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Pomologen-Verein e.V. – Jahresheft 2015 Themenschwerpunkt: Obstbaugeschichte Jahresheft 2015 ISBN 978-3-943198-15-7 THEMENSCHWERPUNKT Menschen der Obstbaugeschichte: Mitschurin – der russische Pomologe Liegel – vom Apotheker zum Pomologen Koloc – Gärtner und Pomologe Göschke – Köthener Gärtnerfamilie Fießer – Großherzoglicher Hofzüchter Hugenotten – Einfluss der Flüchtlinge Entwicklungsgeschichte: 60 Mio. Jahre Äpfel Laumersheim/Pfalz: Pomologischer Garten Elbtal/Sachsen: Obstbau 1950 Obstdörren: historische Betrachtung POMOLOGIE Sortenbeschreibungen Gustavs Dauerapfel Steebs Unerreicht Pohls Schlotterapfel Pflaume Prunus brigantina Kaiserbirne mit dem Eichenlaub Äpfel: Rotfleischige frisch essen? Birnen: von Kuhfuß bis Blutbirne Quitten: Welche wofür? Holland: Steinbirnen zum Kochen Pomologie-Entdeckungsreise gen Norden PROJEKTE Luxemburg: Süßkirschen-Kartierung Sollingschule Uslar: Streuobstwiese Birnenwein: Hier geht nichts ohne! Pommes Bier und Apfelschnitz STREUOBST Vögel der Streuobstwiese: Die Exoten Misteln – Wühlmaus – Baumschutz

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Jahresheft 2015

ISBN 978-3-943198-15-7

THEMENSCHWERPUNKT

Menschen der Obstbaugeschichte: ◗ Mitschurin – der russische Pomologe ◗ Liegel – vom Apotheker zum Pomologen ◗ Koloc – Gärtner und Pomologe ◗ Göschke – Köthener Gärtnerfamilie ◗ Fießer – Großherzoglicher Hofzüchter ◗ Hugenotten – Einfluss der Flüchtlinge Entwicklungsgeschichte: 60 Mio. Jahre Äpfel Laumersheim/Pfalz: Pomologischer Garten Elbtal/Sachsen: Obstbau 1950 Obstdörren: historische Betrachtung

POMOLOGIE

Sortenbeschreibungen ◗Gustavs Dauerapfel ◗Steebs Unerreicht ◗Pohls Schlotterapfel ◗Pflaume Prunus brigantina ◗Kaiserbirne mit dem Eichenlaub Äpfel: Rotfleischige frisch essen? Birnen: von Kuhfuß bis Blutbirne Quitten: Welche wofür? Holland: Steinbirnen zum Kochen Pomologie-Entdeckungsreise gen Norden

PROJEKTE

Luxemburg: Süßkirschen-Kartierung Sollingschule Uslar: Streuobstwiese Birnenwein: Hier geht nichts ohne! Pommes Bier und Apfelschnitz

STREUOBST

Vögel der Streuobstwiese: Die Exoten Misteln – Wühlmaus – Baumschutz

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2 ◗ Jahresheft 2015 Jahresheft 2015 ◗ 3

THEMENSCHWERPUNKT5 Der russische Pomologe und

Obstzüchter I. W. Mitschurin (1855­1935)Dr. Werner Schuricht

16 Der Apfel entwickelt sich seit 60 Millionen JahrenJosef Weimer

23 Rudolf Koloc (1901­1981) – Gärtner und PomologeDr. Werner Schuricht

26 Dr. Georg Liegel, Pomologe aus BraunauDr. Siegfried Bernkopf

36 Züchtungsarbeit des Großherzoglichen Hofgärtners H. G. FießerMarkus Heinitz

43 Auf den Spuren der Hugenotten und Waldenser Manfred Seydel

46 Die Gärtnerfamilie Göschke aus KöthenManfred Ruppert, Dr. Werner Schuricht

49 Der Pomologische Garten des ehemali­gen Schlosses in Laumersheim/PfalzPhilipp Eisenbarth

55 Forschungsanstalt für Garten­ und Weinbau in Geisenheim/Rheingau

56 Obstbau in Sachsens Elbtal um 1950Dr. Werner Schuricht

60 „Und wenn ich wüßte, dass morgen die Welt unterginge, so würde ich noch heute ein Apfelbäumchen pflanzen.“Willi Hennebrüder

