Polizei- und Verwaltungsrechtg11003/giauszug.pdf · alles vorzuschreiben: die wirtschaftliche...

47
Fachbereich Polizei Abteilung Gießen Polizei- und Verwaltungsrecht Grundstudium Schutzpflicht des Staates Aufgabengeneralklausel Gesetzmäßigkeit der Verwaltung Dr. Michael Bäuerle

Transcript of Polizei- und Verwaltungsrechtg11003/giauszug.pdf · alles vorzuschreiben: die wirtschaftliche...

Fachbereich Polizei • Abteilung Gießen

Polizei- und Verwaltungsrecht

Grundstudium

• Schutzpflicht des Staates • Aufgabengeneralklausel

• Gesetzmäßigkeit der Verwaltung

Dr. Michael Bäuerle

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Dieses Skript ist als Begleitmaterial für das Studienfach Polizei- und Verwaltungsrecht, Zivilrecht konzipiert. Der vorliegende Teil enthält Inhalte aus dem Grundstudium I des Fachs; er wird nach und nach vervollständigt. Im Studienfach Polizei- und Verwaltungsrecht werden wir Sie im Grundstudium mit vielen abstrakten Rechtsbegriffen und -grundsätzen konfrontieren, Sie werden sich z.B. über instanzielle Zuständigkeiten, Form- und Verfahrensvorschriften für den Verwaltungsakt und die Ermessensfehlerlehre Gedanken machen müssen. Deshalb wird Ihnen diese Fach am Anfang möglicherweise schwierig, etwas trocken und wenig praxisrelevant erscheinen. Sie wollen schließlich Polizistin oder Polizist werden (bzw. sind es längst) und nicht Amtsinspektorin oder Amtsinspektor. Da hat die Kriminalistik mit den Scherben, Geschossen und Fingerabdrücken der Spurenkunde zunächst mehr zu bieten als das Verwaltungsrecht und auch die dünne klare Luft der Kapitalverbrechen im Strafrecht erscheint praxisrelevanter als die nebeligen Niederungen des Verwaltungsakts - gar keine Frage. Dass auch und gerade das Polizei- und Verwaltungsrecht für die Praxis von großer Bedeutung ist, wird Ihnen als Laufbahnbewerberin oder Laufbahnbewerber aber schon im Praktikum I deutlicher werden: Dort werden die Inhalte in der Lehreinheit Praktischer Polizeidienst in ersten praktischen Übungen angewandt. Sie werden unter Beachtung der Taktik und Eigensicherung, aber auch der Rechtslage erste Fahrzeugkontrollen durchzuführen, Identitätsfeststellungen vorzunehmen und den einen oder anderen Widerstand unter körperlichem Einsatz zu überwinden haben. Da das Praktikum mit dem Studium an der VFH durch gemeinsame Veranstaltungen verzahnt ist, werden Sie bei diesen Übungen Ihre Dozentin oder ihren Dozenten des Polizei- und Verwaltungsrechts wiedertreffen; er oder sie wird bei der rechtlichen Bewertung und Nachbereitung der Übungen mithelfen. Als Studierende/r mit zweiter Fachprüfung werden Sie diese und viele weitere Maßnahmen in der Praxis schon hundertfach durchgeführt haben, ohne sich jedoch vielleicht immer über die rechtlichen Voraussetzungen und Grenzen im Klaren gewesen zu sein. Genau um diese rechtlichen Voraussetzungen und Grenzen polizeilichen Handelns geht es im Polizei- und Verwaltungsrecht. Das Fach soll Ihnen im Zusammenwirken mit den Fächern Straf-, Strafprozess- und Eingriffsrecht im Ergebnis rechtliche Handlungssicherheit für alle Standardsituationen der täglichen Polizeiarbeit vermitteln und klare Leitlinien und Grundsätze für die rechtliche - und damit die tatsächliche - Bewältigung ungewöhnlicher Lagen. Das Curriculum drückt dies so aus: „Die Studierenden sollen im Grundstudium

die Einbettung der polizeirechtlichen Zentralbegriffe in die Verfassungsordnung und ihre Abhängigkeit von den herrschenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen begreifen und die Wertentscheidungen des Grundgesetzes als Richtschnur polizeilichen Handelns verstehen,

die Grundkenntnisse erwerben, die Sie befähigen, das Wesen der öffentlichen Verwaltung als Teil der vollziehenden Gewalt zu erfassen, ihre Organisationsstruktur und das Verwaltungsverfahren zu überblicken und sich mit dem Verwaltungsrechtsschutz zu befassen,

die Grundsätze des Verwaltungshandelns, die für das Tätigwerden der Polizeibehörden als Teil der inneren Verwaltung von Bedeutung sind, beherrschen und bewerten können,

2

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

gründliche Kenntnisse über die polizeilichen Aufgaben der Gefahrenabwehr erwerben und Voraussetzungen und Rechtsfolgen der zur Erfüllung der vollzugspolizeilichen Aufgaben zulässigen Maßnahmen einschließlich der Zwangsmittel im einzelnen beherrschen können sowie den allgemeinen und bereichsspezifischen Datenschutz kennen lernen.

und im Hauptstudium

einen Überblick über die Gebiete des Besonderen Polizei- und Ordnungsrechts erhalten, die Grundprinzipien des Umweltrechts kennen lernen und einzelne Bereiche des Besonderen Polizei- und Ordnungsrechts exemplarisch vertieft bearbeiten, um sich auf diese Weise das fachspezifische Methodenwissen anzueignen, sich selbständig den Zugang zu nicht abschließend behandelten Materien zu eröffnen,

im Rahmen eines Repetitoriums die Gesamtmaterie als in sich geschlossenen rechtlichen Regelkreis erfassen.“ Sie sehen: Es gibt viel zu tun! Um die durchaus anspruchsvollen Ziele zu erreichen, umfasst der theoretische Unterricht im Fach Polizei- und Verwaltungsrecht im Verlauf des Studiums an der VFH insgesamt 247 Stunden: Im Grundstudium I werden die Grundlagen gelegt (76 Stunden). Diese werden im Praktikum I, wiederholt und - wie erwähnt - für die Laufbahnbewerber/innen in ersten praktischen Übungen angewandt. Im Grundstudium II werden die Inhalte ausgebaut und vertieft (76 Stunden). Im Hauptstudium kommen weitere spezielle Teile des Polizei- und Verwaltungsrechts - wie das Versammlungs- und Ausländerrecht - hinzu (H I: 38 Stunden, H II: 57 Stunden); gleichzeitig werden die Inhalte im Rahmen des Fachs Eingriffsrecht - gemeinsam mit dem Strafprozessrecht - geübt und weiter vertieft. Das vorliegende Skript kann und soll die Mitarbeit in den Lehrveranstaltungen nicht ersetzen. Manche Bereiche, die in den Lehrveranstaltungen regelmäßig sehr ausführlich abgehandelt werden, werden hier knapper gehalten; in diesen Bereichen soll das Skript lediglich der Wiederholung bzw. dem schnellen Nachschlagen dienen. Zum Teil ist das Skript aber auch ausführlicher, als der im Unterricht behandelte Stoff, da die Zeit in den Lehrveranstaltungen oft nicht ausreicht, alle Details der zu behandelnden Gebiete aufzuarbeiten. In diesen Bereichen soll das Skript der Vertiefung und dem - auch an der VFH unverzichtbaren - Eigenstudium dienen. Weiterführende Literaturhinweise erhalten Sie in den Lehrveranstaltungen. Für Kritik, Hinweise und Verbesserungsvorschläge bin ich jederzeit dankbar (Tel.: 0641/7956-30; e-mail: [email protected]). Teile des Skripts können Sie sich auch als Word-Dateien von meiner Homepage unter www.uni-giessen\~g11003 herunterladen. Die Dateien sind allerdings zur Zeit noch mit einem Passwort versehen, das Sie in den Lehrveranstaltungen erhalten. Mittelfristig soll das Skript in Form von PDF-Dateien frei zur Verfügung gestellt werden; zudem sollen hier auch die Unterrichtsmaterialien von Lehrbeauftragten angeboten werden. Dr. Michael Bäuerle

3

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Gliederung I. Geschichtliche Entwicklung des Polizei- und Verwaltungsrechts 6

1. Ausgehendes Mittelalter 6 2. Absolutismus 7

3. Aufklärung 8

4. Weimar 9

5. Nationalsozialismus 9

6. Bundesrepublik und Hessen 9

II. Schutzpflicht des Staates 10

1. Begriff und Herkunft der Schutzpflicht des Staates 10 2. Die Erfüllung der Schutzpflicht zwischen Untermaßverbot und

Verhältnismäßigkeitsprinzip 12 3. Vorbeugung (Prävention) und Ahndung (Repression) 15

a. Die präventive Wirkung der Ahndung 15

b. Unterscheidung von Vorbeugung und Ahndung 16 4. Doppelfunktionale Maßnahmen 18 5. Abgrenzung: Die Schwerpunkttheorie 19

6. Weitere Merkmale der Abgrenzung 20

III. Die Aufgabengeneralklausel 22

1. Sinn und Zweck von Zuständigkeiten 23 2. Begriff der Generalklausel 24 3. Die Regelungen des § 1 HSOG im Einzelnen 25

a. Gefahrenabwehr als gemeinsame Aufgabe der

Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden 25

b. Der Begriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung 26

c. Spezialgesetzliche Zuweisungen 27 aa) Allgemeine Verwaltungsbehörden 27

bb) Allgemeine Ordnungsbehörden 28

4

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

cc) Polizeibehörden 29 d. Nicht speziell zugewiesene Bereiche (Subsidiarität, Eilfall,

Erstbefassung) 29 e. Zusammenarbeit der Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden 33

aa) Zusammenarbeits- und Informationspflicht 33

bb) Die Justizhilfe 34

cc) Die Amtshilfe 34

dd) Die Vollzugshilfe 36

(1) Überblick über die Verwaltungsvollstreckung 36 (2) Die Vollzugshilfe im Einzelnen 37

ee) Zusammenfassung 40

f. Zusammenfassung: Die Aufgabengeneralklausel 41 IV. Gesetzmäßigkeit der Verwaltung 42

1. Das Rechtsstaatsprinzip als Ausgangspunkt 42 2. Handlungsformen der Verwaltung 43 3. Vorrang des Gesetzes 45 4. Vorbehalt des Gesetzes 45 5. Zusammenfassung 47

5

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Grundstudium I I. Geschichtliche Entwicklung des Polizei- und Verwaltungsrechts Der Begriff Polizei geht auf das griechische Wort „Politeia“ zurück; mit diesem Ausdruck wurde die Ordnung des städtischen Gemeinwesens bezeichnet. 1. Ausgehendes Mittelalter In dem Bereich, den wir heute Deutschland nennen, taucht der Begriff der Polizei im 16. Jahrhundert auf. Um diese Zeit begann eine Epoche des Umbruchs. Bis etwa um das Jahr 1500 - also bis zum Ausgang des Mittelalters - hatte es im wesentlichen selbstversorgerisches Wirtschaften der ländlichen Bevölkerung und regionale Tauschwirtschaft gegeben. Nunmehr wuchs die Bevölkerung stark, der Handel blühte auf und es entstanden städtische Lebensformen. Damit entstand ein Bedürfnis nach neuen Ordnungsformen. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff der „guten Polizey“ geprägt. Damit war aber noch keine Behörde oder Organisation gemeint, sondern es war eine Umschreibung für einen Zustand, nämlich die gute Ordnung des Gemeinwesens. In diesem Sinne wurde der Begriff auch in den ersten polizeirechtlichen Vorschriften verwendet. Das waren die Reichspolizeiordnungen aus den Jahren 1530, 1548 und 1577. Daneben entstanden zu dieser Zeit auch viele Polizeiordnungen der Landesherren und der Städte. Diese Ordnungen waren im Prinzip die gesamte Rechtordnung. Sie umfassten also alles, was rechtliche geregelt war. Zwischen privatem und öffentlichem Recht wurde nicht unterschieden. Die Ordnungen enthielten Regelungen des Wirtschaftsverkehrs, die zum Teil privatrechtliche waren (Maße und Gewichte, das Vertragswesen, Preise, Verbot des Wuchers), zum Teil öffentlich-rechtlich (Vorschriften über Lebensmittel und Zölle), es fanden sich Vorschriften über die Berufsausübung, die Religionsausübung, die Bettelei, das Verhalten und die Kleidung des Gesindes, Ehe und Konkubinat, über das Fluchen und die Gotteslästerei, über das Vormundschafts-, das Grundstücks- und das Erbrecht. Die Staatsgewalt wurde zu diesem Zeitpunkt noch umfassend von Gott abgeleitet. Der Herrscher war ein Herrscher „von Gottes Gnaden“. Man hat seine Machtbefugnisse damit gerechtfertigt, dass er unmittelbar von Gott eingesetzt worden sei. Dann kam die Reformation. Die Menschen begannen an der angeblich göttlichen Ordnung zu zweifeln. Nach Luther gab es auf einmal zwei Ordnungen, die als die wahren in Betracht kamen. Die mittelalterliche Welt geriet ins Wanken. Infolge der Glaubensspaltung kam es schließlich zu einem Krieg, der nicht weniger als dreißig Jahre dauerte und das Land in Schutt und Asche legte (wobei man sich die Kriegstechnik natürlich noch anders als heute vorstellen muss).

6

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

2. Absolutismus In der nachfolgenden Epoche musste zunächst das zerstörte Land wieder aufgebaut, Armut und Hunger beseitigt werden und Vorsorge für die künftige Sicherheit der Bürger getroffen werden. Gleichzeitig brauchte die Ausübung von Herrschaft eine neue Legitimation. Der Herrgott war nach den Glaubenskriegen weggefallen bzw. nicht mehr sonderlich plausibel. Da dachte man sich ein neues Konstrukt aus: Den Gesellschaftsvertrag. Man stellte sich den Staat so vor, dass die Menschen einen fiktiven Vertrag geschlossen haben, mit dem sie den Herrscher zur Ausübung der Herrschaft legitimieren. Die Fürsten hatten in dieser Epoche als Herrscher absolute Gewalt, das heißt es gab nichts was ihre Befugnisse gegenüber den Untertanen begrenzte. „Der Staat bin ich“ konnte ein solcher Herrscher sagen. Man hat die Menschen zwar nicht wirklich gefragt, sondern hat einfach gesagt: Jeder vernünftige Mensch würde einem solchen Gesellschaftsvertrag zustimmen. Also ist der Herrscher gerechtfertigt. Man hat sich natürlich vorgestellt, dass der Herrscher die Macht nicht willkürlich, sondern im Interesse des Gemeinwohls ausübt. Garantiert war das aber nirgends. Den Menschen war das Konzept gar nicht so schwer beizubringen. Sie hatten enorme Entbehrungen gelitten, und hielten es für sinnvoll, dass der Staat versuchte, ihnen Schutz und Sicherheit zu gewähren. Der Begriff der Polizei wurde jetzt nicht mehr nur für die gute Ordnung des Gemeinwesens benutzt, sondern hat jetzt zwei Aspekte: Einmal bezeichnete er die Hoheitsrechte des absoluten Herrschers. Er durfte kraft seiner Polizeigewalt das gesamte soziale Leben seiner Untertanen reglementieren und seine Anordnungen mit Zwangs-, insbesondere Strafgewalt durchsetzen (materieller Polizeibegriff). Polizei war die gesamte innere Verwaltung des Staates, mit Ausnahme der Finanzen, des Heers und der Auswärtigen Beziehungen und der Gerichte. Nach heutigen Kriterien umfasste die Polizei die gesamte gesetzgebende und ausführende Gewalt. In dieser Zeit begann sich aber auch ein Verwaltungsapparat herauszubilden. D.h. die Herrscher setzten Beamte ein, die ihre Zwangsgewalt ausübten. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde dieser Verwaltungsapparat dann das erste mal als Polizei bezeichnet (formeller Polizeibegriff). Polizei war verwaltungsorganisatorisch all das, was nicht Rechtsprechung war. Diese Epoche wird in den Geschichtsbüchern unter zwei Etiketten beschrieben: Einmal als eine wohlfahrtsstaatliche Epoche. Zum anderen als polizeistaatliche Epoche. An beidem ist etwas dran, es kommt nur auf die Perspektive an: Wohlfahrtsstaatlich ist die Epoche deshalb, weil sich der Staat umfassend um seine Bürger kümmerte. „Die Beförderung der allgemeinen Glückseligkeit bzw. Wohlfahrt“ war ganz offiziell Aufgabe des Staates. Tatsächlich war das natürlich nur der Vorwand, den Untertanen alles, aber auch alles vorzuschreiben: die wirtschaftliche Betätigung (Merkantilismus), das gesamte soziale Leben, bis hin zu Sitte und Moral. Das ist die polizeistaatliche Seite.

