Pianist Axel Zwingenberger - HEMPELS · Boogie-Woogie wie überhaupt der Blues – oder auch der...

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#145 Mai 2008 Das Straßenmagazin für Schleswig-Holstein Pianist Axel Zwingenberger Der Boogie-Woogie und die Musikindustrie-Krise Suc ht im Alter: Neue Anf orderung an Sozialpolitik F otografie: Sc hles wig-Holstein v on oben HEMPELS: Ein V erkäuf er über seine Arbeit 1,80 EUR davon 0,90 EUR für die Verkäufer/innen

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#145 Mai 2008

Das Straßenmagazin für Schleswig-Holstein

Pianist Axel ZwingenbergerDer Boogie-Woogie und die Musikindustrie-Krise

Sucht im Alter: Neue Anforderung an SozialpolitikFotografie: Schleswig-Holstein von obenHEMPELS: Ein Verkäufer über seine Arbeit

1,80 EURdavon 0,90 EUR für die Verkäufer/innen

Herausgeber HEMPELS e. V., 24103 Kiel

Redaktion Kiel Schaßstraße 4, 24103 Kiel,Tel.: (04 31) 67 44 94; Fax: 6 61 31 16 E-mail: [email protected]

Redaktion Flensburg Tagestreff Johanniskirchhof 19, Tel.: 0461–4 80 83 25E-mail: [email protected]

HEMPELS-Café Schaßstraße 4, Kiel, Tel.: (0431) 6614176

Geschäftsführer Jochen Schulz

Redaktion Peter Brandhorst (V.i.S.d.P.)

Mitarbeit Sarah Diekmann, Melanie Kaacksteen,Eckehard Raupach, Dieter Suhr, Carsten Wulf

Layout Nadine Grünewald

Basislayout forst für GestaltungMelanie Homann

Anzeigen, Fundraising Hartmut Falkenberg

Sozialdienst Catharina Paulsen

Verkäuferbetreuer Joachim Osterburg, Tel.: (04 31) 6 61 31 17

Vereinsvorstand Jo Tein (1. Vors.); Ilse Oldenburg,Catharina Paulsen

HEMPELS im Internet [email protected]

Druck evert druckHaart 224, 24539 Neumünster

Geschäftskonto HEMPELSKto. 316 300 bei der EDG, BLZ 210 602 37

Spendenkonto HEMPELSKto. 1 316 300 bei der EDGBLZ: 210 602 37HEMPELS e.V. ist als gemeinnütziganerkannt: Finanzamt Kiel Nord unter der Nr. Gl 4474

HEMPELS Straßenmagazin ist Mitglied imInternationalen Netzwerk der Straßen-zeitungen sowie im forum sozial e.V.

2 WIR ÜBER UNS HEMPELS #145 05/2008

Es wird bereits fleißig trainiert: Die HEMPELS-Fußballer haben mit der Vorbe-reitung auf die Deutschen Meisterschaften der Straßenfußballer begonnen, dieam 12. und 13. September in der Innenstadt von Hannover stattfinden werden.Unsere Kicker sind nicht die einzigen Kieler Fußballer, die auf eine Teilnahme andiesem Kleinfeldturnier hoffen. Auch beim Drogenhilfeverein Odyssee dreht sichbereits jetzt viel um den Ball. 24 Teams aus allen Teilen Deutschlands können andem Turnier teilnehmen. Da sich voraussichtlich mehr Straßenzeitungen undEinrichtungen aus der Wohnungslosenhilfe anmelden werden, wird nur eineKieler Mannschaft teilnehmen können. Kurz vor dem Turnier soll die danngebildet werden. Odyssee war im vergangen Jahr in Stuttgart Vizemeistergeworden. Organisiert wird die kommende DM übrigens von der Kieler Sport-wissenschaftlerin Katrin Kretschmer zusammen mit „Anstoß!“, der Bundesver-einigung für soziale Integration durch Sport.

SofarätselAuf welcher Seite dieser HEMPELS-Ausgabeversteckt sich das kleine Sofa oben? WennSie die Lösung wissen, dann schicken Sie dieSeitenzahl an: [email protected] oder: HEMPELS, Schaßstraße 4, 24103 KielEinsendeschluss ist der 31. 5. 2008. DerRechtsweg ist wie immer ausgeschlossen.

GewinnFrühstücks-Gutschein für zwei Personen:

Holtenauer Straße 82, Kiel

Die Auflösung des April-Rätsels lautet: Daskleine Sofa war auf Seite 9 versteckt. Der Ge-winner beziehungsweise die Gewinnerinwird im Juni veröffentlicht.

Im März haben gewonnen:

Ein Essen für zwei Personen:Familie Laß, 24395 Rabenholz

Je zwei Karten für Apassionata, dieGalanacht der Pferde am 10. Mai in Kiel:Marion Rietzke-Spengler, Philip Gaugerund Christa Cornils

Gewinnspiel Impressum

WIR ÜBER UNS

3INHALTHEMPELS #145 05/2008

16 UNSER LAND AUS DER LUFT

Die besonderen Reize der schleswig-holstei-

nischen Landschaft? Klar, kennt man, zu-

meist jedoch von unten. Die Fotografin Rena-

te Prien hat das Land von oben fotografiert.

Ihre Luftaufnahmen ab Seite 16.

10 SUCHT IM ALTER

Dank besserer medizinischer Hilfe können

Süchtige heute alt werden. Die Sozialpolitik

stellt das vor neue Herausforderungen. Eine

Reportage über einen langjährigen Heroin-

abhängigen. Ab Seite 10.

Titel

4 Interview mit dem Boogie-Woogie-Pianisten Axel Zwingenberger

Schleswig-Holstein Sozial

8 Meldungen9 Kolumne Raupachs Ruf10 Sucht im Alter: Reportage über

einen seit 1970 Heroinabhängigen13 Hungersnot wächst weltweit14 Kieler Gotteshaus wird Sozialkirche14 Leitfaden für Hartz IV-Bezieher

Fotografie

16 Luftaufnahmen der Fotografin Renate Prien

Auf dem Sofa

24 Aus dem Leben unseres VerkäufersJoachim Eybe

Chatroom

26 Fragebogen; Leserbriefe27 Ein HEMPELS-Verkäufer über seine

Arbeit28 Flensburg: TAT-Besucher gestorben29 Eine Studentin über ihr Praktikum

bei HEMPELS

Rubriken

2 Wir über uns2 Impressum15 Service: Mietrechtskolumne22 CD-Tipps

BuchtippKinotipp

23 Veranstaltungen30 Rezept des Monats

KarikaturHaiopeis

31 Achtung, Foto!

Titelfoto: Foto Fayer, Wien

4 AXEL ZWINGENBERGER

Er gehört zu den weltbesten Boogie-Woogie-

Interpreten und ist auf den großen Bühnen

zu Hause: Im Interview spricht der Pianist

Axel Zwingenberger auch über die Krise der

Musikindustrie. Ab Seite 4.

INHALT #145

4 TITEL HEMPELS #145 05/2008

Axel Zwingenberger über die Musikindustrie-Krise und den Boogie-Woogie

In Radio und Fernsehen taucht seine Musik eher selten auf, seit überall nurnoch in Formaten gesendet wird. Dennoch – und vielleicht auch deshalb –verbringt der Pianist Axel Zwingenberger viel Zeit des Jahres auf Deutschlandsgroßen Konzertbühnen. Zwingenberger zählt zu den weltweit besten Boogie-Woogie-Interpreten. Im Interview spricht er auch darüber, warum seine Musikbisher nicht so sehr von der Krise in der Musikindustrie betroffen ist.

„Es wird immer ein Kampf um Macht und Geld sein”

5TITELHEMPELS #145 05/2008

Interview: Peter BrandhorstFotos: Gerd Tratz; Hans-Jürgen Fink

Axel Zwingenberger, wie geht’s den Fingern? Brüche undVerstauchungen haben sich die Jahre über einigermaßen inGrenzen gehalten?(lacht) Ein bisschen verletzt man sich ja immer beimKlavierspielen, beispielsweise so, dass ein Fingernagel bricht.Aber dass es mich ernsthaft beeinträchtigt hätte? Das gabseigentlich noch nie.Der Boogie-Woogie ist eine sehr athletische und Kraft fordern-de Spielweise.Wie sehr kommt es neben der mentalen auch aufdie körperliche Fitness an?Ich hab ja schon als kleines Kind damit angefangen ...... schon mit sechs Jahren.Noch früher: Mit sechs bekam ich den ersten Klavierunterricht,aber davor habe ich schon rumprobiert. Diese sehr früheBeschäftigung mit dem Instrument kommt mir heute zugute.Ich habe ganz jung die Bewegungsabläufe gelernt. Um sichnicht zu verletzen, muss man die Tastatur in- und auswendigkennen, in der Steuerung der Finger muss man absolut sichersein. Wer nur mit Kraft auf die Tasten donnert, der bekommtProbleme.

Boogie-Woogie war ursprünglich eine afroamerikanischeVolksmusikform. Heute dominieren europäische und vor allemdeutsche Pianisten dieses Genre, Sie gelten als einer derweltbesten Interpreten. Wie ist dieser Wandel zu erklären?Boogie-Woogie wie überhaupt der Blues – oder auch der Soul -ist die Musik der Schwarzen gewesen. In den 20er Jahren desvergangenen Jahrhunderts war der Boogie in den USA derGetto-Pop. Die Musik war für ganz viele Menschen eineÜberlebenshilfe ...... die Selbstbewusstsein vermittelte und auch half, sich gegenUnterdrückung zu wehren.Richtig. Der Boogie war nicht nur Unterhaltung, er war auchein Mittel, sich auszudrücken. Und denjenigen, die ihn aktivspielten, half er zugleich, überleben zu können.Trotzdem verschwand in den USA später seine große Be-deutung.Boogie-Woogie zu erlernen, erfordert viel Arbeit undZeitaufwand. Ab den 50er Jahren kam man damit nicht mehrautomatisch ins Rampenlicht, die elektrische Gitarre war aufdem Vormarsch. Und Gettomusiker mussten auch damals schondem Wirtschaftlichkeitsaspekt Vorrang geben. Eben weil sieaus ihrer Lebenssituation herauswollen.Wir hingegen konntenuns zunächst hobbymäßig dafür begeistern. Anfangs musstenwir nicht darauf achten, damit auch Geld verdienen zu können.Ursprünglich kommt das Piano ja auch nicht aus Amerika,sondern aus Europa. Deshalb kümmern sich jetzt vor allemEuropäer um diese sehr spezielle und ausdrucksstarke Art,Klavier zu spielen.

6 TITEL HEMPELS #145 05/2008

In Deutschland gehörte lange Zeit mehr als nur Mut dazu,Boogie zu spielen oder zu hören. Unter den Nazis war beidesstreng verboten.Nicht nur, dass Boogie oder Jazz unter Strafe standen. DerVolksmusikbereich insgesamt wurde von den Nazis vergewal-tigt und kaputt gemacht. Bis heute gibt es viele Menschen, diees absolut uncool finden, Volksmusik zu singen. NachKriegsende ist da ein Vakuum entstanden. Und später natürlichauch eine Offenheit für das Andere, das Unbekannte. Deshalbgibt es hier bei uns ja auch besonders viele begeisterteJazzfans.Sie gehörten Mitte der 70er zu den ersten, die der Renaissancedes Boogie die Türen öffneten.Vor allem zusammen mit Vince Weber. Insgesamt gab es damalsim deutschsprachigen Raum ja nur fünf Musiker, die sich mitdieser Musik beschäftigten.Vince und ich hatten unendlich vielSpaß an der Musik, sie war unser Hobby. Und wir habengeschafft, dass viele Leute den Boogie lieben lernten.... und es inzwischen auch wieder viele aktive Pianisten gibt.Unsere Pionierarbeit hat geholfen, dass über die Jahre einelebendige Szene wachsen konnte. Anderswo ist das nicht sopassiert. Wenn Leute aus den USA kommen, fragen die immer:Wie kommt es nur, dass der Boogie in Deutschland so populärist? Das waren 30 Jahre Arbeit, antworte ich dann.

