PHYSIOLOGIE Molekulare Muskelmaschinen

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PHYSIOLOGIE Molekulare Muskelmaschinen Gewichte heben, Lasten halten und Bälle werfen - ohne unterschiedliche Fasertypen in unseren Muskeln wären die vielfältigen Anforderungen nicht zu bewältigen. VON STEFAN GALLER rei Milliarden Herzschläge in einem Menschenleben, Höchst- leistungen im Laufen, Gewicht- heben und Springen, daneben die kontinuierliche Arbeit des Darmes und der Atmung: All das ist nur möglich, wenn Muskel nicht gleich Muskel ist. Und in der Tat: Schon ein kurzer Blick durchs Mikroskop genügt dem Fach- mann, um das Muskelgewebe des Bewe- gungsapparates, der so genannten Skelett- muskeln, von dem der inneren Organe zu unterscheiden. Das Instrument verrät jedoch nicht bis ins Letzte, woher die offensichtliche funk- tionelle Vielfalt der rund 400 Skelettmus- keln unseres Körpers rührt. Wie jeder- mann schon am eigenen Leib erfahren hat, arbeiten bestimmte Muskeln von vornherein schneller, präziser, ausdauern- der oder kraftvoller als andere - wobei das eine aber das andere nicht völlig aus- schließt. So sind für die Feinmotorik beim Klavierspiel die gleichen Muskeln zustän- dig wie für den festen Griff beim Tragen einer Einkaufstasche. Die Ursachen für die funktionelle Vielfalt ver- bergen sich vor allem in feinen Nuancen der mo- lekularen Bausteine: Von Muskelfaser zu Muskel- faser weichen viele der darin enthaltenen Protei- ne geringfügig, aber doch entscheidend voneinan- der ab. Der Fachmann spricht von Strukturva- rianten oder Isoformen. Einige wesentliche neue Erkenntnisse hierzu haben unsere Forschun- gen und die anderer Wis- senschaftler in den letz- ten Jahren erbracht. Hand in Hand damit wurde die bewährte, aber vereinzelt noch bezweifelte Theorie zum molekularen Mechanismus der Kraftentwicklung auf eine noch solidere Grundlage gestellt. Lohn der Mühe unter anderem: die Entdeckung eines Fasertyps mit einer bislang unbekannten Variante des wichtigsten Muskelproteins. Es macht den Muskeln noch effizienter. Um zu ver- stehen, wie das geschieht, ist es zweck- mäßig, sich die Funktionsprinzipien der Muskelkontraktion zu vergegenwärtigen. Tausende von Muskelfasern bauen ei- nen Skelettmuskel auf. Dies sind aber keine „Fäden", sondern riesige Zellen, al- lerdings ausgesprochen schlauchförmige. Bei einer Dicke von etwa dreißig bis gut hundert Mikrometer (tausendstel Milli- meter) werden sie immerhin mehrere Zentimeter lang. Als Besonderheit enthal- ten Muskelfasern neben zahlreichen Zell- kernen vor allem „Myofibrillen". Das sind verkürzungsfähige, etwa ein Mikro- meter dicke Stränge, genauso lang wie die Fasern selbst. Dicht gebündelt, füllen sie einen beträchtlichen Teil des Zellinneren aus (Foto Seite 38). Skelettmuskeln als Herzmuskelersatz 36 or 15 Jahren berichteten die Pariser Herzchirurgen Alain Carpentier und Juan Carlos Chachques über eine neuartige Operation, mit der sie eine be- sondere Form schwerer Herzinsuffizienz lindern konnten. Sie hatten einen bestimmten Rückenmus- kel von seinen Ansatz- stellen gelöst und wie ein Korsett um die Herzkam- mern gelegt. Ein speziell entwickelter Stimulator re- Xv " gistrierte den Herzschlag und regte den verpflanzten Muskel im gleichen Takt zur Kontraktion an. Normalerweise kann ein Ske- lettmuskel nicht rund um die Uhr arbeiten; er braucht Erho- lungspausen. Ein Herzmuskel hingegen schlägt unermüdlich bis zum Lebensende. Das Ent- scheidende für den Erfolg der neuen Operation war daher das nachfolgende Spezialtraining des früheren Rückenmuskels. Sein Nerv wurde nach ei- nem sorgfältig angelegten k Plan gereizt, unterbro- \ chen von immer kürze- ren Ruhepausen, bis der Muskel nach einigen Wochen nicht mehr er- müdete. Danach unter- "^ stützte der Skelettmuskel den Herzschlag - ein eindrucks- volles Beispiel für die Anpas- sungsfähigkeit diese Gewebes. Seit der Pionierarbeit der beiden Pariser Herzchirurgen wurden inzwischen weltweit zahlreiche solcher Operationen erfolgreich durchgeführt. Wer beispielsweise die Hand zur Faust ballt, hat Nervensignale vom Ge- hirn zu bestimmten Muskeln geschickt. Sie wirken wie ein zündender Funke: Ein Zisternensystem, das die Myofibrillen je- der Muskelfaser umspinnt, schüttet schlagartig Calcium-Ionen aus; die wie- derum besetzen sogleich spezielle Emp- fängermoleküle, worauf die Myofibrillen ihre Kraftakte beginnen. Tausende von Myofibrillen in einer Muskelfaser und wiederum Tausende von Fasern in einem Muskel werden über die Calcium-Konzentration präzise aktiviert und bei Bedarf wieder ruhig gestellt - Grundvoraussetzung für eine koordinierte Bewegung. Die parallele Anordnung der Myofibrillen wie auch der Fasern in Ske- lettmuskeln bündelt die winzigen Kräfte der einzelnen Komponenten zur geballten Kraft etwa einer Faust. Das Motto „Viel Wenig gibt auch ein Viel" setzt sich innerhalb der Myofibrillen fort. Wie die Muskelzelle selbst sehen auch sie wie prall gefüllte Schläuche aus, aber mit Querwänden in regelmäßigen Abständen. Diese abgeteilten kleinen Gefache - Fachleute sprechen von Sarkome- ren - sind die „Kraftkam- mern" der Muskeln. Von ihren beiden scheibenför- migen Abgrenzungen aus ragen dünne parallele Proteinfäden, die Aktin- filamente, zur Mitte der Kammer. In ihrer Anord- nung erinnern sie ein we- nig an die Borsten einer Bürste. An ihnen „klebt" in regelmäßigen Abstän- den der erwähnte Cal- cium-Rezeptor. In der Mitte der Kammer erstre- cken sich - wiederum parallel - dickere seilarti- ge Proteinstränge: die

