Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und...

91
Physik I

Transcript of Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und...

Page 1: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

Physik I

Page 2: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

Vorwort

Die Vorlesung ”Physik I”, die ich im SS 07 fur die Studenten des Dept. Elek-trotechnik/ Informationstechnologie und Materialwissenschaften der ETHZurich lese, dient der Einfuhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung wird alsSchwerpunkt berucksichtigt, dass die Physikroutine systematisch Konzepteder Mathematik benutzt. Das geschieht nicht nur um physikalische Inhaltekorrekt zu vermitteln, sondern tragt auch der Tatsache Rechnung, dass dieNatur selbst eine faszinierende ”mathematische Struktur” besitzt, die in vie-len alltaglichen Erscheinungen zum Vorschein kommt. Die fur das Studiumder Physik notwendigen Werkzeuge aus der Mathematik werden parallel zuden physikalischen Konzepten eingefuhrt. Ich bedanke mich bei meiner FrauHedi, die das Skript druck- und webreif bearbeitet hat. Wichtiger Bestandteildieser Vorlesung sind die Ubungsserien: sie und die Musterlosungen werdenseparat aufgefuhrt. Ich bedanke mich bei N. Saratz (Chef Ubungen) und allenAssistenten fur ihren Einsatz.

Zurich, im Marz 2007,D. Pescia ([email protected])http://www.microstructure.ethz.ch

ii

Page 3: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

Inhaltsverzeichnis

Vorwort ii

1 Newtonsche Mechanik 11.1 Newtonsche Bewegungsgleichungen in einer Dimension . . . . 2

2 Eindimensionale Mechanik: Beispiele 102.1 Radioaktiver Zerfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102.2 Kraftefreie Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112.3 K 6= 0 aber konstant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122.4 Eindimensionales, homogenes Kraftfeld . . . . . . . . . . . . . 132.5 Der freie harmonische Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . 142.6 Erzwungene Schwingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182.7 Gedampfte Schwingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222.8 Resonanzphanomene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

2.8.1 Elektrische Resonanzkreise . . . . . . . . . . . . . . . . 252.8.2 Spektroskopien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262.8.3 Resonanzen in der Teilchenphysik . . . . . . . . . . . . 29

2.9 Allgemeine Losung 1-dimensionaler Probleme . . . . . . . . . 30

3 1d Schwingungen mit mehreren Freiheitsgraden 333.1 Eigenmode zweier gekoppelter harmonischer Oszillatoren . . . 333.2 Eigenmode einer schwingenden Kette mit N -gekoppelten Os-

zillatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353.3 Ubergang zum schwingenden Kontinuum: Die Wellengleichung 37

3.3.1 Die harmonische Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403.3.2 Die stehende Welle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413.3.3 Eigenfrequenzen eines schwingenden Seils . . . . . . . . 41

4 Mechanik im euklidischen Raum 434.1 Vektoralgebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434.2 Bewegung eines Massenpunktes im Zentralfeld . . . . . . . . . 47

iii

Page 4: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

INHALTSVERZEICHNIS iv

4.3 Kepler-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514.4 Rutherfordsche Streuformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

5 Elektrostatik 585.1 Die Grundgleichungen der Elektrostatik . . . . . . . . . . . . . 655.2 Das elektrische Feld von einfachen Ladungsverteilungen . . . . 685.3 Elektrostatik von Metallen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755.4 Elektrostatik eines Isolators (= Dielektrikum) . . . . . . . . . 81

Page 5: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

Kapitel 1

Newtonsche Mechanik

Eine der wichtigsten Erscheinungen der Natur ist die Bewegung. Bewegt sichein Objekt uber Abstande, die viel grosser als seine Ausdehnung sind, so kanndieses Objekt als Massenpunkt P betrachtet werden. P ist ein geometrischerPunkt. In der Newtonschen Mechanik ist die Masse m das einzige Merk-mal, das Massenpunkte voneinander unterscheidet (Einheiten fur die Masse:kg). Im Falle eines Massenpunktes kann dann seine endliche Ausdehnung furdie Beschreibung der Bewegung vernachlassigt werden. Beispielsweise kannman fur die Beschreibung der Umlaufbahn der Erde um die Sonne die Aus-dehnung der Erde vernachlassigen – will man hingegen erklaren, warum esTag und Nacht gibt, muss man berucksichtigen, dass sich die Erde als Kon-sequenz ihrer endlichen Ausdehnung um ihre eigene Achse dreht. Die Lageeines Massenpunktes in einem dreidimensionalen Raum (euklidischer RaumE3) wird als die Linearkombination dreier Basisvektoren gegeben, welchean einem Punkt (dem Ursprung der Basisvektoren) verankert sind. Die Vek-toren wahlt man in der Regel orthogonal zueinander: es entsteht ein sog.kartesisches Koordinatensystem, in welchem der Ortsvektor ~r, der den Ur-sprung des Koordinatensystems mit dem geometrischen Punkt P verbindet,durch

~r(t) = x(t)~ex + y(t)~ey + z(t)~ez

dargestellt wird. Die Koeffizienten vor den jeweiligen Basisvektoren sind dieKoordinaten des Punktes entlang der vom Basisvektor spezifizierten Rich-tung und heissen Komponenten des Vektors ~r. Es sind drei Koordinatennotwendig, um die Lage eines Massenpunktes zu erfassen: Ein MassenpunktP in E3 hat dementsprechend 3 Freiheitsgrade, d.h. seine Lage ist durchdie Angabe von 3 Koordinaten eindeutig festgelegt. Um die Schreibweisezu vereinfachen, werden vom Vektor ~r nur die Komponenten in Form einesZahlentrippels (x(t), y(t)z(t)) beibehalten. In der Mathematik bedeutet daseine eineindeutige Abbildung von E3 in den Vektorraum der Zahlentrippel.

1

Page 6: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 1. NEWTONSCHE MECHANIK 2

Die Koordinaten sind reelle Zahlen, welche von einem reellen Parameter tabhangen konnen. t ist in der Regel die Zeit, und durch die Zeitabhangigkeitder Koordinaten (die Basisvektoren sind, in diesem spezifischen Fall, zei-tunhabhangig) beschreibt der Massenpunkt eine Bahn oder Trajektorie imRaum. Eine mogliche Einheit fur die Zeit ist die Sekunde (sec). Eine mogli-che Einheit fur die Koordinaten ist das Meter m. Zweck der NewtonschenMechanik ist, die Gesetze zur Bestimmung der Bahnkurve anzugeben.

1.1 Newtonsche Bewegungsgleichungen in ei-

ner Dimension

Der direkteste Weg, die Bewegung von P zu erfassen, ist die Messung von ~r(t)uber ein gewisses Zeitintervall. Dadurch lasst sich vielleicht ein Gesetz erken-nen, mit dessen Hilfe man den weiteren Verlauf der Bewegung voraussagenkann. So haben Naturwissenschaftler bis und mit Galileo Galilei gearbeitet.Durch unzahlige Beobachtungen hatte man ein sehr genaues Bild, z.B. derDynamik der Planeten und der Sterne (fast genau so wie unseres) erlangt,und konnte damit schon Begriffe wie die jahrliche Periodizitat der Erdbewe-gung um die Sonne formulieren. Das Experiment von Galileo auf dem Turmvon Pisa ist in diesem Sinne ein Merkmal in der Geschichte der Physik: Erlasst eine Kugel aus einer Hohe z0 fallen, misst ihre Lage z als Funktion derZeit und schliesst auf ein t2-Gesetz: z(t) = z0 − 1

2gt2. Galileo war danach im

Stande, die Position der Kugel zu jeder Zeit anzugeben. Allerdings mochteman die Bewegung durch Gesetze formulieren, die moglichst einfach sind undes gestatten, eine moglichst grosse Anzahl von Phanomenen zu beschreibenoder vorherzusagen. Wir werden diesen zweiten, von Newton vorgeschlagenenWeg, zuerst am Beispiel von eindimensionalen Problemen formulieren.Eindimensionale Probleme sind dadurch charakterisiert, dass die Bewegungnur entlang einer Richtung stattfinden kann. Wir wahlen die Basisvektorenso, dass ~ex entlang dieser Richtung liegt. Somit ist die Bewegung des Massen-punktes allein durch die Koordinate x entlang ~ex beschrieben. Die Koordinatex kann sich als Funktion der Zeit t andern, d.h. x = x(t) ist eine Funktionder reellen Variablen t. Mathematisch gesehen, bedeutet das Studium derBahn eines Massenpunktes in einer Dimension und die Formulierung seinerBewegungsgleichung (BGL) die Untersuchung von reellen Funktionen einerVariablen.

Page 7: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 1. NEWTONSCHE MECHANIK 3

Reelle Funktionen einer Variablen

Eine reelle Funktion f einer Veranderlichen ist eine Abbildung einer Teilmenge D von

R (Definitionsbereich) nach R: f : x ∈ D → y = f(x) ∈ R. Mit f(x) und g(x) sind

auch das skalare Vielfache c · f(x), die Summe f(x) + g(x) und das Produkt f(x) · g(x)

Funktionen. Mit diesen Operationen konnen wir aus f(x) = 1 und f(x) = x alle Polynome

P (x) =∑

k akxk konstruieren. Potenzreihen werden durch∑∞

k=0 akxk generiert, falls ein

Intervall fur x existiert, innerhalb welchem die Potenzreihe gegen einen endlichenWert

konvergiert. Eine weitere wichtige Operation ist der Quotient zweier Funktionen fg(x)

.=

f(x)g(x) . Mit dieser Operation generiert man rationale Funktionen. Der Quotient ist nicht fur

Werte von x mit g(x) = 0 definiert. Die Zusammensetzung von Funtkionen, die auch zu

einer Funktion fuhrt, ist durch die Gleichung f g(x).= f(g(x)) definiert. Dabei muss

beachtet werden, dass g(x) im Definitionsbereich von f liegt. Eine wichtige Operation ist

der Grenzwert von Funktionen. Im Definitionsbereich sei eine Zahl c vorgegeben, und eine

Folge von Zahlen an konvergiere nach c, d.h. limn→∞an = c (die Konvergenz einer Folge

ist gegeben, falls bei jeder vorgegebenen Umgebung ǫ von c alle Zahlen mit k > n innerhalb

ǫ fallen). Wir sagen, fur x gegen c strebt f(x) gegen d und schreiben limx→cf(x) = d (lies

Limes x gegen c von f(x) gleich d), wenn fur jede gegen c konvergente Folge an aus D stets

die Bildfolge f(an) gegen d konvergiert. d heisst Grenzwert von f(x) fur x → c. Ein fur

die Physik wichtiger Spezialfall sind stetige Funktionen. Eine reelle Funktion ist stetig in

x, wenn limy→xf(y) = f(x). Wir erwarten, dass die Bahnkurven von stetigen Funktionen

x(t) beschrieben sind.

Fur die Formulierung der Newtonschen BGL ist die Beobachtung wich-tig, dass die Trajektorie sowohl von der Lage des Massenpunktes zu einervorgegebenen Zeit (die wir als t = 0 wahlen konnen) – der Anfangslage –abhangt, als auch von seinem Bewegungszustand zur Zeit 0. Ob der Mas-senpunkt in der Anfangslage still steht oder schon in Bewegung ist, machteinen grossen Unterschied. Den Bewegungszustand hat Newton mit der Ge-schwindigkeit des Massenpunktes beschrieben. Die Geschwindigkeit ist dieAbleitung der reellen Funktion x(t) nach der Variablen t, d.h. x(t)

.= dx

dt. Die

Existenz von einer Schar von Bahnkurven, welche sich aus einem Punkt x(0)entwickeln konnen, hat Newton dazu veranlasst, alle moglichen Bahnkurvenals allgemeine Losung einer Differenzialgleichung fur die Beschleunigungx(t)

.= d2x

dt2zu suchen, woraus die eigentliche Bahn so zu wahlen ist, dass die

vorgegebenen Anfangsbedingungen x(t = 0) = x0, x(t = 0) = v0 erfullt sind(2. Newtonsches Axiom):

m · x(t) = K(x, x, t)

Das ist die sogenannte Bewegungsgleichung (BGL). Mathematisch gesehenhandelt es sich um eine (gewohnliche) Differentialgleichung (DGL) 2. Ord-nung. Es gibt dazu eine allgemeine Losung, die von zwei Integrationskonstan-

Page 8: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 1. NEWTONSCHE MECHANIK 4

ten (Integrationsparametern) abhangt und folglich eine Schar von moglichenBahnen beschreibt. Die tatsachliche Bahn, welche die Anfangsbedingungenerfullt, ist im Allgemeinen eindeutig bestimmt. Fur die Festlegung der Bahnwerden die Integrationskonstanten so gewahlt, dass die Anfangsbedingungenerfullt sind. Die Grosse an der rechten Seite ist die Kraft (Einheiten: 1N =1Newton = 1kgm

s2 ) und bestimmt, durch die DGL, die eigentliche Dynamikdes Massenpunktes. Die zentrale Frage der Mechanik ist dann, die moglichenKrafte zu finden, welche die Bewegung zu jeder Zeit t beeinflussen konnen.Falls diese Krafte bekannt sind, lasst sich die Bahnkurve im Prinzip genauberechnen, solange wir es schaffen, die BGL zu integrieren. Fur die Bestim-mung der relevanten Krafte gibt es leider kein fundamentales Prinzip oderProtokoll: es ist die Aufgabe der Experimentalphysik genugend Fakten aus-zuarbeiten, die zu einer Krafthypothese fuhren konnen, welche anschliessenddurch weitere Beobachtungen bestatigt oder widerlegt wird.

Differential- und Integralrechung

Die Funktionen, die eine physikalische Bahnkurve beschreiben, mussen eine weitere Eigen-schaft besitzen: sie mussen differenzierbar sein.Definition f heisst im Punkt x0 differenzierbar oder ableitbar, wenn der Grenzwert

limx→x0

f(x) − f(x0)

x − x0

existiert. Dieser Grenzwert heisst dann Ableitung von f an der Stelle x0 und wird mitf ′(x) |x0

oder einfach f ′(x0) bezeichnet. Andere Bezeichnungen fur die Ableitung an einerbeliebigen Stelle x sind f(x) und df

dx). Die Existenz der Ableitung besagt, dass in der

Umgebung von x0, die Werte einer differenzierbaren Funktion durch den Ausdruck

f(x) = f(x0) + f ′(x0) · (x − x0)

sehr gut (exakt im Lim(x−x0→0) approximiert werden konnen. Diese letzte Formel kannman auch als

f(x) − f(x0).= f ≈ f ′(x0) · x

schreiben, oder df = f ′(x) ·dx, mit df bekannt als totales Differenzial. Graphisch gesehen:Lokal kann die Funktion f(x) durch eine Gerade approximiert werden. f ′(x0) ist dann dieSteigung der Tangente am Graph von f(x). Durch diese Definition wird einer Funktion feine neue Funktion zugeordnet, und zwar uberall dort, wo die Ableitung definiert ist. DieDifferenzierbarkeit einer Funktion an einer Stelle x impliziert die Stetigkeit der Funktionan dieser Stelle.Rechenregel:

d

dx[f(x) + g(x)] = f ′(x) + g′(x)

d

dx[λf(x)] = λf ′(x)

d

dx[f(x) · g(x)] = f ′(x) · g(x) + f(x) · g′(x)(LeibnizProduktregel)

Page 9: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 1. NEWTONSCHE MECHANIK 5

Abbildung 1.1: Graphische Darstellung zur Berechnung der Ableitung

d

dx

f(x)

g(x)=

f ′(x)g(x) − f(x)g′(x)

g2(x)

d

dxf [g(x)] = f ′(g(x))g′(x)(Kettenregel)

Wir beweisen die (Leibniz) Produktregel und die Kettenregel. Aus f(x) = f(x0) +f ′(x0)(x − x0) und g(x) = g(x0) + g′(x0)(x − x0) folgt

f(x) · g(x) = f(x0)g(x0) + [f ′(x0)g(x0) + f(x0)g′(x0)](x − x0)

(Terme in (x − x0)2 werden vernachlassigt, da sie klein sind) Daraus lasst sich die Pro-

duktregel herauslesen. Es gilt weiter

f [g(x)] = f [(g(x0) + g′(x0)(x − x0)] = f(g(x0)) + f ′(g(x0)) · g′(x0)(x − x0)

woraus die Kettenregel abgelesen werden kann. Eine weitere Regel betrifft die Umkehr-funktion f−1von f : f−1(f(x)) = x. Die Umkehrabbildung ist nur dann definiert, wenn finjektiv ist. Nach der Kettenregel gilt

d

dxf−1(f(x)) = 1 = (f−1)′(f(x)) · f ′(x)

Mit f(y) =x folgt

(f−1)′(x) =1

f ′(f−1(x))

Mit diesen Regeln kann man einige Ableitungen konstruieren. Fur die Funktionen, die alsPotenzreihe aufgebaut wurden, gilt, aus f(x) =

n anxn

f ′(x) =∑

n

nanxn−1

d.h. man erhalt die Ableitung durch ”gliedweise” Differentiation. Man kann auch hohereAbleitungen definieren, indem f ′ weiter differenziert wird. Somit entsteht f (2) (oder f ′′),die zweite Ableitung von f , wenn man die erste Ableitung f ′ einmal differenziert. Allgemein

Page 10: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 1. NEWTONSCHE MECHANIK 6

bezeichnet man auch f (n) als dnfdxn die -n-te Ableitung. Die hoheren Ableitungen einer

Funktion (falls sie existieren) kann man benutzen um den Entwicklungssatz von Taylor zuformulieren. Dieser ist sehr wichtig in der Physik, da er erlaubt, physikalische Funktionenmit Polynomen zu approximieren. Polynome sind ihreseits wichtige Funktionen, die manrelativ leicht manipulieren kann.Definition. Gegeben sei eine (n+1)-mal differenzierbare Funktion f(x). Das Polynom

Tn =

n∑

k=0

f (k)(x0)

k!(x − x0)

k

heisst Taylorpolynom n-ten Grades um den Entwicklungspunkt x0. Das folgende Theoremist als Entwicklungssatz von Taylor bekannt.Theorem: Zu jedem x gibt es eine Zwischenstelle y zwischen x und x0 so dass

f(x) = Tn(x) +f (n+1)(y)

(n + 1)!(x − x0)

n+1

In anderen Worten: Die (n+1)-differenzierbare Funktion f kann um einen Punktx0 durch Tn(x) sehr gut approximiert werden, bis auf einen Restterm O[(x −x0)]

n+1.Den Beweis uberlassenn wir den Mathematikern. Es stellt sich unmittelbar die Frage, wiesich das Restglied (die Korrektur) verhalt, wenn n wachst, d.h. wie genau kann man f(x)mit einem Polynom approximieren. Wir betrachten die Folge | f(x)− Tn(x) | im Intervall[a, b].

| f(x) − Tn(x) | = | fn+1(y)(x − x0)n+1

(n + 1)!|

≤ | fn+1(y)(b − a)n+1

(n + 1)!|

≤ | maxfn+1(b − a)n+1

(n + 1)!|

f ist beliebig oft differenzierbar und alle Ableitungen sind stetig. Damit existiert ein endli-cher Maximalwert von fn+1(x) fur jedes n. Der Ausdruck an der rechten Seite hangt nichtmehr von x ab. Da die von x unabhangige Folge nach 0 konvergiert fur n → ∞ ergibt sichdas Resultat, dass die Approximation von f(x) durch Polynome immer besser wird furwachsendes n, und zwar fur alle x. Welches n reicht, um ein spezifisches Problem korrektzu beschreiben, mussen wir von Fall zu Fall entscheiden. Oft wird einfach n = 1 benutzt,woraus die folgenden nutzlichen Naherungsformeln entstehen:

1

1 + x≈ 1 − x

1

1 + x2≈ 1 − x2

ln(1 + x) ≈ x − x2/2

sin(x) ≈ x

cos(x) ≈ 1 − x2/2√1 + x ≈ 1 + x/2

exp(x) ≈ 1 + x

Page 11: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 1. NEWTONSCHE MECHANIK 7

mit x ∈ [≈ −0.1,≈ 0, 1].Wir betrachten stetige Funktionen, die in einem Intervall J = [a, b] definiert sind

und endlich bleiben. Wir definieren eine endliche Teilmenge Z = a0 = a, a1, ...., an = bdes Intervalls [a, b] als Zerlegung von J. Zu dieser Zerlegung ordnen wir die Mengef(a0), f(a1), ....., f(an). Damit konnen wir eine Treppenfunktion T (f) generieren, die fstuckweise approximiert. Von dieser Treppenfunktion konnen wir die Summe

SZ(f).=

n−1∑

k=0

f(ak)(ak+1 − ak)

konstruieren. SZ(f) ist, nach Konstruktion, die Flache, die zwischen T (f) und der x-Achseliegt. Dabei rechnen wir Flacheninhalte unter der x-Achse negativ.Definition: falls der Limes der Riemannschen Summe

limn→∞

n−1∑

k=0

f(ak) · (ak+1 − ak)

existiert, dann heisst die Funktion f (Riemann)-integrierbar und dieser Limes, den wir

mit∫ b

af(x)dx bezeichen, nennen wir das Integral von f im Intervall [a, b]. Das Integral ist

X

Abbildung 1.2: Graphische Darstellung zur Berechnung des Integrals

dann die Flache, die unter dem Graphen von f(x) im Intervall a, b liegt. Fur die expliziteBerechnung des Limes mussen wir jeweils die Zerlegung feiner machen. Damit reduziertsich der Abstand zwischen einzelnen Punkten der Zerlegung, aber deren Zahl erhoht sich.Die damit erzeugte Folge durfte tatsachlich gegen einen endlichen, berechenbaren Wertkonvergieren.Wir wollen uns uberzeugen, dass integrierbare Funktionen tatsachlich existieren. Wir zer-legen das Intervall [0, 1] mit der Foge a0 = 0, a1 = 1/n, ...ak = k/n, ...n/n = 1 und

versuchen, das ”Integral”∫ 1

0x2dx als Limes der Summe zu berechnen:

n−1∑

k=1

k2

n2· 1

n

Page 12: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 1. NEWTONSCHE MECHANIK 8

Hier hilft uns die elementare Mathematik, welche solche Summen von Quadratentatsachlich berechnen kann: diese Summe betragt

1

6n3(n − 1) · n · (2n − 1) =

1

3− 1

2n+

1

6n2

Der Limes dieser Folge ist 1/3, und das sollte der Flacheninhalt unterhalb des Graphs vonx2 sein. Es lasst sich zeigen, dass jede stetige Funktion tatsachlich integrierbar ist.

