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Zeitung Dauerhafte Angebote gegen Extremismus dienen der Zukunftsvorsorge der Demokratie. Erklärung des Bundesausschusses Politische Bildung (bap) zum Rechtsextremismus .................................... 4 Schwerpunkt: Partizipation Fachbeiträge Benedikt Widmaier Lifestyle-Politik und engagierte Bürgerschaft .......... 8 Theo Länge und Jens Schmidt Politische Jugendbildung: Partizipation als Weg und Ziel ................................................................ 11 Wolfgang Gaiser und Martina Gille Politische Partizipation junger Menschen .................. 15 Matthias Busch, Tilman Grammes und Christian Welniak „Es kann sehr nett werden, wenn künftig die Schüler so Politik treiben“ .......................................... 18 Didaktische Sönke Zankel Werkstatt Schüler als Sozialforscher ............................................ 21 Verbandspolitische Präsentation Rundschau Niedersachsen: „Demokratie braucht Politische Bildung“ – eine frühzeitige Einladung – auf dem Boden gewachsener Tradition .................... 26 Informationen, Planungen, Aktionen und Berichte: Rheinland-Pfalz: Anhörung der DVPB im rheinland- pfälzischen Landtag .................................................... 27 Thüringen: DVPB schreibt zum dritten Mal Abiturpreis aus! .......................................................... 28 Schleswig-Holstein: Kultusministerium Kiel anerkennt Wirtschaft/Politik endlich als Mangelfach .................................................................. 29 Bayern: Schwieriges Ringen um Sozialkunde im G8-Abitur .................................................................... 30 Rheinland-Pfalz: „Schule als Projekt für das Leben“ – Der 6. Demokratie-Tag in RP ...................... 31 Magazin Rezensionen ................................................................ 33 Vorschau/Impressum .................................................. 34 POLIS Report der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung Editorial „Stuttgart 21“ hat eine breite Debatte über die Renaissance direkter Demokratie aus- gelöst und die „Occupy“-Bewegung kann auf breite Unterstützung der Bevölkerung zählen. Welches aber sind die Vorausset- zungen für Engagement und Partizipation? Inwieweit setzen diese auf Emanzipation ab- zielenden Begriffe gesellschaftliche Integra- tion voraus und inwieweit kann politische Bildung einen Beitrag zu Partizipation lei- sten? Auf diese und ähnlich gelagerte Fra- gen gibt das vorliegende Heft Antworten. Benedikt Widmaier fragt in seinem Bei- trag, inwieweit Mitgliedschaften im Sport- verein oder in politischen Parteien als bür- gerschaftliches Engagement und damit als gemeinschaftsorientierte gesellschaftliche Teilnahme zu bezeichnen sind. Matthias Busch, Tilman Grammes und Christian Wel- niak plädieren dafür, sich mit den pädago- gischen Traditionen des partizipatorischen Prinzips auseinanderzusetzen. Theo W. Län- ge und Jens Schmidt argumentiert für Er- ziehung und Ermunterung zu Partizipation über das Klassenzimmer und den Seminar- raum hinaus auf die Straße zu tragen, um ei- nen nachhaltigen gesellschaftlichen Wider- hall zu finden. Sönke Zankel berichtet in der „Didaktischen Werkstatt“ über ein bemer- kenswertes Forschungsprojekt, bei dem Schüler/innen Gleichaltrige zu einer Aus- weitung der Mitbestimmungsrechte befrag- ten, die sich für mehr direkte Demokratie aussprachen. Wolfgang Gaise und Martina Gille skizzieren schließlich Ergebnisse der vom Deutschen Jugendinstitut im Jahre 2009 durchgeführten Studie „Politische Partizi- pation junger Menschen“. Durchweg wird (politische) Bildung in den Beiträgen als unabdingbares Fundament eines demokratischen Gemeinwesens skiz- ziert. Somit ist die vorliegende Ausgabe der POLIS vor allem als Plädoyer zu begreifen – dafür, der „Diktatur des Sitzfleischs“ ent- gegenzutreten. Tim Engartner Klaus-Peter Hufer Martina Tschirner Heft 1/2012 polis_1_12_003_003_003_003.qxd 05.03.2012 19:29 Seite 1

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Zeitung Dauerhafte Angebote gegen Extremismus dienen der Zukunftsvorsorge der Demokratie.Erklärung des Bundesausschusses Politische Bildung(bap) zum Rechtsextremismus .................................... 4

Schwerpunkt: Partizipation

Fachbeiträge Benedikt WidmaierLifestyle-Politik und engagierte Bürgerschaft .......... 8

Theo Länge und Jens SchmidtPolitische Jugendbildung: Partizipation als Weg und Ziel ................................................................ 11

Wolfgang Gaiser und Martina GillePolitische Partizipation junger Menschen .................. 15

Matthias Busch, Tilman Grammes und Christian Welniak„Es kann sehr nett werden, wenn künftig die Schüler so Politik treiben“ .......................................... 18

Didaktische Sönke ZankelWerkstatt Schüler als Sozialforscher ............................................ 21

Verbandspolitische Präsentation

Rundschau Niedersachsen: „Demokratie braucht Politische Bildung“ – eine frühzeitige Einladung – auf dem Boden gewachsener Tradition .................... 26

Informationen, Planungen, Aktionen und Berichte:

Rheinland-Pfalz: Anhörung der DVPB im rheinland-pfälzischen Landtag .................................................... 27

Thüringen: DVPB schreibt zum dritten Mal Abiturpreis aus! .......................................................... 28

Schleswig-Holstein: Kultusministerium Kiel anerkennt Wirtschaft/Politik endlich als Mangelfach .................................................................. 29

Bayern: Schwieriges Ringen um Sozialkunde im G8-Abitur .................................................................... 30

Rheinland-Pfalz: „Schule als Projekt für das Leben“ – Der 6. Demokratie-Tag in RP ...................... 31

Magazin Rezensionen ................................................................ 33Vorschau/Impressum .................................................. 34

POLISReport der Deutschen Vereinigungfür Politische Bildung

Editorial

„Stuttgart 21“ hat eine breite Debatte überdie Renaissance direkter Demokratie aus-gelöst und die „Occupy“-Bewegung kannauf breite Unterstützung der Be völkerungzählen. Welches aber sind die Vorausset-zungen für Engagement und Parti zipation?Inwieweit setzen diese auf Emanzi pation ab-zielenden Begriffe gesellschaftliche In te gra -tion voraus und inwieweit kann poli ti scheBildung einen Beitrag zu Partizipation lei-sten? Auf diese und ähnlich gelagerte Fra-gen gibt das vorliegende Heft Antworten.

Benedikt Widmaier fragt in seinem Bei-trag, inwieweit Mitgliedschaften im Sport-verein oder in politischen Parteien als bür-gerschaftliches Engagement und damit alsgemeinschaftsorientierte gesellschaftlicheTeilnahme zu bezeichnen sind. MatthiasBusch, Tilman Grammes und Christian Wel-niak plädieren dafür, sich mit den pädago-gischen Traditionen des partizipatorischenPrinzips auseinanderzusetzen. Theo W. Län-ge und Jens Schmidt argumentiert für Er-ziehung und Er munterung zu Partizipationüber das Klassenzimmer und den Seminar-raum hinaus auf die Straße zu tragen, um ei-nen nachhaltigen gesellschaftlichen Wider-hall zu finden. Sönke Zankel berichtet in der„Didaktischen Werkstatt“ über ein bemer-kenswertes Forschungsprojekt, bei demSchü ler/in nen Gleichaltrige zu einer Aus-weitung der Mitbestimmungsrechte befrag-ten, die sich für mehr direkte Demokratieaussprachen. Wolfgang Gaise und MartinaGille skiz zieren schließlich Ergebnisse dervom Deutschen Jugendinstitut im Jahre 2009durchgeführten Studie „Politische Partizi-pation junger Menschen“.

Durchweg wird (politische) Bildung inden Beiträgen als unabdingbares Fundamenteines demokratischen Gemeinwesens skiz-ziert. Somit ist die vorliegende Ausgabe derPOLIS vor allem als Plädoyer zu begreifen– dafür, der „Diktatur des Sitzfleischs“ ent-gegenzutreten.

Tim EngartnerKlaus-Peter HuferMartina Tschirner

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Berlin. Im Fokus des BundeskongressPolitische Bildung 2012 (vgl. die Ankün-digung in POLIS 4/2011) stehen das„Zeitalter der Partizipation“ und die Fra-ge „Paradigmenwechsel in Politik undpolitischer Bildung?“. Auf der Tagung,die vom 21. bis 23. Mai an verschiede-nen Orten entlang der Friedrichstraße inBerlin stattfindet, ist das Kernthema Pro -gramm: Die Bundeszentrale für politi-sche Bildung/bpb, Deutsche Vereinigungfür Politische Bildung e.V. (DVPB) undder Bundesausschuss Politische Bildung(BAP) laden Sie ein, sich über denKongress Blog und das Programm-Wikibereits im Vorfeld an der Gestaltung derVeranstaltung zu beteiligen.

Auf www.bundeskongress-partizipa-tion.de finden Sie ab sofort ein detail-liertes und interaktives Programm-Wi-ki, in dem Sie eigene Beiträge schrei-ben, Workshops anbieten und mitan der en Interessierten ins Gespräch kom-men können. Zudem enthält die Platt-form alle notwendigen Informationenzum Programm, neueste Erkenntnissezum Thema Partizipation und Statementsder Referenten und Referentinnen desBundeskongresses. POLIS druckt fürden Kongress das Programm nicht zu-sätzlich ab; sie finden aber alle notwen-digen Rahmeninformationen auf einemFlyer, der diesem Heft beiliegt.

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Dauerhafte Angebote gegen Ex-tremismus dienen der Zukunfts-vorsorge der Demokratie.Erklärung des BundesausschussesPolitische Bildung (bap) zumRechtsextremismus

Bonn. Im Zusammenhang mit den er-schreckenden Entwicklungen und stän-dig neuen Erkenntnissen zum Rechts-extremismus in unserer Gesellschaft wirdjetzt nach mehr Überwachung und nachVerboten gerufen. Es ist unglaublich,was über Jahre hinweg praktisch unbe-

achtet in unserer Gesellschaft gesche-hen konnte. Erschreckend sind auch dieEinstellungen und Überzeugungen, diediesem Handeln zugrundeliegen. Für un-sere demokratische Gesellschaft ist esäußerst bedenklich, dass die Akteure da-bei auf stillschweigende oder aktive Un-terstützung aus der Bevölkerung zurück-greifen konnten. Welche Reaktionen not-wendig sind, lässt sich derzeit noch nichtbeurteilen. In einem ersten Schritt sindauf jeden Fall mehr Information und Auf-klärung notwendig: Welche Straftatenwurden tatsächlich geplant oder ausge-führt? Was wussten die staatlichen Über-wachungsorgane und warum wussten sievieles nicht?

Wenn diese Fragen beantwortet unddie erforderlichen Maßnahmen ergriffenworden sind, dann sollte in einem zwei-ten Schritt gefragt werden, wie es soweitkommen konnte. Konkret sollten wir unsfragen, was sich in der Gesellschaft än-dern muss, damit demokratiefeindlicheIdeologien, die Fremdenfeindlichkeit oderRassismus propagieren, nicht still-schweigend hingenommen werden oderaktiv unterstützt werden. Wir müssen die-se Einstellung als das erkennen und brand-marken, was sie im Endeffekt bewirkt:Die Zerstörung unserer Gesellschaft. Ei-ner Gesellschaft, die auf der Achtung derMenschenrechte fußt, Gerechtigkeit si-chert und als Organisationsprinzip in Be-zug auf Entscheidungen demokratischeVerfahrensweisen beachtet. Gesell-schaftliche Gruppen, Medien und Politiksind aufgefordert, das eigene Verhaltenzu überprüfen, wo es negativen Ent-wicklungen Vorschub leistet. Die Wis-senschaft ist noch mehr als bisher gefor-dert, Ursachen und Zusammenhänge zuerforschen.

Schule, Jugend- und Erwachsenen-bildung sollte noch intensiver demokra-tische Grundbildung betreiben. Politi-sche Bildung leistet hier einen wichti-gen Beitrag: gerade mit ihren non-for malen Angeboten ist sie ganz nah anden Lebenswelten der Menschen. Sie

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ITU

NG Bundeskongress Politische Bildung

– Es kann partizipiert werden!Wiki zum 12. Bundeskongress Politische Bildung im Mai 2012 Berlin ist online

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setzt dabei nicht auf Konfrontation, son-dern im Gegenteil auf Dialog und Aus-tausch. Sie ist somit Seismograph für ge-sellschaftliche Entwicklungen – ganzohne V-Leute. Nur mit dieser präventi-ven Grundhaltung, die Eigenheiten undVorzüge unseres demokratischen Sys -tems aktiv vermittelt ohne dessen Gren-zen und Probleme auszublenden, wirdes gelingen, auch zukünftig den gesell-schaftlichen Zusammenhalt zu garan-tieren. Die Gegner stehen nicht wiefrüher der Gesellschaft gegenüber, son-dern wirken mittendrin.

Die Situation ist also dramatisch. Spä-testens jetzt sollten bundesweit alle ge-sellschaftlichen Kräfte und finanziellenRessourcen für eine demokratische Ge-sellschaft mobilisiert werden. Dennochverfolgt der Deutsche Bundestag nocheine gegenteilige Richtung: In den Jah-ren 2012 und 2013 sollen die Mittel fürdie Bundeszentrale für politische Bil-dung (bpb) gekürzt werden. „Demokra-tisches Bewusstsein“, so hat Bundes-tagspräsident Dr. Norbert Lammert eseinmal auf einer bap-Veranstaltung for-muliert, „fällt nicht vom Himmel“. De-mokratie muss immer wieder neu ge-lernt werden. Politische Bildung kannnur wirken, wenn sie langfristig ange-legt ist und über eine Infrastruktur ver-fügt. Natürlich können auch besondereAktionsprogramme etwas erreichen,doch die zusätzliche Verwaltung neben

den bestehenden Systemen schafft Dop-pelarbeit und unnötigen Verwaltungs-aufwand. Es wird auch dauern, bis siein Funktion sind. Im Namen des bap for-dere ich deshalb die Zuständigen im Bun-destag und Innenministerium noch ein-mal nachdrücklich auf, die Kürzungenaus aktuellem Anlass zurückzunehmenund die Mittel aufzustocken. Die Trägerder Infrastruktur politischer Bildung sindbereits in Bezug auf die aktuellen Her-ausforderungen durch die rechtsextre-men Entwicklungen aktiv und könntenihre Bildungsangebote verstärken. Aufder Grundlage ihrer wertgebundenen Bil-dungsarbeit leistet politische Bildung ei-nen unersetzlichen Beitrag zum Erhaltunserer demokratischen Gesellschaft.Das soll auch in Zukunft so bleiben.

Lothar Harles, Vorsitzender bap,29.11.2011

„Antisemitismus in Deutschland“Expertenkommission legt Bundestag Bericht vor

Berlin. Judenfeindliche Einstellungensind in „erheblichem Umfang“ in derdeutschen Gesellschaft verbreitet – auchaußerhalb rechtsextremer und islamisti-scher Kreise. Dies geht aus einem vomBundestag veranlassten und im Januar2012 veröffentlichten Expertenbericht

hervor. Gründe sind „tief verwurzelteKlischees“ oder „schlichtes Unwissen“.

Spiegel-Online schrieb am 23. Janu-ar dieses Jahres: „Die Ergebnisse desBerichts ,Antisemitismus in Deutsch-land‘ sind erschreckend: Judenfeind-lichkeit und negative Stereotypen zie-hen sich durch fast alle Bereiche derdeutschen Gesellschaft“, so auch das Fa-zit des unabhängigen Expertenkreises,die den 204-Seiten-Report zum erstenMal im Auftrag des Bundestags verfas-ste und in Berlin der Öffentlichkeit vor-gestellt hat.

Nicht nur in rechtsextremen und isla-mistischen Milieus, auch im bundes-deutschen Alltag ist der Antisemitismusin „erheblichem Umfang“ verankert, heißtes in der Studie. Es gebe mittlerweile ei-ne „bis weit in die Mitte der Gesellschaftverbreitete Gewöhnung an alltägliche ju-denfeindliche Tiraden und Praktiken“.„Antisemitismus in unserer Gesellschaftbasiert auf weit verbreiteten Vorurteilen,tief verwurzelten Klischees und aufschlichtem Unwissen über Juden und dasJudentum“, sagte vor der Presse der Hi-storiker Prof. Peter Longerich, der die Ar-beit der Kommission mit koordiniert hat.

Beispielsweise wären immer noch„rassistische, rechtsextreme und antise-mitische Parolen“ von den Tribünen derdeutschen Fußballplätze zu hören. Sät-ze wie „Juden gehören in die Gaskam-mer“, „Auschwitz ist wieder da“ und

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Zeitung

dungsprozesse auf den Ebenen vonWissensaneignung, Problemanalyse,Urteilsbegründung und Handlungs-möglichkeiten von Lernenden.

Bedeutsam wird der Verweis auf die-se Aufgabenunterscheidung deshalb,weil Gauck selbst bisweilen dazu neigt,ein zivilreligiös aufgeladenes Politik-und Freiheitsverständnis zu vertreten,das ungewollt die Sehnsucht nach demUnpolitischen und den Parteienverdrussbedient. Nur damit kein Missverständ -nis auftaucht: Es ist zu begrüßen, dasseine moralisch integre Person unserBundespräsident werden soll. Aber esmuss klar sein, dass sie politischer Re-präsentant der parlamentarischen De-mokratie zu sein hat und nicht Volks-pädagoge.

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GLOSSE:Demokratielehrer Gauck?

Auf der denkwürdigen Pressekonfe-renz am 19. Februar 2012 im Kanzler-amt hat Bundeskanzlerin Angela Mer-kel den Vorschlag von CDU/CSU, SPD,GRÜNEN und FDP, Joachim Gauckzum gemeinsamen Kandidaten für dieBundespräsidentenwahl zu küren, miteiner ungewöhnlichen Rollenzuschrei -bung begründet: „Ein wahrer Demo-kratielehrer geworden zu sein – daszeichnet ihn bis heute aus.“ Bereits am21.02.2010 hatte sie diesen Begriff be-nutzt: „Sie sind Mahner, Sie sind einrichtiger Demokratielehrer.“

Joachim Gauck hat meines Wissensdieser Erwartungshaltung an seineAmtsführung bislang nicht widerspro-chen. An dieser Stelle muss aber eine

differenziertere Klärung der Aufgabeneines Bundespräsidenten einsetzen. DasVerfassungsorgan Bundespräsident istkeine moralische Institution, sonderndas Staatsoberhaupt im politischen Sys -tem der Bundesrepublik Deutschland.Der Präsident soll weder Bundespä da -goge noch Staatspfarrer sein.

Ein Blick in die Artikel 54-61, 68 und81 unseres Grundgesetzes zeigt, dassdieses Verfassungsorgan im Wesentli-chen eine repräsentative, nach innen undaußen staatsverkörpernde Funktion miteinigen förmlichen Zuständigkeiten (z.B.Ernennung von Ministern und Beamtendes Bundes, Verkündung von Gesetzen,Verfahrenskompetenzen in Krisenzei-ten) hat. Lehrerinnen und Lehrer aufdem Felde von Politik und Demokratiesind demgegenüber Fachleute für die di-daktische Gestaltung politischer Bil-

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„Synagogen müssen brennen“ seien beiWettkämpfen in der Regionalliga keineSeltenheit. In Schulen gehöre dasSchimpf wort „Jude“ vielerorts fast zumAllgemeingut.

Verschiedene wissenschaftliche Ein-zelstudien seien übereinstimmend zu demErgebnis gekommen, dass 20 Prozent derBevölkerung „latent“ antisemitisch ein-gestellt seien, fassen die zehn Expertenaus Wissenschaft und Öffentlichkeit ih-re Erkenntnisse zusammen. Nach einementsprechenden Bundestagsbeschluss imJahr 2008 zum 70. Jahrestag der Po-gromnacht vom November 1938 hatte dieBundesregierung den Expertenkreis ein-berufen, um verstärkt gegen den Antise-mitismus vorzugehen. Diese soll nun re-gelmäßig Berichte vorlegen und auchEmpfehlungen zur Bekämpfung der Ju-denfeindlichkeit abgeben.

Die Fachleute begannen ihre Arbeit2009. Seitdem untersuchen sie die ein-zelnen Lebensbereiche in Deutschland– Arbeit, Freizeit und Medien. Im inter-nationalen Vergleich nehme Deutsch-land bei der Verbreitung antisemitischerEinstellung unter der Bevölkerung ei-nen mittleren Platz ein: In Polen, Un-garn und Portugal gebe es zum Teil ex-trem hohe Antisemitismus-Werte.

Die Kommission kommt zu einer Rei-he von Einzelempfehlungen, die insge-samt auf eine breiter angelegte und kon-tinuierlichere Erforschung und Bekämp-fung des Antisemitismus durch Staat undZivilgesellschaft hinauslaufen. „Es wirdempfohlen, im Bereich der politischenBildung und der sonstigen Bildungsar-beit, insbesondere auf der Ebene vonMultiplikatoren, die Auseinandersetzungmit dem Antisemitismus nicht auf denHolocaust und einzelne geschichtlicheMomente zu reduzieren, sondern Infor-mationsarbeit umfassend in der histori-schen und sozialwissenschaftlichen Vor-urteilsforschung aufgehoben fundiert indeutlich gegenwartsbezogenem Zusam-menhang zu vermitteln.“ (S. 188)

Der Bericht des Expertenkreises un-ter dem Titel „Antisemitismus inDeutschland. Erscheinungsformen, Be-dingungen, Präventionsansätze“ kannim Internet unter http://dipbt.bundes-tag.de/dip21/btd/17/077/1707700.pdfabgerufen werden.

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Einladung zur Tagung „Europaund EU unterrichten“

Schwäbisch Gmünd. EuropabezogeneGegenstände sind in den Lehrplänen derverschiedenen Schularten weit über densozialkundlichen Unterricht hinaus breitverankert. Gleichzeitig stoßen sie im All-gemeinen bei den Schülern und Schüle-rinnen, aber auch bei vielen Lehrkräftenauf wenig Gegenliebe. Die Schülerin-nen und Schüler sind oft wenig moti-viert, sich mit der EU zu beschäftigen,weil sie noch immer glauben, sie habemit ihrem Alltag nur wenig zu tun. DieLehrkräfte, auch viele erfahrene, tun sichangesichts der komplexen Funktions-weise der EU schwer, zum Thema Eu-ropäische Integration einen interessan-ten Unterricht zu gestalten und aktuelle

europäische Entwicklungen angemes-sen einzuordnen. Die Konferenz derPädagogischen Hochschule SchwäbischGmünd will eine Bestandsaufnahme die-ses Widerspruchs vornehmen und An-stöße für die Entwicklung, Umsetzungund Evaluation innovativer europabe-zogener Unterrichtskonzepte geben.

Die Konferenzbeiträge gruppierensich um vier Fragenkomplexe:

1) Was wissen wir über europabezo-genes Wissen sowohl von Schülern undSchülerinnen als auch der sie unterrich-tenden Lehrer und Lehrerinnen? 2) Wel-che Angebote bietet ihnen dafür derSchulunterricht? 3) Was wissen wir überdie in Unterrichtsmaterialien transpor-tierten Europa- und EU-Bilder? 4) Wel-che Ergebnisse der Lehr-Lern-Forschunghaben wir zur Einschätzung der Wirk-

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Zeitung

Bundesverdienstkreuz am Bandfür Prof. Rolf Schörken

Düsseldorf. Professor Dr. Rolf Schör-ken ist am 30. Januar 2012 mit demVerdienstkreuz am Bande des Ver-dienstordens der BundesrepublikDeutschland im Rathaus Düsseldorfausgezeichnet worden. Bekannt ge-worden ist Rolf Schörken insbesonde-re als Vorsitzender einer nach ihm be-nannten Richtlinienkommission, diezwischen 1970 und 1987 für alle Schul-formen der Sekundarstufe I und die be-rufsbildenden Schulen in Nordrhein-Westfalen einen curricular und pädago-gisch systematisch begründetenPolitikunterricht aus der Taufe geho-ben hat. (POLIS 3/2008, S. 25 berich-tete.) Sein wissenschaftliches Werk um-fasst eine Fülle geschichtsdidaktischerund politikdidaktischer Veröffentli-chungen. Fachwissenschaftlich gilt erals der Historiker der Flakhelfergene-ration, der der 1928 in Wuppertal ge-borene Geehrte selbst angehört.