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PHYSIOLOGIE

MolekulareMuskelmaschinen

Gewichte heben, Lasten halten und Bälle werfen - ohne unterschiedliche Fasertypenin unseren Muskeln wären die vielfältigen Anforderungen nicht zu bewältigen.

VON STEFAN GALLER

rei Milliarden Herzschläge ineinem Menschenleben, Höchst-leistungen im Laufen, Gewicht-heben und Springen, daneben

die kontinuierliche Arbeit des Darmesund der Atmung: All das ist nur möglich,wenn Muskel nicht gleich Muskel ist.Und in der Tat: Schon ein kurzer Blickdurchs Mikroskop genügt dem Fach-mann, um das Muskelgewebe des Bewe-gungsapparates, der so genannten Skelett-muskeln, von dem der inneren Organe zuunterscheiden.

Das Instrument verrät jedoch nicht bisins Letzte, woher die offensichtliche funk-tionelle Vielfalt der rund 400 Skelettmus-keln unseres Körpers rührt. Wie jeder-mann schon am eigenen Leib erfahrenhat, arbeiten bestimmte Muskeln vonvornherein schneller, präziser, ausdauern-der oder kraftvoller als andere - wobeidas eine aber das andere nicht völlig aus-schließt. So sind für die Feinmotorik beimKlavierspiel die gleichen Muskeln zustän-dig wie für den festen Griff beim Trageneiner Einkaufstasche.

Die Ursachen für diefunktionelle Vielfalt ver-bergen sich vor allem infeinen Nuancen der mo-lekularen Bausteine: VonMuskelfaser zu Muskel-faser weichen viele derdarin enthaltenen Protei-ne geringfügig, aber dochentscheidend voneinan-der ab. Der Fachmannspricht von Strukturva-rianten oder Isoformen.

Einige wesentlicheneue Erkenntnisse hierzuhaben unsere Forschun-gen und die anderer Wis-senschaftler in den letz-ten Jahren erbracht. Handin Hand damit wurde diebewährte, aber vereinzeltnoch bezweifelte Theorie

zum molekularen Mechanismus derKraftentwicklung auf eine noch solidereGrundlage gestellt. Lohn der Mühe unteranderem: die Entdeckung eines Fasertypsmit einer bislang unbekannten Variantedes wichtigsten Muskelproteins. Es machtden Muskeln noch effizienter. Um zu ver-stehen, wie das geschieht, ist es zweck-mäßig, sich die Funktionsprinzipien derMuskelkontraktion zu vergegenwärtigen.

Tausende von Muskelfasern bauen ei-nen Skelettmuskel auf. Dies sind aberkeine „Fäden", sondern riesige Zellen, al-lerdings ausgesprochen schlauchförmige.Bei einer Dicke von etwa dreißig bis guthundert Mikrometer (tausendstel Milli-meter) werden sie immerhin mehrereZentimeter lang. Als Besonderheit enthal-ten Muskelfasern neben zahlreichen Zell-kernen vor allem „Myofibrillen". Dassind verkürzungsfähige, etwa ein Mikro-meter dicke Stränge, genauso lang wie dieFasern selbst. Dicht gebündelt, füllen sieeinen beträchtlichen Teil des Zellinnerenaus (Foto Seite 38).