63 Vom Hochstamm in den urbanen Raum: Erweiterter Blickwinkel tut NotDr. Peter Lock

67 ObstdörrenKlaus Schuh

POMOLOGIE74 Gustavs Dauerapfel

Dr. Rudolph Steuckardt77 „Susanne Apfel“

Dr. Rudolph Steuckardt78 Wiederentdeckung der Apfelsorte

‚Steebs Unerreicht‘Anton Klaus

80 Pohls Schlotterapfel oder (m)ein Weg zur PomologieJens Meyer

84 Rotfleischige Apfelsorten für den Frischverzehr?Walter Guerra

89 Pomologische Entdeckungsreise von Deutschland nach Schweden und zurückJan Bade

92 Pomologischer Sensationsfund in der UckermarkDr. Hilmar Schwärzel

96 Kuhfuß, Blutbirne und viele UnbekannteJosef Wittmann

100 Kochbirnen in holländischer LandschaftTammo J. Katuin

107 Grosse Britzer Eierpflaume alias MarunkeDr. Annette Braun-Lüllemann

112 Prunus brigantina – die Briançon­Pflaume Dr. Wolfgang Stieler

120 Quitten – die richtige Sorte für verschie­dene ZweckeHans Göding

129 Obstsorten des Jahres 2015 auf einen BlickZusammengestellt von Sabine Fortak

129 AnhalterSteffen Kahl

132 Süßkirsche Frühe Rote MeckenheimerDr. Philipp Eisenbarth

136 Zwetschke Anna SpäthSiegfried Bernkopf

PROJEKTE138 Rotgoldene Perlen aus Großherzogs

SchatzkammerDr. Annette Braun-Lüllemann, Richard Dahlem

152 Anders leben, also auch ander(e)s Obst anbauenJan Bade

154 Projekt „Alte Streuobstwiesen am Rothenberg“/Uslar Gabi Dinkel

158 Ein Museum für die FrankelbacherRainer Rausch

162 Apfel­Kunstwerk am Fröbelweg in ThüringenHans-Jürgen Mortag

163 Die Initiative „Deutschland summt!“Cornelis Hemmer

164 Pommes, Bier … – und Apfelschnitz!Klaus Zenker

166 Streuobstwiese Atzelsberg Dr. Stefan Els, Ursula Grasse

STREUOBST170 Vögel der Streuobstwiese (8) –

Die „ Exoten“Gerd Bauschmann

176 Sanierungsversuch stark mit Misteln befallener StreuobstbäumeJörg Bäurles

181 Biologie der LaubholzmistelJörg Bäurles

182 Wühlmaus und MauswieselKlaus Zenker

184 Meine Baumschutzlösung Dr. Wolfgang Stieler

186 Baumschutzgitter Freundeskreis Eberstädter Streuobst-wiesen e. V.

187 Mitwachsender BaumschutzIngmar Dalchow

BERICHTE AUS DEM VEREIN188 Europom 2014 – Zum Jubiläum wieder

in Alden Biesen Sabine Fortak

191 Pomologentreffen 2014 in SüdtirolJosef Wittmann

192 Arbeitsgruppen im PVSabine Fortak

193 Oberdieck­Preis an Jan BadeNorbert Clement

194 Klausurtagung 2015 der Pomologen in NaumburgClaudia Thöne

196 Als Ideenbotschafter auf der Weltaus­stellung EXPO 2015 in MailandEckart Brandt

FÜR DIE SINNE198 Kardinal und Sternrenette

Martin Elsbroek200 Apfelkunst

Wolf-Dietmar Stock

TIPPS203 Eckart Brandt:

Schmeckt! 203 Projekt mit heimischen Wildäpfeln

Eckart Brandt

ZU GUTER LETZT204 Doch keine Gentechnik­Fliegen in

Spanienwww.keine-gentechnik.de

SONST204 Impressum205 Autorenverzeichnis208 Auf Seiten dieser Ausgabe

Jahresheft 2015

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208 ◗ Jahresheft 2015

92: Kaiserin mit dem Eichenlaub

128: Ispolinskaja

118: Prunus Brigantina

104: Grote Mogul

99: unbek. Mostbirne98: unbek. Mostbirne

129: Anhalter

123: Quitte Söbü 128: Limon Ayvasi

99: Großer Katzenkopf

107: Marunke

104: Pondspeer

98: unbek. Mostbirne

104: Winterjan

132: Frühe Rote Meckenheimer 134: Rosa Claussen

Auf Seiten dieser Ausgabe

Vorwort

Liebe Mitglieder,wir freuen uns, Ihnen inzwischen in alt­bewährter Manier das Jahresheft 2015 präsentieren zu können. Wir bedanken uns bei allen Autoren für die Einsendung der qualitativ guten und ansprechenden Beiträge. Im Jubiläumsjahr 2016 planen wir eine Ausgabe, die sich als Themenschwerpunkt mit den obstbaulichen 25 Jahren seit der Gründung des Pomologen­Vereins ausein­andersetzt. Hier möchte ich unsere Grün­dungsmitglieder ganz herzlich bitten, über die erste Zeit Berichte einzureichen. Auch interessiert, welche Entwicklung Sorten­kunde, Sortengärten, Anlage von Obst­gärten, Baumschnittverfahren und der Pomologen­Verein in den Regionen machen konnte. Für 2017 und 2018 planen wir die Themen Quitten und Nüsse.

Tauchen Sie jetzt aber erst einmal ein in den diesjährigen Themenschwerpunkt „Obstbau­geschichte“ mit vielen interessanten Bei­trägen, gewissermaßen im Vorgriff auf das 25jährige Jubiläum des Pomologen­Vereins, der sich als erfolgreicher Verein anschickt, ebenfalls „Geschichte zu schreiben“. Die Rubrik Pomologie erfreut sich zahlreicher Zusendungen. Es ist zum Verzweifeln für Pomologen: 25 Synonyme gibt es für eine Koch birne und unzählige unbekannte Koch­birnen … Zumindest in die Herkunft der Tafelbirne Herrenhäuser Christbirne ist etwas Licht gekommen! Viele interessante Projekte stellen Ihre Arbeit vor, darunter ein Bericht über eine unverhoffte Spende an den Pomologen­Verein.

Für die AG Jahresheft

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Jahresheft 2015 ◗ 5

THEMENSCHWERPUNKT

Der russische Pomologe und Obstzüchter I. W. Mitschurin (1855‑1935)

Dr. Werner Schuricht

Biografisches Vor 80 Jahren verstarb Ivan Wladimirowitsch Mitschurin. Er wurde am 28. Oktober 1855 in einem kleinen Forstgut im Dorf Dolgoje (heute: Mitschurowka) im Gebiet Rjasan in Mittelrussland als 7. Kind der Familie gebo­ren. Der Vater gehörte zum verarmten Land­adel und arbeitete in einer Waffenfabrik; er betrieb etwas Gartenbau und Imkerei. Als Ivan vier Jahre alt war, starb seine Mutter. Durch den Vater wurde er naturnah erzogen und leistete viel Gartenarbeit. Oft war er aber sich selbst überlassen, gern sammelte er Samen jeglicher Art und verfügte über hohen Wissensdrang und gute Beobach­tungsgabe. Mit 18 Jahren beherrschte er perfekt die Obstvermehrung. 1872 begann er als Kontorist im Bahnhof der nahen Stadt Koslow (1932 in Mitschurinsk umbenannt!) an der Strecke Moskau–Rjasan. 1874 heirate­te er und lebte nur von Nebenbeschäftigun­gen, z. B. unterhielt er ein kleines Uhrenge­schäft. Sein Traum war aber von nun an der Obstbau, mit dem er sich intensiv befasste und dessen sehr rückständiges Niveau in Mittel­ und Nordrussland er erkannte. Nach seiner Ansicht waren damals nur 20 % der Sorten ökonomisch nützlich, über 75 % der Obstflächen waren kleiner als 0,25 ha.

1875 begann Mitschurin seinen Obst­Züch­tungstraum zu realisieren, indem er 0,6 ha braches Gartenland pachtete. Aber das Fehlen von Erfahrung und Wissen führte zu Enttäuschungen, sodass er sehr schwere Zeiten (Arbeit, Kosten, Schulden) durchlebte. 1877 war er erneut in der Eisenbahnverwal­tung tätig. Sein Hauptinteresse blieben jedoch die Obstsorten, von denen er inzwi­schen 600 besaß, aber die räumliche Enge bedrohte seine züchterischen Vorhaben. Er führte genauestens Tagebuch und redu­zierte extrem die Ausgaben für die Familie. 1888 erfolgte der Kauf von 13 ha Land, wo­von jedoch nur 50 % obsttauglich waren. Nach diesem Erwerb blieben ihm nur noch 7 Rubel für seine Baumschule, die Familie musste zwei Jahre in einer Hütte leben.