Professor Dr. Rolf Schörken lehrtevon 1974 bis 1982 als Professor für Ge-schichte und ihre Didaktik an der Ge-samtschule/Universität Duisburg. 1966wurde er auf einer Versammlung imGebäude des nordrhein-westfälischenLandtags zum Gründungsvorsitzendendes Landesverbandes NRW der dvpb

gewählt. Dem Verband war er in den70ger Jahren als Landesvorstandsmit-glied und später als Mitglied im Wis-senschaftlichen Beirat für NRW aktivverbunden. Noch heute steht er mit sei-nem Rat der Deutschen Vereinigung fürPolitische Bildung zur Verfügung. Auchfür dieses Engagement ist er ausge-zeichnet worden. Der Bundesverbandund POLIS gratulieren herzlich.

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Prof. Rolf Schörken am 30.01.2012 imDüsseldorfer Rathaus bei seinen Dan-kesworten.

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samkeit europabezogener Lehraktivitä-ten?Ort: Pädagogische Hochschule Schwä-bisch Gmünd; Zeit: 4. und 5. Mai 2012(Fr. nachmittags und Sa. vormittags). Kontakt: [email protected] [email protected].

Prof. Dr. Gerd Steffens zum 70. Geburtstag

Kassel. Es gibt Kollegen, die trotz ihrerPensionierung weiter eine so selbstver-ständliche Präsenz als kritische und an-regende Wegbegleiter aufrechterhalten,dass die Beendigung des aktiven Dien-stes nicht als tiefer Einschnitt wahrge-nommen wird. Gerd Steffens, bis 2007Professor für Didaktik der Sozialkundean der Universität Kassel und langjähri-ges Redaktionsmitglied dieser Zeitschrift,ist ein solcher Kollege. Er feierte MitteMärz seinen 70. Geburtstag.

Seit Mitte der sechziger Jahre ent-wickelte Gerd Steffens ein politischesund wissenschaftliches Engagement, daser auf verschiedenen Ebenen entfaltenkonnte und das mehr und mehr mit po-litischer Bildung verbunden war. GerdSteffens studierte in Heidelberg undHamburg die Fächer Geschichte, Ger-manistik und Politik und war währendseines Studiums in Heidelberg hoch-schulpolitisch äußerst aktiv, was auchdie Mitgliedschaft im SDS einschloss.Als ASTA-Vorsitzender musste er er-fahren, dass die hochschulpolitischenund wissenschaftlichen Welten kaum zutrennen sind. Nach politischen Ausein-andersetzungen sah er sich genötigt, alsPromovend das Colloquium des Histo-rikers Werner Conze zu verlassen. Hier

hatte er am Wörterbuch Struktur- undSozialgeschichte mitgearbeitet. Anfangder siebziger Jahre begann Gerd Stef-fens dann sein Referendariat am Studi-enseminar Offenbach und an der Inte-grierten Gesamtschule Lampertheim imsüdlichen Hessen. Hier war er fünf Jah-re lang Weggefährte von Frank Non-nenmacher, mit dem ihn bis heute um-fangreiche Aktivitäten auch innerhalbder DVPB-Hessen verbinden.

Die Gesamtschule war für Gerd Stef-fens ein Projekt der Chancengleichheit,der Aufklärung und des kritischen Den-kens. Mit Ludwig von Friedeburg alsKultusminister galt es, die Idee einer ge-sellschaftsverändernden Gesamtschulein die Praxis umzusetzen. In der Um-setzung der legendären hessischen Rah-menrichtlinien Gesellschaftslehre sahener und viele seiner Kollegen eine Mög-lichkeit, herrschafts- und kapitalismus-kritische Analysen und eine entspre-chende Praxis in die Schule zu bringen.Das Projekt Gesamtschule und auch kri-tische Pädagogen hatten damals vieleFeinde. Disziplinarverfahren, partielleUnterrichtsverbote oder der Kampf ge-gen Berufsverbote waren Felder der Aus-einandersetzung, die Gerd Steffens auchals aktives Mitglied der GewerkschaftErziehung und Wissenschaft führte.

Nach etwa fünf Jahren wechselte er andie TH Darmstadt, wo er sechs Jahre langals Pädagogischer Mitarbeiter in derLehrerbildung gearbeitet hat. Bei HansJochen Gamm und Gernot Koneffke pro-movierte er dann zum Thema „Der neueIrrationalismus in der Bildungspolitik:zur pädagogischen Gegenreform am Bei-spiel der hessischen Rahmenrichtlinien“,einem Thema, dass ihn dann auch weiterbegleitete. Schließlich wechselte er füreine Reihe von Jahren an ein Gymnasi-um in Groß Bieberau im Odenwald.

Ab dem Sommersemester 1998 lehr-te Gerd Steffens am Fachbereich Ge-sellschaftswissenschaften der Univer-sität Kassel. Hier lagen seine Arbeits-schwerpunkte u.a. in der Bearbeitunggesellschaftswissenschaftlicher Voraus-setzungen und der politischen Ökono-mie politischer Bildung. Auch histori-sche Horizonte und politische Menta-litäten spielten in Forschung und Lehreeine wichtige Rolle.

Neben seinen Seminaren und Vorle-sungen, in denen er mit einem ausge-

prägten theoriegeleiteten Interesse histo-rische und zeitdiagnostische Bezüge mitgroßem Erkenntnisgewinn für die Studie -ren den verknüpfte, beteiligte er sich in -ten siv an der universitären Selbstverwal-tung, u.a. als Studiendekan, in derFachgrup pe Politikwissenschaft, als Fach -bereichsmitglied und im Zentrum für Leh -rerbildung der Kasseler Universität. Ver -bunden damit begründete er u. a. die Ar -beits gruppe „Politische und ökonomischeBildung in den Zeiten der Globalisierung“,im Rahmen derer phasenübergreifend(Stu denten, Referendare, Lehrer, Fachleit -er, Hochschullehrer) ganz tägige Fortbil-dungsveranstaltungen zu zeitdiagnostischrelevanten Themen ver anstaltet wurden,die auf ein großes Fort bil dungsinteressein der Region stie ßen, sehr geschätzt wur-den und in einer Publi ka tion (Steffens(2007): Politische und öko nomische Bil-dung in Zeiten der Globalisierung. Mün-ster) mündeten. Gerd Steffens schätzte ei-ne fachwissenschaftlich fundierte Politik -didaktik und war (zu Recht) un nachgiebig,wenn es um die Einforderung einer pro-fessionellen Mentalität zukünftiger Poli-tiklehrern/-innen ging.

2007 war seine Arbeit als Hoch-schullehrer an der Universität Kassel be-endet – viel zu schnell verging diese Zeitin der Wahrnehmung seiner Kollegen/in-nen. Allerdings wirkt er nach wie vor imRahmen von Tagungen, z.B. im hessi-schen „Haus am Maiberg“ oder im hes-sischen GEW-Bildungswerk Lea, aktivals Vortragender und kritischer Mitdis-kutant und es ist zu hoffen, dass man ihndort und an anderen diskursiven Ortenauch noch nach seinem 70. Geburtstaglange antreffen wird. Gerd Steffens ent-faltet bis heute eine umfangreiche Pu-blikationstätigkeit. Als einer der weni-gen Politikdidaktiker, die sich diesemFeld widmeten, hat er sich über Jahre in-tensiv mit Globalisierungsfragen aus-einandergesetzt. Dabei war und ist ihmeine im besten Sinne aufklärerische undmenschenrechtliche Perspektive wich-tig. Nicht zuletzt hat er als hessischerLandesvorsitzender der DVPB und Re-daktionsmitglied dieser Zeitschrift eineganze Reihe wichtiger Akzente gesetztund wird dies – auch ohne formale Zu-ständigkeiten – mit Sicherheit und hof-fentlich auch weiterhin so praktizieren.

Klaus Moegling, Bernd Overwien

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Zeitung

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Die Politikwissenschaft ist für die Poli-tische Bildung die herausragende Be-zugswissenschaft. Beide haben in derNachkriegszeit gemeinsame Wurzelnund hatten als „Demokratiewissen-schaften“ lange Zeit ein gemeinsamesLeitbild. Spätestens in den 80er-Jahrenhat sich die Politikwissenschaft jedochvon der Politischen Bildung abgewandt,um sich stärker als eigene forschungs -orientierte Wissenschaft zu profilieren(Claußen/Noll 1989). Überraschendscheint nun aber eine nicht nur als „De-mokratiewissenschaft im Sinne einer Er-ziehung zur Demokratie“ (Gerlach u.a.2010, S. 9f) verstandene Politikwissen-schaft eine verhaltene Renaissance zuerleben.

Diesen aktuellen Trend markiert et-wa der Festvortrag zum 60-jährigen Be-stehen der Deutschen Vereinigung fürPolitikwissenschaft mit dem Titel „DieRückkehr der Demokratiefrage. Per-spektiven demokratischen Regierens unddie Rolle der Politikwissenschaft“. Michael Zürn zeigt dort an zahlreichenBeispielen, dass „die Frage (...), mittelswelcher institutioneller Verfahren ei-gentlich das demokratische Prinzip ambesten verwirklicht werden kann“, wie-der verstärkt im Blickfeld der Poli-tikwissenschaft ist (Zürn 2011, S. 65).

Die Indizienkette für eine Renaissanceder Demokratiefrage könnte beliebigfortgesetzt werden. Indes sollen im Fol-genden einige wichtige Diskussions-stränge dieser durchaus disparaten Dis-kussion aufgegriffen werden. Am Endewird dann danach zu fragen sein, wel-che Bedeutung die aktuellen demokra-tietheoretischen Debatten für die Politi-sche Bildung haben könnten.

Gesellschaftliches Engagementstatt aktiver Bürgerschaft?

In der Partizipationsdebatte nicht ganzneu ist das „Phantom Bürgergesellschaft“(Thomas Leif). Dort werden die Begrif-fe Bürger- und Zivilgesellschaft inzwi-schen weitgehend synonym gebraucht(Klein 2011), obwohl die Rolle der Zi-vilgesellschaft als Macht ausbalancie-rende Öffentlichkeit ursprünglich – et-wa in Jürgen Habermas Demokratie-theorie – anders verstanden worden ist.

Als bürgerschaftliches Engagementwerden heute alle Formen gemein-schaftsorientierter gesellschaftlicher Teil-nahme bezeichnet, von der Nachbar-schaftshilfe, über die Mitgliedschaft ineinem Spotverein bis hin zur Mitglied-

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Lifestyle-Politik und engagierte BürgerschaftDemokratietheoretische

Herausforderungen für Politische Bildung

von Benedikt Widmaier

Benedikt Widmaier, Direktor der Akade-mie für politische und soziale Bildungder Diözese Mainz „Haus am Maiberg“,stellv. Landesvorsitzender der DVPB Hes-sen. F

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Fachbeitrag

Partizipations- und Gerechtig-keitslücke

Die politikwissenschaftliche Partizipa-tionsforschung hat zahlreiche Faktorenherausgearbeitet, die erklären, warumMenschen politisch aktiv werden. (Stein-brecher 2009, S. 56–92). Immer wiederweist diese Forschung aus, dass einer-seits zwischen dem Wunsch mitreden,mittun und mitentscheiden zu wollenund andererseits der Realität, es tatsäch-lich zu tun, eine wachsende (Plausibi-litäts-)Lücke klafft. Helmut Klages hatdies als Phänomen des „blockiertenMenschen“ beschrieben (Klages 2009).

Hier ist nicht der Platz, um alle an-thropologischen, gesellschaftlichen oderpolitischen Gründe aufzuführen, die zusolchen Blockaden führen. Aus der For-schung wissen wir jedenfalls, dass dieso genannte „internal efficacy“ – dieselbstbewusste Überzeugung, eigene po-litische Selbstwirksamkeit haben zu kön-nen – und „external efficacy“ – die Über-zeugung/Erfahrung, dass Politik bzw.politische Systeme beeinflusst werdenkönnen – wichtige Antriebsmomente fürdie eigene ggf. anlass- und aktions -orientierte Partizipation sind. Demnachsind Bildung, Empowerment, die Über-windung eigener Machtlosigkeit undSelbstermächtigung wichtige Grundla-gen für partizipationsorientiertes Ver-halten.

Bei einer großen Zahl von Bürgerin-nen und Bürgern kann jedoch nicht vonsolchen Dispositionen ausgegangen wer-den, und so wurde in jüngster Zeit dar-auf hingewiesen, dass der Rückgang derTeilnahme im Bereich der konventio-nellen politischen Partizipation, alsoWahlbeteiligung und aktive Mitarbeit inParteien, die Qualität und Legitimationder Demokratie in Frage stellt bzw. stel-len könnte (z.B. Petring/Merkel 2011;Schäfer 2009). Dass in der repräsenta-tiven Demokratie zwischen einer un-terschiedlich starken Wahlbeteiligungund einer politischen (Unter-)Reprä-sentation bestimmter Gruppenthemenund Gruppeninteressen Zusammenhän-ge bestehen (können), erscheint auchohne umfangreiche Forschung plausi-bel. Die wachsende Ungleichheit in derpolitischen Teilhabe ist ernst zu nehmen,weil sie Politik- und Demokratiedistanznoch verstärken kann (Bödeker 2011).

schaft in einer politischen Partei (Olk/Hartnuß 2011; Roth 2011). Am Beginnder ausgesprochen lebhaften neuen Bür-gerschaftsdebatte stand eine eigene „En-quetekommission bürgerschaftliches En-gagement“ (2002), aus der sich u.a. das„Bundesnetzwerk BürgerschaftlichesEngagement“ und inzwischen ein ei-genständiger Politikbereich „Engage-mentpolitik“ mit einem eigenen Unter-ausschuss im Deutschen Bundestag ent-wickelte. Unlängst wurde der dritte sogenannte Freiwilligensurvey vorgelegt,der inzwischen durch die Engagement-berichte und eine Engagementstrategieder Bundesregierung ergänzt wurde. Indiesem Kontext hat sich ein Kreis (en-gagement)politisch aktiver Wissen-schaftler gebildet (u.a. Klein, Olk, Hat-nuß, Roth, Evers u.a.). Dieser wie auchdie gesamte engagementpolitische Of-fensive erfährt große Unterstützungdurch die großen Stiftungen (etwa: Ber-telsmann- und Körber-Stiftung, Gene-rali, Robert Bosch Stiftung u.a.). Enga-gement zu unterstützen erfreut sich imFeld der inzwischen so genannten Cor-porate Citizenship großer Beliebtheit.

Die Kritik an dieser Entwicklungrichtet sich vor allem gegen die zuneh-mende Entpolitisierung des Engage-mentbegriffs (Widmaier 2010). Am deut-lichsten kommt diese Entpolitisierungin dem „Engagementbericht“ der Bun-desregierung aus dem Jahr 2009 zumAusdruck. Dort wird vorgeschlagen, denBegriff des bürgerschaftlichen Engage-ments aus seiner engen Bindung an dieIdee der politischen Partizipation, derDemokratiewahrnehmung und Demo-kratiestärkung zu lösen. Eine solche Eng-führung bilde „unter dem Gesichtspunkt(...), dass durch das alltägliche Engage-ment bestimmte wohlfahrtsstaatlicheProdukte und Leistungen erbracht wer-den“, nicht mehr die ganze Bandbreiteab (BMFSFJ 2009, S. 11). Stattdessenwird dort vorgeschlagen, in Zukunft von„Zivilengagement“ zu sprechen. Dassaus Kreisen der sozialwissenschaftli-chen Partizipationsforschung umgehendharte Kritik an dieser Entpolitisierungdes Partizipationsbegriffs kam, ist nichterstaunlich (vgl. z.B. Klages 2009).

Input- oder Output-Legitimation?

Solche Beobachtungen führen zu einemweiteren Schwerpunkt der aktuellen de-mokratietheoretischen Debatte, nämlichzu der Frage, was heute und in Zukunftdemokratische Machtausübung überhauptnoch legitimiert. Zum klassischen In-ventar dieser Diskussion gehört heute diein Deutschland vor allem von Fritz W.Scharpf eingeführte Unterscheidung derInput- und der Outputlegitimation. De-mokratie ist danach als besonders quali-fiziert und legitimiert einzuschätzen,wenn sich viele Bürger daran beteiligen(Input) und wenn die Bürger gleichzei-tig den Eindruck haben, dass das System(wirtschaftlich) effizient und gerecht ar-beitet (Output) (Klein/Heitmeyer 2011).

Nun gibt es genug aktuelle Beispieledafür, dass effiziente und stabile politi-sche Systeme nicht unbedingt demokra-tisch legitimiert sein müssen. Die in derTheorie geforderte Ausgewogenheit vonInput- und Output-Legitimation zeigt sichalso in der Praxis nur selten. Die oben be-reits eingeführte politikwissenschaftlicheFrage, mittels welcher institutionellen Ver-fahren eigentlich das demokratische Prin-zip am besten verwirklicht werden kann,stellt sich in einer postdemokratischenZeit möglicherweise ganz neu. So erwach -se der liberalen Demokratie einerseits ei-ne ernstzunehmende Konkurrenz durchdie nach westlichen Maßstäben undemo-kratischen, aber wirtschaftlich erfolgrei-chen Länder (Zürn 2011, S. 66 nennt z.B.China und Singapur) und andererseits sei-en postdemokratische Tendenzen durchdie zunehmende Verlagerung politischerEntscheidungen auf supranationale Ebe-nen zu erkennen. Kri tiker wie HaukeBrunkhorst sprechen nicht zufällig von„Transnationaler Klassen herrschaft“ undbeziehen dabei ausdrücklich internatio-nal arbeitende nicht-staatliche Lobby-gruppen und zivilgesell schaftliche Nicht -regierungs organi sationen in die Kritik mitein (Brunkhorst 2008; vgl. auch Bödeker2011).

Politik des individuellen Lebens-stils

Ein neues und wichtiges Feld der Parti-zipation stellt die so genannte „Life stylePolitik“ dar, auch wenn der Begriff so-

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Fachbeitrag

wohl in der Jugend- als auch in der politik -wissenschaftlichen Partizipationsfor-schung bereits eine längere Tradition be-sitzt. Verwiesen sei hier exem plarisch aufdie „Shell-Jugendstudien“ oder die Un-tersuchungen von Gabriel (1986) zur po-litischen Kultur. Zu diesen neuen, auchals „kreative Partizipation“ (Michelet-ti/McFarland 2010) bezeichneten Formenindividueller Partizipation zählen etwader „kritische Kon sum“ oder „Vegeta-riertum“. Ganz sicher gehört in diesesPartizipationsfeld auch alles, was unterdem Sammelbegriff „E-Partizipation“ zu-sammengefasst werden kann (z.B. poli-tisch orientierte Social-Communities,Blogs usw.).

Jan W. van Deth wies unlängst auf diehohe Korrelation zwischen Kontaktauf-nahmen zu Politikern und dem so ge-nanntem politischen Konsum hin. Für ihnsind kritischer Konsum wie andere indi-viduelle nichtorganisierte Engagement-formen deshalb eindeutig Formen politi-scher Partizipation. Sie seien kein Sub-stitut, sondern eine wichtige Ergänzungim Repertoire politischer Partizipations-formen (van Deth 2010, S. 161). Neueempirische Forschungen aus Belgien zei-gen, dass solche Formen individueller(politischer) Partizipation politisches Be-wusstsein fördern und zu demokratischerpolitischer Sozialisation beitragen kön-nen (Quintelier/Hooghe 2012).

Demokratietheorie(n) und Politische Bildung

Ziel der politischen Bildung ist der ak-tive mündige Bürger. Zu Recht hat Her-fried Münkler jüngst darauf hingewie-sen, dass die Demokratie ein Problemhätte, wenn wachsendes bürgerschaftli-ches Engagement zulasten einer poli-tisch verstandenen aktiven Bürgerschaftginge (Münkler 2011, S. 19). Dass es ei-nen solchen Trend tatsächlich gibt, hatder zweite Teil meiner Ausführungendeutlich gemacht.

Die unscharfe Trennung zwischen so-zialer und politischer Partizipation be-stimmte schon im Kern die Debatte zwi-schen der so genannten Demokratie -pädagogik und der Politikdidaktik. WennSibylle Reinhardt (2009) vermeintlich ab-schließend deklariert, dass die alte Kon-troverse zwischen sozialem Lernen und

politischem Lernen entschieden sei, greiftdas aber vor dem Hintergrund der An-merkungen zur Politik des individuellenLebensstils möglicherweise zu kurz.

Die Politische Bildung kommt des-halb meines Erachtens nicht umhin, sichintensiver mit diesen neuen Formen so-wohl des bürgerschaftlichen Engage-ments als auch der kreativen Partizipa-tion zu beschäftigen. Dabei geht es vorallem um drei Dinge: (1) Auch in Zu-kunft wird in der Politischen Bildung ei-ne Orientierung an den Teilnehmendenbzw. Schülern/innen unumgänglich sein.Deshalb sind die neuen Partizipations-formen angemessen einzubeziehen. (2)Die Politische Bildung hatte schon im-mer die Rolle eines Transmissionsrie-mens, eines Übersetzungshelfers zwi-schen Bürger und Politik. Diese Funk-tion kann sie nur dann angemessenwahrnehmen, wenn sie neue politischeEntwicklungen und wissenschaftlicheForschung zeitnah aufnimmt. (3) DiePolitische Bildung hat die Aufgabe, dieMenschen an das Politische im engerenSinne heranzuführen. Sie sollte also aufdie Gefahren eines zunehmend entpoli-tisierten Engagementbegriffs aufmerk-sam machen, gleichzeitig aber Wege auf-zeigen, wie Menschen ihr soziales En-gagement auch politisch reflektieren unddanach ggf. durch politische Partizipa-tion ergänzen können.

Literatur

Bundesministerium für Familie, Senioren,Frauen und Jugend (BMFSFJ): Berichtzur Lage und zu den Perspektiven bür-gerschaftlichen Engagements inDeutschland. Hg: Wissenschaftszen-trum für Sozialforschung Berlin (WZB),Berlin 2009.

Bödeker, S.: Die Soziale Frage der Demo-kratie. Einkommen und Bildung beein-flussen die Chancen politischer Teilha-be. In: WZB-Mitteilungen 134, Dezem-ber 2011, S. 26–29.

Brunkhorst, H.: Demokratische Solidaritätin der Weltgesellschaft. In: Aus Politikund Zeitgeschichte 21/2008, S. 3–8.

Claußen, B.; Noll, A.: Politische Wissen-schaft und Politische Bildung, Hamburg1989.

van Deth, J. W.: Is Creative ParticipationGood for Democracy. In: Micheletti, M.;McFarland, A. S. (Hg.): Creative Partici-pation. Responsibility-Taking in the Po-litical World, London 2010, S. 148– 72.

Evers, A.: Der Bezugsrahmen „Zivilgesell-schaft“. Unterschiedliche Definitionenund ihre Konsequenzen für Konzepte

der Engagementforschung. In: Priller, E.u.a. (Hg.): Zivilengagement. Herausfor-derungen für Gesellschaft, Politik undWissenschaft, Münster 2011, S. 136–151.

Gabriel, O. W.: Politische Kultur, Postmate-rialismus und Materialismus in der Bun-desrepublik Deutschland, Opladen1986.

Gerlach, I.; Jesse, E.; Kneuer, M.; Werz, N.:Einleitung. In: Dies. (Hg.): Politikwissen-schaft in Deutschland, Baden-Baden2010, S. 7–31.

Klages, H.: Kommentar zum Bericht zurLage und zu den Perspektiven des bür-gerschaftlichen Engagements inDeutschland. In: BBE-Newsletter17/2009, http://www.b-b-e.de/filead-min/inhalte/aktuelles/2009/08/nl17_kla-ges.pdf (15.12.2011).

Klein, A.; Heitmeyer, W.: Demokratieent-leerung und Ökonomisierung des So-zialen: Ungleichwertigkeit als Folgeverschobener Kontrollbilanzen. In: Le-viathan 39 (2011), S. 361–383.

Klein, A.: Zivilgesellschaft/Bürgergesell-schaft. In: Olk, T.; Hartnuß, B. (Hg.):Handbuch Bürgerschaftliches Engage-ment, Weinheim/Basel 2011, S. 29–40.

Münkler, H.: Aktive Bürgergesellschaftoder bürgerschaftliches Engagement?Über das Verhältnis von Zivilgesell-schaft und Parteiendemokratie. In:Journal für politische Bildung 1 (2011),Heft 1, S. 10–19.

Olk, T.; Hartnuß, B.: Bürgerschaftliches En-gagement. In: Dies. (Hg.): HandbuchBürgerschaftliches Engagement, Wein-heim/Basel 2011, S. 145–171.

Petring, A./Merkel, W.: Auf dem Weg zurZweidritteldemokratie. Wege aus derPartizipationskrise. In: WZB-Mitteilun-gen 134, Dezember 2011, S. 30–33.