Skelettmuskeln als Herzmuskelersatz

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or 15 Jahren berichtetendie Pariser Herzchirurgen

Alain Carpentier und Juan CarlosChachques über eine neuartigeOperation, mit der sie eine be-sondere Form schwererHerzinsuffizienz lindernkonnten. Sie hatten einenbestimmten Rückenmus-kel von seinen Ansatz-stellen gelöst und wie einKorsett um die Herzkam-mern gelegt. Ein speziellentwickelter Stimulator re- Xv"gistrierte den Herzschlag undregte den verpflanzten Muskel imgleichen Takt zur Kontraktion an.

Normalerweise kann ein Ske-lettmuskel nicht rund um dieUhr arbeiten; er braucht Erho-lungspausen. Ein Herzmuskelhingegen schlägt unermüdlich

bis zum Lebensende. Das Ent-scheidende für den Erfolg derneuen Operation war daher dasnachfolgende Spezialtrainingdes früheren Rückenmuskels.

Sein Nerv wurde nach ei-nem sorgfältig angelegten

k Plan gereizt, unterbro-\ chen von immer kürze-

ren Ruhepausen, bis derMuskel nach einigen

Wochen nicht mehr er-müdete. Danach unter-

"̂ stützte der Skelettmuskelden Herzschlag - ein eindrucks-volles Beispiel für die Anpas-sungsfähigkeit diese Gewebes.Seit der Pionierarbeit der beidenPariser Herzchirurgen wurdeninzwischen weltweit zahlreichesolcher Operationen erfolgreichdurchgeführt.

Wer beispielsweise die Hand zurFaust ballt, hat Nervensignale vom Ge-hirn zu bestimmten Muskeln geschickt.Sie wirken wie ein zündender Funke: EinZisternensystem, das die Myofibrillen je-der Muskelfaser umspinnt, schüttetschlagartig Calcium-Ionen aus; die wie-derum besetzen sogleich spezielle Emp-fängermoleküle, worauf die Myofibrillenihre Kraftakte beginnen.

Tausende von Myofibrillen in einerMuskelfaser und wiederum Tausende vonFasern in einem Muskel werden über dieCalcium-Konzentration präzise aktiviertund bei Bedarf wieder ruhig gestellt -Grundvoraussetzung für eine koordinierteBewegung. Die parallele Anordnung derMyofibrillen wie auch der Fasern in Ske-lettmuskeln bündelt die winzigen Kräfteder einzelnen Komponenten zur geballtenKraft etwa einer Faust.

Das Motto „Viel Wenig gibt auch einViel" setzt sich innerhalb der Myofibrillenfort. Wie die Muskelzelle selbst sehenauch sie wie prall gefüllte Schläuche aus,

aber mit Querwänden inregelmäßigen Abständen.Diese abgeteilten kleinenGefache - Fachleutesprechen von Sarkome-ren - sind die „Kraftkam-mern" der Muskeln. Vonihren beiden scheibenför-migen Abgrenzungen ausragen dünne paralleleProteinfäden, die Aktin-filamente, zur Mitte derKammer. In ihrer Anord-nung erinnern sie ein we-nig an die Borsten einerBürste. An ihnen „klebt"in regelmäßigen Abstän-den der erwähnte Cal-cium-Rezeptor. In derMitte der Kammer erstre-cken sich - wiederumparallel - dickere seilarti-ge Proteinstränge: die

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„Myosinfilamente". Sie ragen ein Stückweit zwischen die „Borsten" und sehenein wenig nach Stacheldraht aus. Ihnenentspringen nämlich in regelmäßigen Ab-ständen kleine Stacheln, genauer: Greifar-me in Form eines abgeknickten birnenför-migen Köpfchens. Jedes sitzt mit seinemHals auf einem langen Schaft, der mit an-deren den „Draht" selbst bildet. In diesenMyosinköpfchen sehen die meisten Mus-kelforscher, auch wir, die eigentlichen be-wegenden Elemente, die molekularenMotoren.

Da wir Forscher das molekulare Trei-ben in den Kraftkammern der Muskeln

Tauchfahrt in eine Muskelzelle: Die Route verläuft zwischen drei der vielen „Myofibrillen1

(rot). Das sind kabelartige Stränge aus seriell geschalteten kontraktilen Elementen,umsponnen von einem Netzwerk aus Calcium-Speichern (gelbgrün). Zur Kontraktionangeregt werden sie, wenn ein Nervensignal über schlauchförmige Ausläufer (beige)der äußeren Zellmembran eintrifft und Caicium freisetzt. Energie für die Muskelarbeitliefern die hier blau gezeichneten Mitochondrien, die Kraftwerke der Zelle.

nicht direkt beobachten können, sind wirauf Schlussfolgerungen angewiesen, diesich aus indirekten Ansätzen ergeben.Wahrscheinlich aber interagieren dieMyosinköpfchen fortwährend - auchwenn der Muskel ruht - mit den umlie-genden „Aktin-Borsten" ihrer Kammer-hälfte, indem sie sich im raschen Takt miteinem „Kopfnicken" anklinken und sofortwieder loslassen. Sobald auf ein Nerven-

signal hin aber Caicium die dünnen Fädenindirekt griffiger macht, können die Köpf-chen fester und beständiger andocken, ehesie wieder loslassen. So ziehen sie bei je-dem „Nicken" die ergriffenen Borsten ummehrere millionstel Millimeter in Rich-tung Kammermitte.