In den 1880er Jahren begann Mitschurin die ersten Kreuzungen, aus denen einige seiner ältesten und bekanntesten Sorten hervor­gingen: Hybridkirsche Krasa Severa (1884), Sauerkirsche Plodorodnaja, Reform-Rene-klode (1888) und Apfel Kandil-Kitajka (1892). Im Jahr 1893 machte er sich selbst­ständig und verkaufte für 1 000 Rubel Obst­gehölze. Dies ermöglichte neuen Landkauf sowie Einzäunung und Bepflanzung. Haus und Hof mussten dennoch langjährig ver­pfändet werden. 1893/96 erkannte er, dass die Schwarzerde seiner Flächen die Hybri­den in ihrer Frosthärte verwöhnte. Das festigte seine Ansicht über die nötige spar­tanische Erziehung der Gehölze und führte zum Neubeginn im nahen Dorf Tumasowo. 1899 erfolgten Haus­ und Landverkauf für den Erwerb von 13 ha bei Koslow. Dieses nunmehr dritte Verlegen der Baumschule war jedoch mit Verlusten in seiner Sorten­sammlung verbunden.Abb. Mitschurin im Alter von 30 Jahren;

Quelle: siehe Literatur, 1953

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6 ◗ Jahresheft 2015 Jahresheft 2015 ◗ 7

Lebenslange akribische Buchführung über seine Beobachtungen, die er weitgehend veröffentlichte, ist dokumentiert. Diese umfangreichen Notizen und viele detaillier­te Zeichnungen (Blätter, Früchte usw.) über Sorten und Zuchtmaterial legen ein bered­tes Zeugnis seines Schaffens ab.

In dem reichen Schrifttum finden sich viele interessante Bemerkungen von ihm zu den verschiedensten Aspekten der Züchtung: z. B. Akklimatisation, Anpassung, Elternwahl, Pollen­ und Samenbehandlung, Selektions­merkmale, Veredlung/Vermehrung usw.

Mitschurin legte über Jahre eine Art Gen-bank Obst an. Seine große Sammlung von Obstsorten und ­arten als Basis seiner Arbeit entsprach durchaus diesem hohen Maßstab. Er züchtete um 140 Sorten von 16 Obstarten. Diese Sortenzahl schwankt je nach Werk und Zählweise (Tabelle 1).

Hinzu kamen bis 1934 weitere 270 hinter­lassene Sorten­Kandidaten, die sich in der Prüfung befanden. Daraus ergibt sich die oft erwähnte, geschätzte Angabe, dass er bis 300 Obstsorten züchtete. Apfel und Steinobst waren die Schwerpunkte seiner Arbeit. Zahlreiche seiner Obstsorten wurden in den praktischen Anbau überführt. Aber sie unterlagen natürlich infolge der Einfüh­

1905 war Mitschurin 50 Jahre alt und hatte 13 Sorten gezüchtet, aber sie waren wenig verbreitet, Beamte und Wissenschaftler mieden ihn. Er verfasste einen Bericht an das Landwirtschafts­Departement mit dem Vorschlag zur Gründung einer regionalen Obstbauschule. Eine negative Antwort erhielt er erst 1908. Daraufhin sandte er neue Berichte dorthin und klagte, dass ihm als einsamen Forscher die Verwilderung seiner Bestände drohe. Die zaristische Regierung reagierte mit Zuckerbrot und Peitsche. 1912 wandte er sich an die russi­sche Gartenbau­Gesellschaft in Kaluga, deren Ehrenmitglied er 1913 wurde. 1914 war sehr ungünstig für ihn – es fehlte sogar in der Baumschule jegliches Geld für Etiket­ten. Im Folgejahr richteten Überschwem­mungen und Eis bei ihm Schäden an, und seine Frau starb an Cholera.

Nach der Oktoberrevolution 1918 bot sich ihm eine ganz neue Lebensperspektive. Dem jungen Sowjetstaat übergab er stolz ca. 140 eigene Obstsorten und 800 Aus­gangsformen mit seiner Baumschule. Diese wurde nun unter seiner Leitung zur volks­eigenen „Mitschurin­Baumschule“ ausge­baut. Er erhält jetzt das Recht zur Einstel­lung von Mitarbeitern und wird finanziell sowie materiell gefördert. 1920 berief er den Obstfachmann I. S. Gorschkow als Assistent, der in seinem Auftrag in der Nähe eine Zweigbaumschule errichtete, die bis 1929 erheblich anwuchs. 1921 wurden Mitschurins Leistungen erstmals auf der lokalen Landwirtschaftsausstellung prä­sentiert. Daraufhin lobte Lenin dessen Arbeit und forderte seine Unterstützung, Kalinin besuchte seine Baumschule. 1923 nahm Mitschurin an der ersten Agraraus­stellung der UdSSR teil.

Zuvor erhielt er für seine guten Arbeiten ca. 1 000 ha Land und fünf Gärten für die Baumschule.

1925 wurde sein 50jähriges Arbeitsjubiläum feierlich begangen, 1927 propagierte ein Film seine Erfolge. 1928 wandelte man seine Baumschule in „Mitschurin­Station für Selektion und Genetik von Obst und Beerenobst“ um und wertete sie 1931 zum Zentrallabor für Genetik (ZGL) „I. W. Mit­schurin“ auf. Außerdem wurde in Moskau das Allunionsinstitut für Gemüse­ und Obstbau nach ihm benannt. 1929 erschien das Buch über seine 50jährige Arbeit als Band I seiner Werke, 1934 folgte sein Werk über 60 Jahre Züchtung.

Mitschurin erhielt 1931 die höchste sowjeti­sche Auszeichnung, den Lenin­Orden. In seinem Dank verpflichtete er sich, die Arbeit mit neuem Elan fortzusetzen. Er starb 80jährig am 7. Juni 1935 nach länge­rem Leiden an Magenkrebs am Ort seiner Wirkungsstätte. Wenige Tage zuvor war er noch als Ehrenmitglied in die Akademie der Wissenschaften der UdSSR aufgenommen worden. Sein Wohnhaus ist heute ein Museum.