Quintelier, E.; Hooghe, M.: Political Attitu-des and Political Participation: A PanelStudy on Socialization and Self-Selec-tion Effects among Late Adolescents.In: International Political Science Re-view 33 (2012) (i. Ersch.).

Reinhardt, S.: Ist soziales Lernen auch poli-tisches Lernen? Eine alte Kontroversescheint entschieden. In: Gesellschaft –Wirtschaft – Politik (GWP) 58 (2009),Heft 1, S. 119–125.

Roth, R.: Bürgermacht. Eine Streitschriftfür mehr Partizipation, Hamburg 2011.

Schäfer, A.: Alles halb so schlimm? Warumeine sinkende Wahlbeteiligung der De-mokratie schadet. In: Max-Planck-Insti-tut für Gesellschaftsforschung (Hg.):Jahrbuch 2009–2010, Köln 2009, S. 33–38.

Steinbrecher, M.: Politische Partizipation inDeutschland, Baden-Baden 2009.

Widmaier, B.: Postdemokratische PolitischeBildung – Führt der „engagierte Bür-ger“ in eine politikdidaktische Sackgas-se? In: Praxis Politische Bildung 14(2010), Heft 4, S. 245–252.

Zürn, M.: Die Rückkehr der Demokratiefra-ge. Perspektiven demokratischen Regie-rens und die Rolle der Politikwissen-schaft. In: Blätter für deutsche und inter-nationale Politik, Heft 6/2011, S. 63–74.

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Gesellschaftliche Partizipation ist malwieder ein großes Thema: BDI und BILDerörtern auf einem Politikkongress die„Schöne neue Partizipation“, in Berlingibt es den Partizipationsstammtisch, in-ternationale Politik wird unter der Per-spektive von Partizipation und Aneignungjunger Menschen betrachtet, im Media-Camp werden bereits Fragen von parti-zipatorischer Demokratie im Jahr 2020diskutiert. Im Bereich der politischen Bil-dung steht das Prinzip und Ziel der Par-tizipation einerseits kontinuierlich im Mit-telpunkt der pädagogischen Arbeit, an-dererseits lässt sich auch hier aktuell einbesonderes Interesse konstatieren.

Von Spielräumen und Spielre-geln: Partizipation Jugendlicherzwischen Recht und Ausschluss

Im gesellschaftlichen und pädagogischenDiskurs stehen viele unterschiedliche,häufig nicht explizit beschriebene Vor-stellungen von Partizipation nebenein-ander. Durch diese Offenheit wird Par-tizipation in Verbindung mit der allge-mein verbreiteten, vagen Überzeugungihrer Notwendigkeit häufig zum „leerenBegriff“ (Liebel 2009, S. 480). Die Ziel-setzungen changieren dabei zwischenIdeen von Emanzipation und Autono-mie einerseits und konformistischer In-

tegration und gesellschaftlicher Stabili-sierung andererseits (Betz 2011). Typolo -gien unterscheiden Partizipationsformenvon Fremdbestimmung, Dekora tion undAlibi-Teilhabe bis zu Mit be stimmung,Selbstbestimmung und Selbst v erwaltung(Schröder 1995). Im Kon text eines Ver-ständnisses von Partizipation als Selbst-bestimmung im Zugang zu Gesellschafterscheint deren Fassung als demokrati-sches Recht – vor allem auch für dieMachtlosen und von Exklusion Be-drohten einer Gesellschaft – als sinn-volle und zu betonende Perspektive.

Der gesellschaftliche Rahmen, in demsich diese Modelle von Partizipation be-wegen, ist vor allem geprägt von sichzuspitzenden sozialen Ungleichheiten.Politische und ökonomische Ausschluss -mechanismen bestimmen zunehmenddie Spielräume gesellschaftlichen Agie-rens, erschweren oder verhindern Parti-zipation für bestimmte Gruppen. Gera-de Jugendliche aus marginalisierendenKontexten erleben Probleme mit mate-rieller Ausstattung und erfahren Be-nachteiligungen in Bezug auf Bildung.Entlang verschiedener Identitätsachsen(Klasse, Ethnizität, Geschlecht …) undim Zusammenspiel dieser komplex mit-einander verwobenen Faktoren entste-hen Lebenslagen, die das Verständnisvon und das Verhältnis zu Gesellschaftprägen. Zwar verfügen alle Jugendlichenüber Wissens- und Erfahrungsvorräte zuFragen von Gerechtigkeit, Macht undHerrschaftsverhältnissen, diese werdenallerdings unterschiedlich stark aner-kannt. Die gesellschaftliche Spaltung re-produziert sich auch in den politischenInstitutionen und Kommunikationsfor-men – Spielregeln also, die aus den„Arenen der Politik“ (Scherr 2011, S. 8)ausschließen. Aus dieser Konstellation

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Politische Jugendbildung: Partizipation alsWeg und Ziel

Gesellschaftliche Teilhabe von Jugendlichen zwischen Straße, Seminar und Schule

von Theo Länge und Jens Schmidt

Theo W. Länge war bis zum Ende seinerHauptberuflichkeit Bundesgeschäftsfüh-rer von Arbeit und Leben inWuppertal und ist dort seit 2011 als Seni-or Consultant tätig.

Fachbeitrag

Jens Schmidt ist bei Arbeit und LebenHamburg Referent für politische Bildung

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Fachbeitrag

Schließlich stellen sich zwangsläufigin der Bildungsarbeit Fragen nach der ge-sellschaftlichen Bereitschaft, Parti zi -pationsversprechen auch tatsächlich ein -zulösen. Der Einbezug der Idee – undmanchmal auch Forderung – von Teil-habe bedingt den kritischen Blick auf rea-le Handlungsmöglichkeiten, die „Politiknicht nur simulieren“ (Lösch 2011).

Emanzipatorische Inhalte, kritische Hal-tungen und unkonventionelle Hand-lungsformen lassen sich auch als Bedro-hung des etablierten politischen Gefügesverstehen und werden nicht selten mitAbwehr beantwortet: „Ein ums andereMal kommt es zu Situationen, in de nenMenschen partizipieren wollen, ob wohlsie nicht sollen – und sollen, obwohl sienicht wollen.“ (Fach 2004, S. 198) Wirddas Interesse Jugendlicher an der Ent-wicklung eigener Standpunkte durch Po-litik und Mehrheitsgesellschaft aus -schließlich mit dem Hinweis auf die ge-botene Orientierung an eigenen (bür -ger lichen) Positionen beantwortet, wirdeinzelnen Zielgruppen der Bildungsar-beit die Möglichkeit zu bestimmten Par-tizipationsformen grundsätzlich vorent-halten (z.B. Flüchtlingen), gerät also dasTeilhabeversprechen zur „Par ti zipa tions -folklore“ (Liebel 2011, S. 485), dann ver-spielt auch eine mit dem Ziel der Parti-zipation angetretene po litische Bildungihre Glaubwürdigkeit.

erwächst nicht selten Selbstexklusionals vorweggenommene Fremdexklusi-on – „Politik, das ist nicht mein Ding“(Bremer 2008, S. 270).

Außerschulische politische Bildung als Mitspielerin: Diskussionen

Verschiedene Diskussionen in der außer-schulischen politischen Bildung bezie-hen sich auf die Zusammenhänge vonPartizipation(sbereitschaft), Jugend undPolitik. So hat die anhaltende Diskussi-on um die der Bildungsarbeit zugrundeliegende Fassung des Politikbegriffs (engoder weit, staats- oder individuumszen-triert) Folgen für die Bereitschaft Ju-gendlicher zu Aktivität und Partizipati-on. Auch die aktuelle Auseinanderset-zung um politisches Aktionslernen alsBestandteil non-formaler politischer Bil-dung knüpft stark an Überlegungen an,inwiefern politische Partizipation er-reicht und verstärkt werden kann. In derDiskussion werden Einschränkungen(z.B. dass partizipative [soziale] Erfah-rungen in alltäglichen Lebensweltennicht zwangsläufig Zugänge zum Ver-ständnis von und Handeln in Politikeröffnen) und notwendige Bedingungen(z.B. dass reines Aktionslernen begrenztist und Distanz für [politische] Reflexi-on erfordert) genauso formuliert, wieauf Vorteile von Erfahrungen im BereichHandlungsorientierung und Selbst-wirksamkeit für die Bereitschaft zu Par-tizipation hingewiesen (Widmaier2009/2011).

Konturen gewinnen die mit dem Par-tizipationsaspekt verbundenen konzep-tionellen Fragen und inhaltlichen Ziel-setzungen der politischen Bildung inAbgren zung zu Ansätzen des bürger -schaftlichen bzw. zivilgesellschaft lichenEngagements, z.B. in Form von Ange-boten des Service-Learning oder derGründung von Frei willigen-Agenturen.Vielfach stellen diese Engagement-möglichkeiten eben keine Partizipati-onsangebote im Sinne von Emanzipati-on, Selbstwirksam keit und Autonomiedar, sondern orientieren sich primär anökonomischen Nutzenaspekten, offe-rieren geringe Mitsprachemöglichkei-ten und schließen durch EntpolitisierungRäume für gesellschaftliche Teilhabe.

Was geht? Und wie geht’s? Gelingensbedingungen für Parti-zipation durch außerschulischepolitische Jugendbildung

Bei den Gelingensbedingungen für ei-ne Teilhaberechte reklamierende undgleichzeitig zu Teilnahme aktivierendepolitische Bildung geht es zentral um

den Einbezug der alltäglichen Bedürf-nisse und Interessen, aber auch vonSkepsis und Widerstand der Jugendli-chen. Diese Subjektorientierung setztvoraus, dass Ausdrucks- und Artikula-tionsformen anerkannt und der jeweilseingebrachte Zugang zu Politik mit ein-bezogen werden. Der Wunsch nach di-rekter Beteiligung, nach einer Interven-tion in den unmittelbar erfahrbarenNahraum politischer Themen müssteden Ansatzpunkt entsprechender Bil-dungsangebote darstellen.

Eine politische Bildung, die zu Par-tizipation befähigen will, muss auch dieMöglichkeit dazu von Gesellschaft undPolitik einfordern und sich für den Ab-bau struktureller Defizite engagieren.Ein Fokus auf die Idee von gesell-schaftlicher Teilhabe als Recht schafftMöglichkeiten zu einer selbstbewusste-ren und damit vielleicht auch selbst-wirksameren Handhabe des Partizipa -tionsgedankens durch die Zielgruppenjenseits von pädagogischen Erwartun-gen an Aktivierung und Einbindung inkonventionelle Handlungsformen. Dies

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Fachbeitrag

lässt sich direkt mit einer Politisierungdes Bildungsziels Partizipation verbin-den, um gesellschaftliche Hierarchien,Exklusionsstrukturen und Diskriminie-rungsmomente einzubeziehen. Dabeigeht es sowohl um die Vermittlung kog -nitiven Wissens und Urteilsvermögenswie auch um die Anregung zu und Re-flexion von politischer Aktion.

Gleichzeitig sollten die didaktischenPrinzipien politischer Bildung bei derKonzipierung und praktischen Umset-zung von Angeboten im direkten Bezugzum Partizipationsziel stehen. Da klas-sische Prinzipien wie Teilnehmerorien-tierung, Handlungs- und Produktorien-tierung oder die Offenheit von Lehr-/Lernprozessen eng mit der Vorstellungvon Teilhabe verbunden sind, stellen dieBildungsprozesse dann schon in sich Par-tizipationssettings her.

Exemplarisch: Mapping prekärerVerhältnisse als Ansatz für partizipationsorientierte Seminararbeit

Die skizzierten Gelingensbedingungenfür partizipationsorientierte Ansätze las-sen sich sicherlich auf sehr unter-schiedlichen Wegen umsetzen. Mit derMethode des Mapping, also der Karto-graphierung von Raum und gesell-schaftlichen Phänomenen, soll das groß-städtische Quartier als Feld von Preka-

risierungsprozessen einerseits und alsAlltags- und Erfahrungshorizont von Ju-gendlichen andererseits untersucht undim Seminarkontext bearbeitet werden.Die Erstellung einer Karte erlaubt es, be-zogen auf das gewählte Gebiet, Ant-worten auf verschiedene Fragen zu re-cherchieren: Welche Arbeitsplätze ste-hen im Zusammenhang mit dem Thema?(z.B. private Haushalte und illegalisier-te oder temporäre Arbeitsplätze in Ga-stronomie, Bauhandwerk oder Sexindu-strie) Und: Wer arbeitet dort? WelcheRessourcenzugänge können von Be-deutung – weil unsicher – sein? (z.B.medizinische Versorgung oder Wohn-raum) Und: Für wen ist der Zugang ver-stellt? Welche offiziellen Stellen und Ab-läufe tragen zu Prekarisierungsprozes-sen bei und üben Kontrolle aus? (z.B.Ausländerbehörde oder Sozialamt) Und:Auf wen beziehen sich diese Regelun-gen? Welche AkteurInnen sind in die re-levante politische Entscheidungsfindunginvolviert? (z.B. PolitikerInnen oderselbstorganisierte Netzwerke) Antwor-ten und Ergebnisse lassen sich – je nachMöglichkeiten – durch Vor-Ort-Inter-views, (Internet)Recherche oder Exper-tInnen-Befragung zusammentragen.

Auf diese Weise werden Schritt fürSchritt Eindrücke lokalisiert, markiertund dokumentiert (Foto, Film, Zeich-nung, Text …), Ergebnisse bzw. Dis-kussionen festgehalten und damit einPlan erstellt (bzw. ein städtebaulicher

Plan gefüllt, korrigiert, verändert). Esergibt sich ein komplexes Bild der Räu-me, Äußerungen und Widersprüche vonalltäglichen Erfahrungen mit und Kämp-fen gegen Prekarisierung. Der Charak-ter des Verfahrens ist weitgehend offenund wird von den Teilnehmenden be-stimmt: Der Arbeitsprozess ist nichtprimär textlich, es gibt keinen starrenAnfang, vor allem aber auch kein star-res Ende; die entstehende Karte wird vonden TeilnehmerInnen in partizipativerund kollektiver Weise hergestellt. Mitder Karte als Produkt der Seminararbeit– oder als eines Moduls innerhalb einesgrößeren Seminarkontextes – kann wei-tergearbeitet werden. Der Prozess ist da-mit gleichzeitig Wissensproduktion, sub-jektive Erfahrung, Kooperation, sozialeReflexion und politisches Statement.

Schnittstellen der Partizipation?Zusammenarbeit Schule undaußerschulische politische Ju-gendbildung

Spätestens mit den Debatten um den Auf-und Ausbau der Ganztagsschule ver-stärken sich auch Überlegungen und mo-dellhafte Erprobungen einer intensi-vierten Zusammenarbeit von außer-schulischer politischer Jugendbildungund Schule. Im Sinne einer Ganztags-bildung geht es um die Verknüpfung ge-sellschaftlicher Lernorte und das Zu-sammenwirken verschiedener Profes-sionen und AkteurInnen – hier mit demZiel, den Gedanken von Partizipation imZusammenspiel zu unterstützen.

Dabei sind die Ausgangsvorausset-zungen und Rahmenbedingungen in denbeiden Feldern sehr unterschiedlich: Dieinstitutionellen Bedingungen von Schu-le widersprechen auf den ersten Blickan vielen Punkten den Anforderungenvon Partizipation (z.B. ganz zentralSchulpflicht versus Freiwilligkeit undAutonomie). „In der Schule gerät Parti-zipation damit eher zu einer symboli-schen Veranstaltung.“ (Bettmer 2008, S.219) Gleichzeitig findet eine Öffnungund verstärkte Beteiligung von Schüle-rInnen an der Ausgestaltung von Lern-prozessen und -inhalten statt, derenReichweite und Grenzen von den Spiel-räumen der jeweiligen Schule abhängen.

Foto: Nina Höffken

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Fachbeitrag

Kooperationsansätze bieten hier dieMöglichkeit, institutionelle Begrenzun-gen durch ergänzende Lernerfahrungenund professionsspezifische Kompeten-zen bzw. Freiheiten mit dem Ziel zu über-winden, gesellschaftliche Teilhabe alsBildungsziel übergreifend zu verankern.

Auch fordert die Kooperation zwi-schen Schule und außerschulischer Ju-gendbildung eine Abstimmung übergrundsätzliche Gelingensbedingungen,die auch den Aspekt von politischer Par-tizipation als Weg und Ziel betreffen.Hier ließen sich exemplarisch nennen:

• Wie wird mit dem – in diesem Rah-men nicht wirklich einlösbaren – Prin-zip der Freiwilligkeit umgegangen?Reicht es aus, eine relative Freiwil-ligkeit zu gewähren, die über Wahl-alternativen funktioniert? Oder ist esmöglich, Freiwilligkeit als nachho-lende Bewegung durch spannende Ar-beit im Seminar herzustellen? Parti-zipation als Pflichtveranstaltung?

• Lässt sich ein Verzicht auf klassischeFormen der Leistungsorientierungvereinbaren? Stimmen – neben derSchule – auch die SchülerInnen die-sem Gedanken zu? Partizipation alsLeistungsertrag?

• Lassen sich Rahmenbedingungen ge-meinsam herstellen, die den konzep-tionellen Erfordernissen gerecht wer-den? Also: In welcher Zeitstrukturwird gearbeitet? Welche Seminar orte

werden genutzt? Partizipation als 45Minuten-Nummer im Klassenraum?

• Wie lassen sich Prozessorientierungim pädagogischen Handeln und cur-riculare Vorgaben miteinander ver-knüpfen? Und wie bezieht sich diesauf eine sinnvolle Subjekt- und Le-bensweltorientierung? Partizipationim Korsett?

• Wie können die beteiligten Teame-rInnen und LehrerInnen in ihrem Ar-beitsverhältnis, aber auch in ihremKontakt zu den SchülerInnen ein stim-miges Selbstverständnis und sozialesVerhältnis entwickeln, das partizipa-tive Prozesse befördert? Partizipati-on im sozialen Dreieck?

Die grundsätzliche Sinnhaftigkeit einerKooperation zwischen außerschulischerpolitischer Jugendbildung und Ganz-tagsschule wird – auch und gerade an-gesichts konzeptionell bisweilen schwie-riger Fragen – im Zusammenwirken vie-ler Kooperationspartner alltäglich belegtund im Rahmen verschiedener Modell-projekte entsprechend evaluiert. Die Par-tizipationsbemühungen von Bildungs-arbeit können damit den Sprung über Se-minarraum und Schule hinaus in denStadtteil schaffen und wieder zurück-wirken. w

Literatur

Bettmer, F.: Partizipation. In: Coelen, Th.;Otto, H.-U. (Hg.): Grundbegriffe Ganz-tagsbildung, Wiesbaden 2008, S. 213–221.

Betz, T.; Gaiser, W.; Pluto, L. (Hg.): Partizi-pation von Kindern und Jugendlichen.Forschungsergebnisse, Bewertungen,Handlungsmöglichkeiten, Schwal-bach/Ts. 2. Aufl. 2011.

Bremer, H.: Das „politische Spiel“ zwi-schen Selbstausschließung und Fremd-ausschließung. In: Außerschulische Bil-dung, Heft 3, Berlin 2008, S. 266–272.

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Gemeinsame Arbeit imSeminar: Schüler berei-ten das recherchierte Material auf.

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Unter politischer Partizipation werden„jene Verhaltensweisen von Bürgern ver-standen, die sie alleine oder mit anderenfreiwillig zu dem Ziel unternehmen, Ein-fluss auf politische Entscheidungen zunehmen“ (Kaase 2002, S. 350). Elemen -tare Formen der Partizipation in einerrepräsentativen Demokratie sind dieWahlbeteiligung und die Mitarbeit in po-litischen Parteien. Über diese Aktivitä-ten hinaus hat sich seit den 1970er-Jah-ren eine Erweiterung des Partizipations -repertoires in westlichen Demo kratienherausgebildet. Es wird gegenwärtig so-gar davon gesprochen, dass der Charak -ter der Demokratie sich verändert habe,von einer repräsentativen Demokratiehin zu einer „monitorischen Demo kratie“(„monitory democracy“) (Keane 2009).Hierbei spielen Aktivitäten und Grup-pierungen, welche die konventionelle

Politik kritisch beobach-ten, eine zusätzliche legi-timierende Rolle im poli-tischen Prozess.

Im Folgenden wird an-hand von Ergebnissen desDJI-Survey AID:A1 einbreites Repertoire politi-scher Einstellungs- undVerhaltensweisen darge-stellt: auf der einen Seitedie Handlungsbereit-schaften, also die Vor-stellungen junger Men-schen davon, wie sie ihrepolitischen Einstellungenzur Geltung bringen kön-nen; auf der anderen Sei-te das tatsächliche Ver-halten, also wie sie sichschon einmal ins politi-

sche Geschehen eingemischt haben (vgl.hierzu ausführlich Gaiser/Gille 2012).

Manche Partizipationsformen setzenein regelmäßigeres Engagement voraus(z.B. Mitarbeit in einer Partei), anderekommen in punktuellen Aktionen zumAusdruck. Bei diesen geht es um politi-sche Handlungen und Positionsbekun-dungen, die nur einen zeitlich begrenz-ten Aufwand erfordern.

Bezüglich der Handlungsbereitschaf -ten, steht die Beteiligung an Wahlen mitAbstand an erster Stelle der Partizipa -tionsformen (vgl. Tabelle). Von nahezu

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Politische Partizipation junger Menschen

Ergebnisse zu den 18- bis 29-Jährigen aus dem DJI-Survey

„Aufwachsen in Deutschland“ (AID:A)

von Wolfgang Gaiser und Martina Gille

Dr. Wolfgang Gaiser war bis zu seinerPensionierung Grundsatzreferent für Ju-gendforschung am Deutschen Jugendin-stitut (DJI), München

Fachbeitrag

Martina Gille, Wissenschaftliche Referen-tin am Deutschen Jugendinstitut (DJI),München

Kommt Frage

Bereits gemacht

Sich an Wahlen beteiligen 94 87

Beteiligung an einer Unterschriftensammlung

87 75

Teilnahme an einer genehmigtenDemonstration

65 43

Sich in Versammlungen an öffentli-chen Diskussionen beteiligen

53 34

Aus politischen, ethischen oder Um-weltgründen Waren boykottierenoder kaufen

51 37

Sich an einer Online-Protestaktionbeteiligen 50 25

Mitarbeit in einer Bürgerinitiative 39 5

In einer Partei aktiv mitarbeiten 22 4

Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration

20 7

Quelle: AID:A – DJI-Survey 2009 (gewichtet); 18- bis 29-Jährige; N=6.454.

Tabelle: Politische Partizipation: Bereit-schaften und Aktivitäten (in %)

Frage: „Wenn Sie politisch in einer Sache, dieIhnen wichtig ist, Einfluss nehmen, IhrenStandpunkt zur Geltung bringen wollen: Wel-che der Möglichkeiten käme für Sie in Frageund welche nicht?“ Für alle genannten Bereit-schaften erfolgte dann die Nachfrage: „Welcheder genannten Möglichkeiten, haben Sie schoneinmal gemacht bzw. waren Sie schon einmalbeteiligt?“. Dargestellt sind die Anteile von„Kommt in Frage“ und „Bereits gemacht“ anallen Befragten.

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16 polis 1/2012

Fachbeitrag

tionsformen untersuchen. Dabei zeigtsich, dass politisch interessierte jungeMenschen eine breite Palette von Parti-zipationsformen häufiger ausgeübt ha-ben als jene, die sich als politisch des-interessiert bezeichnen. Ebenso erhöhenhohe Bildungsressourcen die Wahr-scheinlichkeit, ein breites Spektrum vonpolitischen Aktivitäten ausgeübt zu ha-ben. Migrationserfahrungen wirken sichnicht in nur im Hinblick auf die Ausü-bung des Wahlrechts als eher hinderlichaus, sondern bei allen politischen Akti-onsformen finden sich bei Migranten-jugendlichen geringere Aktivitätsquo-ten. Dies ist besonders deutlich bei jun-gen Menschen der 1. Generation, dienoch über eigene Zuwanderungserfah-rungen verfügen.