Offenbar beugt sich nicht der gesamtebirnenförmige Greifarm, sondern nur seinsich verjüngender Halsteil. Darauf lassen

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PHYSIOLOGIE

Ergebnisse der letzten Jahreschließen. Wie auch immer: Dadie Köpfchen jedes Mal weitervorn zupacken, rücken dieBürstengriffe - sprich die Quer-wände - sukzessive aufeinan-der zu: Die Kraftkammer ver-kürzt sich teleskopartig um ins-gesamt mehrere zehntel Mikro-meter. Wegen der riesigen Zahlaneinander gereihter Gefachein jeder Myofibrille summiertsich dies letztlich zu einer sicht-baren Verkürzung der Fasernund insgesamt des Muskels.

Aber nicht nur Bewegung,sondern auch zum Beispiel dasbloße Halten einer Last kostetEnergie. Man lese das Heft ein-mal mit horizontal vorgestreck-ten Armen weiter. Die Myosin-köpfchen in den haltendenMuskeln setzen dann die ergrif-fenen dünnen Fäden bloß unterSpannung, ohne sie zu ver-schieben. Sie rudern sozusagenauf der Stelle, können nur im-mer wieder am selben Punkt zuziehen versuchen.

Diese Rudertätigkeit er-scheint hier auf den erstenBlick widersinnig; denn haltenließe sich eine Last auch, wenn die Myo-sinköpfchen einfach währenddessen sturan den dünnen Fäden angeklinkt blieben.Beispielsweise halten die Schließmuskelnvon Muscheln auf diese Weise die Scha-len ohne Energieaufwand geschlossen.Warum ist dieser ökonomische Mechanis-mus nicht auch in unseren Skelettmuskelnverwirklicht? Ganz einfach: Sie würdenerstarren und sich nicht sogleich bei Be-darf weiter verkürzen können. Für denSchließmuskel der Muscheln ist das keinProblem; er kann sich ohnehin nicht wei-ter verkürzen, wenn die Schotten dichtsind. Wir hingegen wären sicherlich nichterfreut, wenn unser horizontal ausge-streckter Arm in seiner Position erstarrte

schwere Myosinkette\ Myosinfilament

LiteraturhinweiseAlter Muskel rostet nicht. Von Dirk Pette.

In: Konstanzer Universitätsreden, Uni-versitätsverlag Konstanz, 1998.

Skelettmuskel als Herzersatz. Von DirkPette. In: Konstanzer Universitätsreden,Universitätsverlag Konstanz, 1990.

Two functionally distinct myosin heavychain isoforms in slow skeletal musclefibres. Von S. Galler et al. in: FEBS Lei-ters, Bd. 410, S. 150, 1997.

Weitere Hinweise finden Sie unter www.spektrum.de/aktuelles heft.html

Gebündelte Kraft: Geordnete Bündel von Proteinfäden füllendie Sarkomere, die einzelnen „Kraftkammern" der langenMyofibrillen. Die Trennwände erscheinen im Elektronen-mikroskop als tiefdunkle, leicht gezackte Balken (oben). Diewichtigste Rolle beim Kraftakt der Muskeln spielen dünneProteinfäden aus Aktin (blau) und dickere Seile aus Myosin(rot) mit abstehenden Köpfchen als Greifarme.

und sich erst nach Zeit raubenden Vorgän-gen wieder bewegen ließe.

Genau wie die Myosinköpfchen ande-rer Säugetiere rudern auch unsere alsofortwährend, sodass unsere Skelettmus-keln - außer in der Totenstarre - flexibelbleiben. Die Myosinköpfchen arbeiten al-lerdings nie im Gleichtakt. Würden siedas tun, käme es im regelmäßigen Rhyth-mus zu „haltlosen Zuständen". Da sieaber zeitlich unkoordiniert arbeiten, sum-miert sich das Ganze zu einer konstantanhaltenden Zugkraft, die es erlaubt, Las-ten dauerhaft zu halten und gleichförmigeBewegungen auszuführen.

Wie schon angedeutet, unterscheidensich die einzelnen Muskelzellen, die Mus-kelfasern, in ihren Eigenschaften. Je hete-rogener ein Muskel in dieser Hinsicht zu-sammengesetzt ist, desto breiter sind sei-ne Einsatzmöglichkeiten.

Wie kommen nun Unterschiede imVerhalten einzelner Muskelfasern zu Stan-de? Eine Vielzahl von möglichen Einfluss-faktoren kann variieren: sei es die Kontrol-le durch die Nervenfasern, das Weiterleitenihrer Befehle ins Zellinnere, die Energie-versorgung oder das molekulare Gesche-hen in den Myofibrillen. Auf Letztereswerde ich mich hier beschränken.