Sie haben bisher 27 Platten rausgebracht. Wie viele werdennoch folgen?(lacht) Die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer liegtinzwischen ja irgendwo Mitte 70. Ich habe also noch einbisschen Zeit. Außerdem: Eine neue CD ist gerade in Vor-bereitung.Angesichts Internet, Download und der Möglichkeit, jederzeitprivat Kopien ziehen zu können wird überall geklagt, dass dergroßen Tonträgerindustrie bald die Lichter ausgehen könnten.Keine Angst vor der Zukunft?Wenn man die Kerze, mit der man leuchtet, selber trägt, musses einen nicht so sehr tangieren, sollten anderswo die Lichterausgehen. Will sagen: Ich habe schon Mitte der 80er Jahre dersogenannten etablierten Musikindustrie den Rücken gekehrt.Als man uns zu sehr ins Repertoire reinpfuschen wollte, es nurum Umsatz ging, haben wir eine eigenständige Plattformentwickelt. Deshalb trifft uns die Krise weniger stark alsvielleicht andere Künstler.Vom Musikklau im Internet sind Sie nicht betroffen?Doch, das Problem haben natürlich alle Künstler.Aber ich habe

trotz Internet das Glück, dass meine Fans gerne einenGegenstand von mir in den Händen halten möchten ...... die CD, den physikalischen Tonträger.Ja, es ist immer noch ein haptisches, greifbares Erlebnis, sicheine CD ins Regal stellen zu können. Und ich fahre durch dieLande, erreiche mein Publikum jedes Jahr hundert Mal in vollenSälen. Obwohl unsere Musik im Fernsehen oder in denFormatradios kaum vorkommt.

In der Musikbranche findet zurzeit eine starke Konzentrationauf wenige Plattenriesen statt, überall wird kräftig gekürzt.EMI will in diesem Jahr 264 Millionen Euro einsparen und 2000Stellen streichen, ein Drittel des Personals. Die Zukunft gehtalso in Richtung kleiner, spezialisierter Labels?Richtig. Und wir betreiben die Zukunft ja schon seit über 20Jahren (lacht).Sind 360-Grad-Verträge, die immer häufiger geschlossen wer-den, ein Ausweg aus der Krise? Das Label übernimmt komplettalles für den Künstler – die Produktion des Albums, dieTourplanung bis hin zum Merchandising.Das klingt für mich nach Pflegeheim oder nach absoluterGewinnmaximierung.Aber der T-Shirt-Verkauf während eines Konzerts scheint alsGeldquelle inzwischen oft wichtiger zu sein als der Verkauf desAlbums.Genau – Gewinnoptimierung. Für mich ist das ein Versuch, dasMusikgeschäft rundum in den Griff zu bekommen. Die meistenKonzertveranstalter sind inzwischen in der Hand von wenigenMultis. Das Konzertgeschäft wird immer wichtiger, dieTicketpreise haben sich in wenigen Jahren vervielfacht – dawollen diese Firmen nun rein. Der Boogie besetzt eine kleineNische, in der diese Entwicklungen nicht vorkommen.

Noch mal der Blick auf das Große: Geben Kunstfiguren wieDieter Bohlen inzwischen nicht vor, wie künftig der Wegaussehen wird – Crossmanagment für einige wenige Große mittotaler Vermarktung in TV, Boulevardmedien, Büchern undWerbung, bei dem es nicht mehr so sehr auf das Hörerlebnisankommt und bei dem es junge Künstler zunehmend schwerhaben werden?Ich bin überzeugt: Man kann den Leuten nicht die Freude amMusizieren unterdrücken. Und man kann das Publikum auchnicht monopolisieren.Breit gefächerte Musikszenen wird es weiterhin geben?Ja. Je mehr Uniformitätsdruck ausgeübt wird, umso mehr

gilt als weltweit führender Vertreter des Boogie-Woogie. ImLaufe seiner Mitte der 70er Jahre begonnenen Karriere trater auch mit einer Reihe bekannter US-amerikanischerJazzmusiker auf wie beispielsweise Lionel Hampton,Champion Jack Dupree oder Big Joe Turner. Der imschleswig-holsteinischen Ahrensburg bei Hamburg lebendePianist – am 7. Mai wird er 53 Jahre alt – gilt mit seiner

Präzision, Geschwindigkeit und Interpretationskraft alsPhänomen. Neben dem Boogie-Woogie ist Zwingenbergerauch als Fotograf hervorgetreten. Seine Blitzlicht-Nacht-aufnahmen fahrender Dampflokomotiven sind als Fotobandunter dem Titel „Der Zauber der Züge“ erschienen.

Axel Zwingenberger

7TITELHEMPELS #145 05/2008

wollen sich die Leute davon auch abheben. Unter dem Strichwird das natürlich immer ein Kampf um Macht und Geld sein.Aber ich bin da nicht so pessimistisch.Was macht Sie zuversichtlich?Wir sprachen eben schon über das Internet. Bei allenNachteilen, die es hat: Junge Künstler finden darüber soforteine Plattform und können sich vernetzen.Wir konnten damalsnicht so schnell auf uns aufmerksam machen. Heute hilft dasInternet, sich präsentieren und ein Stück weit unabhängigmachen zu können von der Meinung eines Musikredakteursoder der eines Plattenbosses.

Sie sind nicht nur als Pianist erfolgreich. Mit einer Großbild-kamera haben Sie über sieben Jahre Nachtaufnahmen von alten

Dampfloks gemacht und die in einem Fotoband veröffentlicht.Welche Faszination üben Dampfloks auf Sie aus?Als ich aufwuchs, fuhren diese Dinger ja noch in Massen rum.Das war immer ein super Erlebnis, wenn so ein schwarzerDrache vorbeidonnerte. Und Fotografie hat mich stetsinteressiert – wie macht man das technisch, mit bis zu 50Blitzlichtern gleichzeitig zu fotografieren? Und wie eineschwarze Lok nachts mit Blitzlicht beleuchten, die dreihundertMeter entfernt ist? Mir das zu erarbeiten, hat unendlich vielSpaß bereitet.Die Dynamik, der Rhythmus alter Dampfloks auch als Klammerzum Boogie-Woogie?Ja. Dieses Vorwärtstreibende ist eine typische Gemeinsamkeitvon Dampfloks und vom Boogie-Woogie. <

8 SCHLESWIG-HOLSTEIN SOZIAL HEMPELS #145 05/2008

Jugendhilfe

Weniger Personal und Einrichtungen

In der Jugendhilfe steht in Schleswig-Holstein wie insge-samt in Norddeutschland immer weniger Personal zurVerfügung. Nach Angaben des Statistikamtes Nord wurdevor allem durch die Umwandlung von Vollzeit- in Teil-zeitstellen gespart. Der Rückgang betrug im nördlichstenBundesland elf Prozent auf rechnerisch 4.700 Vollzeitstellen,die sich auf insgesamt 8.200 Beschäftigte verteilen. Auchdieser faktische Personalstand ist um fünf Prozentgesunken. Die Zahl der Einrichtungen sank um acht Prozentauf 1.467. Zwei Drittel der Beschäftigten sind Frauen. (epd)

Wohngeld

Mehr Geld als Ausgleich für hohe Heizkosten

Erstmals seit 2001 soll das Wohngeld wieder ansteigen. Eskommt Mietern und Wohnungseigentümern mit geringenEinkommen zugute. Nach Angaben des Bundesbauministeri-um wird die Sozialleistung ab 2009 von derzeit durch-schnittlich 90 auf rund 150 Euro im Monat angehoben. Vorallem den kräftig gestiegenen Heizungskosten der ver-gangenen Jahre soll damit Rechnung getragen werden. InZukunft sollen bundesweit rund 850.000 Haushalte wohn-geldberechtigt sein statt bisher 600.000. Die Wohngeld-ausgaben werden sich dadurch um 520 Millionen auf 1,36Milliarden Euro im Jahr erhöhen. Da sie je zur Hälfte vomBund und von den Ländern getragen werden, müssen nebendem Bundestag auch der Bundesrat noch zustimmen. (epd)

Spenden

Hilfsorganisationen: Projekt für mehr Transparenz

Der Spendenskandal um das Kinderhilfswerk Unicef drohte,auch andere Hilfeprojekte in ihrer Arbeit zu behindern.Vielepotenzielle Spender fragten sich, wem man noch trauenkönne, wenn nicht einer großen Wohlfahrtsorganisation.Mehrere deutsche Hilfsorganisationen haben deshalb jetzteine Initiative für mehr Transparenz gestartet. DieWelthungerhilfe und die Kindernothilfe haben gemeinsammit 14 weiteren Organisationen einen Neun-Punkte-Planvorgelegt, mit dessen Hilfe mehr Offenheit, einheitlicheStandards für die Verwendung von Spenden, stärkereKontrolle und bessere Vergleichbarkeit der Hilfswerkeerreicht werden sollen.

Kinder

Drittes Kita-Jahr ab 2009 umsonst

Ab Sommer kommenden Jahres müssen Eltern in Schleswig-Holstein für das dritte Kindergartenjahr nichts mehr zahlen.Darauf haben sich CDU und SPD geeinigt. Beabsichtigt ist vonbeiden Parteien auch, bis 2013 sämtliche Kita-Jahre kostenfreizu gestalten. Noch ist jedoch unklar, wie diese „Null-Euro-Kitas“ finanziert werden sollen. Zunächst werden ab 1. August2009 vom Land die Elternbeiträge für die dann etwa 26.000Kinder im letzten Kita-Jahr übernommen. Dafür sollen dieKosten bei 19 Millionen Euro liegen. Ab 2011 soll das zweiteKita-Jahr kostenlos angeboten werden, ab 2013 auch das erste.Wohlfahrtsverbände sowie die Gewerkschaft GEW haben alsReaktion darauf ein beitragsfreies erstes Kindergartenjahrbereits ab 2009 gefordert. Zugleich sprachen sie sich dagegenaus, zunächst das letzte Jahr des Kindergartenbesuchsgebührenfrei zu machen. Grundsätzlich müssten in weiterenSchritten alle drei Kita-Jahre für Eltern kostenlos sein, teiltenDiakonie, Paritätische, Landeselternvertretung, VerbandEvangelischer Kindertageseinrichtungen und GEW mit. NachAngaben der Verbände liegt die Betreuungsquote der Kinder imdritten und damit letzten Kindergartenjahr bereits bei über 90Prozent. Die Quote für die jüngeren Kinder im ersten Jahr seidagegen deutlich niedriger. Durch ein erstes Jahr ohneElternbeiträge könnten Kinder aus bildungsfernen Familienfrüher erreicht werden. (epd/eig. Ber.)

