestnden gezeigt, welche vom Reichsgericht ent

    schieden worden sind. In RG. 3 169 wird Betrug durch Vorlegung

  • 5/17/2018 Philipsborn Wahrheitspflicht Prozessbetrug...FSLizst 1911

    9/13

    200

    Dr. Alexander Philipsborn.

    eines radierten Frachtbriefes angenommen. Es sei der Irrtum

    erregt da. die Urkunde unverndert nicht radiert sei. Der An-

    geklagte habe die unwahre Tatsache da. die Skriptur unverndert

    sei nicht nur stillschweigend mit der tatschlichen bergabe der

    genderten Urkunde vorgespiegelt sondern auch ausdrcklich

    indem er auf Befragen eine Rasur in Abrede gestellt habe. -

    Entscheidend ist hier u.

    E.

    lediglich die Vorspiegelung

    da.

    die

    Urkunde nicht radiert sei. Wer auf die Urkunde Gewicht legt

    kann es nur deshalb tun weil er zu Unrecht ein qualifiziertes

    Tuschungsmittel verlangt.

    In

    RG.

    26 28 wird Betrug angenommen weil ein Glubiger

    eine Konkursforderung anmeldet ohne eine ihm bezahlte Forde

    rung abzurechnen. Er hatte sich vorher zur Berechnung der For

    derung Notizen und Quittungen des Schuldners von dessen Erben

    geben lassen dann aber obwohl die- betreffende Forderung als

    bezahlt notiert

    war

    sie doch mit angemeldet. Das Reichsgericht

    fhrt aus da hier der Angeklagte nicht

    nur

    eine einseitige Partei

    behauptung aufgestellt sondern unter Bezugnahme auf die von

    ihm vorgenommene Prfung der Papiere seines Schuldners und

    unter Hinweis auf die Quittungen seine Restforderung zu hoch

    berechnet hat. Er habe die ihm bewute auch in jenen Papieren

    als verzeichnet von ihm wahrgenommene Tatsache der ZahlWlg

    unterdrckt um durch den Hinweis auf seine angeblich getreue

    Prfung der Papiere und den von ihm als der Wahrheit ent

    sprechend aufgestellten Befund einen Irrtum ber die Hhe seines

    Restguthabens zu erregen.

    Das Entscheidende ist in Wahrheit doch auch hier

    nur

    die

    Vorspiegelung einer zu hohen Forderung. Die Sache liegt nicht

    anders als wenn jemand eine zu hohe Forderung anmelde t oder

    einklagt indem

    er

    einfach behauptet mehr sei nicht bezahlt oder

    indem er die Zahlung ganz verschweigt.

    Fr

    den letzteren Fall

    hat jedoch das Reichsgericht in

    RG. 32

    1 den Betrug verneint.

    Hier hat es die Erhebung eines teilweise unrechtmigen

    An-

    spruchs in Verbindung mit der Verschweigung der die Einrede

    fr den Beklagten begrndenden Tatsache fr straflos erklrt:

    Einmal behaupte der Klger welcher einen ungerechtfertigten

    Anspruch erhebe durch die Stellung des l a g e ~ l l l t r a g s berhaupt

    keine Tatsache; andererseit s liege kein Unterdrcken vor da

    keine Rechtspflicht der Partei bestehe ihrerseits derartige Tat

    sachen auf welche wie sie wisse oder annehme der Gegner mit

    -

    :r

    Wahrheitspflicht Prozebetrug und Prozeschikane.

    201

    Erfolg eine Einrede usw. wrde sttzen knnen ihm und dem

    Richter kundzugeben.

    Nach der Ansicht des Reichsgerichts begeht also der Glu

    biger der einen schon bezahlten Darlehnsposten einklagt

    nur

    dann Betrug wenn er ein geflschtes Quittungsbuch vorlegt aber

    nicht wenn er blo behauptet der Posten sei noch nich t be

    zahlt. Nach unsere r Auffassung spiegelt der Glubiger in beiden

    Fllen die Nichtzahlung vor. Wenn das Reichsgericht sagt der

    Glubiger behaupte gar keine Tatsache so bersieht es

    da.

    wer

    einen erloschenen Anspruch erhebt damit vorspiegelt da keine

    Tilgungstatsachen eingetreten seien.