Voraussetzung für Variationen in derFunktion sind immer Modifikationen inden beteiligten Strukturen. Die meisten

Proteine der Myofibrillen tretenin mindestens zwei Strukturva-rianten auf. Mehrere solche„Isoformen" gibt es vor allembei der so genannten schwerenMyosinkette. Sie ist die Haupt-komponente jenes Proteins, dasdie Myosinfilamente aufbautund in einem Greifarm endet.

Wenn nun Muskelfasernmit unterschiedlichen Variantender schweren Myosinkette sichjeweils unterschiedlich schnellverkürzen, dann darf man miteiniger Gewissheit schließen,dass das Protein allgemein fürden molekularen Mechanismusder Verkürzung verantwortlichist. Je enger die festgestellteKorrelation, desto gesicherterdie Schlussfolgerung.

Forscher haben bereitsmehrfach untersucht, wie gutdie maximale Kontraktionsge-schwindigkeit einzelner Mus-kelfasern mit den jeweils darinvorhandenen Varianten derschweren Myosinkette korre-liert. Die ermittelten Bezügewaren aber nur teilweise über-zeugend. Auch mein Labor hat-te zunächst diesen Weg be-

schritten. Viel aufschlussreicher erwiesensich dann unsere Studien, die statt derVerkürzungsgeschwindigkeit die so ge-nannte Dehnungsaktivierung verglichen.

Die Dehnungsaktivierung ist ein ver-blüffendes, im Prinzip aber einfach mess-bares Phänomen. Man spannt eine hül-lenlose Muskelfaser wie eine Wäschelei-ne zwischen zwei Pfosten und regt sie an,Zugkraft zu erzeugen (siehe Kasten aufSeite 40). Dann rückt man den einen„Pfosten" blitzschnell ein Stückchen wei-ter fort und verfolgt am anderen, wie sichdie darauf ausgeübte Zugkraft ändert.Zunächst steigt der Wert abrupt, kehrtaber, wenn die neue Länge erreicht ist,zum Ausgangswert zurück. Doch nochwährend des Abfalls oder kurz danach,steigt er merkwürdigerweise nochmalsvorübergehend an.

Für eben diesen unerwarteten Kraft-anstieg, der verzögert nach einer Deh-nung auftritt, hat sich der Name „Deh-nungsaktivierung" eingebürgert. Woraufkönnte er beruhen? Werfen wir einenBlick in die molekularen Kraftkammernund überlegen uns, was geschieht, wenneine Muskelfaser plötzlich etwas ge-streckt wird. In jeder Kraftkammer ihrerzahlreichen Myofibrillen zieht man da-durch die dünnen Molekülfäden - dieBorsten - etwas weiter aus dem Bereichder dicken Stränge heraus. Da deren

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Greifarme alle asynchron rudern, haltenin jedem Augenblick stets viele „Hän-de" die Borsten fest. Das ruckartigeWegziehen ihres Halts dehnt sie jäh.Den Widerstand, den sie dabei leisten,messen wir als ersten, abrupten Kraft-anstieg.

Etliche Greifarme werden wahr-scheinlich so sehr gedehnt, dass sie sicheher als vorgesehen lösen. Dies äußertsich in dem markanten Kraftabfall nachdem Ruck. Nach kurzer Zeit heften sichdie losgelösten Arme wieder an und übennun vorübergehend ziemlich taktgleichZugkräfte aus. Die Dehnungsaktivierungrepräsentiert somit vermutlich einen ge-meinsamen molekularen Kraftakt vonGreifarmen, die infolge der abrupten Deh-nung vorübergehend zeitlich synchroni-siert wurden.

Fasernauf der Streckbank

Das alles klingt plausibel, ist aber reineTheorie. Was in den Kraftkammern tat-sächlich im Detail passiert, entzieht sichunserer Kenntnis. Doch alle Forscher -auch die wenigen, die das Konzept derMyosinköpfchen als Verursacher derMuskelkraft ablehnen - dürften sich in ei-nem Punkt einig sein: Der unerwarteteKraftanstieg bei der Dehnungsaktivierungkann nur durch molekulare Motoren be-wirkt sein, wer immer diese auch seinmögen. Fände sich nun ein klarer Zusam-menhang zwischen dem jeweiligen Ver-lauf der Dehnungsaktivierung und den

Varianten der Greif arme, dann könntesich die Fachwelt sehr viel sicherer sein,dass diese tatsächlich die krafterzeugen-den Elemente darstellen.

Zusammen mit meinem MitarbeiterKarlheinz Hilber prüfte ich deshalb inmeinem Labor an der Universität Salz-burg einige hundert „enthäutete" Fasernaus Beinmuskeln von Ratten und Ka-ninchen auf ihr Verhalten. Das geschahin einer eigens entwickelten Apparatur,um exakte Messungen unter konstantenBedingungen zu ermöglichen (sieheAbbildung im Kasten auf Seite 40).Die anschließende diffizile Proteinana-lyse übernahm das biochemische Laborvon Dirk Pette an der Universität Kon-stanz. Bestimmt wurden vor allem dieStrukturvarianten der schweren Myo-sinkette. Aus den Muskeln der Glied-maßen erwachsener Säugetiere warenbis dahin vier solcher Varianten be-kannt: l, 2a, 2b und 2d. Muskelfasern,die ausschließlich eine dieser Sortenenthalten, tragen analog die Bezeich-nung Typ l, Typ 2A, Typ 2B und Typ2D. Neben diesen „reinrassigen" Faser-typen gibt es auch Mischfasern mitzwei Varianten.