Kinderzuschlag als Schutz vor Hartz IV

Immer mehr Kinder sind in der jüngeren Vergangenheit in dieArmutsfalle geraten. Bundesweit rund 1,9 Millionen unter 15-Jährige leben in Familien, die Hartz IV beziehen. Damit nichtnoch mehr Familien mit geringem Einkommen gezwungen sind,Hartz-IV-Leistungen zu beantragen, sollen ab Oktober bis zu500.000 Kinder Anspruch auf den sogenannten Kinderzuschlaghaben. Das wurde jetzt vom Bundeskabinett beschlossen.Dieser Kinderzuschlag wird an Eltern gezahlt, die für sichallein genommen mit ihrem Einkommen über dem Hartz-IV-Satz liegen, wegen der Ausgaben für ihre Kinder aber inSchwierigkeiten geraten. Die Einkommensgrenze sinkt künftigauf monatlich 900 Euro für Paare und 600 Euro fürAlleinerziehende. Der Höchstbetrag des Kinderzuschlags wirdweiterhin konstant 140 Euro pro Kind betragen.

MELDUNGEN

9SCHLESWIG-HOLSTEIN SOZIALHEMPELS #145 05/2008

> Gelegentlich bin ich gern faul, aber am 25. Mai wünsche ichmir viel Arbeit. An dem Tag sind in Schleswig-HolsteinKommunalwahlen. Und ich sitze dann im Kieler Wahlbezirk 104im Wahlvorstand. Bei der letzten Kommunalwahl 2003 war dieWahlbeteiligung eine Katastrophe: in Kiel ging die Mehrzahl(rund 53 Prozent) nicht wählen. (Nebenbei: Wer nicht wählengeht, macht es den Neonazis leichter, einen Sitz in derKommunalvertretung zu erhalten – sie benötigen dann wenigerStimmen). Das allgemeine gleiche Wahlrecht ist in Deutschlandnoch gar nicht alt; es wurde 1918 in der Revolution erkämpft,auch das Frauenwahlrecht. Waren bis 1919 Frauen dieRechtlosen, so sind es heute jene Ausländer, die nicht aus derEU kommen. Wie lange sie bei uns auch wohnen und arbeiten,wie viele Steuern sie auch zahlen, sie dürfen bei uns nichtwählen. Das ist nicht Integration, das ist Diskriminierung.Geringschätzung gegenüber Wahlen ist auch Geringschätzunggegenüber Demokratie. Das hat in Deutschland Tradition, auchin der Literatur. Als Folge der Kleinstaaterei gab es vieleBekenntnisse zum großen Deutschland, zur Einheit. Als ErnstMoritz Arndt schrieb. „Das ganze Deutschland soll es sein!“,dachte er an die Grenzen im Süden, im Osten, im Westen; erdachte nicht daran, dass alle Menschen – die Armen und dieReichen, die Männer und die Frauen – in Deutschlandbestimmen sollten. Neben dem Ruf nach dem großen Landdominierte der Ruf nach Freiheit – ein schöner Begriff.Man wollte frei sein vor der Bevormundung durch den Fürsten– aber wozu sollte diese Freiheit dienen? Sollten alle Menschenfrei mitentscheiden können? Sollte es auch Freiheit von Hungerund Not geben? Die Lieder der Arbeiterbewegung fordertendies; sie riefen nach Freiheit und Brüderlichkeit. Riefen sie auchnach Demokratie und freien Wahlen? Trotz der Episode derFrankfurter Nationalversammlung, trotz 14 Jahren WeimarerRepublik, trotz fast sechzig Jahren Nachkriegsrepublik – sorichtig gelebt und geliebt wird die Demokratie bei uns nicht.In den USA fand sich mit Walt Whitman schon früh einLobsänger der Demokratie. 1855 schrieb er in seinem poetisch-pathetischen Werk „Grashalme“: „Für dich dies von mir, o

Demokratie, ma femme. Für dich, für dich zwitschere ich dieseLieder. ... O was für Themen, Gleichheiten! O göttlicherDurchschnitt!“ Viel nüchterner mischte sich zur gleichen ZeitGottfried Keller mit Wahlaufrufen in der Schweiz ein – diemeisten Dichterkollegen hatten andere Themen. In der Wei-marer Zeit standen viele Literaten zwischen Euphorie undEnttäuschung, die Kurt Tucholsky so beschrieb: „Wir dachtenunter kaiserlichem Zwange / an eine Republik ... und nun ist'sdie! / Man möchte immer eine große Lange, / und dannbekommt man eine kleine Dicke – / Ssälawih – !“ In der Bun-desrepublik gab es 1961 eine kleine Sensation: Auf Initiativevon Hans-Werner Richter und Martin Walser mischten sichetliche Schriftsteller mit einem Buch in die Wahl ein – Grassund Lenz, Amery und Kuby, Enzensberger, Schnurre undRühmkorf gehörten dazu. Unter dem Motto „Dich singe ichDemokratie“ ging Günter Grass seit 1965 auf Wahlreisen. Undin der DDR bekannte sich (nach Niederschlagung des 17. Juni-Aufstands) Bertold Brecht mit einer kurzen Frage zurDemokratie: „Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierunglöste das Volk auf und wählte ein anderes?“ Demokratie gehtnicht ohne Demokraten, Wahlen gehen nicht ohne Wähler.„demokratisches modell“ heißt ein kleines Gedicht von demSchweizer Kurt Marti:

„Demokratie geht nicht ohne Demokraten,Wahlen gehen nicht ohne Wähler“

Anmerkungen zu politischen ThemenVon Eckehard Raupach

RAUPACHS RUF

stimmend stimmt ihr

ja und nein

überein

damit es stimmt denn du bestimmst

stimme stimme

stimme stimme

ja nein

stimm stimm

10 SCHLESWIG-HOLSTEIN SOZIAL HEMPELS #145 05/2008

> Manchmal scheint es, als staune Herr W. am meisten selbstdarüber, dass er noch lebt. 59 ist er inzwischen, und dieChancen, dass er lange hätte tot sein können, standen ja auchnicht schlecht all die Jahre. „Vierzig werden Sie nie, so wie Sieleben“, hatte ein Arzt ihm prophezeit, als er längst noch keinedreißig war.Herr W. rührt jetzt scheinbar seit Ewigkeiten mit demZuckerlöffel durch die Kaffeetasse, mal linksrum, dann wiederrechts. „Ich hab viele Leute sterben sehen“, sagt er schließlich,entweder draußen auf den Straßen oder drinnen in denWohngemeinschaften, in denen sie früher zusammengelebthaben. „Man steht morgens auf, will eine Zigarette rauchen,

Leben auf einem Minenfeld

Auf die Sozialpolitik kommt eine neueHerausforderung zu: Süchtige werdenimmer älter. Eine Reportage über einenseit 1970 von Heroin abhängigen Mann.

Früher starben Abhängige illegaler Sucht-stoffe meist in jungen Jahren – anders alsKonsumenten legaler Drogen wie Alkoholoder Tabak. Inzwischen können auch He-roinabhängige dank verbesserter medizi-nischer Hilfe älter werden. Sozial- undGesundheitspolitik sind darauf bishernoch nicht eingestellt.

11SCHLESWIG-HOLSTEIN SOZIALHEMPELS #145 05/2008

12 SCHLESWIG-HOLSTEIN SOZIAL HEMPELS #145 05/2008

sucht nach Feuer und klopft irgendwann jemandem gegen dieSchulter, der noch schläft. Aber da ist der schon tot.“ FünfFrauen und sechs Männer waren sie anfangs in ihrer Clique,1970. „Der Letzte ist 1985 gestorben“, erzählt Herr W. DerLetzte? „Nein, der letzte noch Lebende bin ich“, verbessert ersich.Ein Vierteljahrhundert lang überleben mit der Heroinspritze inden Venen, täglich der Raubbau am eigenen Körper. Davor nochdie Jahre mit Haschisch, Kokain oder auch LSD. „Ich kannteLeute, die haben blaue Tabletten geschluckt und anschließendwie Hunde gebellt“, erinnert Herr W. Zwischendurch in all denJahren insgesamt sieben Entzüge, die seinem Körper wenigs-tens vorübergehend ein wenig Zeit für Erholung boten. Eineganz große Liebe entflammte und erlosch wieder, mit der er inden 80ern ein paar Jahre verheiratet war und zwei Kinder hat.„Knast war natürlich auch, Beschaffung“, sagt Herr W., insge-samt gut drei Jahre. „Trotzdem, die ersten zehn Drogenjahrehaben mir eigentlich gut getan“, blickt er erstaunlich klagloszurück auf die Anfänge seiner Drogenzeit, die auch bei ihm alsAngehörigem der ersten Drogengeneration geprägt warendurch Peace-Bewegung und 68er-Aufbruch. „Aber irgendwannbin ich bloß noch auf dem letzten Drücker da rausgekommen“,fügt er erleichtert hinzu.

Mit der Sucht in Würde älter werden

Im letzten Moment doch noch den Absprung geschafft, alsEinziger aus seiner alten Clique: Wäre er 1996 nicht in dasSubstitutionsprogramm der Fachambulanz Kiel aufgenommenworden, „dann gäbe es mich heute wohl längst nicht mehr.“Süchtig wird er sein ganzes Leben bleiben. Doch die Substitu-tion mit Ersatzstoffen hilft ihm, äußerlich unauffällig weiter-leben zu können. Wer Herrn W. nicht kennt, täte in ihm nie denschwer Suchtkranken erkennen, wenn er zufällig mit ihm dieWege kreuzte. Und wie er jetzt vor seiner Kaffeetasse sitzt,aufmerksam zuhört und mit Bedacht freundlich Antwortengibt, so wünschte man sich manchmal auch die Begegnungenmit anderen Menschen. Herr W. gehört zu den ersten Abhängig-en illegaler Drogen, die mit ihrer Sucht und in Würde ältergeworden sind.Eine neue Herausforderung kommt auf die Gesundheits- undSozialpolitik zu. Während Abhängige illegaler Drogen wieHeroin früher meist in jungen Jahren starben, wenn sie nichtrechtzeitig den Ausstieg aus der Sucht schafften, hat die mitder Zeit verbesserte medizinische Versorgung und Betreuung,seit Anfang der 90er Jahre insbesondere auch die Substitutiondurch Ersatzstoffe, die Überlebenschancen deutlich steigenlassen. Man kann inzwischen alt werden als von harten, ille-galen Drogen Abhängiger. Was zu der eigentlich paradoxenSituation führt, dass eine erfolgreiche Drogenhilfe auf Proble-me hinweist, die es ohne sie nicht geben würde. Denn Süchtigebenötigen im Alter besondere Betreuung und Pflege. Dochweder ist bisher die Drogenhilfe auf eine solche Altenpflegevorbereitet, noch die Altenpflege auf Drogenabhängige.