Geschlechtsspezifische Verhalten-sprofile verdeutlichen die unterschied-lichen Zugangschancen von jungenFrauen und Männern: Parteiarbeit isteher Männersache, ebenso das Mitdis-kutieren in öffentlichen Versammlun-gen wie auch die Teilnahme bei Online-

allen jungen Menschen wird offen-sichtlich das Wählen als die wichtigsteund selbstverständlichste Form demo-kratischer Beteiligung und politischerEinflussnahme angesehen (94%). DieBeteiligung an Unterschriftensamm-lungen steht an zweiter Stelle der in Be-tracht gezogenen Partizipationsformen(87%), gefolgt von der Bereitschaft, sichan genehmigten Demonstrationen (65%)und sich in Versammlungen an öffent-lichen Diskussionen zu beteiligen (53%).Die Hälfte der 18- bis 29-Jährigen wä-re zudem bereit aus politischen, ethi-schen oder Umweltgründen Waren zuboykottieren (Boykott) oder zu kaufen(Buykott). Ebenso viele können sich vor-stellen, bei einer Online-Protestaktionmitzumachen. Auch eine eher politischmotivierte Mitarbeit in einer Bürgeri-nitiative ziehen fast zwei Fünftel (39%)in Erwägung. Die Mitarbeit in einer Par-tei findet sich demgegenüber wenigerim Verhaltensrepertoire junger Men-schen (22%). Im Vergleich zu den mei-sten anderen Formen ist die (in Telefo-ninterviews im Auftrag des DJI!)geäußerte Bereitschaft, sich an politi-schen Aktionen zu beteiligen, die sichmöglicherweise an der Legalitätsgren-ze bewegen, gering: 20% können sichvorstellen, sich an einer nicht-geneh-migten Demonstration teilzunehmen.

Betrachtet man die Handlungsbe-reitschaften im Vergleich zum tatsäch-lichen Handeln, so zeigt sich, dass außerbei der Beteiligung an Wahlen und Un-terschriftensammlungen erhebliche Dis-krepanzen zwischen Bereitschaften undausgeübten Aktivitäten bestehen. DieseDiskrepanzen lassen sich mit bisher feh-lenden Anlässen und Gelegenheits-strukturen für ein konkretes politischesHandeln erklären. Diese Diskrepanzenverweisen aber auch auf hohe Engage-ment-Potenziale bei jungen Menschen,deren Realisierung gezielt durch Poli-tik und Praxis gefördert werden könn-ten.

Auf mögliche Hemmnisse bzw. Ver-stärker für die Realisierung von Enga-gement-Potenzialen verweisen Analy-sen, die die Bedeutung möglicher Ein-flussfaktoren wie dem politischenIn te resse, dem Bildungsniveau, dem Mi-grationshintergrund, der Geschlechts-zugehörigkeit und der Region auf dieAusübung unterschiedlicher Partizipa-

Protestaktionen. Interessant ist, dass sichjunge Frauen häufiger an Unterschrif-tensammlungen sowie an Aktionen despolitischen Konsums beteiligen.

Entwicklungstrends

Mit den Daten von AID:A und den dreiWellen des DJI-Jugendsurvey lassen sichEntwicklungstrends in der sozialen undpolitischen Involvierung junger Men-schen zwischen 1992 und 2009 be-schreiben.

Das politische Interesse, das einewichtige Voraussetzung für politischePartizipation ist, hat bei den Jugendli-chen und jungen Erwachsenen zwischen2003 und 2009 deutlich zugenommen.

Während im Jahr 2003 nur 22% derBefragten sehr stark beziehungsweisestark an Politik interessiert waren, sindes 2009 bereits 34% (vgl. Abbildungoben). Der Zuwachs im politischen Inter -esse spiegelt sich auch im gestiegenenAktivitätsniveau wider. So ist die Teil-

Politisches Interesse, soziale und politische Partizipation: Zunahme des Engagements

Verfasste und protestorientierte Partizipation, Mitgliedschaft in Vereinen, politisches In-teresse und Engagement in den Neuen Sozialen Bewegungen, 18- bis 29-Jährige, 1992bis 2009 (in %)

Quelle: DJI-Jugendsurvey 1992, 1997, 2003 und AID:A – DJI-Survey 2009 (gewichtet); 18-bis 29-Jährige

Verfasste politische Partizipation (mindestens 1 Aktivität): Bereits an Wahlen teilgenommen oder ineiner Partei mitgearbeitet.Protestaktivität (mindestens 1 Aktivität): Bisher an (genehmigten oder nicht-genehmigten) Demon-strationen oder an Unterschriftensammlungen oder an einem Boykott teilgenommen.Zum Indikator „mind. 1 Mitgliedschaft“: Da in den DJI-Jugendsurveys die Befragten zunächst nachihren Mitgliedschaften in verschiedenen Vereinen/Verbänden gefragt wurden und in einem zweitenSchritt nur die Mitglieder weiter befragt wurden, ob sie dort aktiv sind – in AID:A war die Reihenfol-ge dieser Abfrage umgekehrt: erst wurde die Aktivität in Vereinen erhoben und bei den Aktivendann die Nachfrage nach einer Mitgliedschaft vorgenommen – wird hier für einen Zeitvergleich aufdie Mitgliedschaft Bezug genommen.Politisches Interesse: Zusammenfassung der Befragten, die sich sehr stark oder stark für Politik inter-essieren (5-stufige Skala: sehr stark/stark/mittel/wenig/überhaupt nicht).Mindestens 1 Aktivität (Umwelt, Frieden, Menschenrechte): Aktivität/Teilnahme an Umweltschutz-,Friedensinitiativen, Menschenrechtsgruppen oder Bürgerinitiativen.

Mindestens 1 Aktivitätverfasste polit. PartizipationMindestens 1Protestaktivität

Mindestens 1Mitgliedschaft

Starkes politisches Interesse

Mindestens 1 Aktivität(Umwelt, Frieden, Menschenrechte)

100%

90%

80%

70%

60%

50%

40%

30%

20%

10%

0%1992 1997 2003 2009

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17polis 1/2012

Fachbeitrag

nahme im Bereich der verfassten politi-schen Partizipation, d.h. zur Wahl ge-gangen zu sein oder in einer Partei mit-gearbeitet zu haben, deutlich angestie-gen. Noch stärker ist allerdings derBedeu tungszuwachs bei den protest - orientierten Aktivitäten wie die Teil - nahme an Demonstrationen, Unter-schriftensammlungen oder Bürgerini -tiativen. Während 1992 nur 50% der 18-bis 29-Jährigen mindestens eine protest -orientierte Partizipationsform ausgeübthatten, waren es 2009 bereits 83%. DasEngagement in den Neuen Sozialen Be-wegungen ist vom Umfang zwar nichtsehr hoch, aber in bestimmten Bereichendurchaus zunehmend. Zusammenfas-send ergibt sich also im Zeitvergleichfür die verschiedenen Partizipationsfor-men junger Menschen ein stabiles undzum Teil sogar steigendes Beteiligungs -profil.

Fazit und Perspektiven

Die Entwicklungstrends zur sozialen undpolitischen Partizipation in den letztenzwei Jahrzehnten geben keinen Anlasszu der Besorgnis, dass die jungen Men-schen sich zunehmend aus den gesell-schaftlichen Institutionen und Mitbe-stimmungsstrukturen zurückziehen wür-den. So hat das Engagement in Vereinenund Verbänden eine unverändert hoheBedeutung (Gaiser/Krüger/de Rijke2009). Der Stellenwert von politischerPartizipation in Form von punktuellenAktionen bleibt für diese Altersgruppezentral. Hier zeigt sich sogar ein konti-nuierlicher Anstieg insbesondere im Hin-blick auf protestorientierte Aktionen.

Auch beim Engagement in den Neu-en Sozialen Bewegungen/NSB/NGOgibt es keinerlei Anzeichen dafür, dassdiese Beteiligungsform an Bedeutungverliert.

Die verschiedenen Partizipationsfor-men werden von den jungen Menschendabei nicht als zeitlich, formal oder in-haltlich konkurrierend oder einander aus-schließend erlebt. Vielmehr kommt eseher zu einer gegenseitigen Verstärkung:Beteiligungserfahrungen, Motivationenund Kompetenzen, die beispielsweiseaus der Mitarbeit in Vereinen und Ver-bänden entstehen, werden auf andere Be-reiche übertragen und umgekehrt.

Die Entwicklung der verschiedenenPar tizipationsformen bei jungen Men-schen bietet keinen Anlass für negativeZu kunftsszenarien, die eine zunehmen-de Abkehr der Jugend von Gesellschaftund Politik heraufbeschwören. Die nachwie vor deutliche Abhängigkeit derBetei ligung junger Menschen von Le-benslagenaspekten wie kulturellen Res-sourcen, Geschlechtszugehörigkeit, Mi-grationshintergrund und Religions zu ge -hö rig keit verweist aber darauf, dass nichtalle junge Menschen die gleichen Chan-cen haben zu partizipieren. Da mitEngagement erfahrungen auch eine stär-kere Orientierung an öffentlichen Be-langen sowie positive Erlebnisse vonSelbstwirksamkeit einhergehen, bedeu-tet ein Ausschluss von jungen Menschenaus diesen Gestaltungs- und Mitwir-kungschancen auch, dass sie die mitpraktischen Beteiligungserfahrungen ver-knüpften Chancen des Lern- und Kom-petenzgewinns nicht wahrnehmen kön-nen (Gille/de Rijke/Gaiser 2011).

Betrachtet man die Ergebnisse derempirischen Sozialwissenschaft zur Par-tizipation Jugendlicher in Deutschlandzusammenfassend und unter der Per-spektive Sozialraum, der Formen undder Netze, so zeigen sich örtlich konkre -tisierte synergetische Effekte zwischenverbandlichem, informellem und punk-tuellem Engagement. Und: das Internet– entgegen der Unterstellung es fördereden Rückzug ins Private – ist zum Haupt-medium der Vernetzung, Aktivierung,politischen Spontanartikulation und An-eignung des öffentlichen Raums ge-worden ist. Vor Ort, im Realraum trifftman sich gestaltend zum Guerilla-Gar-dening indem man betonierte Straßen-ränder in Blumenbeete verwandelt, zurRettung von Bäumen, zum blitzartigenProtest (Flash-Mob), zur künstlerisch-politisch gestaltenden Aktion (Adbusting= Verfremdung von Werbeplakaten undStreet-Art). Der örtliche Raum wird alsRaum begriffen, der allen gehört. Ge-meinschaft wird hergestellt. Grenzzie-hungen sind verpönt. Das gilt für Alter,Geschlecht, Herkunft, Nationalität. Ge-rade das grenzüberschreitend Gemein-same macht der Reiz aus. Internationa-lität und Gemeinschaft, Tradition undZukunft sollen verbunden sein.

Was bedeutet das nun für weiterge-hende und grundsätzliche Fragen der ef-

fektiven Partizipation, der Stärkung vonAktivierungspotenzialen durch wissen-schaftliche Erkenntnisse, der politischenErmöglichung von Beteiligung sowieder praktischen Unterstützung jungerMen schen, die ihr Interesse an einer le-benswerten Zukunft – vor Ort und glo-bal – ge staltend umsetzen wollen? Per-spektivenreich für die ortsbezogeneRefle xion globaler Ent wick lungs not -wendigkeiten und loka ler Handlungs-möglichkeiten sind Konzepte, die mitBegriffen wie Glokalisierung, Sozial-raumorientierung, lokale Steue rung, ak-tivierende Sozialplanung, de fense of pla-ce usw. umschrieben werden. Der glo-balen Problemgenerierung soll ten so auförtlicher Ebene Denk- und Hand lungs -möglichkeiten entgegengesetzt werden,die durch hierarchiefreie Ver netzung al-ler Akteure neue Gestal tungs potenzialeeröffnet.

Anmerkung

1 In AID:A wurden im Jahr 2009 aus25.000 Haushalten alle Altersgruppenzwischen Null und 55 Jahren befragt(siehe auch: www.dji.de/aida).

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w

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Der im Mai 2012 stattfindende Bun-deskongress der Deutschen Vereinigungfür Politische Bildung widmet sich demThema „Partizipation“. U. E. ist es not-wendig, sich mit den pädagogischen Tra-ditionen dieses originär demokratischenPrinzips auseinanderzusetzen. Ein Blickin die Historie sensibilisiert dafür, Mit-bestimmung von Schülerinnen undSchülern als antinomisch strukturiertepädagogische sowie gesellschaftlicheHerausforderung akzeptieren und ge-stalten zu lernen.

Berlin 1928

So sorgte das Berliner Werner-Siemens-Realgymnasium für Aufsehen, als es –

als erste preußische Schule überhaupt –im Jahre 1909 eine Schülerselbstver-waltung und Schülergerichte einführte.Im August 1928 nutzten die Gym -nasiasten dann die Mitspracherechteselbstbewusst, um gegen eine Verfas-sungsfeier an ihrer Schule zu protes -tieren. Der Schülerausschuss beschlossdaraufhin eine Wiederholung der Feier,die schließlich einen unerwarteten Zu-lauf Berliner Jugendlicher erlebte. Auseinem pädagogischen Ins trument er-wuchs eine reale politische Handlung.

Schließlich erreichten die Gym -nasiasten eine Veränderung der Rechts-lage. Die vormals gültige Schulordnung,die eine Schülermitsprache nicht vorsah,wurde reformiert. In den Folgejahrendurften Schüler die Verfassungsfeier mit-

gestalten. Sogar der Preußische Land-tag debattierte den Vorfall. Das BerlinerTageblatt vom 22. August 1928 kom-mentierte: „Hier haben endlich Schülerden Mut zur freien Rede gefunden“. Kri-tiker sahen eine politische Verhetzungder Jugend und eine unzulässige Politi-sierung der Schule. Die Neue sächsischeSchulzeitung prognostizierte skeptisch:„Es kann sehr nett werden, wenn künf-tig die Schüler so Politik treiben. Poli-tische Jugend! Sie könnte auch – drübenstehen! Was dann?“ (1928, S. 236f.)

Eine Rekonstruktion der pädagogi-schen Diskurse bis 1933 zeigt einenLernprozess, in dem Schüler nicht mehrals „tabula rasa“, sondern als politischeSubjekte wahrgenommen werden. Par-tizipation wird zunehmend als autono-

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„Es kann sehr nett werden, wenn künftigdie Schüler so Politik treiben“

Partizipation zwischen Vereinnahmung, Integration und

Empowerment

von Matthias Busch, Tilman Grammes und Christian Welniak

Matthias Busch, Mitarbeiter am Arbeits-bereich Didaktik Sozialwissenschaftender Universität Hamburg; Studienrat amDeutsch-Luxemburgischen Schengen-Lyzeum, Perl

Fachbeitrag

Dr. Tilman Grammes, M.A., Professor fürErziehungswissenschaft an der Univer-sität Hamburg

Christian Welniak, Dipl.-Päd., Mitarbeiteram Arbeitsbereich Didaktik Sozialwissen-schaften der Universität Hamburg, Spre-cher der Deutschen Gesellschaft für Demokratiepädagogik e.V. Hamburg

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19polis 1/2012

Fachbeitrag

„Was war in dieser Situation zu tun?“fragen Ibrahims nachdenkliche Lehrerim Projektbericht. Seine Mitschüler for-dern eine Einzelfallregelung, wie es siezuvor schon einmal an der Schule ge-geben hat. Das Ergebnis ihres vielfälti-gen Engagements: Der Abschiebeter-min verstreicht, ein Asylfolgeantrag kanneingereicht werden. In ihrem Zwi-schenresümee reflektieren die beglei-tenden Lehrer das Spannungsverhältniszwischen Demokratie als Lebens-, Ge-sellschafts- und Herrschaftsform: „Ausmenschlicher und sozialer Sicht ist dieAbschiebungsentscheidung kaum zuverantworten. Was aber ist zu tun, wenndie Behörden dabei bleiben? Die Leh-rer und Schüler geraten möglicherwei-se in ein Dilemma mit dem Gewaltmo-nopol des Staates“ (vgl. Stein 2011).

Engagement und Reflexion

Das Förderprogramm „Demokratischhandeln“ hat als einer der größten deut-schen Schulwettbewerbe die reform -pädagogische Tradition aufgegriffen,politisches Lernen mit Projektlernen zuverbinden. Der Wettbewerbscharakterist nicht unumstritten. Die Projektda-tenbank ist eine erstaunliche Fundgru-be demokratiepädagogischer Kreativität.Pro jekten wird aus politikdidaktischerSicht nicht selten vorgeworfen, denAkteu ren im Überschwang des Enga-gements zu wenig Raum für rationaleUrteilsbildung zu lassen. Erwachsenewürden Überwältigung durch Ver ein -nahmung zumindest nicht verhindern –ein Verstoß gegen eine pädagogischeEthik („Überwältigungsverbot“) (Sam-moray/Welniak 2012).

In Punkt 5 des Magdeburger Mani-festes der Demokratiepädagogik wer-den Kriterien genannt, die die Ambiva-lenzen demokratischer Schul- und Un-terrichtsentwicklung offenlegen können.Hierzu müssen sie demokratietheore-tisch allerdings als dialektisch-polaresSpannungsverhältnis ausformuliert wer -den: z. B. Partizipation ó Repräsenta-tion (vgl. Grammes 2010): „Politischwie pädagogisch beruht der demokrati-sche Weg auf dem entschiedenen undgemeinsam geteilten Willen, alle Be-troffenen einzubeziehen (Inklusion undPartizipation), eine abwägende, am Prin-

mes politisches Handeln begriffen; po-litischer Bildung wird eine sozialisati-onsbegleitende Aufgabe zugewiesen.Die „Gewöhnung“ an demokratischeMit gestaltung, aber auch die „Selbstdis -zi plinierung“ bilden in den Diskussio-nen zwei zentrale, wenngleich durchausam bivalente pädagogische Ziele derSchü lerbeteiligung. Aus den Ausein -ander setzungen mit derartigen Praxis -erfahrungen entwickel ten sich in derWeimarer Republik fachdidaktischeDenkmuster, die Einsichten des „Beu - tels bacher Konsenses“ (1976), wie erfünf Jahrzehnte später als Reaktion aufeine Politisierung formuliert wurde,„vor wegnehmen“ (vgl. Busch 2011).

Nach 1933 wurde (politisches) En-gagement durchweg vereinnahmt. Inaußerschulischen Organisationen (HJ /BDM) wurde „Partizipation“ von Kin-dern und Jugendlichen als Integrations-mechanismus entwickelt und (aus)ge-nutzt.

Die Deutsche Demokratische Repub -lik wird als „partizipatorische Dik tatur“(Mary Fulbrook) bezeichnet. Vorhan-dene Mitbestimmungsmöglichkeitenwurden für die Interessen der Herr-schenden instrumentalisiert. Vor demHintergrund dieser unterschiedlichen,aber spezifisch deutschen totalitären Er-fahrungen stehen politische Aktion undpolitisches Lernen in einem kritisch dis-kutierten Verhältnis zueinander.

Bremen 1997

Die Wahrnehmung von Schülern als po-litische Subjekte ist auch Thema einesFalles, der unter ganz anderen Umstän-den, an anderem Ort Aufsehen erregt.Er ist im Rahmen des Schulwettbewerbs„Demokratisch handeln“ dokumentiert:Das Projekt heißt „Ibrahim soll bleiben“.

Ibrahim ist ein 15-jähriger Schüler,der gemeinsam mit seinem Bruder Abassasylsuchend aus Togo nach Deutschlandgekommen ist. Ihre Mutter ist gestor-ben; Vater und Bruder sind in Togo auspolitischen Gründen inhaftiert. Ibrahimverfügt im Asylverfahren über keinenRechtsbeistand; sein Antrag wird vomBremer Verwaltungsgericht abgelehnt.Abass sucht Schutz vor den deutschenBehörden, indem er sich versteckt.

zip der Gerechtigkeit orientierte Ent-scheidungspraxis zu ermöglichen (De-liberation), Mittel zweck dienlich undsparsam einzusetzen (Ef fizienz), Öf-fentlichkeit herzustellen (Trans parenz)und eine kritische Prüfung des Handelnsund der Institutionen nach Maßstäbenvon Recht und Moral zu sichern (Legi-timität).“

Die Projektberichte zeichnen das Bildeiner hochengagierten und argumenta-tionshomogenen Schulgemeinschaft.Die Dynamik von Projektlernen liegtgerade auch in der „Stärke nicht hinter-fragter Gewißheit“ (Breit 2005, S. 58).Die Kritik eines „Mainstream“ der Po-litikdidaktik reklamiert das Kontro-versgebot: „Das Abtauchen eines Flücht-lings in die Illegalität“ wird „auf derEbene der rechtsstaatlichen Demokra-tie [als] ein gravierendes Problem“ wahr-genommen. In der Auseinandersetzungum das Bleiberecht müsse auch deutlichgemacht werden, „warum ein Rechts-staat allgemein verbindliche Regelun-gen braucht, ziviler Ungehorsam nur dieAusnahme darstellen kann […] “ (Pohl2009, S. 111f.).

Nun sind es allerdings die gerade ver-loren gegangenen Gestaltungsmöglich-keiten, die Schüler motivieren, sich fürIbrahim zu engagieren: Eine in der Ver-gangenheit an der Schule stattgefunde-ne Einzelfallregelung lässt der amtie-rende Innensenator nicht mehr zu. Des-halb handeln Ibrahims Mitschüler imSinne der dritten regulativen Idee desBeutelsbacher Konsens: Sie engagierensich für ihre Interessen.

Nationaler oder kosmopolitischerBezugsrahmen für Partizipation?

In der strukturkonservativen Kritik wirddemokratietheoretisch ignoriert, dasssich die Weltgemeinschaft andere „ver-bindliche Regelungen“ (UN-Kinder-rechtskonvention) als der Nationalstaatgegeben hat und dass demokratischeRechtsstaaten – im Sinne lernender Ge-sellschaften – eine sorgsame Veränder-barkeit garantieren, um Menschenrech-te zunehmend inkorporieren zu können.

Eine internationalisierte Sozialge-schichte der politischen Bildung ver-deutlicht, wie sich in den Konflikten dermulti-ethnischen Einwanderungsge-

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20 polis 1/2012

Fachbeitrag

sellschaften, z. B. in den USA und Kanada frühzeitig eine „Civic Educa tion“entwickeln konnte, die die Blick richtungvom Nationalstaat auf die Zivil gesell -schaft verlagert. Menschenrechts- undBefreiungsbewegungen haben die Ge -staltung gesellschaftlichen Lernens auchin Deutschland inspiriert, z. B. הטואזטאב(Betzavta) in Israel oder satyāgraha (zi-viler Ungehorsam) in Indien als Formender konstruktiven Konfliktaustragung undgewaltfreien Gesellschaftsveränderung(vgl. James u.a. 2008).

Die „Mondialisierung“, d.h. derMacht- und Bedeutungsverlust des Na-tionalstaates in der „Weltrisikogesell-schaft“ (Beck 2007), erfordert es, überdie normativen Bezugsrahmen politi-scher Bildung nachzudenken. Orientie-ren wir uns an dem geltenden Recht desNationalstaates (konventionelle Moral)oder an den universellen Menschen-rechten (postkonventionelle Moral)? Eine kosmopolitische Ethik schätzt dieDifferenzen zwischen Menschen: Einerseits erkennt sie die universellenMenschenrechte voraussetzungslos alsGrundlage politischen Denkens und Handelns an (Osler 2010); gleichzeitigverlangt sie, dass bereichsspezifische ge-sellschaftliche Handlungsrationalitäten– z. B. auch eine „Kultur der Gastlich-keit“ (Liebsch 2008) wie im Fall Ibra-him – politisch ausgehandelt werden.

Lernender Mensch trifft auf lernende Gesellschaft

Mündigkeit und Partizipation bedeutenauch, sich von alltagskulturellen Selbst-verständlichkeiten der Mehrheitsgesell-schaft zu emanzipieren und Impulse zurVeränderung anzuregen. Projektlernenhält die Spannung zwischen den Prinzi-pien der Demokratie und den tatsächli-chen Verhältnissen wach (Petrik 2010).„Demokratie lernen und leben“ (JohnDewey) kann indes auch nicht-inten-dierte Nebenfolgen provozieren. NebenProjek ten ist z. B. der Klassenrat eineweitere traditionsreiche Bauform derSelbstverwaltung im Spannungsfeld vonschulischer Autorität und Hand lungs -autonomie. Wird er zu Klärung inter -individueller Konflikte oder als Maßre-gelung missbraucht, verursacht er eine„verordnete oder instrumentelle Auto-

nomie, die zur Reduzierung der schuli-schen Partizipationsvorstellungen aufdie Erfüllung schulischer Handlungs-aufgaben führt“ (de Boer 2008, 139). Ingut gemeinten Klassenregeln wie „Wirsind pünktlich!“ oder moralisierendenLösungen wie „Wenn Du nicht ent-scheidest, verlasse ich Dich! Deine Demokratie“ zeigt sich eine gouverne-mentale „Regierung der Subjekte“, derenpartizipatorische Losungen von Kindernund Jugendlichen als Kontrollimpera -tive erlebt werden können, die Druck,Stress und Anpassung auslösen (zu die-ser Kritik vgl. viele Beiträge in Lösch& Thimmel 2010).