Mitschurins LeistungenMitschurin verstand sich vor allem als praktischer Züchter, er verachtete „diplo­mierte Schwätzer“. Dabei war er sehr volks­verbunden, extrem vielseitig und geduldig tätig. Er entwickelte neue, originelle Ideen und Arbeitsmethoden dafür. Begünstigt wurden seine züchterischen Erfolge aller­dings auch durch das weitgehende Fehlen leistungsfähiger, frostharter Sorten in sei­ner Heimat, sodass sich gute Sämlinge rasch als neue Sorten benennen ließen.

Abb. Anis-Kitajka (1909), gezeichnet von Mitschurin; Quelle: siehe Literatur, 1953

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16 ◗ Jahresheft 2015 Jahresheft 2015 ◗ 17

THEMENSCHWERPUNKT

Der Apfel entwickelt sich seit 60 Millionen Jahren

Josef Weimer

Vom ursprünglichen Wildapfel bis zum heutigen Kulturapfel haben sich die einst kleinen Früchte zu großfruchtigen Apfel-sorten geformt. Die Klimaverän-derung auf der nördlichen Hemi-sphäre, die Wanderungsströme der Völker, Gesetzgebung, die Arbeit der Klöster und der höfi-sche Obstbau haben auf die Gattung Malus eingewirkt. Weitere Impulse sind die For-schungs- und Kulturleistungen des Menschen.

Die meisten Apfelsorten, die wir heute auf den Obstwiesen finden, sind im 18./19. Jh. als sogenannte Zufallssämlinge durch die Zuwendung der Menschen gefunden und vermehrt worden.Die Geschichte des Apfels (lat. Malus) ist jedoch viel älter. Vor ca. 60 Millionen Jah­ren entstanden am Ende der Kreidezeit sogenannte archaische Vorformen unseres Apfels in Südostasien. Das Klima war zu dieser Zeit trocken und kalt. Im Gebiet des Himalaya, aber nicht nur dort, lassen sich noch heute solche ursprünglichen Formen bis in Höhen von 4 000 m finden. Sie haben stark gegliederte, tief eingeschnittene Blätter und sehr kleine, meist nur kirschen­

große Früchte, mit einem sehr langen Fruchtstiel. Das fünfsternige Kerngehäuse (Fruchtblatt) verrät, dass es sich um die Gattung Malus aus der Familie der Rosen­gewächse handelt. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Blatt­ und Frucht­merkmale einen Weißdorn­ oder Schwarz­dorn­ oder Mehlbeerenartigen Charakter haben. So finden wir M. transitoria, M. toringoides usw.Durch die Klimaveränderung (in Richtung wärmer und feuchter werdend) entwickel­ten sich weitere Formen in verschiedene geographische Richtungen. Dies erfolgte allein in den gemäßigten Zonen auf der nördlichen Hemisphäre unserer Erdkugel

von Südostasien aus betrachtet, also Richtung Norden (China, Russland, Sibirien) aber auch nach Osten (Amerika) und Westen (Mongolei, Kaukasusgebiet). Die sogenannten eigentlichen Wildarten entstanden und heißen M. coronaria, M. sargentii usw.In den dreißiger Jahren des letzten Jahr­hunderts entdeckte Vavilow (ein russischer Botaniker) das Gen­ oder Mannigfaltig­keitszentrum unserer Fruchtarten, auch des

Apfels, im Kaukasus. Dort ist auf kleinstem Raum die größte Artenvielfalt vertreten. So dachte man noch bis vor dreißig Jahren, dass der Kulturapfel als ein Kreuzungspart­ner aus dieser Vielfalt der Arten, die im Kaukasus auf Höhen von 900–1 300 m vor­kommen, hervorgegangen ist.

Abb. Fruchtreihen, Ursprungsarten und Kultur-sorten, (rechts) Langtrieb Malus toringoides Fotos: (alle dieses Artikels) J. Weimer

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46 ◗ Jahresheft 2015 Jahresheft 2015 ◗ 47

THEMENSCHWERPUNKT

Die Gärtnerfamilie Göschke aus Köthen

Manfred Ruppert, Dr. Werner Schuricht

Der Sachsen­Anhalt­Tag 2015 stand in Köthen unter dem Motto „KÖTHEN­ANHALTen und erleben“. Gleichzeitig wurde 2015 das 900jährige Jubiläum der Ersterwähnung der Bachstadt begangen, die auch durch S. Hahnemann und J. F. Naumann, die Begründer von Homöopathie und Ornitho­logie, deutschlandweit bekannt wurde.An diesen Feierlichkeiten nahm auch die Regionalgruppe des Pomologen­Vereins mit einer umfangreichen Ausstellung und Obstbauberatung teil.

Starkes Interesse weckten die Ausführungen über Leben und Werk von Kunstgärtner Gottlieb Göschke (1818–1898) als Züchter und Hoflieferant des Herzogs von Anhalt. Er wurde in Piethen bei Köthen als Gärtner­sohn geboren und absolvierte eine Gärtner­lehre in Belgern in Nordsachsen, wo er auch die ersten Gehversuche in die Selbstständig­keit machte. 1844 kehrte er in seine Heimat zurück und mit dem Erwerb von 5 Morgen Land legte er unter bescheidenen, schwieri­gen Verhältnissen den Grundstein zu seinem

Gartenbaubetrieb in Cöthen. 1848 erwarb er durch Ankauf zusätzlich weitere benach­barte Flächen. Daraus entwickelte sich an der Baasdorfer Straße (heutige Bezeich­nung) als Familienbetrieb rasch eine vielsei­tige Gärtnerei mit hohem Bekanntheitsgrad. Von seinen fünf Kindern ergriffen wieder vier den Gärtnerberuf. Der Anbau umfasste vor allem Erdbeeren, Obstgehölze, Spargel, Zuckerrüben, Pelargonien, Rosen und andere Schnittblumen, zusätzlich wurde Blumen­binderei betrieben. Außerdem gehörten zu dem Betrieb ein Kontor sowie ein Palmen­ und ein Seerosenhaus. Während die meis­ten Gärtner der damaligen Zeit ihr Wissen geheim hielten und so daraus eine Art Kunst machten, scheute er sich nicht, die­ses bereitwillig an die Gartenliebhaber weiterzugeben. Daraus erklärt es sich, dass als Besonderheit zu seinem Betrieb auch eine Lehranstalt gehörte. Einen Höhepunkt seiner Arbeit bildeten die von ihm organi­sierten Ausstellungen des Anhaltinischen Gartenbauvereins.