Blitze und Explosionen im Körper

1992, dem Jahr der Gründung der Fachambulanz Kiel, in derAbhängige unter medizinischer Aufsicht substituiert werden,lag dort das Durchschnittsalter der Patienten bei 25 Jahren,niemand war über 40. 2006 waren bereits 25 Prozent älter als

40, fünf Prozent sogar älter als 50. Inzwischen liegt das Durch-schnittsalter in der Fachambulanz wie auch landesweit beirund 37 Jahren, der älteste Patient der Fachambulanz ist jetzt63 Jahre alt. Und wer über Jahre harte Drogen konsumiert hatoder es weiter tut, dazu oftmals zusätzlich noch legale Drogenwie Alkohol oder Nikotin plus schlechter Ernährung, dessenKörper ist deutlich vorgealtert. Hans-Georg Hoffmann,Ärztlicher Leiter der Fachambulanz Kiel, spricht von zehn bis 20Lebensjahren.„Da sind diese fürchterlichen Explosionen in meinem Körperund die Blitze, aber immer nur nachts“, erzählt Herr W.Was fürBlitze? Welche Explosionen? „Wie soll ich es anders be-schreiben“, antwortet der 59-Jährige, „es ist ein Schmerz, alsdurchstreife ein Blitz plötzlich meine Wirbelsäule von ganzoben nach tief unten. Oder als ob sich im kleinen Zeh oder imKopf eine Explosion ereignete.“ Seit wann er das kennt? „Seitzwanzig Jahren. Anfangs nur einmal im Monat, inzwischenbesonders bei Wetterumschwüngen mehrmals in einer Nacht.Das wird immer schlimmer.“ Und was sagen die Ärzte? „DieUrsache wissen sie bis heute nicht. Einer meint, das könnteFolge meines LSD-Konsums sein.“Blitze, Explosionen – es ist nicht nur allein dies, was Herrn W.wie auf einem Minenfeld leben lässt. Seine Leber ist schwerst-geschädigt. Er leidet an Fibrose, dem Zustand kurz vor derZirrhose, und an der durch unsaubere Spritzbestecke hervor-gerufenen Infektionskrankheit Hepatitis C. „Mein Körperpräsentiert mir die Rechnung“, sagt Herr W., „ich versuche dasaber hinzunehmen, weil ich das Leben mit den Drogen anfangsja gewollt habe.“ So versucht er, auf dem Minenfeld, über das eralltäglich schreiten muss, möglichst keinen falschen Schrittmehr zu setzen. Keinerlei Alkohol, kein fettes Essen, nur Früchteoder Kartoffeln, Milch und Joghurt, und nichts davon nachsechs Uhr abends. „Seit eineinhalb Jahren lebe ich so“, sagtHerr W., „vorher hörte sich mein Magen an wie das Rumoreneines Maschinenraums.“ Noch ist Herr W. in der Lage, sich weitgehend eigenständig imLeben zu bewegen. Er gehört zu der Gruppe von Suchtkranken,die inzwischen gut integriert sind. Da ist die kleine Wohnungund da sind ein paar körperlich leichte Tätigkeiten, mit denener sich über Wasser halten kann. Schach ist zu seiner Lei-denschaft geworden, und in einer Wettkampfnische diesesDenksports, dem Fernschach, hat er es vor ein paar Jahren malbis in die Nationalmannschaft geschafft. „Aber nur in dieZwote“, sagt Herr W.

Pflegeeinrichtungen nicht vorbereitet

Eine zahlenmäßig ähnlich große Gruppe Abhängiger lebthingegen stark vereinsamt mit erheblichem Beikonsum andererDrogen, beispielsweise Alkohol, sowie massiven körperlichenwie auch psychischen Schädigungen. „Vor allem diese Men-schen brauchen im Alter eine abgestufte ambulante Betreuung,später auch eine stationäre“, so Hans-Georg Hoffmann von derFachambulanz, „darauf ist bisher keine Pflegeeinrichtungeingestellt.“Akzeptierende Pflege fordert Hoffmann für diesen Personen-kreis. Pflegeeinrichtungen erwarten von den Bewohnern weit-gehende Suchtmittelabstinenz, „einem 65-jährigen Abhängigen,der vom somatischen Zustand her ein 80-Jähriger ist, kann manaber nicht mehr alles streichen.“ Weiterbildung bei denambulanten und stationären Pflegediensten sei erforderlich:

13SCHLESWIG-HOLSTEIN SOZIALHEMPELS #145 05/2008

„Man muss dort akzeptieren können, dass es eine Reihe vonSchwerstabhängigen gibt, die das ihr Leben lang sein werden.“Bei insgesamt rund 2000 Abhängigen in Kiel geht Hoffmanndavon aus, dass allein in der Landeshauptstadt in Kürze etwa100 ältere Abhängige, also fünf Prozent, eine besondere Formder Unterstützung benötigen.

Allein in Kiel 100 Betroffene

Dass rasches Handeln überall nottut, hat vergangenes Jahrauch Horst Bossong, bis 1999 zehn Jahre lang Drogenbe-auftragter in Hamburg und jetzt Professor an der UniDuisburg-Essen, in einem Beitrag für eine Fachzeitschriftdeutlich gemacht. Auf die Kommunen, speziell auf dieGroßstädte, komme in nächster Zeit „ein handfestesVersorgungs- und Betreuungsproblem“ zu, wenn nicht sofortund nicht erst in vier oder fünf Jahren von der PolitikRichtungsentscheidungen getroffen werden. Noch lasse sichdie Größenordnung kaum abschätzen. Der Metropole Hamburgprophezeit er, dass sie Mitte des nächsten Jahrzehnts „mitetwa fünf- bis achthundert über 55-jährigen harten Drogen-abhängigen wird umgehen müssen.“ Den Bedarf anSpezialeinrichtungen für gebrechliche Abhängige sieht er dannbei hundert bis hundertfünfzig Plätzen. Bossong: „Es gehtsowohl um eine medizinisch gut begleitete altersadäquateDrogenhilfe als auch um eine drogensuchtspezifischeAltenhilfe.“

Aus Sicht des Kieler Fachambulanz-Chefs Hoffmann heißt dasauch, dass die gültigen Substitutionsrichtlinien geändert wer-den müssen. Bisher ist Drogenhilfe auf eine junge Klientelausgerichtet. Vollkommene Drogenfreiheit ist das Ziel, dochbenötigen laut Hoffmann etwa zehn Prozent in ihrer Suchtdauerhaft Substitution. Mindestens einmal die Woche müssensie bisher zum Arzt, im Alter seien hingegen längere Intervallesinnvoll. Begleitende psychosoziale Behandlungen, die bisherPflicht sind bei einer Substitutionstherapie, sollten Älteren nurnoch als freiwilliges Angebot vorgehalten werden. In Staatenwie den Niederlanden oder der Schweiz gibt es bereits spezielleEinrichtungen für alte Drogenabhängige oder werden geradeeingerichtet.Und Herr W.? Der hat die ganze Zeit über nur wie ein Spatz anseinem Kaffee genippt. „Vielleicht hab ich ja noch zwei oderdrei gute Jahre, das wäre in Ordnung“, sagt er. Ein paar guteJahre hoffentlich noch - und was wären schlechte, vor denen ersich fürchtet? Er macht eine kleine Pause, dreht wieder denLöffel in der noch fast vollen Tasse, wägt seine Gedanken: „75kann ich mir nicht vorstellen.Vor Pflegebedürftigkeit habe ichAngst, bei meinen körperlichen Schädigungen.“ Dann steht erauf, um sich zu verabschieden. „Angst vor dem Tod hat man janicht, sagt man so.Vielleicht ist das aber doch anders, wenn esendlich so weit ist.“

Text: Peter Brandhorst

Foto: Reuters/Paul McErlane

Immer mehr Menschen auf der Welt müssen hungern. In Haitiist es vergangenen Monat bereits zu einem Aufstand derHungernden gekommen. Nach tagelangen Unruhen stürzte dieRegierung. Auch in anderen Ländern wie Bangladesch kam eswegen explodierender Nahrungsmittelpreise zu gewaltsamenAusschreitungen. Insgesamt sind laut Weltbank weit mehr als30 Länder wegen gestiegener Lebensmittelpreise von sozialemChaos und politischen Unruhen bedroht. Neben dem eu-ropäischen Armenhaus Moldawien sind laut Welternährung-sorganisation FAO vor allem Länder in Afrika, Asien sowieMittel- und Südamerika betroffen. Für den drastischen An-stieg der Nahrungsmittelpreise hat Weltbank-Präsident Ro-bert Zoellick auch die wachsende Nachfrage reicher Ländernach Biokraftstoffen verantwortlich gemacht.Weitere Gründe sind Missernten, Dürren, Überschwemmungenund Spekulationen mit Getreide. Während die Weltbevölke-rung jährlich um 75 Millionen Menschen zunimmt, sinkt derAnbau von Reis, Weizen und anderen Grundnahrungsmitteln.Vor allem in den reichen Ländern werden Nahrungsmittelzunehmend zu Biotreibstoffen verarbeitet.Die Deutsche Welthungerhilfe hat in dem Zusammenhang da-rauf hingewiesen, dass sich von zwei Tankfüllungen aus Maisgewonnenem Biossprit in den Entwicklungsländern ein Men-sch ein ganzes Jahr lang ernähren könnte. Gefordert wirdHilfe für die Dritte Welt und ein rasches Nachdenken darüber,wie Erde und Natur sinnvoller und gerechter genutzt werden

können. Die Menschen in reichen Ländern sollten wenigerFleisch essen. Um ein Kilo Rindfleisch auf dem Markt anbietenzu können, müssen zuvor im Schnitt sieben Kilo Getreideaufgebraucht werden.

Fotomontage: Dieter Suhr

Hier Biosprit für Autos,woanders kein Essen für MenschenWeltweit wächst die Hungersnot, während Nahrungsmittel zu Sprit werden

14 SCHLESWIG-HOLSTEIN SOZIAL HEMPELS #145 05/2008

Hilfe im Paragrafendschungel

> Was ist für Alleinerziehende im Zusammenhang mit Hartz IVbesonders wichtig zu wissen? Was für Pflegebedürftige,Wohnungslose, Behinderte, Ausländer oder viele andere Men-schen? Auf 423 Seiten gibt der Leitfaden „ALG II – Sozialhilfevon A-Z“ Rat und Antworten. Die Auswirkungen der Hartz-Gesetze und die Regelungen des ALG II werden – auch für Laienverständlich – erklärt und anhand von Beispielen und rechts-kräftigen Urteilen belegt. Die Betroffenen werden nicht mit dempuren Gesetzestext und den oft unverständlichen Formulie-rungen allein gelassen, sondern erhalten Hilfe zu allen erdenk-lichen Fragestellungen rund um dieses Thema.Vertrieben wirdder Leitfaden von der AG TuWas, einer seit 1976 existierendenArbeitsgemeinschaft am Fachbereich Soziale Arbeit und Ge-sundheit der FH Frankfurt.Autoren sind Rainer Roth (Professorfür Sozialwissenschaften an der FH Frankfurt) und HaraldThomé (Referent für Arbeitslosen- und Sozialhilferecht undVorstand des Erwerbslosen- und Sozialhilfevereins Tacheles e.V.). Ziel ist es, dass Arbeitslose ihre schwierige Situation nichtalleine ertragen müssen, Selbstbewusstsein erlangen und dienötige Hilfe bekommen, um im Paragrafendschungel bestehenzu können. Unter über einhundert Stichworten werden Tippsgegeben. Geballte Unterstützung für acht Euro. Kontakt unter:www.agtuwas.de oder [email protected]