Die Definition von Integralen durch Treppenfunktionen ist anschaulich und streng,sowie es streng ist, den Limes durch explizite Berechnung von konvergierenden Folgen zusuchen. Die tatsachliche Berechnung von Integralen erfolgt aber durch den Hauptsatz derDifferenzial- und Integralrechnung.Theorem. Gegeben sei eine stetige Funktion im Intervall [a, b] und x0, x seien beliebigeWerte im Intervall. Dann ist

(i)

∫ x

x0

f(x)dx = F (x) − F (x0)

(ii)F ′(x) = f(x)

Die Funktion F (x) welche (i) erfullt, heisst Stammfunktion von f(x). Die Stammfunk-tion hat die wichtige Eigenschaft, dass ihre Ableitung am Punkt x im Intervall [a, b] mitf(x) ubereinstimmt. Hat man eine Stammfunktion konstruiert, so ergeben sich alle anderendurch Addition einer beliebigen Konstanten.Von diesem Theorem geben wir eine Plausibilitatsbetrachtung. Wir betrachten den Sum-mand f(ak)(ak+1 − ak) fur sehr kleine Intervalle ak+1 − ak und schreiben, im Sinne derTaylor Approximation

f(ak)(ak+1 − ak).= F (ak+1) − F (ak)

Im Sinne des Taylor Entwicklungssatzes ist F (ak) leicht zu identifizieren als die Funktion,fur welche F ′(x) |ak

= f(x) |ak. Somit ergibt sich (ii). In der Summe uber k von den

Gliedern F (xk+1) − F (xk), startend von ak=0 = x0 bis ak=n = x, fallen alle Terme inder Summe aus, ausser F (a0) und F (an), die nicht kompensiert werden. Somit ergibt sichdie Behauptung (i). Die Stammfunktion von f(x) wird formell als

∫f(x)dx bezeichnet.

Integrale ohne Integrationsgrenzen bezeichnen also Integrale oder Stammfunktionen. Ausdiesem Satz ergeben sich auch einige wichtige Rechenregeln.

1.

∫ c

a

f(x)dx =

∫ b

a

f(x)dx +

∫ c

b

f(x)dx

2.

∫ b

a

f(x)dx = −∫ a

b

f(x)dx

3.

∫ b

a

[f1(x) + f2(x)]dx =

∫ b

a

f1(x)dx +

∫ b

a

f2(x)dx

Page 13: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 1. NEWTONSCHE MECHANIK 9

4.

∫ b

a

λ · f(x)dx = λ

∫ b

a

f(x)dx

5.

d

dx

∫ x

a

f(t)dt = f(x)

Substitutionsregel. Die Umkehrung der Kettenregel ergibt die folgende Integrationsfor-mel, die durch Ableiten der rechten Seiten bewiesen werden kann. Gegeben f : [a, b] →[c, d], stetig und differenzierbar und g : [c, d] → R stetig mit Stammfunktion G(x). Dann

g(f(x))f ′(x)dx = G(f(x))

Fur das bestimmte Integral bedeutet dies,

∫ b

a

g(f(x)f ′(x))dx = G(f(b)) − G(f(a)) =

∫ f(b)

f(a)

g(t)dt

Die Integrationsgrenzen mussen mitransformiert werden.Partielle Integration. Fur stetig differenzierbare Funktionen f und g gilt

f(x) · g′(x)dx = f · g −∫

f ′(x)g(x)dx

Grund: Nach der Produktregel ist fg′ + g′f = (fg)′, und die Stammfunktion von (fg)′ istfg. Fur das bestimmte Integral bedeutet dies

∫ b

a

f(x)g′(x)dx = fg |ba −∫ b

a

f(x)g′(x)dx

Page 14: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

Kapitel 2

Eindimensionale Mechanik:Beispiele

2.1 Radioaktiver Zerfall

Die BGL sind gewohnliche Differentialgleichungen (DGL). Damit ist eineVerknupfung gemeint, die nicht nur die gesuchte Bahn enthalt, sondernauch deren erste und zweite Ableitung. Zum Einstieg in die Welt der DGLbetrachten wir den radioaktiven Zerfall. Das ist kein mechanischer Vorgang,aber ist durch eine sehr bekannte und wichtige DG beschrieben, namlichy′ = −y/λ, mit y = y(s). λ ist eine feste, charakteristische Zeit, s istdie Variable. Diese DGL besagt, dass die y′ – die zeitliche Anderung derFunktion y – proportional zu y ist. Je mehr ”Atome” der radioaktiven Sortey wir haben, desto grosser ist die Menge, welche radioaktiv zerfallt. Wirwollen die Losung zur Anfangsbedingung y(t0) = y0 finden.

Diese DGL ist vom Typ ” DGL mit getrennten Variablen”, d.h. y′ = f(s, y) = g(s) ·h(y). Solche DGL konnen wir folgenderweise integrieren:

y′(s)

h(y(s))= g(s)

Integrieren beider Seiten von t0 bis t ergibt

∫ t

t0

y′(s)

h(y(s))ds =

∫ y(t)

y(t0)

du

h(u)=

∫ y

y0

1

h(u)du =

∫ t

t0

g(s)ds

Dies ergibt eine implizite Bestimmungsgleichung fur y(t), die nur eine Integration und

Anfangsbedingungen involviert.

In unserem Spezialfall ergibt dieses Verfahren∫ y

y0

1

udu =

∫ t

t0

−1

λdu

10

Page 15: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 11

bei welchem die Losung

y(t) = y0 · e−(t−t0)

λ

ist. Dies ist die Losung der ursprunglichen DGL, welche auch die Anfangs-bedingungen erfullt.Zur Berechnung der allgemeinen Losung kann man formell auch folgender-weise vorgehen. Aus

dy

ds= h(y) · g(s)

schreibt mandy

h(y)= g(s) · ds

Durch Integration beider Seiten findet man eine Stammfunktion H(y) =∫ dy

h(y)und alle Stammfunktionen G(s, A) =

g(s)ds, die durch eine freiwahlbare Konstante A parametrisiert sind. Schafft man es, die GleichungH(y) = G(s, A) nach y aufzulosen, so findet man die allgemeine Losungy(s, A) mit A der Integrationskonstanten.Interessante Anwendungen hat diese DGL und deren Losung fur die Alters-bestimmung organischer Objekte. Zur Zeit des Todes (t0) horen organischeSubstanzen auf, C12 – die stabile Version von Kohlenstoff – und das radio-aktive Isotop C14 aufzunehmen. Bis t0 sind beide Formen von C mit einer

bekannten relativen KonzentrationN

C14 (t0)

NC12 (t0)

– die wir aus heutigen Messun-

gen kennen – vorhanden. Misst man deren relative Konzentration zu einerspateren Zeit t (etwa die Gegenwart), dann erwarten wir

NC14(t)

NC12(t)=NC14(t0)

NC12(t0)· e−

t−t0λ

Bei bekannter Halbwertszeit λ des radioaktiven Isotops C14 lasst sich ausder Messung der relativen Konzentration der beiden Arten Kohlenstoff t− t0sehr genau festlegen (die Genauigkeit hangt davon ab, wie genau wir dieKonzentration messen konnen).

2.2 Kraftefreie Bewegung

Die einfachste Kraft ist K ≡ 0: die obige Gleichung besagt, dass die zwei-te Ableitung der Bahnkurve nach der Zeit 0 ist. Somit ist die allgemeinsteLosung der Newtonschen BGL x = 0

x(t) = A +B · t

Page 16: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 12

(verifizieren Sie das Resultat durch explizites zweimaliges Ableiten nach t desobigen Ausdrucks). A und B sind Integrationskonstanten, welche so festgelegtwerden mussen, dass die Anfangsbedingungen x(t0) = x0 und x(t0) = v0

erfullt sind. Dies ergibt ein Gleichungssystem fur A und B

x0 = A+B · t0v0 = B

mit Losung B = v0 und A = x0 − v0 · t0. In Worten: Ohne Kraft bewegt sichein Massenpunkt entlang einer Geraden mit konstantem Geschwindigkeit (1.Newtonsches Axiom).

2.3 K 6= 0 aber konstant

Die BGL lautet

x =K

m

Integration auf beiden Seiten ergibt

x =K

m· t+ A

Erneute Integration ergibt

x(t) =K

2 ·m · t2 + A · t+B

mit den beiden Integrationskonstanten A,B. Diese Gleichung stellt die allge-meine Losung dar. Die Anfangsbedingungen seien x(t0) = x0 und x(t0) = v0.Die Bahn zu diesen Anfangsbedingungen finden wir durch die Losung desGleichungssystems fur A,B:

x0 =K

2 ·m · t20 + A · t0 +B

v0 =K

m· t0 + A

Dies ergibt

A = v0 −K

m· t0

B = x0 − (v0 −K

m· t0) · t0 −

K

2 ·m · t20

Page 17: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 13

Somit ist die gesuchte Bahn zu den vorgegebenen Anfangsbedingungen

x(t) =K

2m(t− t0)

2 + v0(t− t0) + x0

Als Anwendung dieser Formel betrachten wir K = −mg (Galileo Experi-ment). Aus v0 = 0 ergibt sich das Galileo Gesetz

| x(t) − x0 |=g

2· t2

In Worten: Ohne Reibung und Luftwiderstand braucht eine Masse, die sichauf einer Hohe x0 oberhalb der Erdoberflache befindet, eine Zeit

2x0

gum

den Boden zu erreichen.

2.4 Eindimensionales, homogenes Kraftfeld

Wir betrachten ein Kraftfeld

Kx(x, y, z) = 0

Ky(x, y, z) = 0

Kz(x, y, z) = −m · g

welches im Euklidischen Raum definiert ist und uniform ”nach unten” zeigt.x, y, z sind Kartesische Koordinaten. In diesen Koordinaten gilt das Tren-nungspostulat von Newton:

mx = Kx(x, y, z) = 0

my = Ky(x, y, z) = 0

mz = Kz(x, y, z) = −m · g

Das bedeutet: die Beschleinigungen sind in den jeweiligen kartesischen Koor-dinaten nur von den entsprechenden Komponenten des Kraftvektors beein-flusst. In unserem Fall lautet die allgemeine Losung:

x(t) = Axt+Bx

y(t) = Ayt+By

z(t) =−g2t2 + Az · t+Bz

mit den 6 Integrationskonstanten Ax, Bx, Ay, By, Az, Bz. Fur einen Wurf auseiner Hohe z0 haben wir die Anfangsbedingugen

x(t = 0) = y(t = 0) = 0

Page 18: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 14

y(t = 0) = z(t = 0) = 0

z(t = 0) = z0

x(t = 0) = v0

z(t = 0) = 0

Das dazugehorige Gleichungssystem fur die Integrationskonstante ergibt dieLosung

Ay = By = Bx = 0

Bz = z0

Az = 0

Ax = v0

Somit ergibt sich die Bahn

x(t) = v0 · ty(t) ≡ 0

z(t) =−g2t2 + z0

Aus der ersten Gleichung folgt t = x(t)v0

. Eingesetzt in der dritten ergibt

z(x) =−g2v2

0

x2 + z0

Mathematisch gesehen ist dies die Gleichung einer nach unten geoffnetenParabel mit Ursprung (0, 0, z0). Je grosser die Anfangsgeschwindigkeit v0 ist,desto kleiner ist die Krummung der Parabel, desto weiter fliegt die Masseentlang der x-Koordinate, bevor sie den Boden erreicht.

2.5 Der freie harmonische Oszillator

Es stellt sich heraus, dass sich K(x) oft als das Negative der Ableitung nach

x einer sogenannten potentiellen Energie darstellen lasst: K(x) = −dU(x)dx

.U(x) wird als die potentielle Energie der Bewegung bezeichnet. Die Abbil-dung gibt den Verlauf der potentiellen Energie, welche zum Beispiel bei derchemischen Bindung zweier Atome aus der Quantenmechanik erwartet wird.Die Atome sind entlang einer Geraden angeordnet, die Koordinate x bezeich-net deren Abstand. Einen zur Abbildung ahnlichen Verlauf beobachtet manfur das Paarpotential bei der chemischen Bindung aller Arten. Die potentielle

Page 19: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 15

Abbildung 2.1: Graphische Darstellung von U(x)

Energie ist durch ein Minimum x0 von U(x) charakterisiert, welches einenGleichgewichtsabstand zwischen den Atomen darstellt. Die Bindungsenergiebetragt U(x0). Das bedeutet, dass das Angehen einer Bindung zu einer Ener-giesenkung gegenuber freien Bestandteile fuhrt. Warum bei x0 zwei Atome”gebunden” sind, kann auch ”mechanisch” erklart werden: sollte ein Atomversuchen, die Gleichgewichtslage zu verlassen, spurt es eine rucktreibendeKraft −dU

dx, die es wieder zu x0 fuhrt. Bei x0 selbst ist die auf die Bestandteile

wirkende Kraft genau Null: das Molekul ist im Grundzustand und, mecha-nisch gesehen, sind die Atome in Ruhe. Angeregte Zustande kann man errei-chen, indem man (zum Beispiel durch Einstrahlung von Licht oder Warme-zufuhr) den Abstand der beiden Atome leicht verkleinert oder vergrossert.Daraus entsteht eine Bewegung, welche als Schwingung bekannt ist. Schwin-gungen sind wichtige angeregte Zustande von Molekulen und Festkorpern.Schwingungen sind ein sehr verbreiteter Bewegungstyp mechanischer Syste-me. Atome in Molekulen und Festkorpern konnen zum Schwingen gebrachtwerden, und die spektroskopische Untersuchung solcher Schwingungzustandeist ausserordentlich nutzlich, sowohl in der Physik als auch in der Chemie undBiologie.

Die BGL fur die Bewegung in einem solchen Kraftfeld ist

mx(t) = −dU(x)

dx

In der Nahe des Minimums lasst sich U(x) folgendermassen approximieren:

U(x) ≈ U(x0) + (x− x0) · U ′(x0) +(x− x0)

2

2!U ′′(x0)

Da U(x) bei x0 ein Minimum besitzt, ist U ′(x0) = 0. Das erste nicht ver-

Page 20: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 16

schwindende Glied ist das proportional zu (x− x0)2. Damit ist

U(x) = U(x0) + (x− x0)2U

′′(x0)

2

Diese Naherung, die nur fur kleine Schwingungen gilt, heisst harmonischeApproximation. In der harmonischen Naherung, lasst sich die BGL als

mx = −U ′′(x0) · (x− x0)

schreiben. Ublicherweise setzt man die Grosse U ′′(x0).= k und U ′′(x0)

m=

ω20 (Einheit: 1

s2 ). Die Bedeutung von ω0 als charakteristische Frequenz derBewegung wird bald klar. Somit ist die BGL (fur die Variable u = x − x0),die die Abweichung von der Gleichgewichtskoordinate x0 beschreibt

u+ ω20u = 0

Diese DGl gehort zur Klasse der linearen DGL nter-Ordnung mit konstanten Koeffizienten:

any(n) + an−1y(n−1) + ... + a1y

′ + a0y = g(x)

Falls die ”Storfunktion” g(x) verschwindet, ist die DGL homogen. Die Losung der homo-genen DGL suchen wir durch den Ansatz y(t) = eλt. Das fuhrt zu einer algebraischenGleichung fur λ:

anλn + an−1λn−1 + ... + a1λ + a0 = 0

Die Nullstellen λi konnen komplex sein. Jede Nullstelle λi generiert eine Exponential-

funktion eλi·t, welche die DGL lost. Falls alle Nullstellen verschieden sind, dann haben

wir n linear unabhangige Losungen fur die DGL n-ter Ordnung gefunden. Sie bilden ein

Fundamentalsystem von Losungen: jede andere Losung lasst sich als Linearkombination

der Grundlosungen darstellen: yhom(t) =∑

i αieλi·t. Sollte g(x) 6= 0 sein, dann ist die

DGl inhomogen. Die allgemeine Losung der inhomogenen DGL ist die Superposition einer

speziellen Losung der inhom. DGL mit der allgemeinen Losung der hom. DGL.

Die zum freien harmonischen Oszillator gehorige charakteristische (alge-braische) Gleichung ist λ2 + ω2

0 = 0, mit der allgemeinen Losung u(t) =C1 cos(ω0t) + C2 sin(ω0t) = A · cos(ω0t+ ϕ), mit

1. ω0 : Eigen(kreis)frequenz

2. A: maximale Amplitude

3. ϕ: Phasenwinkel

4. ν = ω02π : Eigenfrequenz

5. T = 1ν

= 2πω0

: Schwingungsdauer (Periode)

Page 21: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 17

Einige Spezialfalle verdienen besondere Beachtung.

1. Wir lenken den Oszillator anfangs um u0 aus, lassen ihn dann los undbetrachten seine Schwingung. Die Anfangsbedingungen lauten offenbaru(0) = u0, u(0) = 0. Die Losung zu diesen Anfangsbedingungen istdeshalb u(t) = u0 cosω0t. Die Anfangselongation ist gleichzeitig diemaximale Amplitude der Schwingung.

2. Wir stossen den Korper in seiner Ruhelage an und verleihen ihm dieGeschwindigkeit v0, u(0) = 0, v(0) = v0. Dies fuhrt zu u(t) = v0

ω0sinω0t.

Die maximale Amplitude der Schwingung ist somit A = v0

ω0.

Ein wichtiges Merkmal der Schwingung in der harmonischen Naherung ist dieUnabhangigkeit von T von der Amplitude A, wie die explizite Losung zeigt.Daruberhinaus erkennen wir eine weitere Grosse, die wahrend der ganzenBewegung den gleichen Wert annimt: es ist die totale Energie des Mas-senpunktes, die sich aus der kinetischen Energie 1

2mu2 und der potentiellen

Energie 12ku2 zusammensetzt (wir wahlen U(x0)=0). Es gilt namlich

Ekin + U(u) =1

2mA2ω2

0 sin2(ω0t+ ϕ)

+1

2mω2

0A2 cos2(ω0t+ ϕ) =

m

2· ω2

0 · A2

Die totale Energie ist eine Erhaltungsgrosse der Bewegung.Bemerkungen.

• Wir haben bereits bemerkt, dass die Kraft K(x) als Negative der Ab-leitung nach der Ortskoordinate einer potentiellen Energie abgeleitetwerden kann: K(x) = −dUpot(x)

dx. Bei vorgegebenem K(x) lasst sich eine

potentielle Energie definieren, als

Upot(x) = −∫

K(x)dx

wobei diese Definition klar macht, dass die potentielle Energie nur bisauf eine additive Konstante definiert ist. Die Einheit der potentielleEnergien sowie der totalen Energie ist N ·m .

= Joule (gekurzt J).

• Die Arbeit einer Kraft auf dem Weg zwischen den Ortskoordinaten x1

und x2 ist als

A(x1 → x2).=∫ x2

x1

K(x)dx

Page 22: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 18

definiert. Schreiben wir dx als x(t)dt, lasst sich die Arbeit als ein Inte-gral uber die Zeit schreiben:

A(t1 → t2).=∫ t2

t1K(x(t))xdt

mit x(ti) = xi. Der Integrand K(x) · x hat die Einheiten J/sec.=

Watt (gekurzt W ) und wird Leistung der Kraft zur Zeit t genannt. DieBedeutung der Arbeit ist aus folgender Uberlegung klar.

A(x1 → x2) = Upot(x1) − Upot(x2)

Etot(x2) − Etot(x1) = (Upot(x2) − Upot(x1)) + (Ekin(x2) −Ekin(x2))

= ∆Ekin + ∆Epot

= ∆Ekin − A(x1 → x2)

Falls die totale Energie erhalten bleibt, ist

A(x1 → x2) = ∆Ekin

In Worten: die Kraft leistet Arbeit, um die kinetische Energie zu andern.

2.6 Erzwungene Schwingung

Wir gehen nun zur Betrachtung von Schwingungen eines Systems uber, aufdas ein ausseres veranderliches Feld wirkt. Derartige Schwingungen heissenerzwungene Schwingungen im Gegensatz zu den im vorherigen Paragraphenuntersuchten freien Schwingungen. Bei der Anwesenheit eines ausseren Feldesbesitzt das System neben der eigenen potentiellen Energie 1/2k(x − x0)

2

ausserdem die potentielle Energie V (x, t), die von der Wirkung des ausserenFeldes herruhrt. Wenn wir dieses Zusatzglied in einer Potenzreihe der kleinenGrosse x entwickeln, erhalten wir

V (x, t) = V (x0, t) + (x− x0)∂V

∂x

∣∣∣x=x0

Das erste Glied hangt nur von der Zeit ab und kommt bei der Aufstellungder BG nicht vor. Im zweiten Glied ist −∂U

∂x

∣∣∣x=x0

die aussere Kraft, die auf

das System in der Gleichgewichtslage wirkt und eine vorgegebene Funktionder Zeit ist. Wir bezeichnen sie mit F (t). Die BGL lautet

u+ ω20 · u =

1

mF (t)

Page 23: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 19

wo wir wiederum die Frequenz ω0 der freien Schwingung eingefuhrt haben.Wir betrachten nun einen Fall von besonderem Interesse, bei dem die aussereKraft ebenfalls eine einfache periodische Funktion der Zeit mit der Frequenzγ ist: F (t) = f · cos γt darstellt. Um eine spezielle Losung zu suchen, fuhrenwir den Ansatz usp = b cos γt durch, mit dem gleichen periodischen Faktor.Einsetzen in die DG ergibt die charakteristische Gleichung

bγ2 − bω20 +

f

m= 0

deren Losung b = fm(ω2

0−γ2)ist. Die allgemeine Losung der inhom. DG ist

A cos(ω0t+ ϕ) +f

m(ω20 − γ2)

cos γt

Die freien Konstanten A und ϕ bestimmen sich aus den Anfangsbedingun-gen. Das bedeutet, dass das System unter der Wirkung ausserer periodischerKrafte eine Bewegung ausfuhrt, die sich aus zwei Schwingungen zusammen-setzt. Aus einer Schwingung mit der Eigenfrequenz ω0 des Systems und auseiner Schwingung mit der Frequenz γ der ausseren Kraft. Der Verlauf derAmplitude der speziellen Losung ist in der folgenden Skizze dargestellt: Die

negative Amplitude fur γ ≥ ω0 kann man auch als positive Amplitude einerum −π verschobenen cos γt darstellen, d.h. die Losung lasst sich als

A cos(ω0t+ ϕ) + | f

m(ω20 − γ2)

| cos γt, γ < ω0

A cos(ω0t+ ϕ) + | f

m(ω20 − γ2)

| cos(γt− π), γ > ω0

darstellen.