Politische Bildung hat die Aufgabe,(politische) Mündigkeit und Urteils-fähigkeit zu fördern. Sie stärkt Kinderund Jugendliche darin, sich gegen so-ziale, gesellschaftliche und politische Ins -trumentalisierungen zu wehren, die nichtihren eigenen Interessen entsprechen.Zum anderen bereitet sie junge Men-schen darauf vor, sich innerhalb beste-hender politischer Kulturen bewegen zukönnen und den Sinn des lebenswelt-fernen Geflechts politischer Institutio-nen verstehen zu können. Das im natio-nalen Rahmen verkürzt gesehene Kon-troversgebot kann die Entwicklung einesdemokratischen Bewusstseins erschwe-ren, wenn es nicht um Selbstwirksam-keitserleben und Empowerment gemäßseines dritten Grundsatzes ergänzt wird.

Die „liberale Ironikerin“ (RichardRorty) als Lernziel politischer Bildungkann sich für ein gesellschaftliches Pro-jekt einsetzen und zugleich dessen Kon-tingenz und begründungsmäßige Rela-tivität akzeptieren. Um die schwierigeBalance zwischen Aktion (Engagement)und Reflexion professionell und lern-produktiv zu gestalten, müssen wir eineArt „Gewaltenteilung“ in politischenBildungsprozessen realisieren: Legis-lative Phasen der Willensbildung (Kon-troversität) müssen von exekutiven Phasen der gestaltungsorientierten Aus-führung einer getroffenen Entscheidung(Interessengebot) unterschieden wer-den. Demokratische Schulkultur be -nötigt regelhaft fächerübergreifendeProjekte und fachliche Aufgabenkultur,um diese Ambivalenz politischer Par-tizipation und die Antinomien politi-scher Bildung selbst als Lerngegenstandzu entwickeln. Nicht nur die Refle -

xionsphase ist die Achillesferse hand-lungsorientierter Methoden; umgekehrtkann eine „Diktatur des Sitzfleisches“auch die unbefangene Erfahrung desMit-Handelns gefährden.

Literatur

Beck, U.: Weltrisikogesellschaft, Frank-furt/M. 2007.

Breit, G.: Demokratiepädagogik und Poli-tikdidaktik – Gemeinsamkeiten undUnterschiede. In: Weißeno, G. (Hg.):Politik besser verstehen, Wiesbaden2005, S. 43– 61.

Busch, M.: „Ich habe mich immer ganzbesonders gefreut, wenn … die Mei-nungen heftig aufeinander platzten“.Die „Aktuelle Stunde“ im staatsbür-gerlichen Unterricht der Weimarer Re-publik. In: Vierteljahrsschrift für wis-senschaftliche Pädagogik, 87. Jg., Heft3 (2011), S. 457–471.

de Boer, H.: Der Klassenrat im Spannungs-feld von schulischer Autorität undHandlungsautonomie. In: Breiden-stein, G.; Schütze, F. (Hg.): Paradoxienin der Reform der Schule, Wiesbaden2008, S. 127–140.

Grammes, T.: Anforderungen an eine Di-daktik der Demokratie. In: Lange, D.;Himmelmann, G. (Hg.): Demokratie-Didaktik, Wiesbaden 2010, S. 203–222.

James, A.; Davies, I.; Hahn, C. (Hg.): TheSage Handbook of Education for Citi-zenship and Democracy, Los Angeles2008.

Liebsch, B.: Für eine Kultur der Gastlich-keit, Freiburg 2008.

Lösch, B.; Thimmel, A. (Hg.): Kritische po-litische Bildung. Schwalbach/Ts. 2010.

Osler, A.: Education for Cosmopolitan Ci-tizenship? A Challenge for the Nation-state, Centre for Governance and Citi-zenship, Hong Kong 2010.

Petrik, A.: Am Anfang war die Politik. In:Lange, D.; Himmelmann, G. (Hg.): De-mokratie-Didaktik, Wiesbaden 2010, S.241–257.

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Projektdatenbank „Demokratisch han-deln“: http://www.demokratisch-han-deln.de/dh-data/show.php?id=23.

Stein, H.-W.: Demokratisch handeln in derSchule und „große Politik“ – Missionimpossible? In: Beutel, W.; Fauser, P.(Hg.): Demokratiepädagogik. Schwal-bach/Ts. 2011, S. 171–198.

Sammoray, J.; Welniak, C.: Civic Educationand Empow erment. „The Chestnut Ca-se“. In: Journal of Social Science 2012,2 (i. E.).

w

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Im Oktober 2011 äußerte sich der Er-finder Michael Herrlich in der Frank-furter Allgemeinen Zeitung über unserBildungssystem: „Schüler und Studen-ten müssen vorgegebene Aufgaben lö-sen, deren Ergebnis schon im Vorhineinfeststeht. Das ist völlig lebensfremd.“Tatsächlich orientiert sich die Unter-richtspraxis oft am rezeptiven Lernen.Dabei versuchen die Schüler in einermeist passiven Rolle, die Lerninhalteaufzunehmen, zu memorieren und beimTestat abzurufen. Die Lehrkraft hat denLernstoff zuvor vollständig aufgearbei-tet – zumindest sollte sie das – und kenntschon vor dem Unterrichtsbeginn dasgewünschte Ergebnis. Das gibt dem Leh-rer ein Gefühl von Sicherheit, da dadurchzumindest inhaltlich Überraschungenselten sind (Detjen 2005, S. 565).

Freilich ist der Politikunterricht in-sofern ein ergebnisoffenes Konstrukt,als dass dessen Ziel die Urteilsbildung

der Schüler ist. Gleichwohl ist auch hierdas Fundament des Schülerurteils, alsodie vorhandenen Argumente, und damitletztlich die empirische Basis der Ur-teilsbildung der Lehrkraft zumeist be-kannt.

Das Forschende Lernen verfolgt ei-nen anderen Ansatz. Es geht gerade nichtum den Erwerb eines – angeblich – ka-nonisierten Wissens, während Abwei-chungen von diesem Wissen als Un-kenntnis definiert werden. Die Argu-mentationsbasis, also die empirischenDaten, ist vielmehr unbekannt: Folglichist auch der Wissensvorsprung des Leh-rers kaum noch vorhanden, er reduziertsich vielmehr auf einen Methodenvor-sprung.

In diesem Beitrag wird ein empiri-sches Projekt skizziert, das ich mit Elft-klässlern eines Profilkurses Wirtschaft/Politik durchgeführt habe. Dabei habeich den Versuch unternommen, dieSchüler an die Wissenschaftspropädeu-tik heranzuführen. Sie haben eine Be-fragung mit über 2000 Schülern in ei-nem Landkreis in Schleswig-Holsteinzum Thema „Jugendliche und Demo-kratie in Deutschland“ durchgeführt.

Das Unterrichtsprojekt

Die Idee, eine Befragung mit Schülernzu politischen Einstellungen andererSchüler durchzuführen, bot einen be-sonderen Reiz: etwas Neues zu erfor-schen, denn gerade der Fokus auf dieSchüler des eigenen Landkreises bot einbisher unerforschtes Neuland.

Die Befragung wurde im November2009 durchgeführt. Im Unterricht wareine Einführung in die Methoden derempirischen Sozialforschung, die Kon-zeption des Fragebogens und die Ent-wicklung einer Datenbank vorangegan-gen. Letzteres fand im fächerübergrei-fenden Unterricht mit Informatik statt.Dabei wäre dieser interdisziplinäre An-satz nicht zwangsläufig notwendig. Da

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Schüler als Sozialforscher Schülereinstellungen zur Demokratie

Von Sönke Zankel

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Dr. Sönke Zankel ist Studienrat in Schles-wig-Holstein. Er realisiert unterschiedli-che Projekte zum Forschenden Lernenund ist in der Lehrerausbildung tätig.

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Didaktische Werkstatt

22 polis 1/2012

die Auswertung der Daten im Rahmender deskriptiven Statistik verblieb, kannauf den Programmierungspart verzich-tet werden. Stattdessen bietet die kon-ventionelle Software wie Excel oder auchdie entsprechenden Tabellenkalkulationvon Open Office ebenso die Möglich-keit für die empirische Arbeit im Unter-richt wie das von der Bundeszentrale fürpolitische Bildung geförderte ProgrammGrafstat.

Im Folgenden wird das Unterrichts-konzept skizziert, das sich in sieben Pha-sen gliedert:

1. Am Beginn entwickelten die Schü lerVorschläge für die Leitfrage der Unter -suchung. Anschließend einigte sich dieGesamtgruppe nach der Aussprache aufdiesen Vorschlag: „Wie bewerten Schü-lerinnen und Schüler der Klassen neunbis dreizehn im Kreis Pinneberg die De-mokratie in Deutschland?“ Zudem wur-de das Feld in mehrere Unterkapitel unddamit in sekundäre, unter die Leitfrageuntergeordnete Forschungsfragen un-terteilt, denen sich dann Kleingruppenwidmen sollten.

Verbunden war mit der Leitfrage zu-gleich, dass die Schüler-Forscher ihre Er-gebnisse nicht auf alle Schüler in Deutsch-land beziehen durften, sondern lediglichauf den hier begrenzten geografischenRaum. Hinsichtlich der Befragtengrup-pen wurden anvisiert, Schüler der Gym-nasien, Realschulen, Hauptschulen, Ge-meinschaftsschulen und Gesamtschulenden Fragebogen vorzulegen.

2. In der zweiten Phase musste ein Fra-gebogen entwickelt werden. Unterrichts -praktisch stand man auch hier vor derProblematik, dass die unterschiedlichenIdeen der Schüler gebündelt werden mus-sten. Die Vorgaben für die Entwicklungdes Fragebogens bezogen sich einerseitsdarauf, dass er Daten liefern musste, dieAntworten auf unsere Leitfrage gebenkonnten, womit zugleich die Frage desmethodischen Zugriffs berührt wurde.Hierbei spielte u.a. die Frage eine Rol-le, ob einem qualitativen oder einemquantitativen Zugang der Vorrang ge-geben werden sollte. Zudem erhieltendie Schüler grundlegende Informationzur Fragebogenkonzeption, darunterItem-Formulierungen, Skalengestaltungusw.

3. In der nächsten Phase mussten die Fra-gebogenentwürfe zu einem zusammen-gefasst werden. Während auf der einenSeite u.a. die Selbstständigkeit der Schü -ler in diesem Projekt gefördert werdensollte, habe ich mich an dieser Stelle ent-schieden, dass ich als Lehrkraft die Ko-ordinationsfunktion übernahm. Dasheißt, ich habe versucht, die Vorschlägezu einem Entwurf zu bündeln, der dannwiederum als Diskussionsgrundlage inden Profilkurs hineingegeben wurde. Inder Großgruppe wurde dieser Entwurfbesprochen und modifiziert. Die Schülermussten dabei den Blick für Konzepti-onsschwächen entwickeln, da sie in diePerspektive des Urteilenden wechselten.

4. In einem Pretest wurde der vorläufi-ge Fragebogen in einer Klasse unsererSchule eingesetzt, die Rückmeldung derProbanden im Profilkurs besprochen undschließlich wurde der Fragebogen in sei-ne endgültige Fassung gebracht.

5. Die Schüler nahmen selbstständigKontakt mit den Schulen auf, an denendie Befragung durchgeführt werden soll-te, und führten dort die Umfrage durch.

6. Die Daten wurden über die program-mierte Eingabemaske individuell ein-gegeben – als Hausaufgabe. So konnteeinerseits die Arbeit gerecht verteilt undandererseits die große Datenmenge über-haupt verarbeitet werden. Jeder Frage-bogen erhielt einen Code. Damit war esuns möglich, die eingegebenen Daten zukontrollieren, um die Fehlerquote aufGrund von Eingabefehlern zu reduzie-ren. Dies ist insofern von Bedeutung, dabei der Eingabe langer „Zahlenkolon-nen“ nicht nur schnell Fehler auftretenkönnen, sondern diese möglicherweiseeinigen Schülern leichter unterlaufen.

Sollte die Dateneingabe mit Exceloder einem ähnlichen Programm erfol-gen, ist es notwendig, einen Codie-rungsplan für den Fragebogen zu ent-werfen. Die dann entstehenden Zahlen-reihen ermöglichen eine recht einfacheAuswertung der Daten mit Hilfe u.a. vonSummenformeln.

7. Die Schüler verfassten eine schriftli-che Ausarbeitung, in der sie mit Hilfeder Daten versuchten, auf ihre For-schungsfrage und letztlich die Leitfrage

Antworten zu finden. Somit entstand einGesamttext, der dann wiederum an dieSchulen, bei denen die Befragung durch-geführt wurde, versendet wurde.

Lernchancen

Forschendes Lernen erfordert neben derjeweils notwendigen Methodik auch ei-ne gewisse Kreativität. Die Fragen ste-hen eben nicht mehr auf dem Arbeits-blatt oder im Lehrbuch, sondern werdenvon den Schülern selbst entworfen. Eswird versucht, den Interessen der SchülerRaum zu geben, um damit letztlich aucheinen Motivationsschub oder im Best-fall Begeisterung zu erreichen. Dies istdurchaus sinnvoll, schließlich liegen u.a.aus der Neurobiologie Erkenntnisse vor,wonach neue Informationen dann nach-haltig memoriert werden, wenn Gefüh-le wie Begeisterung für den Lerngegen-stand vorhanden sind. Der Neurobiolo-ge Gerald Hüther spricht davon, dassBegeisterung „Doping für Geist undHirn“ sei. Oder um es mit den Worteneiner beteiligten Schülerin zu sagen: „Be-geisterung ist die beste Motivation.“

Begeisterung für das Fach oder daskonkrete Unterrichtsthema zu erzeugen,ist sicher äußerst schwierig und lässt sichzweifellos nicht allein dadurch erreichen,dass man den Schülern die Möglichkeitgibt, eigene Fragen zu entwickeln. Auchsollte man sich von singulären Unter-richtseinheiten nicht zu große Erfolgeversprechen, dies widerspricht der Schul-realität. Bodo von Borries fragt dahervoll kommen zu Recht, aus welchenGrün den die Jugendlichen „ruckartigstärkeres Interesse entwickeln und mehrZeit investieren“ (Borries 2005, S. 337)sollten? Gleichwohl: Orientierung anden Schülerinteressen bleibt ein Bau-stein zur Motivationssteigerung.

Zentral ist bezüglich der Motivationneben dem Aspekt der Selbstbestimmungdie Bedeutsamkeit des Lerninhalts. Letzt-lich leuchtet auch dies schnell ein: Hältman ein Thema für wichtig, ist man deut-lich mehr daran interessiert. Häufig hörtman von Schülern jedoch gerade das Ge-genteil: Sie fragen sich des Öfteren, war-um sie dieses oder jenes lernen müssten.Bezüglich des hier skizzierten Projektesmit einem Forschungsschwerpunkt zeig-te sich die Aktualität des Themas: Die

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Schüler standen kurz davor, selbst vomWahlrecht Gebrauch machen zu dürfenund damit ein zentrales Grundrecht desdemokratischen Gemeinwesens aus-zuüben.

Hinsichtlich des Forschungsvorha-bens bestand eine zentrale Herausfor-derung für die Schüler darin, eigene For-schungsfragen zu formulieren und zu-gleich methodische Wege zu suchen, wiedie Fragen beantwortet werden könnten.Dies fordert von den Schülern viel, dennnicht nur das Formulieren eigener, sinn-voller Fragen, sondern zugleich nachpraktikablen Problemlösungsstrategienzu suchen, ist ihnen oft nicht bekanntund insofern sind sie hierin auch nichtbzw. kaum geübt. Damit ist ein zentra-les Lernfeld dieses Projekts benannt:Förderung der Methodenkompetenz.(Bei dem Methodenbegriff orientiere ichmich am schleswig-holsteinischen Lehr-plan für das Fach Wirtschaft/Politik.)

Eine Befragung mit einer hohen Pro-bandenzahl durchzuführen, bedeutetnicht nur inhaltlich-planerischen Auf-wand, sondern zudem organisatorischenEin satz. Die Schüler mussten mit denRektoren der Schulen, an denen die Be-fragung durchgeführt wurde, in Kontakttreten, Termine mit ihrer Forschergrup-pe und der Schule koordinieren, die Fahrtdorthin auf sich nehmen und letztlichvor eine fremde Klasse treten und dasProjekt vorstellen, womit zugleich dieSozialkompetenz berührt wurde.

Die später ausgewerteten Zahlen er-möglichten, dass sich die Schüler-For-scher selbst anhand der Einstellungender anderen Oberstufenschüler zur Fra-ge der Demokratie positionieren konn-ten. Insofern wurde nicht nur der Fokusauf das Demokratiebewusstsein der Be-fragten, sondern auch auf das meinerProfilkursschüler gelegt, um dieses imBestfall zu schärfen. Der Gesprächsan-lass war zugleich anders als in einer kon-ventionellen Unterrichtssituation bei-spielsweise bei der Auseinandersetzungmit einem Lehrbuchtext, da wir uns hieran den von den Profilskursschülern er-hobenen Zahlen orientierten und inso-fern an ihrer eigenen Arbeit.

Eine weitere Lernchance muss er-wähnt werden: In der medialen Darstel-lung der Politik wird immer wieder aufUmfragewerte zurückgegriffen, sie be-einflussen auch den politischen Diskurs.

Der Umgang mit solchen Zahlen ist folg-lich für den Einzelnen von Bedeutung,beispielsweise bei der Frage nach derRepräsentativität. Die Schüler hattendurch dieses Projekt die Möglichkeit,ihren Blick auf Umfragewerte zu schär-fen und ihn ggf. zu hinterfragen.

Ergebnisse

Der Frage nach den Einstellungen wur-den mit einer vierstufigen Skala („trifftgar nicht zu“, „trifft eher nicht zu“, „triffteher zu“, trifft vollkommen zu“) sowieder Antwortmöglichkeit „Kann ich mo-mentan nicht sagen.“ nachgegangen. Wiroperierten abgesehen von zwei Fragennur mit geschlossenen Fragen, was beieiner solch großen Stichprobe in diesembegrenzten Rahmen anders nicht reali-sierbar war. Auch dies war eine Ent-scheidung, die mit den Schülern disku-tiert werden musste.

Die Erhebung der Daten erfolgte inden beteiligten Schulen durch Ausfüllender Fragebögen. Folglich konnte dasmögliche Problem geringer Rückläufevermieden werden. Die Stichprobe um-fasste 2252 Schüler im Alter von 13 bis21 Jahren. Der Löwenanteil kam vomGymnasium (1525), 353 von der Real-schule, 34 von der Hauptschule und 340von Gemeinschafts- oder Gesamtschu-len.

Auch wenn die Befragtengruppe aufGrund der unterschiedlichen Schulartensehr heterogen war, war sie zugleich we-

gen der Begrenzung auf einen Landkreisrelativ homogen, was sich dann auch inder hier enger zugeschnittenen Fra-gestellung äußert. Wir haben die Befra-gung bewusst nicht in verschiedenenBundesländern durchgeführt, gerade ei-ne Ausweitung auf den Stadtstaat Ham-burg hätte erhebliche methodische Pro-bleme mit sich gebracht.

Bei der Darstellung der empirischenDaten werde ich mich auf die im Fol-genden genannten Items des Fragebo-gens konzentrieren und insofern inhalt-lich beschränken.

Betrachtet man die Befragungser-gebnisse, dann zeigt sich schnell einebreite Zustimmung zur Demokratie.Knapp über 80% stimmen der Aussage,die Demokratie sei die beste Regie-rungsform, die es gebe, entweder „voll“oder „eher“ zu. Weitere knapp 10%äußern sich zu dieser Frage nicht. Zu-dem scheint den befragten Schülern dasWahlrecht bedeutend zu sein. Rund 95%gaben an, dass sie die Existenz des Wahl-rechts in Deutschland gut fänden.

Dabei sind sich nur 56% der Jugend-lichen sicher, dass mit der Demokratiedie heutigen Probleme gelöst werdenkönnten. 25% äußern hingegen Zweifeldaran. Allerdings dürfen diese Zahlennicht so gedeutet werden, dass diese Be-fragten diktatorischen Konzepten eherdie Problemlösungskompetenz zugeste-hen. „Nur“ rund 8% meinen, mit einerDiktatur ließen sich die heutigen Pro-bleme besser lösen als mit der Demo-kratie.

Didaktische Werkstatt

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Abb. 1: Demokratie hat zwar Schwächen, sie ist aber die beste Regierungsform, die esgibt.n = 2236; Angaben in Prozent

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Kritisch sehen die Jugendlichen vorallem die Politiker. Rund 65% gaben beider Aussage „Ich vertraue den meistenPolitikern“ die Antwort „trifft eher nichtzu“ oder „ trifft überhaupt nicht zu“.Stattdessen scheint es eine Mehrheit fürmehr Entscheidungskompetenzen aufder Seite des Volkes zu geben. Eine re-lative Mehrheit lässt sich z.B. bei derFrage nach Volksentscheiden feststellen.45% wünschen sich ein solches Mitbe-stimmungsrecht, während nur knapp16% sich dagegen aussprechen – 38%sind in dieser Frage unentschlossen.

ragt man nach der Herabsetzung desWahlrechtsalters, so differenzieren dieSchüler. Bezüglich der Landesebene, sowie es in Bremen kürzlich realisiert wur-de, sprechen sich 49,9% für eine Her-absetzung des Wahlalters aus, bei im-merhin 14%, die meinten, sie könntendiese Frage momentan nicht beantwor-ten. Hinsichtlich der Bundesebene wol-len jedoch 60% kein Wahlrecht für 16-Jährige.

Leicht besorgniserregend ist dieSelbstauskunft der Schüler zu ihrem In-teresse an Politik. Von allen Befragtengaben nur 52% bei der Aussage „Ich in-teressiere mich für Politik“ an, diese tref-fe „voll“ oder „eher zu“. Einschränkendmuss jedoch gesagt werden, dass mit zu-nehmendem Alter das bekundete Inter-esse an Politik steigt. Dass allerdings nur68% der 18- und 19-Jährigen angeben,es „treffe voll“ oder „eher zu“, dass siesich für Politik interessieren, zeigt einenAnteil von rund zwei Drittel, die an Po-

litik Interesse haben. Das ist zu wenig.Ob bei den Antworten die soziale Er-wünschtheit eine Rolle gespielt hat undinsofern das Ergebnis im Sinne einer po-litisierten Jugend nicht noch schlechterausfällt, konnte hier nicht geklärt wer-den.

Schlussbetrachtung

Der hier dargestellte Ansatz stellt eineMöglichkeit dar, Forschendes Lernen inden Politikunterricht zu integrieren. DieSchüler widmen sich in ihrer Schulzeitanscheinend zu wenig der Konzeptioneigener Aufgabenstellungen. Oft be-kommen sie von uns Lehrern nur klei-ne Happen „hingeworfen“, die sie dannzu bearbeiten haben. Der kreative Raumfür die Entwicklung eigener Fragestel-lungen wird häufig nicht gegeben. Soverwundert es nicht, wenn es denSchülern dann schwerfällt, Fragen undin einem nächsten Schritt auch metho-dische Möglichkeiten der Antwortfin-dung zu entwickeln. Gerade dies wurdeauch hier deutlich. M.E. spricht dies abergerade für die Einübung des Forschen-des Lernens.

Dabei muss sicher nicht mit einersolch hohen Befragtenzahl operiert wer-den wie in diesem Projekt. Der Unter-suchungsfokus und damit zugleich auchdie Fragestellung lassen sich zweifellosauf die eigene Schule oder eine Jahr-gangsstufe verengen. Für die Schüler er-geben sich umfangreiche Lernchancen,

die von der Wissenschaftspropädeutiküber die Organisation eines solchen Vor-habens bis hin zur Auswertung und mög-licherweise der Produktion eines länge-ren Textes reichen. Sinnvoll erscheintdieser Zugang zum Forschenden Lernenzudem bei fächerübergreifenden Pro-jekten – z.B. mit dem Fach Mathema-tik, die u.a. in Schleswig-Holstein seitder Einführung der Profiloberstufe so-gar vorgeschrieben sind.

Die erhobenen Daten deuten auf ei-ne hohe Akzeptanz der Demokratie beiden Schülern im Landkreis Pinneberghin. Zum Teil spricht man sich auch füreine Ausweitung der Mitbestimmungs-rechte aus, beispielsweise bei der Ein-führung des Wahlrechts ab 16 auf Lan-desebene oder die Möglichkeit von Ple-bisziten aus Bundesebene. DieseErgebnisse waren auch für mich als Lehr-kraft neu und gerade in diesem ergebni-soffenen Prozess lag der Reiz des Un-terrichtsprojektes. Die gemeinsame Ar-beit mit den Schülern an dem Fragebogenwar eine der Sternstunden meines Lehr-erdaseins: Ich hatte als Lehrer nicht mehrden üblichen Wissensvorsprung, son-dern arbeitete quasi gleichberechtigt mitden Schülern an einem gemeinsamenProjekt – eine wohltuende Abwechslungvom Schulalltag.

