Ponge, Die Seife

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Etion Otto F.Wt Fran Ponge Die Seife Lud Verlag ( l� �)

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Francis Ponge, Die Seife (Neuwied: Luchterhand, 1969), "Le savon" übersetzt von Maria Bosse-Sporleder.

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Page 1: Ponge, Die Seife

Edition Otto F.Walter Francis Ponge Die Seife

Luchterhand Verlag

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Page 2: Ponge, Die Seife

Titel der französischen Originalausgabe »Le Savon­Deutsch von Mada Bosse-Sporleder

© 1967 by Editions Gallirnard, Paris Alle deutschen Rechte beim Hermann Luchterhand V erlag GmbH, Neuwied und Berlin, 1969

ANFANG DES DUCHES

Der Leser wird gleich zu Beginn gebeten (sehr bald wird er. verst�en, warum) -als Startbedingung sozusagen - sich in Gedanken mit deutschen Ohren zu ver-sehen.

·

Und daß er sich ihrer bedienen möge, hin und wieder - olme daß es eines anderen Hinweises bedürfte-, wenn wir eine Stirnulierung einschieben, die mehr dem Hörer gilt: solche Passagen werden sich seinem Auge stets in Form einer nach rechts geneigten Verschwommenheit darbieten (oder sagen wir, derweil wir uns noch auf der Bahn von Babel bewegen: kursiv).

Sobald sich unsere SEIFE auf der Umlaufbahn befindet, erübrigt sich der­gleichen lästiger Zwang.

II !I I' I

Page 3: Ponge, Die Seife

DIE SEIFE

Meine Damen 1mdHerren,

vielleicht werden Sie zuhören ... Auf jeden Fall hören Sie bereits . • . BUMS!! (Hören Sie?) Sie hören in diesem Augenblick die ersten Zeilen eines Textes, ... die Lesung der deutschen Übersetzung der ersten Zeilen eines Textes, der ursprünglich auf frauzösisch geschrieben wurde ...

Nicht also von mir geschrieben wurde, dem deutschen Sprecher, desseu Stimme Sie hören ... sondern vomfranzösischen Autor, der zu Ihner� durch meine Stimme spricht.

Er hat dies geschrieben. Oder vielmehr -spräche er selbst - und, in Wirklichkeit spricht er ja ar�ch, durch

meine Stimme, zu Ihnen-so würde er Ilmen sagen, er sagt Ihnen: Nein, dies habeich nicht geschrieben, ich schreibe es, ich schreibe es jetzt,für Sie, die deutschen Hörer.

Jetzt schreibe ich diese ersten Zeilen. Ich bitt Ihnetl um nichts voraus. Ich bin nicht weiter als Sie. Wir werdm fortfahren, schon fahren wir gemeinsam fort; Sie hören zu, ich spreche; wir sitzet� i m selben Wagen, oder im selben Boot.

*

Und doch, wo bin ich in Wirklichkeit? Ich sitze an meirum Tisch, i11 Frar1kreich, in meinem Hatts. Während Sie- weljl der Himmel, wo Sie sind. Sie selbst wissen natiir­lich, tvo Sie sind, Sie wissen es besser als ich. Sie wissm auch, ob Sie zulzören, oder ob Sie nur halb hinhören, während Sie in Ihm Wohnung vielleicht einer Beschäftigung nachgehen und, möglicherweise, sogar eine UnterhaltungfUhren ... BUMS I I Vonjetzt ab werde ich so ttm, als hörtett Sie mir zu ...

Höre11 Sie also zu!

*

Meine Damen rmd Herren,

als mau mir den Vorschlag machte, einen Text für Sie zu schreiben, kam mir sofort eine Idee, eine sehr eigermütz ige Idee: ich wollte die Gelegenheit m1tzen, t�m eine Arbeit zu Ende zu führen., die vor sehr langer Zeit begonnen wurde, die ich aber, trotz mehr-

Jaeher Versuche, nie habe zu eimm Abschluß bringen können. ·

Dank Ihnen, dank dieser Vorstellung, daß wir gemeinsam fortfahren, 1vird es mir hetlte gelingen, komme, was Ja wolle.

Ich kann nicht anders!

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Hier sitze ich also, an meinem Tisch, bin gezwungen zu schreiben, und auf diesem Tisch, zu meiner Linken, liegt eine Mappe.

Die Mappe mit meinen Aufzeichnungen für diese Arbeit, die umfangreiche Akte meiner Ar.ifzeichnungen ... von dreiundzwanzig Jahren!

·

Aber halt! Achtung! Attention! Höretl Sie das Geräusch dieses Aktenstoßes, den ich ergriffen habe, den ich jetzt hoch-

hebe und derl ich., eigens for Ihre Ohren, jetzt auf dert Tisch fallen lasse . .. (Geräusch.) Haben Sie gehört? Ntm denn, ich werde diese Mappe jetzt öffnen. Doch halt: was steht denn da mif dem

Aktendeckel geschrieben? Da steht, in sehr großen Buchstaben, handgeschriebetl, mit schwarzer Tinte:

DIE SEIFE.

*

Le Savon, meine Danzen uttd Herren, die Seife, die Seifenkugd, Sie wissen natür­lich, was das ist.

Sie benutzerJ sie jedm Tag. Sie haben eine sehr bestimmte Vorstellung davon, die uns allen gemein ist und der

dieses Wort voll und ganz gerecht wird. Sie ist ein physikalisch faßbarer Gegenstand. Auch fiir mich ist sie das, natiirlich. Aber für mich ist die Seife, tltm, sie ist . .. heute ist sie vor allem noch dieser verflixte

Aktmstoß! Ah! Diese Akten-Seife, diese Seifen-Akte, wie schwer macht sie' s mir seit nunmehr

zwanzig oder fiinfunfzwanzig Jahren. Diese Seife, von der ich mich (zum Gliick) heute innerhalb weniger Minuten befreien werde.

Also los/ Öffnen wirdie Akte!

*

Doch vorher noch eine Wamung! Sie werden sich vielleicht über die häufigen, lästigen - i11 der Literatur sonst un­

gewöh11lichen- Wiederholungen wundern, die der vorliegende Text enthält. Oft werden Sie sich sagen: »Er wiederholt sich ja! Das habe ich doch schon einmal

gehört, vor ei11 paar Minutett erst!« Nun denn, soll ich mich dafür entschuldigm? Nein! Ich etltsclwldige mich uttgern,

noch dazu, 1110 Sie dieses Verfahren, diese Methode sehr wohl in der Musik gelten lassen: diese Wiederholungen, nicht wahr, die Dakapos, die Variationeil über dasselbe Thema, die Kompositionen in Form einer Fuge, die Sie h1 der Musik sehr wohl geltett lassen, die Sie gelten lassen und die Sie genießen-weshalb sollten sie uns in der Literatur verboten sein?

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Können Sie mir das sagen? Aufjeden Fall sind Sie jetzt gewarnt. Denn auf diese Art tmd Weise arbeite ich nun mal, so bilden sich in mir die Vor­

stellungen, so entfaltet sich der Gedanke; und man muß doch -das werden Sie mir zu­gestehett- ehrlich sein; man darf doch beim Denken nicht mog_eln.

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Meine Damen 1md Herren, hier also sind die erstenAujzeich11ungen, die ich im April 1942 zu Papier brachte, in Roanne, einer kleinen Stadt in Mittelfrankreich, tuohiu wir, meine Familie und ich, uns zurückgezogen hatten -wie man damals sagte -oder ge­

flüchtet waren. Wir befanden uns also mitten im Krieg, das bedeutete Einschränkungen aller Art;

und Seife, besonders richtige Seife,fehlte uns. Es gab nur üblen Ersatz- 'der überhaupt nicht schäumte.

·

Vielleicht war das eine der- unbewußten - Ursachetl for meine Seifeninspiration -so muß man sie wohl nem1en- im April 1942 . . . ?

Doch hier nun diese ersten Aufzeichnungen - rmd VOlt jetzt ab werde ich mich nicht 111 ehr unterbrechen ...

Keine weiteren Kommentare ...

DIE SEIFE, nur die Seife!

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Page 6: Ponge, Die Seife

DIE SEIFE

Roanne, April1942

Wenn ich mir damit die Hände einreibe, schäumt die Seife,jubelt sie ... Je mehr sie die Hände willfährig macht, schmiegsam, glatt, weich, desto mehr schäumt sie, desto üppiger schäumt sie perlmutterglänzend auf ... Ein Zauberstein! Desto schneller bildet sie mit Luft wtd Wasser explosive Trauben duftender Beeren ... Luft, Wasser und Seife greifen übereinander, springen Bock, gehen Verbindungen ein, weniger chemisch als physikalisch, turnerisch, akrobatisch ... Rhetorisch?

Ober die Seife läßt sich viel sagen. Buchstäblich alles, was sie von sich selbst berichtet, bis z u ihrem völligen Verschwinden, bis zur Erschöpfung des Themas. Genau dieser Gegenstand ist mir recht.

*

. Die Seife hat viel zu sagen. Sie sage es mit Begeisterung, lasse ihre Suada her­vorsprudeln. Wenn sie aufgehört hat zu sprechen, existiert sie nicht mehr.

*

Eine Art Stein, der sich aber von derNatur nicht mitspielen läßt: lieber schlüpft er einem durch die Finger und schmilzt zusehends, als sich von den Wassem überrollen zu lassen.

Das Spiel besteht also darin, ihn zwischen den Fingern festzuhalten und mit der richtigen Menge Wasser zu reizen, damit eine üppige, perlmutterglänzende Reaktion erfolgt ...

Läßt man ihnjedoch darin verweilen, vergeht er vor Trübnis.

*

Eine Art Stein, aber Ua! eine-Art-Stein-aber) einer, der sich nicht passiv von den Naturkräften betasten läßt: er schlüpft ihnen durch die Finger, schmilzt dort zusehends.

Er schmilzt lieber zusehends, als sich von den Wassem überrollen zu lassen.

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*

Nichts in der Natur läßt sich mit der Seife vergleichen. Kein Kiesel, kein Stein, der so schlüpfrig wäre und zwischen den Fingern, wenn es gelingt, ihn dort fest­zuhalten und mit der richtigen Menge Wasser zu reizen, mit so üppigem Schaum reagierte, perlmutterglänzend, aus so vielen Trauben saftiger Blasen.

Hohle Beeren, seifenduftende Beeren! Ballungen. Sie schlürft die Luft, schlürft das Wasser rund um die Finger. Obwohl sie zunächst träge und amorph in einer Schale ruht, hat die Seife es in

der Hand, unsere Hände gefällig, williährig zu machen, damit sie sich des Wassers bedienen, das Wasser bis ins Letzte für sich nutzen.

Und so gleiten wir von den Wörtern zu den Bedeutungen: in einem klaren Rausch oder vielmehr einem Aufwallen, einem kalten Brodeln, regenbogen­farben, doch klar, aus dem man im übrigen mit saubereren Händen hervorgeht als vor Beginn dieser Übung.

*

Die Seife ist eine Art Stein, aber kein natürlicher: empfmdlich, verletzbar, kompliziert.

Sie hat eine besondere Art von Würde. Weit davon entfernt, sich zum Vergnügen (oder auch nur als Zeitvertreib) von

den Kräften der Natur mitspielen zu lassen, schlüpft sie ihnen durch die Finger; schmilzt dort lieber zusehends, als sich passiv von den Wassern überrollen zu lassen.

Daraufhin zwangen uns die damaligen Umstände, Roanne Ztl verlassen; im folgen­det1 Kapitel befinde ich mich in einem Dorf nördlich von Lyon, in Coliguy.

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Coligny, den J.]uli 1943

Nichts in der Natur gleicht der Seife. Kein Stein, der so schlüpfrig wäre und zwischen den Fingern - wenn es gelingt, ihn dort festzuhalten und mit Wasser zu reizen -mit so üppigem Schaum reagierte, perlmutterglänzend, aus so vielen Trauben saftiger Blasen.

In der Gestalt hohler und künstlich parfümierter Beeren schlürft die Seife das Wasser, schlürft sie die Luft rund um die Finger, umschließt eine Menge Luft, umschlingt, umarmt, umkreist sie, schweift um sie herum, regenbogenfarbene Scheinkugeln einer Seerosengestalt, eines Körpers, oder eine Nymphe von sonderbarer Elastizität.