Page 24: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 20

Die gegebene Losung gilt nicht im Fall der sog. Resonanz, d.h. wenndie Frequenz der ausseren Kraft mit der Eigenfrequenz des Systems zusam-menfallt. Um die allgemeine Losung der BG in diesem Falle zu finden, ver-suchen wir eine spezielle Losung mit dem Ansatz

usp = b(cos γt− cosω0t)

zu finden. Die Motivation fur diesen Ansatz ist die Folgende: In der vorigenLosung strebte der Nenner fur γ → ω0 nach Null. Damit diese Divergenz aufirgendeine Weise kompensiert wird und eine wohldefinierte Losung existiert,mussen wir dafur sorgen, dass auch der Zahler fur γ → ω0 nach 0 strebt.Einsetzen in der DG (zuerst nehmen wir formell γ 6= ω0) ergibt

−bγ2 cos γt+ bω20 cosω0t+ bω2

0(cos γt− cosω0t)

= b(ω20 − γ2) cos γt

=f

mcos γt⇒

b =f

m(ω20 − γ2)

Die Funktion, die die Losung im Fall der Resonanz darstellt, finden wir alsResultat von

limγ→ω0

[f

m(ω20 − γ2)

(cos γt− cosω0t)]γ=ω0+ε

=

= limε→0

[f

m(2ω0 + ε)(−ε) cos((ω0 + ε)t) − cosω0t]

Durch Benutzung der triginometrischen Identitat cos(α+ β) = cosα cosβ −sinα sin β erhalten wir

cos((ω0 + ε)t) − cosω0t = cosω0t · cos εt− sinω0t · sin εt− cosω0tkleines ε

= cosω0t · 1 − sin(ω0t) · εt− cosω0t

und

limε→0

[f

m(2ω0 + ε)(−ε) cos(ω0 + ε)t− cosω0t]

=f

2mω0εεt · sinω0t

= f2mω0

t · sinω0t

Page 25: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 21

Die allgemeine Losung lautet dann

u(t) = A · cos(ω0t+ ϕ) +f

2mω0t · sinω0t

Im Resonanzfall, steigt die Schwingungsamplitude linear mit der Zeit (solan-ge sie nicht so gross wird, dass die gesamte dargelegte Theorie nicht mehranwendbar ist!). Die Erscheinung der Resonanz hat viele Anwendungen in

Abbildung 2.2: Verlauf der Schwingung im Resonanzfall

der Physik und uberhaupt in den Naturwissenschaften. Auf einige davonwerden wir naher eingehen. Die Resonanz kann aber auch sehr gefahrlichwerden, z.B. fur Maschinenteile wie Turbinenwellen, wenn die Eigenfrequenzder Welle gleich ihrer Umlauffrequenz wird. Beim Anfahren von Gasturbi-nen, bei denen die Betriebsfrequenz oberhalb der Eigenfrequenz liegt, mussdeshalb moglichst schnell uber die Resonanzstelle hinweg gefahren werden.Neben der Amplitude ist auch die von der ausseren Kraft zugefuhrte Ener-gie eine Grosse, die oft den Resonanzprozess charakterisiert. Nach unserenDefinitionen ist die in einer Periode τ = 2π/ω0 zugefuhrten Arbeit

Aւ =∫ u(t)

u(0)Fւdx =

∫ τ

0Fւ(t)

du

dtdt

Wir unterscheiden zwischen zwei Fallen: γ 6= ω0 und γ = ω0. Im ersten Fall istdie zugefugte Energie (oder, anders ausgedruckt, die vom System absorbierteEnergie) null:

−∫ τ

0f · cosγt f

m(ω20 − γ2)

γ · sinγt ∝∫ τ

0cosγt · sinγt =

= cosγt · sinγtt = 0 !

Page 26: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 22

Nur im Resonanzfall ist das System imstande, Energie zu absorbieren,namlich

∫ τ

0

f 2

2mω0ω0 · cosω0t · t · cosω0t dt =

f 2

2m

∫ τ

0t · cos2ω0t dt =

=f 2

2m(τ 2

2− τ 2

4) =

f 2

8mτ 2

Diese Moglichkeit, nur bei der Resonanz einem System Energie zuzufuhren,ist die Grundlage fur die Absorption von Licht durch Materie, und findet zumBeispiel in der Spektroskopie eine wichtige Anwendung (die τ2-Abhangigkeit

der absorbierten Energie wird in der Tat nicht beobachtet: Man beobachtet eher eine τ -

Abhangigkeit, die dazu fuhrt, dass die absorbierte Energie pro Zeiteinheit konstant ist.

Wir werden sehen, wie die Einfuhrung der Dampfung zur notigen Korrektur fuhrt.)

2.7 Gedampfte Schwingung

Bis jetzt haben wir angenommen, dass die Bewegung der Masse im leerenRaum stattfindet, oder dass der Einfluss des Mediums auf die Bewegungvernachlassigbar ist. In Wirklichkeit setzt das Medium der Bewegung desKorpers einen Widerstand entgegen, der sie zu verlangsamen sucht (Rei-bung). Die Reibung modifiziert den Ablauf der Bewegung, wie wir im kon-kreten Fall des harmonischen Oszillators berechnen wollen. Man simuliertoft Reibung, indem man eine Reibungskraft in die BGL einfuhrt. Eine sol-che Reibungskraft nimmt fur den hier betrachteten Fall der eindimensio-nalen Schwingung die Form fD = −D · x, D > 0 an. Das Minuszeichenbedeutet, dass die Kraft der Bewegung entgegenwirkt. Wenn wir diese Kraftauf der rechten Seite der BG hinzufugen, erhalten wir (zuerst sei F = 0)mu = −ku−Du. Wir teilen durch m und fuhren die Bezeichnungen k

m= ω2

0,Dm

= 2λ ein. Dabei ist ω0 die Frequenz der freien Schwingungen des Systemsohne Reibung. Die Grosse 2λ heisst Dampfungskonstante. Auf diese Weiseerhalten wir die Gleichung

u+ 2λu+ ω20u = 0

Nach den allgemeinen Regeln fur die Losung linearer DG mit konstantenKoeffizienten setzen wir den Ansatz x = er·t und finden die charakteristischeGleichung r2 + 2λr + ω2

0 = 0 mit den Losungen r1,2 = −λ ±√

λ2 − ω20. Die

allgemeine Losung der Gleichung ist

u(t) = c1er1t + c2e

r2t

Page 27: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 23

Hier mussen zwei Falle unterschieden werden: Fur λ < ω0 erhalten wir zweikomplex konjugierte Werte fur r1,2:

r1,2 = −λ± i√

|λ2 − ω20|

Die allgemeine Losung der DG ist

u(t) = Ae−λt cos(ωD · t+ ϕ)

ωD.=√

|λ2 − ω20|. Die durch diese Formel dargestellte Bewegung ist eine

sog. gedampfte Schwingung. Man kann sie als harmonische Schwingung mitexponentiell abnehmender Amplitude ansehen. Die Schwingungsfrequenz istkleiner als die Frequenz der freien Schwingung ohne Reibung. Wir nehmenjetzt an, dass λ > ω0 ist. Dann sind beide Werte von r reell und negativ. Dieallgemeine Losung lautet hier

u(t) = c1e−(λ−

√λ2−ω2

0)t + c2e−(λ+

√λ2−ω2

0)t

Die Bewegung besteht aus einer asymptotischen (bei t→ ∞) Annaherung andie Gleichgewichtslage ohne Schwingung. Diese Bewegung heisst aperiodisch.Im Automobilbau ist das die Aufgabe der Stossdampfer, die durch starkeBodenunebenheiten entstehenden unangenehmen und auch gefahrlichen Fe-derschwingungen der Karrosserie sofern als moglich aperiodisch zu dampfen.In beiden Falle wird eine allfallige Anfangsabweichung aus der Ruhelage mitder Zeit abnehmen, bis die Masse wieder in die Ruhelage zuruck ist. Damp-fung spielt naturlich auch bei erzwungenen Schwingungen eine grosse Rolle.Sie modifiziert den Verlauf des Resonanzvorganges, indem sie auch entferntvon der Resonanz zur Arbeitsubertragung zwischen aussere Kraft und Sy-stem fuhrt. Dabei bremst sie das Wachstum der Amplitude im Resonanzfallzu einem endlichen, stationaren Wert. Die DG lautet

u+ 2λu+ ω20u =

f

mcos γt

Die allgemeine Losung ist dann (ohne Herleitung)

u(t) = A · e−λt cos(ωDt+ ϕ) + b · cos(γt+ δ)

mit b = f

m√

(ω20−γ2)+4λ2γ2

und tan δ = 2λγγ2−ω2

0. Der erste Summand nimmt mit

der Zeit exponentiell ab, sodass nach genugend langer Zeit nur noch der”erzwungene” Term b ·cos(γt+δ) ubrig bleibt (aus diesem Grund eignen sichExperimente zur Visualisierung der speziellen Losung!!) Die Phase wechselt

Page 28: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 24

0

0

0

0

Abbildung 2.3: Die Phase δ und die Amplitude b als Funktion von γ fur zweiverschiedene Parameter λ

nicht sprunghaft von 0 zu −π wie beim Fall λ = 0. Der Wechsel findet ineinem engen Frequenzbereich der Breite 2λ in der Umgebung von ω0 statt.Am besten schatzen wir die Wirkung der dissipativen Kraft, indem wir dieubertragene Arbeit im Fall λ 6= 0 betrachten. Die in einer Periode absorbierteEnergie ist

Aւλ6=0 = −f · b · γ

∫ τ

0cos γt · (sin γt · cos δ + cos γt · sin δ) =

= −f · b · γ∫ τ

0cos2 γt · sin δ = −f · b · γ cos2 γt

t

︸ ︷︷ ︸

12τ

sin δ

⇔ Aւλ6=0 =

f

2· b · γ · τ | sin δ| > 0 !

Die entsprechende absorbierte Leistung ist

τ.= Lւ =

f

2γb| sin δ|

Dieses Resultat wollen wir in der Nahe der Resonanzfrequenz veranschauli-chen (λ≪ ω0, γ ≈ ω0):

Lւ =f

2γb| sin δ|

=1

2· f · γ · tan δ√

1 + tan2 δ

≃ f 2λ

4m

1

(ω0 − γ)2 + λ2

Der letze Ausdruck enthalt die Lorentzfunktion, die in der Figur abgebil-det ist. Sie ist eine fur Resonanzphanomene typische Funktion und kommtdeshalb in der Physik oft vor.

Page 29: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 25

Abbildung 2.4: Absorbierte Leistung

Im eingeschwungenen Zustand bleibt die Energie eines Systems, das er-zwungene Schwingungen ausfuhrt, unverandert. Das System absorbiert aller-dings ununterbrochen Energie (aus der Quelle der ausseren Kraft), die infolgeder Reibung dissipiert. Bei der Resonanzfrequenz ist die aufgenommene Lei-stung maximal, die scharfe Resonanzlinie bekommt eine endliche Breite. Inder Technik fuhrt man oft zur Charakterisierung der Scharfe einer Resonanz-linie den sog. Q-Faktor als Q = Resonanzfrequenz/Breite der Resonanz-kurve ein. Da Resonanzerscheinungen eine sehr wichtige Rolle in der Naturspielen und fast in allen Gebieten der Physik vorkommen, wollen wir einigedavon besprechen.

2.8 Resonanzphanomene

2.8.1 Elektrische Resonanzkreise

Ein einfacher elektrischer Resonanzkreis (oder Schwingungskreis) besteht auseiner Serienschaltung einer Kapazitat C, einer Induktivitat L und einesWiderstandes R, hier abgebildet. Die veranderliche Grosse im elektrischen

Schwingkreis ist die transportierte Ladung q in Analogie zu x bei der me-

Page 30: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 26

chanischen harmonischen Schwingung. Die Schwingungsgleichung fur obigenelektrischen Kreis lautet

q +R

L· q · 1

C · L · q − 1

L· V0 · cosω0t = 0

Die Halbwertsbreite der Resonanzkurve betragt in diesem Fall R/L. Verglei-chen wir die beiden Differenzialgleichungen fur u und q, so konnen wir einerein formale Beziehung entsprechender Grossen finden, die in dieser Tabelleaufgezahlt sind.

Charakteristika Mech. System Elektr. System

Unabhangige Veranderliche t tAbhangige Variable x qTragheit m LDampfung 2λ R

L

Resonanzfrequenz (Eigenfreq.) ω0 =√

km

ω0 =√

1L·C

Schwingungsdauer (Periode) τ = 2π√

mk

τ = 2π√L · C

Q-Faktor ω0

2λω0·L

R

2.8.2 Spektroskopien

Man kann die Wechselwirkung zwischen einem System mit atomarer Aus-dehnung und elektromagnetischer Strahlung durch eine klassische erzwun-gene Schwingung simulieren, indem man die von aussen angelegte Storkraftmit dem elektrischen Feld der Strahlung identifiziert. Systeme mit atomarerAusdehnung sind durch diskrete Energiewerte charakterisiert, d.h. durfennur bestimmte Energiewerte annehmen. Die ”Eigenfrequenz” ω0 stellt ei-ne charakteristische Frequenz des Systems dar, und zwar ist sie ein Massfur den Abstand zwischen zwei Energieniveaus, ω0

.= (E1 − E0)/h, wobei

h = h2π

= 1.054 · 10−34kg ·m2/s das Plank’sche Wirkungsquantum ist.Nur bei der Resonanzfrequenz kann das System Energie absorbieren. DieseAbsorption erfolgt durch den Ubergang des Systems vom niedrigen Energieni-veau E0 zum angeregten Zustand E1. Durch diese Resonanzerscheinung ent-steht die Moglichkeit, die Energieniveaus eines Systems zu bestimmen: das istdie Grundlage der Spektroskopie, da es ermoglicht, verschiedene Systeme an-hand deren Absorpsionsspektren zu erkennen. Mogliche angeregte Zustandeeines Molekuls sind Schwingungen, fur welche ω0 mit der klassischen Schwin-gungsfrequenz ubereinstimmt. Schwingungen fuhren zur Absorption im In-frarotbereich: man sprich von Infrarotspektroskopie. Ein typisches Absorpti-onsspektrum verursacht durch Schwingungen, ist in der Figur aufgezeichnet.

Page 31: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 27

Die transmittierte Lichtintensitat als Funktion der Wellenlange des einfal-

lendes Lichts zeigt ein deutliches Transmissionsminimum, entsprechend ei-ner Energieaufnahme der Molekule, also einer Anregung von Schwingungen.Solche Minima sind charakteristisch fur die betreffende Substanz, und derChemiker kann daraus die Natur und Art der zu untersuchenden Probe be-stimmen. Absorption im Ultravioletten deutet auf elektronische Anregungenhin, wie der Ubergang zwischen zwei Energieniveaus im Wasserstoffatom. Die”Natriumflamme” ist ein typisches Beispiel einer elektronischen Anregung.Das Na-Atom besitzt in seiner elektonischen Struktur zwei benachbarte Ni-veaus, deren Abstand gelbem Licht entspricht. Auf ein Drahtnetz, das inder Flamme eines Bunsenbrenners steht, wird Kochsalz gestreut, und dieFlamme leuchtet gelb, entsprechend der Wellenlange des gelben Na-Lichtes5890 A. Durch das Erhitzen werden einige Atome in einen angeregten Zu-stand versetzt. Die angeregten Atome bleiben jedoch nur sehr kurze Zeitτ ≈ 10−8sec in diesem angeregten Zustand und fallen wieder auf ihr Aus-gangsniveau zuruck. Dabei emittieren sie Licht mit der charakteristischen Na-Wellenlange. Beleuchten wir die Flamme mit einer Natrium-Spektrallampe,die genau diese Wellenlange emittiert, so beobachten wir an der bestrahltenStelle der Flamme auf einem dahinter aufgestellten Schirm schwarze Zonen.

Page 32: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 28

Durch das Einstrahlen der Resonanzfrequenz ω0 werden die Atome energe-

tisch in den angeregten Zustand versetzt. Ein Teil des einfallenden Lichts wirdfur diesen Prozess benutzt, und verschwindet. Das durch spontane Emissi-on reemittierte Licht geht in jeden Raumwinkel und fehlt daher zu einemhohen Prozentsatz in der Durchstrahlrichtung: ein Schatten entsteht. Auf-grund der endlichen Lebensdauer, besitzen die Niveaus eine gewisse Breite∆E = h/τ : auch benachbarte Frequenzen konnen am Resonanzprozess teil-nehmen. In der Tabelle sind die charakteristischen Absorptionsbereiche, mitden entsprechenden Anregungen, zusammengefasst.

Spektralgebiet Art der Anregung

Ultra-violett (UV) Schwingungen der ValenzelektronenInfrarot (IR) MolekulvibrationenMikrowellen Molekulrotationen

Die Absorptionsmaxima im UV einiger typischer organischer Substanzen

Page 33: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 29

mit Mehrfachbindungen sind im Folgenden aufgezahlt.

Verbindung Wellenlange des Absorptionsmaximums

H2C = CH2 1625AHC ≡ CH 1775AHC ≡ N 1750A(CH3)2C = O 1870A

2.8.3 Resonanzen in der Teilchenphysik

Schiesst man z.B. Neutronen auf Iridiumkerne oder π-Mesonen auf Protonen,so konnen fur sehr kurze Zeiten sog. Resonanzen entstehen, kurzlebige Kom-binationsteilchen, die kurz nach ihrer Bildung zerfallen. Das Auftreten einerResonanz aussert sich in der Abhangigkeit der Wahrscheinlichkeit σ fur einebestimmte Reaktion von der Energie: Aus der Breite der Resonanzabsorpti-on, welche gleich h/τ ist, liest man die Lebensdauer τ des Kombinationsteil-chens ab. Das zeigt, dass Resonanzen auch in der Kern-und Teilchenphysikvon Bedeutung sind: neue Teilchen zeigen sich oft nur als Resonanz in einemStreuexperiment.

Page 34: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 30

2.9 Allgemeine Losung 1-dimensionaler Pro-

bleme

In einer Dimension ist die Newtonsche BGL exakt integrierbar, solangeK(x) = −dU

dx. Wir wollen die Integrierbarkeit beweisen. Aus mx = −dU

dx

folgt

x ·mx = x · (−dUdx

)

d[12mx2]

dt= −dU

dtd[1

2mx2 + U(x)]

dt= 0

1

2mx2 + U(x)

.= E

Die so gewonnene Integrationskonstante E ist ein Integral der Bewegung, dasie mit der Zeit unverandert bleibt. Diese Konstante heisst totale Energie derBewegung. Sie kann dazu benutzt werden, um die Bewegungen zu klassifizie-ren. Die resultierende DGL erster Ordnung lasst sich durch Trennung derVeranderlichen integrieren:

1

2mx2 + U(x) = E

Page 35: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 31

dx

dt=

2

m[E − U(x)]

t =

√m

2

∫ dx√

E − U(x)+Konst.

Etwas Allgemeines lernen wir aus dieser Losung: eine reelle (und somitphysikalische) Losung existiert nur im Gebiet, wo E > U(x) ist. Diese Ge-biete kann man direkt ablesen, wenn man die potentielle Energie graphischdarstellt. Die Punkte, bei denen E = U(x) ist, sind Umkehrpunkte der Bahn,

Abbildung 2.5: Graphische Darstellung von U(x)

da in ihnen die Geschwindigkeit 0 wird, und sich somit das Vorzeichen andernkann. Man unterscheidet zwischen endlichen Bahnen, die in einem endlichenRaumgebiet verlaufen konnen, und unendlichen Bahnen, wenn die Masseins Unendliche laufen kann. Die eindimensionalen endlichen Bahnen sindSchwingungen: die Masse bewegt sich zwischen den Umkehrpunkten x1(E)und x2(E) periodisch, d.h. sie kehrt nach einer gewissen Zeit wieder an einenbestimmten Punkt zuruck. Die Periode der Schwingung ist durch den Aus-druck

T (E) = 2 ·√m

2

∫ x2(E)

x1(E)

dx√

E − U(x)

gegeben. Wir diskutieren, als beispiel, den Fall von kleinen Schwingungen.Dann

U(x) = U(x0) + (x− x0)2U

′′(x0)

2

und aus U(x0) + (xi − x0)2 U ′′(x0)

2= E folgt xi(E) = x0 ±

2(E−U(x0))U ′′(x0)

. Einge-

setzt in den Ausdruck fur T (E) ergibt dies

T (E) = 2 ·√m

2

∫ x2(E)

x1(E)

dx√

E − U(x0) − (x− x0)2 U ′′(x0)2

Page 36: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 2. EINDIMENSIONALE MECHANIK: BEISPIELE 32

= 2 ·√

m

U ′′(x0)

∫√

2(E−U(x0))

U′′(x0)

√−2(E−U(x0))

U′′(x0)

dy√

2(E − U(x0)/U ′′ − y2

= 2 ·√

m

U ′′(x0)· [arcsin(1) − arcsin(−1)]

= 2π

m

U ′′(x0)

Wie fruher schon bewiesen, ist T von E unabangig. Dies ist aber nur inder harmonischen Naherung gultig. Fur die Schwingung definiert man ei-ne Schwingungsfrequenz als ω

.= 2π

T. In der harmonischen Naherung ist

ω =√

U ′′

m. Die Frequenz ist das fundamentale Charakteristikum von Schwin-

gungen; sie hangt nicht von den Anfangsbedingungen der Bewegung ab,sondern ist vollstandig durch die mechanische Eigenschaft des Systems be-stimmt. Im Wesentlichen gibt sie Auskunft uber die Krummung (zweite Ab-leitung!) der potentiellen Energie in der Nahe der Ruhelage. Dieses Resultatist von entscheidender Bedeutung fur die Spektroskopie von Molekulen undFestkorpern: durch die spektroskopische Bestimmung der Schwingungsfre-quenz lasst sich etwas uber die potentielle Energie der Molekule aussagen!!

Page 37: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

Kapitel 3

1d Schwingungen mit mehrerenFreiheitsgraden

Mit unserem mechanischen Modell konnen wir die Schwingungen einer Masseerfassen, die entlang einer Koordinate harmonische Oszillationen durchfuhrt.Die rucktreibende Kraft bietet eine Feder mit der Federkonstante k = U ′′(x0)(x0: Gleichgewichstlage). Wir wollen jetzt mit dem gleichen Federmodell ver-suchen, die Bewegung mehrerer, durch Feder gekoppelter Massen zu erfassen.Wir beginnen mit einem einfachen Beispiel.

3.1 Eigenmode zweier gekoppelter harmoni-

scher Oszillatoren

Wir betrachten zwei identische Massen, die durch eine Feder mit der Feder-konstante k gekoppelt sind. Jede Masse ist mit einer weiteren Feder (auchmit Federkonstante k) an einer festen Wand gebunden. Im Gleichgewicht be-setzen die Massen Gitterpunkte mit Gitterkonstante a (in Molekulen ≈ 0.1nm). Die Abweichungen der i-ten Masse aus der Ruhelage bezeichen wir mitui (in Molekulen ≈ 0.01 nm).

mu1 = −k · u1 − k · (u1 − u2)

mu2 = −k · u2 − k · (u2 − u1)

Es handelt sich, mathematisch gesehen, um ein lineares gekoppeltes Diffe-rentialgleichungssystem. Die Kopplung aussert sich mit der Tatsache, dassdie Bewegung der 1. Masse durch die Lage der 2. Masse beeinflusst wird,und umgekehrt. Somit sind die beiden Massen nicht unabhangig. Wir suchen

33

Page 38: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN34

nach der allgemeinen Losung als die lineare Superposition von Fundamen-tallosungen, die Eigenmoden genannt werden. Dieses Superpositionsprinzipstammt aus der Tatsache, dass die DGL linear sind. Der Eigenmodenansatzlautet:

ui = ai · eiωt

d.h. wir suchen nach Losungen, in deren beide Massen mit der gleichen,zu bestimmenden Frequenz ω oszillieren. Fur die (komplexe) Amplitude ai

versuchen wir, algebraische Gleichungen zu etablieren. Das geschieht durchEinsetzen des Eigenmodenansatzes in das DGL-System. Es resultiert ein ho-mogenes Gleichungssystem fur die unbekannten Amplituden a1, a2. In Ma-trixschreibweise:

(

−mω2 + 2k −k−k −mω2 + 2k

)(

a1

a2

)

=

(

00

)

Eine triviale Losung ist der Grundzustand u1 = u2 = 0. Endliche Amplitu-den erhalt man, nur wenn die Determinante der Matrix verschwindet. Dasergibt die Determinantengleichung (oder charakteristische Gleichung) fur diezu bestimmende Eigenfrequenz ω:

(2k −mω2)2 − k2 = 0

Nur eine endliche Anzahl Frequenzen bilden die Losung der Determinanten-gleichung: d.h. nur bei ausgewahlten Frequenzen konnen sich Eigenmodenentwickeln. In diesem Fall finden wir die zwei moglichen Eigenfrequenzen

ω2α =

k

m

ω2β =

3k

m

Setzen wir ωα in das Gleichungssystem, erhalten wir die Losung a1 = a2.Diese Eigenmode (1, 1) besagt, dass beide Massen zu jeder Zeit die gleicheAuslenkung besitzen, und zwar gleiche Amplitude und gleiches Vorzeichen.Sie sind genau in Takt. Zu ωβ gehort der Eigenmode (1,−1): in dieser Eigen-mode schwingen die Massen mit gleicher Amplitude aber entgegengesetztenVorzeichen und sind um eine Phase π ausser Takt. Zusammenfassend: diegesuchten Eigenmoden sind

uα(t) = eiωαt

(

11

)

uβ(t) = eiωβt

(

11

)

Page 39: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN35

Somit lautet die allgemeine Losung:

(

u1(t)u2(t)

)

=

(

cαeiωαt + cβe

iωβt

cαeiωαt − cβe

iωβt

)

Eine moderne Anwendung dieser Anordung findet man in der Atomkraft-mikroskopie (AFM). Fur die Interpretation der Messungen in AFM benutztman oft ein Modell, in welchen Oberflachenatome, die durch ”eine Feder” amKristall gebunden sind, die Kraft einer naheliegenden Spitze als eine zusatz-liche Feder spuren. Die Spitze selbst ist an einem schwingenden Balken fest-gebunden. Nur bei bestimmten Frequnzen ist es moglich, Schwingungen desgekoppelten Systems ”Atom-Spitze” anzuregen. Diese Resonanzfrequenzenliefern, nach nach unseren Uberlegungen, unmittelbare Informationen uberdie an der Bindung beteiligten Krafte. Diese Resonanzen werden sogar furden Transport der Atome von einer Stelle zur anderen benutzt.