    Da.

    infolge der mangeln

    den Rechtspflicht kein Verschweigen von Tatsachen vorliegt ist

    durchaus richtig und entspricht dem was wir zu I ausgefhrt

    haben. Das steh t aber nicht der Annahme entgegen da die

    Tuschung durch Vorspiegeln falscher Tatsachen begangen wird.

    3. Mit den letzten Errterungen sind wir bereits in das Ge-

    biet der f r m e r c h t igen aber- m a t e r e ll i nhai t l ch

    fa I s ehe n r k

    und

    engekommen. Wie erwhnt nimmt die

    herrschende Meinung und das Reichsgericht auch bei Benutzung

    dieser Art von Beweismitteln im Gegensatz zu den einfachen

    Parteibehauptungen Betrug an. Die Entscheidungen desPreui-

    schen Obertribunals in Oppenhoff 16

    637

    des Reichsgerichts in

    R.l 479 und 808; 2 421; 9 441 RG. 16 193 nehmen Betrug an

    wegen Benutzung einer wahrheitswidrigen Quittung durch

    den Schuldner obwohl er nicht bezahlt hatte

    durch Einklagung eines nicht bestehenden Anspruchs unter

    Bezugnahme auf eine Zessionsurkunde obwohl der Klger wute

    da die Forderung vorher an einen anderen zediert war

    durch Vollstreckung obwohl die Urteilssumme bereits be-

    zahlt war

    durch Erhebung der Wechselklage obwohl der Wechsel noch

    nicht eingeklagt werden durfte

    durch Einklagung eines Wechsels obwohl die Wechselschuld

    getilgt war

    durch Vorlegung einer auf eine andere Forderung als die

    eingeklagte bezglichen Quittung.

    Das Reichsgericht hlt in allen diesen Fllen das Gebiet der

    einfachen Behauptungen fr berschritten. Nach den Urteils

    grnden liegt berall unwahres Parteivorbringen vor unte rst tzt

    durch Urkunden welche entweder durch Verschweigen erheblicher

  • 5/17/2018 Philipsborn Wahrheitspflicht Prozessbetrug...FSLizst 1911

    10/13

    202

    Dr. Alex(l.nder Philipsborn.

    Tatsachen erwirkt seien oder hinsichtlich deren die Tatsache unter

    drckt werde,

    da.

    ihre Benutzung vertragswidrig sei. Charakte

    ristisch ist die Begrndung in R.2,

    421,

    wonach der Betrugsversuch

    begangen wird durch die unter Mibrauch des dem Gericht

    als Beweismittel vorgelegten Wechsels begangene Vorspiegelung,

    da Klger zur sofortigen Geltendmachung des Wechsels

    be-

    rechtigt sei und durch die hiermit in Verbindung getretene Unter

    drckung der Wahrheit hinsichtlich des der Ausstellung des

    Wechsels zugrunde liegenden Schuldverhltnisses und der

    Um-

    stnde, unter welchen er denselben erworben .

    Das, was zu dem unwahren Parteivorbringen hinzukommt,

    ist also gar nicht die Urkunde selber, sondern das Verschweigen

    erheblicher Umstnde i ~ bezug auf diese Urkunde. Dieses Ver-

    schweigen ist aber, wie wir wissen, mangels einer Rechtspflicht

    zum Reden

    vgl.

    oben I) nicht erheblich und kein beachtliches

    Tuschungsmittel. Indem das Reichsgericht auf das Verschweigen

    Gewicht legt, tri tt es m it seinen eigenen oben zu II 2 be-

    sprochenen Entscheidungen in Widerspruch.

    Man knnte vielleicht zur Verteidigung der herrschenden

    Meinung darauf hinweisen, da hier nicht Unterdrcken durch

    Verschweigen, sondern durch positives Tun vorliegt und da

    demnach doch ein Unterschied sei zwischen dem Glubiger, der

    ein bezahltes Darlehen einfach einklagt und demjenigen, der

    eine Klage auf Grund eines bezahlten Wechsels erhebt. Dieser

    Hinweis wre verkehrt . Nach

    Frank

    432 Ziff. 3 erfordert das

    in Rede stehende positive Tun eine Handlung, die darauf be-

    rechnet ist, gewisse Tatsachen der Kenntnisnahme eines an

    deren zu entziehen,

    z.