7

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

3. Aufklärung Die nachfolgende Epoche nennt man gemeinhin die Aufklärung. Ausgangspunkt waren neue staatstheoretische Auffassungen. Mann begann den Begriff individueller Freiheit zu entdecken. Damit vertrugen sich keine umfassenden Hoheitsbefugnisse eines absoluten Herrschers. Deswegen verlangte man jetzt, dass die Hoheitsgewalt sich auf das beschränken sollte, was zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung im Staate erforderlich ist. Das kam gesetzlich zum ersten mal im Allgemeinen Preußischen Landrecht (ALR) von 1794 zum Ausdruck: „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publiko oder den einzelnen Mitgliedern desselben bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey.“ hieß es dort. Man erkennt leicht die Ähnlichkeit mit dem heutigen § 1 HSOG. Praktisch setzte sich das aber noch lange nicht um. Ab Anfang des 19. Jahrhunderts wurden vor allem in Preußen wieder Polizeiordnungen in Kraft gesetzt, die die allgemeine Wohlfahrt zur Aufgabe der Polizei machten. „Alles, was polizeilich geordnet werden muss“ war jetzt wieder Aufgabe der Polizei. Infolge der französischen Revolution wurde die Monarchie jedoch mehr und mehr durch Verfassungen gebunden. Die absolute Staatsgewalt verlor immer mehr an Legitimation, der Liberalismus verlangte Freiheit der Bürger vor allem im wirtschaftlichen und kulturellen Bereich. Im wirtschaftlichen Bereich wurde die Freiheit auch nach der industriellen Revolution zunehmend gewährt. Es entstand ein eigenes bürgerliches Recht, das Vertragsfreiheit und Eigentum gewährte. Eingriffe in die Freiheit der Bürger bedurften jetzt eines Gesetzes. Erst die Rechtsprechung setzte das Ideal der Aufklärung für die polizeilichen Befugnisse jedoch richtig durch. Im sog Kreuzbergurteil erfolgte dies in markanter Form durch das Preußische OVG im Jahr 1882. Es ging in dem Verfahren um eine Polizeiverordnung, die die Höhe der Bebauung in Kreuzberg auf ein Maß beschränkte, das auf jeden Fall den Blick auf ein Siegesdenkmal freihielt. Das OVG nahm die alte Vorschrift aus dem ALR ernst und sagte: die Polizei darf Anordnungen ohne spezielle gesetzliche Ermächtigung nur erlassen, wenn Gefahren für die öffentliche Sicherheit drohen. Jetzt konnte die Polizei Eingriffe in die Rechte der Bürger im übrigen nur aufgrund gesetzlicher Ermächtigungen vornehmen. Materiell war Polizei somit die Abwehr von Gefahren in allen Bereichen. In der Folge entstanden viele entsprechende Vorschriften: Baupolizeiliche, gewerbepolizeiliche, fremdenpolizeiliche, jugendpolizeiliche, versammlungspolizeiliche u.s.w. Es ging dabei nicht mehr um die allgemeine Wohlfahrt, sondern nur noch um bereichsspezifische Gefahrenabwehr. Da diese viele Bereiche betraf, ist der Begriff des „Nachtwächterstaats“ - der für die Epoche oft benutzt wird - ein bisschen zu beschönigend.

8

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

4. Weimar In der Weimarer Zeit hielt man im wesentlichen am Polizeibegriff des 19. Jahrhunderts fest. In Preußen wurde dieser durch das Preußische Polizeiverwaltungsgesetz von 1931 in Gesetzesform gegossen. § 14 sagte: „Die Polizeibehörden haben im Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßen Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird.“ 5. Nationalsozialismus Die Nazis zerschlugen bekanntlich alle rechtsstaatlichen Ansätze zur Begrenzung der Polizeigewalt. Die Polizei wurde durch einen Führererlass von 1936 zu einem reichseinheitlichen Apparat zu totalitärer Unterdrückung. Vor allem die unter der Bezeichnung „Geheime Staatspolizei“ geführte politische Polizei pervertierte die polizeiliche Arbeit zu Terror. Im übrigen wurde die Polizei in die Organisationen Ordnungs- und Sicherheitspolizei gegliedert und war von allen rechtlichen Bindungen frei. Aufgrund von Notverordnungen durfte die Polizei „ jedes von der völkischen Ordnung und von der Führung des Reichs für wichtig gehaltene Gut mit polizeilichen Mitteln schützen.“ Der Ausgang der Geschichte dürfte bekannt sein. Nach der Kapitulation des Reiches gab es zunächst alliierte Übergangsvorschriften. 6. Bundesrepublik und Hessen Um die Gefahren einer zentralen Polizeigewalt, die man nun kennen gelernt hatte, zu vermeiden machte das GG die Polizei zu einer Sache der Länder. Lediglich der Grenzschutz hat gewisse bundespolizeiliche Aufgaben. In Hessen trat schon 1950 das UZwG in kraft, das die Beamten mit zweiter Fachprüfung unter Ihnen vielleicht noch kennen. 1954 entstand das erste Hessische Polizeigesetz, das noch durch das Preußische Polizeiverwaltungsgesetz ergänzt wurde. 1964 trat das alte HSOG in kraft, das eine Trennung von Polizei und Verwaltung einführte. Die Polizei war nur noch zuständig für die unaufschiebbare Beseitigung von Störungen oder die Abwehr unaufschiebbare von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Das sind heute noch die zentralen Begriffe des HSOG. Alle weiteren Aufgaben der Gefahrenabwehr gingen auf Gemeinden und Landkreise über, denen die Polizei Vollzugshilfe zu leisten hat. Formell wurde die Polizei in Schutz-, Kriminal-, Bereitschafts- und Wasserschutzpolizei gegliedert. Seit 1990 haben wir es mit einem neuen HSOG zu tun, das im Jahr 2000 noch einmal deutliche reformiert wurde. Dieses Gesetz werden wir genauestens kennen lernen! Zunächst aber wollen wir uns mit der Schutzpflicht des Staates beschäftigen, die diesem und anderen polizeirelevanten Gesetzen zugrunde liegt.

9

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

II. Schutzpflicht des Staates Die Schutzpflicht des Staates ist eine weites Feld. Wir befassen uns nur mit einem Ausschnitt, nämlich dem, der das polizeiliche und ordnungsbehördliche Handeln betrifft. Es sind zwei große Bereiche, in die sich das Handeln der Polizei einteilen lässt: Vorbeugung und Ahndung. Das sind die zwei großen Zwecke, von denen einer hinter jedem polizeilichen Handeln steht bzw. stehen sollte. Wird die Polizei zum Zweck der Strafverfolgung tätig, nennt man das Ahndung oder auch repressives Handeln. Wird sie zum Zweck der Vorbeugung, also der Abwehr von Gefahren tätig, heißt das präventives Handeln. 1. Begriff und Herkunft der Schutzpflicht des Staates In beiden Handlungsformen der Polizei konkretisiert sich die Schutzpflicht des Staates. Ursprünglich stammt der Begriff der staatlichen Schutzpflicht aus dem Verfassungsrecht. Er lässt sich am besten verstehen, wenn man sich zunächst die historischen Grundlagen vor Augen führt: Bevor es den verfassten Staat gab, bis zum Ende des Mittelalters und darüber hinaus, war es nicht ausgeschlossen und auch nicht unbedingt strafbar, dass der einzelne seine Ansprüche mit privater Gewalt durchsetzte bzw. sich gegen Übergriffe Dritter mit privater Gewalt wehrte oder dafür rächte (sog. Faustrecht). Dies wurde zwar ab dem Mittelalter mehr und mehr rechtlich begrenzt. Nicht mehr jede private Gewalt oder Lynchjustiz war zulässig. Aber erst mit der Aufklärung setzte sich das durch, was wir heute mit dem Gewaltmonopol des Staates beschreiben: Der Staat verbietet dem Bürger grundsätzlich, sich selbst zu helfen oder zu wehren. Er konzentriert die Ausübung von Gewalt bei den staatlichen Organen. Wenn der Bürger etwa die Strafverfolgung oder die Durchsetzung eines privatrechtlichen Anspruchs selbst in die Hand nimmt, macht er sich regelmäßig strafbar (vgl. zu den Ausnahmen noch unten). Der einzelne wird also durch das staatliche Gewaltmonopol gleichsam hilflos. Deswegen muss der Staat - der das Recht zur privaten Gewalt weggenommen hat - dafür sorgen, dass der einzelne nicht anderen in diesem Sinne hilflos ausgeliefert bleibt. Das war im wesentlichen schon im 19. Jahrhundert anerkannt. Der „Nachtwächterstaat“ sah es auch schon als seine Aufgabe an, Bürger vor den Übergriffen andere Bürger zu schützen. Unter dem Grundgesetz hat dieser Schutz noch einmal eine andere Dimension bekommen, und zwar durch die Grundrechte, die einen solchen Schutz verlangen. Das ergibt sich allerdings nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Grundrechte und ihrer Geschichte. Man muss dazu ein wenig ausholen: Die ursprüngliche Funktion der Grundrechte war es, die Bürger vor Übergriffen durch den Staat zu schützen. Freiheitsgefahren sah man in erster Linie vom Staat ausgehen. Deswegen wurden die Grundrecht als Abwehrrechte gegen den Staat konzipiert und begriffen. Der Staat sollte also so wenig wie möglich in die Rechte der Bürger intervenieren. Deswegen gilt bei Eingriffen stets der Vorbehalt des Gesetzes und das

10

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Verhältnismäßigkeitsprinzip. Der Staat darf nicht zu weit eingreifen, er muss die zulässigen Eingriffe durch die Gesetze definieren und sich dabei auf das Notwendige beschränken. Diese klassische Funktion bedeutet: die Grundrecht schützen nur gegen staatliches Handeln, nicht aber gegen Bedrohungen, die von Dritten ausgehen, also von anderen Bürgern. Der Staat kann diese klassische Abwehrfunktion der Grundrechte erfüllen, indem er einfach nichts tut. Dies war der Stand der herrschenden Grundrechtstheorie bei Inkrafttreten des Grundgesetzes im Jahr 1949. Das Grundgesetz erklärte nun die Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG für unantastbar und ihren Schutz (!) zur Aufgabe aller staatlichen Gewalt. Außerdem macht es sich den Schutz des Lebens in Art. 2 Abs. 2 GG zur Aufgabe. Was bedeutet dies konkret für das Verhältnis der Bürger untereinander? Das Bundesverfassungsgericht hat in Anknüpfung an diese Grundrechte im Laufe seiner Rechtsprechung die alte Sicht der Grundrecht erweitert, der Abwehrfunktion also eine weitere hinzugefügt. Nach dieser neueren Rechtsprechung hat sich der Staat nicht nur aus den Verhältnissen der Bürger untereinander heraus zu halten. Die Abwehrfunktion der Grundrechte gilt zwar nach wie vor, es kommt aber eine neue hinzu: Der Staat muss unter bestimmten Voraussetzungen auch aktiv schützend tätig werden, nämlich dann wenn der Bürger zur Durchsetzung seiner Grundrechte auf den Staat angewiesen ist. In diesen Fällen kann der Staat sich nicht darauf beschränken, sich aus den Verhältnissen der Bürger heraus zu halten. Er muss etwas tun. Einer der ersten Beispielsfälle aus der Rechtsprechung war die erste Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch. Dieser stand seit jeher in Deutschland unter Strafe. Der Gesetzgeber entschied sich in den siebziger Jahren dann für die sog. Fristenlösung, erklärte den Schwangerschaftsabbruch also für strafffrei, wenn er innerhalb einer bestimmten Frist nach der Empfängnis erfolgte. Dagegen wurde vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Die Grundaussage des Bundesverfassungsgerichts in dem dazu ergangenen Urteil lautet: Der Staat hat eine Pflicht, das Leben des Ungeborenen gegen Eingriffe privater Dritter (Arzt und Mutter) zu schützen. Daher kommt der Begriff der Schutzpflicht des Staates aus den Grundrechten. Das Bundesverfassungsgericht sagt in diesem und in weiteren Urteilen allerdings auch, dass der Staat bei der Wahrnehmung dieser Schutzpflicht einen weiten Spielraum hat. Er legt also selbst die Mittel fest, mit denen geschützt werden soll, er entscheidet, wie intensiv der Schutz ist, und auch ob er nun durch das Strafrecht erfolgt oder nicht. Also grundsätzlich weiter Spielraum des Gesetzgebers. bei der Ausgestaltung. Die Schutzpflicht wird allerdings umso intensiver, je höherwertiger das bedrohte Rechtsgut ist. Beim Schutz des Lebens und der Menschenwürde hat der Staat also am wenigsten Spielraum. Si muss er zum Beispiel dafür sorgen, dass jedem zumindest das Existenzminimum gewährt wird.

11

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

2. Die Erfüllung der Schutzpflicht zwischen Untermaßverbot und Verhältnis-

mäßigkeitsprinzip Selbst beim Recht auf Leben bleibt dem Staat aber noch ein gewisser Spielraum, wie das Bundesverfassungsgericht im sog. Schleyerfall festgestellt hat.

Der damalige Arbeitgeberpräsident Schleyer war von Terroristen entführt worden und drohte, ermordet zu werden (was später auch leider geschah), wenn der Staat die Forderungen der Terroristen nicht erfüllte.