Emphase, Begeisterung, Suada. Das regenbogenfarbene, wiewohl extraklare, kalte Brodeln ...

Ja. So amorph sie zunächst in der Schale ruhen mag, hat die Seife es in der Hand, sich unsere Hände willfährig zu machen, damit sie sich des Wassers be­dienen, es bis ins Letzte für sich nutzen, auf daß es anhänglich werde, besorgt, aufmerksam um uns bemüht, derart verwandelt, daß es hinfort endlos mit uns

tanzen will i n seinen Schleiern, seinen Schals, seinen Ballroben. Und wir er­schöpfen es unsererseits bis zur Neige ... Sie sehen, daß das eine Art Teufelskreis ist, ein gegenseitiger Mißbrauch ... (Nichts ist einem Backtrog ähnlicher als eine Schüssel, aber sie ist ein Trog, in dem der Mensch nie etwas außer seinen Händen vorfindet.)

... Und so kommen wir von den Wörtern zu den Bedeutungen ... inmitten von einem klaren, schillemden Rausch, oder vielmehr einem Aufwallen, einem kalten Brodeln, aus dem wir i m übrigen hervorgehen, und hier ist nun der tiefere Sinn- mit saubereren Händen, reineren als vor Beginn dieser Übung.

*

Die Seife wurde vom Menschen für die Pflege des menschlichen Körpers ent­wickelt; dennoch hält sie sich nicht gerne bei ihm. Dieser träge Kieselläßt sich fast so schwer festhalten v.>ie ein Fisch. Schon entschlüpft er mir nnd taucht wie ein Frosch ins Becken ... und wühlt aus eigener Kraft eine blaue Wolke von Ver­flüchtigung, von Trübnis auf ...

*

Welch herrliche Lebensweise fiihrt uru die Seife vor! In der Sonne trocknet ihre Stirn, bräunt sich, verhärtet sich, wird runzelig,

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rissig. Die Kümmernisse furchen sie. Doch nie bewahrt sie sich besser als so: tatenlos, vergessen.

Im Wasser dagegen, wo sie gefügig wird, kreiselt, sich wohl zu fühlen scheint­man kann sie kaum darin fassen -wo sie sich bewegt, geschmeidig wird, auch mitteilsamer, beredt-da verausgabt sie sich mit erschreckendem Ungestüm und bleibt darob nicht ungestraft ... Heißt man das eine ausschweifende Lebens­weise? Ich sehe darin genausogut das Zeichen einer besonderen Würde ...

*

Für eine Seife sind die Haupttugenden die Begeisterung und das Hervor­sprudeln einer Suada. Zumindest eine Begabung für flüssigen Ausdruck. Das ist, obwohl es auf der Hand liegt, noch nie gesagt worden. Nicht einmal von den Werbefachleuten. Also! W ieviel bieten mir Cadum oder Palmolive? - Nicht einen Pfennig? Es ist ihnen nie in den Sinn gekommen! Aber wir werden ihnen zeigen, was wir alles können ...

..

Die Seife hat einen gewissermaßen verehrungswürdigen Charakter. Warum verehrungswürdig? Weil ihr Verhalten zugleich höchst sympathisch und abso­lut unnachahmlich ist.

Da ist also eine Art von mittelmäßigem Kiesel, der flach in der einfachsten -oft in der schadhaftesten- Schale rul1t, die der Haushalt aufweist.

Es kommt ein Mensch mit schmutzigen Händen. Nun wird die vergessene Seife sich ihm hingeben. Nicht ohne einen Anflug von Koketterie. Sie hüllt sich in schillernde, regenbogenfarbene Schleier und will sich doch schüchtern davonstehlen, vedlüchtigen. Es gibt keinen flüchtigeren Stein in der Natur. Aber mm besteht das Spiel ja darin, sie zwischen den Fingern festzuhalten und dort zu reizen durch Beigabe der richtigen Menge Wasser, um einen üppigen Schaum zu erzielen, perlnlUtterglänzend, während sie, ließe man sie im Wasser verweilen, dort verginge in Trübnis.

Denn die Seife hat ihre besondere Würde. Sie ist ein Stein, jedoch einer, der nicht zuläßt, daß die Kräfte der Natur ihm passiv mitspielen. Sie schlüpft ihnen durch die Finger, heftet sich irgendwo an den Boden und schmilzt dort lieber zusehends, als sich von den Wassem befingern zu lassen.

Der Mensch nutzt das aus. Wenn er sich mit ihr die Hände einreibt, schäumt d.ie Seife, jubelt sie. Je wilder sie sich gebärdet, desto üppiger wird ihr Schaum, perlmutterglänzend, desto willfähriger macht sie die Hände, glatt, geschmeidig, weich.

Ein Zauberstein!

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... Desto schneller bildet sie mit Luft und Wasser explosive Trauben duften­der Beeren.

Luft, Wasser und Seife greifen übereinander, springen Bock, gehen empha­tische, leichte Verbindungen ein, die ein Hauch, ein Lächeln, ein klein wenig zu viel an innerer Eitelkeit, die geringste Übertreibung sprengen kann ...

Oder eine Wasserkatastrophe. ·

Man sieht, daß ich die Ausführungen, die Variationen übertrieben habe; daß der Stil gewissermaßen seifig geworden ist, sprudelnd, schäumend -wie der Schaum vor dem Maul eines galoppierenden Pferdes -.

Ich habe das natürlich mit Absicht getan. W eiß ich doch, daß einige Sätze reiner Vernunft (oder Ironie<) hinreichen

würden, dies alles zu säubern, aufzulösen, und wegzuspülen.

(Diese Version, genannt »Faselei der Seife«, entstand am J.]�tni 43 in Coligny.)

*

Coligny, den g.Juni 1943

Nichts in der Natur läßt sich mit der Seife vergleichen. Kein Stein ist be­scheidener und großartiger zugleich.

Die Seife hat, offen gestanden, einen gewissermaßen verehrungswürdigen Charakter. Ihr Verhalten ist unnachahmlich.

Es beginnt mit vollkommener Zurückhaltung. Die Seife zeigt sich zunächst äußerst reserviert, wiewohl mehr oder weniger

diskret parfümiert. Doch dan.n, sobald man sith mit ihr beschäftigt, welch -ich würde es nicht Feuer nennen, natürlich, aber- welch großartiger Elan! Welch äußerste Begeisterung in der Selbsthingabe! Welche Großzügigkeit! Welch sprudelnde Suada, unerschöpflich fast, unvorstellbar!

Im übrigen kann man sich ihrer sogleich wieder entledigen, aber dieses Aben­teuer, diese kurze Begegnung läßt einen-und das ist das Erhebende -mit reine­ren Händen zurück, als man je zuvor hatte.

*

Um den Eigenschaften dieses Gegenstandes gerecht zu werden, muß ich das etwas ausführen, ihn vor Ihren Augen schäumen lassen.

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DIE SEIFE

ABSTRAKTES THBMA

(Begriff der geistigen Reinigu11g)

Coligny,]utti 1943

Wenn ich zeigen wollte, daß Reinheit nicht erreicht wird durch Schweigen, sondern durch irgendeine Sprachübung (unter bestimmten Bedingungen mit einem gewissen, kleinen, lächerlichen Gegenstand in den Händen), der eine plötzliche Katastrophe reinen Wassers folgt.

Welcher Gegenstand wäre besser dafür geeignet als die Seife?

*

Heftiges Verlangen, Toilette zu machen. Lieber Leser, ich nehme an, daß du gelegentlich den Wunsch hast, Toilette zu

machen? Für deine geistige Reinigung folgt jetzt ein Text über die Seife.

*

Coligny,]uni 1943

... Hier also, lieber Leser, für Deine geistige Reinigung (bist du ein Freund von mir, so empfindest du es manchmal als gebieterische Notwendigkeit) ein kleines Stück wahrer Seife.

Denn in der Tat kann der Mensch sich nicht in reinem Wasser säubern, käme es auch herab in Sturzbächen, in denen man sich ertränken könnte; er kann sich weder im frischen Wind säubern, sei er auch noch so parfümiert, noch durch das Schweigen, noch durch Gebet (nicht einmal mitten im Jordan, bis zum Gür­tel im Wasser), noch durch Selbstmord in der schwärzesten Quelle ( trotz allerlei gängigen Vorurteilen darüber).

Dafür braucht er etwas -es ist nicht viel, aber unbedingt nötig-, etwas in der Hand (im Munde), das mehr Substanz hat und vielleicht weniger Natur, etwas Künstliches und beredt Sprudelndes, etwas, das sich entfaltet, entwickelt tmd das zugleich sich verliert, verringert. Etwas, das stark erinnert an das Sprechen, das unter bestimmten Bedingungen erfolgt .. .

. .. Mit einem Wort : ein kleines Stück Seife.

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Page 11: Ponge, Die Seife

Dafür braucht es diesen Kern azurblauen Nebels. Diesen Wirbelwind aus zartesten Kugeln.

Diese zauberhafte (verzaubernde) Inszenierung, hinter der die Erinnerung entschwindet.

Die Erinnerung an allen Schmutz löst sich auf, und die schlechteste Lösun.g hierfür wäre sicherlich, daß sie von Ihrer oder Ihrer Eltern fixen Idee dazu ver­leitet würden, sich mit gekreuzten Armen in irgendeinen schalen Neben.ß.uß des Toten Meeres zu versenken.

Frische Haut! Reiner Tisch!

Dieses Ei, diese platte Scholle, - diese kleine Mandel, die sich so schnell verwandelt (im Handumdrehen) in einen chinesischen Fisch Mit seinen Schleiern, seinen Kimonos weiten Ärmeln So feiert sie ihre Hochzeit

*

mit dem Wasser. Das ist ihr Wasserhochzeitskleid.

Es ist kein Ende Abzusehen mit der Seife!

*

Coligny,]uli 1943

... Dennoch muß man sie ihrer Schale zurückgeben, ihrer herben Erschei­nung, ihrem strengen Oval, ihrer trockenen Geduld und ihrer Gabe, immer wieder zu dienen.

*

Coligny, Jen 6.juli 1943

THEMA (trocken und bescheiden in ihrer. Schale) UND VARIATIONEN (üppig und perlmutterglänzend) über

DIE SEIFE {gefolgt von einem Absatz über das Spülen mit reinem Wasser).

Für die geistige Toilette genügt ein kleines richtig gehandhabtes Stück Seife. Wo Sturzbäche einfachen Wassers nichts säubern würden.

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Auch das Schweigen nicht oder dein Selbstmord in der schwärzesten Quelle, du absoluter Jüngling.

*

Ja doch: Unter der Pumpe zu leben, führt zu nichts. Auch nicht, im Wasser des Jordan zu verweilen. (Die schlechteste Schüssel ist weit besser ... ) Wenn man nicht diesen mittelmäßigen Kiesel (magischer :Natur) in Händen hält (be­nutzt) ... Und wenn man ihm nicht das Wort erteilt.

Kaum hat man ihn darum ersucht, welche Beredsamkeit! Mit welcher Begeisterung, welch schillernder Suada umgibt er die Hände,

die ihn aus seiner Stummheit lösen, und schließlich den ganzen Körper seines Befreiers.

Welcher Jubel, dessen wir uns bewußt werden sollten! Vielleicht hast du mich schon verstanden, und ich könnte jetzt aufhören.

Aber was soll's! Die Natur meines Gegenstandes erlaubt, daß auch ich genieße und dir Genuß bereite durch üppigere Ausführungen, die dennoch leicht blei­ben, flüchtig auch und reinigend (wie es sich gehört).

*

Coligny, den 8.]uli 1943

DIE SEIFE

Gott sei Dank ist eine gewisse Faselei angebracht, wenn es sich um Seife handelt, die Seife betrifft. Über die Seife gibt es mehr zu faseln als zu sagen. Doch das sollte einen nicht beunruhigen, wie es einen auch nicht beunruhigen sollte, daß immer dasselbe gesagt wird. Man darf, man muß faseln. Faseln- was be­deutet das eigentlich? Sich selbst ein wenig lächerlich machen, die Wörter ein bißchen lächerlich machen. Doch immer die Seife in Händen halten. Sie dann in die Schale zurücklegen und die Übung durch eine einfache Wasserkatastrophe unterbrechen (den Wasserhahn aufdrehen, ein Absatz genügt).

Und das Wunderbare daran ist, daß man mit saubereren Händen daraus her­vorgeht, mit reineren Händen.