Analysiert wurden die Proteine mitHilfe der Gel-Elektrophorese. Dabei wan-

dern die Eiweißstoffe, angetrieben von ei-nem elektrischen Feld, durch das moleku-lare Maschennetz eines Polyacrylamid-Gels und trennen sich entsprechend ihrerGröße und Ladung. Das Ergebnis istschließlich ein Muster von Streifen, vondenen jeder ein Protein repräsentiert.

Als wir die gewonnenen biochemi-schen Daten mit den physiologischenEigenschaften der Muskelfasern vergli-chen, zeigte sich ein verblüffend engerZusammenhang zwischen der Zeit biszur maximalen Dehnungsaktivierungund der Art der schweren Myosinkette(Diagramm auf Seite 41): Am schnell-sten reagierten Fasern vom Typ 2B,gefolgt von Typ 2D und dann Typ 2A.Weit abgeschlagen rangierte Typ l; die-se Fasern waren im Mittel etwa 30-mallangsamer als die schnellsten. Die je-weiligen Mischfasern lagen mit ihrenWerten zwischen den reinen Fasertypen,ohne sich damit zu überschneiden.Selbst das genaue Mischungsverhältnisihrer beiden Ketten-Varianten wirktesich aus: Ein höherer Anteil der Varian-te 2d beispielsweise verlangsamte dieReaktion stärker als ein geringer An-teil. Wir durften daher berechtigt an-nehmen, dass die Geschwindigkeit derDehnungsaktivierung im Wesentlichen

Der molekulare Kraftakt: Mit einer rudernden Bewegung heften sich die Myosin-köpfchen (rot) an einen Aktinfaden (blau) und üben eine Zugkraft aus. Dabei knickt

nach neueren Erkenntnissen wahrscheinlich nicht das gesamte birnenförmigeKöpfchen ab, sondern nur sein sich verjüngender Halsteil, den ein Kragen ausleichten Myosinketten (violett) umschließt. Unter den Proteinkomponenten der

Myofibrillen weist die schwere Myosinkette besonders viele Varianten auf.

Myosinfilament

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Muskelfasern auf der Folterbank

Für bestimmte Messungen ist es zweck-mäßig, eine einzelne Muskelzelle -

eine Muskelfaser - von ihren Membranenzu befreien und in einer künstlichen Lö-sung zu untersuchen. Das Ergebnis ist eineso genannte „enthäutete" Muskelfaser- imWesentlichen nur noch ein Bündel von vollfunktionstüchtigen Myofibrillen.

Das künstliche Badewasser ist dem inne-ren Milieu der Muskelzellen nachempfun-den; vor allem stellt es den EnergieträgerATP bereit. Die Enden der Faser befestigenwir an den Spitzen zweier aufrechter Na-deln. Eine davon dient als Messfühler fürdie Zugkraft der Muskelfaser. An der ande-ren sitzt ein Schrittmotor, der die Länge derMuskelfasern schnell und präzise ändernkann. Erhöhen wir in der Lösung die Kon-zentration des Botenstoffes Caicium auf ge-eignete Werte, dann versucht die enthäute-te Faser, sich zusammenzuziehen. Da dieNadeln starr sind, kann sie sich nur an-spannen, aber nicht verkürzen. In diesemZustand strecken wir die Muskelfaser durcheine blitzschnelle Bewegung des Schrittmo-

Schrittmotor

Glasbehältermit unter-schiedlichenLösungen

tors um wenige Promille ihrer Ausgangslän-ge und halten sie in ihrer neuen Lage fest.

Was nimmt der Kraftfühler am anderenEnde der Faser wahr? Während der schnel-len Dehnung steigt die Zugkraft abrupt anund kehrt nach Erreichen der neuen Faser-länge wieder zum Ausgangswert zurück.Doch noch während dieses Kraftabfallsoder kurz danach steigt die Zugkraft vonselbst erneut an, ehe sie endgültig langsamverebbt. Für diesen unerwarteten sponta-nen Kraftanstieg, der einer Dehnung verzö-gert nachfolgt, hat sich der Name „Deh-nungsaktivierung" eingebürgert.

Bei unserer Untersuchung an hunder-ten enthäuteten Muskelzellen zeigte

jeder Fasertyp ein etwas anderes Verhal-ten bei der Dehnungsaktivierung, undzwar in enger Korrelation mit den jeweilsenthaltenen bekannten Varianten der sogenannten schweren Kette des Myosinpro-teins. Das abweichende Verhalten einigerZellen führte uns schließlich auf die Spureiner bis dahin unbekannten Variante.