Der Sohn Schleyers Sohn versuchte vor dem Bundesverfassungsgericht - unter Berufung auf die staatliche Schutzpflicht für seinen Vater - den Staat auf Erfüllung der Forderungen zu verklagen. Dies wies das Bundesverfassungsgericht - sicherlich schweren Herzens - im Ergebnis ab, und zwar mit folgender Argumentation: Es bestehe zwar in der Tat eine Schutzpflicht für den Entführten, die aber Raum für Entscheidung über das „Wie“ der Erfüllung lasse. Grundsätzlich gelte zwar: Der Staat darf nicht nichts tun. Der Gesetzgeber müsse also Gesetze machen, die die Grundrechte vor Übergriffen Dritter schützten (das hatte er durch die StPO, die Landespolizeigesetze, das BKA-Gesetz etc. getan) und die Exekutive, bis hin zum einzelnen Beamten, müsse diese Gesetze auch mit dem Ziel des Grundrechtsschutzes umsetzen. Der Staat muss dabei zumindest so viel tun, dass von einem effektiven Schutz gesprochen werden kann. Deswegen sagt man auch: Es gilt das Untermaßverbot. Das heißt, es darf nicht zu wenig geschehen. Das betroffene Grundrecht muss im Ergebnis möglichst weitgehend gewahrt werden. Eine Verletzung des Untermaßverbots liegt also dann vor, wenn der Staat entweder gar nichts tut oder wenn die Maßnahmen des Staates offensichtlich völlig unzureichend sind. Dies war im Fall Schleyer nicht gegeben: Der Sicherheitsapparat lief auf Hochtouren. Man versuchte in Anwendung der einschlägigen Gesetze alles, um den Entführten zu retten - bis auf eines: Die Forderungen der Entführer zu erfüllen. Das jedoch war eine Entscheidung, die innerhalb des staatlichen Spielraums beim „Wie“ der Erfüllung der Schutzpflicht lag, zumal eine andere Entscheidung den Staat erpressbar gemacht und zukünftig die Grundrechte weiterer Bürger gefährdet hätte. Das Untermaßverbot wird auf der anderen Seite durch einen ebenfalls verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz beschränkt: Das aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Verhältnismäßigkeitsprinzip. Man stelle sich vor, der Staat würde sich entschließen, die rechtstreuen Bürger besonders intensiv vor Straftätern zu schützen, indem er alle Verurteilten in Verliesen in Ketten legt. Es liegt auf der Hand, dass dieser Schutz zwar sehr effektiv wäre, die Grundrechte der Straftäter aber sehr - zu sehr - einschränken würde, mit anderen Worten, unverhältnismäßig wäre.

12

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Das Untermaßverbot findet somit sein Gegenstück im Verhältnismäßigkeitsprinzip. Und es hängt zugleich mit diesem untrennbar zusammen: Wenn der Staat den einen Bürger vor dem anderen oder vor Armut und Hunger effektiv schützt, greift er zwangsläufig in die Grundrechte des oder der anderen Bürger(s) ein, indem er etwa - Strafverfahren durchführt, die die Freiheit oder das Vermögen der Beschuldigten betreffen, - Bürger überwacht oder deren Wohnungen durchsucht - Daten von Bürgern sammelt oder - Sozialhilfe gewährt, die andere aus ihren Steuern finanzieren müssen. Die Erfüllung der Schutzpflicht verlangt also ein ständiges staatliches Abwägen zwischen den gegenläufigen Grundrechtspositionen, für die das Untermaßverbot auf der einen Seite und das Verhältnismäßigkeitsprinzip auf der anderen Seite den verfassungsrechtlichen Rahmen bilden. Je nachdem, wo man den Schwerpunkt legt, kann man dies in den Schlagworten „Keine Freiheit ohne Sicherheit“ bzw. „keine Sicherheit ohne Freiheit“ zum Ausdruck bringen. Wir werden vor diesem Hintergrund feststellen, dass Sie im Bereich des Polizeirechts fast immer Ermessen haben. Das heißt Sie können selbst entscheiden, ob sie einschreiten oder nicht. Der Spielraum wird allerdings immer geringer, je höherwertiger das bedrohte Rechtsgut ist, zu dessen Gunsten ein Einschreiten in Erwägung gezogen wird. Handelt es sich um höchstrangige Rechtsgüter - Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit - bleibt von dem Spielraum regelmäßig nichts mehr übrig. Hier erreicht die staatliche Schutzpflicht ihre höchste Intensität: Sie müssen einschreiten. Spielraum bleibt aber häufig bei der Frage, wie Sie konkret einschreiten. Die staatliche Schutzpflicht lässt sich also schematisch wie folgt darstellen: Skala möglichen staatlichen Handelns maximale Erfüllung maximale Wahrung der Schutzpflicht von Freiheit durch durch Eingriff Nichteingriff staatlicher Untermaßverbot ← Spielraum → Verhältnismäßigkeit

13

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Der erforderliche Abwägungsprozess zwischen Freiheit und Schutz spiegelt sich - wie es sich in der Demokratie gehört - in der politischen Debatte um die Kriminalität wider, etwa in den Vorschlägen zur Erweiterung möglicher „Lausch- und Spähangriffe“ oder Gentests, der Verlängerung präventiver Freiheitsentziehungen oder der Verschärfung von Strafen und den jeweils dagegen vorgebrachten Einwänden.1 Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die Schutzpflicht des Staates → ist eine Folge des staatlichen Gewaltmonopols (Ausschluss des Faustrechts), → ist umso intensiver, je höherwertiger das zu schützende Rechtsgut ist; → es besteht grundsätzlich ein weiter Spielraum des Staates, bei der Wahl der Mittel

und → es gilt das Untermaßverbot, das seinerseits durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip

begrenzt wird. Allerdings haben wir - auch in Zeiten der staatlichen Schutzpflicht - ein bisschen von dem alten Faustrecht noch heute: Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und das Strafgesetzbuch (StGB) kennen einige Selbsthilfe-, Notwehr- und Nothilferechte als unvermeidliche Überbleibsel, die Sie im Strafrecht und im Polizeirecht im Hauptstudium I ausführlich kennen lernen werden. Die Erfüllung der Schutzpflicht des Staates erfolgt nicht nur, aber zu wesentlichen Teilen durch die Polizei. Wie eingangs festgestellt, konkretisiert sich dies durch die Handlungsformen der Vorbeugung und der Ahndung. Darauf soll im folgenden Abschnitt nun näher eingegangen werden.

1 Ein neueres Beispiel für die Schutzpflichtenrechtsprechung war ein Streit vor dem Bundesverfassungsgericht um den Alkoholgrenzwert im Straßenverkehr. Es hatten Bürger mit der Behauptung geklagt, der Staat verletze seine Schutzpflicht, wenn er die maximal zulässige Alkoholkonzentration nicht auf 0,5 Promille absenke. Das Bundesverfassungsgericht hat dies - Im Hinblick auf den Spielraum des Staates abgelehnt. Der Gesetzgeber hat die 0,5 Promille-Grenze dann trotzdem eingeführt.

14

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

3. Vorbeugung (Prävention) und Ahndung (Repression) Vorbeugung und Ahndung setzen als polizeiliche Handlungsformen regelmäßig zu unterschiedlichen Zeitpunkten an und verfolgen verschiedene Zwecke: Bei der Vorbeugung versuchen wir im Vorhinein zu verhindern, dass „das Kind in den Brunnen fällt“, dass also eine Straftat begangen oder ein Rechtsgut auf sonstige Weise geschädigt wird. Die Vorbeugung ist daher die zeitlich frühere und zugleich unmittelbarste Form der Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht. Bei der Ahndung (Strafverfolgung) ist dagegen „das Kind schon in den Brunnen gefallen“, die Tat wurde begangen. Das Strafrecht kommt - wenn es nicht von der Tat abgeschreckt hat - immer zu spät für das Opfer. Deswegen kann sich der Staat nicht auf das Strafen beschränken. Er muss daneben präventive Gefahrenabwehr betreiben. Da hier im Vorhinein Schädigungen des Bürgers verhindert werden sollen haben wir hier oft erleichterte Eingriffsvoraussetzungen (einen Täter einzufangen ist eben nicht so wichtig, wie das Opfer zu retten). Im Strafprozess wird Polizei und Gerichte werden also nur noch nachträglich zur Abschreckung tätig, u.a. um das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung zu befriedigen. Man fasst das zusammen mit dem Begriff des Strafanspruchs des Staates. Dessen Durchsetzung ist allerdings ebenfalls eine wichtige Aufgabe. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Entscheidungen betont, dass der Strafanspruch des Staates ein verfassungsrechtliche legitimiertes Ziel ist. Die Verfassung setzt diesen Anspruch voraus. Zugleich ist die Ahndung auch ein wichtiger Teil der Schutzpflicht des Staates. Sie soll ja zugleich den Täter zukünftig zu einem straffreien Leben anzuhalten und andere von der Begehung von Straftaten abhalten. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb im Abtreibungsurteil gesagt, dass es im Einzelfall durch die staatliche Schutzpflicht geboten sein könne, gerade durch das Strafrecht zu reagieren. Abtreibung müsse deshalb grundsätzlich unter Strafe gestellt werden (später hat das Gericht diese Aussage relativiert). Diese Rechtsprechung hat zu heftigen Diskussionen in der Rechtswissenschaft geführt. Für sie spricht die ansonsten geringe Möglichkeit zum Schutz Ungeborener (diese können sich nicht selbst wehren); dagegen spricht die geringe Effektivität des Strafrechts (die Dunkelziffer ist im Bereich der Abtreibung enorm hoch). a) Die präventive Wirkung der Ahndung Wie auch immer man diese Frage bewertet: Fest steht dass das Strafrecht in einem engen Zusammenhang mit den staatlichen Schutzpflichten steht. Staatliches Strafen soll die Rechtsgüter anderer Bürger schützen - und das ist auch gut so. Es wäre also unter dem Gesichtspunkt der Schutzpflicht sicher verfassungswidrig, die Strafbarkeit von Tötungen und Körperverletzungen aufzuheben.

15

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Soll dies funktionieren - auch das sagt das Bundesverfassungsgericht -, darf Strafen aber nicht Rache bedeuten. Einen solchen Zweck kennt das Grundgesetz nicht. Die Neigung der Menschen zur Rache ist zwar sehr verständlich, war aber gerade einer der Gründe für das Gewaltmonopol. Man wollte es dem Bürger aus der Hand nehmen, den Dieb am nächsten Baum aufzuhängen, weil mit der rechtlichen Zulassung solcher überschießender emotionaler Reaktionen ein friedliches Zusammenleben nicht lange möglich wäre. Ein solches Zusammenleben kann nur gewährleistet werden, wenn begangenes Unrecht zwar gesühnt wird, das aber in einem organisierten Verfahren, das übertriebene Reaktionen auf abweichendes Verhalten ausschließt. Betrachtet man das Strafen vor dem Hintergrund der staatlichen Schutzpflichten hat es primär einen anderen Zweck als Rache. Es dient nämlich - obwohl wir den Begriff gerade nicht für das Strafrecht, sondern für das Polizeirecht benutzen werden - vor allem der Prävention. Es soll zukünftige Übergriffe des Straftäters verhindern (sog. Spezialprävention) und zugleich Straftaten anderer (sog. Generalprävention). Die Strafe und Strafandrohung soll also dem Täter in Zukunft ein Leben ohne Straftaten ermöglichen und andere von vorneherein von der Begehung von Straftaten abschrecken. Mit Prävention lassen sich in weiten Teilen auch die Zwecke des Strafvollzugs erklären. Resozialisierung ist eines der Hauptziele des Strafvollzugs; erst wenn diese nicht erreicht werden kann, kommt die sog. Sicherungsverwahrung in Betracht. Wie gesagt, auch Abschreckung potentieller anderer Täter gehört zu den Strafzwecken, nicht aber die blanke Rache. Das alles sind also präventive Ziele. Zusammenfassend lässt sich sagen: auch wenn Sie repressiv tätig werden, betreiben Sie - unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Schutzpflichten - zugleich Prävention. Wir halten trotzdem an dem gängigen Sprachgebrauch fest, wonach zwischen Repression (Strafrecht und Strafverfahren) und Prävention (die meisten sonstigen polizeilichen Handlungen) zu unterscheiden ist. Im Folgenden geht es um die Notwendigkeit dieser Unterscheidung und um ihre Merkmale. b) Unterscheidung von Vorbeugung (Prävention) und Ahndung (Repression) Warum müssen wir die rechtliche Abgrenzung zwischen Repression und Prävention in der Praxis kennen? Die wichtigsten Gründe sind: → Es finden unterschiedliche Gesetze mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Grenzen für das jeweilige Handeln Anwendung: Werden Sie präventiv tätig, finden das Hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) und/oder andere speziellere Vorschriften wie das Versammlungsgesetz (VersG) oder das Ausländergesetz (AuslG) Anwendung. Werden Sie repressiv tätig, finden Sie die Voraussetzungen und Grenzen für Maßnahmen vor allem in der Strafprozessordnung (StPO). Sie finden zwar in beiden Gesetzen ganz ähnliche Maßnahmen, Maßnahmen jedenfalls, die von außen genau gleich aussehen, etwa - die Sicherstellung und Beschlagnahme,

16

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

- die Durchsuchung von Personen und Räumen, - die Befragung und Vernehmung, - die Identitätsfeststellung und - die Festnahme und Ingewahrsamnahme. Die Voraussetzungen für die Maßnahmen sind gleichwohl unterschiedlich, juristisch ausgedrückt: Es liegen unterschiedliche Eingriffsschwellen vor. Ungeachtet der Unterschiede im einzelnen muss für ein präventives Handeln in aller Regel eine → Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gegeben sein, während für ein repressives Handeln → der Verdacht einer Straftat bestehen muss. Auch dürfen zum Beispiel im repressiven Bereich bestimmte Polizeibeamte (solche, die noch nicht sog. Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft sind) bestimmte Maßnahmen nicht anordnen; im präventiven Bereich aber dürfen sie eine solche Maßnahme anordnen. Diese Unterschiede sind der erste Grund, warum man die Unterscheidung von Repression und Prävention kennen muss. Dieser Grund ist vor allem aus Sicht des Polizeibeamten wichtig ist. Gleiches gilt - das ist der zweite Grund - für das Verfahren, das Sie einzuhalten haben und die Handlungsform, die sie anwenden: → Es sind unterschiedliche Handlungsformen und Verfahren vorgesehen: Das Gesetz nennt das Handeln im Bereich der Verfolgung von Straftaten - also die strafprozessualen Akte - Justizverwaltungsakte. Das ist in § 23 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz (EEGVG) so geregelt. Im präventiven Bereich erlassen Sie dagegen Verwaltungsakte, dies ist in § 35 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HVwVfG) vorgesehen. Dort sind auch bestimmte Form und Verfahrensregeln niedergelegt, die sich von denen im repressiven Bereich unterscheiden. Der dritte Grund, warum man Repression und Prävention sollte unterscheiden können, ist vor allem für den Bürger, der von einer polizeilichen Maßnahme betroffen ist, von Bedeutung: → Es sind unterschiedliche Rechtswege gegeben: Wenn Sie Maßnahmen nach der StPO treffen, handeln Sie praktisch als Justizbehörde. Sie führen zwar ein Gesetz aus, gehören aber unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung nicht zur ausführenden Gewalt (Exekutive), sondern arbeiten für die rechtsprechende Gewalt (Judikative). Sie bereiten ja einen Prozess vor, den die Justiz einem Bürger macht. Da sie hier also in den Bereich gehören, zu dem auch der Strafrichter und der Staatsanwalt gehören, muss der Bürger gegen solche Maßnahmen von Polizisten - wenn er damit nicht einverstanden ist - vor den Gerichten Klage erheben, vor denen er auch gegen Akte eines Staatsanwalts oder Strafrichters klagen müsste. Juristisch gesprochen: Er muss den

17

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Rechtsweg vor die ordentlichen Gerichte einschlagen. Das sind die Amts-, Land- und Oberlandesgerichte (AG’s, LG’s, OLG’s); innerhalb dieser sind für Justizverwaltungsakte regelmäßig die OLG’s zuständig. Wenn Sie präventiv tätig werden sind Sie dagegen Teil der Exekutive. Die Polizei gehört zur inneren Verwaltung wie sonstige Ordnungs- und Verwaltungsbehörden. Die Polizei ist also eine Art Zwitter: Sie ist nicht nur Teil der Justiz, sondern auch Behörde, weil sie mit (präventiven) Verwaltungsaufgaben betraut ist. Insoweit führen Sie einfach Gesetze aus - das HSOG und spezielle verwaltungsrechtliche Vorschriften. Und gegen Ihr Handeln ist ein spezieller Rechtsweg, der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Das heißt, gegen eine Maßnahme nach dem HSOG kann/muss der Bürger vor dem Verwaltungsgericht (VG) klagen, das zumeist eine Kammer hat, die sich schwerpunktmäßig mit dem präventiven Polizeirecht beschäftigt. Die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Prävention und Repression wirft die Frage auf, wie die beiden Bereiche in der Praxis (und in der Klausur) voneinander abgegrenzt werden können. 4. Abgrenzung von Vorbeugung (Prävention) und Ahndung (Repression) Das Problem der Abgrenzung zwischen Repression und Prävention haben nur Sie als Polizei. Nur die Polizei wird in beiden Bereichen tätig.