*

Geher.t wir noch weiter tmd sagen, daß für jegliche ernsthafte Säuberung ein Stück Seife nötig ist; man kann sagen, das genügt.

Es hat sich in der Tat erwiesen, daß man mit Wasser allein sich nicht richtig säubern kann. Nicht einmal unter Sturzbächen reinsten Wassers. Oder im Schweigen der schwärzesten und kältesten Quelle, wo d.u, o Jüngling, versucht

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werden könntest, dich zu ertränken. Selbst dann nicht, wenn man in den Brun­nen der Wahrheit tauchte! Nichts von all dem könnte bewirken, daß der Schmutz auf unserer Haut auch nur die Stirn runzelte. Auch führt es zu nichts, unter der Pumpe zu leben, wo man Gefahr läuft, am Schluckauf zu sterben.

Und nur um der Erinnerung willenzitiere ich die gänzlich überholte Möglich­keit, die darin besteht, in irgendeinen schalen Neben.B.uß des Toten Meeres (in ein Wasser, das zum Toten Meer hinfließt) mit gekreuzten Armen bis zum Gür­tel einzutauchen und dort einige Gebetsblasen hervorzublubbem, während man

mit zwei nassen Fingern Stirn, Nabel und Brust berührt. Dann lieber die geringste Schüssel und das kleinste Stück Seife!

*

Über die Seife läßt sich viel sagen. Buchstäblich alles, was sie von sich selbst berichtet, wenn man sie mit Wasser auf eine bestimmte Weise reizt. Gleich scheint sie gewillt, viel zu reden. Soll sie nur. Mit Begeisterung, sprudelnd. Bis sie i.lt der Erschöpfung ihres eigenen Themas verschwmdet. Wenn sie aufgehört hat zu reden, existiert sie nicht mehr. Je mehr Zeit sie sich nimmt, je länger sie reden kann, je langsamer sie schmilzt, desto besser ist ihre Qualität.

Natürlich sagt sie immer dasselbe. Und sie sagt es jedem ohne Unterschied. Sie äußert sich allen gegenüber in derselben Weise.

Ein schwatzhafter Stein . ..

Daß sich viel, beinah unendlich viel über die Seife sagen läßt, liegt auf der Hand. Vielleicht auch mehr faseln als sagen. Hier ist eine gewisse äußerst flüssige Redeweise am Platz. Und eine gewisse Begeisterung, sich aufzulösen, sich hin­zugeben.

Auch zögere man nicht, immer wieder dieselben Dinge zu sagen. Und sie m immer derselben Weise zu sagen. Und sie jedwedem in derselben Weise zu sagen-jubelnd, versteht sich. Aber das Wunderbarste ist, daß man aus.diesen Übungen mit reineren Händen hervorgeht. Das ist der tiefere Sinn.

Und es versteht sich auch, daß diese Übung der geistigen Hygiene in höch­stem Maße zuträglich ist.

*

VORSPIEL ZUR SEIFE

Für die geistige Toilette ein kleines Stück Seife. Richtig gehandhabt, genügt.

Wo Sturzbäche reinen Wassers nichts säubern würden. Auch das Schweigen nicht. Noch dein Selbstmord in der schwärzesten Quelle, o absoluter Leser.

Unter der Pumpe zu leben, führt zu nichts. Außer zum Schluckauf. Und

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liegt in diesem Fall der Triumph des Absurden nicht darin, sich mit verschränk­ten Armen von einem Wasser umspülen zu lassen, das zum Toten Meer hinfließt.

Besser ist es, glaub mir, in der geringsten Schüssel . .. Aber dort ist sie ja, unter dem Wasserhahn, der vor Ungeduld läuft, um die trockene Zunge der Seife zu lösen.

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Der vorausgehende Text, langsam deklamiert, das heißt, im vorliegendeu Fall, sorg­foTtig in Schönschrift abgefaßt, schien mir voflständig genug, um ihn atz meine beiden damals besten Freunde zu schicken, an Albert Camus und Jean Paulhan.

Von Paulhan bekam ich keine Antwort. Von Cam�ts aber bald folgende:

*

Auszug aus einem Brief von Albert Camus: • Was die Seife betrifft, so kann ich Ihren Absichten nicht ganz folgen, wäh­

rend sie mir sonst sehr klar sind. Vielleicht ist das Ganze zu elliptisch, ich bin mir nicht ganz sicher. V ielleicht könnte man, olme etwas vom Wesentlichen zu opfern, die Gelenke beweglicher machen, die Konjunktionen ölen. Der Text sollte jedoch nicht verändert werden. Aber Sie verstehen sich darauf besser als ich. Übrigens wird damit ein wichtiges Problem angeschnitten. Meiner An­sicht nach gehört zur Meisterung des Stoffes zuweilen eine gewisse Ungezwun­

genheit. Ihre Ungezwungenheit ist meistens die lrorue. Aber auch die Ironie ist eine Ellipse. Und daher kommt es, daß der Leser Ihrer Texte den Eindntck hat, seine Empfindungen würden vergewaltigt, seine Intelligenz bloßgestellt - und man sei dabei im Recht. »Man«, das heißt, Sie.

Aber in den Douze petits ecrits sehe ich eine ganz andere Art der Ungezwun­genheit bei Ihnen, die ich gerne von Zeit zu Zeit wiederfinden würde (deshalb schätze ich vor allem den Kiesel oder Ihre Texte über Bäume). Natürlich sage ich >von Zeit zu Zeit<, denn das Wesentliche Ihrer Kunst findet sich nicht dort. Es fmdet sich in dem, was Sie zu tun beschließen und in aller Vollkommenheit ausführen.«

Das Schweigen votJ Paulhan, die Einschränkungen Camt�s· gaben mir viel zu denken, und langsam ergab sich - um meine Absichtm klarer zu machen, so klar wie möglich, ohne irgendtvie diesen Text zu ändern, mit dem ich zufrieden war, olme etwas hinztlzu­fügen, nicht einen Satz, nicht ein Wort - ein Plan für eine Art von Verteilung der Text­elemente, ich meine, der verschiedenen Sätze (grammatisch gesprochen), aus denen er besteht.

Eine Art von Verteilu11g, so wie der Regisset4r an verschiedene Stimmen, verschiedene Personen, den Text verteilt, aus dem er ein Schauspielmachen soll.

Ich betone, daß mein Text an sich dadurciJ in keiner Weise verändert werden sollte. Es ging nur darum, ihn zu inszenieren.

Und hier ist das Ergebnis, vom Anfang des Sommers 1944. Camus, der sich damals viel mit dem Theater beschäftigte 1md dem ich meine Absicht

brieflich mitteilte ( den11 er befand sich damals i11 Paris, wo er unter anderem an der Inszeniemng und der privaten Aufführtmg von Picassos Stück: Den Teufel am Schwanz gepackt teilnalrm ), redete mir sehr zu, dieses kleine StiJck über die Seife ab-

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zusc!lließen. Aber als ich damit fertig war ,fand ich in Aubetracl1t der damaligen Situa.­tion Frankreichs (Sommeratifang 1944), einfach uicht die Gelegenheit, es ihm zukom­men Zt4 lassen.

Hier also ist das Ergebnis, mein Ergebnis:

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Page 14: Ponge, Die Seife

DIE SEIFE

VORSPIEL

in Form einer SAYNBTEI

oder einem MOMON2

I. Eine Saynete ist nicht, wie man denken könnte, eine kleine Szene, sondern ein kleines Stück Fett, ein zartes Stück, zart und gleichzeitig nahrhaft, ja sogar wärmespendend. Das Grundwort ist sain, Fett, was wir in saindoux kennen, und danach, im Spanischen, in sainete: ein Zwischenspiel und, im Französischen, ein kleines Lustspiel des spanischen Theaters.

2. Ein Momon ist eine Maskerade, eine Art Tanz, der von Masken aufgeführt wird, gefolgt von einer Forderung, die die Masken über bringen. Die Wurzel ist dieselbe wie in momerie (Mumm�chanz). Darüberhinaus dürfte man jedes Kunstwerk so nennen, das seine eigene Karikatur enthält oder in dem der Autor seine eigenen Ausdrucksmittel ins Lächerliche zieht. Der Walzer von Ravel ist ein Momon. Diese Gattung ist für Epochen bezeichnend, in denen die Rhetorik verloren gegangen ist, sich sucht.

*

Personen: ERSTER SCHORNSTEINFEGER

ZWEITER SCHORNSTEINFEGER

KLEINER SCHORNSTEINFEGER (STUMM) TIPPFRÄULEIN

DER ABSOLUTE LESER

DER ABBE JEAN-BAPTISTE GRIBOUILLE

ERSTER PHILOSOPH

ZWEITER PHILOSOPH

DER DICHTER

Auf der Bühne ein Innenhof, der an den Park eines großen Hatms grenzt. Darin ein Becken oder eine tiefe Quelle: ein dunkles Wasser, das als Bach zum Park hin abfließt.

In eittem Mauervorspmng des Hauses befindet sich zu ebener Erde ein Waschbecken:

Wasserhahn, Waschschiissel, Sd1a.le mit einem Stück Seife, Frotteehandtuch. In einiger Enifermmg eine Pumpe. Ein eisemer Tisch.

Im Vordergnmd eine abschüssige Rasenfläche mit einigen verstre11ten Felsblöcken. Rechts auf dem Fels, der der Rampe am nächsten ist, eine Schreibmaschine.

Page 15: Ponge, Die Seife

Gewitterhitze. Staub. Wem1 der Vorhang aufgeht, treten die Schornsteinfeger (zwei Männer und ein kleiner

Junge) aus dem Haus. Sie tun, als ob sie den Ruß abschütteln, der sie bedeckt,Jahren sich mit müden Hä11den übers Gesicht. Scheinen aber im übrigen mit der Arbeit zufrie­den zu sein, die sie gerade getan haben. Sie blicken hinauf zum Dad1, zu den Schorn­steinen, zufrieden, auch damit fertig zu sein.

Gleichzeitig löst sich langsam eine Gruppe auf, die arif den Steinen oder dem Rasen gesessen hat: der Dichter und der Absolute Leser, die beiden Philosophen und der Abbe

Jean-Baptiste Gribouille. Sie alle tragen Bücher oder Papiere in der Hand. Man merkt, daß sie diskutiert haben, und ihre Gesten lassen sich mit denen der Schornsteinfeger vergleichen. Sie schnauben, rücken ihre Kleidung zrmcht, kämmen sich Bart oder Haare; aber sie scheinetr nicht nur müde, sondern eher unzufrieden. Sie gehen hinter dem Tippfräulein arif und ab, das an dem Steitr vor ihrer Schreibmaschine sitzt, der sie die scluvarze Wachstuchhülle wider übergezogen hat. Sie beugen sich mißmutig über die Seiten, die geschrieben sind, und einigen sich schließlich, das Tippfrätllein zu er­mächtigen, alles zu zerreißen. Der Dichter läßt beim Af.!fstehen seine Aufzeichnungen zr�rück. Der Leser wirft mit einemmal sein Buch fort und begibt sich zur Quelle, über die er sich mit finsterer Miene ber4gt.

Derweil haben die Schamsteinfeger sich dem Waschbecken Hnd der Pumpe genähert. Der Dichter behält sie im Auge. Plötzlich geht er auf sie zu, tritt vor ihnen ans Wasch.­beckm, ergreift ein Stück Seife und sagt, während er sich mit dem ganzen Körper seinen Gastgebem (und dem Publikum) zuwendet, in einem enthusiastischCil ut�d zugleich fragenden (feicht mokar1ten) Tonfall:

DER DICHTER

Für die geistige Toilette ein kleines Stück Seife? ...

ERSTER SCHORNSTEINFEGER

Richtig gehandhabt, genügt ... (Der kleine Schornsteinfeger betätigt schon die Pumpe.)

ERSTER PHILOSOPH (zeigt auf den kleinen Jtmgen ):

Wo Sturzbäche reinen Wassers ...

ZWEIT ER S CFI 0 RNSTEINFEGER (vertreibt Jen kleinen Jut�gen ): Nichts säubern würden .. .

DER ABSOLUTE LESER {über dieQuelle gebeugt): Auch das Schweigen nicht ...

ZWEITER PHILOS O P H

Noch dein Selbstmord in der schwärzesten Quelle, o absolu ter Leser!