Anbau und Züchtung von Erdbeeren waren eine herausragende Leistung von Gottlieb Göschke. Neben William und Ferdinand Gloede in Eppendorf bei Hamburg, R. Goe­the in Geisenheim und Prof. E. Regel in Petersburg gehörte er zu den bekanntesten deutschen Erdbeerzüchtern, welche Pionier­arbeit für diese beliebte Kultur betrieben. Etwa 20 Erdbeersorten stammen von ihm. 1898 verstarb Gottlieb Göschke als ange­sehener Bürger seiner Heimatstadt.

Die väterliche Gärtnerei übernahm Sohn Max und führte sie anfangs mit Erfolg weiter. Er verkaufte das Grundstück zu einem guten Preis als Bauland und zog 1900 in ein 1,8 ha großes Areal in der Ring­

straße 41 (heute Lohmannstraße) um. Dem Unternehmen war aber kein Segen beschie­den. Nach finanziellen Problemen und Streitereien sah er sich schließlich gezwun­gen, den Betrieb aufzugeben. Diesen über­nahm nun sein Bruder Alfred, ein gelernter Kaufmann. Er hatte aber nicht den grünen Daumen seines Vaters geerbt und befasste sich mehr mit Grundstücksverkäufen als mit Gartenbau. Er rettete das Anwesen 1914 auch nicht mehr vor der drohenden Insol­venz. Selbst ein Pachtvertrag mit der Stadt half nicht grundsätzlich weiter. Ende der 1920er Jahre war der Betrieb völlig marode und die Stadt vereinnahmte zunehmend Teilflächen davon. Nach jahrelangem Streit wurde die Pacht gekündigt. A. Göschke musste weichen und verstarb demenzkrank noch im gleichen Jahr 1937.

Der Sohn Franz Göschke (1844–1912) setzte das Werk der Erdbeerzüchtung seines Vaters würdig fort. Nach seinem Studium wurde er in Preußen Gartenbaudirektor und ­lehrer an dem Kgl. Pomologischen Institut in Proskau bei Oppeln (Schlesien). Hier befasste er sich neben der Züchtung von Erdbeeren auch mit Haselnüssen. Seine 84 Haselnusssorten sind im Katalog des Pomolog. Institutes (1907) genannt. Sie spielen aber heute weder im Anbau noch in der Pomologie eine Rolle. Etwas anders ist die Lage bei den Erdbeeren. F. Göschke ist auch Autor der sehr umfangreichen Erd­beer­Monographie „Das Buch der Erdbeeren“ Berlin 1874, 274 S. (2. Aufl. 1888).

Aus der Erdbeer­Zuchtstätte Göschke gingen insgesamt zahlreiche Sorten hervor. Sie sind zwar heute ohne Anbaubedeutung, da die Erdbeere jene Obstart ist, bei der sich der Sortenwechsel am schnellsten vollzieht.

Abb. Königin Luise Quelle: P. Sorge, Beerenobst 1953

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74 ◗ Jahresheft 2015 Jahresheft 2015 ◗ 75

POMOLOGIE

Gustavs DauerapfelDr. Rudolph Steuckardt

Im Beitrag zur Apfelsorte Ritters Stolz, Jahrbuch 2014 (S. 74–76) habe ich eingangs von A. Ritter angebaute und vermarktete Sorten aufgeführt. Dazu gehörte auch die im Normallager lange haltbare Sorte

Gustavs Dauerapfel. Mein Großvater Albert Ritter hat die Sorte um 1912 nach vorange­gangener Sorten­Diskussion im Gothaer Obstbauverein als Jungbaum gekauft, später weiter vermehrt und in sein Sorti­ment an Winteräpfeln einbezogen. Nach der Ernte, erste Oktobertage, erfolgte die Einlagerung auf Horden im Hauskeller. Abnehmer waren zum Winterausgang und im Frühjahr Liebhaber und persönlich be­kannte Kunden.

Angaben zu Herkunft, Sorten geschichte und VerbreitungEs handelt sich ursprünglich um eine im 19. Jh. in der Schweiz angebaute Landsorte, die um 1895 durch die damalige Zucht­ und Versuchsstation Wädenswil einen Sorten­namen zugewiesen bekam. In Deutschland wurde sie als Gustavs Dauerapfel erstmals 1899 in „Pomologische Monatshefte“ (S. 99–100) von Späth beschrieben und wahrscheinlich auch in der Berliner Baum­schule Späth vermehrt.Die Hauptaussagen seiner Beschreibung dieser Sorte, die ihr Finder, Obergärtner Löbner aus Wädenswil, nach seinem für den Obstbau begeisterten Vater als Gustavs Dauerapfel benannte, sind (nach SPÄTH, F., Pomologische Monatshefte, Allgemei-ne Deutsche Obstbauzeitung, S. 99–101, 1899):Gestalt Über Mittelgröße, von der Form des Taubenapfels, Kelchfläche häufig schräg. Querschnitt fast rund bis undeutlich flach­kantig.Kelch Geschlossen bis halb offen, stark grünfilzig, in weiter, wenig tiefer, faltiger Senkung.Stiel kurz, meist nicht den Rand der Höh­lung überragend; letztere weit und tief (ähnlich Alantapfel), mit feinem, gelblich­grauem Rost.Schale Grundfarbe gelb, … der größte Teil der Frucht prachtvoll rot überzogen und marmoriert, darüber mehr oder weniger dunkelrot gestreift … Punkte fein und ziem­lich zahlreich, im Rot durch ihre gelbe Farbe charakteristisch hervortretend.Kernhaus Hoch zwiebelförmig, Kammern sehr wenig geöffnet, deren Wände meist stark zerrissen, Kerne kurz, eiförmig­spitz, zum Teil taub.Kelchröhre Kurz, kegelig, Staubfäden unter der Mitte.

Fleisch Gelblich, fest, fein, saftig, sehr ange­nehm süßweinig.Reifezeit Dezember bis Mai.»Ein Apfel, der … seiner Schönheit, langen Halt-barkeit, seines festen Fleisches und schweren Gewichtes wegen für den Markt sich vorzüglich eignen dürfte und als Spätfrucht auch für die Tafel sehr willkommen sein wird.«

In der Zeitschrift „Der praktische Ratgeber im Obst­ und Gartenbau“ (1929) wird mit der Überschrift »Gustavs Dauerapfel sollte mehr erprobt werden« über einen mittelgro­ßen Apfel von prächtiger gelber Farbe be­richtet (KRÖCKEL, Ludwigslust, bestätigt von W. POENICKE) Allen bekannten Abbildungen zufolge muss es sich um eine andere Sorte gehandelt haben.Eine gute Beschreibung findet sich in dem mehrbändigen rumänischen Obstsorten­werk „Pomologia Republiki Romine“, II. Marul (Äpfel), 1964, S. 335–339.