    B. das Verdecken eines Fehlers beim

    Pferde. Durch die Vorlegung des Wechsels wird aber nicht

    die Zahlung besonders unterdrckt. Sie dient blo. zur Be-

    grndung des Klageanspruchs, der jedoch gar nicht streitig ist.

    Der Beklagte mu gegenber der Wechselklage seine Zahlung

    ebenso beweisen, wie gegenber dem einfachen Darlehnsanspruch,

    den er an sich nicht bestreiten kann.

    Freilich mssen besondere Umstnde vorliegen, wenn der

    Klger trotz Zahlung den Wechsel noch in Hnden hat. Dies

    mag fr den Beklagten eine gewisse Beweisschwierigkeit be-

    deuten.

    Fr

    die Frage der Vorspiegelung ist

    es

    aber ohne

    rechtliche Bedeutung, -sofern man nur festhlt, da zum Betrug

    auch nicht qualifizierte Tuschungsmittel ausreichend sind.

    Wahrheitspflicht, Prozebetrug und Prozeschikane.

    2 3

    Richtig ist allein zu sagen, da hier berall der Betrug

    durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen verbt wird. Wer

    bewut ein bezahltes Darlehn einklagt, spiegelt die Nichtzahlung

    vor, ,

    ob

    mit oder ohne Schuldschein. Vgl.hierzu Bin ding

    Lehrbuch I 85 Ziff.

    2,

    insbes. S.

    347

    und

    348.)

    Es mag im

    letzten Fall der Vorsatz schwerer nachweisbar sein oder es

    hufiger beim Versuch bleiben. Dies alles ist fr den aufzu

    stellenden Grundsatz gleichgltig.

    Vom Standpunkt der herrschenden Lehre

    mu.

    das bloe

    Aufstellen einer unwahren Parteibehauptung eine straflose Vor-

    bereitungshandlung sein. Wann beginnt nun die strafbare Ver-

    suchshandlung?In R. 1, 479 lt das

    RG.

    die Bezugnahme

    auf Grundakten gengen, nach RG. 32, 1 ist die Bezugnahme

    von Beweismitteln noch kein Anfang der Ausfhrung, der erst

    bei frmlichen Beweisantritt (durch Vorlegung von Urkunden

    oder Antrag auf ihre Herbeischaffung oder durch Zeugen

    benennung) vorliege, ebenso RG.

    40, 9. Frank

    Kommentar,

    439 wiederum nimmt sowohl bei Bezugnahme wie bei frm

    lichem Beweisantritt straflos'e ( strafbare ist Druckfehler) Vor-

    bereitungshandlung an.

    Die Unterschiede, die hier das RG. in den beiden letzten

    Entscheidungen macht, haben wenigstens die Konsequenz fr

    sich.

    Franks

    Standpunkt ist aber um so unverstndlicher,

    als er selbst die Annahme der Unterbrechung des a u s a l ~

    zusammenhangs verwirft, und S. 440 ausfhrt, da auch die ein

    fache Parteibehauptung Betrug sein kann, sofern die Partei sich

    die Behauptung nicht lediglich als eine Vorbereitung fr eine

    sptere Beweisfhrung dachte, sondern unmittelbar durch die Be-

    hauptung die Tuschung bewirken wollte.

    Von

    unserm Standpunkt aus ist die Entscheidung einfach und

    einheitlich. Jede unwahre Parteibehauptung ist ein geeignetes

    Tuschungsmittel, mit ihrer Aufstellung kann der Anfang der

    Ausfhrung gegeben sein. Ob er vorliegt, kommt auf den Einzel

    fall und zwar hauptschlich auf den Vorsatz an. Will die Partei

    schon mit der einfachen Behauptung tuschen - und das

    w i r ~

    sie meist - so liegt Versuch vor.

    Nicht unerwhnt soll die Ansicht Me r k

    eIs

    bleiben, der. n

    den streitigen Fllen den Betrug berhaupt verneint. Merkel

    S. 283

    Anm.