30

(Dormer) (Der Abb! Jean-Baptiste Gribouille scheint von einer heiligenErleuchtung ergrif­

fen. Er weist mit einem Finger prophetisch gen. Himmel, holt u11ter seiner Soutane eine Statuette von Saint Sulpice hervor, stellt sie auf den Tisch, verneigt sich vor ihr, schlägt mehrfach das Kreuz UtJd kniet mit gefalteter! Händen unter der Pumpe nieder. Aus der Pumpe kommt kei11 Wasser.)

(Die Sonne scheint.)

ERSTER SCHO.RNSTJllNFEGBR

Unter der Pumpe zu leben. führt zu nichts ...

(Unverstät1dliches Gemurmel des Abbe.)

ZWEITER SCHORNSTBINF.BCER

Außer zum Schluckauf. · (Der Abbe hebt den Kopf, merkt, daß keilt Tropfen Wasser gefallen ist, hat aber nichts von seiner Sicherheit eingebüßt: fast schlafwandlerisch bewegt er sich auf die Quelle zu, wo er bis zum Gürtel i�s Wasser eintaucht, die Arme auf der Brust ge­kreuzt, die Augen zum Himmel erhoben, wie bei der Taufe im Jordan. Er verharrt in dieser Pose bis zum Ende des Aktes.)

ERSTER PHILOSOPH

Und lie gt in diesem Fall der Triumph des Absurden nicht darin ...

ZWEITER PHILOSOPH

Die Arme gekreuzt . . .

ERSTER SCHORNSTEINFEGER

Sich umspülen zu lassen ...

ZWBITilR PHILOSOPH

Von einem Wasser, das zum Toten Meer hinfließt ...

ZWEITER SCHONSTEINFEGER

Besser ist, glaub mir, in der geringsten Schüssel ... (Der kleine Junge hat den Wasserhahn aufgedreht und die Waschschüssel gefüllt.)

ERSTER PHILOSOPH (zum Dichter): Aber dor t ist sie ja, tmter dem Wasserhahn, der vor Ungeduld läuft ...

ZWEITER l'HILOSOPH

Um die trockene Zunge der Seife zu lösen.

31

Page 16: Ponge, Die Seife

DBR ABSOLU'I'B LESER (zu den Schornsteinfeger��, plötzlich auf die Statuette auf dem eisernen Tisch weisend):

Fort mit diesem Gott! Tisch und Schüssel herbei! (Die Schornsteinfeger tragen den Tisch aufs Proszenium, nehmen die Statuette fort,

ersetzen sie durch eine volle Wasserschiissel und die Schale, die ein Stück Seife entlzält.) (Zum Dichter): Erteile der Seife das Wort!

Der Dichter tritt vor, ergreift das Stück Seife und beginnt, währen,d er sich die Hände wäscht, zu deklamieren. Die Schornsteinfeger haben sich der Pumpe ge-11ähert tmd ziehen ihre Jacken aus. Während der Deklamation waschen sie sich mit ttacktem Oberkörper unter der Pumpe mit einem großen Stück stark schäumender Seife. Auch der kleine Junge wird gewaschen. Das Tippfräulein ttimmt die Hülle von ihrer Maschine, und während der Dichter spricht, zieht sie mit einem einzigen Griffihr Kleid aus und ersclteittt nackt (oder im Badeanzug). Der Absolt1te Leser verläßt die Balustrade der Quelle und stellt sich hinter das Tippfräulein, um die Deklamation auf den Seiten zr� verfolgen, die sie mit schwarzen Buchstaben be­deckt. Die Philosophen haben sich niedergesetzt oder aufgestützt und hören ztt.

Der Abbe verweiltreglosit� derQt4elle in seiner Posse erwartungsvollen Gebets . . .

{Ende des VORSPIELS)

Während der folgendeuDeklamation ertönt gedämpft eine ehernüchterne als sprühende streng kotttrapunktische Szettenmusik, der das Geräusch vott Schreibmaschitten zu­gnmde liegt. In der Tat klappert die Schreibmascftine tmunterbrochen. Ab rmd ztl hört matt aruh eht Geräusch, als würaen die Seiten eines Buches gervendet . . .

Ein sehr starker, von unten aus dem Zuschauerraum kommender Scheinwerfer wirft den Schatten der Schreibmaschinenwalze auf eine Leinwand, die den Bühnenhinter­grund ersetzt. Auf dieser Leinwand, die schei11bar eine Projektion des Schreibmaschitten­blattes darstellt, läuft der Text des Gedichts parallel zum Vortragfilmisch ab.

Dann also beginnt die Deklamation des eigentlichen Gedichts, von dem ich Ihnen gleich eine Vorstellung vermitteln werde, und zum Schluß wird folgende kleit1e Szene gespielt:

C O DA

als DIALOG

DER DI CHTER (hört atif ZU deklamieren): • . • Es ist kein Ende abzusehen mit der Seife. Dennoch muß sie zurückgegeben

werden an ihr strenges Oval und ihre Gabe, immer wieder dienlich zu sein. (Er legt Jas Stück Seife in die Schale.)

DIE BEIDEN PHILOSOPHEN IM CHOR

Hätte er zeigen wollen, daß Reinheit nicht durch Schweigen erreicht wird, sondern durch irgendwelche Wortübungen (unter bestimmten Bedingungen), denen eine plötzliche Wasserkatastrophe folgt, er hätte nicht anders gesprochen.

DBR ABBE J.-B. GRIBOUILLB

(Immer noch bis zum Gürtel in der Quelle, sagt er in dem Atlgenblick, in dem

das Wort »gesprochen«follt, im Chor u11d im gleichen Tonfall mit den Philosophen):

Wahrgesagt . . .

(und bekreuzigt sich dararif. Aber das Wasser des Jordan muß schmutzig seitt,

denn beim Berühren der Stim hinterläßt es einen schw!lrzen Fleck.)

DIE S CHORNSTEINFEGER I M CHOR

(Sie sind weiß und glänzend vor Sauberkeit, sie strahlen uud sagen im gleichen Augenblick, in dem die Philosophen »gesprocl1enc und der Abbl »wahrgesagte aus­sprechen:)

Welcher Gegenstand wäre dafür besser geeignet als die Seife?

DBR DICHTER

(Er nähert sich, bevor der Vorhang fällt, dem Absoluten Leser, der immer noch hinter dem Tippfräulein steht, die Seiten aus der Maschine zerrt, und sich dariiber be11gt, - nimmt ihn beim Arm, zieht ihn zum Ausgang hitl und sagt:)

Sollte es mir aber nicht gdungen sein, wirst du vielleicht ein wenden, ich hätte dich mit Tinte beschmiert . . . l

VORHANG

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Page 17: Ponge, Die Seife

Dieses Stück wurde niemals aufgefiihrt. Ich habe es, wie schon gesagt, nur für mich selbst Jertiggestellt.

Doch empfand ich so etwas wie Unbehagen dabei, ein schlechtes Gewissm. Ich sagte mir, es schicke sich nicht ßir einen Schriftsteller meiner Art, auf solche

Hilfsmittel, auf solche Kunstgriffe zurückzHgreifen, rmr verstanden zu werden. Schließlich muß ein Text sich selbst genüge11 und nicht darauf angewiesen sein, dar-

gestellt zu werden. •

Ich schrieb daher einen kurzen Prosatext, der das ganze Gedicht zusammettfaßt, so daß nun kein Theaterstück daraus wurde, sondert! ein :Buch.

Hier also diese Zusammenfassung, die ich DBR GEGENSTAND SEIFE betitelte una deretf Fertigstellung vom 8.Juli 1944 datiert ist.

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Page 18: Ponge, Die Seife

DER GEGENSTAND SEIFE

. . . Und hier, lieber Leser, für deine geistige Toilette ein kleine� Stück Seife. Wetten wir, daß es, richtig gehandhabt, genügt. Neh?Ien wir diesen Zauberstein zur Hand.

*

Die Seife hat einen gewissermaßen verehnmgswürdigen Charakter, etwas Unnachahmliches in ihrem Verhalten.

Zunächst zeigt sie in ihrer Schale eine Zurückhaltung, eine Gemessenheit, eine Geduld, die der eines Kieselsteins gleichkommt. Doch zugleich ist sie weni­ger raub, weniger trocken. Gewiß, sie hat etwas Beharrliches, Kompaktes, Kurzgehaltenes, aber doch auch wieder etwas Liebenswürdiges, Zuvorkom­mendes; glatt, sanft und angenehm in der Hand. Und parfümiert (obwohl nicht sui generis) . Gewöhnlicher vielleicht als ein Kiesel, aber dafür mitteilsamer.

Das liegt am Öl, aus dem sie besteht und das das Substrat ihrer Eigenschaften ausmacht. Keine Schale, nicht einmal eine Haut: da ohne Anspruch auf eine autonome Existenz.

Während der Kiesel mehr als misanthropisch ist: er scheint den Menschen zu ignorieren, -ist die SeifeHir den Menschen gemacht, sie vergißt das nicht; ver­gißt keineswegs ihre Aufgaben.

Sieistein Stein, den es in der Naturnicht gab. Sieschlüpftin sie hinein. Mitder vollkommensten Mühelosigkeit, Grazie, Schlichtheit, Feinfühligkeit schlüpft sie in sie hinein.

*

Das wäre noch nichts Besonderes, obwohl es sich schon um sehr schätzens­werte Eigenschaften handelt. Aber betrachten wir weitere, noch viel ansprechen­dere Qualitäten.

Beobachten wir sie im feuchten Element. Sofort zeigt sie eine Art keuscher Erregung. Sie kreiselt, flieht, ziert sich, hüllt sich in Schleier und zieht es schließ­lich vor, sich aufzulösen, Seele und Körper aufzugeben, als sich befingern, passiv von den Wassern überrollen zu lassen.

Heißt das, daß sie ein ausschweifendes Leben führt? Sicherlich . . . Doch genau­sogut könnte es als eine Art besonderer Würde verstanden werden.

Im übrigen sind die Wasser dadurch beeindruckt, verwirrt, schwer bestraft. Sie können sich der Spuren ihres Verbrechens nicht ohne weiteres entledigen. Es gelingt ihnen nur mit Hilfe eines beachtlichen Zustroms an Verstärkung, nur unter Aufbietung der Quantität.

Holen wir jetzt die Seife aus dem Wasser, und betrachten wir die beiden

37

Page 19: Ponge, Die Seife

Kontrahenten. Sie : viel kleiner geworden, reduziert, aber nicht in ihrer Qualität. Das Wasser: eine riesige, getrübte Menge, die das Gesicht verloren hat. Wer ist der Sieger1

*

Aber fahren wir fort, und wir werden zum Daseinsgrund, zur Bestimmung (oder zum Schicksal) der Seife gelangen.

Das Trio trete zusammen. Ein Mensch greife ein. Ein Mensch mit schmutzi­gen Händen. Ein Mensch, der Seifenötig hat. Der ihre Qualitäten, Eigenschaften, empfindlichen Stellen und Fehler anerkennt, und versteht, sich ihrer zu bedie­nen, sie dienstbar zu machen, ihnen zu schmeicheln, sie herauszustreichen.

Dann erlebt man eine herrliche Aufwallung von Großzügigkeit und Be­geisterung, den Jubel unseres Gegenstandes in seiner Hingabe an sich selbst.

Schließlich entfaltet sie sich in ihrer ganzen Begabung. Ihrer Suada. Sie hat ihre große Stunde, das Glück winkt. Sie gibt sich gänzlich hin, jubelnd, spru­delnd usw. Ihre Umarmungen, Zärtlichkeiten, Bekundungen scheinennie mehr aufhören zu wollen.

Es kann vorkommen, daß man sie mißbraucht. Ästhetische Perfektion. Seifen­blasen . . .

*

Dennoch muß man dem ein Ende setzen, der Aufwallung Einhalt gebieten Uedoch zuvor zügeln) . Eine Passage über das einfache Wasser genügt. Und da wird man entdecken, daß einen die Übung mit der Seife sauberer, reiner und parfümierter zurückläßt, als man es vorher war. Daß sie einen zum Besseren ·

verändert, neu qualifiziert. Sie selbst aber kehrt zu ihrem strengen Oval zurück, streng und entgegen­

kommend zugleich. Sie zieht sich zurück und wartet darauf, wieder mobil ge­macht zu werden. Nimmt ihre bescheidene Haltung wieder ein, ihr schweig­sames Gebaren. Findet zurück zu ihrer Geduld, ihrer Ruhe.