3.2 Eigenmode einer schwingenden Kette

mit N-gekoppelten Oszillatoren

Wir betrachten eine lineare Kette von N Atomen der Masse m entlang derx-Koordinate. Die Atome sind paarweise mit einer Feder (Federkonstantenk) gekoppelt. Wir bezeichnen als u(n)

.= xn−n ·a die Abweichung der n−ten

Masse aus der Ruhelage n · a, wobei a die Gitterkonstante ist. Die BG fur

Abbildung 3.1:

die n− te Masse lesen wir aus der Figur ab:

mu(n) = k[u(n− 1) + u(n+ 1)] − 2ku(n)

Da die Auslenkungen u(n ± 1) in der BGL fur das n − te Atom auftreten,bilden alle BGL ein System vonN gekoppelten DGL. Die Losung hangt davonab, welche Randbedingungen der Kette auferlegt werden. Man kann z.B. die

Page 40: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN36

Randatome festhalten oder frei geben. Wenn n eine kleine Zahl ist, hangendie Losungen stark von diesen Randbedingungen ab (siehe Ubungen). Beieiner makroskopischen Anzahl N muss der Einfluss der Randbedingungen aufdie Schwingungsfrequenzen klein sein. Physikalisch kann man sich vorstellen,dass die Kette zu einem Kreis gebogen wird, wobei am N -ten Atom nocheine Feder angebracht ist, die es mit dem ersten Atom verbindet. Damit hatman den Rand eliminiert. Mathematisch bedeutet diese Biegung der Kettezu einem Kreis die Annahme periodischer (in der Fachliteratur auch Born-von Karman) Randbedingungen: u(n) = u(n + N). Die Losungen des DGSystems mit diesen Randbedingungen sind solche, die der Realitat naherkommen sollten, weil sie Oberflacheneffekte auf die Festkorpereigenschafteneliminieren. Zur Losung des DG Systems macht man den Eigenmoden-Ansatz

u(n) = an · eiωt

Die Amplitude an konnen wir durch folgende Uberlegungen naher festlegen.Wie im vorigen Beispiel gezeigt, brechen einige Eigenmode die Translations-symmetrie des Systems, die dem Grundzustand einer in sich geschlossenenKette von Gitterpunkten zugrunde liegt. Das bedeutet: ai 6= aj . Wir erwar-ten trotzdem, dass mindestens | ai |=| aj |, wobei wir | ai |= 1 setzen durfen,o.E.d.A. Somit befinden sich die gesuchten Amplituden auf dem Einheits-kreis in der komplexen Ebene. Wir parametrisieren die Amplituden nachdem (plausiblen) Ansatz

an = eiq·n·a

wobei q ein zu bestimmender reeller Parameter ist. Durch Einsetzen desEigenmodenansatzes wird n eliminiert und resultiert die charakteristischeGleichung

−mω2 = k[e−iqa + eiqa − 2] = 2k[cos(qa) − 1]

deren Losung die moglichen Eigenfrequenzen der schwingenden Kette ergibt,

in Abhangigkeit des Parameters q: ω(q) = 2√

k/m · sin(qa/2) Die Randbe-

dingung bestimmt die moglichen Werte des Parameters q: eiq(n+N)a = eiqna,d.h. eiqNa = 1 oder qNa = p · 2π, p = 0, 1, 2, ....., N − 1. Die moglichenSchwingungszustande sind durch dicht nebeneinanderliegende q-Werte klas-sifiziert, jeder q-Wert tragt eine bestimmte Eigenfrequenz. Die gesuchten Nlinear unabhangigen Losungen konnen durch die q-Werte im Intervall 0, 2π/adargestellt werden. (gelegentlich benutzt man den Intervall [−π/a, π/a], umdie Eigenfrequenzen darzustellen). Die Kopplung bewirkt, dass sich die Fre-

quenz√

k/m des ungekoppelten Oszillators zu einem Frequenzband verbrei-tet. Jeder Frequenz kann ein q-Wert zugeordnet werden. Die q-Abhangigkeitvon ω nennt man Dispersionsrelation. Die Losungen der BGL nennt man

Page 41: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN37

Abbildung 3.2:

Eigenmode, die zu den Eigenfrequenzen ω(q) gehoren. In der Quantenmecha-nik nennt man diese Eigenmode Phononen. Besteht die Kette aus Atomenmit unterschiedlichen alternierenden Massen, erwartet man mindestens zwei-Phononenbander, die evtl. durch eine Lucke getrennt sind. Verbindungen wieNaCl haben zum Beispiel zwei Phononenbander: Das untere Band nennt manakustisches Phonon, das obere sind die optischen Phononen. Einen optischenund akustischen Zweig bekommt man auch, wenn die Kraftkonstanten al-ternierend sind. Diese Resultate lassen sich auf dreidimensionale Kristalleerweitern. In drei Dimensionen, wird q zu einem Vektor, der innerhalb einesPolyeders verteilt ist. Die Phononendispersionsrelationen konnen richtungs-abhangig werden und einen komplizierteren Verlauf zeigen.

3.3 Ubergang zum schwingenden Kontinu-

um: Die Wellengleichung

Wir betrachten Phononen mit q ≈ 0. Fur solche Phononen ist die charak-teristische Lange λ uber welche q · n · a ≈ O(2π) sehr gross (λ ∝ 2π/q).Das bedeutet: die Auslenkungen benachbarter Atome sind nur infinitesimalunterschiedlich, a kann als infinitesimal klein betrachtet werden und n · akonnen wir als kontinuierliche Variable betrachten. Die BGL fur die skalareFunktion u(x, t) kann man folgendermassen aufstellen:

m∂2u

∂t2= k[u(n− 1, t) + u(n+ 1, t)] − 2ku(n, t)

≈ k[u(n, t) − au′(n) +a2

2u′′(n) + u(n, t)

+ au′(n) +a2

2u′′(n)] − 2ku(n, t)

= ka2∂2u

∂x2

Page 42: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN38

Abbildung 3.3:

∂2u

∂t2=

ka2

m

∂2u

∂x2

Da wir mit einer Funktion mehrerer Variablen zu tun haben, mussen wir denBegriff der partiellen Ableitung einfuhren:

∂u

∂x.= lim

∆x→0

u(x+ ∆x, t) − u(x, t)

∆x

(und ahnlich fur t). Somit werden bei der partiellen Ableitung nach einerVariablen die anderen Variablen als Konstanten betrachtet. Mit dieser Defi-nition bekommt die BG fur u(x, t) eine eindeutige Bedeutung. Die Material-konstante ka2

mwird als c2 bezeichnet. Ihre Bedeutung wird bald klar. Diese

Gleichung ist die eindimensionale Wellengleichung: sie ist die Bewegungs-gleichung fur die Auslenkung u an der Stelle x zur Zeit t. Es ist eine partiellelineare DGL 2-ter Ordnung: sie enthalt sowohl die 2-te Ableitung nach derZeit als auch die zweite Ableitung nach x.Theorem (D’ Alembert): die allgemeine Losung der 1-dim. Wellenglei-chung ist

u(x, t) = f(x− ct) + g(x+ ct)

Page 43: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN39

Um diese Losung darzustellen, stelle man sich eine lokale Storung f(x, t = 0)vor, die zum Beispiel ein Maximum bei x0 besitzt. Eine solche Storung kannzum Beispiel eine Verschiebung der Teilchen eines Mediums aus ihrer Ruhela-ge (Phononen, Seilwellen, Wasseroberflachenwellen) oder einer Dichteschwan-kung bei elastischen Wellen, Schallwellen und Erdbebenwellen bedeuten. Eskann aber ein elekromagnetisches Feld (Licht) bedeuten, das sich durch einplotzliches Ein- und Ausschalten eines Stromes gebildet hat. Wenn diese

Abbildung 3.4:

Storung nach der Wellengleichung evolviert, ist die funktionelle Abhangig-keit zur Zeit t f(x− ct), siehe Figur, d.h. die Storung sieht genau gleich auswie zur Zeit t = 0 aber ist am Ort xt = ct + x0 zentriert: die Wellenglei-chung hat die Storung fortgepflanzt, und zwar mit Beibehaltung der Form.Die Materialkonstante c ist die Fortpflanzungsgeschwindigkeit. Die Losungf(x+ ct) beschreibt eine Welle, die sich nach links entlang der x-Achse fort-pflanzt. Die Materialkonstanten, die c bestimmen, hangen von der Wellenartab. Bei Phononen ist c =

√kaρ

(ρ = ma

die Masse pro Langeneinheit). k · a ist

ein Mass fur die mittlere rucktreibende Kraft, die von einer Feder ausgeubtwird. Bei der schwingenden Seite (Seilwellen) erfolgt die Auslenkung u(x, t)senkrecht zur Koordinaten x und die rucktreibende Kraft ist die Zugkraft,mit welcher das Seil gespannt wird. Daraus ergibt sich, dass die Geschwindig-keit von Seilwellen proportional zur Wurzel der Zugkraft ist. Bei Schallwellen

und Erdbebenwellen ist c =√

E/ρ, E: Elastizitatsmodul. Auch Licht – d.h.elektromagnetische Felder – pflanzen sich nach der Wellengleichung fort, undzwar mit Lichtgeschwindigkeit.Wir beweisen die D’ Alembertsche Losung durch explizites Einsetzen in

Page 44: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN40

die Wellengleichung. Als Beispiel betrachten wir die Losung mit Argumentx− c · t .= ξ ( ∂

∂α≡ ∂α).

∂t∂tf(x− c · t) = ∂t∂ξf(ξ) · (−c)= ∂ξ∂ξf(ξ) · (c) · (−c)= c2 · ∂ξ∂ξf(ξ)

Anderseits gilt

c2∂x∂xf(x− c · t) = c2∂ξ∂ξf(ξ)

Somit ist die linke Seite der Gleichung identisch mit der rechten und f(x−c·t)erfullt die Wellengleichung. Entscheidend fur diesen Beweis ist das Argumentder Funktion: die Variablen x und t durfen nicht in beliebige Zusammense-tung vorkommen

3.3.1 Die harmonische Welle

Die harmonische Welle f(x, t) = A · cos(q · x − ωt) erfullt die WG, wennω = c · q. Diese ist die Dispersionsrelation, die wir fur langwellige Phononenaus der exakten Losung erwartet haben. Eine instantane Aufnahme einerharmonischen Welle erlaubt, die verschiedenen Parameter zu veranschauli-chen: λ

.= 2π/q ist der Abstand zweier Wellentaler (oder analoge Punkte der

Abbildung 3.5: Harmonische Welle zu einer festen Zeit (links) und an einembestimmten Ort (rechts)

Welle) und heisst Wellenlange. q ist die Wellenzahl und gibt gerade die Zahlder Wellentaler pro Langeneinheit an. Man betrachte jetzt den zeitlichenAblauf an einem festen Ort, nach der Zeit T wiederholt sich in x dieselbePhase der Welle, z.B. ein Wellental: T ist die Periode der Welle. ω = 2π/Tist dann die Frequenz, mit welcher sich dieselbe Phase pro Zeiteinheitwiederholt. Es gilt: λ = cT .

Page 45: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN41

3.3.2 Die stehende Welle

Eine von links einfallende harmonische Seilwelle trifft auf eine feste Halte-rung (aber es kann sich auch um eine ebene Lichtwelle handeln, die an einemSpiegel reflektiert wird) bei x = 0. Die Gesamtwelle setzt sich aus der ein-fallenden und der reflektierten Welle zusammen, wobei die Randbedingungu(x = 0, t) = 0 ∀t erfullt werden muss. Die gesuchte Losung ist

u(x, t) = A[cos(ωt− qx) − cos(ωt+ qx)]

= 2A sin qx sinωt

Wie die Figur zeigt, ist das keine normale laufende Welle mehr: Es gibtnamlich Schwingungsknoten, an denen die Welle immer verschwindet, undes gibt Schwingungszeiten an denen die Auslenkung uberall verschwindet.Da die Schwingungsknoten eine feste Lage im Raum haben, spricht man voneiner stehenden Welle. Die Schwingungsknoten sind durch die Gleichungsin qxn = 0 bestimmt, d.h. |xn| = nλ/2, n = 0, 1, 2, 3....

Abbildung 3.6: Stehende Welle (links) und Resonator (rechts)

3.3.3 Eigenfrequenzen eines schwingenden Seils

Halt man das Seil auch noch im Abstand L fest, so tritt die zusatzlicheRandbedingung sin qL = 0 auf, die nur fur bestimmte q- Zahlen (d.h. fur be-stimmte Wellenlangen) erfullbar ist: λn = 2L/n, n = 0, 1, 2, ... Dies bedeutet,dass die stehende Welle im Gebiet L nur bestimmte Frequenzen ωn = nπc

L

annehmen darf: die Eigenfrequenzen eines Seils. Stehende Wellen liegen fastallen Musikinstrumenten zugrunde: es ist damit moglich, bestimmte Noten zuselektieren. Wenn wir an Licht denken, das zwischen zwei Spiegeln reflektiertwird, so konnen wir uns genauso vorstellen, dass nur bestimmte Frequenzenund Wellenlangen zwischen den zwei Spiegeln existieren konnen. In diesem

Page 46: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 3. 1D SCHWINGUNGEN MIT MEHREREN FREIHEITSGRADEN42

Fall spricht man von einem optischen Resonator. Ein solcher optischer Reso-nator ist eine fundamentale Komponente fur die Erzeugung von Laserlicht,das sehr genau monochromatisch ist.

Page 47: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

Kapitel 4

Mechanik im euklidischenRaum

Die Formulierung der Newtonschen BGL im dreidimensionalen Raum er-fordert die Einfuhrung des Vektorbegriffs und die Begriffe der Skalar- undVektorfelder.

4.1 Vektoralgebra

Verschiedene Grossen in der Physik, wie zum Beispiel die Grundgrossen Lange, Masseund Zeit, konnen im Rahmen der Newtonschen Mechanik durch eine einzige reelle Zahlspezifiziert werden. Diese Zahl kann dabei von dem Einheitensystem abhangen, in dem wirdie Messung vornehmen. Solche Grossen bezeichnen wir als Skalare. Ein Skalar wird durcheinen Buchstaben angegeben, z.B. fur die Zeit t und fur die Masse m. Andere Grossen inder Physik, wie die Ortsangabe oder die Geschwindigkeit bedurfen zu ihrer vollstandigenSpezifikation der Angabe eines Betrages und einer Richtung. Solche Grossen nennen wirVektoren und kennzeichnen sie durch einen Pfeil uber den Buchstaben, um die Bedeutungder Richtungsangabe hervorzuheben. Den Betrag oder die Lange eines Vektors bezeichnenwir mit ~a mit |~a| oder a.

Rechnenregel

Die Rechnenregel der Vektoralgebra sind hier zusammengefasst:

• −~a bezeichnet einen Vektor, der die gleiche Lange wie der Vektor ~a aufweist, aberin die entgegengesetzte Richtung zeigt

• Vektoraddition und Kommutativitat. Der Summenvektor ~a + ~b beginnt am Fus-spunkt von ~a und reicht bis zur Spitze von ~b (~a +~b entspricht der Diagonalen des

von ~a und ~b aufgespannten Parallelogramms) : ~a +~b = ~b + ~a

• Assoziativitat: (~a +~b) + ~c = ~a + (~b + ~c).

• ~a−~b = ~a+(−~b) (~a−~a = ~0 der Nullvektor, mit Betrag 0 und richtungslos: ~a+~0 = ~a).

• p~a (p = reelleZahl) hat die gleiche Richtung wie ~a und |p~a| = |p| · |~a|

43

Page 48: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 44

• (p + q)~a = p~a + q~a, p(~a +~b) = p~a + p~b, q(p~a) = p(q~a) = qp~a

• Ein Einheitsvektor ist ein Vektor mit der Lange 1. Aus jedem Vektor ~a lasst sichdurch Multiplikation mit dem Kehrwert seines Betrages ein Einheitsvektor ~ea inRichtung von ~a konstruieren. ~ea = 1

a~a. Einheitsvektoren werden in der Regel mit

den Buchstaben ~e oder ~n bezeichnet.

• Die Menge der Vektoren mit den o.g. Rechnenregel bildet ein Vektorraum.

• Der Skalarprodukt zweier Vektoren ~a und ~b bezeichnet man den folgenden Skalar:~a ·~b = ab cosϑ wobei ϑ den Winkel zwischen den Vektoren ~a und ~b bezeichnet.

• Zwei Vektoren ~a und ~b sind orthogonal (~a ⊥ ~b) zueinander, falls ~a ·~b = 0.

• Wegen cos(0) = 1 gilt ~a · ~a = a2 ≥ 0 oder a =√

~a · ~a• Fur den Einheitsvektor haben wir ~e · ~e = 1

• Ein Vektorraum, in dem ein Skalarprodukt definiert ist, heisst Vektorraum mitSkalarprodukt.

• Zwei Vektoren ~a und ~b mit der selben Richtung ~e sind linear abhangig (kolinear):

es existieren zwei zahlen alpha und β so dass α~a + β~b = 0

• Zwei Vektoren ~a und ~b heissen linear unabhangig, falls die Gleichung α~a + β~b = 0nur durch α = β = 0 erfullt werden kann.

• Ferner gilt die Definition: Die Dimension eines Vektorraumes ist gleich der maxi-malen Anzahl linear unabhangiger Vektoren

• In einem d-dimensionalen Vektorraum bildet jede Menge von d linear unabhangi-gen Vektoren eine Basis, d.h. jeder beliebige Vektor dieses Raumes lasst sich alsLinearkombination dieser d Vektoren beschreiben.

• Einheitsvektoren ~ei, i = 1, 2, ..., d., die paarweise orthogonal zueinander sind, bildenein Orthonormalsystem: ~ei · ~ej = δij mit dem Kronecker-Symbol

δij =

1 fur i = j0 fur i 6= j .

• Fur einen beliebigen Vektor ~a gilt ~a =d∑

j=1

aj~ej Die aj sind die Komponenten des

Vektors ~a bezuglich der Basis ~e1, ..., ~ed. Beispielsweise bilden die kartesischen Ba-sisvektoren ~ex, ~ey und ~ez ein vollstandiges Orthonormalsystem des EuklidischenRaumes E3

• Fur den dreidimensionalen euklidischen Raum konnen wir somit explizit schreiben

~r = x~ex + y~ey + z~ez oder (als Spaltenvektor) ~r =

xyz

und Zeilenvektor ~r =

(x, y, z)

• Das Skalarprodukt lasst sich mit dem vollstandigen Orthonormalsystem leicht aus-werten. Es ist

~a ·~b =∑

i

aibi

Somit ist der Betrag eines Vektors√∑

i a2i .

Page 49: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 45

• Einem Produkt von zwei Vektoren konnen wir auch einen Vektor zuordnen. DasVektorprodukt von zwei Vektoren ~a und ~b fuhrt zu einem Vektor ~c = ~a ×~b

• | ~c |=| ~a || ~b | · sin ϑ (ϑ ist der von ~a und ~b eingeschlossene Winkel). Der Betrag von

~c, also c, entspricht dem Flacheninhalt des von ~a und ~b aufgespannten Parallelo-gramms.

• ~c steht senkrecht auf der von ~a und ~b aufgespannten Ebene. ~a, vecb und ~c bildenein Rechtssystem.

• antikommutativ: ~a ×~b = −~b × ~a

• ~a×~b = 0 bedeutet, dass die Vektoren parallel sind (oder ein Vekrot der Nullvektorist).

• distributiv: (~a +~b) × ~c = ~a × ~c +~b × ~c

• nicht assoziativ ~a × (~b × ~c) 6= (~a ×~b) × ~c

• bilinear (α~a) ×~b = ~a × (α~b) = α(~a ×~b)

~e1 × ~e2 = ~e3 ,

~e2 × ~e3 = ~e1 ,

~e3 × ~e1 = ~e2 ,

aber zum Beispiel ~e2 × ~e1 = −~e3 und ~e1 × ~e1 = 0. Somit gilt:

~c = ~a ×~b =3∑

i,j=1

aibj(~ei × ~ej) =3∑

k=1

ck ~ek

mit

c1 = a2b3 − a3b2, c2 = a3b1 − a1b3, c3 = a1b2 − a2b1.

• Das Kreuzprodukt lasst sich auch leicht mit Hilfe der Determinantenschreibweiseauswerten.

~a ×~b =

∣∣∣∣∣∣

~e1 ~e2 ~e3

a1 a2 a3

b1 b2 b3

∣∣∣∣∣∣

= (a2b3 − a3b2)~e1 − (a1b3 − a3b1)~e2 + (a1b2 − a2b1)~e3 .

• Der gemischer Produkt ~a · (~b × ~c) ist ein Skalar (Symbol (~a,~b,~c)) stellt das

Volumen von dem durch ~a,~b und ~c aufgespannetn Parallelogramm. Das zyklischePermutieren der Vektoren andert den Wert des GP nicht, Vrtausche zweier Vektorenbewirkt Multiplikation mit −1.

Page 50: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 46

Der Begriff des Feldes stellt ein fundamentales Konzept in der Physik dar. Man unter-scheidet zwischen Skalarfeldern und Vektorfeldern, welche auf E3 definiert sind. Ein Ska-

larfeld Φ(~r) = Φ(x, y, z) ist eine skalarwertige Funktion dreier unabhangiger Variablen.

Als Beispiel betrachten wir die Funktion Φ(~r) = α/(√

x2 + y2 + z2). Graphisch stellt mansolche Felder durch 2-dimensionale Schnitte dar, in denen die Flachen Φ(~r) = Konst(Aquipotentialflache) als Hohenlinien erscheinen. Der Abstand der Linien entspricht da-bei gleichen Wertunterschieden der Konstanten. Ein Vektorfeld ordnet jedem Punkt imRaum eine vektorwertige Funktion ~K = ~K(~r) zu. Als Beispiel betrachten wir das Gravi-

tationsfeld eines Massenpunktes (zum Beispiel die Sonne): ~K(~r) = −M©γ · ~r(x2+y2+z2)3/2

.