Helium-Neon-Laser

Mikrometerschraube

Kraftsensormisst Zugkraft

gehäutete Muskelfaser

gebeugtes Laserlicht

Sensor erfasst Verschie-bungen der Proteinfäden

l

Eine „enthäutete" Muskelfaseraus einem Beinmuskel des Autors

(rechts). Für mechanische Mes-sungen wurde sie an die Nadelnder Versuchsapparatur geklebt.

Der Schrittmotor zieht die ange-spannte Muskelfaser mit einemkurzen Ruck in die Länge. Der

Kraftsensor registriert dies unddie nachfolgende „Dehnungsakti-

vierung". Die Zeitspanne bis zuderen Maximum hängt vom Mus-kelfasertyp ab - und der wieder-um von den jeweils vorhandenen

schweren Myosinketten.

0,5 Millimeter

durch die Varianten der schweren Myo-sinkette bestimmt wird.

Natürlich haben wir mit Fettes Laborauch noch die Strukturvarianten andererProteine der Kraftkammern analysiert.Doch nie ergab sich ein entsprechenderZusammenhang bei den getesteten Fasern.

Alles in allem scheint nun jener Bau-stein im Puzzle der Muskelforschung ge-funden, der eine ursächliche Verknüpfungzwischen Greifarmvarianten und Deh-nungsaktivierung herstellt. Die vereinzeltimmer noch bezweifelte Theorie, dass dieMuskelkraft letztlich auf der „Hand-arbeit" der dicken Molekülfäden in denKraftkammern beruht, steht damit aufeiner solideren Grundlage.

Rudernim Schneckentempo

Unser Befund untermauerte zugleichdie Annahme, die Dehnungsaktivierungselbst rühre von einem gemeinsamenmolekularen Kraftakt zeitlich synchroni-sierter Greif arme her. Somit konnten wirauch deren relatives Rudertempo ablei-ten. Im Vergleich zur Kettenvariante 2brudern Greifarme der Variante l etwa 30-mal langsamer; 2a ist etwa sechsmal und2d etwa zweimal langsamer. DieseUnterschiede im Rudertakt sind höchst-wahrscheinlich eine der wichtigstenUrsachen für die Vielfalt der funktionel-len Leistungen von Skelettmuskeln. Jelangsamer der Takt, desto sparsamer derEnergieverbrauch bei bloßer Haltearbeit.Das macht solche Fasern ausdauernder.

Erweitert werden diese Möglichkeitennoch durch die überraschende Entde-ckung einer bis dahin unbekannten Va-riante der schweren Myosinkette. Daraufgestoßen sind wir, als wir aus bestimmtenMuskeln am Hinterlauf eines Kaninchensvermeintlich reine Typ l-Fasern unter-suchten. „Enthäutet" arbeiteten diese Zel-len vereinzelt bis zu 100-mal langsamerals die schnellsten. Bei der Gel-Elektro-phorese erschien unterhalb des üblichenProteinstreifens gewöhnlicher Typ-1-Fa-sern noch ein weiterer: Je mächtiger die-ser ausgeprägt war, desto langsamer dieDehnungsaktivierung der Muskelfasern.Der zusätzliche Proteinstreifen mussteeine neue Strukturvariante der schwerenMyosinkette im Skelettmuskel repräsen-tieren - eine mit einem viel langsamerrudernden Greifarm.

Wir gaben ihr das Kürzel „la" undtauften zugleich die alte in „Iß" um, weilsie offenbar der Beta-Variante des Herz-muskels entspricht. Das Herz enthält imÜbrigen noch eine als Alpha-Variantebezeichnete Sorte. Diese tritt vor allemin der Muskulatur der Vorhöfe auf und

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rudert - unseren Experimenten der Deh-nungsaktivierung zufolge - etwa dreimalschneller als die Beta-Variante. Die neueForm im Skelettmuskel war also etwasanderes; deswegen bekam sie von unsnicht den Zusatz „Alpha", sondern „a"

Doch zurück zum Kaninchenlauf. Inseinen Skelettmuskeln gibt es also nebenden bekannten reinen Typ-1 ß-Fasern auchMischfasern, die noch langsamer sind:durch eine Beimischung der Variante l a.Einen reinen Typ l a haben wir allerdingsbisher noch nicht entdeckt.

Doch wie steht es mit menschlichenSkelettmuskeln? Auch hier umfassen dielangsamen Zuckungsfasern höchstwahr-scheinlich mehr als einen Typ. Dies lassenzumindest die Ergebnisse unserer jüngs-ten Studien an zahlreichen solchen Fasernvermuten. Die Geschwindigkeitswerte ih-rer Dehnungsaktivierung zeigen nämlicheine Häufigkeitsverteilung, die mehr alseine Sorte langsamer schwerer Kettennahe legt. Gegenwärtig versuchen wir, dievermuteten molekularen Varianten mittelsbiochemischer Analysen aufzutrennen.Da diese Proteine sehr groß und in ihremAufbau wahrscheinlich nur minimal ver-schieden sind, gestaltet sich das allerdingsäußerst schwierig.