Wir überspringen die vier oder fürif folgenden Halbjahre: den Winter 1944, das Jahr 1945, die erste Hälfte von 1946 - tvo ich vieles andere zu tun hatte und mich nicht mehr mit der Seife beSlhäftigte.

Aber während des Sommers 1946, als wir die Ferien wieder itl Coligny verbrachten, fand iclt die Muße, erneut daran zu arbeiten. Dabei gilt zu bedenken, daß die Umstände sich nun verändert l1atten - a11ch was mich, ganz persönlich, betraf ·

Viele Aufsätze über mein Werk waren in der Folge von Sartres Essay veröffentlicht worden. Im übrigen war ich, obwohl ein tJOch aufrichtiger Kommunist, im Begriff, atts der Partei dieses Namens auszutreteu, da mir die Direktiven im Bereich meiner Zu­stäudigkeit nicht mehr paßten. All das spürt ma11 in den folgenden Fragmenten:

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Page 20: Ponge, Die Seife

Coligny, vom 17. bis 22.]uli 1946

•FRANCIS PONGE oder der glückliche Mensch« habe ich mich nennen hören. Sicher: sehr glücklich über alles, was ich erlebe, und vor allem, weil ich die

Zeit gehabt habe (es ergab sich so), ein kleines Stück Seife etwas genauer zu be-trachten.

,

Wenn Sie ein paar Minuten erübrigen kö1men urld Ihnen danach zumute ist, den Weg noch einmal mit mir zu machen . . .

Nun denn: fangen wir am Anfang an. Und zerknüllen zunächst alle papierneu Entwürfe, die von dem schlechten Geschmack geprägt sind, mit dem die Gegen­stände umhüllt werdep, und werfen sie in den Papierkorb.

Packen wir es frisch an. *

Wenn es stimmen sollte (und es stimmt), daß die einfachsten Dinge von geringfügigster, ja geradezu lächerlicher Bedeutung meinen Geist am stärksten beschäftigen und aktivieren, so hoffe ich, daß man mir deshalb nicht gram sein wird. Olme auch nur den geringsten Ruhm davon ableiten zu wollen, klage ich mich vielmehr dessen an und stufe mich ohne Zögern tief unter jene meiner Kollegen ein, die von ernsten und ergreifenden Dingen handeln. Sollte ich vor­übergehend soweit den Kopf verlieren, daß ich anfinge, denjenigen meiner wohlwollenden Kritiker zu glauben, welche nicht so sehr meine Erfolge als viel­mehr die Absichten, die sie mir zuschreiben, bis in den Himmel loben, so falle ich bald wieder auf den harten Boden der Wirklichkeit zurück, das können Sie glauben.

Um mich zu trösten, sage ich mir, daß verschiedene französische Künstler, und nicht die geringsten unter ilmen, sich möglicherweise in derselben Lage fanden. La Fontaille und Rameau gehören zu ilmen. Auch Chardin und jetzt Braque.

Sollte mich aber nach einer anspruchsvolleren Rechtfertigung verlangen, so

werden vielleicht gewisse (mehrfach wiederholte) Erfahrungen mich zu der Mutmaßung führen, daß eine derartige geistige Beschäftigung, mag sie auch nicht gerade zu empfehlen sein, immerhin in einer Zeit angemessen ist, wie sie das Schicksal uns zugedacht hat.

Muß man die zumindest unangenehmen Begebenheiten und Ereignisse er­wälmen, die wir zu ertragen haben, seit wir geboren wurdem Ichhabe da gewisse Hemmungen. Obwohl ich im Grunde glaube, daß es zu keiner Zeit Schreck­licheres oder für WlSer Gefühl Unerträglicheres gegeben haben kann .

• • • • • • • 0 0 • • • • • • • • • • • • , , . 0 , , , . 0 . (Weiter auszuführen) . . . . 0 . 0 0 0 . 0 0 • • o • • • • • • • • • • • • • • • •

Vielleicht ist aber all das, wenn man es wohl überdenkt, nicht schlimmer als eine einfache Krankheit-oder auch nur als das BewußtSein der conditio humana.

Page 21: Ponge, Die Seife

Nur spektakulärer, vielleicht! Ich kann das nicht entscheiden. Jedenfalls erwies sich die Gesellschaft - und jeder einzelne - dadurch wie ent­

geistert, in Verwirrung w1d Verzweiflung gestürzt. Und es hat sich gezeigt, daß Selbstbeherrschung allein, kaltes Blut, Geduld nnd Seelenruhe nicht genügten, um den Geist wieder aufzurichten und die Gemüter zu trösten.

Denn zur gleichen Zeit, zu nnsererZeit, entwickelte sich in nns-zu Recht oder zu Unrecht -sehr stark das Gefühl der menschlichen Verantwortilllg und Schuld. Und ob das nnn zu Recht oder zu Unrecht geschah-ich finde es sehr erhaben W1d sehr bewundernswert.

Daher die moralische Verzweiflung, die Gewissensbisse und guten Vorsätze (gefolgt von Enttäuschungen ttSw.), die in gleicher Weise nnerträglich sind.

So daß sich die Lehren der alten Weisen als unzulänglich erwiesen oder, genau­genommen,auf die modemeMentalitätnicht übertragbar. Wiehätte einMensch, den solche Empfindungen durchwühlen, sich mit den Ratschlägen von Sokratcs, Aristoteles, Montaigne oder Pascal, Voltaire oder Vauvenargues zufrieden­geben können I Ich weiß wohl, daß viele dort Zuflucht suchten. Ich fürchte, daß es aufKosten einer bestimmten Integrität geschah.

Ich für meinen Teil werde also nicht wagen, den Menschen die Selbstver­senkung w1d die Suche nach der Seelenruhe als einzig wünschenswertem Gut usw. zu empfehlen. Ich hätte wirklich Bedenken, das zu tnn, vor allem, weil ich mir vorstelle, ich könnte von Angehörigen einer mittellosen Klasse gelesen wer­den, deren Aufgabe meiner Meinung nach darin liegt, sich ZUllächst kraft ihrer Fäuste Ulld ihrer Ausdauer zu einer materiell besseren Stellung hochzuarbeiten. Und ich glaube ferner, daß diese Menschen und diese Klassen, nachdem sie das Glück hatten, kürzlich eine Doktrin zu finden, die sie erhöht, Ulld eine Partei, die sie dem Sieg entgegenführt, - sehr Unrecht daran täten, sich davon ab- und irgendwelchen alten Theorien von Verzicht und Stoizismus zuzuwenden, die offensichtlich ihre Ausbeuter begünstigen.

Und was diese Ausbeuter betrifft, wie könnte sie ein Künstler schätzen, da er doch ihre Unempfindlichkeit gegenüber dem Guten sieht, gegenüber den Tugenden des Geschmacks, des Feingefühls und des Geistes, ihre tiefe Unter­legen.heit gegenüber ihren (aristokratischen) Vorgängern in der Ausbeutung des Menschen. Wie sollte er nicht hoffen, daß sie nntergehen und an ihre Stelle diese mittellose Klasse tritt, der vielleid1t die Kraft der Hingabe und der Reinheit innewohnt, welche die Voraussetzung für das Entstehen des Schönen und Zarten bieten -, die das höchste Gut sind, das ich den Menschen wünsche.

So werde ich also niemanden von der Pflicht abhalten, zu handeln und zu revoltieren. Im Gegeuteil, solange die Lage kritisch ist (und sie hört eigentlich nicht auf, es zu sein), sofern jeder (selbst der Künstler) zumindest einen Teil seiner Kräfte als Staatsbürger verausgaben muß, werde auch ich Partei ergreifen.

Wie dem auch sei, es wäre nicht ehrlich von mir (und außerdem führt es zu

nichts, man würde es doch merken), auch nur im geringstenjenen Werten zu

entsagen, die eine zwar bürgerliche, aber schließlich auch humanistische Bildung mir nachdrücklich als die einzigen vermittelt hat, denen es gebührt, gesucht und verteidigt zu werden (und das in einem solchen Maße, daß ich die Revolution -oder diese historische Bewegung, die den jetzt ausgebeuteten Klassen zur Macht verhilft - nur in der Hoffuung herbeiwünschen kann, daß die größtmögliche Zahl von Menschen- im Grenzfall alle -eines Tages in die Lage versetzt würde, diese Werte zu suchen, ihnen Geltw1g zu verschaffen und in ihren Genuß zu kommen). Welches sind diese Werte� Ich sagte es schon: das Schöne und das Zarte.

Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen für mein Handeln. Zunächst werde ich innerhalb dieser besonderen Partei, der ich mich angeschlossen habe - und obwohl ich überzeugt bin, daß nur sie meine Freunde und mich, wie schon ge­sagt, dem Sieg entgegenzuführen vermag, - lllld daß eine Partei ungehobelter, bedürftiger kleiner Leute nicht eine Haltllllg einnehmen kann, die ihr nicht ge­mäß ist, -so werde ich doch (offen oder geheim) für die Erhaltung dieser erhabe­nen und gefährdeten Werte wirkcD;, die ich am höchsten stelle und der Partei als ihr letztes Ziel vorhalte. überzeugt, daß man gerade die Werte, für die man letzt­lich kämpft, nicht ungestraft mit Füßen treten kann.

Andere Überlegtmgen bekräftigen im übrigen diese These. Vor allem die Er­wägung der psychologischen Eigenschaften, die man einhellig dem franzö­sischen Volk zuschreibt (usw . . . . noch auszuführen: Wahrheitsliebe, mangelnder Respekt vor Personen, realistisches und redliches Denken: Rabelais, Boileau, Montaigne, Moliere, Voltaire usw.).

*

Da man zu Anfang immer mit etwas brechen muß, sei es auchnur das Schwei­gen, brechen wir es also, zerknüllen alle papierneu Aufzeichnungen und Ent­würfe., die vom schlechten Geschmack geprägt sind, mit dem die Gegenstände umhüllt werden, und werfen sie in den Papierkorb . . . Packen wir es frisch an.

Und zunächst, da es neu prinzipiell in zwei Formen auftritt: als Kubus (oder Parallelepiped) und als Oval, können wir hinsichtlich dieser beiden Formen fest­halten, daß die eine zur anderen tendiert, die erste selten erhalten bleibt (wiewohl sie sich leichter verpacken läßt, eingeordnet und in Schachteln, Kartons und Wagen verschickt werden kann) tmd die geringste Benutzung sie alsbald, fast unbemerkt, der zweiten annähert. Diese dagegen bleibt erhalten, sobald mm sie erreicht hat, vervollkommnet sich, besteht fort, ood zwar gerade dank der Ab­nützung.

Im übrigenist das die vorbestimmte Form unseres Gegenstandes (dieses Oval) : denn sie hat die Tugenden der Flucht, des guten Ausgangs, das heißt Ausgangs aus den Händen, wenn sie nicht mehr von Nutzen ist.

43

Page 22: Ponge, Die Seife

*

Wenn wirklich, 'llvie einer meiner Kritiker enthüllt hat - der wie kein anderer das Wasser in seiner kleinen Badewanne aufrührte - wenn also »in bezug auf jeden Gegenstand jedes Wort zuviel ist«, so muß ich leider sagen, auf die Seife trifft das jedenfalls nicht zu.

Und sicher ist das der Grund, weshalb ich zu dieser Stunde dieses Thema ge­wählt habe. Es mußte eins gefunden werden - vielleicht das einzige - was mir Sicherheit gibt, was die Worte rechtfertigt und das Stammeln, ja selbst die Faselei . . . Nun, es gibt offensichtlich über die Seife viel zu sagen. Nicht so viel allerdings, daß einem die Hände dabei runzlig werden müßten ,vie bei Kindern, die hingerissen Seifenblasen machen . . . Nicht daB sie aussähen wie Hühnerklein . . . Aber sehen Sie selbst bei der geringsten Berührw1g dies Gaukel­spiel, diese Taschenspielerkünste . . .

Dies nur, um Sie auf den Geschmack zu bringen. Dennoch werden wir ztmächst, wie unser Thema es verlangt, über einige

Abschnitte hin trocken und langweilig bleiben . . . ·

*

Coligny, den 25.]uli 1946

MIT DER SEIFE IN DER BADEWANNE DES GNOTHI SEAUTON

DIE SEI PE? Schon binich ganz blau davon; und das Wasser istebenfalls ganz blau . . .