Text: Carsten Wulf

Leitfaden ALG IIKiel: St.Matthäus-Kirche wird Sozialkirche

> Seit den 70er-Jahren war sie Anlaufstelle evangelischer Chris-ten, seit kurzem sind weitere Aufgaben hinzugekommen: Ausdem St. Matthäus-Gotteshaus im Kieler Arbeiterstadtteil Gaar-den wurde eine Sozialkirche. Zusammen mit der EvangelischenStadtmission und der Kieler Tafel bietet die KirchengemeindeGaarden dort jetzt breit gefächerte Möglichkeiten der Hilfe undzur Freizeitgestaltung an. Die Tafel hat zudem in der Kirche ihreAusgabestellen für Lebensmittel gebündelt, die bisher in zweianderen und zu klein gewordenen Räumlichkeiten unterge-bracht waren.„Wir wollen etwas für den Stadtteil Gaarden tun. Die Menschenhier sollen einen Ort der Begegnung und der Hilfe haben“,erklärt Hartmut Rimkus, Mitverantwortlicher bei AMOS vonder Evangelischen Stadtmission. Luise Jakoby, stellvertretendeVorsitzende der Kieler Tafel, erläutert: „Es geht darum, dieMenschen von der Straße zu holen und ihnen eine Anlaufstellezu bieten. Gaarden soll wieder lebenswert werden.“ Die Kirchengemeinde St. Matthäus stellt das Gebäude, in demweiterhin auch gottesdienstliche und seelsorgerliche Angebotestattfinden werden. Die Kieler Tafel wird einen Teil der Räum-lichkeiten für ihren neuen Tafelladen nutzen und sechs Tage inder Woche Lebensmittel an bedürftige Menschen ausgeben. DieEvangelische Stadtmission Kiel wird über AMOS ein Café alsBegegnungsstätte „Feuerherz“ betreiben und soziale Beratung-en anbieten. Kulturelle und Bildungsangebote sollen im Ge-meinwesen initiiert werden. 40 Ein-Euro-Jobs sollen zur Unter-stützung der Angebote geschaffen werden.Insgesamt 125.000 Euro Kosten sind für das Projekt veran-schlagt, die von Kirche, Stadt und Land übernommen werden.Bisher läuft der Betrieb erst provisorisch, demnächst soll mitden endgültigen Umbauarbeiten begonnen werden. Pastor UweHagge von der Kirchengemeinde Gaarden rechnet damit, dassdie Sozialkirche bis spätestens Jahresende ihr neues Gesichtbekommen haben wird. Insgesamt ein Vorhaben, so betontenalle Beteiligten, das dazu beitragen kann, die Lebensqualitätim Stadtteil weiter zu steigern.

Text: Sarah Dieckmann

Foto: Dieter Suhr

Ort der BegegnungA

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15SERVICEHEMPELS #145 05/2008

Frühling: Balkonsaison hat begonnen

Stefanie Anschütz

> Jeder Mieter kann seinen Balkon nacheigenem Geschmack mit Tischen, Stüh-len, Bänken und Sonnenschirm möblie-ren, Rankgitter installieren und Blumenpflanzen, dort sitzen, essen, Gäste emp-fangen, rauchen – und auch grillen, wenndas nicht ausdrücklich und wirksamdurch den Mietvertrag untersagt ist. Wieimmer gilt der eigentlich selbstver-ständliche Grundsatz, dass die Nachbarnnicht übermäßig gestört werden dürfen.Daher muss einerseits alles ordentlichgesichert sein und andererseits sollte derMieter unzumutbare Immissionen ver-meiden: Blätter dürfen schon mal auf dennachbarlichen Balkon wehen, aberkeineswegs sollten beispielsweise Gegen-stände herunterfallen (können), Gießwas-ser nach unten tropfen oder dicke Rauch-

schwaden hinüberziehen. Das gilt insbe-sondere dann, wenn der Nachbar er-laubterweise schon die Voliere oder denTierkäfig draußen hat!Gegen allzu viel Sonne schützt eineMarkise, und auch eine Parabolantennefindet nicht selten noch Platz auf demBalkon.Aber Vorsicht: Deren Anbau mussder Vermieter zuvor nachweisbar ge-statten und eine Beeinträchtigung oderGefährdung der Substanz der Mietsachemuss ausgeschlossen sein – am sichers-ten ist die Installation durch einen Fach-betrieb. Die Erholung auf Balkonien kannnun beginnen – sofern das Wetter diekommenden Monate hoffentlich auchmitspielt. Ach ja: Auch die Balkon-Feierhat einmal ein Ende, ab 22 Uhr istNachtruhe! <

Experten vom Mieterverein zu Mietrechtsfragen

ALLES WAS RECHT IST

In unserer Kolumne „Alles was Recht ist“behandeln Expert/innen des KielerMietervereins aktuelle Mietrechtsfragen.Diesen Monat schreibt Volljuristin StefanieAnschütz. Bei Anregungen und Fragenkönnen sich unsere Leser/innen direkt anden Mieterverein Kiel wenden: Egger-stedtstr. 1, Tel. (04 31) 97 91 90.

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Außergewöhnliche Luftbilder der Fotografin Renate Prien

16 FOTOGRAFIE HEMPELS #145 05/2008

Schleswig-Holstein aus der Vogelperspektive

17FOTOGRAFIEHEMPELS #145 05/2008

> Luftbildaufnahmen faszinieren im-mer wieder – sie bieten dem Be-trachter eine Perspektive, die er odersie für gewöhnlich nicht kennt. Dabeiist es egal, ob eine Stadt aus derVogelperspektive gesehen wird oderob es sich um künstlerische Aufnah-men handelt, bei denen Details undStrukturen dargestellt werden. DieHamburger Fotografin Renate Prienhat diese Art der Fotografie schon vorJahren für sich entdeckt. Sie ver-bindet das Interesse ihres Mannes,das Ultraleichtfliegen, mit ihremeigenen Interesse an der Fotografie.So sind in den vergangenen fünfJahren über Schleswig-Holstein weitmehr als zweitausend Luftaufnah-men entstanden, welche die land-schaftliche Vielfalt spiegeln. Die bes-ten Aufnahmen sind Teil einerWanderausstellung, die im Juni undJuli im Ratzeburger Rathaus sowieanschließend bis August im Rathausin Reinbek zu sehen sein werden.Außerdem wird Fotografin Prien fürdas Jahr 2009 aus ihren Aufnahmenwieder einen Fotokalender erstellen.Auch einzelne Bilder können, gerahmtoder ungerahmt, erworben werden.Informationen hierzu sowie weitereLuftbilder unter:www.fotokunst-hamburg.de

Text: Dieter Suhr

Ein Motiv, das man nicht alle Tagevor die Linse bekommt. Der Nord-Ostsee-Kanal bei Rendsburg miteinem Regenbogen – und das allesaus der Vogelperspektive

18 FOTOGRAFIE HEMPELS #145 05/2008

Die Stadt Plön, umgeben von Seen. ZurOrientierung: In der unteren linken Bild-hälfte die Bundesstraße 76 von Kiel auskommend, die sich nach oben rechts an Plönvorbei in Richtung Eutin fortsetzt. Amrechten Bildrand in der Mitte das PlönerSchloss und die Nikolaikirche am Markt

19FOTOGRAFIEHEMPELS #145 05/2008

Unten: Der wohl bekannteste Leuchtturm Deutschlandssteht eingebettet in der Salzwiesenlandschaft Wester-heversands auf der Halbinsel Eiderstedt nahe St. Peter-Ording – das Merkmal für Schleswig-Holstein schlechthin.Der Leuchtturm selber ist noch in Betrieb, in den beidenbaugleichen Häusern ist heute die Schutzstation Watten-meer untergebracht

Ganz unten: Halbzeit – während in der oberen Bildhälftebereits die fertig gepressten Strohballen liegen, hat derBauer die andere Hälfte des Feldes noch vor sich

20 FOTOGRAFIE HEMPELS #145 05/2008

Ganz oben: Stillgestanden – dieses Bild ausder Reihe „Ostseeidylle“ zeigt in Reih' undGlied stehende und Schatten werfendeStrandkörbe an der Ostsee

Oben: Ein Foto aus der Reihe „Felder“. Nahe-zu geometrische Spuren der Traktoren aufzwei farblich unterschiedlichen Feldern,getrennt durch die fast perfekte Diagonaleeiner Allee. Interessant auch bei diesem Bild:der Schattenwurf der Bäume

21FOTOGRAFIEHEMPELS #145 05/2008

Kontrastreich – Felder in Schleswig-Hol-stein. Natürlich nicht ohne das für unserLand typische Rapsfeld

22 TIPPS HEMPELS #145 05/2008

FRANK SPILKER GRUPPE: Mit All Den Leuten

Frank Spilker ist bekannt als Sänger undGitarrist der Band Die Sterne, mit denen erneben Tocotronic und Blumfeld zu denwichtigsten Vertretern der HamburgerSchule zählt. Nach 16 Jahren Bandge-schichte nun sein erstes Soloalbum. Zu-sammen mit einem Bassisten, einemSchlagzeuger und weiteren befreundetenGastmusikern bildet er die Frank SpilkerGruppe.Auf „Mit All Den Leuten“ tobt sichder 41-Jährige aus und verwirklicht dieIdeen, die nicht in das stilistische Korsettseiner Hauptband passen. Neben einigenSongs,die an Die Sterne erinnern,wechselter bei den übrigen Stücken oft das Genreund singt bei zwei Liedern auch erstmalsauf Englisch. Elektronische Spielereientreffen auf Folk und Blues und machen dasAlbum zu einem abwechslungsreichenHörgenuss.

NO KIDS: Come Into My House

„Come Into My House“ ist das erste Albumdes kanadischen Trios No Kids. Die Mit-glieder – die Multiinstrumentalisten Juliaund Justin und der Singer/SongwriterNick – waren allerdings vorher der Kernder Band P:ano und veröffentlichten indieser Zeit fünf Platten. Diese Erfahrungspiegelt sich in ihrem neuen Werk. Unter-schiedliche Einflüsse aus 80er-Pop, EasyListening, Klassik, RnB und Broadway-Musicals verbinden sich mit tanzbarenBeats. Trotz komplexer Arrangementsbesticht das Album durch eine unglaub-liche Leichtigkeit. Für mich die perfekteMusik für einen wunderschönen Früh-lingstag, für ein Picknick im Park, umge-ben von duftenden Blumen und wärmen-den Sonnenstrahlen.

Frank Spilker GruppeMit All Den LeutenStaatsakt

No KidsCome Into My HouseTomlab

ELKE REICHART: Deutschland, gefühlte Heimat

PAUL HAGGIS:Im Tal von Elah

Kürzlich war ich in einem Film, der michrasch ganz kirre zu machen drohte. Alsoflüchtete ich nach zwanzig Minuten inden Nachbarsaal, wo das neue Werk „ImTal von Elah“ von Paul Haggis („MillionDollar Baby“, „L.A. Crash“) gerade begon-nen hatte – und der Abend war nochgerettet. Etwas zäh auch hier die erstehalbe Stunde, doch dann laufen TommyLee Jones, Charlize Theron und SusanSaradon wie gewohnt zu guter Form auf.Mike, ein Rückkehrer aus dem Irak-Krieg,wird nahe seines Stützpunktes ziemlichunschön ermordet gefunden und seinVater Hank (Lee Jones) sucht zusammenmit der Polizistin Emily (Charlize Theron)den Täter – wobei ihnen seitens derMilitärs und der (männlichen) Kollegenvon Emily viele Steine in den Weg gelegtwerden. Parallel dazu entdeckt Hankdank des Handys seines Sohnes peu apeu, dass er seinen Sohn wohl nichtwirklich gekannt hat. Oder hat der Kriegden Sohn so sehr verändert? Da ist dieFantasie der Zuschauer gefragt. DochFakt ist, dass hier ein sehr ruhiger undzugleich bewegender und intelligenterAnti–Kriegsfilm entstanden ist, ohne imIrak zu spielen oder völlig zerrütteteRückkehrer zu zeigen. Im Gegenteil. Diebefragten Kameraden von Mike zeigensich kühl und abgebrüht. Häufig wird inGroßaufnahmen das Gesicht von TommyLee Jones gezeigt und wie es in ihm ar-beitet, wie er leidet. Als er dem unglaub-lichen Geständnis des Täters beiwohnt,spiegelt sein Gesicht das ganze Entsetzendarüber wieder, was Kriege aus Men-schen machen können. Kein umwerfenderFilm, aber ein wichtiger. Den Oskar hätteauch Jones verdient. Bleibt mir zu hoffen,dass die Amerikaner bald einen besserenPräsidenten wählen werden.