Behörden wie die Ordnungs- und allgemeinen Verwaltungsbehörden gehören ausschließlich zur Exekutive. Die Staatsanwaltschaften und Gerichte gehören ausschließlich zur Judikative.

Im Organisatorischen wird die Doppelfunktion der Polizei in der Unterscheidung zwischen Schutz- und Kriminalpolizei erkennbar. Diese Unterscheidung gibt aber die Trennung aber auch nicht vollständig wieder, da die Schutzpolizei ja auch Straftaten verfolgt und die Kriminalpolizei auch präventiv tätig werden kann (vgl. die PolOrgVO). Es gibt grundsätzlich zwei Fallgruppen, in denen die Unterscheidung zwischen Repression und Prävention bedeutsam werden kann: → Situationen, die von dem/den handelnde(n) Beamte(n) unterschiedliche

repressive und präventive Maßnahmen verlangen, aus Kapazitäts- oder Zeitgründen aber nur eines von beiden zulassen. Beispiel: Das Opfer eines Raubüberfalls liegt blutend am Boden, während der unbewaffnete Täter zu Fuß flüchtet. Der einzige vor Ort befindliche Beamte muss sich entscheiden: Hilfeleistung für das Opfer oder Verfolgung des Täters.

→ Situationen, die von dem/den handelnde(n) Beamte(n) eine oder mehrere

Maßnahme verlangen, die jeweils sowohl präventiv als auch repressiv begründet werden können.

18

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Beispiel: Ein bewaffneter Bankräuber flüchtet. Die Festnahme kann sowohl zum Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten wie Geiselnahmen - präventiv - als auch zur Strafverfolgung - repressiv - erfolgen.

Die erste Fallgruppe ist rechtliche unproblematischer: Der handelnde Beamte kann sachlogisch nur eine von beiden Maßnahmen ergreifen. Folglich muss eine Entscheidung getroffen werden. Die Kriterien für die Entscheidung sind durch die Grundsätze der staatlichen Schutzpflicht vorgegeben: Es hat eine Abwägung der betroffenen Schutzgüter anhand der Frage zu erfolgen, ob im konkreten Fall der Schutz der bedrohten Rechtsgüter oder die Durchsetzung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs schwerer wiegt.

Ob im oben genannten Beispiel die Strafverfolgung als wichtiger angesehen werden kann, hängt also etwa davon ab, wie schwer das Opfer verletzt ist, inwieweit es Hilfe durch andere erhält und ob die Festnahme des Täters voraussichtlich auch ohne unmittelbare Verfolgung gelingen kann.

Die zweite Fallgruppe wirft immer wieder rechtliche Abgrenzungsschwierigkeiten auf. Kann eine Maßnahmen beiden Zwecken dienen - was in der Praxis häufig vorkommt - nennt man sie eine doppelfunktionale Maßnahme; mit ihr sowohl der Funktion der Vorbeugung als auch der Funktion der Ahndung Rechung getragen werden. 5. Doppelfunktionale Maßnahmen - Schwerpunkttheorie Für die rechtliche Einordnung doppelfunktionaler Maßnahme gilt zunächst der Grundsatz der Alternativität: Eine Maßnahme ist entweder präventiv oder repressiv. Beides zusammen kann sie nicht sein. Das würde ja eine gesetzliche Zuordnung unmöglich machen und der Bürger würde den Rechtsweg nicht ermitteln können. Deswegen ist eine Maßnahme auch grundsätzlich nach dem Recht zu Ende zu führen, nach dem sie begonnen wurde. Die Voraussetzungen der jeweiligen Rechtsnorm sind ja zumeist verschiedene. Und die handelnden Beamten müssen wissen, welche gerade gelten.

Beispiel: § 163 a StPO einerseits (Vernehmung von Beschuldigten und Zeugen), § 12 HSOG anderseits (Befragung von Störern und anderen Personen). Äußerlich kann man die Vorgänge oft nicht voneinander unterscheiden, das Gesetz enthält aber ganz unterschiedlichen Wertungen: das HSOG durchbricht die in der StPO uneingeschränkt geltenden Zeugnisverweigerungsrechte, ordnet aber zugleich ein Beweisverwertungsverbot an.

Daraus folgt der zweite Grundsatz: Kein Wechsel des Standbeins. Ein und dieselbe Maßnahme kann nur nach der einen oder der anderen Rechtsgrundlage zu Ende geführt werden. Das spricht nicht dagegen, etwa - bei Änderung der Lage - eine repressive Maßnahme abzubrechen, um eine neue präventive zu beginnen. Die neue Maßnahme ist dann aber wieder nur anhand der präventiven Tatbestandsvoraussetzungen vorzunehmen.

19

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Wenn eine Maßnahme nach beiden Rechtslagen zulässig wäre, hat die Polizei - da sie ja beide Funktionen wahrzunehmen hat - grundsätzlich ein Wahlrecht. Die Beamten können sich also aussuchen, nach welchem Recht Sie die Maßnahme ergreifen, müssen sich aber entscheiden (in der Klausur erfolgt dies dann immer nachträglich). Wenn man äußerlich nicht unterscheiden kann, ob eine repressive oder präventive Maßnahme vorliegt, kommt es darauf an, worauf sich die Maßnahme nach der erkennbaren Zielrichtung der handelnden Beamten stützen läßt. Es gilt die sog. Schwerpunkttheorie: Die entscheidende Frage ist also, auf welcher Seite der Schwerpunkt des polizeilichen Handelns lag.

Wir schauen uns also die Funktion der Maßnahme an (Was sollte sie erreichen?) Sodann ist „mit gesundem Menschenverstand zu peilen“.

Oft ist es sinnvoll nach der zeitlichen Perspektive zu unterscheiden. Die Strafverfolgung ist oft nur das Fernziel, während die konkrete Handlung zunächst einmal als Nahziel der Gefahrenabwehr dient. Dann ist die Maßnahme ihrer Funktion nach präventiv. Das Fernziel lassen wir außer Betracht. Man nennt das auch die funktionelle Betrachtungsweise, weil nach der Funktion der Maßnahme gefragt wird. In der Praxis der Gerichte wird oft so verfahren, dass die Maßnahme nach dem Bereich geprüft wird, den der handelnde Beamte angibt (Rechtsgrundlage). Ist eine Maßnahme nur nach einem von beiden Rechtsbereichen zulässig, ist im Zweifel der Bereich zu wählen, nach dem sie rechtmäßig wäre. In aller Regel ist der zu beurteilende Sachverhalt einheitlich zu betrachten. 6. Weitere Merkmale der Abgrenzung von Vorbeugung (Prävention) und

Ahndung (Repression) Eine weiterer wichtiger Unterschied zwischen präventivem und repressivem Handeln ergibt sich bei der Entscheidung über das „Ob des Einschreitens“.

Vgl. dazu einerseits die Vorschrift des § 163 Abs. 1 StPO, andererseits die Regelung des § 5 Abs. 1 HSOG.

Daraus ergibt sich: - Im Strafprozessrecht gilt das Legalitätsprinzip. D.h. die Polizei hat von Amts wegen die Pflicht, Straftaten zu erforschen. Wenn Sie Anhaltspunkte haben, dass eine Straftat begangen wurde, müssen Sie tätig werden. Es bleibt Ihnen kein Spielraum über das „Ob“ (wohl aber über das „Wie“) des Einschreitens. - Im Gefahrenabwehrrecht gilt dagegen das Opportunitätsprinzip. D.h. Sie haben eine sog. Entschließungsermessen. Sie können und müssen also selbst entscheiden, ob Sie tätig werden oder nicht. Bei „unwichtigen“ Sachen können Sie auch zu dem Ergebnis kommen,

20

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

dass nicht eingeschritten wird. Allerdings ist die Schutzpflicht zu beachten: Handelt es sich um hochwertige Rechtsgüter, die zu schützen sind, ist das Ermessen auf null reduziert. Diese Unterteilung ist durchaus sinnvoll. Das Strafprozessrecht viel mit Gerechtigkeit zu tun. Insbesondere der Gleichbehandlungsgrundsatz lässt es unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten ausgeschlossen erscheinen, nur nach Ermessen Strafverfolgung zu betreiben. Bei der Vorbeugung kann umgekehrt durchaus nach Gewicht der Sache differenziert werden. Erwähnt sei schon an dieser Stelle ein weiterer Punkt: Innerhalb der Eingriffsermächtigungen der StPO gibt es - anders als im HSOG - eine wichtige Unterscheidung zwischen den Polizeibeamten. Es dürfen nämlich nicht alle Beamte alles. Es muss vielmehr unterschieden werden zwischen - Hilfsorganen der Staatsanwaltschaft und - Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft, geregelt in § 163 Abs. 2 StPO i.V.m. § 152 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. HilfsbeamtenVO v. 8.12.1987. Hilfsbeamte haben alle Befugnisse, die Hilfsorgane nur einige. Hilfsbeamte sind Polizei

Vorbeugung (Prävention)

Ahndung (Repression)

- Ermächtigungsgrundlagen in öffentlich-rechtlichen Spezial- vorschriften und im HSOG

- Ermächtigungsgrundlagen in der StPO

- es gilt das Opportunitätsprinzip (ausnahmsweise: Ermessens- reduzierung auf null).

- es gilt das Legalitätsprinzip

- es werden Verwaltungsakte nach dem HVwVfG erlassen.

- es werden Justizverwaltungsakte er-lassen, § 23 EGGVG

- es ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet

- es ist der Rechtsweg zu den ordent-lichen Gerichten eröffnet

→ Abgrenzung: Schwerpunkttheorie (funktionelle Betrachtung). Wichtig: Auch in der Polizei- und Verwaltungsrechtsklausur können repressive Maßnahmen zu prüfen sein. Die Verbindungsnorm zwischen Repression und Prävention ist § 3 Abs. 2 HSOG: Der Zwang zur Durchsetzung repressiver Maßnahmen ist in der StPO nicht geregelt. Deswegen findet bezüglich der Art und Weise des Zwangs das HSOG Anwendung.

21

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

III. Die Aufgabengeneralklausel Die zentralen Aufgaben der Polizei sind somit Strafverfolgung und Gefahrenabwehr. Wenn insoweit von Aufgaben gesprochen wird, bedeutet das nichts anderes, als Zuständigkeit. Die Polizei hat also die Zuständigkeit für Gefahrenabwehr und Ahndung. Früher galt der Grundsatz: Wenn die Polizei eine Aufgabe hat, hat sie auch gleich die Befugnis, diese Aufgabe zu erfüllen. Sie kann also alle die Maßnahmen ergreifen, die zur Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Man hat also von der Aufgabe auf die Befugnis geschlossen. Dies ist aus verfassungsrechtlicher Sicht problematisch: Das Rechtsstaatsprinzip, insbesondere die Grundsätze des - Vorrangs des Gesetzes und des - Vorbehalts des Gesetzes führen zum Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigung für jeden Eingriff. Allein daraus, dass der Polizei eine bestimmte Aufgabe gesetzlich zugewiesen ist, kann über die Befugnisse zu ihrer Erfüllung nichts gesagt werden. Die Norm sagt ja nichts darüber, ob Häuser durchsucht, Menschen festgenommen und Sachen sichergestellt werden dürfen. Es gilt deshalb heute der Grundsatz der → Trennung von Aufgabe und Befugnis. Dementsprechend unterscheiden wir zwischen Aufgaben- und Befugnisnormen. Beide Arten von Normen gibt es in speziellen Gesetzen und im HSOG. Die zentralen Aufgabennormen im HSOG sind die §§ 1, 2 HSOG. Die Befugnisnormen finden sich in §§ 11- 43 HSOG, wobei § 11 die Generalklausel ist und die §§ 12 ff. die Spezialnormen sind. Im folgenden soll es um die Aufgabennormen des HSOG gehen, also darum, Zuständigkeiten die Polizei genau hat. Danach erst sollen uns die Befugnisnormen beschäftigen. In dieser Reihenfolge wird grundsätzlich auch die Klausurprüfung von polizeilichen Maßnahmen aufgebaut: Zunächst prüfen wir in der Regel die - Formelle Rechtmäßigkeit, d. h. - Zuständigkeit (sachlich, örtlich und instanziell), - Form und Verfahren. Sodann geht es um die - Materielle Rechtmäßigkeit, d.h. unter anderem - die Ermächtigungsgrundlage (also Befugnisnorm).

22

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Aufgabennormen beschreiben - wie erwähnt - die sachlichen Zuständigkeiten der jeweiligen Behörden: Jede Behörde hat eine Zuständigkeit. Diese wird durch die Gesetze bestimmt; so werden wir im HSOG Vorschriften über die Zuständigkeit der verschiedenen Gefahrenabwehrbehörden kennen lernen. Rechtlich betrachtet nimmt die Behörde natürlich die Zuständigkeiten ihres Verwaltungsträgers wahr; die Gesetze aber sprechen meistens nur von der Zuständigkeit der einzelnen Behörden. Manchmal ist in einem Gesetz aber auch nur die Zuständigkeit eines Verwaltungsträgers geregelt (die Gemeinde). Dann muss anhand der Gemeindeordnung ermittelt werden, welches Organ bzw. welche Behörde der Gemeindeordnung zuständig ist. Wir unterscheiden verschiedene Arten von Zuständigkeit: - die örtliche Zuständigkeit

betrifft den räumlichen Tätigkeitsbereich einer Behörde. Sie entscheidet also etwa darüber ob die Polizeidienststelle Grünberg oder die in Gießen zuständig ist.