Graphisch lassen sich Vektorfelder mittels Feldlinien darstellen, wobei das Feld tangentialzur Feldlinie verlauft. Die Dichte der Feldlinien ist dann ein Mass fur die Starke des Feldes.

Abbildung 4.1: Graphische Darstellung von Feldern

Fur Skalarfelder kann man den Begriff der partiellen Ableitung einfuhren:

∂Φ

∂x

.= lim

∆x→0

Φ(x + ∆x, y, z) − Φ(x, y, z)

∆x

(und ahnlich fur y, z). Damit lasst sich die raumliche Anderung der Skalarfelder beschrei-ben. Wir betrachten zwei Punkte ~r1 und ~r2, die durch eine kleine Strecke d~r voneinandergetrennt sind.Die Anderung dΦ = Φ(~r2) − Φ(~r1) ist gegeben durch die folgende Summe:

dΦ =∂Φ

∂xdx +

∂Φ

∂ydy +

∂Φ

∂zdz

= (∂Φ

∂x,∂Φ

∂y,∂Φ

∂z) · (dx, dy, dz)

.= ~∇Φ · d~r

wobei ~∇Φ der Gradient von Φ und dΦ das totale Differenzial des Feldes Φ sind. Der

Gradient lasst sich deuten, indem man d~r in die Richtung wahlt, so dass dΦ = 0 in

dieser Richtung ist. Aus der Gleichung ~∇Φ · d~r0 = 0 folgt, dass ~∇Φ senkrecht auf d~r0

steht. Andererseits definiert dΦ = 0 Flachen Φ = Konst., so dass ~∇Φ senkrecht auf den

Aquipotenzialflachen steht. Sein Betrag ist ein Mass fur die Starke der Anderung von Φ,

wenn man senkrecht zu den Aquipotenzialflachen fortschreitet.

Page 51: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 47

Abbildung 4.2: Konstruktion zur Berechnung von dΦ (links) und graphischeDeutung des Gradienten (rechts)

4.2 Bewegung eines Massenpunktes im Zen-

tralfeld

Die Verallgemeinerung der BGL im dreidimensionalen Raum ist, aufgrundder mathematischen Begriffe, die wir bereits eingefuhrt haben, selbst-verstandlich. Setzt man kartesische Koordinaten voraus, dann ist ~r(t) =

x(t)~ex + y(t)~ey + z(t)~ez ≡(

x(t), y(t)z(t))

eine vektorwertige Funktionder Zeit t. Fur den Geschwindigkeitsvektor gilt die Vektorableitung

˙~r(t).=d~r

dt= x(t)~ex + y(t)~ey + z(t)~ez

Die Beschleunigung ist ~r(t).= d2~r

dt2= x(t)~ex + y(t)~ey + z(t)~ez und das 2.

Newtonsche Axiom lautet:

m~r(t) = m · ~K(~r(t), ~r(t), t)

An der rechten Seite ist ein Vektorfeld, das die eigentliche Dynamik des Mas-senpunktes bestimmt und sich oft als der negative Gradient eines potentiellenskalaren Energiefeldes schreiben lasst: ~K(~r) = −~∇U(~r).

Wir betrachten jetzt als beispiel einen Massenpunkt in einem Zentralfeld.Ein Zentralkraftfeld wird durch eines Potential definiert, welche nur vomr.=| ~r | abhangt: U = U(

√x2 + y2 + z2). Somit ist

~K(~r) = −~∇U(√

x2 + y2 + z2) = −dUdr

~r

| ~r |

Page 52: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 48

U(r) ist eine kugelsymmetrische Funktion, welche invariant gegenuber Ro-tationen um den Ursprung des Koordinatensystems ist. Entsprechend zeigt~K(~r) entlang des Vektors ~r. Beispiel von Zentralfeldern ist die von der Sonneauf die Planeten ausgeubte Gravitationsfeld. Aber auch das Coulomb-Feldeines Protons auf dem herumkreisenden Elektron ist ein Zentralfeld.

Die Tatsache, dass das Feld entlang ~r ist, liefert eine wichtige Vereinfa-chung des drei-dimensionalen Problems eines Teilchens im ausseren Kraftfeld.Wir bilden die Grosse

m · ~r × ~r

Diese Grosse hat auf den ersten Blick keine unmittelbare Bedeutung, aber be-sitzt die wichtige Eigenschaft, dass sie eine Konstante (oder Integral) derBewegung ist. Mit anderen Worten: dieses Vektorprodukt bleibt konstant,obwohl seine Bestandteile durchaus zeitabhangig sind. Der Beweis zeigt di-rekt die Quelle dieser Erhaltungsgrosse –des Drehimpuls ~L –:Beweis:

d

dt~L = m~r × ~r +m · ~r × ~r = 0 + ~r × ~K ≡ 0

da, nach unserer Voraussetzung, die Kraft zentralgerichtet ist. ~L zeigtwahrend der ganzen Bewegung in eine feste Raumrichtung, die wir als diez-Achse wahlen. Da ~L = L0~ez als Vektorprodukt von ~r und ~r konstruiertwurde, steht er senkrecht zu diesen beiden Vektoren. Daraus folgt: die Bahneines Teilchens in einem zentralgerichteten Kraftfeld liegt vollstandig ineiner Ebene, die auf ~L senkrecht steht und die wir als die x − y Ebeneannehmen konnen. Den Vektor ~r durfen wir als zwei-komponentigen Vektorannehmen, die dazugehorige BGL sind zwei-dimensional.

Es ist zweckmassig, die Polarkoordinaten ρ und ϕ und die orthogonalen Einheits-vektoren ~eρ und ~eϕ einzufuhren:

x = x(ρ, ϕ) = ρ cosϕ

y = y(ρ, ϕ) = ρ sinϕ

Setzen wir ρ = Konst., dann wird durch Variieren von ϕ eine Kurve (keine Gerade!!!)

beschrieben, die ϕ-Koordinatenlinie. Setzen wir ϕ = Konst., dann erhalten wir eine durch

ρ parametrisierte Koordinatenlinie. (Die gleiche Operation zur Erzeugung von Koordina-

tenlinien in kartesischen Koordinaten fuhrt zu Geraden, die parallel zur x-bzw. y-Achse

laufen. Deswegen bezeichnet man Polarkoordinaten als ein Beispiel ”krummliniger” Koor-

dinaten). Die BGL fur die kartesische Kooridnianten x, y, lauten:

m · x = m ·K(x2 + y2)x

(x2 + y2)1/2

Page 53: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 49

m · y = m ·K(x2 + y2)y

(x2 + y2)1/2

Wir transformieren die rechte und linke Seiten der BGL in Polarkoordinatenx

(x2 + y2)1/2= cosϕ

y

(x2 + y2)1/2= sinϕ

x = (ρ · cosϕ) = ρ cosϕ− 2ρϕ sinϕ− ρϕ sinϕ− ρϕ2 cosϕ

y = (ρ · sinϕ) = ρ sinϕ+ 2ρϕ cosϕ+ ρϕ cosϕ− ρϕ2 sinϕ

Wir multiplizieren beide DGL mit cosϕ und addieren sie, beziehungsweisemultiplizieren mit sinϕ und subtrahieren sie. Daraus folgt

mρ = ·mKρ(ρ) +mρϕ2

mρϕ = −2mρϕ

Die Transformation zur Polarkoordinaten hat eine zusatzliche radialgerich-tete Kraft eingefuhrt, die durch die Verwendung von nicht-kartesischen Ba-sisvektoren entstanden ist. Diese zusatzliche radial gerichtete Kraft heisstZentrifugalkraft. Sie beeinflusst die radiale Bewegung. Die BGL fur ϕ zeigtdie Existenz einer weiteren effektiven Kraft, welche durch die Transforma-tion zur Polarkoordinaten entstanden ist, und welche fur die Anderung derDrehgeschwindigkeit ϕ verantwortlich ist: die Coriolis-Kraft. Die BGL fur ϕist aquivalent zu

d

dt(mρ2ϕ) = 0

d.h. mρ2ϕ ist ein Integral der Bewegung. Der Vergleich mit ~L = ρ~eρ ×m~eρ =ρ2ϕ~ez zeigt, dass die erhaltene Grosse der Betrag des Drehimpulses ist. DieseLosung fur die zweite BGL hat eine einfache geometrische Deutung. Der Aus-druck 1/2ρ2dϕ stellt die Flache des Sektors dar, der von zwei unendlich dichtbenachbarten Radiusvektoren und dem dazwischenliegenden Bahnelementgebildet wird. Wir bezeichnen diese Flache mit df und schreiben den Drehim-puls der Masse als 2mf . Die Ableitung von f– die Flachengeschwindigkeit–ist eine Konstante: In gleichen Zeitintervallen uberstreicht der Ortsvektordie gleiche Flache (Flachensatz, 2. Satz von Kepler). Aus dieser Gleichungkonnen wir daruberhinaus ϕ2 berechnen: somit ist es moglich, diese Variablein der Radialgleichung mit einem Parameter L zu ersetzen (”zu eliminieren”).Somit lautet die Radialgleichung

mρ =L2

mρ3+m ·Kρ(ρ)

Page 54: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 50

Mit der Hilfe der Erhaltungsgrosse ~L konnten wir das Problem der Bewegungin einem zentralsymmetrischen Feld zu einer eindimensionalen Gleichungfur die einzige Variable ρ reduzieren! (1-dimensionale Probleme sind exaktlosbar!!).

Wir wollen jetzt soweit wie moglich die radiale BGL integrieren. Wegen

mρ =L2

mρ3− U ′(ρ) = −d[L

2/2mρ2 + U(ρ)]

dρ.= −dUeff

entwickelt sich die radiale Bewegung als wurde sich die Masse m in einemeffektiven radialen Kraftfeld befinden. Dieses Kraftfeld besteht aus der Zen-trifugalkraft und der Gravitationskraft und lasst sich schreiben als die radialeAbleitung einer effektiven potentiellen Energie, die sich aus der Summe derZentrifugal-Energie und der potentiellen Energie der Gravitation zusammen-setzt. Daraus folgt

Abbildung 4.3: Ueff als Funktion von ρ

Page 55: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 51

1

2mρ2 + Ueff(ρ)

.= E

ein weiteres Integral der Bewegung, die totale Energie und die DGL

ρ = ±√

2

m(E − Ueff (ρ))

Diese DGL kann sofort integriert werden, und zwar nach der Methode, diewir fur eindimensionale Probleme eingefuhrt haben:

t(ρ) = t(ρ0) ±∫ ρ

ρ0

dρ′√

2m

(E − Ueff(ρ))

Falls die effektive potentielle Energien Ueff (ρ) ein lokales Minimum besitzt(siehe Abbildung), eroffnet sich die Moglichkeit von gebundenen Bahnen.Diese sind dadurch charakterisiert, dass die Teilchenbahn innerhalb eines end-lichen Kreisrings verlauft. Die Diskussion der Bahnen basiert auf die Losun-gen der Gleichung E − Ueff (ρ) = 0. An diesen kritischen Radien ist die ra-diale Geschwindigkeit genau 0. Das bedeutet nicht, dass die Masse m anhalt,da die Drehgeschwindigkeit, gegeben durch L/(mρ2), endlich bleibt. DiesePunkte sind Wendepunkte der Bahn, wo ρ aufhort zu wachsen und beginntkleiner zu werden. Man kann, je nach Wert von E, mindestens zwei Klassenvon Bahnen unterscheiden. Wenn E > Ueff (∞) ist, dann existiert nur eineLosung der Gleichung. ρmin ist dann ein minimaler Radius, den die Bahnannehmen kann. Es existiert kein maximaler Radius – die Masse kommt ausweiter Entfernung, kehrt bei ρmin um und verschwindet wieder ins Nichts:die Bewegung des Teilchens ist infinit. Diesen Bahnen folgen zum Beispieldie Kometen. Ist E > Ueff(∞) dann existiert ein minimaler (ρmin) und einmaximaler (ρmax) Radius: Die Bahn ist finit und verlauft vollstandig in einemringformigen Gebiet. Das bedeutet aber nicht, dass die Bahn geschlossen ist(geschlossen bedeutet, dass die Bahn nach bestimmten Zeiten immer wiederan denselben Ort zuruckkehrt). In der Tat werden geschlossene Bahnen dannund nur dann beobachtet, wenn U(ρ) = −α

ρ(Kepler Problem!) oder ∝ ρ2 ist.

Bei beliebigen ρ-Abhangigkeiten sind geschlossene Bahnen ausserst selten;stattdessen hat man sog. Rosettenbahnen. Die Zentrifugalbarriere (L 6= 0)sorgt im Allgemeinen dafur, dass die Masse niemals zum Mittelpunkt desFeldes gelangt, auch dann nicht, wenn das Feld anziehend ist.

4.3 Kepler-Problem

Wir kommen jetzt zur Begrundung der Keplerschen Planetengesetze. Wirbetrachten die Sonne als Zentrum eines zentralgerichteten Gravitationsfeldes.

Page 56: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 52

Abbildung 4.4: Rosettenbahn

Eine Masse in diesem Gravitationsfeld hat die potentielle Energie−γm·M©

ρ

.=

−αρ

(M© : Masse der Sonne, γ : Gravitationskonstante). Um etwas uber dieGeometrie der Bahnen zu sagen, losen wir die DGL

dρ=ϕ

ρ= ±L 1

ρ2√

2m(E − (−αρ

+ L2

2mρ2 ))

mit Losung

ϕ(ρ) = ϕ(ρ0) ± L∫ ρ

ρ0

dρ′

ρ2√

2m(E − (−αρ

+ L2

2mρ2 ))

Diese Gleichung enthalt ein elementares Integral, mit Stammfunktion (u.= 1

ρ)

− 1

Larctan

( u− αmL2

√2EmL2 + 2αm

L2 u− u2

)

= − 1

Larctan

(

u−αm/L2√2Em/L2+α2m2/L4

1 − [ u−αm/L2√2Em/L2+α2m2/L4

]2

)

= − 1

Larccos

u− αm/L2

2Em/L2 + α2m2/L4

Wir setzen allfallige Konstanten zu Null und gehen von u nach ρ zuruck, soerhalten wir die Bahngleichung

ρ =L2/(αm)

1 + cosϕ ·√

2EL2/(α2m) + 1

Geometrisch gesehen ist diese Gleichung die Polarkoordinatendarstellung vonKegelschnitten. Es ergibt sich die folgende Klassifizierung der Bahnen:

Page 57: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 53

• fur E = −mα2

2L2 = Ueff,min sind die Bahnen Kreise mit Radius L2/(αm)

• −mα2

2L2 < E < 0 sind die Bahnen Ellipsen

• fur E = 0 sind die Bahnen Parabeln

• fur E > 0 sind die Bahnen Hyperbeln

Abbildung 4.5: Mogliche Bahnen im Gravitationsfeld

Somit ist das erste Keplersche Gesetz bewiesen: ” Die Planeten bewegen sichauf Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht”. Die weitere Un-tersuchung der obigen Resultaten zeigt, dass die grosse Halbachse a und diekleine Halbachse b der Ellipse −α

2Erespektiv b = L

√a

mαbetragen. Fur die

Flache F der Ellipse gilt F = πab. Andererseits integrieren von dFdt

= L2m

ergibt F = L2mT , mit T die volle Umlaufzeit. Vergleich der beiden Ausdrucke

fur F ergibt

T =2π

γ ·M©

a3/2

Fur zwei verschiedene Ellipsenbahnen im gleichen Gravitationsfeld, die auchzu zwei verschiedenen Massen gehoren durfen, erhalten wir

(T1

T2)2 = (

a1

a2)3

In Worten: Drittes Keplersches Gesetz: Die Quadrate der Umlaufzeiten ver-halten sich wie die dritten Potenzen der grossen Halbachsen.

Page 58: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 54

4.4 Rutherfordsche Streuformel

Wir wollen uns jetzt mit den ungebundenen Bahnen in einer potentiellenEnergie der Form U(r) = −α

|~r|beschaftigen. Diese sind nicht nur fur die Him-

melsmechanik von Bedeutung, sondern auch fur die Streuung von geladenenTeilchen – zum Beispiel positive geladene Helium-Kerne, auch α-Teilchen ge-nannt, an Atomkernen (die Elektronenhulle spielt dabei wegen der geringenElektronenmasse nur eine geringe Rolle). Diese Streuung wurde von Ruther-ford benutzt, um die Punktteilchen-Natur der Kerne zu beweisen. Wechsel-wirken zwei geladene Teilchen mit Ladung q1 und q2, so ist die Konstanteα = −q1q2

4πǫ0, nach dem bekannten Coulomb-Gesetz. Schiesst man einen Strahl

gleich schneller, parallel laufender Alphateilchen auf ein Target (bestehendaus Atomen), so werden diese von den Kernen der Atome des Targets abge-lenkt, siehe Abbildung. Wir wollen diese Ablenkung quantitativ untersuchen.Fur das hier betrachtete Potential verschwindet die Kraft im Unendlichen,daher gehen die ungebundenen Bahnen im grossen Abstand vom Streuzen-trum asymptotisch in Geraden uber. Lauft ein Massenpunkt von r = −∞ aufdas Streu-Zentrum zu, so andert sich sein Polarwinkel ϕ bis zum Erreichendes minimalen Abstands rmin um (siehe Abbildung)

∆ϕ =∫ ∞

rmin

Ldr

r2√

2m(E − V (r) − L2

2mr2 )

Da der Losungszweig r(ϕ) fur r → ∞ aus dem vorher durchlaufenen durchSpiegelung hervorgeht, erfahrt der Polarwinkel nochmals dieselbe Verschie-bung ϕ. Beim Streuproblem erweist sich als zweckmassig, den Vorgangmit den Parametern v∞ und s zu beschreiben, statt E und L. v∞ ist dieGeschwindigkeit im Unendlichen, s ist der senkrechte Abstand der Asympto-ten vom Kraftzentrum - der Stossparameter –. Diese Umparametrisierungerfolgt dank den Gleichungen

E =m

2v2∞

L = limr→−∞ | ~r ×m~r |= limr→−∞mrr sinϕ = mv∞s

Somit ist

∆ϕ =∫ ∞

rmin

sdr

r2

1 − s2

r2 − 2U(r)mv2

Daruberhinaus sind wir nicht an ∆ϕ sondern an den Streuwinkel χ inter-essiert, mit χ = π − 2ϕ (siehe Abbildung):

χ

2=π

2−∫ ∞

rmin

sdr

r2

1 − s2

r2 − 2U(r)mv2

Page 59: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 55

Abbildung 4.6: Streuung in einem abstossenden (oben) und anziehenden (un-ten) Potential

rmin ist durch die Gleichung E − Ueff(r) = 0 definiert. Parametrisiert mit sund v∞ ergibt diese Gleichung

rmin = − α

mv2∞

+

√√√√

α2

m2v4∞

+ s2

Die Stammfunktion des zu berechnenden definiten Integrals ist

g(r) = arctan−s2mv2

∞ + αr√

r2s2m2v4∞ + 2αs2mv2

∞r − s2m2v4∞

Da g(rmin) = −π/2 (unabhangig vom Vorzeichen von α) und g(∞) =arctan α

v2∞ms

erhalten wir schliesslich

tan(χ/2) =−α

s ·m · v2∞

Je nach Vorzeichen von α ist der Streuwinkel negativ (attraktive Potentialeα > 0) oder positiv (repulsive Potentiale α < 0).

Um den Kontakt zu den experimentellen Bedingungen bei der Streuungvon Teilchen herzustellen, muss man berucksichtigen, dass die einfallenden

Page 60: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 56

Teilchen in einem Strahl gebundelt sind. In der Regel ist der Strahl ”homo-gen”, d.h. vor der Streuung besitzen alle Teilchen nach Betrag und Richtungdieselbe Geschwindigkeit und durch jedes senkrecht zur Teilchenzahl verlau-fende Flachenelement F laufen in der Zeit t dieselbe Anzahl N vonTeilchen hindurch. Die Grossen I = N

FTdefiniert den Fluss des Teilchen-

strahls. In einem homogenen Strahl ist I vom Stossparameter s unhabangig,d.h. in einem Streu-Experiment muss man damit rechnen, dass ein konti-nuierlicher Bereich von Stossparametern gleichmassig im Teilchenstrahl vor-kommt. Deswegen macht es keinen Sinn mehr von einem Stossparameter zusprechen, sondern man muss ein kleins Intervall [s, s+ds] definieren, innerhalbwelchem wir den Streuprozess analysieren. Als Wirkungsquerschnitt dσ fur

Abbildung 4.7: Zur Definition des Stossparameters und des Wirkunsgquer-schnitt

die Streuung in den Winkelbereich dχ um χ bezeichnen wir den Flacheninhaltderjenige Ringflache (siehe Abbildung) durch die alle in das Winkelintervall[χ, χ + dχ] abgelenkten Teilchen hindurchtreten:

dσ = 2πs(χ,m, v∞) | ds |= 2πs(χ,m, v∞) | ∂s∂χ

Je nachdem ob das Potential attraktiv oder repulsiv ist ∂s∂χ

positiv oder nega-tiv, aber wir definieren dσ als eine positive Flache, und nehmen deswegen denAbsolut-Wert. Fur die Streuung auf Raumwinkel dΩ = 2πsinχdχ bezogen,der sich zwischen den in der Abbildung gezeichneten Kegeln mit Offnung χ

Page 61: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 4. MECHANIK IM EUKLIDISCHEN RAUM 57

und χ + dχ erstreckt, erhalten wir den Zusammenhang

dΩ=s(χ,m, v∞) | ∂s/∂χ |

sinχ

dσ/dΩ wird differentieller Wirkungsquerschnitt bezeichnet. Das Integralσtot =

(dσ/dΩ′)dΩ′ heisst totalen Wirkungsquerschnitt. Zwischen einfallen-den Fluss I und Streu-Intensitat IΩ = ∆NΩ

Ωt(NΩ ist die Anzahl Teilchen,

die wahrend der Zeit t durch den Raumwinkel ∆Ω gestreut werden), exi-stiert eine wichtige Beziehung. Sollte bei der Streuung kein Teilchen verlorengehen, dann gilt die Gleichung

I∆σ∆t = ∆N = ∆NΩ = IΩ∆Ω∆t

Daraus folgt der Zusammenhang

dΩ=IΩI

Durch Messung von IΩ/I als Funktion des Winkels χ kann man uberprufen,ob das angenommen Potential gerechtfertigt war. Die bei der Streuung an ei-nem Potential der Form −α

rerwartete dσ lasst sich aus s(χ) = α

mv2∞· sin χ1−cos χ

her-leiten und ergibt die beruhmte Rutherfordsche Streuformel, die auch quan-tenmechanisch gilt:

dΩ=( α

2mv2∞

)2 1

sin4(χ/2)

Rutherford hat durch den Vergleich zwischen der gestreuten Intensitat unddiesem Wirkungsquerschnitt vorgeschlagen, dass das Innere des Atoms imWesentlichen leer ist und dass in dessen Zentrum ein geladener, punktformi-ger Kern sitzt, der ein Coulomb-Feld erzeugt.