Paul HaggisIm Tal von Elah

Elke ReichartDeutschland, gefühlte HeimatMit Fotos von K. Künster; dtv

ZUGEHÖRT DURCHGELESEN ANGESCHAUTMusiktipps von Carsten Wulf

Buchtipp von Ulrike Fetköter

Filmtipp von Oliver Zemke

Jede vierte Jugendliche, jeder vierteJugendliche in Deutschland hat mittler-weile einen sogenannten Migrations-hintergrund – soll heißen: Diese jungenMenschen oder ihre Eltern sind irgend-wann aus den unterschiedlichstenGründen aus anderen Ländern nachDeutschland gekommen: ausgewandert,geflüchtet, vertrieben worden.Stefan aus Kasachstan brauchte fünfTage in einem alten Reisebus für die Rei-se nach Deutschland. Er erwartete Si-cherheit und eine Zukunft und landetemitten in einer Katastrophe. Rami ausPalästina ließ für ein Studium im Friedendie geliebte Heimat zurück. Doch dieSpätfolgen des Bombenterrors, unter de-nen er jahrelang gelitten hatte, holten ihnauch in Deutschland wieder ein, er wurdesehr krank. Mable aus Ghana, Tochtervon politisch Verfolgten, lebte zehn Jahrein einem Hamburger Asylbewerberheim.Isabella aus Bolivien ist illegal in Mün-chen untergekommen und hofft auf dieLiebe eines deutschen Mannes.So fangen die Geschichten an, die dieJournalistin Elke Reichart gesammelthat. Mit der Frage, was diesen Jugendli-chen Heimat bedeutet, ist sie auf dieReise durch das EinwanderungslandDeutschland gezogen, um in Gesprächenmit ausgewählten Interviewpartnern dieStimmung in der Nation zu erfassen.Herausgekommen sind faszinierende Er-fahrungsberichte aus einer Welt, diedirekt neben der unseren existiert und zuder wir dennoch selten Zugang haben.Herausgekommen ist auch ein feinesBüchlein, das Interesse und Empathie anden verschiedenen Schicksalen weckt, diesich in unserem Land zusammenfinden.

23VERANSTALTUNGENHEMPELS #145 05/2008

FR 2. 5. / 20 UHR

FL: Achim Reichel und Band

Achim Reichel gilt als Urvater der deutschenRockmusik. Er ist authentisch, einzigartig unddamit eine Ausnahme im schnelllebigenMusikgeschäft. Wenn Achim Reichel mit seinerBand die Bühne im Deutschen Haus in Flens-burg betritt, kann sich das Publikum sichersein, ein unvergessliches Konzert zu erleben.

SA 10. 5. / 21 UHR

Handgemachter Bues in Schleswig

Die Hamburger Musiker „McEbel & Mr. Lite-field“ spielen in der Brauerei Schleswig (König-str. 27) ursprünglichen Blues mit Unterhal-tungswert, gewürzt mit einer Portion Swing, beidem der Spaß mit Sicherheit nicht zu kurzkommen wird.

DI 13. 5., 26. 5. / 18.30 UND 20.30 UHR

Kiel: Neues Stück vom ZIP-Theater

Auch im neuen Stück der Kieler „ZIP-Theater-gruppe“ geht es um das sensible Thema Psychia-trie. Erarbeitet wurde es von dem HamburgerTheaterregisseur Jan Stephan Hillebrand sowiePatienten/innen und Mitarbeiter/innen desZentrums für Integrative Psychiatrie. Zu sehenist es im Kieler KulturForum (Andreas-Gayk-Str. 31). Weitere Infos unter www.zip-kiel.de

DO 15. 5. / 19.30 UHR

Rock- und Blues-Oldies in Kiel

Rock – und Bluesoldies der 60er, 70er und 80erJahre sind das Genre der Kieler Band „SevenT's“. In der Forstbaumschule stellt die Bandihre CD „Ich steh auf Kiel“ vor. Außerdem wirdein T-Shirt zu Gunsten krebskranker Kinder ver-steigert.

FR 16. 5. / 20 UHR

Kiel: „Bagger” von Henning Mankell

Das Kultstück „Bagger” ist nochmals an nur vierAbenden im Theater Die Komödianten zusehen. Ein Muß für jeden Fan und alle die, die esnoch nicht gesehen haben. In der Hauptrolledieser deutschsprachigen Erstaufführung bril-liert Markus Dentler. Weitere Termine: 17., 23.und 24.5. jeweils 20 Uhr.

SA 17. 5. / 20 UHR

Kubanische Musik in Kiel

Der „Son“ ist mehr als nur die wunderbarzeitlose Musik Kubas. Er ist Sinnbild für karibi-sche Lebensfreude und begeistert mit seinerLeichtigkeit ein weltweites Publikum. Das FES-TIVAL SON CUBA in der Pumpe in Kiel bieteteinen authentischen Einblick in die enormeVielfalt der kubanischen Musik.

SO 18. 5. / 16 UHR

Literaturcafé in Husum

Juliane Ziegler engagierte sich als Juristin fürdie Rechte von Flüchtlingen, für Opfer vonFolter und Kriegsverbrechen und kam 1999, mit27 Jahren, bei einem Flugzeugabsturz im Koso-vo ums Leben. In ihrem Nachlass fanden ihreEltern unerwartet eine Vielzahl von Gedichtenin denen deutlich wird, wie sehr sie mit Tod undSterben konfrontiert wurde, welche Spannung inihr durch Abschied und Trennung entstandensein muss. Therese Chromik, selbst Dichterin,liest im Husumer Speicher aus den Werken vonJuliane Ziegler.

MI 21. 5. / 19.30 UHR

Kiel: Kultursommer Russland mit Lesung

Im Rahmen des Russischen Kultursommersliest die in St. Petersburg aufgewachseneKünstlerin Olja Kozlova zum Abschluß ihrerAusstellung „Der Raum der unbekanntenSprache“, die noch bis zum 21. Mai im Werkhof(Feldstr. 100) zu sehen ist, eigene Texte indeutscher und russischer Sprache.

FR 23. 5. / 20 UHR

Kabarett in Schleswig

Im Rahmen der Landesgartenschau 2008präsentiert Bernd Stelter mit seinem Programm„Mittendrin“ im Nospa Festpavillon auf demGelände der Gartenschau ein Spitzen-Kabarett.

MO 26. 5. / 20 UHR

Rendsburg: Spanische Musik

Das Duo Ariana Burstein (Violoncello) und Ro-berto Lagnani (Gitarre) präsentiert sein neuesTournee-Programm Serenata Española im Jüdi-schen Museum, Rendsburg, Prinzessinstr. 7-8.

SA 31. 5. / 19 UHR

Kiel: Sommerfest Auslandsgesellschaften

Hören, sehen, riechen, schmecken – das Festzeigt, wie vielfältig Kultur in Kiel ist. AlleKieler/innen sowie ausländischen Mitbür-ger/innen sind eingeladen zum großen Som-merfest der Kieler Auslandsgesellschaften imKulturForum in der Andreas-Gayk-Str. 31.

SA 31. 5. / 20.30 UHR

Kurzfilme aus S-H in Eckernförde

Die „Filmtournee unterwegs“ präsentiert jedesJahr neue preisgekrönte Kurzfilme ausSchleswig-Holstein. Die meisten der gezeigtenFilme wurden bereits auf nationalen undinternationalen Festivals mit Preisen undPrädikaten ausgezeichnet. Zu sehen sind dieFilme im KoKi im Veranstaltungszentrum DasHaus (Reeperbahn 28). Weitere Termine unter:www.filmtournee-unterwegs.de

VERANSTALTUNGEN IM MAI

24

jährige Tochter. Nach der Haft habe ich sogar zwei Jahre alsFestangestellter im Gartenbau gearbeitet.Aber dann wurde icharbeitslos und habe keine Arbeit mehr gefunden. So bin ichlangsam in Kontakt zu illegalen Drogen gekommen und wurdeabhängig. Auch ein Grund, warum unsere Ehe scheiterte.Nach der Scheidung musste ich wieder von ganz untenanfangen. Ich war von Hartz IV abhängig, drogensüchtig undhatte überhaupt keine Perspektiven mehr.Aber dank HEMPELSkonnte ich nochmal von vorne beginnen. Da ich mich ehregelmäßig im Kieler HEMPELS-Café „Zum Sofa“ aufhielt,begann ich auch mit dem Verkauf unserer Straßenzeitung.Angst vor der Verkaufssituation oder vor der Reaktion deranderen Menschen hatte ich nie. So habe ich es geschafft, mich

„Ich fühle mich gebraucht“

HEMPELS-Verkäufer Joachim Eybe, 39, aus Kiel stellt sich vor

> Ja, jetzt sitze ich auch mal auf dem Sofa und darf über michberichten. Was gibt es denn überhaupt über mich zu erzählen?Ich denke, wichtig ist im Moment, dass ich mein Leben langsamwieder in den Griff bekomme. Seit zwei Jahren verkaufe ich nunschon in Kiel HEMPELS. Und demnächst werde ich zu den-jenigen Verkäufern gehören, die richtig mit Vertrag festangestellt sind. Ein paar Kollegen haben ja bereits Anfang Aprilauf einem solchen festen Arbeitsplatz angefangen, ich werde inden nächsten Wochen folgen. Darauf freue ich mich riesig. Dennmein Leben bekommt so wieder einen besonderen Sinn. Ichfühle mich gebraucht, mein Selbstbewusstsein ist schon jetztsehr gewachsen. Das macht es mir viel leichter, meinen Tag zustrukturieren. Ich habe jetzt auch weniger Angst vor derZukunft.Früher war das nicht so. Vor zwanzig Jahren war mein Lebennoch ziemlich chaotisch. Mit 18 bin ich von Kiel aus durchEuropa getrampt, zuerst nach Spanien, dann nach Marseille ander Côte d'Azur. Obwohl ich gar kein Französisch konnte. Aberin Marseille gab es so viele deutsche Obdachlose, dass ich dieseSprache nie lernen brauchte. Zwischendurch habe ich mich mitAushilfsjobs über Wasser gehalten, manchmal leider auch mitkleinen Einbrüchen. Meistens habe ich einfach auf der Straßegelebt. Als ich nach einigen Jahren wieder zurück inDeutschland war, wurde ich wegen Diebstahls verhaftet. DieFolge: zwei Jahre Haft im Kieler Knast. Erstaunlicherweisehabe ich das nicht als so schlimm wahrgenommen. Im Knasthabe ich sogar alte Bekannte von früher getroffen.Nach meiner Entlassung habe ich geheiratet. Aus dieser Ehe,die inzwischen wieder zerbrochen ist, stammt meine heute 14-

BEI HEMPELS AUF DEM SOFA

AUF DEM SOFA HEMPELS #145 05/2008

25AUF DEM SOFAHEMPELS #145 05/2008

langsam von den Drogen zu lösen und eine Substitution zubeginnen. Außerdem habe ich mittlerweile wieder eine eigeneWohnung. Im Moment werde ich zwar immer noch substi-tuiert. Ich denke aber, ich könnte es in Zukunft mit etwas Glückschaffen, vollkommen drogenfrei zu leben.Denn dank des Verkaufs des Straßenmagazins habe ich re-gelmäßig soziale Kontakte. Ich schaffe es durch eine sinnvolleBeschäftigung, einen festen Tagesablauf einzuhalten. Das mitdem gewachsenen Selbstbewusstsein habe ich ja schon erzählt.Meine Kunden kommen regelmäßig, schnacken mit mir oderladen mich manchmal sogar zum Kaffee ein. Auch die Leiterder Märkte, vor denen ich verkaufe, behandeln mich sehrfreundlich und zuvorkommend.