- die sachliche Zuständigkeit betrifft die Frage, wer für die Entscheidung dem Sachgebiet nach zuständig ist (z.B. Baubehörde, Gewerbeaufsicht oder Immissionsschutzbehörde?)

- die instanzielle Zuständigkeit entscheidet darüber, ob im mehrstufigen Behördenaufbau, auf der oberen, mittleren oder unteren Ebene entschieden wird.

Es gibt - wie sich zeigen wird - noch andere Behörden als die Polizei, die mit dem Bereich des Polizeirechts im weiteren Sinne zu tun haben. Das HSOG bezeichnet diese mit den Begriffen der Gefahrenabwehrbehörden und nennt konkret Allgemeine Verwaltungsbehörden und Ordnungsbehörden. Es muss nun geklärt werden, wer von diesen Behörden welche Aufgaben zu erfüllen hat. Wir müssen also die Zuständigkeiten kennen lernen. Zunächst aber einige Sätze zum Sinn und Zweck von Zuständigkeitsregelungen: 1. Sinn und Zweck von Zuständigkeitsregeln Die Regelung von Zuständigkeiten ist kein bloßer Formalismus. Das Rechtsstaatsprinzip verlangt vielmehr, dass die Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen den Behörden eingehalten werden. Dies hat verschiedene Gründe: → Die Zuweisung von bestimmten Aufgaben an bestimmte Behörden hat ihren Sinn

zunächst in Gründen der Effizienz der Verwaltung. Es soll vermieden werden, dass Aufgaben doppelt oder gar nicht erfüllt werden.

→ Sodann begründet sie sich auch durch die personelle und sachliche Ausstattung

einer Behörde. Es gibt im Industriestaat eine Unmenge von Verwaltungsaufgaben die wahrgenommen werden müssen. Das setzt Spezialisierung voraus. Es kann nicht mehr jede Behörde alles. So haben z.B. Behörden, die mit Aufgaben der technischen Überwachung betraut sind Mitarbeiter mit speziellen Fachkenntnissen (Gewerbeaufsichts- und Strahlenschutzbehörden haben z.B. Ingenieursstellen). Auch die Polizei hat eine ganz spezielle Sach- und Personalausstattung (Waffen und

23

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Fahrzeuge, technische Hilfsmittel, spezielle Ausbildung in Waffenanwendung, körperlicher Gewalt, aber auch in Psychologie und Recht). Diese Ressourcen sind für ganz bestimmte Zuständigkeiten vorgesehen (Unmittelbaren Zwang, Bewältigung von Krisenlagen etc.), sie dürfen nicht dadurch verschwendet werden, dass die Polizei mit anderen Aufgaben überlastet wird und müssen immer dann zum Einsatz kommen, wenn es um die Bewältigung genau solcher Aufgaben geht. Dies spezielle Ausbildung ist insoweit ein Garant für die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen. Gerade die Polizei weiß eben, wie man Zwang anwendet. Das sollte man nicht einem Mitarbeiter des Sozialamts überlassen.

→ Schließlich haben Zuständigkeitsregelungen auch für den Bürger eine wichtige

Bedeutung. Der Bürger muss wissen, welche Behörde in seine Rechte eingreifen darf. Das schon um sich verteidigen zu können, also Rechtsschutzmaßnahmen zu ergreifen, aber auch um politische Verantwortlichkeit (eines bestimmten - für die Behörde zuständigen - Ministeriums) ausmachen und bei der nächsten Wahl berücksichtigen zu können; insoweit haben eindeutige Zuständigkeiten auch eine demokratische Funktion.

All das führt dazu, dass eine Maßnahme - wie es juristisch heißt - formell rechtswidrig ist, wenn eine Behörde außerhalb ihrer Zuständigkeit gehandelt hat. 2. Der Begriff der „Generalklausel“ Im folgenden geht es - wie erwähnt - um die Aufgabengeneralklausel. Danach sprechen wir über spezielle Aufgabennormen. Dasselbe wiederholt sich bei den Befugnisnormen. Auch da sprechen wir von Befugnisgeneralklausel und speziellen Befugnisnormen. Was liegt diesen Begriffen zugrunde? Die Grundlage ist zunächst ein zentraler Satz des deutschen Rechts: Das Spezialgesetz verdrängt das allgemeine Gesetz (lat.: lex specialis derogat lex generalis). Dieser Satz knüpft an die Tatsache an, dass sich der Gesetzgeber unterschiedlicher Normierungstechniken bedient: Er regelt manchmal bestimmte Sachverhalte relativ allgemein,

Bsp.: Die Strafbarkeit der Körperverletzung. Jeder, der einen anderen an der Gesundheit beschädigt wird bestraft. Das ist die generelle Vorschrift. Dann greift er oftmals einen Ausschnitt aus dem geregelten Lebenssachverhalt heraus, der ihm einer speziellen Reglung würdig erscheint.

Bsp.: Die Strafbarkeit der Körperverletzung im Amt. Wenn nun jemand eine Körperverletzung begeht, der ein Amt inne hat, wäre er einmal nach der generellen und einmal nach der speziellen Vorschrift strafbar. Hier nun greift der Grundsatz: Die spezielle Norm verdrängt die allgemeine. Insofern ist der § 1 HSOG also die

24

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

allgemeine, die generelle Vorschrift. Wir können den § 1 HSOG nur anwenden, wenn es keine spezielle Norm gibt. Den Begriff der Generalklausel benutzt man für solche Vorschriften, eingebürgert, ohne dass er vom Gesetz selbst benutzt würde. Generalklauseln sind also Vorschriften, die für alle Fälle gelten, die nicht in speziellen Vorschriften geregelt sind und zwar „flächendeckend“ für einen ganzen Bereich. Es sind also Vorschriften, die alle Fälle auffangen, die nicht anderweitig geregelt sind. Die Generalklausel des § 1 HSOG spricht ganz allgemein die Aufgaben der Gefahrenabwehr an, also einen uferlos weiten Bereich. Das gleiche gilt für § 11 HSOG. 3. Die Regelung des § 1 HSOG im einzelnen Für unsere Aufgabennormen heißt das, dass wir auf § 1 Abs. 1 HSOG nur insoweit zurückgreifen können, als sich keine spezielle Aufgabennorm findet. Genau das erklärt sie in § 1 Abs. 2 selbst, danach haben nämlich die Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden ferner die ihnen durch andere Rechtsvorschriften zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen Nach § 1 Abs. 1 HSOG an ist den Gefahrenabwehrbehörden und den Polizeibehörden die gemeinsame Aufgabe der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zugewiesen. a. Gefahrenabwehr als gemeinsame Aufgabe der Gefahrenabwehr- und Polizei-

behörden Danach stellt sich zunächst die Frage, was mit den Begriff gemeinsam gemeint ist. Das könnte man so verstehen, dass sie die Aufgabe jeweils zusammen erfüllen müssen, dass also jeweils mehrere Behörden mitwirken. Ein solches Zusammenwirken von mehreren Behörden gibt es zwar auch, es kommt aber nur selten vor und ist hier nicht gemeint. Die genannten Behörden haben vielmehr alle drei die sachliche Zuständigkeit für die Gefahrenabwehr, im konkreten Fall ist aber jeweils nur eine der drei Behörden zuständig. Die Formulierung „gemeinsam“ soll nur ausschließen, dass nicht eine der drei Behörden sich darauf beruft, sie sei schon allgemein nicht für Gefahrenabwehr zuständig. Welche Behörde dann konkret die zuständige ist, ergibt sich aus anderen Normen. Die nach diesen Normen zuständige Behörde ist dann alleine für die konkrete Aufgabe zuständig. Manchmal sind nach dem Gesetz auch zwei Behörden zuständig, dann gibt es eine Regelung, die wird den Grundsatz der Erstbefassung nennen, d.h. es hat diejenige Behörde die Zuständigkeit, die zuerst mit der Sache befasst war (vgl. unten). Der erste Absatz des § 1 HSOG setzt weiterhin voraus, dass wir wissen, was eigentlich mit Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gemeint ist.

25

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

b. Der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung Den Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung finden wir auch in vielen Befugnisnormen wieder. Er ist der Zentralbegriff des Polizeirechts in allen Bundesländern. Der Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung wird im Zusammenhang mit den Befugnisnormen noch im einzelnen zu untersuchen sein. Zunächst erst einmal so viel: → Gefahr ist ein Zustand, in dem bei ungehindertem Geschehensablauf die

hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden an der öffentlichen Sicherheit und Ordnung entsteht.

Eine Gefahr kann konkret oder abstrakt sein. In § 11 HSOG muss z.B. immer eine konkrete Gefahr vorliegen. Das bringt § 11 damit zum Ausdruck, dass er von „einem einzelnen Falle“ spricht. Eine abstrakte Gefahr reicht hier nicht. Das gilt auch für alle anderen Standardmaßnahmen. Abstrakt ist eine Gefahr, wenn eine bestimmte Situation regelmäßig zu Schäden führt.

Drachenfliegen ist abstrakt gefährlich. Motorradfahren ist abstrakt gefährlich. Konkret wird sie dann, wenn sich diese Gefährlichkeit in einem Einzelfall realisiert.

Für Franz Schmitt wird es auf dem Motorrad in der Haarnadelkurve brenzlig, wenn das Hinterrad zur rutschen beginnt. Hans Mayer gerät als Drachenflieger in eine Böe.

Eine abstrakte Gefahr reicht allerdings für eine Gefahrenabwehrverordnung i.S.d. §§ 71 HSOG aus, z.B. die - Hundeverordnung - Smogverordnung - Ozonverordnung Wenn § 1 HSOG von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung spricht, meint es beide: Abstrakte und konkrete Gefahren. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung nennt man auch die Schutzgüter der Generalklausel. Unter der öffentlichen Sicherheit versteht man die Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des einzelnen sowie der Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und sonstiger Träger der Hoheitsgewalt. Im Einzelnen → gehört zur objektiven Rechtsordnung jede geltende Norm, egal ob Landes- oder

Bundesrecht,

26

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

→ sind die subjektive Rechte und Rechtsgüter des einzelnen sind zunächst Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Freiheit, daneben aber auch Kollektivrechtsgüter wie die Volksgesundheit oder die öffentliche Wasserversorgung,

→ versteht man unter den Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates, die

Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen; dazu gehört auch die Funktionsfähigkeit der Polizei.

Gestützt auf das letztgenannt Schutzgut kann etwa gegen politische Umsturzversuche (§§ 80 ff. StGB) und jede Art von Einschränkungen der staatlichen Funktionen (§§ 105 ff. StGB) vorgegangen werden. Viele davon fallen jedoch schon unter die öffentlicher Sicherheit. Für die Landespolizei spielt dieser Bereich praktisch deshalb keine sehr große Rolle, weil mit Grenzschutz, BKA, Diensten und anderen Behörden Spezialzuständigkeiten bestehen, die sich solchen Bestrebungen widmen. Unter der öffentlichen Ordnung versteht man die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beobachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Gemeinschaftslebens betrachtet wird. Nach dem der Begriff der öffentlichen Ordnung jahrelang wegen seiner Unbestimmtheit viel kritisiert und in der Praxis kaum noch angewandt wurde, hat sich in den letzten Jahren zunehmend eine Renaissance des Begriffs ergeben. Die Abwehr solcher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist also die zentrale Aufgabe der Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden. Darüber hinaus haben sie nach § 1 Abs. 2 die durch Spezialgesetze zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Soweit wir spezialgesetzliche Aufgabennormen haben, findet - wie erwähnt - § 1 Abs. 1 HSOG keine Anwendung. c. Spezialgesetzliche Zuweisungen Die für die Polizei wichtigen spezialgesetzlichen Aufgabenzuweisungen und die damit verbundenen Rechtsgebiete sind Gegenstand des Polizei- und Verwaltungsrechts im Hauptstudium. Hier deswegen nur eine kleine Übersicht: aa) Allgemeine Verwaltungsbehörden Für die Allgemeinen Verwaltungsbehörden gibt es u.a. in folgenden Bereichen spezielle Aufgabenzuweisungen: - Gewerberecht (GewO) - Baurecht, Generalklausel in § 60 Abs. 2 HBO (Generalklausel) - Wasserrecht (HessWassG) - Immissionsschutzrecht (BImSchG) - Melderecht (HessMeldeG) - Seuchen- und Tierseuchenrecht

27

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

- Abfallrecht (HessAbfall- und AltlastenG) - Lebensmittelrecht (Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz) bb) Allgemeine Ordnungsbehörden Für die Allgemeinen Ordnungsbehörden gibt es u.a. in folgenden Bereichen spezielle Aufgabenzuweisungen: - Versammlungsrecht - Ausländerrecht - Waffenrecht Vgl. im übrigen auch die Zuweisungsverordnung, die weitere Aufgaben aufzählt, die speziell den Ordnungsbehörden zugewiesen sind, und die Verordnung über die Zuständigkeit zur Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 24 und § 24a StVG (betrifft Verkehrsordnungswidrigkeiten). Die instanzielle Zuständigkeit der Ordnungsbehörden liegen gem. § 89 Abs. 2 Satz 1 grundsätzlich bei den örtlichen Ordnungsbehörden, also auf der unteren Ebene. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 100 HSOG. Neben den Allgemeinen Ordnungsbehörden gibt es die sog. Sonderordnungsbehörden (z.B. Eich-, Berg-, Forst- und Luftfahrtsämter). Diese spielen für die Polizei keine große Rolle.