    8 Ziff. 1) stellt neben die lgnerische Verneinung

    der Forderung durch den Beklagten die gerichtliche Geltend-

  • 5/17/2018 Philipsborn Wahrheitspflicht Prozessbetrug...FSLizst 1911

    11/13

    2 4

    Dr. Alexander Philipsborn.

    machung schon bezahlter Forderungen, im besonderen die Klage

    aus bereits bezahlten Wechseln; unter Verhltnissen,

    wo

    die

    Ur-

    kunde in der Hand des ehemaligen Glubigers geblieben ist, die

    Klage auf u r c k g a ~ e eines Darlehns, welches nicht gegeben ist,

    aus einem Geschfte, welches wieder rckgngig gemacht war und

    dgl., unter Verhltnissen, wo der Beklagte den formell unanfecht

    baren Beweismitteln des Klgers nichts entgegenzustellen

    ha.t.

    berall

    hier steht der verletzende Erfolg nicht in Abhngigkeit

    von dem Glauben des Richters oder des Prozegegners

    an

    die

    Wahrheit des fraudulsen Vorbringens. Dem letzteren hilft es

    nichts, da er in Betreff der bereits erfolgten Tilgung der ein

    geklagten Forderung subjektiv gewi ist oder da der Richter per.

    snlich geneigt ist, seine Angaben fr die richtigen zu halten.

    Sein Unglck ist, und das ist hier einzig entscheidend, da sich

    seine Rechte nicht in der geforderten Weise legitimieren lassen.

    Auch Sc h

    war

    z e ist teilweise dieser Ansicht vgl. einerseits

    2,

    3, 6, andererseits aber 4). In einer einzigen Entscheidung

    hat

    auch. das Re

    ich

    s ger ich t sich diese Argumentation zu eigen

    gemacht, wenn auch das Urteil nicht hierauf beruht: In RG. 32, 1

    (1899) wird ber einen Fall, wo der Angeklagte eine schon be

    zahlte Hypothek unter Bezugnahme auf die Grundakten eingeklagt

    hatte, etwa folgendes ausgefhrt: Die in Bezug genommenen U -

    kunden wren fr die Tuschung belanglos. Denn sie seien

    formell und materiell richtige Beweismittel in Ansehung der den

    Klageanspruch an sich begrndenden rechts erzeugenden Tatsachen.

    Das Rechtswidrige knne

    nur

    darin liegen, da der Klger die

    inzwischen erfolgte partielle Tilgung des Anspruchs unberck

    sichtig t gelassen habe. Dies msse aber der Beklagte anfhren

    und beweisen.

    Die Argumentat ion Me r k

    eis

    und des RG. ist verfehlt. Sie

    ist

    rein zivilprozessualisch gedacht, aber strafrechtlich unrichtig.

    Sie ist ebensowenig beachtlich, wie die Ablehnung des Proze

    betrugs berhaupt, wie sie von K h I e r u. a. aus gleichen Grn

    den vertreten wird (vgl. oben II 1 am Anfang). Da das Reichs

    gericht mit dieser Entscheidung in Widerspruch tritt zu den smt

    lichen anderen Entscheidungen bel' ganz gleichliegende Flle

    (vgl. oben Ziff. 3 am Anfang), is t offenbar. Der Widerspruch

    zeigt, wie ntig eine klare Auffassung von dem Verhltnis zwischen

    Zivilproze, insbesondere Wahrheitspflicht, und Strafrecht ist.

    Fassen wir das Gesagte zusammen, so ergibt sich folgendes:

    WahrheitspHicht, Prozebetrug und Prozeschikane.

    205

    Prozebetrug ist nicht nur durch falsche Beweismittel oder in-

    haltlich unrichtige Beweismittel mglich, sondern auch - was die

    herrschende Meinung und das Reichsgericht ablehnen - durch

    einfache Behauptungen, d. h. allgemein durch Vorspiegelungen

    falscher Tatsachen. Der von der herrschenden Meinung gemachte

    Unterschied ist abzulehnen, da er in Wahrheit auf die Art der

    Tuschungsmittel abstellt, worauf es grundstzlich nicht ankommt.

    Hinsichtlich der inhaltlich falschen Urkunden ist der Gegensatz

    vollends schief, da die Tuschungsmittel gar nicht die Urkunden,

    sondern die auerdem gemachten Vorspiegelungen sind.

    ID Die Prozeschikane

    1. Nach

    Bin

    d i n g soll die Verletzung der Wahrheitspflicht,

    begangen durch die Erhebung einer bewut unbegrndeten zivili

    stischen Leistungsklage, mit besonderer Strafe bedroht werden.