In den Skelettmuskeln unserer Glied-maßen kommen langsame Zuckungsfa-sern insgesamt viel häufiger vor als beiMaus, Ratte und Kaninchen. Daher er-warten wir auch eine differenziertere Auf-gabenteilung: Halteleistungen und langsa-me Bewegungen würden sich auf jeweilseigene langsame Fasertypen verteilen.Dies erscheint umso zweckmäßiger, wennman bedenkt, das s die schnellen Zu-ckungsfasern beim Menschen und bei ei-nigen anderen großen Säugetieren wiePferden und Rindern nur zwei Typen um-fassen: 2A und 2X. Unsere Untersuchun-gen legen nahe, dass diese beiden jeweilsden Typen 2A und 2D von Kaninchen undRatte entsprechen. Lediglich kleinereSäugetiere scheinen daneben noch dendritten flotteren Fasertyp, nämlich 2B, zubesitzen. Warum gerade sie den schnells-ten aller Typen brauchen und warum ihre

Muskelfasertypen

2BD

H i lSchwere Myosinketten: Ihre Varianten in Skelettmuskeln erwachsener Säugetierebestimmen den Muskelfasertyp. Dieser korreliert eng mit der Zeit bis zur maximalenDehnungsaktivierung, wie die Experimente zeigten. Muskelfasern mit zwei verschiede-nen Varianten der Kette fügen sich zeitlich exakt zwischen die jeweiligen reinenFasertypen. Ein neu entdeckter Fasertyp mit einer bis dahin unbekannten Variante derschweren Kette - la getauft - arbeitet besonders langsam, was ihn ausdauerndermacht. Nicht bei jeder Säugerart kommt aber das gesamte Spektrum vor.

Beinmuskulatur insgesamt einen hohenAnteil an diversen Sorten schneller Zu-ckungsfasern aufweist, erklärt sich vonselbst, wenn man gedanklich Mensch undMaus zum Wettlauf antreten lässt: Für ei-nen einzigen raumgreifenden Schritt einesLäufers muss eine Maus eben unzähligeMale ihre Beinchen flitzen lassen.

Die Entdeckung einer neuen Varianteder schweren Myosinkette zeigt, dass Dif-ferenzierung und Spezialisierung in Ske-lettmuskeln viel ausgeprägter sind als bis-her angenommen. Arbeitsteilung spielteben offensichtlich auch bei den Leistun-gen langsamer Zuckungsmuskeln eine we-sentliche Rolle; sie ermöglicht es, Tätig-keiten ökonomischer zu bewältigen.

Mehr über den molekularen Feinbauder Muskeln und die Möglichkeiten sei-ner Umgestaltung zu wissen, ist vor allemfür die angewandten Wissenschaften derBewegungs- und Sportphysiologie, aber

auch für die Human-medizin bedeutsam.In Skelettmuskelnbleibt die Zusam-mensetzung der Fa-sertypen nicht kon-stant, sondern stelltsich innerhalb weni-ger Wochen auf denjeweiligen Bedarfein. Für diese Um-wandlung ist daselektrische Musterder einlaufenden

Stefan Galler forscht undlehrt er an der Univer-sität Salzburg. SeineForschungsschwerpunk-te sind der lonenhaus-halt von Zellen und dieMuskelkontraktion.Kurzfristig war er auchan Untersuchungen derGletschermumie „ Ötzi"beteiligt.

Nervenimpulse entscheidend. Dies weißman aus Experimenten mit eingepflanztenElektroden, mit denen Forscher einzelneMuskeln im lebenden Tier über die zufüh-renden Nerven gereizt haben. AnhaltendeReizung mit nur geringer Impuls-Fre-quenz - das entspricht einem Ausdauer-training - führt zu einer Umwandlung vonschnellen in langsame Fasern. Kurze in-tensive Reizung mit langen Ruhepausenhingegen - das entspricht einem Sprint-training - bewirkt das Umgekehrte, aller-dings nur innerhalb gewisser Grenzen.

Sich umwandelnde Muskelzellentauschen die Varianten ihrer schwerenMyosinkette aus, zusätzlich aber nochviele andere Proteine, darunter Enzyme,welche die Zellen mit der universellenbiochemischen Energiewährung ATP ver-sorgen. Anders gesagt: Die Muskelzellenlesen andere Proteingene ab als zuvor. Hatsich nach effektivem Ausdauertrainingder Energiestoffwechsel weitgehend bisvollständig auf die ergiebigste Form derATP-Produktion umgestellt, ermüden dieMuskeln kaum noch. Dies geht so weit,dass umtrainierte verpflanzte Rücken-muskeln einen geschwächten Herzmuskelzumindest entlasten können (siehe Kastenauf Seite 36).

Die Wandlungsfähigkeit der Muskelnbleibt übrigens auch im Alter erhalten.Das haben Experimente mit implantiertenReizelektroden zumindest an alten Rattengezeigt. „Alter Muskel rostet nicht" magalso der Slogan lauten. •

SPEKTRUM DER WISSENSCHAFT • FEBRUAR 2001 41