28

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

cc. Polizeibehörden Nach § 1 Abs. 2 HSOG den Polizeibehörden zugewiesene weitere Aufgaben sind - wie erwähnt - insbesondere die Strafverfolgung (und auch die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten). Speziell zugewiesen Aufgaben finden sich darüber hinaus in den Bereichen - des Versammlungsrechts (z.B. §§ 12 a, 19 a, 18 Abs. 3 VersG) - des Ausländerrechts (§ 63 Abs. 5 und 6 AuslG) - der Einweisung psychisch Kranker (§ 10 HFEG). Teilweise finden wir in diesen Bereichen auch Spezialvorschriften Aufgabenzuweisungen sowohl für die Allgemeinen Ordnungsbehörden als auch für die Polizeibehörden. Die Abgrenzung ist dann jeweils in den Gesetzen selbst geregelt. Die interne Organisation der Polizei ergibt sich aus der Polizeiorganisationsverordnung (PolOrgVO). Grundsätzlich werden danach die Aufgaben der Strafverfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten, der Gefahrenabwehr nach dem HSOG von der Schutz- und Kriminalpolizei, der Bereitschaftspolizei und der Wasserschutzpolizei erfüllt. Die übrigen Polizeidienststellen haben vor allem interne Funktionen (aber Mitwirkung des Landeskriminalamts (LKA) auch bei bestimmten Ermittlungen). Instanziell werden die Aufgaben in aller Regel von der unteren Ebene (Präsidien, Dienststellen) wahrgenommen. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 101 HSOG, vgl. auch § 102 und § 103. Teilweise sind die genannten Vorschriften über Aufgabenzuweisungen älter als das HSOG. Wir finden in den Vorschriften deswegen noch alte Begriffe. Wichtig ist deswegen § 113 Abs. 2 HSOG, der erklärt, wie diese Vorschriften jetzt zu verstehen sind (lesen!). d. Nicht spezielle zugewiesene Bereiche (Subsidiarität, Eilfall, Erstbefassung) Für die verbleibenden Bereiche gelten die § 1 Abs. 1 und § 2 HSOG. Danach gilt für die Abgrenzung zwischen den Behörden gemäß § 2 HSOG → das Subsidiaritätsprinzip (= Nachrangprinzip). Diese bedeutet, dass von den in § 1 Abs. 1 HSOG genannten Behörden die Polizei- und Ordnungsbehörden nur nachrangig (subsidiär) tätig werden dürfen, nämlich dann, wenn die Allgemeinen Verwaltungsbehörde nicht oder nicht rechtzeitig einschreiten kann: → die Allgemeine Verwaltungsbehörde kann nicht einschreiten, wenn ihr die sachlichen

oder personellen Mittel für die Erfüllung einer Aufgabe fehlen (sie also etwa die ein erforderliches Kfz oder einen befugten Beamten nicht hat (sog. sachlicher Eilfall)

→ die Allgemeine Verwaltungsbehörde kann nicht rechtzeitig einschreiten, wenn sie

zum Zeitpunkt der Aufgabenerfüllung nicht erreichbar ist, weil diese außerhalb ihrer Dienstzeiten liegt, oder wenn die räumliche Entfernung zum Ort der

29

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Aufgabenerfüllung zu groß für ein rechtzeitiges Tätigwerden ist. (sog. zeitlicher Eilfall).

Ist ein solcher Eilfall gegeben, sind die Ordnungs- und Polizeibehörden subsidiär zuständig. Die Abgrenzung zwischen diesen beiden Behörden regelt das Gesetz nicht ausdrücklich. Allgemein anerkannt sind hier jedoch die folgenden Grundsätze: → Ist bereits eine der beiden Behörden mit der Angelegenheit befasst (d.h. sie hat

sich willentlich der Sache angenommen), bleibt die Zuständigkeit bis zur vollständigen Erfüllung der Aufgabe bei ihr (Grundsatz der Erstbefassung) - alles andere wäre mit einer ökonomischen Aufgabenwahrnehmung nicht zu vereinbaren.

→ Ist noch keine der beiden Behörden mit der Angelegenheit befasst, so erfolgt die

Abgrenzung erneut anhand der Frage, ob auch die Ordnungsbehörde gemäß den genannten Grundsätzen nicht oder nicht rechtzeitig tätig werden kann. Ist dies der Fall, liegt eine Zuständigkeit der Polizeibehörden vor (sog. doppelter Eilfall); kann die Ordnungsbehörde rechtzeitig einschreiten, ist sie zuständig.

30

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

e. Schutz privater Rechte, § 1 Abs. 3 HSOG

Der Schutz privater Rechte durch die Polizei wird ausführlich im Hauptstudium I behandelt. Deswegen an dieser Stelle nur ein kurzer Überblick: Zu den Aufgaben der Polizei gehört der Schutz privater Rechte (vor allem zivilrechtlicher Ansprüche und Rechtspositionen) nur in Fällen, in denen zivilgerichtlicher Rechtsschutz durch die Amts- und Landgerichte nicht ausreicht. Es muss dazu aufgrund der Sachlage eine konkrete Gefahr (hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 11 HSOG) bestehen, dass die Verwirklichung eines privaten Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Eine solche Vereitelung oder Erschwerung kann etwa darin liegen, dass sich ein Schuldner dem Zugriff seines Gläubigers physisch entziehen will, dass eine rechtändernde Verfügung über einen Gegenstand droht oder dass ein Gegenstand ins Ausland verbracht werden soll.

Bsp.: Ein gestohlenes Bild soll unter gutgläubigen Bietern versteigert werden. Ein zum Unterhalt Verpflichteter ist im Begriff, an einen unbekannten Ort zu verziehen. Der gutgläubiger Erwerber eines gestohlenen Autos möchte dieses im Ausland verkaufen.

Die weiteren Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 HSOG müssen kumulativ, vorliegen. Daran fehlt es wenn entweder gerichtlicher Schutz rechtzeitig zu erlangen ist oder die Vereitelung bzw. Erschwerung des Rechts auch ohne gefahrenabwehr- oder polizeibehördliches Handeln abgewendet werden kann oder beides der Fall ist. Die Frage ist also, ob nach den Umständen für ein zivilgerichtliches Verfahren nicht genug Zeit bleibt. Liegt diese Voraussetzung vor, darf es auch keine andere Möglichkeit zur Abwehr der Gefahr geben.

31

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

f. Vorbereitungen für die Hilfeleistung in Gefahrenfällen Eine einfache und unmittelbar einleuchtende Aufgabenzuweisung für die Polizei sieht § 1 Abs. 1 Satz 2 HSOG mit der Vorbereitung für Hilfeleistung in Gefahrenfällen vor.

Sie haben im Rahmen der Gefahrenabwehr auch „die erforderlichen Vorbereitungen für Hilfeleistungen in Gefahrenfällen zu treffen“.

Über die Zielrichtung dieser Zuweisung sagt die Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des HSOG (VVHSOG) alles Wesentliche. Als Beispiel für diese Aufgabe könnte etwa auch das Führen von Verzeichnissen über Not- und ärztliche Rettungsdienste genannt werden. g. Vorbeugende Bekämpfung von Straftaten § 1 Abs. 4 weist der Polizei darüber hinaus die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten und die Vorbereitung von Strafverfolgung zu.

Polizeibehörden haben im Rahmen der Gefahrenabwehr auch zu erwartende Straftaten zu verhüten sowie für die Verfolgung künftiger Straftaten vorzusorgen (vorbeugende Bekämpfung von Straftaten).

Hierzu ist zu sagen: - Der hessische Landesgesetzgeber hat die Gesetzgebungskompetenz nur für präventive Maßnahmen. D.h.: Mit der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung können nur präventive Aufgabenzuweisungen gemeint sein (wenn auch im weiteren Sinne). - § 1 HSOG ist - wie wir wissen - eine reine Aufgabenzuweisungsnorm. D.h., eine Erweiterung der Befugnisse kann über diese Vorschrift nicht erfolgen. Es bleibt also nur ein enger Anwendungsbereich für die Vorschrift. Auf sie gestützt können nur Maßnahmen getroffen werden, die noch nicht selbst der Strafverfolgung dienen (das wären ja Maßnahmen nach der StPO). Außerdem müssen sich die Maßnahmen im Rahmen der Befugnisnormen der §§ 12 ff. HSOG halten. Hier aber gilt: - Für die Eingriffsmaßnahmen nach der StPO ist regelmäßig ein hinreichend Verdächtiger erforderlich. - Für die Eingriffsmaßnahmen nach dem HSOG brauchen wir eine Gefahr. Die Gefahr kann natürlich auch in der Verhinderung einer drohenden Straftat liegen. Dann aber ist diese Verbrechensbekämpfung nicht vorbeugend, sondern ganz konkret. Außerdem wissen wir, dass sich Repression und Prävention nicht überschneiden dürfen; eine Maßnahme kann immer nur in einen Bereich gehören. Danach kann vorbeugende Bekämpfung - wenn nicht Strafverfolgung und nicht konkrete Gefahrenabwehr - nur noch sein:

32

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

→ Beratung und Aufklärung der Bürger (Verkehrserziehung, Beratung über Sicherungen gegen Einbruchsdiebstahl etc.

→ Datenerhebung, -sammlung und -speicherung im Rahmen der §§ 13 ff. HSOG,

etwa über den Einsatz technischer Mittel, von V- und VE-Personen. h. Zusammenarbeit der Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden § 1 Abs. 5 und 6 HSOG treffen schließlich Regelungen über die Zusammenarbeit der Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden. Im wesentlichen geht es dabei um die Frage, wann und in welchen Formen die Polizei anderen Behörden, insbesondere den Gefahrenabwehrbehörden Hilfe zu leisten hat, also nicht im eigenen Zuständigkeitsbereich tätig wird. Natürlich gehört auch die Hilfe für andere Behörden zu den Zuständigkeiten der Polizei, es liegt aber insoweit keine originäre Zuständigkeit vor - also keine die ursprünglich der Polizei zukommt - sondern eine die aus einer anderen Zuständigkeit folgt. Im Gegensatz zu anderen Behörden hat die Polizei relativ viele solcher Zuständigkeiten. Der Grund hierfür ist die personelle und sachliche Ausstattung der Polizei. Für bestimmte Bereiche des staatlichen Handelns - wozu insbesondere die Ausübung von Zwang gehört - ist praktisch nur die Polizei angemessen ausgestattet und in der Lage. Zwei Bereiche sollen hier genauer behandelt werden: → Die Amtshilfe → Die Vollzugshilfe Es gibt aber zwei weitere Bereiche, die zunächst kurz angesprochen werden sollen: aa) Die Zusammenarbeits- und Informationspflicht nach § 1 Abs. 6 Nach § 1 Abs. 6 Satz 1 haben alle Behörden bei der Gefahrenabwehr zusammenzuarbeiten. Da es sich um ein hessisches Gesetz handelt, sind natürlich nur die hessischen Behörden gemeint. Diese Zusammenarbeitspflicht ist eine nur ganz allgemeine Aussage. Sie betrifft nicht nur die Gefahrenabwehrbehörden, sondern auch alle anderen, also z.B. Gemeindeverbände, Universitäten, Schulen etc. Die Vorschrift möchte verhindern, dass Behörden, wenn es bei der Aufgabenerfüllung zu Berührungen mit anderen Behörden kommt, einfach nur ihren eigene Sache machen, dass „die Rechte nicht weiß was die Linke tut“. Insbesondere bei Großlagen soll - Demonstrationen, Unglücksfällen - soll also kooperiert werden, die Tätigkeit der anderen Behörden ins eigene Kalkül einbezogen und den anderen Behörden nicht im Weg gestanden werden. Nicht mehr und nicht weniger ist mit § 1 Abs. 6 HSOG gemeint. Diese Zusammenarbeitspflicht haben die Behörden von selbst, sie ist „von Amts wegen“ zu beachten, unabhängig, ob die andere Behörde sich gemeldet hat oder nicht.

33

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Nicht vergessen: Wir sind immer noch bei der Aufgabennorm; neue Befugnisse werden also hier nicht begründet. Die allgemeine Zusammenarbeitspflicht wird durch die Informationspflicht in Satz 2 des Abs. 6 konkretisiert. Danach haben sich alle Behörden unverzüglich gegenseitig über Vorgänge zu unterrichten, deren Kenntnis für die Aufgabenerfüllung der anderen Behörde bedeutsam erscheint. D.h.: Wenn irgendeine Behörde etwas erfährt, was für eine andere Behörde wichtig sein könnte, hat sie ihr das zu sagen, und zwar unverzüglich. Das ist insbesondere für die Polizei von besonderer Bedeutung, da diese im Gegensatz zu den „Schreibtischtätern“ der normalen Verwaltung rausgeht, Streife fährt und deswegen viel sieht.

Wenn Sie also z.B. → sehen, dass jemand auf der grünen Wiese anfängt zu bauen, und es denkbar ist, dass es dafür keine Genehmigung gibt, haben Sie das der Bauaufsichtsbehörde mitzuteilen. → Ausländer antreffen, die keine gültige Aufenthaltserlaubnis mehr haben, haben Sie das der Ausländerbehörde mitzuteilen, → Blumenhändler an der Straße sehen, die keine Reisegewerbekarte vorweisen können, haben Sie das dem Gewerbeamt mitzuteilen, → ein gefährliches Schlagloch auf einer Straße entdecken, das einem Motorradfahrer zum Verhängnis werden könnte, haben Sie das der Straßenbaubehörde mitzuteilen.

Die Eilzuständigkeit nach § 2 Satz 1 HSOG ist natürlich immer zuerst wahrzunehmen. Die Mitteilungspflicht greift also erst, wenn die Polizei ihre Eilzuständigkeit erfüllt hat und lässt diese Eilzuständigkeit unberührt. Die Mitteilung hat unverzüglich zu erfolgen.

Nach wie vor lautet die herrschende Definition diese Bergriffs: Ohne schuldhaftes Zögern (stammt aus § 121 BGB, der in allen Bereichen des Rechts angewandt wird). Für das Polizeirecht überzeugender ist eine neuere Definition: Ohne jede Verzögerung, die sich nicht aus sachlichen oder rechtlichen Gründen rechtfertigen lässt (objektiver Maßstab).

Auch mit der Mitteilungspflicht werden keine eigenen Befugnisse begründet. Deswegen sagt z.B. Satz 2 des Abs. 6, dass die Vorschriften über den Schutz personenbezogener Daten (§§ 12 - 29 HSOG) unberührt bleiben. D.h.: Wenn die Polizei nach diesen Vorschriften nicht ermächtigt ist, personenbezogene Daten zu übermitteln, ist sie es auch nach der Aufgabezuweisungsnorm nicht. Zwei Spezialvorschriften über die Unterrichtung der Polizei- und Gefahrenabwehrbehörden untereinander enthalten die §§ 87 Abs. 2, 97 Abs. 2 HSOG (lesen!). bb) Die Justizhilfe Die zweite Form der Zusammenarbeit ist die sog. Justizhilfe. Das betrifft Hilfeleistungen der Polizei für Gerichte und Staatsanwaltschaften, und zwar nicht im Bereich der „normalen“

34

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Strafverfolgungssachen, sondern bei der eigentlichen Durchführung des gerichtlichen Verfahrens. Im wesentlichen ist das - die Vorführung von Beschuldigten, Angeklagten, Verurteilten oder Zeugen; z.B. §§ 134, 163 a StPO; entsprechende Vorschriften gibt es in der ZPO. - die Unterstützung des Richters bei der Ausübung der sog. Sitzungspolizei (Ordnungsmaßnahmen im Gerichtssaal, soweit nicht durch Justizbeamte möglich). Genaugenommen gehört dieser Bereich nicht zum Bereich der Zusammenarbeit von Behörden, denn die Gerichte sind ja keine Behörden (Begriff, § 1 Abs. 4 HVwVfG), sondern Teil der Judikative. cc) Die Amtshilfe Die Amtshilfe ist im HSOG nicht ausdrücklich erwähnt. Wir finden nur die Vollzugshilfe in § 1 Abs. 5 HSOG. Die Vollzugshilfe ist eine gesteigerte Form der Amtshilfe, man kann deswegen die Vollzugshilfe nur verstehen, wenn man die Amtshilfe kennt. Die Amtshilfe ist schon in Art. 35 GG erwähnt. Sie ist außerdem in den §§ 4 - 8 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HVwVfG) - das auch auf die präventiven Maßnahmen der Polizei Anwendung findet - geregelt. → Amtshilfe ist eine im Einzelfall auf Ersuchen einer Verwaltungsbehörde von einer

anderen Verwaltungsbehörde geleistete Verwaltungshilfe, die die Tätigkeit der anderen Behörde ergänzt.