Literatur

Borries, B. von: Historische Projektarbeit.„Größenwahn“ oder „Königsweg“. In:Dittmer, L.; Siegfried, D. (Hg.): Spuren-sucher. Ein Praxisbuch für die histori-sche Projektarbeit, Hamburg 2005, S.333–351.

Bundeszentrale für politische Bildung:http://www.bpb.de/die_bpb/ZO03KW,0,0,GrafStat_kompakt.html undhttp://www.grafstat.de/ [beides ent-nommen am 10. Januar 2012].

Detjen, J.: Forschend lernen: Recherche,Interview, Umfrage, Expertenbefra-gung. In: Sander, W. (Hg.): Handbuchpolitische Bildung, Schwalbach/Ts. 3.Aufl. 2005, S. 565–588.

Hüther, G.: Ohne Gefühl geht gar nichts!Worauf es beim Lernen ankommt,Mühlheim/Baden 2009 und:http://www.gerald-huether.de/popula-er/veroeffentlichungen-von-gerald-hu-ether/texte/begeisterung-gerald-hu-ether/index.php [entnommen am 20.Januar 2011].

Messner, R. (Hg.): Schule forscht. Ansätzeund Methoden zum forschenden Ler-nen, Hamburg 2009.

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Abb. 2: Wahlrecht ab 16 auf Landesebene?n = 2230; Angaben in Prozent

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POLIS – Zeitschriften zur politischen Bildungin Deutschland, Österreich und der Schweiz

Themenplan 2012Heft 1: Partizipation

Heft 2: Politische Bildung an

außerschulischen Lernorten

Heft 3: Nachlese zum Bundeskongress

Politische Bildung 2012

Heft 4: Politische Bildung mit jungen

Migrantinnen und Migranten

Redaktion

Dr. Martina Tschirner:

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4 Hefte jährlich

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Die POLIS ist der Report der Deutschen

Vereinigung für Politische Bildung (DVPB).

Im Charakter eines Magazins informiert die

POLIS mit Fachbeiträgen zu ausgewählten

Schwerpunkten. Berichte aus der aktuellen

Szene, Interviews und Werkstattbeiträge

runden das Heft ab.

Deutschland

POLIS gibt es in drei Ländern: Deutschland, Österreich und der Schweiz. Wir informieren Sie hier über diese Zeitschriften, um Brücken über die Grenzen zu bauen. Sie fi nden einen kurzen Informationstext, die Themenplanung für 2011, die aktuellen Bezugsbedingungen und Ansprechpartner sowie die entsprechende Homepage.

Themenplan 2012Heft 1: Jung und alt

Heft 2: Behinderung

Heft 3: Arbeit

Heft 4: Partizipation

Heft 5: Folter

Heft 6: Wirtschaft/Finanzkompetenz (Sek. I)

Heft 7: Politische Bildung in der Volksschule

Heft 8: Wählen

Heft 9: Wirtschaft/Finanzkompetenz

(Volkshochschule)

polis aktuell ist die Zeitschrift für Lehr-

kräfte von Zentrum polis – Politik Lernen

in der Schule. In neun Ausgaben jähr-

lich werden ausgewählte Themen der

politischen Bildung für den Unterricht

aufbereitet – mit Fachbeiträgen, einem

methodisch-didaktischen Teil sowie wei-

terführenden Tipps.

2011Nr. 7polis aktuell

Klassenklima: Blitzlichter zur Bestandsaufnahme

Von der Gruppe zum Team: Themen und Übungen

Klassengemeinschaft und Politische Bildung

Soziales Lernen

Links und Materialien

Klassengemeinschaft

2011Nr. 2polis aktuell

o Stadtentwicklungen im Überblick

o Megastädte und Metastädte

o Stadtimages und öffentlicher Raum

o Politische Bildung und Urbanität

o Materialien und Linktipps

Stadt und Politik

2011Nr. 3polis aktuell

o Der Vertrag von Lissabon

o Das Projekt Europaspuren

o EU-Twinning – bilaterale Partnerschaftsprojekte

o Veranstaltungen, Materialien und Links zur Europäischen Union

Auf dem Weg zu einer europäischen Identität?

2011Nr. 5polis aktuell

o Unterrichtsideen für Deutsch, Philosophie, Religion, Ethik, Französisch, Mathematik, Physik, Biologie, Musik und Bildnerische Erziehung

o Ideen für weitere Fächer

o Literatur, Materialien, Filme

Atomkraft pro und contraIdeen zum fächerverbindenden Unterricht in Politischer Bildung

2011 Nr. 4 polis aktuell

oGlossar zu den Themen Gesetz & Co

oRechte & Pflichten von Jugendlichen

o„Wie jugend- und zeitgerecht ist die österreichische Verfassung?“

o„Gesetzes-Tagebuch“

ABFALLWIRTSCHAFTSGESETZARBEITNEHMERINNENSCHUTZGESETZARZNEIMITTELGESETZ

BANKWESENGESETZ BUNDESSTRASSEN-MAUTGESETZGEWERBEORDNUNGJUGENDSCHUTZGESETZKINDERGARTENGESETZKRAFTFAHRGESETZMARKTORDNUNGMIETRECHTSGESETZÖFFNUNGSZEITENGESETZREZEPTPFLICHTGESETZSCHULPFLICHTGESETZSEILBAHNGESETZSTRASSENVERKEHRSORDNUNGSUCHTMITTELGESETZTABAKSTEUERGESETZTIERHALTEGESETZTIERSCHUTZGESETZVERSAMMLUNGSFREIHEIT

GESETZE

§§§

§§

2011Nr. 6polis aktuell

o HIV/AIDS weltweit

o Übertragung von HIV

o Stigmatisierung und Diskriminierung von HIV-positiven und aidskranken Menschen

o Forderungen und Ziele im Kampf gegen HIV/AIDS

o Unterrichtsbeispiele, Medien-, Link- und Literaturtipps

HIV/AIDS

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Zentrum polis – Politik Lernen in der Schule

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Themenplan2008: Demokratie und Partizipation –

soziales und politisches Lernen

2009: Umgang mit vergangenem

Unrecht

2010: Menschenrechtsbildung –

Bildung und Menschenrechte

2011: Wahlen – eine Castingshow?

Jugend, Medien und Demokratie

2012: Politische Bildung am Ball

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politischen Bildung und richtet sich an

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se der politischen Bildung. Hintergrund-

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des Unterrichts zu machen.

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Pädagogische Hochschule FHNW,

Zentrum Pol. Bildung u. Geschichtsdidaktik,

www.fhnw.ch/ph/pbgd

Zentrum für Demokratie Aarau, www.zdaarau.ch

Blumenhalde, Küttigerstrasse 21, 5000 Aarau,

Schweiz, [email protected]

Österreich

Schweiz

Nr.

3

2010

Menschenrechtsbildung −Bildung und Menschenrechte

Das Magazin für Politische Bildung

Nr.

1

2008

Demokratie und Partizipation – soziales und politisches Lernen

Das Magazin für Politische Bildung

Nr.

2

2009

Umgang mit vergangenem Unrecht

Das Magazin für Politische Bildung

Nr. 4

2011

Wahlen − eine Castingshow? Jugend, Medien und Demokratie

Das Magazin für Politische Bildung

Nr. 5

2

012

Politische Bildung am Ball

Das Magazin für Politische Bildung

polis_1_12_025_025_Meueler.qxd 12.03.2012 16:01 Seite 25

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P r ä s e n t a t i o n

„Demokratie braucht Politische Bildung“– das ist sicher nicht nur ein Grundsatzder Deutschen Vereinigung für Politi-sche Bildung, der von allen Mitgliedernmitgetragen wird, es ist auch der (Ar-beits-)Titel des 20. NiedersächsischenTags der Politischen Bildung am 27. Sep-tember 2012 im Leibniz-Haus in Han-nover.

Seit 20 Jahren veranstaltet der Lan-desverband bereits seine jährliche Ta-gung. Vor dieser Zeit und auch währendder 20 Jahre fanden und finden auchnicht-regelmäßige Tagungen, Workshopsund Einzelmaßnahmen mit und ohne Ko-operationspartner statt. Der Tag der Po-litischen Bildung hat sich aber für dasLand zu einer Art Knotenpunkt ent-wickelt im großen Netzwerk der Politi-schen Bildung in Niedersachsen.

Begonnen hatten die Tagungen aberunter der Überschrift: Fachtagung fürPolitiklehrerinnen, Politiklehrer und In-teressierte. Dies wurde so auch beibe-halten bis 2006.

Der Begriff „Fachtagung“ verwiesdarauf, dass die DVPB in Niedersach-sen in ihrem Kern ein Politiklehrerver-band ist. Auch heute sind die meistenMitglieder Politiklehrerinnen und Poli-tiklehrer – zum guten Teil noch in Stu-dium und Referendariat, zu einem wei-teren, ebenso wichtigen Teil auch bereitsin Pension. Daneben aber hat sich derVerband auch zum Sprachrohr und zumInteressenvertreter der non-formalen unduniversitären Politischen Bildung ent-wickelt. Ab 2007 nennt sich die Fachta-gung daher: „Niedersächsischer Tag derPolitischen Bildung“.

In einem der Jahre lautete der Titelauch: Gemeinsamer Politiklehrertag derLandesverbände Sachsen-Anhalt undNiedersachsen. Dies ist zwar eine Aus-nahme geblieben, die Gespräche mit denbenachbarten Landesverbänden (undNiedersachsen hat die meisten Nachbarnin Deutschland), drehen sich immer maldarum, auch wieder gemeinsam zu ta-gen – wer weiß, vielleicht klappt’s jaschon im nächsten Jahr.

Seit 2000 finden die Jahrestagungenimmer Ende September statt, Ausnah-me blieb ein Termin Anfang Oktober.Bis 2000 fanden die Tagungen irgend-wann im Oktober oder November statt.In der Regel waren die Tagungen eintä-gig, einmal aber auch zweitägig. DieTeilnehmerzahl ist für die ersten 10 Jah-re schwierig zu rekonstruieren. In denletzten Jahren lag die Zahl stets über 130Teilnehmenden.

Die Tagungsthemen lagen anfangsfast ausschließlich bei didaktischen Fra-gen, methodischen Ansätzen und schu-lischen Herausforderungen. Seit 1998sind aber zunehmend wirtschaftliche,sozialpolitische und zeithistorische The-men hinzugetreten. Besonders im Hin-blick auf den Wandel der Diskussions-schwerpunkte über „Gesellschaftsbil-dung“ bis schließlich hin zur Frage einer„reinen“ ökonomischen Bildung, belegtdie Themenwahl klar die Kompetenz derPolitischen Bildung, ein ganzheitlichesBürgerinnen- und Bürgerleitbild zu ver-folgen und keine einseitige Staatsbür-gerkunde zu betreiben, die Jugendlicheunvorbereitet in ihre Rolle als Wirt-schaftssubjekte entlässt.

26

Verbands-

politische

Rundschau

Analysen Positionen InformationenDiskussionen

zur Arbeit der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung

polis 1/2012

Präsentation

„Demokratie braucht Politische Bildung“Eine frühzeitige Einladung – auf demBoden langjähriger Tradition

Niedersachsen

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Präsentation

27polis 1/2012

• 1993 Politik-Unterricht in Nieder-sachsen/Hannover

• 1994 Handlungsorientierung im Po-litikunterricht /Oldenburg

• 1995 Methoden im Politikunterricht/Braunschweig

• 1996 Europa zwischen Vorurteilenund Notwendigkeiten/Hannover

• 1997 Die politische Bildung imfächerübergreifenden Unterricht/Han-nover

• 1998 Zukunft ohne Arbeit?/Hannover • 1999 Die Wende in Deutschland 1989

– Das Ende des Kalten Krieges in Eu-ropa/Magdeburg

• 2000 Multimedia und Internet alsneue Werkzeuge des Lernens. Wel-che Chancen ergeben sich für die po-litische Bildung?/Hannover

• 2001 Mehr Wirtschaft in die Schule– aber wie?/Hannover

• 2002 Schülerinnen und Schüler ma-chen Politik/Hannover

• 2003 Methoden im Politikunterricht/Hannover

• 2004 Politische Bildung unter verän-derten Bedingungen/Hannover

• 2005 Politische Bildung für Nach-haltigkeit /Osnabrück

• 2006 Wirtschaft – Ein Lernfeld derPolitischen Bildung/Oldenburg

• 2007 Politische Bildung neu denken/Braunschweig

• 2008 Konflikte als Thema in der Po-litischen Bildung/Hannover

• 2009 Europa – Herausforderung fürdie Zukunft /Osnabrück

• 2010 Armut in Deutschland – Endedes Sozialstaats?/Hannover

• 2011 China!/Hannover• 2012 Demokratie braucht Politische

Bildung (Arbeitstitel) /Hannover

Der im September 2011 neu gewählteVorstand des Landesverbandes konzen-triert sich mit dem Thema „Demokra-tie“ für den dann 20. Tag der PolitischenBildung auf den Ausgangs- und Zielho-rizont politischen Lernens in Nieder-sachsen. Wir wollen zugleich einen weit-hin sichtbaren und repräsentativen Rah-men bieten, um das Netz der PolitischenBildung in Niedersachsen weiter zu fest-igen und die Interessen unserer Mit-glieder und Partner und ihrer Zielgrup-pen in Schule und Bildungseinrichtun-gen, in Staat und Gesellschaft, inMinisterien und Verbänden weiterhin er-folgreich zu bündeln und zu vertreten.

Markus W. Behne (Landesvorsitzender)

Anhörung der DVPBim rheinland-pfälzi-schen Landtag

Enquete-Kommission 16/2– „Aktive Bürgerbeteili -gung für eine starke De-mokratie“

In der noch jungen 16. Wahlpe -rio de hat der rheinland-pfälzischeLandtag die Enquete-Kommis -sion „Aktive Bürgerbeteiligungfür eine starke Demokratie“ ein-gesetzt, die bis in das Jahr 2013hinein arbeiten wird. Neben zahl-reichen Fra gen des bürgernahenVerwal tungs handelns, der Bür -ger- und Volksentscheide und derTrans pa renz politischer Prozessesteht besonders das Thema einerAbsen kung des Wahlalters beiKom mu nalwahlen auf 16 Jahreim Fokus der Kommissionsarbeit.

Als klarer verbandspolitischerErfolg des LandesverbandesRhein land-Pfalz kann verbuchtwerden, gleich in der ersten An -hörungsrunde am 27. Januar 2012die wesentlichen Positionen alsFachverband der schulischen Po -litischen Bildung und damit desFaches Sozialkunde eingebrachtzu haben. Unter Anerkennung deshohen Wertes von projektbasier-ter Politischer Bildung für Schü -le rin nen und Schüler, so die klareAus sage im Votum der DVPB,sei den noch eine sichtbare Er hö -hung der Stundenanzahl des Po li -tikun ter richts die zentrale Voraus -set zung für eine Steigerung despolitischen Interesses jungerMen schen. Besonders als Vorbe -rei tung einer Wahlalterabsenkungwurden ein früherer und intensi-verer So zialkundeunterricht ge -for dert.

Die zunehmende Aufwei -chung des Fachlehrerprinzips imPolitik unterricht der Oberstufe,Risiken der sozialen Auslesedurch einen schwächer werden -den Politik un terricht und die Her -kulesaufgabe der gesell schaft li -chen Integration junger Men -schen mit Migrations hintergrundwaren weitere wichtige Punkteder Rede der Landes vorsitzendenBettina Anslinger-Weiss vor derEnquete-Kommis sion.

Der Landesvorstand derDVPB Rheinland-Pfalz wird dieArbeit der Enquete-Kommissionver bands politisch begleiten. Ne-ben einer Beobachtung der weite-ren Sitzungen der Kom mis sionauch durch ergänzende Stel -lungnahmen und die Bericht -erstattung in Inter net und POLIS.

Der Landtag unterstützt dieTä tigkeit der Enquete-Kommis -

sion mit einem Besuchs pro -gramm für Schulkassen und ei -nem breiten Internetangebot, un-ter anderem wer den alle Sitzun -gen der Kom mis sion viaLive stream im Inter net übertra-gen und sind später als podcastzu nutzen. Die Nutzung dieser di-gitalen Angebote, die sich beson -ders für Leistungskurse eignen,kann nur empfohlen werden.Mehr zu dieser Enquete-Kom -mis sion und der DVPB Rhein -land-Pfalz in der nächsten Aus -gabe der POLIS.

Bettina Anslinger-Weiss, Björn Kilian

· Informationen · Planungen · Aktionen · Berichte · Informationen ·

Rheinland-Pfalz

Jahre, Themen und Orte des Niedersächsischen Tags der Politischen Bildung

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28 polis 1/2012

Prozesse im Mittelpunkt des Un -terrichts. Im digitalen Zeitaltersind aber Chancen und Risiken,dies in be währter Qualität mitdem Prinzip der Quellenkritik zuerreichen, sprunghaft gestiegen.Das Minis terium für Bildung,Wissenschaft, Weiterbildung undKultur (MBWWK) hat dieser ge-wachsenen Be deu tung der Me -dien kompetenz mit dem Rahmen -programm „Me dienkompetenzmacht Schule“ Rechnung ge tra -gen. In Ergänzung und auch Ab -grenzung zum Begriff der Me -dien kompetenz, der stärker auftechnische und pädagogische As -pekte abzielt, wird mit dem Be -griff der Informationskompetenzmehr eine wissenschaftlich orien-tierte digitale Quellenkritik imweb 2.0 diskutiert. Ziel dieserFortbildung soll es daher sein,

Fortsetzung Rheinland-Pfalz

Veranstaltungs -hinweis:

Informationskompetenzin den Gesellschafts -wissenschaften

Besonders vor dem Hintergrundder Arbeit der Enquete-Kommis -sion „Aktive Bürgerbeteiligungfür eine starke Demokratie“möch te die DVPB auf eine Wei -ter bildung des Instituts für Leh -rerfort- und Weiterbildung hin -weisen. Am 24. und 25. Mai 2012findet diese in Neustadt/W. statt.Anmeldung unter Veranstaltungs-Nr.: 21I406301 in TIS-Online.

Im Geschichts- und Sozial -kun deunterricht steht die kriti -sche Urteilsbildung über histo -risch-po litische Ereignisse und

neben einem theoretischen Ein -stieg in die digitale Informa tions -welt, eigene praktische Erfah run -gen zu sammeln und an Bei spie -len ver schiedene Einsatzmög lich -keiten für den gymnasialen Ge -schichts- und Sozialkunde un ter -richt gezeigt zu bekommen,sowohl zur eige nen Unterrichts -vorbereitung als auch zur Gestal -tung von Schü ler materialien undder Arbeit mit Schülern im Netz.Nach einem Überblick über vor-handene Ang e bote, auch kom -mer zieller Art, wird der themati-sche Schwerpunkt auf rheinland-pfälzischen Institu tionen undVerfassungsorganen liegen.

Teilnahmevoraussetzungensollten sein:

Grundkenntnisse OpenOffice /MS Office zur Text und Bild be -arbeitung, Umgang mit pdf-Da -

Verband

1. DVPB-LandesverbandThüringen schreibtzum dritten MalAbiturpreis aus

Der Landesverband Thüringenschreibt 2012 zum dritten Mal inFolge einen Abiturpreis aus.2010 einigte sich der Landesvor -stand, Schülerinnen und Schülerder Abiturstufe in Thüringen fürihr schulisches und außerschuli-sches Engagement im Bereichder Po litischen Bildung auszu -zeichnen. Im vergangenen Jahrwurden Linda Bräunel und JosefKaiser im Rahmen der Abitur -feiern an ihren Schulen geehrt.Die Abitu rienten zeich neten sichvor allem durch überdurch -schnittliches En ga gement fürDemokratie und Toleranz ausund fertigten bei spiels weiseSeminarfacharbeiten im Bereichder Politischen Bil dung an,engagierten sich aktiv in Bürger -netzwerken oder erzielten sehrgute Leistungen in der histo -rischen und politischen Bildung.

Im Zuge unserer Arbeit alsLandesvorstand sind wir be son -ders daran interessiert, jungeMen schen für die aktive Wahr -neh mung ihrer Bürgerrolle zugewinnen und sie dazu zu ermu -ti gen, sich aktiv für diepolitische Bil dungsarbeit – auchdirekt vor Ort – einzusetzen. Indiesem Zu sam menhang bittet derLandes verband der DVPB alle

Thüringen

teien, Kenntnisse zu einem In ter -netbrowser und erste Erfah rungenin der Internetrecherche.

Der Schwerpunkt der Weiter -bildung liegt auf Inhalten undMe thoden, nicht auf den prakti -schen As pek ten der Bedienungeines Com pu ters oder einzelnerProgramme. Ein privates Laptopmit Inter net zugang kann sehr ger-ne mit ge bracht und genutzt wer-den. W-LAN ist vor handen.Rück fragen an Björn Kilian,Stellvertretender Landesv -orsitzender der DVPB Rheinland-Pfalz: [email protected]

Björn KilianDVPB Landesvorstand

Rheinland-Pfalz

Bildungs träger in Thüringen die-jenigen Schülerin nen undSchüler des Abi turjahr gangs2012 auszu wäh len, die sichdurch hervor ra gende Leistungenim gesell schafts wis sen schaftli -chen Bereich und ein (hohes) eh-renamtliches Enga ge ment (z.B.im Rahmen der Schü lermitver -wal tung) auszeich nen. Das schu-lische und gesell schaft licheEngagement der Abi turientenund Abiturien tin nen soll im Rah -men der Zeugnis ausg abe mit ei -ner Urkunde, einem Bü cher gut -schein und einer einjäh ri gen kos -tenlosen Mitgliedschaft im Lan -desverband gewürdigt werden.

Vorschläge senden Sie bitteschriftlich oder per E-Mail an fol-gende Adresse:

Anselm Cypionka Alte Land straße 407806 Neunhofen [email protected]

Toralf Schenk, JenaZweiter Landesvorsitzender

DVPB Thüringen

2. Ankündigung undEinladung desLandesverbandesThüringen:

24.04.2012 – 18.30–20.00 Uhr

Fortsetzung der

Jenaer Gespräche zurPolitischen Bildung

in der FSU Jena, Carl-Zeiss-Straße 3.

Es referiert Prof. em. Dr. SibylleReinhardt zum Thema:

„Wertebildung und PolitischeBildung“.

Die Begrüßung wird der neueInhaber der Professur Didaktikder Politik, Dr. Michael Mayübernehmen.

3. „Zwischen Freiheitund Sicherheit“

Bericht über den DVPB-Stammtisch vom 30.01.2012 mitMinister Jörg Geibert in Jena

Zum DVPB-Stammtisch EndeJanuar konnte der Landesverbandden Thüringer Innenminister JörgGeibert begrüßen. Nach einerkur zen Begrüßung durch denLan desvorsitzenden und einerkurzen Vorstellungsrunde, stan -

den neben innenpolitischenThem en auch Möglichkeiten derKo ope ration zwischen dem Ver -band und dem Innenminis teriumzur Diskussion.