Page 62: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

Kapitel 5

Elektrostatik

Bis jetzt haben wir jedem physikalischen Objekt eine Masse zugeordnet: daswar das einzige physikalische Merkmal. Physikalische Objekte konnen aberauch geladen sein. Die Ladung ist der zentrale Begriff in der Elektrostatikund Magnetostatik. Es gibt zwei Arten von Ladungen, positive bzw. negative.Einfache Experimente belegen, dass sich gleichnamige Ladungen abstossen,wahrend sich verschiedenartige Ladungen anziehen. Ein Beispiel von negativgeladenen Massenpunkten ist ein Elektron. Positiv geladene Teilchen sindzum Beispiel die Protonen, die zusammen mit den Elektronen die Bausteineder ganzen Materie sind. Die Ladung, die ein Elektron oder ein Proton tragt,betragt 1.6 ·10−19C (C: Coulomb). Ferner stellt man fest, dass die Kraft zwi-schen zwei Ladungen q1 und q2 proportional zu ihrem Produkt ist und mitdem Quadrat des Abstandes der beiden Ladungen abnimmt. Diese zusatzli-che Kraft der Natur, die zwischen Ladungen existiert, ist die Coulomb Kraft.Die Coulomb Kraft ist demnach der Gravitationskraft sehr ahnlich, mit dementscheidenden Unterschied, dass sie sowohl anziehend als auch abstossendsein kann. Fur die Coulomb-Kraft der Ladung q′ auf die Ladung q gilt

~Kq′→q(~r′, ~r) =

1

4πε0

q′ · q|~r − ~r′|2

~r − ~r′

|~r − ~r′|

1

4πε0= 9 × 109Nm

2

C2, [q] = C

Eine der Eigenschaften der Coulomb Kraft, die wesentlich zur Vielfalt bei-tragt, die wir in der Natur beobachten, ist ihr vektorieller Charakter. Abergenau diese Eigenschaft macht den Zugang zum Elektromagnetismus so kom-pliziert. In der Tat kann man oft in der Mechanik die Probleme durch Massen-punkte modellieren, die eben in einem Punkt lokalisiert waren. Der vektoriel-le Charakter der Gravitation ausserte sich als kugelsymmetrisches Kraftfeld,

58

Page 63: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 59

~r′ ~r − ~r′

~r

dV ′ρ(r′)

Abbildung 5.1: Figur zur Coulomb-Gesetz und zum Superpositionsprinzip

das von diesem Massenpunkt produziert wird. Diese Kugelsymmetrie verein-facht das Verstandnis erheblich. Ladungen dagegen lassen sich auf einfacheWeise in beliebige Geometrien makroskopisch aufstellen und die eigentlicheGeometrie spielt bei vielen Anwendungen (siehe z.B. das Elektronenmikro-skop oder die Antenne) eine sehr grosse Rolle: eine Ladung q, welche sichin der Nahe einer makroskopischen Ladungsverteilung aufhalt, spurt – nachdem Superpositionsprinzip – die vektorielle Summe einer grossen AnzahlKrafte, die aus den einzelnen Ladungen entstehen: Bei der Anwesenheit vonN Ladungen q1, ..., qN , wirkt auf die Ladung q die folgende Kraft:

~K~r =q

4πε0·

N∑

i=1

qi · (~r − ~ri)

| ~r − ~ri |3

Haben wir eine kontinuierliche Ladungsverteilung vorliegen, die im VolumenV eingeschlossen ist, so mussen wir von der Summation uber die Punktla-dungen zu einer Integration uber die raumliche Verteilung ubergehen. Wirsetzen an die Stelle der Punktladung qi das Ladungselement ρ(~r′)dV ′, mitdV ′ = dx′dy′dz′ und ρ(~r′) die Ladungsdichte am Ort ~r′. Somit ergibt sich

~K(~r) =q

4πε0

·∫

V ′ρ(~r′)

~r − ~r′

| ~r − ~r′ |3dV′

Entsprechend kompliziert wird die Bewegung der Ladung q sein.Bei diesen Ausfhrungen haben wir stillschweigend angenommen, dass die An-wesenheit von q die Ladungsverteilung ρ(~r′) nicht beeinflusst. Dann lasst sich

die Kraft als q · ~E(~r) schreiben. ~E ist das elektrische Feld der Ladunsgvertei-lung ρ(~r′), und ist durch die formelle Gleichung

~E(~r).=

1

4πε0

·∫

Vρ(~r′)

~r − ~r′

| ~r − ~r′ |3dV′

gegeben. Somit wird jedem Raumpunkt ein (vektorielles) Feld zugeordnet,das an verschiedenen Punkten im Raum verschiedene Werte und Richtungen

Page 64: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 60

annimmt. Wenn wir die Bestandteile der Ladungsverteilung festhalten, so istdas Feld zeitunabhangig: es handelt sich um ein elektrostatisches Feld. Ist~E(~r) bekannt, lassen sich die Bewegungsgleichungen von q formulieren, in derForm der Newton BGL. Hinter der Annahme eines elektrostatischen Kraft-feldes steckt eine Vereinfachung: es wird angenommen, dass q selbst keineKraft auf die Bestandteile der Ladungsverteilung ausubt. Diese Kraft fuhrt,genau betrachtet, moglicherweise zu einer zeitabhangigen Umverteilung derLadungen, die berucksichtigt werden sollte, um die genaue Bewegung von qzu finden. Das Kraftfeld-Konzept der Elektrostatik ist deswegen eine Verein-fachung der Realitat, die nur dann gut ist, wenn q eine ’kleine Storung’ ist.Eine Ladung q, welche die Ladungsverteilung nicht beeinflusst, nennt man”Probeladung”, und das elektrische Feld ~E ist eine Charakteristik der La-dungsverteilung und ist von q unabhangig.Zusammenfassend, im Gegensatz zur Mechanik, durfen wir nicht mehrdie raumliche Ausdehnung der Ladung gegenuber den in unserem Pro-blem relevanten Abstanden vernachlassigen. Diese Komplikation erfordertdie Einfuhrung zusatzlicher mathematischer Begriffe aus der Vektoranaly-sis. Noch eine Bemerkung uber das Wort ”klassisch”, das im Titel dieserVorlesung vorkommt. In vielen Fallen lasst sich die Bewegung einer Ladungsehr gut durch die klassische Bewegungsgleichung der Mechanik beschreiben:die Quantenmechanik – genauer gesagt: die Quantenelektrodynamik – liefertim Allgemeinen kleine Korrekturen. Die klassische Elektrodynamik ist des-wegen immer noch ein aktuelles Gebiet der Physik. Hinzu kommt, dass dieBeschreibung der elektrischen und magnetischen Felder durch die MaxwellGleichungen immer noch exakt ist.

Der Gradient

Der Begriff des Feldes stellt ein fundamentales Konzept in der Physik dar. Man unter-scheidet zwischen Skalarfeldern und Vektorfeldern. Ein Skalarfeld Φ(~r) = Φ(x, y, z) isteine skalarwertige Funktion dreier unabhangiger Variablen, wobei sich die Zahl drei aufdie Dimension unseres Raumes bezieht.Beispiel: Wir betrachten die Funktion Φ(~r) = α/(

x2 + y2 + z2). Graphisch stellt mansolche Felder durch 2-dimensionale Schnitte dar, in denen die Flachen Φ(~r) = Konst(Aquipotentialflache) als Hohenlinien erscheinen. Der Abstand der Linien enstpricht da-bei gleichen Wertunterschieden der Konstanten.Ein Vektorfeld ordnet jedem Punkt im Raum eine vektorwertige Funktion ~K = ~K(~r) zu.Beispiel: Das Gravitationsfeld eines Masssenpunktes ist gegeben durch~K(~r) = −m ~r

(x2+y2+z2)3/2.

Graphisch lassen sich Vektorfelder mittels Feldlinien darstellen, wobei das Feld tangentialzur Feldlinie verlauft. Die Dichte der Feldlinien ist dann ein Mass fur die Starke des Feldes.Fur Skalarfelder kann man den Begriff der partiellen Ableitung einfuhren:

∂Φ

∂x

.= lim

∆x→0

Φ(x + ∆x, y, z) − Φ(x, y, z)

∆x

Page 65: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 61

Abbildung 5.2: Konstruktion zur Berechnung von dΦ (links) und graphischeDeutung des Gradienten (rechts)

(und ahnlich fur y, z). Damit lasst sich die raumliche Anderung der Skalarfelder beschrei-ben. Wir betrachten zwei Punkte ~r1 und ~r2, die durch eine kleine Strecke d~r voneinandergetrennt sind.Die Anderung dΦ = Φ(~r2) − Φ(~r1) ist gegeben durch die folgende Summe:

dΦ =∂Φ

∂xdx +

∂Φ

∂ydy +

∂Φ

∂zdz

= (∂Φ

∂x,∂Φ

∂y,∂Φ

∂z) · (dx, dy, dz)

.= ~∇Φ · d~r

wobei ~∇Φ der Gradient von Φ und dΦ das totale Differential des Feldes Φ sind. DerGradient lasst sich deuten, indem man d~r in die Richtung wahlt, so dass dΦ = 0 indieser Richtung ist. Aus der Gleichung ~∇Φ · d~r0 = 0 folgt, dass ~∇Φ senkrecht auf d~r0

steht. Anderseits definiert dΦ = 0 Flachen Φ = Konst., so dass ~∇Φ senkrecht auf denAquipotentialflachen steht. Sein Betrag ist ein Mass fur die Starke der Anderung von Φ,wenn man senkrecht zu den Aquipotentialflachen fortschreitet.

Die Divergenz

Gegeben sei ein Vektorfeld ~a = ~a(~r ) . Die Operation div ~a erzeugt ein Skalarfeld

div ~a =3∑

i=1

∂ai

∂xi

= ~∇ · ~a

Rechnungsbeispiele:

1. Durch Anwendung der Produktregel folgt fur ϕ(~r ) und ~a (~r ):

div (ϕ~a) =3∑

i=1

∂xi

ϕai =3∑

i=1

ai

∂ϕ

∂xi

+3∑

i=1

ϕ∂ai

∂xi

= ~a · grad ϕ + ϕ div ~a = ~a · ~∇ϕ + ϕ~∇ · ~a .

2. Fur ~a = const. folgt div ~a = 0. Ein konstantes Feld ist quellenfrei.

Page 66: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 62

3. Die Divergenz von ~r entspricht der Raumdimension,

div ~r =

3∑

i=1

∂xi

∂xi

= 3 .

Ausgehend von

div grad ϕ =

3∑

i=1

∂xi

(∂

∂xi

ϕ

)

=

3∑

i=1

∂2ϕ

∂x2i

≡ ϕ

fuhren wir den Laplace-Operator ein:

=∂2

∂x21

+∂2

∂x22

+∂2

∂x23

= div grad .

Um der Divergenz eine physikalische Interpretation zu geben, definieren wir eine wei-tere Grosse der Vektoranalysis, den Fluss eines Vektorfeldes. Wir betrachten eine FlacheS im Raum, in welchem das Vektorfeld ~a(~r) definiert ist. Auf der Flache betrachten wir

das Flachenelement d~S. Der Fluss von ~a durch die Flache S ist definiert als

Φ =

∫ ∫

S

~a(~r) · d~S

In einem stromenden Gas mit der Dichte ρ(x, y, z) und mit einem Geschwindigkeitsfeld

~ad~S

Abbildung 5.3: Zur Definition des Flusses eines Vektorfeldes

~v(x, y, z) ist ΦS(~a = ρ · ~v) die gesamte Anzahl Teilchen pro Zeiteinheit, die durch diegesamte Flache S hindurchstromt. Wir betrachten jetzt ein kleines Volumenelement dx ·dy · dz = dV . und berechnen Φ(~a) durch die Wande von dV . Dazu werden wir die Summeder Flusse durch alle sechs Seitenflachen bilden. Betrachten wir zum Beispiel die mit ’1’bezeichnete Flache in der Figur. Aus dieser Flache ist der Fluss Φ1 = −ax(1) · dy · dz. Dawir mit einem infinitesimal kleinen Wurfel zu tun haben, nehmen wir den Wert von ax imMittelpunkt der Flache - wir nennen ihn den Punkt (1). In ahnlicher Weise schreiben wirΦ2 = ax(2) · dy · dz. Nun sind im Allgemeinen ax(1) und ax(2) etwas verschieden. Da dxklein genug ist, konnen wir schreiben ax(2) = ax(1)+∂ax/∂x ·dx. Somit betragt der Flussdurch die Flachen ’1’ und ’2’ [∂ax/∂x ·dx ·dy ·dz]. Mit der selben Genauigkeit konnen wirden Gesamtfluss durch alle 6 Flachen des Quaders berechnen:

∫ ∫

S(V )

~a · d~S = ~∇ · ~a · dV

Page 67: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 63

Abbildung 5.4: Konstruktion zur Deutung der Divergenz eines Vektorfeldes~a

Damit ist die Divergenz eines Vektorfeldes im Punkt ~r der Fluss – die nach aussen fliessendeStromung- von ~a pro Volumeneinheit durch die Flache eines infinitesimale Quaders um~r. Diese physikalische Deutung lasst sich zu einem beruhmten Satz der Vektoranalysisverallgemeinern (Gauss’sche Satz):

∫ ∫ ∫

V

dV ~∇ · ~a =

∫ ∫

S

~a · d~S

Beweis: Man teile das Volumen V in infinitesimal kleine Quader, fur welche die Beziehungzwischen Divergenz und Fluss gilt und summiere die linke und rechte Seite von

∫ ∫

S(Vi)~a·

d~S = ~∇ · ~a(~ri) · dVi uber die kleine Quader mit Index i. Der Beitrag der gemeinsamenSeitenflachen zu den Flachenintegralen auf der linken Seite der Gleichung hebt sich wegender entgegengesetzten Richtungen der entsprechenden Flachennormale aus. Es bleibt dasOberflachenintegral uber die Einhullende des Gesamtvolumens.

Die Rotation

Gegeben sei ein Vektorfeld ~a = ~a(~r ), dann erzeugt

rot ~a = ~∇× ~a =

∣∣∣∣∣∣

~e1 ~e2 ~e3

∂/∂x1 ∂/∂x2 ∂/∂x3

a1 a2 a3

∣∣∣∣∣∣

ein Vektorfeld. Unter Benutzung des antisymmetrischen Tensors εijk lautet die Kompo-nentenschreibweise

rot ~a =

3∑

i,j,k=1

εijk

∂xi

aj ~ek .

Man achte hier auf die Reihenfolge der Indizes.Rechnungsbeispiele:

Page 68: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 64

1. Die Rotation des Produktes aus einem Skalar- und Vektorfeld ergibt nach Anwen-dung der Produktregel:

rot (ϕ~a) =∑

i,j,k

εijk

∂xi

(ϕaj)~ek

=∑

i,j,k

εijk

∂ϕ

∂xi

aj ~ek +∑

i,j,k

εijkϕ∂aj

∂xi

~ek

= grad ϕ × ~a + ϕ rot ~a = ~∇ϕ × ~a + ϕ~∇× ~a .

2.

rot [f(r)~r ] = (grad f) × ~r + f rot ~r = 0 .

Der erste Summand verschwindet, da gradf und ~r parallel sind; der zweite Sum-mand verschwindet wegen rot ~r = 0.

3. Gradientenfelder sind wirbelfrei:

rot grad ϕ = 0 .

Das uberpruft man komponentenweise. Fur die 1. Komponente erhalten wir z.B.

(rot grad ϕ)1 =∂

∂x2(grad ϕ)3 −

∂x3(grad ϕ)2

=∂2ϕ

∂x2∂x3− ∂2ϕ

∂x3∂x2= 0 .

4. Wirbelfelder sind quellenfrei:

div rot ~a = 0 .

Um die Rotation physikalisch zu deuten, berechnen wir das Linienintegral (die Zir-kulation von ~a um den geschlossenen Weg Γ)

ΣΓ =

Γ

~a(~r)d~l

um eine kleine quadratische Schleife um ~r. Ohne Beschrankung der Allgemeinheit betrach-ten wir jetzt eine Schleife Γ in der xy-Ebene. Nach der Figur ist

ΣΓ = ax(1)dx + ay(2)dy − ax(3)dx − ay(4)dy

Mit ax(3) = ax(1) + ∂ax/∂y · dy und ay(4) = ay(2) − ∂ay/∂x · dx finden wir

ΣΓ = (~∇× ~a)z · dx · dy

Diese Gleichung lasst sich zu einer beliebig orientierten Schleife verallgemeinern:

ΣΓ~n= (~∇× ~a) · d~S

und bestimmt eine eindeutige Beziehung zwischen der Rotation eines Vektorfeldes undihrer Zirkulation (die Richtung der Normalen ist so zu wahlen: man lege den Zeigefingerder rechten Hand in Schleifenrichtung, dann zeigt der Daumen entlang der ’richtigen’Normalen). Die Verallgemeinerung dieser Gleichung auf beliebigen Schleifen Γ heisst Satzvon Stokes: ∮

Γ

~a · d~l =

S

(~∇× ~a) · d~S

Zum Beweis: man decke die Flache S mit infinitesimal kleinen Schleifen.

Page 69: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 65

Abbildung 5.5: Zur Deutung der Rotation eines Vektorfeldes

5.1 Die Grundgleichungen der Elektrostatik

Gegeben sei eine vorgegebene kontinuierliche Ladungsverteilung ρ(~r), die ineinem bestimmten Gebiet fest angeordnet sind. Formell ist der aus dem Su-perpositionsprinzip hergeleitete Ausdruck fur das elektrische Feld eine ex-akte und vollstandige Losung des Problems, das elektrische Feld aus einerLadungsverteilung zu berechnen. Es existieren aber aquivalente Formulierun-gen der Gesetze der Elektrostatik als partielle Differentialgleichungen, undfur einige Probleme ist die Losung solcher Gleichungen angemessener als dieBerechnung des Integrals.

1. Gesetz der Elektrostatik

Theorem:Aus

~E(~r) =1

4πε0·∫

Vρ(~r′)

~r − ~r′

| ~r − ~r′ |3dV′

folgt die Integralform

S(V )

~E(~r) · d~S =1

ǫ0

Vρ(~r)dV =

q

ǫ0

mit q =∫

V ρ(~r)dV In Worten: der Fluss von ~E durch eine beliebigegeschlossene Flache ist proportional zur Gesamtladung innerhalbdieser Flache. Die aquivalente DG (Differentialform) lautet:

div ~E =ρ(~r)

ǫ0

Page 70: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 66

Die DG erhalten wir aus der Integralform aus∫

S(V )~E · d~S =

V div~EdV

(Satz von Gauss) durch Gleichsetzen der Integranden. Das 1. Gesetz derElektrostatik druckt die Tatsache aus, dass die Quellen des elektrischen Fel-des die elektrische Ladungen sind. Da man explizit das Gauss Theorem furdie Durchfuhrung des Beweises benutzt, nennt man sie auch Gauss-Gesetz.Beweis der Integralform:Fur den Beweis brauchen wir folgende wichtige Identitaten: Es gilt

~r − ~r′

| ~r − ~r′ |3 = −~∇r1

| ~r − ~r′ |Diese Identitat lasst sich komponentenweise durch direkte Durchfuhrung derpartiellen Ableitungen beweisen. Das Symbol ∇r bedeutet, dass die partiellenAbleitungen nach der Variablen ~r durchgefuhrt werden. Daruberhinaus gilt

1

| ~r − ~r′ | = 0

falls ~r 6= ~r′. Auch diese Gleichung lasst sich durch direkte Durchfuhrung derpartiellen Ableitungen beweisen. Es folgt:

S(V )

~E · d~S =1

4πε0·∫

V ′dV ′ρ(~r′)

Sd~S

~r − ~r′

| ~r − ~r′ |3

= − 1

4πε0·∫

V ′dV ′ρ(~r′)

Sd~S~∇r

1

| ~r − ~r′ |

= − 1

4πε0·∫

V ′dV ′ρ(~r′)

VdVr

1

| ~r − ~r′ |S ist irgendeine, die Ladungsverteilung umgebenden geschlossene Flache.Diese ”fiktive” Flache wollen wir Gauss-Flache nennen, da wir fur ihre Her-leitung den Gausschen Satz benutzt haben. V ist das von S eingeschlossenenVolumen. Fur die Berechnung des Integrals uber die Variable ~r ∈ V vonr

1|~r−~r′|

setzen wir o.B.d.A ~r′ = 0 und schneiden wir eine kugelformige Ka-vitat K um den Nullpunkt, so dass

VdV 1

| ~r | =∫

(V −K)dV 1

| ~r | +∫

KdV 1

| ~r |Das Integral uber (V −K) ist Null, weil darin der Integrand indentisch Nullist. Im Ursprung divergiert der Integrand: Das Integral uber K berechnenwir deshalb durch seine Transformation in ein Integral uber die kugelflache∂K (Gausssche Satz). Es folgt:

V 1

| ~r |dV =∫

V

~∇ · ~∇ 1

| ~r |dV

Page 71: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 67

=∫

∂K

~∇ 1

| ~r |d~S

= −4π

Zusammensetzung der Integrale ergibt die behauptete Integralform.

2. Gesetz der Elektrostatik

Um das zweite Gesetz zu formulieren, merken wir dass

V ′ρ(~r′)

~r − ~r′

| ~r − ~r′ |3dV′ = −~∇r

V ′ρ(~r′)

1

| ~r − ~r′ |dV′

ist, d.h. ~E(~r) kann als Gradient eines Potentials Φ(~r) geschrieben werde, mit

Φ(~r) =1

4πε0

V ′

ρ(~r′)

| ~r − ~r′ |dV′

Diese Tatsache druckt man in der DG

rot ~E(~r) = 0

aus, welche besagt, dass ein Gradientenfeld rotationsfrei ist. Die Integralformfolgt aus dem Satz von Stokes und besagt, dass die Zirkulation von ~E entlangeines geschlossenen Weg genau 0 sein muss. Aus ~E = −~∇Φ(~r) folgt, dass das

Linienintegral uber ~E wegunabhangig ist und

Φ(~r) − Φ(~r0) = −∫ ~r

~r0

~E(~r′) · d~r′

betragt. Man bezeichnet diese Potentialdifferenz als Spannung U(~r,~r0). DieEinheiten von U und von Φ sind das Volt (V ). Die zwei Gesetze der Elektro-statik konnen als Poissongleichung kombiniert werden. Die Poisson Gleichungerhalt man aus

−~∇ · ~∇Φ =ρ

ǫ0

Φ(~r) = −ρ(~r)ǫ0

oder bei expliziten Berechnung von ∆Φ aus dem Integralausdruck fur Φ .Die Poisson Gleichung stellt eine partielle Differentialgleichung fur die zwei-te raumliche Ableitung des elektrischen Potentials dar. Wie alle DG, hatdiese DG nur im Zusammenhang mit vorgegebenen Randbedingungen - Φ

Page 72: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 68

muss auf einer Flache bekannt sein - eine Bedeutung. Die Poisson Gleichungist Gegenstand betrachtlicher mathematischer und numerischer Studien (sog.Randwertprobleme der Elektrostatik). Die Poisson DG wird zum Bei-spiel in der Entwicklung sog. elektronenoptischer Systeme angewandt, diezum Beispiel fur die Fokussierung von Elektronen entwickelt werden (Elektro-nenmikroskop). Zusammenfassung: Es gibt zwei Gesetze, die das elek-trostatische Feld vollstandig bestimmen. Sie besitzen Integral und DGDarstellungen. Aus diesen zwei Gesetzen werden alle Vorhersagen der Elek-trostatik hergeleitet. Das Gausssche Gesetz allein kann kein Problem losen,weil das andere Gesetz berucksichtigt werden muss. Daher mussen wir nochetwas anderes hinzufugen, wenn wir das Gausssche Gesetz zur Losung einesbestimmten Problems verwenden wollen. Zum Beispiel, mussen wir uns zu-erst eine Vorstellung von der Form des elektrischen Feldes machen – wobeiwir von Symmetrieerwagungen ausgehen werden. Oder aber wir mussen ir-gendwie die spezifische Idee einfuhren, dass die Feldstarke der Gradient einesPotentials ist uns somit das elektrische Feld wirbelfrei ist. Eine alternativeFormulierung ist die Poisson Gleichung.