Mit der Seife, ich muß es gestehen, habe ich mich in der Badewanne des Gnothi Seauton ein wenig zu lange vergnügt, vielleicht, auf die Gefahr hin, eine welke Haut zu bekommen . . .

Ich habe mich ausgiebig vergnügt, genau gesagt, vergnügt und gelangweilt (schadenfroh), wie ein Kind, das sich gemächlich in seiner Badewanne wäscht, die Seife schäumen läßt.

Heute schäme ich mich dessen ein wenig. Ich sehe es mit klaren Augen. Ich werde Ihnenall das nicht mehr zumuten . . . Es lohnt sich wohl nicht. W tr werden kurz entschlossen damit abrechnen .. .

Dem soll in meinem Werk nicht mehr Platz oder Zeit eingeräumt werden, als es im Verlauf des Tages oder Lebens eines Mannes meiner Art einnimmt . . . Ein im Gnmde nicht w1bedeutender Platz bei der jungen, sauberen Bourgeoisie ...

*

44

Coligny, den z.Ar4gust 1946

Vielleicht ist es absurd, aber ich habe beschlossen, meine Aufzeichnungen über DIE SEIFE amrs.Augustzuvernichten.

Zu diesem ZeitpWlkt müßte also der endgültige Text nicht nur geschrieben sein, sondern ich müßte ilm auswendig kötmen (da ich beschlossen: habe, alles zu vernichten) .

. . . Um jedoch all meine Aufzeichnungen auswendig zu köunen, müssen sie so überarbeitet sein, daß sie auswendig aufgesagt ( Wld zunächst gelernt) werden können.

Aber - werden Sie einwenden - es kann alles auswendig aufgesagt werden! Man muß nur den nötigen Fleiß daran wenden.

Gena u das ist es, meine Freunde: diesen Fleiß strebe ich an. Ich versuche, mich zu einem gewissen Fleiß zu zwingen. Und zugleich Sie dazu zu zwingen.

Sie dürfen überzeugt sein, die Seife ist nur ein Vorwand. Oder haben Sie sich das anders vorgestellH Nur müßtert Sie meine eigenen Worte mit mir zusammen aufsagen. Ich müßte Sie zwingen, sich meinem Elan anzupassen. Darüber hinaus wäre es mir natürlich lieb, werm dieser Elan Sie begeisterte.

Und mich selbst natürlich auch. Aber haben Sie mich nicht schon aufgegeben? Sachte! Wir werden langsamer vorgehen, das war schon viel zu schnell für den Anfang . . .

*

Sie werden sagen, daß ich hier den Kredit nutze, den meine früheren Schriften mir eingebracht haben. Daß diese vorläufigen Luftsprünge jeden Interesses er­mangeln und daß ich ein Gedicht nicht so hätte beginnen können, als mein Name noch unbekannt war.

»Warum den Gegenstand nicht direkt angehen und den Leser durch das plötz­liche Erscheinen einer nackten, konkreten Form fesseln, worin doch Ihre be­sondere Begabnng liegtl

Lieber FreWld, Sie enttäuschen uns.«

*

Da wir uns nun mal dert Tatsachen beugen müssen (nnd du, Leser, mußt dich damit abfinden) : die einfachsten Dinge, von geringfügigster ,ja geradezu lächer­licher Bedeunmg sind es, die unseren Geist am stärksten beschäftigen tmd akti­vieren, weil dann und nur dann sich ihm die Möglichkeit eröffnet, seine be­sondere Auffassung in ihrer besonderen Form geltend zu machen. [Es scheint ihm gerechtfertigt und nützlich, ja sogar notwendig (und obendrein angenehm), seine besonderen VorsteliWlgen oder AuffassWlgen in ihrer besonderen Form zu

45

Page 23: Ponge, Die Seife

veröffentlichen.] - Und ilmen Ausdruck zu verleihen, denn dann und nur dann scheinen ihm seine Vorstellungen oder Auffassungen unansweichlich, auf­schlußreich und reißen ihn hin, reißen ihn hin bis zur Formulien.mg, mit der sie übrigens in allen Teilen identisch sind ... Von dem Augenblick an, da ich das er­kannte, habe ich es ersteus nicht mehr nötig, mich zu rühmen, mir an die Brust zu schlagen oder mir Vorwürfe zu machen oder mich zu rechtfertigen: diese Ein­sicht ist eine Tatsache, ein Glück, ich gebe sie dafür aus, ich gebe mich dafür aus {ich nehme sie an); zweitens bieten sich mir gewisse Themen gleichzeitig an -darunter in erster Linie z.B. die Seife - so daß ich {meine Kritiker werden so

freundlich sein, sich das zu merken) nicht mehr darin suche, als ich darin finde, nichts versuche, keine versteckten Absichten oder Ansprüche hege und schon gar keine Philosophie beabsichtige (diese armselige Behausung, dieses sclunutzige Lager): bei uns herrscht Leichtigkeit, Ordnung, Schönheit, Luxus, Ruhe und Genuß . Also richtige Bourgeoisie. Und ich wäre mir gram; wollte ich etwas anderes zeigen als das, was ich in Ordnung bringen, freundlich und angenehm gestalten, g länzen, schimmern lassen un.d den Strahlen des Lächelns und der Wonne .öffuen kann.

*

Lieber Leser, du mußt dich damit abfinden. Wir nehmen nun einen lächer­lichen Gegenstand in die Hand. Weil er endlos schäumt. Nein, nicht endlos. Es läßt sich natürlich viel über ihn sagen. Buchstäblich alles, was er selbst von sich sagt.

Ach, daß Bach oder Mozart nicht lang genug gelebt haben, um es zu ver­tonen! ... Wir wollen sie ersetzen!

Lieber Leser, nach dem Kieselstein mußte ich auf die Seife kommen .. Sie erfüllt genau meinen Zweck. Denn sie ist der Typ des lächerlichen Gegenstandes, der aber endlos schäumt. Sie ist das Symbol an sich, der Beweis meiner Genialität. Dennoch kannst du dir vorstellen, was ich über den Walfisch (z. B.) hätte sagen können, wenn nicht Mr. Melville - mit vielen Worten zwar, doch

'/auf die

schnelle Tour - das Thema verschenkt hätte.

Endlos! Nein, das nicht. Es läßt sich natürlich viel über die Seife sagen. Buch­stäblich alles, was sie selbst von sich sagt, bis zur völligen Auflösung. Das ist das Ende. Gott sei Dank.

Allerdings bleibt das Wasser, nachdem sie verschwunden ist, noch lange ge­trübt, die Blasen zerplatzt, die Hände des Autors schrumplig. Aber sehr sauber.

Sehr gut. Das erfüllt genau meinen Zweck. Das genügt mir. Und was könnte schon genügen.

Haben Sie einmal von der Entsprechung von hilialt und Form gehöm

*

Ihr Philosophen habt mich verstanden. Legt Buch schlafen. In det Hütte. In die Löcher mit Buch. Kehrt zurück zu Eurem schmutzigen Lager.

Hier ist eitel Ordnung und Schönheit: alles glänzt. Wie man sich bettet, so liegt man. Und ich wäre mir gram, wollte ich etwas anderes zeigen als das, was ich in Ordnung bringen, glätten, schmücken tmd den Strahlen des Lächelns und der Wonne öffllen kann (denn draußen ist es schön).

*

Coligt�y, den 8.August 1946

Auch weil wir damals in grausamer, unvorstellbarer, absurder Weise die Seife (wie verschiedene notwendige Dinge in jener Zeit: Brot, Kohle, Kartoffeln) ent­behren mußten, haben wir sie geliebt, geschätzt nnd nachgerade posthum in unserer Erinnerung genossen, mit dem Wunsch, sie neu zu schaffen im Ge­dicht . . .

Auf der Suche nach der verlorenen Seife . . .

Oft sage ich mir auch: Wie ist das nun, wenn wir in der Anderen Welt (falls es

eine gibt) die Musik der Engel lange genug genossen haben, welcher irdischen Gegenstände werden wir uns dann mit Freude und Rührung erinnern, welche werden wir gerne heraufbeschwören, um ihre Schönheit und ihre Tugenden unseren besten Freunden unter den Engeln begreiflich zu machen? . . . Als repräsentativ für un.sere Welt, unsere erbärmliche Welt, und für uns selbst, von uns durchdrungen, unser Material und vielleicht unser vertrautes Porträt? . . .

Nun denn, die Seife gehört bestimmt pazu!

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Page 24: Ponge, Die Seife

DIE SEIFENÜBUNG

Page 25: Ponge, Die Seife

Und hier, liebe Hörer, ist nun endlicl1 der Text, den ich zwischen dem 15. und 30. August 1946 fertigstellte -uud de1l der Sprecher bitte etwa so vortragen möge, wie es

in dem Stück, dasich einmal ins Al4gegefaßt hatte, DER DICHTER tun sollte, während er sich auf dem Proszenium die Hände wäscl1t -erinner11 Sie sie Ir?

Aber zunächst:

51

Page 26: Ponge, Die Seife

ER WICKELT BIN NBUBS, NOCH GANZES, HARTES,

HOMO GENES, KOMPAKTES STÜCK SEIPB AUS SEINER

PAPIERHÜLLE

und deklamiert:

Page 27: Ponge, Die Seife

ZERKNÜLLEN WIR

Z U ANFANG

WIE DU LIEBER LESER MIT GUTEM RECHT VON UNS ERWARTEN

KANNST

UND ZERREISSEN WIE GEWOHNT MEHR ALS DIE STILLE

MIT EINER HAND WERFEN IN DEN PAPIERKORB DANN

ALLE NOTIZEN UND ENTWÜRFE DIE VOM SCHLECHTEN

GESCHMACK GEPRÄGT SIND, MIT DEM DER GEGENSTAND

BINGEPACKT WIRD

DER GANZ NACKT VOR UNS LIEGT

SEIT ER AUFGETAUCHT IST

UND HALTEN

IN DER ANDEREN

HAND

FÜR UNSERB GEISTIGE TO ILETTE

EIN KLEINES STÜCK SEIFE

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Page 28: Ponge, Die Seife

PRÄLUDIUM

Page 29: Ponge, Die Seife

Wetten, daß es, richtig gehandhabt, genügt. wo Sturzbäche einfachen Wassers nichts säubern würden, selbst das Schweigen nicht noch dein Selbstmord in der schwärzesten Quelle, o absoluter Leser. Unter der Pumpe zu leben, führt zu

nichts, außer zum Schluckauf, wenn man nicht diesen lächerlichen Kiesel in Händen hält, diesen lächerlichen Gegenstand. Und liegt in diesem Zusammen­hang der Triumph desAbsurden nicht darin, sich mit verschränkten Armen von einem Wasser umspül en zu lassen, das zum Toten Meer hinfließt� Besser ist es,

glaub mir, in der geringsten Schüssel .. . Aber dort ist sie ja, unter dem Wasser­halm, der vor Ungeduld läuft, um die trockene Zunge der Seife zu lösen.

Doch zunächst müssen sich unsere Hände damit sättigen. Greifen wir nicht vor.

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Page 30: Ponge, Die Seife

ÜBER DIE TROCKENE SEIFE VOR DER BENUTZUNG

Page 31: Ponge, Die Seife

Nimmt man sie aus der Schale - oft ist es die einfachste und schadhafteste, die der Haushalt aufweist - so sagt sie dir zunächst gar nichts : ein amorphes und starrköpfiges Ei, ein mittelmäßiger Kiesel- oder Wurfstein, der nur deinen Geruchssinn verblüfft, weil er sich durch den Duftmüder Blumen als gröber und auch seltsamer erweist.

Sie sagt dir gar nichts ... Also ist es meine Sache, während sie sich zurückhält; wegen der bevorstehen­

den Feste ist es an mir, von dem schweigsamen Zuitand unseres Gegenstandes zu reden.

Sollte ich unter dem Vorwand, daß es ein schweigsamer Zustand ist, nur kurz sprechen? Nein, denn dann brauchte ich überhaupt nicht darüber zu reden. Wenigstens so lange nicht, als sie für ihre endlose Geduld in den Intervallen zwischen ihrer Wirksamkeit belohnt werden soll.