Vgl. § 4 Abs. 2 HVwVfG. Die erste wichtige Aussage auch hier: Keine Behörde kann über die Amtshilfe ihre Befugnisse erweitern. Besonders wichtig ist dies bei Amtshilfeersuchen des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Verfassungsschutzes (vgl. § 5 Abs. 5 BKAG, § 5 BVerfSchG) Wichtige Grundsätze der Amtshilfe sind: → Keine Amtshilfe sind die Erfüllung eigener Aufgaben der ersuchten Behörde im

Rahmen eines Weisungsverhältnisses, § 4 Abs. 2. Bsp. § 161 StPO: Wenn die Polizei repressiv tätig wird, stellt sich das nicht als Amtshilfe für die Staatsanwaltschaft dar.

→ Die Amtshilfe hat ergänzenden Charakter, d.h. die ersuchende Behörde bleibt „Herrin

des Verwaltungsverfahrens“ und die ersuchte Behörde ist nur für die Durchführung ihrer Hilfeleistung verantwortlich, § 7 HVwVfG

→ Die Amtshilfe erfolgt in einem oder mehreren Einzelfällen, d.h. sie darf nicht dauerhaft

sein. Eine ständige Online-Verbindung z.B. ist unzulässig. → Die ersuchende Behörde muss sich im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenkreises

halten (Gefahrenabwehrbehörden: § 1 i.V.m. § 2 HSOG bzw. Spezialgesetz), → Die ersuchte Behörde muss sich im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse halten

35

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

§ 5 HVwVfG konkretisiert diese Grundsätze der Amtshilfe weiter (lesen!). Schon immer umstritten ist die Frage, ob die ersuchte Behörde die Rechtmäßigkeit der Amtshandlung der ersuchenden Behörde überprüfen darf: Das HVwVfG sagt insoweit in § 5, dass jedenfalls die Zweckmäßigkeit nicht überprüft werden darf. Bezüglich der Rechtmäßigkeit, geht die herrschende Auffassung davon aus, dass nur auf schwerwiegende Fehler (Nichtigkeit) geprüft werden darf (andere Ansicht: aufgrund des Gesetzmäßigkeitsgrundsatzes auch die Rechtmäßigkeit). Die Amtshilfe der Polizeibehörden anderer Bundesländer ist in den §§ 102 f. geregelt. Die Amtshilfe der Bundeswehr in Art. 87 a Abs. 3 und 4 GG

Praktisch häufiger Anwendungsfall der Amtshilfe: Durchführung von Ermittlungen für eine andere Behörde: Diese möchte etwa gewerbe- oder ausländerrechtliche Maßnahmen treffen und bittet die Polizei etwas über den Sachverhalt herauszufinden. Zur Aufklärung des Sachverhalts ist sie gem § 24 HVwVfG verpflichtet. Das ist ihre Aufgabe bevor sie eine Ordnungsverfügung erlässt. Über das dazugehörige Verwaltungsverfahren hat sie zu entscheiden. Die Polizei leistet nun im Einzelfall Hilfe. Sie muss sich im Rahmen ihrer Befugnisse halten. Diese Art der Hilfeleistung nennt sich Ermittlungshilfe und ist ein zulässiger Fall von Amtshilfe.

dd) Die Vollzugshilfe Die Vollzugshilfe ist als polizeiliche Aufgabe in § 1 Abs. 5 HSOG geregelt; die Vollzugshilfe ist ein Unterfall der Amtshilfe, ein Unterfall der Vollzugshilfe ist wiederum die sog. Schutzgewährung. § 1 Abs. 5 HSOG selbst sagt nur, dass es Aufgabe der Polizeibehörden ist, anderen Behörden Vollzugshilfe zu leisten. Eine weitere Regelung der Vollzugshilfe enthält die Vorschrift nicht. Wie die Polizei Vollzugshilfe zu leisten hat, ist erst in §§ 44 - 46 HSOG geregelt. Aus dieser Stellung im Gesetz wird auch schon deutlich, was eigentlich unter Vollzugshilfe zu verstehen ist. Vollzugshilfe besteht im wesentlichen in der Anwendung von Zwang. Deswegen ist sie als eigener Abschnitt zwischen die Befugnisnormen und den Zwang gestellt. Unter Zwang versteht man die Durchsetzung von Verwaltungsakten gegen den Willen des Betroffenen. Der Zwang wird später noch wesentlich genauer zu bearbeiten sein. Um die Vollzugshilfe zu verstehen, ist jedoch schon hier ein erster Überblick erforderlich: (1) Überblick über die Verwaltungsvollstreckung (Zwang) Im Grundsatz funktioniert der Zwang wie folgt:

36

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Eine Behörde erlässt eine Anordnung gegenüber dem Bürger; also einen Verwaltungsakt (etwa des Inhalts, ein Haus abzureißen, auf der Dienststelle zu erscheinen, den Platz zu verlassen o.ä.). Wenn der Bürger dem nachkommt, ist die Sache erledigt. Kommt er der Verfügung nicht nach, muss die Verfügung irgendwie durchgesetzt werden. Es gibt zwar keine Pflicht zur Durchsetzung von Verwaltungsakten. Das Rechtsstaatsprinzip und der Grundsatz der Rechtssicherheit verlangen jedoch, dass einmal erlassene Verfügungen in aller Regel auch durchgesetzt werden (sonst würde die Rechtsordnung schnell grundsätzlich in Frage gestellt) . Die Art und Weise, wie das zu geschehen hat, ist natürlich im Gesetz geregelt. Es gibt im Wesentlichen zwei einschlägige Gesetze: → Das Hessische Verwaltungsvollstreckungsgesetz (HVwVG - nicht zu verwechseln

mit dem HVwVfG) → Das HSOG (vierter Abschnitt - einschlägig für die Polizei) Der Zwang ist ein reines Beugemittel (es soll den entgegenstehenden Willen des Bürgers beugen). Deshalb kann er beliebig oft eingesetzt werden, ist aber sofort zu beenden, wenn das Ziel erreicht wurde. Der Zwang bedarf grundsätzlich der Androhung, §§ 53, 58 HSOG, damit der Bürger die Möglichkeit hat, der Verfügung doch noch nachzukommen (Ausnahmen siehe unten). Die Zwangsmittel sind im Gesetz abschließend geregelt. Es sind → das Zwangsgeld, § 50 HSOG → die Ersatzvornahme, § 49 HSOG → der unmittelbare Zwang (durch einfache körperliche Gewalt, Hilfsmittel oder Waffen,

§§ 52 ff. HSOG Grundsätzlich setzt jede Behörde ihre Verwaltungsakte selbst durch. Eine Ausnahme davon ist die Vollzugshilfe nach § 44 - 46 HSOG. (2) Die Vollzugshilfe im Einzelnen Wie bereits erwähnt ist die Vollzugshilfe eine gesteigerte Form der Amtshilfe. Sie hat ihren Grund darin, dass die Verwaltungs- und Ordnungsbehörden keine Vollzugskräfte besitzen und es unökonomisch wäre, jede Behörde mit den Mitteln auszustatten, die die Polizei hat (insbesondere die Bewaffnung); praktisch bedeutsam ist die Vollzugshilfe deswegen vor allem im Bereich des unmittelbaren Zwangs. Vollzugshilfe liegt also vor, wenn die Polizeibehörden auf Ersuchen einer anderen Behörde Zwang anwenden, weil diese nicht über die dafür erforderlichen personellen und/oder sachlichen Mittel verfügt und die ersuchende Behörde ihre Maßnahme nicht auf andere Weise selbst durchsetzen kann. Die Voraussetzungen der Vollzugshilfe finden wir in § 44 HSOG. Dieser unterscheidet zwischen

37

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

→ Vollzugshilfe für die allgemeinen Ordnungsbehörden (Abs. 1) und → Vollzugshilfe für sonstige Behörden. (Abs. 2) Die Einzelheiten werden im Zusammenhang mit dem Zwangsrecht dargestellt. Die Regelung in Abs. 2 Nr. 2 ist als die sog. Schutzhilfe bekannt, die nichts anderes ist, als ein Unterfall der Vollzugshilfe. Der Abs. 3 des § 44 HSOG trifft weitere wichtige Aussagen über die Vollzugshilfe: - Die Polizeibehörden sind nur für die Art und Weise der Durchführung der Vollzugshilfe verantwortlich. Das „nur“ klingt etwas verharmlosend. In diesem Satz steckt eine große rechtliche Verantwortung: Anders als bei der Amtshilfe entsteht mit der Vollzugshilfe eine völlig neue Phase des Verwaltungsverfahrens. Der eigentliche Verwaltungsakt, also die Verfügung an den Bürger, ist längst erlassen, und jetzt geht es nur noch um die Frage der Durchsetzung. Hinsichtlich des eigentlichen Verwaltungsakts gilt hier das gleiche, wie bei der Amtshilfe: Die ursprüngliche Behörde bleibt „Herrin des Verwaltungsverfahrens“. Mit dieser Verfügung haben wir also nicht viel zu schaffen; ob das Haus wirklich abgerissen werden muss; der Ausländer die Bundesrepublik wirklich verlassen muss braucht uns rechtlich nicht zu interessieren. Für jeden Schritt, den wir nun bei der Durchsetzung dieser Verfügung machen, sind wir allerdings selbst verantwortlich.

Bsp.: Die Frage, ob wir dem Ausländer bei einer Abschiebung im Wege der Vollzugshilfe Handfesseln anlegen, seine Wohnung betreten, seine Taschen durchsuchen und eventuell körperliche Gewalt anwenden dürfen, wenn er sich weigert mitzukommen ist einzig und allein unsere Sache. Die Ausländerbehörde kann getrost „ihre Hände in Unschuld waschen“, wenn in diesem Bereich etwas schief geht.

- Der zweite Satz des § 44 Abs. 3 HSOG sagt schließlich, dass die §§ 4 - 8 HVwVfG ergänzend Anwendung finden. Das bedeutet, dass die Grundsätze der Amtshilfe in vielen Teilen auch hier gelten. Insbesondere

→ ist die Vollzugshilfe nur in Einzelfällen oder einer Serie von Einzelfällen, nicht aber als dauernde Hilfeleistung zulässig. → Auch liegt keine Vollzugshilfe im Rahmen von Weisungsverhältnissen vor (wir leisten also für die StA auch keine Vollzugshilfe) → Schließlich müssen sich auch hier beide Behörden im Rahmen ihres Aufgabenkreises halten; die Polizei darf also für die Vollzugshilfe keine neuen Zwangsmittel „erfinden“.

Praktisch bedeutsam ist vor allem der Verweis auf § 8 HVwVfG, der die Kostentragungspflicht für die Amtshilfe regelt.

38

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

§ 45 HSOG regelt, dass das Vollzugshilfeersuchen grundsätzlich schriftlich zu erfolgen hat und § 46 HSOG trifft eine Sonderregelung für die Vollzugshilfe, soweit sei eine Freiheitsentziehung zum Inhalt hat. Grund dafür ist Art. 104 GG.

39

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

ee) Zusammenfassung: Zusammenarbeit der Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden 1. Die Amtshilfe, Art. 35 GG, §§ 4 - 8 HVwVfG - ergänzende Verwaltungshilfe auf Ersuchen einer anderen Behörde - ersuchende Behörde bleibt „Herrin des Verfahrens“ - ersuchende Behörde muss sich im Rahmen ihrer Aufgaben halten - ersuchte Behörde muss sich im Rahmen ihrer befugnisse halten - ist nur im Einzelfall oder in Serie von Einzelfällen zulässig (keine Dauereinrichtung) - liegt nicht vor im Rahmen von Weisungsverhältnissen, z.B. § 161 StPO. 2. Die Vollzugshilfe, §§ 44 ff. HSOG, ergänzend §§ 4 - 8 HVwVfG - ist eine gesteigerte Form der Amtshilfe - wird von der Polizei auf Ersuchen einer anderen Behörde zur Durchsetzung von Verwaltungsakten geleistet, die die ersuchende Behörde mangels eigener befugter Bediensteter bzw. eigener Durchsetzungsmöglichkeiten nicht selbst vollstrecken können. - ersuchende Behörde bleibt „Herrin des Verfahrens“, Polizeibehörde ist aber für das „Wie“ der Durchsetzung verantwortlich - einen Sonderfall bildet die Schutzhilfe, § 44 Abs. 2 Ziff. 2 HSOG 3. Die Zusammenarbeits- und Informationspflicht, § 1 Abs. 6 HSOG - begründet eine Pflicht der Behörden ihre Arbeit zu koordinieren - begründet eine Pflicht zur Unterrichtung über erlangte Kenntnisse, die für die Arbeit einer anderen Behörde bedeutsam sein können - die Datenschutzbestimmungen sind dabei einzuhalten 4. Die Justizhilfe - betrifft die Vorführung von Angeklagten und Zeugen und Hilfeleistung bei der gerichtlichen Sitzungspolizei

40

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

i. Zusammenfassung Aufgabengeneralklausel - § 1 HSOG ist nur Aufgabennorm (Trennung von Aufgabe und Befugnis), weist also den aufgeführten Behörden Sachaufgaben (sachliche Zuständigkeiten) zu - § 1 HSOG gilt unmittelbar nur für den präventiven Bereich - § 1 unterscheidet zwischen den Gefahrenabwehrbehörden (Verwaltungsbehörden, Ordnungsbehörden) und den Polizeibehörden Sachliche Zuständigkeiten im Bereich der Gefahrenabwehr: I. Aufgrund spezialgesetzlicher Zuweisungen i.S.d. § 1 Abs. 2 HSOG: 1. Allgemeine Verwaltungsbehörden, z.B. GewR, WassR, ImmSchR, MeldeR, SeuchenR, AbfallR 2. Allgemeine Ordnungsbehörden, Katalog der ZuweisungsVO, Paß- und AusweisR, AuslR, StraßenverkehrsR u.a. 3. Polizeibehörden, z.B. § 10 HFEG, §§ 63 Abs. 5, 6 AuslG, §§ 12, 12a, 13, 18, 19, 19 a VersG, § 36 Abs. 5 StVO. II. Bei Fehlen einer spezialgesetzlichen Zuweisung: Gefahrenabwehr ist gemeinsame Aufgabe der Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden; Aufgabenabgrenzung erfolgt nach § 2 HSOG (Subsidiaritätsprinzip) III. Die Aufgabe des Schutzes privater Rechte ist durch § 1 Abs. 3 HSOG (Unmöglichkeit rechtzeitigen gerichtlichen Rechtsschutzes) beschränkt IV. Aufgabe der Polizei ist auch die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten, § 1 Abs. 4 HSOG. Dies ist im wesentlichen die präventive Sammlung von Informationen und Daten im Rahmen der §§ 13 ff. HSOG.

41

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

IV. Die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung Ausgangspunkt dieses Themas ist die Tatsache, dass die Bundesrepublik ein demokratischer Rechtsstaat ist. 1. Das Rechtsstaatsprinzip als Ausgangspunkt Das Rechtsstaatsprinzip ergibt sich aus Art. 20 und 28 GG.