5.2 Das elektrische Feld von einfachen La-

dungsverteilungen

a: Feld einer Punktladung q

O.E.dA. sei die Punktladung am Ort (0, 0, 0). Das E-Feld kann nur eineradiale Komponente haben. Deswegen

∫ ∫

~E · d~s = 4πr2 · Er(r)! =q

ǫ0

⇐⇒ Er(r) =q

4πǫ0 · r2

und

φ(r) − φ(∞)(= 0) = −∫ r

∞Er(r)dr =

q

4πǫ0 · r

b: Feld einer geladenen Kugel

Eines der schwierigen Probleme, auf die Newton stiess, als er die Gravitationuntersuchte, bestand darin zu beweisen, dass eine feste Kugel von Materiemit endlichem Radius R das selbe Gravitationsfeld besitzt wie ein Massen-punkt gleicher Masse im Zentrum der Kugel. Newton hat seine Theorie der

Page 73: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 69

Gravitation jahrelang nicht veroffentlicht, weil er nicht sicher war, ob diesesTheorem richtig ist.Durch die Integralform des Gaussschen Gesetzes lasst sich dieses Theoremsofort beweisen. Da es keine ausgezeichnete Richtung gibt, ist ~E radial ge-richtet. Wir konstruieren eine fiktive Kugelflache S mit Radius r > R, diekonzentrisch zur festen Kugel verlauft. Die zu berechnende Feldstarke E(r)kommt als Unbekannte im Gaussschen Gesetz vor:

SE(r)r2sinϑdϑdϕ = Q/ε0

wobei Q die Gesamtladung der Kugel ist. Die Losung dieser Gleichung istE(r) = Q

4πε0r2 , r ≥ R. Das Potential am Ort ~r hangt nur von r ab, d.h. die

Aquipotentialflachen sind konzentrische Kugelflachen. Fur r ≥ R kann Φ(r)aus der Gleichung

Φ(r) − Φ(∞) = −∫ r

r=∞dr

Q

4πε0r2

zu Φ(r) = Q4πǫ0r

bestimmt werden.

Als Ubung: Berechne das Feld einer geladenen Kugelschale. Diehomogene Ladungsdichte ρ sei auf einer kugelformigen Schicht derDicke δ beim Radius R verteilt.

c: Feld einer geladenen ebenen Schicht

Wir betrachten eine dunne Platte in der x− y-Ebene, auf welcher die homo-gene Flachenladungsdichte σ (die totale Ladung Q auf der Flache A dividiert

durch A) aufgebracht wurde. Die Symmetrie des Problems suggeriert, dass ~Eorthogonal zur Platte steht. Daruberhinaus vermuten wir, dass aufgrund derTranslationssymmetrie in der x−y Ebene ~E = ~E(z) ist. Die Feldstarke muss(ihrem Betrag nach) auf beiden Seiten gleich sein. Wir wahlen als GaussscheFlache eine rechteckige Schachtel, welche die Schicht schneidet, siehe Figur.Die beiden Seitenflachen parallel zur Schicht haben den gleichen Flachenin-halt A. Das Feld ist normal zu diesen beiden Flachen und parallel zu denanderen vier. Der Gesamtfluss ist die Unbekannte | E(z) | ·2A (der Beitragvon den anderen vier Flachen ist Null). Die Gesamtladung im Innern derSchachtel ist σ · A. Wegen dem Gauss Gesetz ist deshalb | E(z) |= σ/2ε0,unabhangig von | z |. Die Aquipotentialflachen verlaufen parallel zur x − yEbene, und es gilt

Φ(z) − Φ(0) = −∫ |z|

0

σ

2ǫ0=

− | z | σ2ǫ0

Page 74: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 70

A

~E

Abbildung 5.6: Feld einer geladener Ebene

d: Randbedingungen an Grenzflachen

Als Nachstes untersuchen wir das Verhalten von ~E an einerbeliebigenGrenz-flache S, welche die Flacheladungdichte σ(~y) tragt. Wir legen zuerst um dieFlache S ein GaussschesKastchen mit dem Volumen V . Die Kante senk-recht zu S habe die Lange x, die wir als sehr klein wahlen. Somit kannder Fluss durch die Seitenkanten des Kastchens vernachlassigt werden. DasProblem hat somit zwei Ukebannte: ~Ea ·~n und ~Ei ·~n (~n senkrecht zu S). Das1. Gesetz liefert eine Gleichung zwischen diesen zwei unbekannten:

~n · ( ~Ea − ~Ei) =σ

ǫ0

Die Normalkomponente des elektrischen Feldes verhalt sich an der Grenz-flache unstetig, der Sprung betragt σ

ǫ0. Um das Verhalten der Tangential-

komponente von ~E zu untersuchen, ziehen wir eine Stoksche-Kontur Γ umdie Flache S, dessen Dicke so gering ist, dass das Linienintegral entlang derKanten vernachlassigbar ist. ~t ist tangential zu S und definiert die Norma-le zur Flache, die vom Kontour Γ definiert ist. Anwendung des Stokeschen

Page 75: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 71

Gesetzes liefert die Gleichung

(~t× ~n) · ( ~Ea − ~Ei) = 0, ∀~t⇐⇒

~n× ( ~Ea − ~Ei) = 0

Diese Gleichung druckt die Stetigkeit der Tangentialkomponente aus: DieTangentialkomponente des ~E-Feldes andert sich nicht beim Durchgang durcheine geladene Grenzflache.

e: Der Plattenkondensator

Unter einem Plattenkondensator versteht man ein System von zwei parallelzueinander angeordneten Platten mit dem Abstand d und der Flache F . Diebeiden Platten tragen homogen verteilt die entgegengesetzten Ladungen ±Q,mit der positiven Platte bei −d/2 und die negative bei d/2. Die Flachenla-dungsdichte betragt dann σ = Q/F . Zur Vereinfachung des Problems werdendie Streufelder am Rand vernachlassigt, d.h. es wird angenommen, dass diePlatten parallel zur x−y Ebene unendlich ausgedehnt sind (F >> d). Somitist das Feld im Inneren des Kondensators σ

ǫ0, ausserhalb des Kondensators

ist das elektrische Feld genau 0, und zwar auch in unmittelbarer Nahe ei-ner der Platten. Die Potentialdifferenz zwischen der positiv und der negativgeledenen Platte (die Spannung) betragt

U = Φ(−d/2) − Φ(d/2) = −∫ −d/2

d/2dzσ

ǫ0= d · σ

ǫ0= d

Q

F · ǫ0

Wir definieren die Kapazitat C eines Kondensators durch C.= Q

U. Diese

Grosse bestimmt die Ladung, die bei gegebener Spannung auf dem Konden-sator passt. Fur die Kapazitat des Flachekondensators folgt

C =F · ǫ0d

C hangt somit im Allgemeinen von der Geometrie des Objektes ab, auf wel-chem wir eine Ladung anbringen. Je grosser die Kapazitat ist, desto mehrLadung braucht man, um eine gegebene Spannung zu erzielen. Anders aus-gedruckt: mit einer vorgegebenen Ladung lasst sich eine kleinere Spannungerreichen je grosser die Kapazitat ist. Aus der Definition von C sehen wir, dassdie Einheit der Kapazitat C/V olt ist. Diese Einheit nennt man auch Farad.Wir konnen mit dieser neuen Einheit, ǫ0 anders ausdrucken: ǫ0 = (36π ·109)−1

Farad/m. Das ist sogar die Einheit, die am haufigsten verwendet wird. Ein

Page 76: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 72

Plattenpaar mit einer Flache von einem Quadratzentimeter und einem Ab-stand von 1 mm hat eine Kapazitat von einem Pikofarad (10−12). Objektemit Kapazitaten ∼ 10−19 Farad sind Gegenstand der heutigen Forschung, diemit ”Nanophysik” bezeichnet wird. Diese kleinsten Kapazitaten fuhren dazu,dass das Anbringen eines einzelnen Elektrons auf solche Nano-Objekte eineerhebliche Potentialerhohung verursacht, so dass das Anbringen eines weite-ren Elektrons praktisch blockiert ist: man spricht von ”Coulomb Blockade”.Bemerkung: Wir haben bis jetzt von Spannung und Kapazitat zwischenzwei Ladungstragern gesprochen. Allgemein spricht man auch von der Span-nung und der Kapazitat eines einzelnen Objekts. Man sagt, ein Linsenele-ment einer Elektronenkanone, eine Metallplatte oder eine Metallkugel seienauf eine bestimmte Spannung gelegt. Dabei ist Folgendes gemeint. Man hatdie Ladung Q aus einem sehr grossen Objekt entfernt – die ”Erde” – derenKapazitat so gross ist, dass man praktisch Ladung entfernen kann, ohne ihrPotential zu verandern. Die Erde wird ublicherweise als ’unendlich’ entferntbetrachtet und deshalb auf Potential 0 gesetzt. Die entfernte Ladung wird aufein massives Objekt gebracht: je nach Kapazitat, nimmt dieses Objekt einbestimmtes Potential an. Dieses Potential ist die Spannung. Diese Spannungentspricht der Arbeit, die geleistet werden muss, um eine Einheitsladung vonder Erde bis zum Objekt zu befordern. Wir wollen ein konkretes Beispiel einesmassiven Objekts betrachten, und zwar fragen wir uns, auf welchem Potentialist eine geladene Kugelschale von Radius R. Das elektrischen Feld ausserhalbder Kugelschale ist radialgerichtet und betragt E = Q ·(4πε0r

2)−1 ~r|~r|

. Denkenwir uns eine - einfachheitshalber - kugelformige ”Erdschale” unendlich weitentfernt von unserer geladenen Kugelschale. Die Beforderung einer positiveEinheitsladung von dieser Erde zur Kugeloberflache erfordert die Arbeit

Φ(R) − Φ(∞) = −∫ R

∞E(r)dr =

Q

4πǫ0R

Die Oberflache der Kugel ist daher auf einer Spannung Q4πε0R

. Wie im Beispielder Kondensatoren, ist diese Spannung proportional zu der Ladung Q. DieKapazitat ist 4πε0R. Wie aus dieser Rechnung ersichtlich ist, skaliert dieKapazitat eines Objektes mit den linearen Dimensionen dieses Objektes, undnicht mit dessen Flache.

f: Selbstenergie einer kontinuirlichen Ladungsverteilung

U(ρ) =1

2

φ(~r) · ρ(~r)dV

Page 77: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 73

ist die Arbeit, die fur das Erzeugen der (lokalisierten) Ladungsverteilung ρbenotigt wurde. Dieser Ausdruck lasst sich mit P.I. umformen:

Vψ(~r)∂jχ(~r) =

∂Vψ(~r)χ(~r)njd~s−

Vχ(~r)∂jψ(~r)

Wir erhalten:

U(ρ) = −ǫ02

dV φ · φ

=ǫ02

dV ~∇φ · ~∇φ

=ǫ02

dV ~E2(~r)

g: Gleichgewicht in einem elektrostatischen Feld: dieStabilitat der Atome

Wir stellen uns eine Punktladung im Feld von anderen Ladungen vor. DieBedingungen fur ein mechanisches Gleichgewicht sind a) die Ladung ist aneinem Ort P mit Feld 0 und b) wenn das GG stabil sein soll, ist es notwendig,dass es eine rucktreibende Kraft gibt, wenn wir die Ladung in irgendeineRichtung von P wegbewegen. Mit anderen Worten: das elektrische Feld mussan allen benachbarten Punkten nach innen gerichtet sein - auf den Punkt Pzu. Wir werden zeigen, dass dies eine Verletzung des Gauss’schen Gesetzesist, wenn in P keine Ladung vorhanden ist (ausser der Probeladung, die nichtan der Bildung des Feldes beteiligt ist). Stellen wir uns eine Gauss Flachewie in der Figur vor. Da wir annehmen, dass das elektrische Feld in der

P

S

Abbildung 5.7: Feldverteilung fur Gleichgewichtslage

Umgebung uberall auf P gerichtet ist, ist der Fluss durch die Gauss Flachebestimmt nicht null. Aber da wir vorausgesetzt haben, dass in P keine Ladung

Page 78: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 74

ist, widerspricht eine solche Feldkonfiguration dem Gauss’schen Gesetz. Wirhaben oft gesagt, dass die Stabilitat der Atome - und somit die der Materie- aufgrund der Coulomb Kraft zwischen Elektronen und Protonen zustandekommt. Diese Uberlegungen zeigen uns, dass die Materie auf keinen Falldas Resultat von Elektrostatik zwischen statischen Punktladungen ist. DieStabilitat der Atome wird nur durch die quantenmechanische Behandlungder Bewegung eines Elektrons im Coulomb Feld des Kerns erklart.

h: Das Feld eines Dipols

Wir betrachten eine Ladung q am Ort ~d und eine Ladung −q im Nullpunkt.Wir wollen das von diesem Ladungspaar verursachte ~E-Feld berechnen, undzwar im Limes ~d → 0 aber q · ~d → ~p. Eine solche Ladunsgverteilung bildeteinen Dipol und der Vektor ~p ist das elektrische Dipolmoment. Fur daselektrischen Potential eines Dipols finden wir:

φ(~r) =1

4πε0(−q| ~r | +

q

| ~r − ~d |)

=1

4πε0

~p · ~r| ~r |3

da1

| ~r − ~d |) =

1√

r2 + d2 − 2~r · ~d∼= 1

r(1 +

~d · ~rr2

)

Aus ~E = −~∇φ(~r) berechnen wir

~E =−1

4πε0

(~p · ~r~∇ 1

| ~r |3 +1

| ~r |3~∇(~p · ~r))

=(3[~p · ~r]~r − ~p | ~r |2

| ~r |5)

Am Ort des Dipols selbst ist der Ausdruck fur das Potential divergent, unddeshalb mussen wir mit der Berechnung von ~E aufpassen. Die folgende Uber-legung zeigt, wie der Ausdruck von ~E korrigiert werden muss. Wir betrachteneine Kugel mit Radius R und setzen einen Dipol ~p in den Ursprung der Ku-gel. O.E.d.A wahlen wir ~p = p(0, 0, 1). Benutzen wir den obigen Ausdruck

fur die Berechnung von∫ ∫ ∫

Kugel~EdV fur das elektrischen Feld eines Diplos

dann erhalten wir (siehe Ubungen)

∫ ∫ ∫

Kugel

~EdV = (0, 0, 0)

Page 79: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 75

Allerdings liefert ein P.I. (siehe ubungen)

− 1

4πε0

∫ ∫ ∫

Kugel

~∇ ~p · ~r| ~r |3dV = (0, 0,− p

3ε0)

Damit die beide Integrale identisch sind, muss der Ausdruck fur das elek-trische Feld eines Dipols modifiziert werden. Der exakte Ausdruck fur daselektrische Feld ist

~E(~r) =1

4πε0

(3[~p · (~r)](~r) − ~p | ~r |2| ~r |5

)

− 1

4πε0· 4π

3δ(~r)~p

die sog. Delta-Funktion δ(~r) ist eine spezielle Funktion der mathematischenPhysik, die exakt 0 fur ~r 6= 0 ist, ∞ fur ~r = 0 ist, aber mit

dV δ(~r) = 1.Die hinzugefugte Delta-Funktion liefert nur am Ort des Dipols einen Feldbei-trag und errfullt den Zweck, das geforderte Volumenintegral zu liefern. DieDelta -Funktion liefert ausserhalb des Dipols keinen Beitrag. Der erste Termbeschreibt das elektrische Feld fur ~r 6= 0. Graphisch sieht das elektrischeDipolfeld etwa wie in der Figur aus.

r

p

Eq

Abbildung 5.8: Feld eines Dipols

5.3 Elektrostatik von Metallen

Ein elektrischer Leiter (ein Metall) ist ein fester Korper, der fur die chemischeBindung viele ’freie’ Elektronen benotigt. Die Elektronen konnen sich freibewegen in einem positiven Hintergrund von Ionen, welche fest am Gittergebunden sind. Man benutzt oft ein Jellium Modell, um freie Elektronenin einem Metall zu beschreiben. Elektronen konnen sich frei in der Materiebewegen, aber sie konnen die Oberflache nicht verlassen: an der Oberflacheexistiert eine Barriere – die sog. Austrittsarbeit (etwa 4-5 eV) – die es den

Page 80: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 76

4-5 eV

EPot

x

Abbildung 5.9: Potentielle Energie eines Elektrons in einem Metall

Elektronen schwer macht, die Oberflache zu verlassen. Die Komponenteneines elektronenoptischen Ensembles, wie sie im Elektronenmikroskop oderElektronenspektrometer verwendet wird, besteht aus einem Metall. Es istdeshalb wichtig zu lernen, was passiert wenn man Ladungen auf eine solcheKomponente aufbringt. Setzt man ins Innere eines Metalls eine Extraladung,entsteht ein elektrisches Feld, welches die freie Elektronen in Bewegung setzt.Entweder muss der auf diese Weise hervorgerufene Strom bestandig vonausseren Energiequellen in Gang gehalten werden, oder die Bewegung derElektronen lasst nach, wenn sich die Quellen entladen, die das anfanglicheFeld erzeugten. Bei ’elektrostatischen’ Situationen betrachten wir keinestetigen Stromquellen (das tun wir spater in der Magnetostatik): daherbewegen sich die Elektronen nur so lange, bis sie sich so angeordnet haben,dass sie uberall im Innern des Leiters das elektrische Feld null erzeugen(dies geschieht gewohnlich in einem Bruchteil einer Sekunde.) Bliebe einFeld ubrig, so wurde dieses Feld noch weitere Elektronen in Bewegungsetzen; die einzige elektrostatische Losung ist die, dass das Feld im Innernuberall Null ist. Somit ist der Gradient des Potentials Null. Das bedeutet,dass sich V (x, y, z) von Punkt zu Punkt nicht andert: Jeder Leiter ist einAquipotentialbereich und seine Oberflache ist eine Aquipotentialflache.Da das elektrische Feld in einer leitenden Substanz uberall Null ist, istdie Divergenz von ~E Null und nach dem Gauss’schen Gesetz muss dieLadungsdichte im Innern des Leiters ebenfalls Null sein. Wenn es in einemLeiter keine Ladungen gibt, wie kann er dann geladen werden? Was meinenwir damit, wenn wir sagen, ein Leiter sei ”geladen”? Wo sind die Ladungen?Die Antwort ist, dass sie auf der Oberflache des Leiters sitzen, wo esstarke Krafte gibt, die sie zuruckhalten - sie sind nicht vollig ”frei”. In derFestkorperphysik lasst sich zeigen, dass die uberschussige Ladung jedesLeiters im Mittel in einer oder zwei atomaren Schichten an der Oberflachesitzt.Dieses Bild gilt auch, wenn wir eine bestimmte Anzahl Ladungen an einembestimmten Ort der Oberflache anbringen. Diese lokale Ladung kann nicht

Page 81: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 77

so uberleben: sofort verteilt sich die Ladung auf die gesamte Oberflache,und zwar mit den Bedingungen i) das Feld im Innern des Metalls ist genau0 und ii) seine Tangentialkomponente ist auch 0. Wenn es dort eine solchegabe, wurden sich die Elektronen entlang der Oberflache bewegen; es gibt,parallel zur Oberflache, keine Krafte, die das verhindern.Mit Hilfe des Gauss’schen Gesetzes berechnet sich die Feldstarke unmittelbarausserhalb eines Leiters mit der lokalen Oberflachenladungsdichte σ zu σ/ε0,und das Feld ist senkrecht zur Oberflache (schliesslich ist die Oberflacheeines Leiters eine Aquipotentialflache).

Faraday Kafig

Betrachten wir jetzt unter dem gleichen Gesichtspunkt das Problem eineshohlen Behalters - ein Leiter mit einem Hohlraum. Es gibt kein Feld in demMetall, aber wie steht es mit dem Hohlraum? Wir werden zeigen, dass keineFelder existieren, wenn der Hohlraum leer ist - unabhangig davon, welcheForm der Leiter oder der Hohlraum hat (Faraday Kafig). Wir betrachten

M----

- ??

++

++

+

S+

+

+

++

+

+

+

+

+

+

++

+

+

++

+

+

+

+

+

+

+

Abbildung 5.10: Faraday Kafig

eine Gauss’sche Flache wie S, die den Hohlraum umschliesst, aber uberallim Innern der leitenden Materie bleibt. Uberall auf S ist das Feld Null; esgibt daher keinen Fluss durch S und die Gesamtladung im Innern von Sist Null. Aber im Allgemeinen konnen wir nur daraus schliessen, dass es aufder inneren Oberflache des Leiters gleiche Mengen positiver und negativerLadung gibt. Es konnte eine positive Oberflachenladung auf einem Teil undeine negative auf einem anderen Teil geben, wie es in der Figur angezeigtist. Das Gauss’sche Gesetz schliesst das nicht aus. Was naturlich in Wirk-

Page 82: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 78

lichkeit geschieht, ist, dass die umgekehrt gleichen Ladungen auf der innerenOberflache sich aufeinander zubewegen und dann vollstandig kompensieren.Wir konnen zeigen, dass sie sich vollstandig kompensieren mussen, wenn wirdas Gesetz verwenden, nach dem Zirkulation von ~E immer Null ist. Neh-men wir an, dass es Ladungen auf bestimmten Teilen der inneren Oberflachegabe. Wir wissen, dass es dann an anderer Stelle eine gleiche Anzahl entge-gengesetzter Ladungen geben muss. Nun mussten alle Linien von ~E bei denpositiven Ladungen beginnen und an den negativen Ladungen enden (da wirnur den Fall betrachten, in dem es keine freien Ladungen im Hohlraum gibt).Stellen wir uns nun eine Schleife M vor, die durch den Hohlraum entlang ei-ner Kraftlinie von einer positiven zu einer negativen Ladung fuhrt und dannuber den Leiter zu ihrem Ausgangspunkt zuruckkehrt. Das Integral entlangeiner solchen Kraftlinie von der positiven zur negativen Ladung ware nichtNull. Das Integral durch das Metall ist Null, da ~E = 0. Wir erhielten daher∫

M~Ed~l 6= 0. Aber das Linienintegral von ~E um eine geschlossene Schleife

in einem elektrostatischen Feld muss immer Null sein. Daher kann es keineFelder innerhalb des leeren Hohlraums geben und auch keine Ladungen aufder inneren Oberflache: das erklart das Prinzip der Abschirmung durch einenMetallkafig.Dieses Resultat kann fur die Uberprufung des Gauss’schen Gesetzes – undschlielich von der Genauigkeit der r−2-Abhangigkeit des Coulomb’schen Ge-setzes – benutzt werden. Man hat ein Elektrometer in das Innere einer gros-sen Kugel gesetzt und beobachtet, ob Ablenkungen auftreten, wenn die Kugelauf Hochspannung gebracht wird. Man erhielt immer das Resultat null. Wennman die Geometrie des Apparates und die Empfindlichkeit des Instrumenteskennt, ist es moglich, das kleinste nachweisbare Feld auszurechnen. Mit die-ser Zahl kann man eine obere Grenze fur die Abweichung des Exponentenvon zwei angeben. Wenn wir schreiben, dass die Coulomb Kraft ∝ r−(2+ε),dann hat man festgestellt, dass ε < 10−9 ist.