Aber wie soll ich darüber sprechen? Ohne allzuviel Geschwätzigkeitnatürlich, denn jene Feste feiern wir noch nicht. Einfach dadurch, daß wir sie mühsam von ihrer Schale lösen und in unseren Händen um-und umdrehen. Doch die Art von Härte, die sie bietet, rechtfertigt vielleicht schon eine weniger raube, weniger knappe Sprechweise. Deru10ch darfjeder Satz, auf einen konkreten Ausdruck ihrer Wirklichkeit gestützt, nur für sie Gelttmg haben, auf keinen anderen Gegenstand zutreffen. Und schließlich muß man sie immer in den Händen füh­len, das heißt, daß zum Beispiel ihr mehr oder minder ordinäres Parfum stets zu­gegen ist, bis zum Ende der Rede an diesen Händen haftet, auch während sie schreiben, so daß es sich ständig auf dich, lieber Leser, überträgt.

Aber sind das nicht schon zu viele Worte um nichts: Sie waren offenbar nötig, um die Seife in unseren Händen um- und umzudrehen, wobei sie selbst noch immer nichts sagt ...

Doch gesättigt, wie v.rir es nun sind, nicht nur von ihrem Duft, auch von anderen Eigenschaften (und sogar von gewissen winzigen Teilchen ihrer Sub­stanz), die sie den Händen durch die Berührung vermittelt, werden wir vielleicht bald in der Lage sein, die ernsten und dunklen Gründe ihres Verhaltens aus­drücken zu können (sogar ehe wir sie schätzen oder verstehen).

Sagen wir, daß uns die besondere Art von Härte (die etwas Geschmeidiges hat) und Schweigetl (wie ein Rückhalt vot1 Worten),ja die besondere Schweigsam­keit, die sie uns anbietet, das Zeichen eines dramatischen inneren Konflikts zu sein scheint. Anders ausgedrückt, daß ihr Erscheinungsbild von einem mühsam erreichten Kompromiß zeugt - der jeden Augenblick erreicht und wieder auf-

Page 32: Ponge, Die Seife

gegeben wird-zwischen der Versuchung, zu überdauern, sich zu bewahren, das heißt in einer stets vollkommeneren Form des Schweigcns und der Trockenheit (deren höchste Vollkommenheit, wenn man so will, der Kiesel darstellt) sich zu verewigen - und andererseits dem Gefühl, daß darin nicht ihre Aufgabe liegt tmd, gerrau bedacht und aufrichtig beurteilt, auch nicht ihre Natur, ihre wirkliche Be�timmung, die eher darin besteht, sich abzunützen und natürlich gleichzeitig zu jubeln, zu genießen - sich abzunützen, sage ich, und sich in ihrer Funktion zu verlieren, in ihrer Dienlichkeit, und letzten Endes darin, auf ihre Nützlichkeit Antwort zu geben.

Denn die Seife ist ihrer Bestimmung nach ein nütz licher Gegerutand, der seine ��fgabe weder

.vergessen kann noch will. Sie ist in jedem Augenblick - selbst

111 1hrem Schweigen - der Wortefähig und wie ein Mund, der zum Sprechen an­setzt.

Ja! Betrachten wir sie genau, so werden wir ergriffen auf ihrem Gesicht die Zeichen des dramatischen Kompromisses gewahr werden. Während ihre Un­tätigkeit sie verhärtet, sie bewahrt, trocknet ihr die Leidenschaft für das Wasser die Zunge aus. Ihre Stirn wird braun und runzlig. Die Kümmernis der Untätig­keit macht sie rissig. Sicherlich, sie kann sich niemals besser erhalten, als wenn sie untätig ist, vergessen. Aber sie muß aktiv werden und gleichzeitig all ihre Be­standteile in all ihren Qualitäten bewahren! Auch schützt sie sich durch keine fremde Hülle, bildet keine Kruste, Schale, Rinde oder Haut, wirkt höchstens �der�� an jen� Trockenheit mit, die ihre Rettung ist, widmet oder opfert Ihr kernen ihrer Teile ganz, da er hernach zu nichts mehr nütze wäre. Denn ob­wohl es sich so verhält und sie sich dessen bewußt ist, braucht sie sieb nicht darum zu kümmern, jenen empfmdlichen Mechanismus autonomer Existenz oder Prinzipien zu schützen - dessen ganze Nützlichkeit und Rechtfertigung in der Erhaltung und dem Fortbestand dieser Existenz oder Prinzipien liegt, das beißt, in ihrer � · die Zeit auszufüllen und aufzuteilen. Sie braucht nur einen Komplex genau besurnmter Qualitäten oder vielmehr Eigenschaften zusammenzuhalten, die zu ihrer Funktion gehören: sie braucht nur ihrer Nützlichkeit gerecht zu werden - tmd darin steckt bestimmt eine Lehre.

Daher verände1·t sie auch nichts an ihrer Form. Kein Schutz nach außen. Nichts von einem Igel oder einer Distel. Kein Außenfort. Weder in ihrer Form noch in irgendeiner der wesentlichen Eigenschaften ihrer Substanz bewirken ihre Stille, ihre Einsamkeit, ilu Wille zur wortlosen Dauer eine wirkliche (endgül tige) Ver­änderung. Nein, sie besteht darauf, homogen zu bleiben, ganz, aus einem Stück­

und zieht sich nur zusammen, sammelt sich, holt ihre Teile zttm Mittelpunkt zurück.

. Aber gleichzeitig kann sie nicht umhin, artig, entgegenkommend, geschmei­

dtg und glatt zu bleiben. Sie kann höchstens während ihrer Untätigkeit diese Eigenschaften an immer kürzerem Zügel halten. Das ist alles, was sie nm kann. Und so zeigt sie (ob sie will oder nicht), daß ihr nicht etwa vor erneutem Dienst,

einer neuen Mobilmachtmg oder Einberufung, bangt, sondern daß sie darauf wartet, sich bereithält, wünscht, mühelos wieder in die Hand genommen zu werden und sieb entgegenkommend, glatt und keineswegs rauh zu geben. Auf diese Weise sammelt sie sich auchfür ihre phantastischen späteren Sprünge.

All das kommt vom Öl, aus dem sie besteht tmd das das Substrat ihrer Eigen­schaften ausmacht. Was bleibt ihr übrig? Sie kann es nicht verdunsten lassen: das liegt nicht in der Natur des Öls. Sie kann es nur in imlner kleinere Phiolen auf­teilen.. Je mehr Phiolen, desto weniger Öl in jeder. Wie wenn man seinen Medizinschrank aufräumt, die Fläschchen eng nebeneinanderreiht Das Ganze perfekt in Form eines Eis oder einer Wurfscheibe gespeichert, die sich leicht fassen läßt tmd nicht unangenehm zu berühren ist, auch wenn sie in der Hand vielleicht etwas wenig Gewicht hat (und man keine Lust verspürt, sie zu schleu­dern, sondern eher, sie zu reizen, damit sie andere Eigenschaften aufweist, unter Beweis stellt, wenn es ihr schon an Gewicht mangelt).

Und halten wir fest, daß es ihr glänzend gelingt, diese so komplexe und schwierige Rolle aufzubauen tmd zu yerkörpern. Kaum bat man sie in dieSchale zurückgelegt, beginnt sie sieb zusammenzuziehen, nicht nur um das Höchstmaß ihrer Dienstbarkeit zu erhalten, sondern um genau die Form zu wahren, in der man sie bei der letzten Benutzung zurückgelassen hat, da sie annimmt, daß man sie eben da1in am leichtesten wieder mobilisieren, m.it dem größten Vergnügen und der geringsten Anstrengung wieder aufgreifen wird.

So erscheint uns die Seife in ihrem wahren Licht, im Vergleich mit dem Kiesel­stein. Fest, ernst und streng, wie sie ist, kaum, doch nachhaltig parfümiert, kennt sie sicher die Verlockung, sich in diesen Kiesel zu verwandeln, der ihr als ihr eigener Zustand der Vollkommenheit erscheinen mag. Aber sie hat keine Mög­lichkeit, ihn zu erreichen. Denn sie besteht aus Öl, welches das Substrat iluer Eigenschaften ausmacht. Die Seife ist ein nützlicher Gegenstand. Sie hat ihre Qualitäten. Sie hat ihre inneren Kämpfe, de1m sie vergißt nie ihre Aufgabe, das, wofür sie geschaffen ist.

Wir haben hier also eine sehr empfindliche Person vor tms. Empfindlich gegenüber der Trockenheit, die ihre Stirn runzUg und rissig werden läßt, wie auch gegenüber dem Wasser, dessen Auswirkungen wir gleich sehen werden.

Es ist wirklich großartig, daß man sie, selbst in Anbetracht ihrer Fehler, Laster und Schwächen und trotz ihrer positiven Eigenschaften, die dem Kiesel fehlen, doch in gewisser Hinsicht diesem annähern kann, und zwar wegen des Verhal­tens, das sie an den Tag legt, der Verschwiegenheit, Zurückhaltung, der Würde und Unbestechlichkeit an der Luft. Auch wäre es ungerecht, beide systematisch gegeneinander aufzuwiegen, etwa indem man die Corneille'sche Unerbittlich­keit des Steins preist oder die Seife als leichten, unterwürfigen, weichen Kiesel abtut, einen domestizierten Stein von geringem Gewicht. Man täte besser, die positiven .Eigenschaften aufzuzählen, die wir an ihr beobachtethaben und die der Kiesel nicht aufweist: die Geselligkeit, Dienlichkeit und Gefälligkeit den Händen

6s

Page 33: Ponge, Die Seife

gegenüber, die ständige und nachdrückliche Erfül lung dessen, was mau von ihr erwartet. Thre Unbestechlichkeit an der Luft hingegen entspricht beinahe der des Kiesels, und trocken aufbewahrt, würde sie ihm wohl an Dauerhaftigkeit nicht nachstehen . . .

Dies, scheint mir, gereicht ihr wirklich zur Ehre. Jetzt aber muß ich darlegen

66

DAS SPONTANE VERSCHMELZEN

DER SEIFE

IN STILLEM WASSER

Page 34: Ponge, Die Seife

Denn im Wasser, wird mau einwenden, welche Unterlegenheit! Da schmilzt sie zusehends, verliert sich fast augenblicklich. In diesem Medium scheint sie in der Tat eine offensichtliche Unterlegenheit zu beweisen . . . Aber sehen wir ge­nauer hin.

Auch hier noch, glaube ich, hat man keinerlei Grund odeJ; Recht, abwertende Vokabeln anzubringen. Im Gegenteil, ich lache schon jetzt, ehrlich gesagt, über Ihre Verwirrung-wenn Sie beobachten, wie die Seife �erwirrt mit der Flüssigkeit verschmilzt - denn dann werden Sie Ihre eigene Unterlegenheit angesichts der Zeit und das Serum ewiger Vernunftgründe ahnen. Und vielleicht köimen Sie sich schon vorstellen, welchen Nutzen ich daraus ziehen werde, das glänzende Bravourstück, in dessen Verlaufich mich endlich an die wirkliche Funktion der Seife heranwage und Sie mit dem Beweis ihrer, meiner Genialität, und der Wahrheit, die sie vermittelt, verblüffen werde. Alle Kritik, die sich in Ihrem Munde schon über die Dürftigkeit des Themas formt, über seine Unverbindlich­keit, die banale Art und Weise, in der ich es behandle, wird hohnlächelnd Lügen gestraft und sich plötzlich zu Strömen blendenden Lichts reichlich dem Lächer­lichen preisgegeben finden. Aber soweit sind wir noch nicht.

Betrachten wir also das Verhalten der Seife auf dem Grunde einer bestimmten Fli.issigkeitsmenge, wenn ihr Herr sie aus VergeBlichkeit oder Unaufmerk­samkeit darin zurückgelassen hat. Wir stellen sogleich fest, daß sie dem nicht gut widersteht, daß sie sich beinah sofort darin auflöst. Doch fast gleichzeitig müssen wir feststellen, daß sie auch da noch eine recht eigenartige Würde be­wahrt.

Lieber als sich von den Wassern überrollen zu lassen, wie der Kiesel, wie natür­liche Steine, schmilzt sie darin auf der Stelle. Und warum sollte sie auch ein­willigen, ihr Lebendamit hinzubringen, daß nur die Wellensie betasten? Wo sie doch weiß, sich dessen bewußt ist, daß sie zu einer dreiköpfigen Familie, zu einem Trio, gehört und ihren Part nur unter diesen Bedingungen freiwillig und mit Brio spielen kann?