Dass ich bald sogar fest angestellter Verkäufer bei HEMPELSsein darf, motiviert mich noch mehr. Dafür möchte ich michauf jeden Fall hier mal richtig bedanken. Ohne HEMPELS sähemein Leben bestimmt anders aus. Ich kann mich jetzt langsamvom Jobcenter lösen und habe endlich ein wenig mehr Geld.Und ich habe es geschafft, mich von jemandem, der mit Drogenzu tun hatte, zum HEMPELS-Verkäufer hochzuarbeiten, derhoffentlich bald vollkommen drogenfrei leben kann.Vielleichthabe ich irgendwann sogar wieder regelmäßigen Kontakt zumeiner Tochter, das wäre dann ganz große Klasse!

Aufgezeichnet von: Sarah Diekmann

Foto: Dieter Suhr

Ja, ich möchte HEMPELS unterstützen!Fördermitgliedschaft

Ich möchte Fördermitglied von HEMPELS werden und zahle monatlich / jährlich Euro

Einzug (erfolgt bei Beträgen unter5,- pro Monat vierteljährlich)

Überweisung auf das Konto 1 316 300 bei der EDGBLZ 210 602 37

HEMPELS e.V. ist vom FinanzamtKiel (Nord-GL 4474) als mildtätiganerkannt.StNr. 1 929 184 342

Meine Anschrift

Name,Vorname

Straße, Hausnummer

PLZ, Ort

Telefon

E-Mail

Bankverbindung (nur bei Einzug)

Konto-Nr.

Bankleitzahl

Bankinstitut

Datum, Unterschrift

Das Straßenmagazin für Schleswig-Holstein

26 CHATROOM HEMPELS #145 05/2008

Welche Eigenschaft bewunderst du bei anderen Men-schen am meisten?EhrlichkeitWas ist deine stärkste Eigenschaft?Ich denke, meine Hilfsbereitschaft.Was deine Schwächste?Meine Sucht.Deine größte Leistung im Leben?Dass ich meinen Hauptschulabschluss geschafft habe.Die schlimmste Niederlage?Meine zwei Kinder musste ich in eine Pflegefamilie geben.Wem würdest du gerne (wieder) mal begegnen?Meiner Schwester, zu der ich den Kontakt verloren habe.Wem auf keinen Fall?Den Pflegeeltern meiner Kinder.Ein schöner Tag ist ...... wenn ich es geschafft habe, mal nicht so viel an meineKinder zu denken.Ein schrecklicher Tag ist ...... wenn es mit dem HEMPELS-Verkauf nicht so läuft.Die größte Leistung, die ein Mensch erbracht hat, ist …Eine suchtabhängige Freundin kümmert sich ganzallein und sehr liebevoll um ihre vier Kinder. Eine ganzgroße Leistung!Welche Ziele hast du im Leben?Sehr gerne weiter erfolgreich HEMPELS verkaufen.Glück und Zufriedenheit bedeuten für mich …Dass meine Kinder eine bessere Zukunft haben werden,als ich eine Vergangenheit hatte.In einem politischen Amt würde ich ...... etwas gegen Armut tun.Mit 10.000 Euro würde ich ...Das Geld würde ich meinen Kindern geben..

Diesen Monat HEMPELS-Verkäuferin

KATJA SUPPLITT, 31, KIEL

AUF DER STRASSE

Wohnung gesucht: HEMPELS-Verkäuferin Angela sucht inKiel kleine Wohnung. Möglichst Nähe Südfriedhof/Wilhelm-platz/Exerzierplatz. Bin Hartz IV-Empfängerin. Bitte meldenim HEMPELS-Büro: (04 31) 67 44 94.Hund abzugeben: Terrier-Mix, vier Jahre alt, gegen Schutzge-bühr. (01 52) 03 38 74 06.

„Gutes Verkäufer-Porträt“Zu: HEMPELS Nr. 143Auch die März-Ausgabe ist wieder toll – besonders gefreuthabe ich mich über das Porträt der HEMPELS-Verkäufer An-drea und Thorsten aus Flensburg.Anja Reiß, Heikendorf

„Gelungen“Zu: HEMPELS Nr. 143Vielen Dank für das gelungene März-Heft!Marion Rietzke-Spengler, per E-Mail

„Danke“Zu: Preisrätsel in HEMPELSGanz herzlichen Dank für den Essengutschein, den ich beiIhrem Preisrätsel gewonnen habe. Ich habe ihn heute zusam-men mit meinem Mann eingelöst.Vielen Dank auch für die Zei-tung – die ist spitze!Rosemarie Jahn, Kiel

„Gefreut“Zu: HEMPELS Preisrätsel Nr. 143Ich habe bei Ihrem März-Preisrätsel gewonnen und heute denGewinn erhalten und mich wirklich gefreut. Recht herzlichenDank dafür. Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles nur er-denklich Gute.Thorsten Clausen, per E-mail

„Anerkennung“Zu: HEMPELS allgemeinMeine Anerkennung für eure ambitionierte und gelungene Ar-beit!Joachim Wagner, Husum, per E-mail

LESERBRIEFE

KLEINANZEIGEN

HEMPELS feiert mit VerkäufernSeit 13 Jahren gibt es mittlerweile HEMPELS – Grundgenug, um unsere Verkäuferinnen und Verkäufer zu einerkleinen Feier einzuladen. Die wird stattfinden am Freitag,9. Mai, zwischen 16 und 22 Uhr in unserem Vereinscafé„Zum Sofa“ in der Kieler Schaßstraße 4. Der Eintritt istnatürlich frei, für Essen vom Grill wird gesorgt sein.

27CHATROOMHEMPELS #145 05/2008

Wie der Kieler HEMPELS-Verkäufer Frank Schmidt (Foto) seine Arbeit erlebt

> Ein noch kalter Frühlingstag. Wir sind mit HEMPELS-Verkäufer Frank Schmidt in der Kieler Innenstadt unterwegs,um mit ihm über seine Erlebnisse während der Verkaufsarbeitzu sprechen. An der Rolltreppe am Holstentörn drängeln sichMenschen, die auf dem Weg in das benachbarte warmeEinkaufszentrum sind. Mitten in dem Gewühl steht Frank voreiner Säule und wartet auf Kundschaft. Aus einer kleinenGruppe, die jetzt an ihm vorbeizieht, werden plötzlich ein paarunfreundliche Worte gerufen. Eine andere junge Frau, diegerade eine Zeitung gekauft hat, schaut der Gruppe entrüstethinterher. „Dafür fehlt mir jeder Verstand“, ruft sie, „HEMPELSist eine sinnvolle Sache. Darüber sollte man sich nicht lustigmachen, man sollte die Menschen unterstützen.“ VerkäuferFrank freut sich über den Beistand und lächelt dankbar.Seit einem halben Jahr verkauft der 45-Jährige FrankHEMPELS – immer mit HEMPELS-Mütze auf dem Kopf und inSichtweite seines blauen Fahrrads. Seit kurzem gehört er zuunseren ersten Verkäufern, die einen festen sozialversiche-rungspflichtigen Arbeitsplatz mit 30-Stunden-Woche haben.Seitdem ist sein Verkaufsplatz am Haupteingang vom CITTI-Park in Hassee. „Meist bekomme ich bei meiner Arbeitaufmunternde Worte zu hören“, erzählt Frank, „nur manchmalgab es in der Vergangenheit blöde Reaktionen. Einmal wurdeich auch als Sozialschmarotzer beschimpft. Da bin ich schonböse geworden, schließlich verdiene ich mir hier Geld miteigener Arbeit.“ Nicht immer ist es für Verkäufer wie Frank einfach, ihrer Arbeitnachzugehen – egal, ob fest angestellt oder nicht. Manchmal

habe er auch das Gefühl, erzählt er, dass Passanten ihn bemühtübersehen würden. Oder ihn aber für einige Sekundenneugierig betrachten, bevor sie verschämt zur Seite blicken.Diesen Menschen fällt es dann offensichtlich schwer, mitöffentlich sichtbarer Armut umzugehen. Doch trotz dieserErfahrungen verkauft Frank sehr gerne. „Ich habe viele netteKunden, etliche aus der Mittelschicht, aber auch viele, dieoffenbar selbst wenig Geld besitzen.“ Ein paar Mal wurden ihmvor seiner Festanstellung bei HEMPELS auch kurzfristigeAushilfsjobs angeboten, „wieder andere haben einfach ein paarfreundliche Worte für mich übrig.“Der Verkauf der Straßenzeitung bedeutet für Verkäufer wieFrank Unabhängigkeit vom Arbeitsamt und bietet sogleich einesinnvolle Aufgabe. „HEMPELS ist mein persönliches Sprung-brett zurück in das normale Leben“, sagt Frank, dessen Lebenin der Vergangenheit nicht immer gradlinig verlaufen ist. Großdarüber berichten möchte er an dieser Stelle nicht. Aber „ohnedas Straßenmagazin hätte ich den Weg zurück nicht geschafft.“

Text: Sarah Dieckmann

Foto: Dieter Suhr

„Mein Sprungbrett zurück ins normale Leben“

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HEMPELSDas soziale Straßenmagazin

für Schleswig-Holstein

Nie am Kiosk –

nur bei unseren Verkäufer-

innen und Verkäufern

> Er war Besucher der ersten Stunde im Flensburger Tagestrefffür Wohnungslose am Johanniskirchhof: Dirk Herbert Hansenhat sein gesamtes Leben im Johannisviertel verbracht, wo erzum Stadtbild gehörte. Anfang März wurde der 55-Jährigehilflos vor seinem Elternhaus aufgefunden. Am 13. Märzverstarb Hasi, wie ihn alle nannten.Nachdem er hilflos vor seinem Elternhaus gefunden wordenwar, kam Hasi im Krankenhaus noch mal unter ärztlicheAufsicht, wogegen er sich in seinem Leben immer zur Wehrgesetzt hatte. Noch wenige Tage vor seinem Zusammenbruchweigerte er sich – auf seinen Gesundheitszustand angesproch-en – vehement, Hilfeangebote in Anspruch zu nehmen. So warer. Er wollte einfach machen, was und wann er will. Er wolltenicht bevormundet oder gar betreut werden. So hat Hasizwanzig Jahre intensiv und exzessiv draußen auf der Straßegelebt. Wir kannten ihn jedoch auch als humorvollen Besucherunserer Einrichtung, der alle anderen beim Kreuzworträtselausgestochen und immer einen passenden Spruch auf Lagerhatte. Man kann nur erahnen, welche Ereignisse im Leben ihnin früheren Jahren aus der Bahn geworfen haben. Zur Trauer-feier mit Pastor Nolte kamen in der Johanniskriche rund 25Freunde, Bekannte und Mitarbeiter des Diakonischen Werkeszusammen.