Als Anbauländer werden Deutschland, Tschechoslowakei, Polen und die Schweiz genannt. In Rumänien wurde die Sorte im Banat und Transsylvanien angebaut und z. T. auch exportiert.Im Internet gibt es mehrere Angaben zu dieser Sorte. Speziell möchte ich auf die Sortenbeschreibung in der Schweizerischen „Fructus­Kartei“ verweisen.Auch Nikolaiski gibt in seinem Buch „Illust­rated World Encyclopedia of Apples“ (2012) eine bebilderte Beschreibung.Auf eine Anfrage im Institut Agroscope, Wädenswil/Schweiz, antwortete M. Keller­hals, dass die Sorte in der Schweiz als Land­sorte noch bekannt ist. »Sie wurde aber bisher nicht in Züchtungsprogramme der Forschungs-anstalt einbezogen«. Quelle: Pomologia

Republiki Romine, 1964

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84 ◗ Jahresheft 2015 Jahresheft 2015 ◗ 85

POMOLOGIE

Rotfleischige Apfelsorten für den Frischverzehr?

Walter GuerraVersuchszentrum Laimburg, Südtirol

Die hektische Suche nach rotfleischigen Apfelsorten beschäftigt zur Zeit Züchter, Baumschuler und Sortenverwalter. Die Ver­marktung sucht einerseits innovative Pro­dukte, um den Apfelkonsum zu halten oder gar zu steigern; der Zugang zu neuen rotflei­schigen Sorten für eine Leistungsprüfung und Lagerversuche ist andererseits stark begrenzt. Wahrscheinlich müssen wir die zukünftige Generation an rotfleischigen Apfelsorten abwarten, um unserem Stan­dardsortiment ebenbürtige rotfleischige Sorten zuzufügen und erfolgreich und nach­haltig auf dem Markt einführen zu können.

Rotes Fruchtfleisch weckt InteresseRotfleischige Apfelsorten wecken großes Interesse in der Obstbranche, da sie ein neues Produkt verkörpern, welches bis heute im Tafelobstsegment unbekannt ist. Auf der Suche nach Sorten mit innovativen und unterscheidbaren Eigenschaften müs­sen rotfleischige Apfelsorten unbedingt berücksichtigt werden. Die Idee der Ent­wicklung rotfleischiger Apfelsorten für den Frischverzehr ist aber nicht neu: Russi­sche Pomologen haben bereits in den 30er Jahren darüber diskutiert und geschrieben (TREBUSCHENKO, 1939). Etliche Wildformen der Gattung Malus, welche nicht nur in der Fruchtschale, sondern auch in anderen Geweben der Frucht Farbstoffe enthalten, sind seit längerem bekannt und verbreitet. In der Verarbeitungsindustrie und der Hob­bygärtnerei sind rotfleischige Apfelsorten kein Neuland mehr und recht beliebt, sie sind aber nicht für den Frischverzehr geeignet.

In einer vor Kurzem veröffentlichten Studie wurden die vier großen Sortensammlungen in Geneva (New York) und East Lansing (Michigan) in den USA, im kanadischen Harrow und im englischen Brogdale unter­sucht (VAN NOCKER et al., 2012). Fast alle rot­fleischigen Sorten in diesen Genbanken haben als Ursprung M. niedzwetzkyana, eine natürliche Form von M. sieversii aus Zentralasien. Die Ausnahme ist die Sorte Pink Pearl mit gelber Schale und rotem Fruchtfleisch, deren genetischer Ursprung unterschiedlich zu sein scheint (UMEMURA et al., 2011).Die rote Färbung ist großteils Pigmenten aus der Familie der Flavonoide zuzuschrei­ben, welche als Anthocyane bezeichnet werden. Sie sammeln sich in den Zellvakuo­len an und färben Früchte, Blüten und Blät­ter rot, blau oder violett.Bisher wurden mehr als 500 verschiedene natürliche Anthocyane dokumentiert. Der Anthocyangehalt kann in rotfleischigen Apfelsorten über 1 mg/g Frischgewicht erreichen (MULABAGAL et al., 2007). Einige rotfleischige Wildformen könnten demzu­folge gar zur Extraktion von natürlichen Anthocyanen dienen.Die Anthocyane sind in vitro starke Anti­oxydantien, es werden ihnen daher allge­mein gesundheitsfördernde Eigenschaften nachgesagt. Ihre Schlüsselrolle für die menschliche Gesundheit aufgrund der nachgewiesenen antioxydativen Wirkung, welche die Alterung der Zellen bremst, ist bekannt. Die bisher durchgeführten Studi­en reichen aber nicht aus, um diese Eigen­schaften zu bewerben und so genannte „health claims“ zu deklarieren.Als vermutlicher Transkriptionsfaktor der Rotfärbung wurde MdMYB10 identifiziert, welcher die Synthese verschiedener Enzyme

vorantreibt, die in der Biosynthese der An­thocyane eine wichtige Rolle spielen (CHAGNÈ et al., 2007). Diese Entdeckung hat die Tore für eine gentechnische Anwendung geöff­net, bei der das neuseeländische Institut Plant and Food Research PFR die Sorte Gala transformiert hat. Damit sind die ersten transgenen Linien der Sorte Gala mit rotem Fruchtfleisch entstanden, welche in den USA bereits Konsumententests unterzogen worden sind. Das holländische Institut Plant Research International PRI aus Wageningen hat cisgene Linien der Sorte Gala mit rotem Fruchtfleisch entwickelt; die ersten Früchte werden in zwei Jahren erwartet.