    Weshalb die entsprechende Tat des Beklagten nicht ebenfalls

    kriminell strafbar, sondern

    nur

    die zivile Folge der Litiskreszenz

    haben soll, ist nicht die einzige Inkonsequenz des

    Bin

    d i n g sehen

    Vorschlags.

    So gefat, mssen wir die neue Strafdrohung schon aus dem

    theoretischen Grunde ablehnen, da nach unserer Meinung vgl.

    oben I) eine Wahrheitspflicht zivilprozessualisch nicht besteht.

    Doch ist hiermit die Frage nicht erledigt, da die Nichtexistenz

    der Wahrheitspflicht der Pnalisierung der Prozeschikane ebenso

    wenig entgegenstehen kann, wie sie die Bestrafung als Betrug

    hindert. Es ist daher zu untersuchen, ob jene kriminalpolitisch

    begrndet ist.

    2. Hier ist in erster Reihe darauf hinzuweisen, da ein

    Be-

    drfnis nicht anzuerkennen ist. berflssige Strafdrohungen zu

    vermeiden, is t gerade in unserer' Zeit de r viel zu vielen Bestim

    mungen des Strafrechts eine der wichtigsten Forderungen ver

    nnftiger Kriminalpolitik. Dem staat lichen Interesse ist aber

    mit der Betrugsstrafdrohung vollauf Genge getan. Dies gilt

    ganz besonders von unserm Standpunkt aus, wonach wir die

    Be-

    trugsflle gegenber der herrschenden Meinung nicht unerheblich

    vermehrt wissen wollen (vgl. oben II 2 und 3). Es ist daher auch

    unter all den zahllosen Reformvorschlgen zur bevorstehenden

    Strafrechtsreform kein einziger, welcher die Ausdehnung der

  • 5/17/2018 Philipsborn Wahrheitspflicht Prozessbetrug...FSLizst 1911

    12/13

    206

    Dr. Alexander Philipsborn.

    Prozeverbrechen im Sinne Bin d n g s empfiehlt oder auch nur

    n

    Erwgung zieht.

    Ein einziges Moment knnte, soviel wir sehen, zugunsten

    diesel' Ausdehnung mit Recht geltend gemacht werden. Fr die

    Klagen, in denen keine vermgensrechtlichen Ansprche verfolgt

    werden, reicht der Betrugsparagraph in der Tat nicht aus,

    z B

    in Ehesachen, (anders natrlich frher, als der Betrug noch nicht

    auf die Vermgensbeschdigung beschrnkt war, vgl. z B Krug

    S 128, 129 Anm 1 ber die Anwendung der Betrugsstrafe in Ehe-

    sachen). Diese Lcke ist vorhanden, sie knnte uns aber nur dann

    veranlassen, den Bin d i n g sehen Vorschlag gutzuheien, wenn

    nicht auf der andern Seite erheblichere Nachteile erwachsen

    wrden.

    Jeder Praktiker wei, da dies der Fall wre.

    Die

    Straf

    barkeit der Prozeschikane wrde im hchsten Mae schdlich

    wirken. Sie wrde, ebenso wie die Statuierung der Wahrheits

    pflicht, einer geordneten und sicheren Rechtspflege hinderlich sein.

    Ja, noch mehr, sie wrde nicht nur, wie diese, ein papiernes

    Leben fristen, sondern wie ein tatschlich zu befrchtendes

    Da-

    moklesschwert ber jedem Zivilproze schweben und manchen

    an der berechtigten Geltendmachung seiner Ansprche oder Ein-

    wendungen hindern.

    Erwgungen dieser Art sind es offenbar gewesen, welche zu

    einer Beseitigung der Prozestrafen des gemeinen und preuischen

    Rechts gefhrt haben. Um deren Wiederherstellung unter anderem

    Namen wrde es sich ja im wesentlichen handeln, mit dem ein

    zigen Unterschiede, da ber die Verhngung der Strafe nicht der

    Zivilprozerichter, sondern der Strafrichter zu entscheiden htte.

    Niemand wird die abscheulichen Lgenstrafen des sinkenden

    Inquisitionsprozesses wieder einfhren wollen, erklrt

    Bin

    dun

    g ,

    DJZ

    09

    164 .selber. Unverstndlich ist es, da er trotz dieser

    Erkenntnis in gleichem Atem die kriminelle Bestrafung der Schi-

    kane befrwortet. Wer auf die Sache sieht, kann unmglich die

    grundstzliche Gleichheit beider Institutionen leugnen.