Feld an einer Spitze

Wenn wir einen Leiter aufladen, der keine Kugel ist, sondern eine Spitze hat,so ist das Feld in der Umgebung der Spitze viel starker als in den anderenBereichen. Eine relativ kleine Ladungsmenge an der Spitze kann eine grosseFlachendichte verursachen. Eine grosse Ladungsdichte bedeutet ein starkesFeld in der unmittelbaren ausseren Umgebung. Quantitativ: wir legen zwi-schen Spite und Schirm (Feldemission-Mikroskop) eine Spannung U . DieseSpannung bewirkt ein nahezu radialen elektrischen Feld E(r), dessen Betrag

Page 83: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 79

wir mit Hilfe des Gauss-Gesetz (Integralform) zu

E(r0) =U

r0

bestimmen, wobei r0 den Krtummungsradius der Spitze ist. Bei einem Wertr0 = 1nm und U = 4V erreichen wir in der Nahe der Spitze eine sehr gros-se Feldstarke von etwa 4 · 107 V

cm. Nachteile: Wenn das elektrische Feld zu

stark ist, wird an einem Luftmolekul ein Elektron weggerissen und durch dasFeld beschleunigt. Wenn das Feld sehr stark ist, kann die Ladung, ehe sieauf ein anderes Atom trifft, genugend beschleunigt werden, um ein Elektronaus diesem Atom herauszuschlagen. Daraus resultiert, dass mehr und mehrfreie Ladungen erzeugt werden. Ihre Bewegung fuhrt zu einer Entladung odereinem Funken. Wenn man einen Korper auf hohes Potential laden will undnicht mochte, dass er sich in Form von Funken in die Luft entladt, so mussdie Oberflache absolut glatt sein, damit es keine Stelle gibt, an der das Feldabnormal stark ist. Die starken Felder an Spitzen haben aber auch interes-sant positive Entwicklungen erlaubt. Das Feldemissionenmikroskop von E.Muller ist eine davon. Das Feldemissionsmikroskop ist folgendermassen ge-baut: eine sehr feine Nadel, deren Spitze einen Durchmesser von ungefahr1000 Angstrom hat (oder weniger!!) wird in die Mitte einer Glaskugel ge-bracht, deren Inneres luftleer gepumpt wird. Die innere Oberflache der Kugelwird mit einer dunnen leitenden Schicht eines fluoreszierenden Materials ver-sehen und man legt eine Spannung zwischen der fluoreszierenden Schicht undder Nadel an. Betrachten wir zunachst, was passiert wenn die Nadel relativzur fluoreszierenden Schicht negativ geladen ist. Die Feldlinien sind an derscharfen Spitze sehr stark konzentriert. Die elektrische Feldstarke kann bis zu40 Millionen Volt pro Zentimeter betragen. In so intensiven Feldern werdenElektronen aus der Oberflache der Nadel abgezogen und entlang der Potenti-aldifferenz zwischen der Nadel und der fluoreszierenden Schicht beschleunigt.Wenn sie dort ankommen, bewirken sie, dass Licht emittiert wird, genau wiein einer Fernsehbildrohre. Die Elektronen, die an einem vorgegebenen Punktauf der fluoreszierenden Flache ankommen, sind in ausgezeichneter Naherungdiejenigen, die das andere Ende der radialen Feldlinie verlassen, denn dieElektronen bewegen sich entlang der Feldlinie, die von der Spitze zur Ober-flache verlauft. Daher sehen wir auf der Oberflache eine Art Abbildung derNadelspitze. Genauer gesagt sehen wir ein Bild des Emissionsvermogens derNadeloberflache - es stellt die Leichtigkeit dar, mit der Elektronen die Ober-flache einer Metallspitze verlassen konnen. Wenn das Auflosungsvermogenhoch genug ware, konnte man hoffen, die Orte der einzelnen Atome auf derNadelspitze zu sehen. Bei Elektronen ist dieses Auflosungsvermogen nicht er-reichbar. Erstens gibt es eine quantenmechanische Beugung der Elektrowel-

Page 84: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 80

le, die das Bild verwischt. Zweitens haben sie aufgrund ihrer Bewegung imInnern des Metalls eine kleine seitwarts gerichtete Anfangsgeschwindigkeit,wenn sie die Nadel verlassen. Diese zufallige Seitwartskomponente tragt dazubei, dass das Bild verwischt wird. Das Zusammenwirken dieser beiden Effek-te begrenzt das Auflosungsvermogen auf ungefahr 2.5 nm. Wenn wir jedochdie Polaritat umkehren und eine kleine Menge Heliumgas in die Glaskugelbringen, so ist ein sehr viel grosseres Auflosungsvermogen moglich. Wennein Heliumatom mit der Spitze der Nadel zusammenstosst, so entreisst dasdort herrschende intensive Feld dem Heliumatom ein Elektron, so dass dasHeliumatom positiv geladen ubrigbleibt. Das Heliumion wird dann auswartsentlang einer Feldlinie beschleunigt, die zu der fluoreszierenden Schicht fuhrt.Da das Heliumion viel schwerer als das Elektron ist, ist der Effekt der ther-mischen Geschwindigkeiten kleiner als im Fall des Elektrons. Anstelle einesverwischten Bildes erhalt man eine sehr viel deutlichere Abbildung des Punk-tes. Mit dem Feldemissionsmikroskop fur positive Ionen war es moglich, eine106-fache Vergrosserung zu erreichen - und damit einzelne Atome zu sehen.Die Figur ist ein Beispiel fur die Resultate, die mit einem Feldemissionsmi-kroskop erzielt wurden. as Feldemissionsmikroskop hat es zum ersten Malmoglich gemacht, dass Menschen Atome sehen konnten. Wenn man bedenkt,wie einfach dieses Instrument ist, so ist das eine beachtliche Leistung.

Field Ion Microscope at Oak Ridge National laboratory, Tennessee (USA). In this field ion micrograph

of a nickel-molybdenum (Ni4Mo) intermetallic compound (left), each dot is a single atom. In this

computer reconstruction of the sharp end of a needlelike field ion specimen (center), concentric rings

appear because of the intersection of the atomic terraces with the surface of the specimen. Right: This

field evaporation sequence shows the gradual removal of eight of the last nine atoms on the central

atomic terrace of a nickel-zirconium (Ni7Zr2) intermetallic catalyst. One atom is evaporated from the

central terrace between each pair of frames.

Page 85: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 81

5.4 Elektrostatik eines Isolators (= Dielektri-

kum)

In der Natur treten nicht nur Metalle auf, sondern auch Isolatoren. In Me-tallen sind einige Elektronen (typischerweise 1 Elektron pro Baustein) imInneren frei beweglich. Isolatoren (sowohl als Festkorper als auch als Flussig-keiten) sind Materialien, bei welchen alle Elektronen an Atome gebundensind. Damit ist gemeint, es gibt eine Energiebarriere, die uberwunden wer-den muss, um Elektronen in Bewegung zu setzen. Diese Energiebarriere isteine Konsequenz der chemischen Bindung. Bringt man eine Ladung auf einenIsolator, so bleibt diese Ladung an Ort und Stelle lokalisiert.Wir wollen jetzt untersuchen, was in einem Isolator passiert, wenn man einelektrisches Feld einschaltet. Um das Problem zu vereinfachen, betrachtenwir ein Elektron, das gebunden um ein Proton ’herumkreist’. Wir vermutenFolgendes: wenn sich ein Atom in einem elektrischen Feld befindet, dann zerrtdas Feld die Elektronen in eine Richtung und den Kern in die andere. Ob-wohl die Atome hinsichtlich der elektrischen Krafte, die uns experimentell inder Regel zur Verfugung stehen, sehr steif sind, findet eine kleine Gesamtver-schiebung der Ladungsschwerpunkte statt. Diese kleine Verschiebung wollenwir jetzt abschatzen. Dafur brauchen wir eine konkrete Beschreibung einesgebundenen Elektrons. Wir wissen, dass die korrekte Beschreibung nur durchdie Quantenmechanik moglich ist. In einfachen Falle lasst sich aber ein gebun-denes Elektron durch ein Modell beschreiben, das wir kennen. Wir verteilendas Elektron als ’Wolke’ um das Proton. Der Schwerpunkt dieser Wolke liegtam Ort des Protons, um die Ladungsneutralitat des Atoms zu ermoglichen.Da es sich um ein gebundenes Elektron handelt, wird jede Verschiebung derElektronenwolke von einer rucktreibenden Kraft erschwert. Wir setzen die-se Kraft proportional zur Verschiebung x. Dann konnen wir ein gebundenesElektron mit der uns wohl bekannten Gleichung mx + mω2x = 0 beschrei-ben. Durch Gleichsetzung von h · ω mit der Bindungsenergie des Elektronserhalt die Proportionalitatskonstante ω eine genaue physikalische Bedeutung.Der genaue Wert der Bindungsenergie lasst sich allerdings nur anhand derQuantenmechanik berechnen: deshalb ist das, was wir hier brauchen, um einAtom zu beschreiben, ein Modell mit einem zu bestimmenden Parameterω. Wir tauchen jetzt unser Atom in ein konstantes elektrisches Feld E undberechnen, wie sich der Elektronenschwerpunkt verschiebt: genau fur einesolche Rechnung ist dieses Modell brauchbar (das lasst sich zeigen, wennman unser Resultat mit der quantenmechanischen Berechnung vergleicht!!).Wir mussen die Gleichung mx+mω2x = q · E losen. Die einfachste Losungist selbstverstandlich die Konstante δ = qE/mω2, welche die Verschiebung

Page 86: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 82

des Schwerpunktes unter der Wirkung eines konstanten Feldes angibt (mandenke an eine Masse, die an einer Feder hangt und unter der Wirkung derGravitation steht). Die Verschiebung ist proportional zu E und zu q. AlsResultat dieser Verschiebung bildet sich eine raumliche Ladungsinhomoge-nitat entlang der von E vorgegebenen Richtung im Inneren des Isolators, derselbst ein elektrisches Feld erzeugt. Diese Ladungsinhomogenitat nennt manelektrischen Dipolmoment

~p.= q · ~δ = q2 ~E/mω2 .

= α · ε0~E

wobei die Materialkonstante α die Polarisierbarkeit des Atoms darstellt. DieAnwesenheit atomarer Dipolmomente ~pi am Ort i wird, in einem Kontinuum-Limes, durch die Einfuhrung eines Polarisationsdichtevektors ~P (~r) beruck-

sichtigt, mit ~pi = ~P (~r) · dV . Somit schreibt sich das gesamte Potential einerLadungsverteilung, welche auch Dipole enthalt, als

Φ(~r) =1

4πǫ0

dV ′[ ρ(~r′)

| ~r − ~r′ | +~P (~r′) · (~r − ~r′)

| ~r − ~r′ |3]

Den zweiten Term konnen wir durch eine Identitat der Vektoranalysis um-formen:

~∇′(

~P (~r′)1

| ~r − ~r′ |)

=1

| ~r − ~r′ |~∇′ ~P (~r′) + ~P (~r′) · ~∇′ 1

| ~r − ~r′ |

Nehmen wir an, dass ~P in einem endlichen Raum lokalisiert ist. Dann konnenwir den Gaussschen Satz benutzen, um das Integral uber die Divergenz auszu-werten. Sein Beitrag verschwindet. Somit ist das Potential einer Ladunsgver-teilung mit ~P (~r) 6= 0

Φ(~r) =1

4πǫ0

dV ′[ρ(~r′) − ~∇′ · ~P (~r′)

| ~r − ~r′ |]

Das ist der Ausdruck fur das Potential einer effektiven Ladungsverteilung(ρ(~r)− ~∇· ~P ): das 1. Gesetz der Elektrostatik erhalt einen zusatzlichen Term

ρpol.= −~∇ · ~P .

~∇ · ~E =1

ǫ0[ρ− ~∇ · ~P ]

Diese extra effektiven Polarisationsladungen mussen bei der Losung elektro-statischer Probleme zur Ermittlung elektrischer Felder berucksichtigt wer-den: u.a. sind sie selbstverstndlich an der Aufstellung der Randbedingungenbeteiligt.

Page 87: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 83

Der Plattenkondensator mit Dielektrikum

Wir fuhren die Suche nach Polarisationsladungen in der einfachen Geome-trie eines Plattenkondensators, welcher mit einem homogenen Dielektrikum~P (~r) = ~P0 = ρ0~p gefullt wird (ρ0: Dichte des Isolators). Fur ~p kann man das

induzierte Dipolmoment ǫ0 ·α· ~E einsetzen ( ~E ist dann das elektrische Feld amOrt des Dipols). Spater werden wir permanente Dipolmomente untersuchen:die Resultate dieses Abschnittes sind aber von der Art von ~p unabhangig.In dieser Geometrie ist ~∇ · ~P = ∂Pz

∂z. Fur Pz(z) setzen wir Pz = P0 im Inne-

ren der Platte und Pz = 0 ausserhalb, siehe Figur. Somit ist die Divergenz

P

z

P0

d

d

Abbildung 5.11: Pz fallt innerhalb der Dicke δ von P0 auf 0.

von ~P an den Randern des Dielektrikums konzentriert, und zwar betragt sieP0

δbei −d/2 und −P0

δbei d/2. Die dazugehorige effektive Polarisationsla-

dung ist demnach in dunnen Schichten am Rand des Isolators konzentriert,und zwar besteht eine effektive positive Ladungdichte P0

δbei d/2 und eine

negative bei −d/2. Wir sind jetzt bereit, durch die Einfuhrung einer geeig-neten Gaussschen Schachtel, die elektrischen Felder zu berechnen. Die Sym-metrie des Problems suggeriert, dass ~E entlang z ist. Wir haben auch einevollstandige Idee, wo und wie viele Ladungen sich befinden. Auf den Kon-densatorplatten haben wir die Ladungsdichte ±σfrei, unmittelbar danebendie Polarisiationsdichten ρpol = ∓P0

δ. Anwendung des Gaussschen Gesetzes

auf die Flache S1 liefert eine Gleichung fur E0: E0 = σfrei/ε0. Anwendungauf die Flache S2 liefert eine Bestimmungsgleichung fur E:

E ·A = (σ · A− ρpol ·A · δ)/ε0

Fur den Fall P0 = ρ0ǫ0 · α · E erhalten wir

E =E0

1 + ρ0 · α

Page 88: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 84

Metall

Metall

Isolator

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -

+ + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + +

S2

E

E0

S1

+ + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + + +

Abbildung 5.12: Konstruktion der Gausschen Flachen

Die Materialkonstante ρ0 ·α heisst elektrische Suszeptibilitat χ. Die Kon-stante κ = 1 + χ heisst Dielektrizitatskonstante. Die Spannung zwi-schen den Kondensatorplatten ist U = Ufrei/κ. Somit ist die KapazitatC = Cfrei · κ. Wird ein Plattenkondensator von einem Dielektrikum beikonstanter Plattenladung ausgefullt, sinkt die Spannung.

Die Gleichung κ = 1 + ρ0α setzt eine makroskopische Grosse (die Dielek-

trizitatskonstante) mit atomaren Eigenschaften (α = q2

ε0·m·ω2 ) in Verbindung.Damit konnen wir Messungen der Dielektrizitatskonstante benutzen, um et-was uber atomare Eigenschaften der Materie zu erfahren. Unsere Formel istnaturlich nur eine sehr grobe Naherung, weil wir ein Modell gewahlt haben,das quantenmechanische Komplikationen unberucksichtigt lasst. Beispiels-weise haben wir angenommen, dass ein Atom nur eine Resonanzfrequenzhat, wahrend es in Wirklichkeit viele hat. Um die Polarisierbarkeit der Atomeordentlich zu berechnen, mussen wir die vollstandige Quantentheorie anwen-den. Die oben angefuhrten klassischen Ideen liefern uns aber eine vernunftigeAbschatzung. Sehen wir, ob wir die Grossenordnung der Dielektrizitatskon-stanten von einigen Substanzen bestimmen konnen. Versuchen wir es mitWasserstoff. Die Bindungsenergie - d.h. die Energie, die notwendig ist, umdas Wasserstoffatom zu ionisieren - betragt bekanntlich 13.6 eV. Daher folgt:ω = 2·1016Hz. Wenn wir nun diesen Wert fur die Berechnung von κ benutzen,erhalten wir κ = 1.00022 (in einem Gas bei Normaldruck und -Temperatur(1 Atm, 0 C) befinden sich 2, 69 · 1019 Atome/cm3). Der Messwert der Di-elektrizitatskonstanten fur Wasserstoffgas betragt 1.00026. Eine weniger all-gemeine Version der Maxwell Gleichungen fur die Elektrostatik lasst sich ausder Beobachtung herleiten, dass der Effekt der Polarisationsladungen durchDivision der freien Ladungsdichte durch κ ·ε0 statt durch ε0 simuliert werden

Page 89: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 85

kann (in einigen einfachen Fallen): ~∇ · ~E = ρfrei/(κ · ε0).

Molekule mit einem permanenten Dipolmoment.

Als Nachstes betrachten wir ein Molekul, das ein permanentes Dipolmomentaufweist - so wie das Wassermolekul. Die Ladungstrennung ist eine Folge der

H O2

H H

O

++

- -

Abbildung 5.13: Ladungsverteilung in einem H2O Molekul

chemischen Bindung und nicht eines angelegten elektrischen Feldes. In einemWassermolekul finden wir beispielsweise eine negative Nettoladung auf demSauerstoffatom und eine positive Nettoladung auf jedem der beiden Wasser-stoffatome, die nicht symmetrisch, sondern wie in der Figur angeordnet sind.Obwohl die gesamte Ladung des ganzen Molekuls Null ist, hat diese eine La-dungsverteilung mit einem kleinen Uberschuss an negativer Ladung auf dereinen Seite und einem kleinen Uberschuss an positiver Ladung auf der ande-ren. Diese Anordnung bildet einen Dipol: die Ladungstrennung findet statt,obwohl kein E Feld vorhanden ist. In Abwesenheit eines elektrischen Feldeszeigen die einzelnen Dipole statistisch in alle Richtungen, so dass das Ge-samtmoment pro Einheitsvolumen Null ist. Wird aber ein elektrisches Feldangelegt, so geschieht zweierlei: Erstens wird aufgrund der Krafte, die aufdie Elektronen wirken, ein zusatzliches Dipolmoment induziert. Dabei erhal-ten wir genau dieselbe Art von Elektronenpolarisation, wie wir sie bei einemnicht-polaren Molekul festgestellt haben. In einer sehr genauen Untersuchungmusste dieser Effekt naturlich berucksichtigt werden; wir werden ihn aber imAugenblick vernachlassigen. Zweitens hat das elektrische Feld die Tendenz,die einzelnen Dipole auszurichten und erzeugt so ein Gesamtmoment proEinheitsvolumen. Waren alle Dipole eines Gases ausgerichtet, so gabe es einesehr starke Polarisation, aber das kommt in Gasen nicht vor. Bei gewohnli-chen Temperaturen und elektrischen Feldern verhindern die Zusammenstosseder Molekule, verursacht durch ihre Warmebewegung, dass sie sich stark aus-richten. Es gibt aber eine gewisse Gesamtausrichtung und daher auch einegewisse Polarisation. Die auftretende Polarisation kann mit den Methoden

Page 90: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 86

der statistischen Mechanik berechnet werden. Um diese Methoden zu verwen-den, mussen wir die Energie eines Dipols in einem elektrischen Feld kennen.Betrachten wir einen Dipol mit dem Moment ~p in einem elektrischen Feld,siehe Figur. Die Energie der positiven Ladung ist q · Φ(1) und die Energie

E

(2)

(1)+q

-q

d

Abbildung 5.14: Energie eines Dipols im elektrischen Feld

der negativen Ladung −q · Φ(2). Die Energie des Dipols ist daher

Epot = q · Φ(1) − q · Φ(2)

= q · ~d · ~∇Φ

= −~p · ~E

Wir bezeichnen den thermischen Mittelwert von ~p bei einer bestimmten Tem-peratur mit < ~p >. Da das ~E- Feld entlang z angelegt ist, erwarten wir< ~p >= (0, 0, p0· < cosϑ >). Fur Wasser ist p0 = 6 · 10−30C · m. ϑ ist

der Winkel zwischen ~p und der z-Richtung. Die W-keit, dass ~p mit ~E einenWinkel ϑ aufspannt, hangt von der Temperatur ab: nach W.Gibbs ist dieseW-keit (kB Boltzmannschekonstante, kB = 1.38 · 10−23Joule/K)

∝ e−Epot(ϑ)

kB ·T

Somit ist

< pz > = p0 ·∫

sin ϑdϑdϕ cosϑep·E·cosϑ/kBT

sinϑdϑdϕep·E·cosϑ/kBT

Fur normale Temperaturen und Felder ist der Exponent klein: durch dieTaylor-Entwicklung der Exponentialfunktion erhalten wir schlussendlich

< Pz >=ρ0 · p2

0 · E3 · kB · T

Page 91: Physik I - microstructure.ethz.ch · Z¨urich lese, dient der Einf ¨uhrung in die Mechanik und Elektrodynamik, be-trachtet als Grundlagen der klassischen Physik. In dieser Vorlesung

KAPITEL 5. ELEKTROSTATIK 87

Somit ist die Polarisationsdichte proportional der Feldstarke E: χ =ρ0·p2

0

3·ǫ0·kB·T

und κ = 1 +ρ0·p2

0

3·ǫ0·kB·T. Auch hangt die Polarisation erwartungsgemass von

der reziproken Temperatur ab, weil bei hoheren Temperaturen wegen derZusammenstosse weniger Ausrichtung moglich ist. Diese T−1 Abhangigkeitnennt man das Curie Gesetz.

Eine interessante Anwendung von festen Dielektrika mit einem permanenten Dipol-

moment ist die Piezoelektrizitat. Dieser Effekt benutzt die Tatsache, dass in gewissen

Materialien (sog. Ferroelektrika) die permanente Dipole vollstandig ausgerichtet sind. Eine

mechanische Spannung, der ein Kristall unterworfen ist, andert dessen elektrischen Polari-

sation. Umgekehrt verursacht auch ein an den Kristall angelegtes elektrisches Feld in ihm

eine mechanische Verzerrung. Ein schematisches Beispiel eines piezoelektrischen Kristalls

ist in der Figur gegeben. Der nicht beanspruchte Kristall hat eine dreizahlige Symme-

Abbildung 5.15: Piezoelektrizitat

trieachse. Die Pfeile bedeuten Dipolmomente. Die Summe der drei Dipolmomente eines

jeden Schnittpunktes ist Null. Wird der Kristall einem elektrischen Feld ausgesetzt, so

entsteht in der angegebenen Richtung eine Polarisation. Die Polarisation verursacht eine

mechanische Dehnung: Es gilt typischerweise l/l = E · η (l/l = prozentuelle elastische

Dehnung; η ≈ 10−7 − 10−9 cm/V = piezoelektrische Koeffizient). Piezokristalle sind in

der modernen Forschung und Technologie sehr nutzlich: sie werden zum Beispiel in Ra-

stertunnelmikroskopen benutzt, um kleine und kontrollierte Bewegungen durchzufuhren.