Wiederholung des Rechtsstaatsprinzips: Die Staatsrechtlehre kennt heute zwei Begriffe des Rechtsstaats: - formeller: Staatliche Machtausübung muss anhand von Gesetzen messbar sein Das aber genügt nicht, wenn - wie im Nationalsozialismus - Unrecht in Gesetzesform gegossen wird. Deswegen wird heute hinzugefügt ein - materieller: Ein an der Idee der Gerechtigkeit ausgerichteter Staat. Konkret hat sich das Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 3 GG niedergeschlagen. Danach ist die gesetzgebende Gewalt an die Verfassungsmäßige Ordnung und die vollziehende Gewalt an Recht und Gesetz gebunden. Für den Gesetzgeber bedeutet das: - formell die Einhaltung von Gesetzgebungskompetenz, Gesetzgebungsverfahren (BT, BR, evtl. Vermittlungsausschuss, ggf. nochmals BT, je nachdem ob Zustimmungs- oder Einspruchsgesetz), - materiell die Einhaltung der Grundrechte (Bsp. Volkszählungsgesetz, sächsisches Polizeigesetz) und sonstiger Verfassungsgrundsätze (vor allem Verhältnismäßigkeit). Sogar für den verfassungsändernden Gesetzgeber ergeben sich Beschränkungen aus Art. 79 Abs. 3 GG

Für den vorliegenden Zusammenhang interessant ist vor allem Art. 20 Abs. 3 GG, der sagt, dass die vollziehende Gewalt an Recht und Gesetz gebunden ist: Zunächst sagt die Vorschrift nicht nur, dass die Verwaltung an das Gesetz gebunden ist, sondern an Gesetz und Recht. Da muss es also einen Unterschied geben. Das führt zu dem Unterschied zwischen formellem und materiellem Rechtsstaat zurück. Man kann auch Ungerechtigkeiten in Gesetze schreiben. In einer Demokratie ist die Gefahr natürlich nicht so groß wie in einer Diktatur. Trotzdem geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass es Gerechtigkeitsgrundsätze gibt, die über dem Gesetz stehen. Zum Beispiel in den Mauerschützen-Fällen (die Mauerschützen haben sich ja an das geschriebene Recht der DDR gehalten) Das Bundesverfassungsgericht hat sich hier und auch in anderen Fällen auf die sog. Radbruch’sche Formel gestützt:

„Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, dass das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so

42

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als „unrichtiges Recht“ der Rechtssicherheit zu weichen hat.“ Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie und SJZ 1946, S. 107.

Diese Frage kann in Extremsituationen durchaus auch in der Demokratie interessant werden und hat einen Bezug etwa zur Frage des „zivilen Ungehorsam“ in Form von „Sitzblockaden“ oder des „Kirchenasyls“. Das brauchen wir natürlich nicht für den „Normalfall“. In aller Regel genügt es, wenn man zwei Grundsätze kennt, die aus der Gesetzesbindung nach Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitet werden: - den Vorrang des Gesetzes: Die Verwaltung muss sich an das Gesetz halten - den Vorbehalt des Gesetzes: Die Verwaltung bedarf für ihr Handeln einer

gesetzlichen Ermächtigung Um die Einzelheiten dieser Grundsätze zu verstehen muss man zunächst wissen, wie die Verwaltung überhaupt handeln kann. Wir ziehen deswegen an dieser Stelle einen Punkt vor, der eigentlich im Curriculum erst später kommt: 2. Handlungsformen der Verwaltung Grundsätzlich können wir unterscheiden zwischen privatrechtlichem und öffentlich-rechtlichem Handeln der Verwaltung. Dies führt zurück auf die Unterscheidung zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Normen: → Privatrechtliche Normen sind solche, die das Verhältnis der Bürger untereinander

regeln, also für jedermann gelten → Öffentlich-rechtliche Normen sind solche, die den Staat als solchen berechtigen

oder verpflichten. Der Staat kann in beiden Bereichen tätig werden: In beiden Formen kann die Verwaltung handeln. Folgende Formen des Verwaltungshandelns lassen sich unterscheiden: I. Privatrechtliches Handeln 1. Erfüllung hoheitlicher Aufgaben in Privatrechtsform (Verwaltungsprivatrecht)

nur zulässig im Bereich der Leistungsverwaltung, soweit nicht öffentlich-rechtliche Regelungen entgegenstehen (Bsp.: Konmunale Daseinsvorsorge, Stadtwerke); in diesem Bereich herrscht Wahlfreiheit, aber es gilt der Grundsatz: „keine Flucht ins Privatrecht“, d.h. Grundrechtbindung liegt vor.

2. Fiskalisches Handeln

Verwaltung nimmt die erforderlichen Geschäfte zur Bedarfsdeckung vor „geht einkaufen“; Staat wird wie Privater tätig, keine Grundrechtsbindung

43

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

3. Erwerbswirtschaftliches Handeln Staat beteiligt sich an Wirtschaftsunternehmen (Flughafen-AG, Lufthansa); besitzt Forstgüter oder Weingüter; dies ist beschränkt zulässig und im Gemeindebereich gängig (Staat darf aber Wettbewerb und private Wirtschaftsfreiheit nicht zunichte machen). Wenn zulässig: Staat wird wie Privater tätig, keine Grundrechtsbindung

II. Öffentlich-rechtliches Handeln 1. Rechtssetzungsakte der Verwaltung

- Außenrecht (Rechtsverordnung, Satzung) - Innenrecht (Verwaltungsvorschriften)

2. Exekutives Handeln a. Schlichtes Verwaltungshandeln (Realakte)

ist auf einen tatsächlichen Erfolg, nicht auf einen Rechtserfolg gerichtet. Verwaltung erlässt keine Anordnung gegenüber dem Bürger, sondern handelt einfach (Streife fahren, Reinigung eine Straße, Auszahlung eines Geldbetrags, Dienstfahrt, Bau von Verwaltungsgebäuden, Auskunft durch Polizisten, Unfallaufnahme); Streitig: Zwangsmaßnahmen („Hauen, Stechen, Schießen, Treten“).

aa. mit Eingriffscharakter;

es wird absichtlich oder unabsichtlich in die Grundrechte des Bürgers eingegriffen (bei Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs stets der Fall)

bb. Ohne Eingriffscharakter;

die Grundrechte der Bürger bleiben unberührt (Dienstfahrt, Bau von Gebäuden).

b. Hoheitliches Verwaltungshandeln (Rechtsakte)

ist auf einen rechtlichen Erfolg gerichtet. Für den Bürger soll verbindliche Rechtsfolge gesetzt werden. Durch solche Akte wird also festgelegt, was für den Bürger rechtlich gelten soll, welche Rechte oder Pflichten er hat.

aa. Öffentlich-rechtliche Verträge, geregelt in §§ 54 ff. HVwVfG

Verwaltung einigt sich mit dem Bürger auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, anstatt einseitig eine Rechtsfolge zu setzen, praktisch relevant im bereich des Baurechts und überall dort, wo der Staat auf die Kooperation mit dem Bürger angewiesen ist; für das Polizei- und Ordnungsrecht ohne Bedeutung

bb. Verwaltungsakte, §§ 35 ff. HVwVfG

Öffentlich-rechtliche Anordnung der Verwaltung gegenüber dem Bürger in einem Einzelfall; die Rechtlage wird durch die Verwaltung einseitig geändert

Wir werden präventiv vor allem in zwei Bereichen tätig: Dem Handeln durch Verwaltungsakt und dem Handeln durch Realakte mit Eingriffscharakter; immer wieder aber auch beim

44

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Realhandeln ohne Eingriffscharakter, durch Polizeiverordnungen kommt hin und wieder auch einmal eine rechtssetzende Tätigkeit hinzu. Zurück zur Gesetzesbindung der Exekutive: 2. Der Vorrang des Gesetzes Dieser Grundsatz bedeutet, dass alles Verwaltungshandeln an die Gesetze gebunden ist. Er erfasst alle Formen des Verwaltungshandelns - egal in welcher Form gehandelt wird: hoheitlich, schlicht, privatrechtlich- oder öffentlich-rechtlich, durch Verwaltungsakt, durch öffentlich-rechtlichen Vertrag. Allerdings gilt: Beim erwerbswirtschaftlichen und fiskalischen Handeln liegt keine Bindung an die Grundrechte und rechtsstaatliche Grundsätze (VHM, Vertrauensschutz) vor. Es gelten nur die öffentlich-rechtlichen Normen, an die jeder Bürger gebunden ist (Baurecht, BImSchG etc.). Gesetze im Sinne des Vorrangprinzips sind nicht nur Parlamentsgesetze (Gesetze im formellen Sinn) sondern auch materielle Gesetze (RVO’s, Satzungen); keine Gesetze in diesem Sinn sind die Verwaltungsvorschriften (hier aber verwaltungsinterne Bindung und Selbstbindung). 3. Vorbehalt des Gesetzes Dieser Grundsatz bedeutet, dass die Verwaltung für ihr Handeln einer gesetzlichen Grundlage bedarf. Er beantwortet also die Frage, ob die Verwaltung überhaupt tätig werden darf. Die Reichweite dieses Grundsatzes war lange umstritten. Ob der Gesetzesvorbehalt gelten soll oder nicht wurde insbesondere danach beurteilt, um welche Art des Verwaltungshandelns es sich handelte:

- Früher hat man gesagt, die Verwaltung braucht nur dann eine gesetzliche Grundlage, wenn sie unmittelbar in die Rechte des Bürgers (Freiheit und Eigentum) eingreifen möchte. Danach war der gesamte Bereich, den wir als Leistungsverwaltung beschrieben haben, nicht vom Gesetzesvorbehalt erfaßt; auch das schlicht-hoheitliche Handeln ohne Eingriffscharakter bedurfte keiner gesetzlichen Ermächtigung. Das geriet nach und nach in die Kritik. Man erkannte, dass Belastungen für Bürger sich auch mittelbar ergeben können: Begünstigung eines Konkurrenten durch eine Subvention; Verweigerung eines Stipendiums; das alles greift im Ergebnis genauso in die Rechte der Bürger ein. - Eine Weile lang wurde dann vielfach die These vertreten, die Verwaltung brauche für jedes Handeln eine gesetzliche Grundlage (Lehre vom Totalvorbehalt). Auch das hat sich aber im Ergebnis nicht durchgesetzt. Aus einleuchtenden Gründen: Dann bräuchten wir für jede Streifenfahrt, für jede Auskunft an einen Bürger, für jede Renovierung an einem Dienstgebäude eine gesetzliche Ermächtigung.

45

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

Es hat sich inzwischen die Auffassung durchgesetzt, dass es nicht darauf ankommen kann, um welche Art der Verwaltung es sich handelt, sondern darauf, ob im Ergebnis Rechte der Bürger berührt werden oder nicht. Das ergibt sich aus den Grundrechten selbst; diese lassen Eingriffe zumeist nur „durch oder aufgrund eines Gesetzes“ zu (manche nicht mal das). D.h. sobald in Grundrechte eingegriffen wird, also ihr Schutzbereich berührt - egal ob absichtlich oder unabsichtlich, gezielt oder ungezielt - bedarf es einer gesetzliche Ermächtigung. Wenn sich diese nicht findet, ist das Handeln rechtswidrig. Liegt kein Eingriff in ein Grundrecht vor (Streife fahren, Auskunft erteilen) bedarf es auch keine Ermächtigungsgrundlage. Die zweite Frage, die dann lange diskutiert wurde, war die Frage, wie die Ermächtigungsgrundlage beschaffen sein muss. Braucht am immer ein Parlamentsgesetz, oder reicht auch eine Rechtsverordnung oder eine Polizeverordnung? Könnte also der Schusswaffengebrauch durch eine Verordnung geregelt werden? Das beantwortet das Bundesverfassungsgericht mit der sog. Wesentlichkeitslehre. Es sagt, dass der Gesetzgeber - also das Parlament - alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss: Das folgt zunächst aus der Gewaltenteilung, wonach der Gesetzgeber für die generell-abstrakten Entscheidungen zuständig ist und die Verwaltung für die Einzelfälle. Es folgt aber auch aus dem Demokratieprinzip: Die Bürger haben ja nur den Gesetzgeber unmittelbar gewählt - und nicht etwa den Innenminister - und können auch nur den Gesetzgeber - und nicht den Innenminister - „absetzen“, wenn sie mit seinen grundlegenden Entscheidungen nicht zufrieden sind. Deswegen müssen also alle grundlegenden Entscheidungen durch ein Parlamentsgesetz festgelegt werden (man spricht auch vom Parlamentsvorbehalt). Die weniger wichtigen Entscheidungen dürfen vom Gesetzgeber auf die Verwaltung delegiert werden. Wie macht man das? - Durch eine Verordnungsermächtigung nach Art. 80 GG Was sind nun wesentliche Entscheidungen? Alle Eingriffe in Grundrechte, außer solche in die allgemeinen Handlungsfreiheit

Zur Erinnerung: Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht ist praktisch durch jedes staatliche Handeln berührt.

Eingriffe in spezielle Grundrechte aber bedürfen eines Parlamentsgesetzes. Diese muss zudem hinreichend bestimmt sein

Bsp: Die Einführung der Gendatenbank bedurfte eines speziell dafür vorgesehenen Parlamentsgesetzes; das BKA-Gesetz mit seinen allgemeinen Aussagen reichte aus Bestimmtheitsgründen nicht.

Auch sonstige grundlegende staatliche Entscheidungen (Einführung des EURO, Verabschiedung des Haushalts) bedürfen eines Parlamentsgesetzes.

46

VFH Wiesbaden, FB Polizei, Polizei- und Verwaltungsrecht, G I, Dr. Michael Bäuerle _____________________________________________________________________________________________________

47

Konkret bedeutet das: Eingriffsverwaltung: - stets ein Parlamentsgesetz für das Handeln erforderlich Leistungsverwaltung: - zumindest das Ob einer Leistung muss durch Gesetz festgelegt sein, das Wie kann

der Verwaltung überlassen werden Polizeilicher Bereich: - nur schlicht hoheitliches Handeln ohne Eingriffscharakter ist ohne gesetzliche

Ermächtigung möglich. 4. Zusammenfassung 1. Vorrang des Gesetzes - Verwaltung muss sich bei ihrem Handeln stets an alle Gesetzes halten, nicht nur an Parlamentsgesetze, sondern auch an materielle Gesetze - dies gilt für alle Formen des Verwaltungshandelns; allerdings keine Grundrechtsbindung bei fiskalischem und erwerbswirtschaftlichen handeln der Verwaltung 2. Vorbehalt des Gesetzes - Verwaltung bedarf für jedes Handeln, das die Rechte des Bürgers berührt, einer gesetzlichen Ermächtigung - handelt es sich um wesentliche Entscheidungen (insbes. Eingriffe in spezielle Grundrechte) ist ein Parlamentsgesetz erforderlich - bei unwesentlichen Entscheidungen reicht materielles Gesetz - schlicht-hoheitliches Handeln ohne Eingriffscharakter kann auch ohne gesetzliche Ermächtigung erfolgen