    Wahrheitspflicht und Prozestrafen gehrenzusammen; beides

    sind Kinder der Inquisitionsmaxime. Lassen wir sie ruhen und

    machen wir nicht im 20 Jahrhundert die Fortschritte zu nichte,

    die uns das 19. Jahrhundert gebracht hatl

    Wahrheitspflicht, Prozebetrug und Prozeschikane.

    207

    Literatur und Judikatur

    1 Allgemeine und zivilprozessuale Literatur.

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  • 5/17/2018 Philipsborn Wahrheitspflicht Prozessbetrug...FSLizst 1911

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    Gerichtssaal 18 (1866) 105ff.

    3. Entscheidungen.

    a)

    des Preuischen Obertribunals.

    oppenhoff

    I, 506: 3, 382, Goltd. Archiv 13, 805, Oppenhoff 8, 171, Goltd.

    Archiv 20, 556, Oppenhoff 13, 413; 16, 271, 637: 20, 319.

    b) des Reichsgeriohts:

    Goltd. A. 46, 31:

    RG.l,

    227: R. 1,479, 499,808: 2, 421 v436: RG. 2, 91:

    3,169:

    5,321, 430: 15,126; R. 9, 232, 441; RG. 16,193; 20,391: 23,

    286:

    26,28;

    29,291; 32, 1; 36,86,114:

    39,

    143: Goltd. A.

    53,174;

    RG. 40,

    9:

    42, 410.

    Abkrzungen.

    Es sind die vom deutschen Juristentage empfohlenen Abkiirzungen

    gebraucht. .

    m

    brigen bedeutet:

    R

    Die Rechtsprechung des deutschen Reichsgerichts

    in

    Strafsachen.

    RG.

    =

    Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsa.chen.

    Z. = Zeitschrift fr die gesamte Strafrechtswissenschaft.

    Die wirtschaftlichen Kmpfe der Arbeiter

    und die Strafrechtspflege.

    Von Dr. Siegfried Weinberg, Rechtsa.nwalt

    in

    Berlin.

    Wohl keiner der gegen unsere Richter erhobenen Vorwrfe

    ist von diesen mit gleicher Entrstung zurckgewiesen worden

    als der Vorwurf der Klassenjustiz. Die Entrstung, die dieser

    Vorwurf gefunden hat, scheint mir zu einem groen Teil auf das

    Konto eines Miverstndnisses zu setzen zu sein. Er wird nmlich

    offenbar oft in dem Sinne aufgefat, als ob

    er

    unserem Richter

    stand zur Last lege, da

    er

    wider besseres Wissen

    das

    Recht .zu

    gunsten der besitzenden und zuungunsten der nichtbesitzenden

    Klasse der Bevlkerung beuge. Wenn dieser Vorwurf gegen

    unsere Richter erhoben wrde, so verdiente er die entrstete

    Zurckweisung, die der Vorwurf der Klassenjustiz gefunden hat.

    Tatschlich ist er jedoch meines Wissens nirgends, weder

    in der

    Arbeiterpresse, noch sonstwo erhoben worden. Der Vorwurf der

    Klassenjustiz, so wie er erhoben wird, besagt ganz etwas

    anderes:

    Wir leben in einer Gesellschaft der Klassengegenstze. Zwei

    Nationen stehen sich nach dem bekannten Worte des englischen

    Staatsmanns Disraeli gegenber, die Besitzenden und die Besitz

    losen. Unsere Richter gehren nun smtlich der einen dieser

    beiden Nationen - d. h. Klassen, - der besitzenden, an. Nicht

    als ob jeder Richter ein Krsus wre. Aber das Vorstudium zur

    Richterlaufbahn ist ein so teures, da es fr einen aus der Ar

    beiterklasse hervorgegangenen Mann eine tatschliche Unmg

    lichkeit ist, es zu einer Anstellung als

    Richtetzu

    bringen. Und

    selbst wenn der Richter mangels eigenen Vermgens keine eigenen

    unmittelbaren materiellen Interessen haben sollte, die

    ihn

    un

    bewut beeinflussen knnten, so lebt er doch stndig in einem

    Gesellschaftskreise kapitalistisch interessierter Personen,

    wird

    von

    deren Gedankengngen beeinflut und ist so bei bestem Willen

    Festschrift.

    14