Text: Michaela Ketelsen

FL: TAT-Besucher „Hasi” totEckernförder Str. 20, 24103 KielZufahrt über Möllingstr. 19

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Geboren am 5. 2. 1963

Gestorben am 10. 3. 2008

HEMPELS-Verkäufer Frank aus Husum starb völlig unerwartet und hinterlässt seine Freundin und ein kleines Kind. Wir werden ihn als lebens-

lustigen und immer sehr hilfsbereiten undzuverlässigen Menschen in Erinnerung behalten.

Kollegen und Freunde aus Husum

29CHATROOMHEMPELS #145 05/2008

Wie eine Studentin während eines Praktikums die Arbeit von HEMPELS kennenlernte

> Früher dachte ich immer, dass der Name HEMPELS aus-schließlich für das Straßenmagazin steht. Schließlich kann mandie Zeitung in großen Teilen von Schleswig-Holstein jedenMonat bei vielen Verkäuferinnen und Verkäufern erwerben. Undin der Redaktion einer sozialen Zeitung wollte ich,Volkskunde-Studentin an der Uni Kiel, unbedingt mein Praktikum machen.Als ich damit in der Redaktion begann, stellte ich erstaunt fest,dass HEMPELS viel mehr als „nur“ ein Straßenmagazin ist.Denn hinter dem Namen verbirgt sich ein vielfältiges Angebotfür Obdachlose und andere Menschen in Armut. DieStraßenzeitung ist nur eine, wenn auch wichtige Säule derHEMPELS-Arbeit.Das rege Leben in dem Rotklinkerhaus in der Kieler Innenstadtist von der Straße aus kaum zu erkennen. Kein Schild zeigt an,dass hier HEMPELS zu finden ist. Zum Glück konnte mir eineTafel mit der Aufschrift „Zum Sofa“ – dem Namen des HEM-PELS-Cafés – helfen, den Weg zu finden. Hinter der einfachenäußeren Fassade der Schaßstraße 4 verbergen sich neben denArbeitsräumen der Straßenzeitung auch eine vom TrägervereinHEMPELS betriebene Küche, ein niedrigschwelliger Sozial-dienst und das Café „Zum Sofa“. Außerdem arbeitet im selbenHaus auch die Evangelische Stadtmission. Drei Sozialpäda-gogen betreuen dort auf einer Etage den Tagestreff undKontaktladen sowie den Mittagstisch „Manna“.Das Mittagessen des Kontaktladens bereitet die HEMPELS-Küche zu, die von der Hauswirtschafterin Jutta Vollstedt, 57,geführt wird. „Diese ehrenamtliche Arbeit macht mir immernoch viel Spaß“, sagt Jutta. „Ich kann mir vorstellen, hier nochlange zu wirken.“ Die HEMPELS-Küche bereitet aus gespende-tem Essen täglich etwa hundert Mahlzeiten zu, die in zweiKieler Kirchengemeinden und in der Tageswohnung zu günsti-gen Preisen angeboten werden. „Vor Hartz IV haben vor allemAlkohol- und Suchtkranke unser Angebot genutzt“, erklärtJutta. „Mittlerweile kommen auch Rentner und andere Leutemit wenig Geld.“Auch Catharina Paulsen, 40, ist mit der wachsenden Armutkonfrontiert. Sie bietet bei HEMPELS die niedrigschwelligeSchuldner- und Suchtberatung an. „Die Leute kommen zu mir,wenn sie Miete, Strom oder andere Rechnungen nicht mehrbezahlen können“, sagt sie. „Oft erscheinen sie in letzter Minuteund wissen nicht mehr weiter.“ Auch sie möchte ihren Job nichtmissen. Seit zwölf Jahren ist sie zudem ehrenamtlich imHEMPELS-Vorstand tätig.Dieses soziale Engagement lässt sich auch bei den Mitarbei-tern im „Sofa“-Café beobachten. Vor neun Jahren wurde eseröffnet und bietet seither sozial benachteiligten Menscheneinen Aufenthaltsort, an dem sie sich ungestört treffen können.Getränke werden zu günstigen Preisen angeboten. „LegaleDrogen wie Wein oder Bier können hier in Ruhe konsumiertwerden, Hunde sind erlaubt. Aber gegen Gewalt schreiten wirein“, erklärt Tessi, 47, Tresenmitarbeiter und „Deeskalations-manager“ des Cafés. „Es geht darum, diese Menschen zu inte-grieren und ihnen neue Perspektiven zu eröffnen.“ So bietet das„Sofa“ auch zwei Computerplätze an, von denen aus im Internetrecherchiert und Bewerbungen geschrieben werden können.Für eine bessere Integration dieser Menschen engagiert sich

seit der Gründung im Jahr 1996 auch das Straßenmagazin, fürdie breite Öffentlichkeit das eigentliche Gesicht von HEMPELS.Es wird von ungefähr 200 Verkäufern in weiten Teilen Schles-wig-Holsteins zwischen Kiel und Husum, Flensburg undRendsburg verkauft und ist über die Jahre mit inzwischenmonatlich knapp 15.000 verkauften Heften zu einer wichtigenStimme bei der Diskussion sozialer Fragen geworden. DieVerkäufer des Magazins haben über ihre Arbeit zudem Chanceund Aufgabe zugleich, ihr alltägliches Leben neu organisierenzu können.Der Trägerverein HEMPELS ist zudem ein wichtiger Koope-rationspartner in sozialen Fragen für verschiedenste schleswig-holsteinische Institutionen. „Bei der Gründung vor 13 Jahrenwollte man ein Sprachrohr für Menschen und Themen schaffen,die in der Öffentlichkeit sonst kein Gehör finden“, sagt Ge-schäftsführer Jochen Schulz. „Außerdem sollten möglichstniedrigschwellige Arbeitsangebote geschaffen werden, umMenschen aus der Armut zu helfen.“ Ein weiteres großes Projektauf diesem Weg ist in Arbeit: Vorstand und Geschäftsführungvon HEMPELS bereiten zurzeit die Gründung einer eigenenlandesweiten Stiftung zur Bekämpfung von Armut und sozialerAusgrenzung vor.Um diese Ziele weiterhin verfolgen zu können, ist viel Engage-ment notwendig. Bei meiner Recherche ist mir bewusst ge-orden, wie viel Arbeit hinter HEMPELS steckt. Trotzdem odergerade auch deshalb hat man das Gefühl, dass alle Mitarbeitermit Leidenschaft bei der Sache sind. Ohne Unterstützung vonaußen wäre diese Arbeit aber nicht möglich. Wer HEMPELSunterstützen will, kann dies zum Beispiel mit Spenden tun.VomFinanzamt Kiel ist HEMPELS als gemeinnützig anerkannt.Spendenkonto HEMPELS: Kto-Nr. 1 31 63 00 bei der EDG, BLZ:21 06 02 37. Auch die HEMPELS-Stiftung kann jetzt schonunterstützt werden: Kto-Nr. 54 11 25, EDG, BLZ: 21 06 02 37.

Text: Sarah Dieckmann

Foto: Dieter Suhr

HEMPELS – mehr als nur erfolgreiche Straßenzeitung

30 REZEPT / KARIKATUREN HEMPELS #145 05/2008

Unser Kieler Verkäufer Thorsten Sven Söhrens, 32,präsentiert uns diesen Monat seinen selbst ausgedach-ten Thunfischsalat. Die Idee kam ihm, weil er früherregelmäßig mit seinem Vater auf der Insel Ibiza war. DerTag wurde dort für Thorsten erst richtig gut,wenn er ihnmit einem oder zwei Thunfischsandwiches beginnenkonnte. Um dieses Ibiza-Lebensgefühl auch in Kiel abund zu genießen zu können, bereitet Thorsten sich,seiner Freundin und deren zwei Kindern öfter einenThunfischsalat nach eigener Kreation zu.

Zwiebeln schälen, in Würfel schneiden, dann Peperoniund Oliven zerkleinern. Anschließend aus einer DoseThunfisch das Öl ablaufen lassen, den Fisch zusammenmit dem Inhalt der anderen Dose mit dem Quark ver-mischen. Die Mischung gut durchrühren und mit Maggi,Pfeffer und Paprikagewürz nach Belieben würzen. DenSalat zum Schluss gut durchziehen lassen. Zu demThunfischsalat können Baguettes gereicht werden, gerneauch mit Kräuterbutter.

Guten Hunger wünscht Thorsten!

HEMPELS-KARIKATUR von Bernd Skott HAIOPEIS von Thomas Siemensen

HEMPELS präsentiert Koch-Ideen:

ThorstensThunfischsalat

Gewinnspiel

Haben Sie das kleine Sofa gefunden? Dann Seite 2 lesen und mitmachen!

REZEPT

Zutaten für 4 Personen:

½ kg Quark

2 Dosen Thunfisch in Öl

2 mittelgr. Zwiebeln

1 Glas schwarze Oliven

ohne Kerne

5 Peperoni

Maggiwürze

Pfeffer

süßes Paprikagewürz

31VORLETZTE SEITEHEMPELS #145 05/2008

Der Witz ist schon etwas älter, und er geht so: Hat sich einMann in einem Heißluftballon verirrt. Er geht tiefer und sichtetunten am Boden eine Frau. „Entschuldigung, können Sie mirhelfen? Ich weiß nicht mehr, wo ich bin.“ Antwortet die Frau:„Sie sind jetzt ungefähr in zehn Meter Höhe über Grund. Siebefinden sich zwischen dem 53. und 54. Grad nördlicher Breiteund zwischen dem 9. und 10. Grad westlicher Länge.“ Sagt derMann: „Sie müssen Lehrerin sein.“ – „Bin ich“, antwortet dieFrau, „woher wissen Sie das?“ – „Nun“, sagt der Ballonfahrer,„was Sie mir sagen, ist technisch korrekt. Aber ich habetrotzdem keine Ahnung, was ich mit Ihren Informationenanfangen soll. Fakt ist: Ich weiß immer noch nicht, wo ich bin.Sie waren mir also keine große Hilfe und haben meine Reisenur weiter verzögert.“ Darauf die Frau: „Und Sie müssen imBildungsministerium tätig sein.“ – „Ja“, sagt der Ballonfahrer,„woher wissen Sie das?“ Daraufhin die Frau: „Sie wissen weder,wo Sie sind, noch wohin Sie fahren. Sie sind auf Grund einerMenge heißer Luft in ihre jetzige Position gekommen. Sie habenein Versprechen gemacht, von dem Sie keine Ahnung haben, wie

Sie es einhalten können und erwarten von den Leuten unterIhnen, dass die Ihre Probleme lösen.Tatsache ist, dass Sie exaktin der gleichen Lage sind, wie vor unserem Treffen, aber jetztsoll ich schuld sein.“Wie gesagt, bloß ein alter Witz. Dafür hat jetzt auch inSchleswig-Holstein wieder die Saison begonnen, wo viel heißeLuft in Ballons geblasen wird, manchmal sogar unter Be-obachtung der Öffentlichkeit. Und statt des klassisch drei-gliedrigen Schulsystems wird es künftig drei andere Schultypengeben – wie bisher die Gymnasien, dazu die Gemeinschafts-schulen sowie die neuen Regionalschulen aus Haupt- undRealschule.

Foto: Dieter Suhr

VORLETZTE SEITE

ACHTUNG, FOTO!