Aktive ZüchtungsinstituteIm Angebot rotfleischiger Apfelsorten ist zur Zeit viel Bewegung. Aber woher kom­men diese neuen Sorten? Die Züchtung in Frankreich begann am Anfang der 1990er Jahre bei den beiden Baumschulen Valois und Davodeau Ligonniere. Beide sind seit dem Jahr 2004 im International Fruit Ob­tention IFO vereint. Angeblich sind unter den

Abb. Rotfleischige Apfelsorten erwecken beim Konsumenten stets Interesse, Neugierde und Staunen, (links) Roter Mond, (oben) Niedzwetzkaiana; Fotos: S. Fortak

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116 ◗ Jahresheft 2015 Jahresheft 2015 ◗ 117

Obstbauliche VerwendungLetztlich hat die Suche nach einer Vered­lungsunterlage zur Kultur von Pflaumen, Reneclauden und Mirabellen auf sehr tro­ckenen und mäßig winterkalten Standorten mit ausgesprochen kalkhaltigen Böden (Muschelkalk) den Autor für die Briançon-Pflaume als Alternative zur nicht immer befriedigenden Myrobalanen­Unterlage sensibilisiert. Eigene Recherchen bei der einheimischen französischen Bevölkerung hatten ergeben, dass insbesondere in den abgelegeneren Bergregionen des Haut­Verdon Pflaumen noch heute regelmäßig auf Pr. brigantina­Sämling erfolgreich ver­edelt werden. Außerdem gab es Hinweise darauf, dass in den südlichen Landesteilen der ehem. UdSSR bereits in den 1960er Jahren Pr. brigantina im Rahmen einer Suche nach spätblühenden Pflaumen ge­nauer beobachtet und getestet wurde (TARBOURIECH 1998). Auch das französische

INRA (Institut National de la Recherche Agronomique) initiierte in den 1980er Jah­ren auf der Suche nach neuen Unterlagen für Pflaumen und Pfirsiche Untersuchun­gen an der Briançon-Pflaume (TARBOURIECH 1998, COLL 2012). Leider waren hierzu und insbesondere zur Frage der Kompatibilität zwischen getesteten Sorten und der Unter­lage in der Literatur keine Informationen auffindbar.Der Autor kultiviert in zwei alten aufgelas­senen Weinbergen (Steilhanglage) im mit­teldeutschen „Saale­Unstrut­Triasland“ diverse Steinobstsorten. Der mittlere Jahres­niederschlag liegt, bedingt durch den herzy­nischen Regenschatten, bei nur 480 mm (PIETSCH 2014). Es liegt ein trockenes, sub­kontinentales Steppenklima mit häufigen, besonders spätsommerlichen Dürreperio­den vor. Dennoch soll auf eine regelmäßige Bewässerung weitgehend verzichtet wer­den. Die seit einiger Zeit verfügbare, aus

Das aus der B riançon-Pflaume gewonnene Öl war deutlich wertvoller als Olivenöl und wurde als „huile de marmotte“ oder „huile d’abrignon“ gehandelt. Aufgrund des leich­ten Blausäuregehaltes wurde ein massvol­ler Genuss des Öls empfohlen (COLL 2012). Die Verwendung des Ölkuchens als Vieh­futter für Kühe wurde wegen des deutlich höheren Blausäureanteils kontrovers disku­tiert (COLL 2012). Für einen Liter des hochge­schätzten Öls wurden etwa 10 000 (!) Kerne benötigt. Dieser Umstand, das vergleichs­weise aufwändige Sammeln der Früchte in oftmals schwierigem Gelände sowie die handarbeitsintensive Gewinnung des Öls haben dazu geführt, dass in den 20er Jah­ren des 20. Jhs. die letzte dazu genutzte Ölmühle geschlossen wurde (RIVIÈRE­SESTIER 1943, TARBOURIECH 1998).

Verwendung in der MedizinIn der traditionellen Medizin fand das aus der Briançon-Pflaume hergestellte Öl Ver­wendung bei Quetschungen, schlecht heilenden Wunden, Hautkrankheiten, Er­krankungen des rheumatologischen For­menkreises (Arthritis) und bei Koliken. Neu­ere Untersuchungen zeigen, dass der hohe Gehalt an ungesättigten Fettsäuren, Pekti­nen und antioxydativen Molekülen wie Poly­phenole und Y­Tocopherol künftig in der Prävention von Herz­Kreislauf­ und Krebs­erkrankungen eine wichtige Rolle spielen könnte (ROUSSEAU et al. 1996, COLL 2012).

Abb. (links) P. brigantina: späte Blüte Ende April; (rechts) in dichten Trauben hängende Früchte mit rötlicher Färbung der sonnenzuge-wandten Seite

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138 ◗ Jahresheft 2015 Jahresheft 2015 ◗ 139

PROJEKTE

Rotgoldene Perlen aus Großherzogs SchatzkammerLuxemburgs rotbunte Kirschenvielfalt

Dr. Annette Braun-Lüllemann, Richard Dahlem

Luxemburg und Kirschen ist eine Verbin­dung, die sich vielleicht nicht jedem sofort aufdrängt. Doch sicherlich ist einigen durch das Buch „Äpfel und Birnen aus Luxem­burg“ (FONDATION HËLLEF FIR D’NATUR, Hrsg. 2007) bekannt, dass sich die Organisation natur&ëmwelt – Fondation Hëllef fir d’Natur seit langem intensiv mit Kernobstsorten­erhebungen befasst. Natur&ëmwelt enga­giert sich als landesweit bedeutsamste Organisation im Bereich Umwelt­ und

Naturschutz in Luxemburg u. a. im Bereich von Pflege, Förderung und Erhalt von Bon­gerten, wie Streuobstwiesen auf luxembur­gisch genannt werden. Seit einigen Jahren hat die Organisation ihr Engagement auch auf den Steinobstbereich ausgedehnt. In diesem Rahmen existiert eine jetzt vierjährige Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern der Stiftung Richard Dahlem, Elena Granda­Alonso, Georges Moes, Marc Thiel und der Autorin. Finanziell unterstützt wird das Projekt vom Ministère du Développement durable et des Infrastructures, Département de l’Environnement, der Biologischen Station SIAS, dem Naturpark Müllertal sowie den Gemeinden Ettelbrück, Wincrange und Waldbredimus. Vorgestellt werden sollen hier die Ergebnisse der Kirscherfassungen der Jahre 2011 bis 2015, wobei das aktuelle Untersuchungsjahr noch nicht abschlie­ßend ausgewertet ist.