In seinem Einführungsreferatverdeutlichte der Innenminister,dass mit der Aufdeckung derrechtsextremen Terrorzelle umdas Duo Böhnhardt/ Mundlos ei-ne „neue innenpolitische Zeit -rechnung“ begonnen habe.Zweifellos hätten die Taten derNSU neben gesellschafts poli ti -schen auch sicherheitspolitischeFacetten. Hierbei stehe das Agie -ren der Verfassungsschutzbehör -den im Vordergrund. So wurdedurch das Innenministerium eineunabhängige Kommission einge-setzt, um zu untersuchen, wie dasVerhalten der Thüringer Sicher -heits behörden zu beurteilen ist.Ohne den Ergebnissen der Kom -mission vorgreifen zu wollen,charakterisierte Geibert die Ab -stim mungsprozesse zwischen deneinzelnen Sicherheitsbehördenals „nicht optimal“. Die Untersu -chungskommission könne hierbeiauf ein fundiertes Archivmaterialzurückgreifen, da z.B. durch dasLKA Thüringen 9000 Blatt Aktenzu Ermittlungen rund um den„Thü ringer Heimatschutz“ zurVerfügung stehen. Allerdingsstün den der Arbeit der Kommis -sion auch diverse Hemmnisseentgegen. So seien die Beständedes LKA relativ einfach auszu -werten, die Akten des Landes -

polis_1_12_028_032_Entwurfverband_05-09.qxd 28.02.2012 15:04 Seite 28

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Verband

polis 1/2012

amtes für Verfassungsschutz un-terlägen hingegen verschiedenenGeheimhaltungsstufen. Dies liegedaran, dass die Erkenntnisse z.T.aus Abhöraktionen, aber auchvon einigen „V-Leuten“ stam -men. Vor allem der Umgang mitLetzteren hätte in der öffentlichenWahrnehmung für einige Irrita -tio nen gesorgt. Allerdings müss -ten einerseits die Persönlich keits -rechte der jeweiligen Informantengeschützt werden. Andererseitssei grundlegend die „wehrhafteDemokratie“ angestrebt, die dar-auf angewiesen sei, dass der Si -cher heitsapparat (Polizei, Verfas -sungsschutz) Informationen überjene Gruppen erhalte, die die De -mokratie in ihren Grundfestengefährdeten. Diese Informationenwürden einerseits über nicht di -rekt betroffene Personen be -schafft. Ein Beispiel für einenicht direkt involvierte Person seider Kellner, der in einer Kneipebedient, in dem sich häufigrechts radikale Gruppen oder Per -sonen versammeln. Andererseitsseien dies aber auch Insider be -rich te von Personen, die selbst in-nerhalb der untersuchten Grup -pen aktiv sind. Solche Informa -tio nen müssten durch Querin for -mationen bestätigt oder widerlegtwerden, um Quellenwert zu er -halten. Bei dem vorliegendenSachverhalt um das rechtsex tre -me Terrorduo seien eben dieseQuellen nicht sauber geführt wor-den oder die Zweck-Mittel-Rela -tion sei zumindest zweifelhaft ge-wesen. Diese Äußerung schränk-te der Innenminister durch denHinweis ein, dass noch zu wenigeErkenntnisse über die Arbeit dereinzelnen Sicherheitsbehördenvorlägen.

Hinsichtlich der Kooperationder einzelnen Verfassungs schutz -behörden der Länder bestehewei terhin großer Optimie rungs -bedarf. Erste Schritte zur Behe -bung dieses Missstandes seiendurch die Einrichtung eines Ge -fahrenabwehrzentrums „Rechts“durch das BMI sowie die inAuftrag gegebene Verbunddateizum Rechtsextremismus erfolgt.Bei allen Bemühungen sei aberdas Trennungsgebot zwischenden Kriminalämtern und demVerfassungsschutz zu beachten.Seine einführenden Worte schlossder Innenminister mit dem Hin -weis, dass er den Schüler wett -bewerb „Klasse gegen Rechts -extremismus“ ins Leben gerufenhabe, der eine frühzeitige Prä -ventivmaßnahme gegen die rech-te Ideologie sei.

Im anschließenden Gesprächwurde zunächst die Frage nachder allgemeinen SicherheitslageThüringens aufgeworfen. An die-ser Stelle konnte der Innen minis -ter äußerst positive Statistikenverkünden. Thüringen belegt beider Häufigkeitsziffer der began -genen Straftaten den drittletztenPlatz, bei der Aufklärungsquoteist Thüringen sogar Klassen -primus. Weiterhin ist durch dendemographischen Wandel einePolizeistrukturreform nötig ge -worden. So ist es das erklärte Zieldes Innenministers, durch Ab fla -chung der Verwaltungsstrukturenmehr Polizisten auf der Straßeeinzusetzen.

Weiterhin zeigte der Innen -minister verschiedene Mög lich -keiten für eine Kooperation zwi-schen der Politischen Bildungund dem Innenministerium. Sokönnten beispielsweise Schüler -gruppen den Innenminister einenTag lang begleiten. Weiterhin be-stünde die Möglichkeit über dasReferat „Öffentlichkeitsarbeit“des Thüringer Verfassungs schut -zes Referenten einzuladen, die zuden Themen „Rechtsextremis -mus“ oder „Drogenmissbrauch“vor Schülern oder auf einer Leh -rerkonferenz Auskunft gebenkönnen.

Abschließend nahm der In -nen minister Stellung zur Fragenach dem Spannungsverhältniszwischen Freiheit und Sicherheit.Hierbei werde in der Öffent lich -keit häufig eine Einschränkungder persönlichen Freiheit wahrge-nommen. An dieser Stelle unter-strich der Minister den Stellen -wert der Freiheitsrechte des In di -viduums und dass derzeit keines-falls eine Einschränkung ebenje-ner Rechte zu beobachten sei.Allerdings sei dies eine schiz o -phrene Diskussion, wenn manberücksichtige, wie viele Mil -lionen Bundesbürger ihre Datenin sozialen Netzwerken wieFacebook oder StudiVZ offenle-gen.

Mit einem Appell, sorgsammit seinen persönlichen Datenumzugehen, schloss die überausanregende und erkenntnis brin -gende Diskussion.

Christian SchmiederBeisitzer im Landesvorstand der

DVPB Thüringen

Wirtschaft/Politik endlichals Mangelfachanerkannt!

Im Juni 2011 hat der Landes ver -band SH der DVPB Fragen zumFach Wirtschaft/Politik an denKul tusminister, Dr. EkkehardKlug, gesandt. Die Antworten desKultusministeriums datieren vom14. November 2011. Im Folgen denhaben wir die Fragen und Antwor -ten zusammengestellt. Sie gebeneinen guten Eindruck von derSituation des Faches: Viele Fragenbleiben offen oder werden mitAbsichtserklärungen beant wortet.Wichtig ist allerdings die Zusage,Wirtschaft/Politik ab 2012 alsMangelfach zu betrach ten. Dieseröffnet – hoffentlich – zusätzlicheEinstellungschancen für Referen -dar/innen und Lehr kräfte!

Auf dem Landesfachtag Wirt -schaft/Politik im Februar 2011inAukrug-Tannenfelde haben derMinister und viele Vertreter desöffentlichen Lebens in Schles -wig-Holstein die Bedeutung desFaches betont und zu Recht aufFortschritte, insbesondere an denGymnasien, hingewiesen. Den -noch bleiben eine Reihe von Pro -blemen, auf die wir von Lehr -kräf ten aus den Schulen immerwieder angesprochen werden. AlsFachverband für Wirtschaft/Po li -tik haben wir Fragen zur Situa -tion und zur Weiterentwicklungdes Faches.

1. Frage: Im Gymnasium G8 be -ginnt Wirtschaft/Politik im 8.Jahr gang. Wie ist die Einführungvon Wirtschaft/Politik in der Mit -telstufe der Gymnasien G9 ge -plant? Gilt der gleiche Lehrplanund auch die Verpflichtung zurBerufs- und Studienorientierung?Dürfen Schulen im G9-Modellden Wirtschaft/Politik-Unterrichtauf Klasse 8 bis 10, also auf dreiJahrgänge, ausdehnen?

Antwort: In der Kontingentstun -den tafel für den im Schuljahr2011/12 beginnenden neunjähri-gen Bildungsgang (Sek I) am all-gemeinbildenden Gymnasium istdas Fach Wirtschaft/Politik imge sellschaftswissenschaftlichenKontingent verankert (parallel zuG8). Es gelten der gleiche Lehr -plan und die Verpflichtungen zumPraktikum und zur Berufs- undStudienorientierung. Im Rahmender Kontingentstundentafel und

des schulinternen Fachcur ricu -lums entscheiden die Schulenüber die Verteilung der Stunden.Es ist theoretisch möglich, denUnterricht auf drei Jahre auszu -dehnen.

2. Frage: Da die Schülerinnenund Schüler des Gymnasiumskünftig die Grundlagen des Fa -ches Wirt schaft/Politik in derMit telstufe vermittelt bekommen,die bisher Gegenstand des Ober -stufen un terrichts waren, müssteder Ober stufen-Lehrplan ange -passt wer den. Welche Vorberei -tungen gibt es dazu im Minist e -rium?

Antwort: Im Rahmen des schulin-ternen Fachcurriculums entschei-den die Wirtschaft/Politik-Fach -schaften über eine sinnvolle, ange-messene Verteilung des Unter -richtsstoffes, wozu auch dieGrund lagen für das Fach gehö ren.Für das kommende Schuljahr gilterstmals, dass im achtjäh ri genBildungsgang Wirtschaft/Po litik-Unterricht verpflichtend erteiltwird, im parallelen neunjäh ri genBildungsgang (G9 auslau fend) da-gegen nicht. (Die Schu len könntenWirtschaft/Politik freiwillig ein -richten.) Dies muss bei der Zu -sammenführung der Jahrgänge inder Oberstufe be rück sichtigt wer-den. Eine Über ar beitung desOberstufen lehr plans ist derzeitnoch nicht terminiert.

3. Frage: Die Zahl der Wirt schaft/Po litik-Referendar/innen im gym -nasialen Bereich reicht nicht, umdie ausscheidenden Lehr kräf te zuersetzen. Hinzu kommen neueAuf gaben in der Mittelstufe. ProJahr sind mindestens 30 Re fe ren -dare erforderlich, um den Bedarfzu decken. 2010 wurden 15, 2011nur 7 Plätze besetzt. Vie le Absol -venten der Universität Kiel wech-seln nach Nieder sach sen oderHamburg. Auf dem Lan desfachtaghat der Minister die Einstufungvon Wirtschaft/Politik als Mangel -fach zugesagt, dies ist aber bishernicht erfolgt. Es zeich net sich derunhaltbare Zu stand ab, dass Wirt -schaft/Politik verstärkt fachfremdunterrichtet wird oder der Unter -richt ganz aus fällt. Was unter -nimmt das Mi nis terium, um dasReferendariat attraktiv zu machenund dem Lehr kräftemangel imFach Wirt schaft/Politik zu begeg-nen?

Schleswig-Holstein

Fortsetzung Thüringen

polis_1_12_028_032_Entwurfverband_05-09.qxd 28.02.2012 15:04 Seite 29

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30

Verband

polis 1/2012

stundentafeln ausreichende Stun -denvolumina für das Fach Wirt -schaft/Politik in allen Schulartenbereitgestellt werden?

Antwort: Wie in allen gesell -schafts wissenschaftlichenFächern gilt zunächst, dass derLehrplan zu erfüllen ist. Unterder Annahme, dass Wirtschaft/Po litik als zweistündiges Fachunterrichtet wird, ist davon aus -zugehen, dass das nicht mehr derFall ist, wenn Wirtschaft/Politikweniger als drei Halbjahre unter-richtet wird. Der Lehrplan orien-tiert sich an vier Halbjahren. DieSchulen können Synergien nut -zen, indem Fächer übergreifendgearbeitet wird. Weitere Mög -lichkeiten sind z.B. Epochenun -terricht oder Fachtage. Die Schu -len regeln die Aufteilung desKon tingents in eigener Zustän -digkeit und erstellen entsprechen-de schulinterne Fachcurricula.

7. Frage: Laut Nachrichtenblattvom Mai 2011 ist die Stelle einerKoordinatorin/eines Koordinatorsfür das Handlungskonzept Schule& Arbeitswelt im Referat 22 neuzu besetzen. Welche schulartüber -greifenden Maßnahmen werdenvon dieser Stelle ausgehen? Wel -che Beziehungen sollen zumFach Wirtschaft/Politik undentsprechenden Fächernaufgebaut werden?

Antwort: Das HandlungskonzeptSchule & Arbeitswelt wendetsich an Schulen mit dem Bil -

dungsgang Hauptschulabschluss,an Förderzentren und Berufsbil -dende Schulen mit Berufsein -gangsklassen. Mit dem Hand -lungskonzept soll u.a. die Berufs -orien tierung von Schülerinnenund Schülern intensiviert undver bessert werden und es erfolgteine intensive Begleitung(Coach ing) der Jugendlichen biszur Integration in den Beruf. Wei -tere Handlungsfelder des Hand -lungskonzepts sind Kompe tenz -feststellungen der Jugendlichensowie Berufsfelderprobungen beiBildungsträgern. Die Schulenentscheiden eigenverantwortlichim Rahmen des Konzepts, in wel-che Fächer die Handlungsfelderdes Handlungskonzepts integriertwerden.

*) Anmerkung zu Frage 5: Die CDU-FDP-Regierung hat das Schulsystemin Schleswig-Holstein nach derGrundschule auf die drei Schulfor -men Gymnasium (G8 oder G9),Regionalschule und Gemein schafts -schule (mit und ohne Ober stufe)umgestellt. Die Gymnasial lehrer -ausbildung an der Universi tät Kielerfolgt bereits im Bachelor-Master-Modell zum Master of Education (6+ 4 Semester). Offen ist die Reformder Lehrerbildung für die Sekun -darstufe I. Statt Haupt- bzw. Real -schullehrkräften sollen an der Uni -versität Flensburg künftig Lehr -kräfte für Regional- und Gemein -schaftsschulen ausgebildet werden.Allerdings will die CDU das ModellBachelor + Master, die FDP will amStaatsexamen festhalten.

Klaus-Peter Kruber

Fort bildungsbedarf in den Re gio -nal- und Gemein schafts schulenspezielle Schu lungs an ge botedurch IQSH oder die Uni ver si tä -ten? Als Fachver band erwartenwir in diesem Be reich statt derZersplitterung von Fä chern einenauf die Bedürf nis se der Regional-und Gemein schafts schulen ab ge -stimmten, einheitlichen LehrplanWirt schaft/Po litik.

Antwort: Für die Regional- undGemeinschaftsschulen bilden inder Tat unterschiedliche Lehr plä -ne, die sich aus der unterschiedli-chen Tradition der Schulen ent -wickelt haben, die Grundlage fürein schulinternes Fachcurriculum.Die Überschneidungen mit demFach Verbraucherbildung legenFächer übergreifende Absprachennahe. So können im Fach Wirt -schaft/Politik und im Fach Ver -braucherbildung jeweils unter -schiedliche Schwerpunkte gesetztwerden. Das IQSH unterstützt dieSchulen in ihrer Fachkonfe renz -arbeit durch ein abgestimmtesFortbildungsangebot. Diese An -gebote liegen zu Beginn desSchuljahres vor und können beiBedarf ausgeweitet werden. Übereine Vereinheitlichung der Fächerbzw. Lehrpläne wird bei einerzukünftigen Überarbeitung derLehrpläne zu beraten sein.

5. Frage: An den Regional- undGemeinschaftsschulen wird dasFach Wirtschaft/Politik noch im-mer häufig von fachfremdenLehrkräften unterrichtet. WelchePläne hat die Landesregierungbezüglich der Lehrerausbildung*)im Fach Wirtschaft/Politik für dieRegional- und die Gemein -schafts schulen? Wie entwickelnsich der Bedarf an Fachlehr kräf -ten und die Einstellung von Refe -ren dar/innen im Fach Wirtschaft/Po litik an den Regional- und Ge -m einschaftsschulen?

Antwort: An den Regional- undGemeinschaftsschulen wird dasFach Wirtschaft/Politik zusätzlichzu den Fachlehrkräften ebensowie in anderen Fächern von Lehr -kräften mit unterschiedlichenFächervoraussetzungen abge -deckt. Zu den spezifischen Fach -bedarfen gibt es keine statis ti -schen Erhebungen, sodass ausden vorhandenen Daten seriöskeine Bedarfe für das Fach Wirt -schaft/Politik abgeleitet werdenkönnen. Die Fortbildung bzw.weitere Qualifizierung im FachWirtschaft/Politik erfolgt über dieAngebote des IQSH.6. Frage: Wie wird sichergestellt,dass im Rahmen der Kontingent -

Antwort: Der Lehrkräftemangelim Fach Wirtschaft/Politik istdem MBK bekannt. In der Lauf -bahn der Studienräte und Stu -dien rätinnen an Gymnasien wer-den ausgebildet (Stand 1.8.2011):

4. Ausbildungshalbjahr 83. Ausbildungshalbjahr 72. Ausbildungshalbjahr 31. Ausbildungshalbjahr 4

Im Jahr 2012 stehen damit 15Lehr kräfte für die Einstellung inden Landesdienst zur Verfügung,am 1.2.2013 wegen des dop pel tenPrüfungsdurchgangs weitere 7.Insgesamt werden ab 1.8.2011 dieRahmenbedingungen für die Aus -bildung im Vorberei tungs dienstdurch die Inkraftsetzung der neu-en APO-Lehrkräfte II nachhaltigverbessert, auch für das FachWirt schaft/Politik. Für eine Über-gangszeit wird es nicht ganz zuvermeiden sein, dass Ge schichts-und Geographie-Lehr kräfte, diedazu bereit sind und von derSchul leitung dafür vorgesehenwerden, im Wirt schaft/Po litik-Un -terricht der Sekundarstufe I einge-setzt werden. Sie stehen unter demAspekt zur Verfügung, dass dieStunden für das Fach Wirtschaft/Politik im bisherigen Kontingentfür Gesellschafts wis senschaftenenthalten sind. Unter der Voraus -setzung, dass ein schulinternesFach-Curriculum erstellt wordenist, wird dieser nur teil weise fach-fremde Einsatz für eine Über -gangs zeit für vertretbar ge halten.Dadurch entstehende in haltlicheDefizite können in der Oberstufedurch die Wirt schaft/ Po litik-Lehr -kräfte aufgefangen werden. Zurnachhaltigen Ver besserung derSituation im Fach Wirtschaft/Po li -tik hat der Mi nis ter entschieden,Wirtschaft/Po litik in die nächsteKapazitäts verordnung als Man gel -fach auf zunehmen.

4. Frage: An den Regionalschu lenund an einigen Gemein schafts - schulen wird das Fach Wirt schaft/Politik (nach den Lehr plä nen derauslaufenden Haupt- und Real -schu len) unter richtet. An anderenGemein schafts schulen wird Welt -kunde (nach den Lehrplänen derGe samtschulen) unterrichtet. Isthier eine Angleichung der Lehr -pläne geplant? Auch ist die inhalt-liche Füllung des Wahl pflicht un -ter richts unklar und unter schied -lich je nach Schule. Lehr kräfte be -richten ferner von Überschnei dun -gen mit dem neuen Fach Ver brau -cher erziehung. Gibt es für dendrin genden In for mations- und

1. Das Fach Sozialkundeim G8-Abitur in Bayern

Zur Situation

Die Stellung des Fachs Sozial -kun de in der Oberstufe des baye -ri schen Gymnasiums wurde mitder Einführung des G8 einerseitsverbessert, da nun alle Schülerob ligatorisch in Sozialkunde un-terrichtet werden, während z.B.im letzten G9-Jahrgang nur 19 %der Schüler Sozialkunde belegthatten. Der Preis dieser Verbes se -rung ist die Verminderung derStundenzahl des Fachs. Es wirdnun nur noch in einer insgesamtdreistündigen Fächerkombinationmit Geschichte unterrichtet; da -

von sind zwei Stunden Geschich -te und eine Stunde Sozialkunde.Die Eigenständigkeit beider Fä -cher im Hinblick auf den Lehr -plan, auf die Qualifikation derLehrkräfte und die Leistungs er -hebungen bleibt dabei erhalten.In dieser Fächerkombination G /Sk kann eine schriftliche oder ei-ne mündliche Abiturprüfung ab -gelegt werden. (Alternativen sindWirtschaft, Erdkunde, Religion;der Schüler muss und kann höch-stens in einem gesellschaftswis -sen schaftlichen Fach Abitur ma-chen.). Allerdings kann der Schü -ler Sozialkunde für das Abiturauch „abwählen“ und nur in Ge -schichte Abitur machen. Das Um -gekehrte – Abitur nur in Sozial -

Bayern

Fortsetzung Schleswig-Holstein

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Verband

kunde – ist wegen der Einstün -dig keit nicht möglich. Ausnahme:Am wirtschafts- und sozialwis -sen schaftlichen Gymnasium kannSozialkunde (nach einem Kursmit zwei Wochenstunden) eigen-ständiges Abiturfach sein.

Obwohl nun alle Schüler inSozialkunde unterrichtet werden,hat die Fächerwahl beim erstenG8-Abitur ein für Sozialkundekatastrophales Ergebnis gegeben:Während beim letzten G9-Abiturimmerhin noch 7% der Schülerdie Abiturprüfung in Sozialkundeabsolvierten, war das Fach im er-sten G8-Abitur mit nur 2,9 %nun mehr völlig marginalisiert. (Indieser Zahl sind die Abiturientenmit einem eigenständigen Sozial -kun deabitur an den wirtschafts-und sozialwissenschaftlichenGymnasien bereits berücksich -tigt.) Dieses Ergebnis läuft derpolitisch gewünschten und ange-strebten Stärkung der politischenBildung völlig entgegen. DieGründe für dieses Wahlverhaltender Schüler sind wohl weniger inder mangelnde Attraktivität desFachs, sondern in dem von denSchülern befürchteten Mehrauf -wand der Vorbereitung auf zweiverschiedene Fächer. Inwiefernauch eine falsche Beratung durchOberstufenkoordinatoren oderFachlehrer eine Rolle gespielthat, ist schwer abzuschätzen.

Aus Sicht des Verbandes istdieses Ergebnis in höchstemMaße alarmierend, da auch dergenerelle Stellenwert einesFaches am Gymnasium von derBeteiligung am Abitur abhängt.

Verbesserungen ab 2012

Wohl nicht zuletzt aufgrund vondeutlichen Interventionen derDVPB wurde bereits für das Abi -tur 2012 eine für Sozialkundewichtige Verbesserung erreicht:Der Schüler, der in der Fächer -kombination Geschichte und So -zialkunde die mündliche Abitur -prüfung ablegt, kann zwei Halb -jahre in beiden Fächern aus -schlie ßen. (Bei der mündlichenAbiturprüfung in anderen Fäc -hern kann lediglich ein Halbjahrabgewählt werden.) Außerdemkann das Schwerpunktgebietauch aus dem Fach Sozialkundegewählt werden. Diese Verbes se -rung wird durch die DVPB be -grüßt und es ist zu hoffen, dass esdadurch gelingt, mehr Schüle rin -nen und Schüler für ein Abitur inder Fächerkombination Sk/G zugewinnen und das Fach Sozial -

kunde insofern eine Aufwertungerfährt.

Die Forderung des Verbandesdie Möglichkeit der „Abwahl“von Sozialkunde bei der Abitur -prüfung in der Fächer kombina -tion Geschichte/Sozialkunde ab-zuschaffen, konnte vom Kultus -ministerium nicht erfüllt werden,da der Privilegierung von Ge -schichte, die ein „reines“ Ge -schichtsabitur ermöglichen soll,eine politische Entscheidung zu-grunde liege.

StD Bernhard Hof (Mitglieddes Landesvorstands)

Perspektiven

Eine Änderung der Stundentafelder Oberstufe, in der für alleSchulen eine Regelung ähnlichder an den wirtschafts- und so -zial wissenschaftlichen Gymna -sien eingeführt wird (Wahl mög -lichkeit eines zweistündigen Kur -ses in Sozialkunde dann mit ei -genständigem Abitur), ist gegen-wärtig / mittelfristig nicht in Aus -sicht. In Gesprächen mit politischVerantwortlichen versucht derVerband weiterhin eine Aufhe -bung der „Abwahlmöglichkeit“von Sozialkunde beim Abitur inder Fächerkombination G/Sk zuerreichen. Erste Erfolge sind hier-bei positive Stellungnahmen vonSeiten der FDP – immerhinMitglied der Regierungskoalition– und der Freien Wähler.

Landesvorstand Bayern

2. Zweites TutzingerDidaktikforum: Planspielein der Politischen Bildung

In Zusammenarbeit mit der Bun -deszentrale für politische Bildungund der Akademie für PolitischeBildung hat vom 12. bis zum 15.Februar 2012 das 2. TutzingerDi daktikforum zu Planspielen inder Politischen Bildung stattge -funden. Unter der Leitung vonDetlef Dechant (bpb) und Dr.Michael Schröder (APB Tutzing)gab die Tagung einen Überblicküber die Entwicklungen der Plan -spielmethode in der PolitischenBildung und ermöglichte einenfachdidaktischen und interdiszi -pli nären Austausch über die Me -thode, die mit großem Erfolg inder schulischen und außerschuli-schen Politischen Bildung einge-setzt wird. Im Mittelpunkt desSeminars stand das Kennenlernenverschiedener Planspielangeboteund deren Reflexion für denEinsatz in der PolitischenBildung.

In einem ganztägigen Work -shop wurde unter Anleitung vonProf. Dr. Andreas Petrik (Uni -versität Halle-Wittenberg) undProf. Dr. Stefan Rappenglück(Hochschule München) die„Dorf gründungssimulation alsEntdeckungsreise zum eigenenpolitischen Selbst“ durchgespielt.Energetingen – ein Planspiel zurregionalen Energiepolitik – run -dete den praktischen Teil ab, dernoch durch das Planspiel „DerLandtag sind wir“ (Eva Feld -mann-Wojtachnia, CAP Mün -chen) ergänzt wurde. Prof. Dr.Willy Kriz (Fachhochschule Vor -arlberg) stellte kurze Planspieleals pädagogische Lerner fah run -gen vor.

Darüber hinaus wurden auchu.a. neue Planspielprodukte derBundeszentrale für politische Bil -dung zur konkreten Nutzung inder Bildungspraxis präsentiert.Thomas Regnet stellte die Plan -spieldatenbank der bpb vor.

Schließlich kam auch eine kri-tische Reflexion der Methode, ih-rer Grenzen und der metho di -schen Weiterentwicklung nicht zukurz. Ebenso wurde die Frage ge-stellt, wie und ob überhaupt diePlanspielmethode politischeBeteiligung befördern kann.

Dr. Michael Schröder,Akademie für Politische Bildung

Tutzing

Schule als Projekt fürdas Leben

Der 6. Demokratie-TagRheinland-Pfalz im rhein-hessischen Wörrstadt

Unter dem Motto „Wege zu einerdemokratischen Lernkultur“ fandam 22. September 2011 an derGeorg-Forster-Gesamtschule inWörrstadt der nunmehr 6. Demo -kratie-Tag Rheinland-Pfalz statt.Der von einem breiten Netzwerkstaatlicher Institutionen und zivil-gesellschaftlicher Einrichtungenund Initiativen u. a. auch derDVPB getragene landesweiteKongress bot auch dieses Malwieder ein großes Forum für denAustausch von Informationenund Erfahrungen und zeigte, wieweit die Schulen im Land in derdemokratischen Entwicklungvoran gekommen sind, aber auch,welche Entwicklungsschritte alleBeteiligten noch gehen müssen.Nachdem bei den vergangenenBegegnungen stärker die Schuleals System und ihre strukturellenVeränderungen im Mittelpunktstanden, lag der Fokus diesmalauf der Entwicklung partizipa ti -ver Lernprozesse im Fachunter -richt, beim Projektlernen und an-deren offenen Formen desUnterrichts.

HB

Der Name ist Verpflichtung:Georg Forster, der Naturforscherund Ethnologe aus Mainz, war ei-ne der entscheidenden Figurenbei der Gründung der MainzerRepublik 1793 als Folge derFran zösischen Revolution vierJahr zuvor. Hier entstand dieerste bürgerlich-demokratischeGrundordnung auf deutschemBoden, die allerdings schnellwie der durch deutsche Truppenaufgelöst wurde. „Forster hat sichzu einer Zeit für Demokratie undFreiheit eingesetzt, als dies nochmit der Gefahr für Leib und Le -ben verbunden war“, erklärte Mi -nisterpräsident Kurt Beck in sei-nem Grußwort zum 6. Demokra -tie-Tag am 22. September 2011 inder Georg Forster Gesamtschulein Wörrstadt. „Ich freue mich,dass die Gesamtschule diese Per -sönlichkeit als Namenspatron ge-wählt hat und ihren Schulalltagund den Unterricht an demokrati-schen Idealen ausrichtet. Die

Rheinland-Pfalz

Fortsetzung Bayern

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Verband

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Koordinator des 6. Demokratie-Tags dankte neben dem Päda go -gischen Landesinstitut, dem Mi -nisterium für Bildung, Wissen -schaft, Weiterbildung und Kultur(MBWWK) und der Service agen -tur „Ganztägig lernen“ auch derStaatskanzlei und den zahlreichenzivilgesellschaftlichen Partnernfür die finanzielle und personelleUnterstützung bei der Ausrich -tung dieser Veranstaltung. „Wirmöchten, dass Schülerinnen undSchüler von der Schule abgehen,die sich selbstbewusst mit ihrenAnliegen in die Gesellschaft ein-bringen können, die frei reden,moderieren und diskutieren kön-nen“, definierte Berkessel einZiel demokratischer Mitwirkungin der Schule.

Kurt Beck betonte, dass esdarum gehen müsse, mehr Leben -digkeit in die Demokratie zubrin gen, um die „schleichendeMinderwertschätzung der demo-kratischen Rechte aufzuhalten“.Schule und Jugendarbeit seienideale Orte dazu. „Hierbei geht esnicht darum, Demokratie zu spie-len, sondern sie zu leben. WennKinder und Jugendliche mitredenund mitentscheiden können, dannmuss es auch gelten“, betonte derMinisterpräsident.

Die Gefahr, dass die Schüle -rinnen und Schüler bei demokra-tischen Rechten in der Schule nurauf „Nebenschauplätze vertröstetwerden“, sah auch Prof. Dr.Silvia-Iris Beutel von der Techni -schen Universität Dortmund inihrem Hauptvortrag „Lernkulturund Demokratie an guten Schu -len“. Die Professorin für Schul -pädagogik und Allgemeine Di -dak tik führte aus, dass eineDemo kratiepädagogik, die wirk-sam sein will, Kernbereiche wieUnterricht und Leistungs beur tei -lung nicht aussparen dürfe.„Hand lungskompetenzen undSelbstwirksamkeitserfahrungender Kinder und Jugendlichenmüs sen gestärkt werden – unddies können Lehrkräfte durch ei-nen individualisierten und dif -ferenzierten Unterricht sowie dia-logische Lernbegleitung undLeistungsbeurteilung erreichen“,so die Wissenschaftlerin.

Rheinland-Pfalz als bundes-weiter Vorreiter

Damit sie einen solchen individu-alisierten Unterricht gestaltenkönnen, muss der Wissen schaft -lerin zufolge die Position derLehrerinnen und Lehrer gestärktwerden. Aber die Pädagoginnenund Pädagogen sollten sich auch

auf eine veränderte Rolle ihrerSchülerschaft einstellen: „DieKinder sitzen nicht mehr nurstumm in der Klasse und wartenauf Anweisungen, sondernbestimmen den Unterricht selbstmit. Sie fragen, kritisieren, ent -wickeln Ideen und geben An -stöße.“ Beispielgebend sei hierdie preisgekrönte GrundschuleLandau-Süd, welche die so ge -nannte „Neugierzeit“ eingeführthabe, in der die Schülerinnen undSchüler über die Unterrichts in -halte bestimmen können. „AuchProjektlernen ist eine wichtigeErfahrung für die Kinder undJugendlichen. Projekte sind indi-vidualitätsstärkend, können An -erkennung, Kompetenz und so -ziale Eingebundenheit vermit -teln“, beschrieb Silvia-IrisBeutel. „Sie bieten auch Anlass,die Schule zu verlassen, um sichmehr Lebensraum zu erschließen,Aufgaben mehrdimensional zubetrachten und im Team zu arbei-ten.“

Als Mitglied der Jury desDeutschen Schulpreises sehe sie,was sich in den Bundesländernbewege – und Rheinland-Pfalzsteht nach Meinung der Wissen -schaft lerin im Bereich der Demo -kra tiepädagogik beispielhaft da.„Be eindruckt hat mich bei denReisen durch die Schulen dieAussage eines Neuntklässlers,der die Demo kratiepädagogik soumschrieb: ,Im besten Fall ist dieSchule ein Projekt für dasLeben‘“, berichtete Silvia-IrisBeutel.

Das Lob der DortmunderProfessorin war nicht das einzige,über das sich StaatssekretärinVera Reiß zum Abschluss freuenkonnte. Auch Tobias Diemer, derStellvertretende Vorsitzende derDeutschen Gesellschaft für De -mokratiepädagogik, erklärte dieProjekte in Rheinland-Pfalz als„bundesweit beispielgebend“:„Mit dem Demokratietag ist dasLand Vorreiter. Andere Bun des -länder sollten diese Idee aufgrei-fen.“

„Bedeutung des Themasbesser kommunizieren“

Vera Reiß erklärte: „Die bisheri-gen Demokratietage haben auchauf unsere Politik Einfluss aus ge -übt. Im neuen Koalitionsvertragist die Stärkung der Mitwirkungs -möglichkeiten der Schülerinnenund Schüler vereinbart. Es gibtSchulgesetze in anderen Bundes -ländern, die in diesem Bereichweitergehen, und diesen Hand -lungsbedarf haben wir erkannt.“

Namenswahl sagt viel über denGeist einer Schule aus.“

Tatsächlich ist der NameGeorg Forster auch Programm ander Ganztagsschule im LandkreisAlzey-Worms. Hier sind sozialesMiteinander und voneinanderLernen von Beginn an wichtigeLernziele. Die Schülerinnen undSchüler lernen demokratischeSpielregeln kennen und üben die-se in verschiedenen Situationenein. Eine besondere Bedeutunghat dabei die wöchentliche Klas -senratsstunde, die sogar in derOberstufe stattfindet. Hier über -nehmen die Schülerinnen undSchüler Verantwortung und re -geln ihre eigenen Angelegenhei -ten im demokratischen Miteinan -der. Darüber hinaus gibt es eineVielzahl an partizipatorischenElementen, die allen an der Schu -le Beteiligten Teilhabe ermögli -chen. Hierzu gehören zum Bei -spiel die „Elternschule“, ein Fort -bildungs- und Austauschforumvon und für Eltern, das von Schü -lerinnen und Schülern selbstver-waltete Oberstufencafé und dieintensive Arbeit der Schüler ver -tretung, die in alle wichtige Ent -scheidungen der Schule einge -bunden ist.

Es verwundert also nicht, dassdie Deutsche Gesellschaft für De -mo kratiepädagogik und ihre Ko -operationspartner als Veranstal -tungsort für ihren 6. Demokratie-Tag Rheinland-Pfalz die GeorgForster Gesamtschule ausgewählthatte, die zudem noch Modell -schule für Partizipation und De -mokratie ist. Die Teilneh merin -nen und Teilnehmer der Tagunghatten so Gelegenheit, sich direktvor Ort über tatsächlich umge -setzte Mitbestimmungs- und Mit -wirkungs-möglichkeiten zu infor-mieren. „Wir freuen uns über un-sere aktiven Schülerinnen undSchüler und auch über unsereEltern, die uns kritisch, aber soli-darisch begleiten“, begrüßteSchul leiterin Bettina Gerhard dasPlenum im Foyer ihrer Schule.

Kurt Beck: „Nicht nurDemokratie spielen, sondern sie leben“

Dass Ministerpräsident Beck füreinen Rundgang durch den in denGängen der Schule aufgebauten„Markt der Möglichkeiten“ mitallen Partnern und Institutionenund für den Vormittag im Plenumnach Wörrstadt gekommen war,sah die Schulleiterin als Zeichender Wertschätzung für die ge leis -tete Arbeit. Hans Berkessel, der

Eine weitere Aufgabe, der sichalle Beteiligten stellen müssten:„Wenn wir ehrlich sind, wird dieDemokratiepädagogik noch nichtin allen Schulen als wichtig er -achtet. Wir müssen die Bedeu -tung des Themas besser kommu-nizieren“, so die Staatssekretärin.

Vielleicht würden skeptischeoder gleichgültige Pädagoginnenund Pädagogen für das ThemaFeuer fangen, wenn sie die Mög -lichkeit wahrnähmen, das Projekt„S.A.M.S. – Schüler arbeiten mitSchülern“ kennen zu lernen, wel-ches die Pädagogische FachkraftRita Steiger-Essling und die bei-den Zwölftklässlerinnen Sabrinaund Kristin am Nachmittag vor -stellten.

S.A.M.S. ist seit dem Schul -jahr 2005/2006 ein fester Be -stand teil des rhythmisierten Un -terrichts der Ganztagsklassen derJahrgänge 5 und 6 an der GeorgForster Gesamtschule. Ausge -bildete Oberstufenschülerinnenund -schüler betreuen montagseine Kleingruppe von fünf Kin -dern. In 90 Minuten erledigen siegemeinsam Aufgaben, üben fürKlassenarbeiten, lesen Bücheroder fördern spielerisch. Derzeitwerden auf diese Weise jedenMon tag insgesamt 120 Schülerin -nen und Schüler in 20 Kleingrup -pen gefördert.

„Das Projekt ist inzwischenim Kollegium gut angesehen“,berichtete Rita Steiger-Essling,„und die Lehrkräfte halten einenengen Kontakt zu den S.A.M.S.-Betreuern aus der Oberstufe.“Sabrina und Kristin versicherten,dass ihnen die Arbeit mit den jün-geren Mitschülerinnen und Mit -schülern Spaß mache. „Wirlernen auch selbst etwas, sowohlinhaltlich, als auch, wie man mitProblemen umgeht“, erzählteSabrina. Und Kristin ergänzte:„Man lernt auch, geduldig zusein.“ Eine positive Rück mel -dung konnte eine Mutter geben:„Mein Sohn fühlt sich in denS.A.M.S.-Gruppen wohl. Das isteine gute Form für den Kleinenzu lernen.“ Und für die älterenSchülerinnen und Schülern einegute Möglichkeit, sich in denSchulalltag einzubringen undVerantwortung zu übernehmen.

Ralf Augsburg

Fortsetzung Rheinland-Pfalz

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Politik goes Pop

Hans-Jürgen Benedikt/Andreas Engelschalk/Manfred Pirner (Hg.), „Hey,Mr. President“ – Politik undpopuläre Kultur – sozialwis -sen schaftliche und theologi-sche Perspektiven, Jena: IKSGaramond 2011, 178 Seiten,19,90 EURO

Der Sammelband ist aus einer Ta -gung des „Arbeitskreis(es) Popu -läre Kultur und Religion“(www.akpop.de) hervorgegangen.Er widmet sich den vielfältigenVerflechtungen von populärerKul tur, Politik und Religion. Dieser scheint dringend geboten in ei-ner Epoche, die mit den EtikettPost moderne die Ästhetisierungeneiner Jugendkultur in den Fokusder Aufmerksamkeit rückt, in de -ren Kontext die visuellen, digita-len und interaktiven Medien einekaum zu überschätzende Bedeut -ung gewonnen haben. GigantischeSpeicherkapazitäten, Beschleuni-gung und Diversifizierung derÜber tragungswege und die damitverbundene Individualisierungund Interaktivität der Kommuni -kation haben enorme kulturelleAus wir kungen bis hin zum Ver -schwinden der Grenzen zwischenRealität und Fiktion (Johanna Ha -berer, 53ff.). Welche Verände -rungen der Poli tikwahrnehmungdamit verbunden sind, erscheintin der (Selbst)inszenierung vonPolitikerInnen, die nicht nur aufWahlkämpfe be schränkt ist (AnjaBesand, 37ff.). Welche Verände -rungen sich im Verhältnis von Ge -sellschaft und Religion ergeben,ist an der Even tisierung von reli-giösen Persön lichkeiten ersicht -lich. („Der Papst ist pop“, Jo -achim Kunstmann, 95ff.) Über -dies ergeben sich über diese (me-dialen) Ästhetisierungen engeVerknüpfungen von Politik undReligion.

Unter Verwendung eines wei -ten Politikbegriffs weist ManfredPirner (123ff.) in diesem Zusam -menhang auf die religiöse und po-litische Selbstsozialisation in derGothic-Szene hin. Hier hätte derBand auch einen eigenen Beitragüber die zivilreligiöse Dimensionvon Politik berücksichtigen kön -nen. Wer erinnert sich in diesemZusammenhang nicht an die vordem Kriegseintritt von George W.Bush immer wieder beschworeneFormel „God bless America!“

Näherungen an diese Thematikenthalten zumindest die Beiträgevon Hans-Martin Gutmann(105ff.) und Inge Kirsner (111ff.),die im „Gouvernator ArnoldSchwar zenegger“ die personifi -zierte Verknüpfung von Politikund populärer Kultur ausmachen,so wie der Beitrag von BernhardGrümme, der aus der Warte einertheologischen Hermeneutik derFrage nach der „Heiligsprechungdes Trivialen“ am Beispiel desFernsehkonsums nachgeht. (72ff.)Benjamin Benedikt erörtert in die-sem Zusammenhang das Ver hält -nis von „Qualität und Quote imFern sehen“ (171ff.) und zwei Bei -träge zur medialen Präsentationder jüngsten deutsch-deutschenGe schichte von Michael Wermke(147ff.) und David Käbisch(155ff.) runden den Sammelbandab.

In dem Bändchen sind fastaus schließlich Beiträge von Theo -logen abgedruckt. Dass die imUntertitel angekündigte sozialwis-senschaftliche Perspektive den -noch kompe tente Berücksich ti -gung gefunden hat, zeugt auchvon der fächerübergreifendenBedeutung des Themas. Schließ -lich haben Politische Bil dung undReligionspädagogik in der Förde -rung von Kompetenzen als Le -benshilfe eine gemeinsame Auf -gabe, die sie nur mit unter -schiedlichen Zugriffsweisen bear -beiten. Für politische Bildnerkann die Lektüre diesesSammelbandes deshalb einedurchaus bereicherndePerspektivenerweiterung ermögli-chen.

A.S.

Grundlagenreflexion

Gerd Steffens und EdgarWeiß (Redaktion): Jahrbuchfür Pädagogik 2011.Menschenrechte undBildung. Frankfurt am Main:Peter Lang Verlag, 364 Seiten, 36,00 EURO

Menschenrechte sind weder gott-gegeben noch entspringen sie derNatur des Menschen, sie sindResultat fortwährender Kämpfeum Begriff und Praxis, deren Ins -trumentalisierung zu Herrschafts -zwecken es entgegen zu wirkengilt. Nur wenn die Rechte der Per -son in ihrem historisch ge sell -schaftlichen Kontext Beachtung

finden, wird die Universalität derMenschenrechte wahrgenommen.

Der Kampf gegen die Ernied -rigung, gegen die Verletzungender menschlichen Würde ist ver -bun den mit der Ermächtigung derSub jekte in gesellschaftliche Ver -hältnisse verändernd einzugreifen,sie zu gestalten. Denn auch inZeiten, in denen die Rücknahmesozialer Rechte im Kontext aktu-eller Globalisierungs- und damitverbundener Transformations pro -zesse der Nationalstaaten alsunvermeidbar dargestellt undKriege zu „humanitären Inter ven -tionen“ (v)er klärt werden, gibt esnoch ge gen hegemoniale Hand -lungs- und Ak teursperspektiven,bleiben die Diskurse über Men -schen rechte, Pädagogik und Bil -dung in Theorie und Praxis unauf-löslich miteinander verknüpft.Facettenreich und vielschichtigdiskutieren im Jahr buch für Pä -da gogik 2011 24 Auto rinnen undAutoren unter dem programmati-schen Titel Menschen rechte undBildung diese brisante Thematik,ohne dass sich die Hete rogenitätder Beiträge ins Belie bi ge, Will -kürliche verliert. Die in diesemSammelband vereinten Aufsätzegreifen in drei dialogisch mitein-ander korrespondierenden Ab -schnitten den Konnex von Men - schenrechts- und Bildungs fragenauf.

Der erste Abschnitt „Histori -sche und theoretische Vergewis se -rungen“ nimmt ideen geschicht li -che Aspekte, diskursethische Be -gründungszusammenhänge vonMenschenrechten und Bildung imHinblick auf ihre Gegenwarts be -deutung auf, in denen anerken -nungs theoretische (Selbst)refle -xio nen systematisch verankertwer den, nicht zuletzt wirft er aber

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RezensionenNeue Literatur – kurz vorgestellt

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Magazin

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auch die spannend und kontroverszu diskutierende Frage auf, ob esdiesen Terminologien nicht an ei -ner materialistischen Einbettungfehle.

Im zweiten Abschnitt „Men -schenrechte in einer globalisier -ten Welt: Erweiterungen und Kon -frontationen“ steht die theore ti -sche Analyse und Reflexion ge -genwärtiger Menschen (rechts) -diskurse im Fokus. Welche Men -schenrechtsbegriffe werden vordem Hintergrund aktueller gesell-schaftlicher Herrschafts verhält -nisse hegemonial, welche Wahr -neh mungsvoraussetzungen, nor -mativen Wertvorstellungen undsomit auch Annahmen und Ver -werfungen impliziert dies und wiekönnen gegenhegemoniale Stra -tegien entwickelt werden?

Darauf aufbauend widmet sichder dritte Abschnitt „Menschen -rechte als pädagogisches Praxis-und Konfliktfeld in Gegenwarts -gesellschaften“ insbesondere derFrage, ob und wie Bildung Men -schen dazu befähigen kann, sichsowohl für eigene Rechte als auchfür die Rechte anderer einzu set -zen. Bildungstheoretische Folgenund Problemfelder der gesell -schaft lichen Transfor mations pro -zesse werden erörtert, kulturalisti-sche, nationalistische und rassisti-sche Ausgrenzungen aufgezeigt.Praktische Menschenrechts bil -dung, so ein zentrales Fazit, mussan den Alltagserfahrungen, denkonkreten Lebenssituationen an -setzen, politische und soziale Par -tizipation ermöglichen.

Insgesamt ein Sammelband,dessen Lektüre sich wirklichlohnt!

Juliane Hammermeister

PädagogischerRepublikanismus

Frit z Osterwalder: Demo kra -tie, Erziehung und Schule. ZurGeschichte der politi schen Le -gitimation von Bildung undpädagogischen Legitimationvon Demo kratie, Bern Stutt -gart Wien: Haupt Verlag (UTB3557), 227 S., 14,90 EURO

Der Autor dieser Studie ist Prof es -sor für Allgemeine Pädagogik ander Universität Bern. Er stellt zu -nächst fest, dass wir heute Schu leohne Demokratie und De mo kratieohne Schule gar nicht mehr denkenund untersucht die Frage, wie dieseVerbindung über haupt zu Standegekommen ist.

Zunächst mustert er konzen triertin historisch angelegten Ka pi telnden antiken Republi ka nis mus,christ liche und humanis ti scheStaats theorien, frühneuzeitliche Na -turrechtskonzeptionen sowie ame -rikanische, helvetische und fran zö -sische Modelle öffentlicher Er zie -hung aus dem Zeital ter der bür ger -lichen Revolutionen. In sys te ma ti -schen Analysen werden danngrund legende Problem kreise wiezi vile Moralerziehung, Chan cen -gleichheit, Multikultu ra lität, Priva -ti sierung und Stan dar disierung er -örtert.

Die anregende These von Os -ter walder ist, dass der antike undder humanistische Republika nis -mus auch noch die aktuelle De batteum die legitime Zuord nung vonDe mokratie und Schule bestim -men. Einer direkten Übertragungdemokratischer Gestal tungsprin zi -pien auf die Schule (wie bei De -wey) seien aber Gren zen gesetzt.

vO

POLIS 2/2012Politische Bildung an außer -schulischen Lernorten(erscheint am 1.7.2012)

POLIS 3/2012Nachlese zum Bundeskongress (erscheint am 1.10.2012)

POLIS 4/2012Politische Bildung mitMigrantinnen und Migranten (erscheint am 22.12.2012)

POLIS 1/2013Menschenrechte undMenschenrechtsbildung(erscheint am 1.4.2013)

VORSCHAU

Liebe Leserinnen und Leser,haben Sie Wünsche und Vorschläge für zukünftige Heftthemen?Unten finden Sie die Planung für die kommenden Hefte. Weiterhinplanen wir Ausgaben zu den Themen Jugendkulturen – Klima –Professionalität in der außerschulischen Bildung. Wollen Sie selbsteinen Beitrag schreiben? Reizt es Sie, auf einen bereits erschie -nenen Beitrag zu antworten? Oder: Möchten Sie einfach nur IhreKritik an einem veröffentlichten Artikel übermit teln? In jedem Fall:Schreiben Sie an die Redak tion: 36100 Petersberg, Igelstück 5a, [email protected].

POLISReport der Deutschen Vereinigung für Politische BildungHerausgegeben von der Deutschen Vereinigung für Politische Bildung durch den Bundesvorsitzenden Prof. Dr. Dirk Lange(www.dvpb.de) 16. Jahrgang 2012

Leitende RedakteurinDr. Martina TschirnerIgelstück 5a36100 PetersbergTel.: 0661 9621133

VerlagWochenschau VerlagDr. Kurt Debus GmbHAdolf-Damaschke-Straße 1065824 Schwalbach/Ts.www.wochenschau-verlag.de

RedaktionDr. Martina Tschirner (V.i.S.d.P.)Prof. Dr. Tim EngartnerProf. Dr. Klaus-Peter HuferDr. Herbert KnepperProf. Dr. Dirk LangeHans-Joachim von OlbergProf. Dr. Bernd OverwienPD Dr. Armin Scherb

Verantwortlicher Redakteur für diese AusgabeProf. Dr. Tim EngartnerProf. Dr. Klaus-Peter HuferDr. Martina Tschirner

Verantwortlich für die Verbandspolitische RundschauDr. Herbert Knepper

HerstellungSusanne Albrecht-Rosenkranz, Opladen

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