Abb. Projektgruppe mit Kirschanbauer (v. links) Kirschanbauer Jos Mousel, Elena Granda Alonso, Richard Dahlem, Marc Thiel, Georges Moes

Für mich war Luxemburg erst einmal ein weißer Fleck auf der Landkarte, der jedoch Farbe annahm, als die verfügbaren histori­schen Baumschulkataloge ausgewertet wurden. Die Recherchen zeigten, dass offen­sichtlich viele der in Deutschland einst ver­breiteten und empfohlenen Kirschsorten schon bereits vor langer Zeit den Weg nach Luxemburg gefunden hatten. Ja, die Baum­schullisten ließen darauf schließen, dass sich die Luxemburger offensichtlich das Beste aus den traditionellen, deutschen Kirschanbauregionen herausgepickt hatten, wobei die rheinisch­deutschen Regional­sorten einen Schwerpunkt bildeten: Cardorfer Frühe und Grevenbroicher vom Niederrhein sowie Bopparder Frühe, Geisepitter und Geld(k)lose vom Mittel­rhein. Doch auch ein französischer Einfluss mit Sorten wie Marie Gaucher, Impératrice (Eugenie) oder Belle de Montreuil ist in den historischen Listen zu erkennen. Mit Span­nung erwarteten wir daher, was von den einst verbreiteten Sorten heute noch zu finden sein würde.In Luxemburg ist es vor allem eine Region, die sofort mit Kirschanbau in Verbindung

gebracht wird: Das Trintinger Tal, ein süd­westlich der Hauptstadt Luxemburg gele­genes Seitental der Mosel. Ausdruck der Tradition ist das „Kiischtefest“, das sich im Jahr 2015 bereits zum 70. Mal jährte. Es schien daher naheliegend, die Kirsch­erfassungen im Trintinger Tal zu beginnen. Bereits der erste Besuch der Bongerten dieses schönen Tales bot eine große Über­raschung: Rotbunte (rot­gelbe) Kirschen soweit das Auge reicht, dicht an dicht, eine geschmackvoller als die andere, alle ähnlich und doch offensichtlich viele unterschiedli­che Sorten. Um es vorweg zu nehmen: Noch nirgends habe ich dermaßen in den feinsten, aromatischsten Geschmacksnuan­cen geschwelgt wie in Luxemburg. Und noch nirgends habe ich mir so „die Zähne ausgebissen“ wie bei den rotbunten Sorten in ebendiesem Ländle. Es gibt die unüber­troffenen Lokal­ und Regionalsorten, allen voran die Geschmacksbomben Choque und Rouja, daneben Hänkesch (Hängige) und so unübersetzbare Namen wie Geluede Kiischt, Stoffelskiischt, Bongaren oder die fest­fleischige Straussen. Man möchte glauben, dass den Luxemburgern diese regionale Vielfalt hätte ausreichen können, sind hierunter doch die aromatischsten Sorten, die ich je gekostet habe. Aber weit gefehlt, diese Gourmets hatten ein wahres Faible für rotbunte Schätzchen, und so trugen sie alle nur erdenklichen Sorten dieser Gruppe zusammen: Meine Favoritin (in Deutsch­land), Tilgeners Rote Herzkirsche aus Guben und ihre hübsche Schwester, Winklers Weisse Herzkirsche, die zuckersüße Kunzes aus Mitteldeutschland, Grossrote aus Bay­ern, Elton aus England oder – der Tradition bis in neuere Zeit folgend – die ebenfalls britische, aber modernere Merton Glory. Doch damit nicht genug:

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188 ◗ Jahresheft 2015

BERICHTE AUS DEM VEREIN

Europom 2014 – Zum Jubiläum wieder in Alden Biesen

Sabine Fortak

Vor 25 Jahren richtete die „Nationale Boom­gardenstichting“ (NBS) die erste Europom aus. Die NBS mit Ludo Royen lud zum Jubi­läum wieder einmal zur Landkommanderij Alden Biesen ein. Früheste Erwähnung fand Alden Biesen (Provinz Limburg) 1220. Das Wasserschloss war Sitz des Deutschen Ordens. Es ist eines der größten Schlösser zwischen Loire und Rhein. 1971 vernichtete ein Brand große Teile der Gebäude. Der belgische Staat kaufte die Ruinen und ließ die Schlossanlage im Zustand des 18. Jhs. wieder aufbauen. Große ehemalige Scheunen standen den ausstel­lenden Delegationen zur Verfügung. Man füllte die vielen Flächen ohne Probleme mit interessanten Fruchtausstellungen:

Ein bis zwei große Tische standen für jede Gruppe zur Verfügung und eine ganze Scheune für die Gastgeber. Diese hatten die Ausstel­lungsregale der Europom 2011 in Zug/Schweiz übernommen und so ihre Früchte wunder­schön präsentieren können. Der ursprüngliche Gedanke der Europom war (anders als die IPT, Internationale Pomo­logentage) eine reine Obst­ausstellung ohne Vorträge. Zu dieser Form kehrte man diesmal in Alden Biesen zurück.

Nicht, dass es deshalb langweilig gewesen wäre! Neben den Obstausstellungen wur­den Äpfel und „Stroop“, das bei uns Apfel­kraut bzw. Birnenkraut heißt, verkauft. Das „saftmobiel“ presste im Lohnmost und bot 0,2 l Apfelsaft mit Europom­Etikett an. Bücherstand, Marktstände und gutes Essen (z. B. pannenkoek mit stroop) füllten die Scheunen und den Hof, die Besucher zahl­ten Eintritt.

Am Samstag wurde die Obstsorte des Jahres der Nationalen Boomgarden­stichting – Krijgspeer – vorgestellt. Die Birne schmeckte roh ziemlich schrecklich. Ihre wahren Vorzüge zeigte sie erst gekocht als unvergleichlich schmackhafter Nach­tisch beim gemeinsamen Abendessen.Die Sorte stammt wahrscheinlich aus der Region Maaseik, wurde von Apotheker Stoffels (1764–1853) in England eingeführt und breitete sich danach über die Nachbar­länder aus. Sie ist eine vorzügliche Most­ und Kochbirne.

Abb. Der hintere Schlosshof vor dem Fest; (links) die Mobile Presse verkaufte Apfelsaft mit Europom-Etikett; (rechts) Fruchtsorten vor historichem Hintergrund Fotos: (alle dieses Artikels) S. Fortak

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Auf Seiten dieser Ausgabe

87: Roter Mond 90: Herrnhäuser Christbirne80: Pohls Schlotterapfel79: Steebs Unerreicht

77: Susanne Apfel76: Gustavs Dauerapfel57: Baumanns Renette57: Gelber Edelapfel

46: Königin Luise45: Korbacher Edelreinette39: Großherzog Friedrich von Baden39: Fießers Erstling

13: Komsomolez11: Safran-Pepping10: Borsdorf-Kitajka9:Bellefleur-Kitajka

156: Frankelbacher147: Bongaren147: Choque146: Rouja

143: Jokerbierger Schwarzk. 144: Alte Luxemburger140: Bigarreau Noir 141: Montmorency

137: Wehntaler Hagapfel136: Anna Späth135: Köstliche aus Charneu 135: Benjaminler

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