So daß sie in einem T�te-a-tete mit dem Wasser gleichgültig bleibt, sich in vollkommener Passivi tät auflöst und sich unter keinen Umständen auf ein Puffen und Knuffen, ein Spiel mit freundschaftlichen Seifenhieben, einläßt.

Lieber saugt sie sichamBoden fest und-wie soll ich sagen? - ich möchte nicht sagen, daß sie ihre Seele aufgibt, denn es ist ihr ganzer Körper, den sie in ziehen­den Schwaden, in dunstigen Streifen zerfließen läßt, die sich langsam winden und verschwinden. Ihr ganzer Körper gibt in langsam zerfließenden Schwaden seine Seele auf. Oder vielmehr gibt sie den Körper gleichzeitig mit der Seele auf, und wenn sie den letzten Atemzug tut, verschwindet im gleichen Augenblick die letzte Spur ihres Körpers.

Page 35: Ponge, Die Seife

Weit davon entfernt also, sich von den Wassern betasten zu lassen, zieht sie es vor, in der gerade beschriebenen Weise zu schmelzen. Und ich denke, daß nie­mand davon unbceindruckt bleiben kann. Es gibt keinen Grund, hierüber schlecht zu denken. Übrigens ist es das schuldige Wasser, das als erstes begreift, woran es ist. Nun ist es in relativ beträchtlichem Umfang tief getrübt. Es hat das Gesicht verloren und die herrliche Durchsichtigkeit, jene innere Klarheit, die es gewöhn:.. lieh seinem guten Gewissen verdankt. Die es vor allem, wenn man es nüchtern betrachtet, seiner Gewohnheit verdankt, die Körper, die sich besuchsweise nähern, auf den Grund oder an die Oberfläche zu verweisen. Das gelingt ihmdank seiner ziemlich einmaligen Dichte, die riesigeMengen von Flüssigkeitrein erhält.

So kommt es, daß das Wasser zum Beispiel den Steinen gegenüber mit einer gewissen Gleichgültigkeit oder Ungeniertheit reagiert. Letztlich nutzt es sie zwar ab, aber ohne sich dabei irgendwie zu verändern. Seine Augen bleiben genauso klar, genauso kalt; die Stückehen oder Überreste, die es von seinem Opfer loslöst oder erobert, läßt es sofort auf den Grund fallen. Es setzt sichsogleich davon ab. Gewiß, der Kampf des Wassers mit dem Kieselstein ist unendlich viel länger als der mit der Seife, doch schwieriger . . . kann man das sagem Das Wasser verfolgt den Kiesel, ohne ihn recht zu beachten, ohne sich für ihn zu interessieren, ohne sich um ihn zu kümmern, gleichsam automatisch. Es hat vieles andere zu tun, es kommt gleichzeitig noch vielen anderen Pflichten nach: es treibt ml­

gestört noch manch andere Angelegetlheit und Beschäftigung voran. Niemals hat oder macht es den Eindruck, daß es in diesem Kampfbesiegt oder ernsthaft gedrängt werden könnte. Es ist ständig, in jedem Augenblick - obgleich sehr langsam - siegreich.

Viel schwerer fällt es dem Wasser, sich der Seife zu entledigen und der Spuren seines Verbrechens. Die Seife rächt sich für die Erniedrigung, die sie hinnehmen muß, wenn sie sich eng mit dem Wasser verbindet, sich in offensichtlichster Weise mit ihm vereint. Dieses Ei, diese flache Scholle, diese kleine Mandel ver­wandelt sich eilig in einen chinesischen Fisch mit seinen Schleiern, seinen weit­ärmeligen Kimonos und feiert so ihre Hochzeit mit dem Wasser. Dahinter, im Schutz einer blendenden Inszenierung, vollzieht sich ihre Verschmelzung mit der Flüssigkeit und das Entschwinden ihrer Gestalt aus jeder Erinnerung. (Zur gleichen Zeit löst sich die Erinnerung an allen Schmutz auf.) Was das Wasser betrifft, so bleibt es tief getrübt, tief beeindruckt. Der überwiegende Teil hat, wie ich schon sagte, das Gesicht verloren. Es ist schwer dafür bestraft. Sich der Seife tmd der Spuren seines Verbrechens zu entledigen, wird ihm nur mit Hilfe eines beachtlichen Zustroms gewaltiger Verstärkung gelingen und begünstigt von einer nachdrücklichen Gefühlsregung, von reichlichen Gewissensbissen, kurz: dank der Quantität. Indem es sich auf die Quantität beruft. Es ist die Quantität, die hier die Qualität ertränkt, sie vertuscht, verhältnismäßig (oder relativ) gleich­gültig oder unbedeutend werden läßt. Unbedeutend - das is� noch viel zu schnell gesagt . . .

70

Holen wir jetzt die Seife aus dem Wasser, und betrachten wir die beiden Opponenten.

Sie, schamhaft, entzieht sich, flüchtet, geheimnisvoll, heroisch, verausgabt sich mit erschreckendem Ungestüm ... was man so ausschweifende Lebensweise nennt . . . ein aus Schamhaftigkeit und Würde UngezogenesMädchen . . . Sie krei­selt, flieht, ziert sich, hüllt sich in Schleier und will sich schließlich lieber auf­lösen, als sich vom Wasser betasten, verschlingen zu lassen . . .

Es kann passieren. daß wir sie verlieren und tastend ·wieder herausfischen müssen: viel kleiner geworden, halb geschmolzen, aufgeweicht, Schatten unter den Augen, kaum zu erkennen, wie jemand, der »sein Leben gelebt« hat. Ist das Ztl bedauern I Aufkeinen Fall. Wir finden sie wieder, sagte ich, kleiner geworden, reduziert, zuweilen abgezehrt, ganz sclunal - doch ihre Würde bleibt immer gewahrt . . .

Was nun das Wasser angeht: ein� riesige getrübte Menge, die das Gesicht ver­loren hat . . .

Wer ist mm der Siegen Usw . . . .

7 I

Page 36: Ponge, Die Seife

ÜBER SEIFENWASSER UND

SEIFENBLASEN

Page 37: Ponge, Die Seife

Mit Seife gesättigt. schäumt das Wasser bei der kleinsten Berührung. Will sich mit der Luft verbinden, stürmt den Himmel. Packt die Luft amArm, klettert dem Himmel aufs Knie . . . wirft sich der Luft in die Arme . . . wirft sich dem Himmel an den Hals . . . Erhebt sogar eine Art aerostatischer Ansprüche. Legt eine ge­wisse Exaltiertheit an den Tag und aerostatische Ansprüche. Erzielt gelegentlich in diesem Bereich einige wundersame, durchschlagende, flüchtige Erfolge.

Aufjeden Fall scheint es, als sei das Wasserdadurch vielmitteilsamer geworden. Mag es sich ruhig mitteilen! In inniger Verbindung mit der Seife wird es zugleich auch diese mitteilen .

. . . Aber stets in Verwirrung. weil immer nur vorübergehend. Es handelt sich weniger um einen zielstrebigen Willen als um eine Veranlagung. Um eine Sprachfertigkeit oder Redegewandtheit .

. . . An diesem Punl.-r ungefähr sind wir jetzt angelangt. Gesättigt mit unserem Thema, bleibt uns kein Wort, das nicht die verschiedensten Anspielungen in sich birgt. Wir sind empfänglicher geworden für eine unbegrenzte Reihe von Seifen­blasen, die wir, sobald sie einzeln oder in Trauben auf uns zukonunen, wieder loslassen, ohne sie viel zu berühren; den wir wissen. daß sie zerplatzen, ich will nicht sagen, nu.r bei der geringsten Herausforderung, sondern schon bei der geriJ1gsten Berührung, selbst beim geringsten Hauch oder kritischen Blick -oder bei der geringsten Übertreibung, Überforderung ilirer inneren Eitelkeit . . .

. . . Es kann passieren, daß wir im Verlauf dieses Abenteuers das Stück Seife ver­loren haben und es tastend wieder herausfischen müssen: viel kleiner geworden, halb geschmolzen, aufgeweicht, Schatten unter den Augen, kaum zu erkennen, wie jemand, der •sein Leben gelebt« hat.

Bedauern wir das1 - Keineswegs. Die gelungensten unserer Seifenblasen, die einzigen gelungenen, sind zweifellos

die am wenigsten ausgearbeiteten. Denn läßt sich eine Seifenblase bearbeiten! Nein, bestimmt nicht-es sei detm (man pflege sie) mit dem Atem. der ihr Leben gibt.

Mau braucht sie nur mit einem gleichmäßigen Hauch im genau richtigen Stärkegrad, mit einer gleichzeitig maßvollen und nachddicklichen Innigkeit auf­zublasen. nicht mehr - bis zu dem Augenblick, in dem sie sich gleichsam spontan vom Schreibrohr löst.

Dieses Hauchen . . . (Fortblasen) verlangt eine gewisse Geistesgegenwart. Die zu stark bearbeiteten Seifenblasen platzen und fallen als Wassertropfen

nieder. Undeitel Tun wäre es, wollte manirgendetwas davon retten! Es gibtnur eine LöStmg : sie wieder mit der flüssigen Masse vermischen, sie ohne Bedauern darin verlieren .

. . . All das ist weit mehr, glaube ich, als aneinandergereihte Metaphern . . .

*

75

Page 38: Ponge, Die Seife

All das ist weit mehr, glaube ich, als aneinandergereihte Metaphern. Diese Seifenblasen sind Lebewesen in jeder ihrer Beziehungen. Im höchsten Grade lehrreich. Sie erheben sich über die Erde und führen uns mit sich fort. Neue, un­erwartete, bisher unbekannte, unbeachtete Eigenschaften fügen sich zu den be­kannten, um die Vollkommenheit und das Besondere eines Wesens-in-jeder­Beziehung zu konstituieren. So entziehen sie sich dem Symbol. Und die Be­ziehung verändert sich. Es geht nicht mehr um eine Nützlichkeits- oder Dien­lichkcitsbeziehung zwischen Mensch und Objekt. Anstelle von etwas Nütz­lichem geht es um eine Schöpfung und nicht mehr um eine Erklärung. Im Schluß steckt etwas mehr als in den Prämissen, sobald sich eillc Prämisse dazu­gesellt hat, um geheimnisvoll die Kugel zu schließen, ganz abzurunden, so daß sie sich loslösen kann und davonfliegt.

Und das Glücksgcfühl, das bei ihrem Anblick den Menschen bewegt, täuscht nicht: er ist glücklich, weil er etwas gewonnen hat.

*

Dies nun sind einige dieser Seifenblasen, die meisten von ihnen übrigens un­beschwert und nicht vorher bedacht.

Denn wer.möchte schon während seiner geistigen Toilette zu einem Schreib­rohr greifen und literarische Seifenblasen produzieren-es sei denn als kindliches und etwas überholtes Spiel.

Nein, es geht allein um die Seife und das Händewaschen nach der Art meines Ahnherrn Pontius Pilatus -auf den ich stolz bin, weil er sich nach der Frage • Was istdie Wahrheit I« die Hände vom Tod des Gerechten (oder des Schwärmers) ge­waschen haben soll und so als einziger der Beteiligten mit reinen Händen in die Geschichte eingegangen ist, nachdem er seine Pflicht ohne große Gesten, große Symbole, ohne Geschrei und Überheblichkeit getan hat.

Wennich diese Untersuchung aber nochweiter vorantreibe, so geht es weniger darum, daß ich selbst die Seifenblasen hoch wirble, als daß ich für Sie eine Flüssig­keit bereite (oder eine Lösung, wie man so schön sagt), und Sie mit einer ge­sättigten Mischung verlocke, die Sie dazu verführen könnte, sich nach meinem Beispiel zu üben (und sich Ihrerseits unendlich zu vergnügen) . . .

ABSPÜLEN

Page 39: Ponge, Die Seife

Und jetzt eine neue Überlegung. Mau mrifJ zu einemE11de kommen. Die Haut, wie­wohl sehr sauber, erschlafft. Wir haben votl der Seife das erla11gt, was wir wollten. Und vielleicht ttoch eitt wenig meftr.

Reines Wasser. Abspülen a) des Körpers - b) der Seife. Sie wird in ihre Schale

zurückgelegt, an ihr strenges Oval und an ihre stete Dienstbereitschaft zurück­gegeben. Während der Körper sich schon an einen anderen Gegenstand macht: DAS HANDTUCH • . .

*

Aber hier beginnt eine neue Geschichte, die ich lhnen ein andermal erzählen werde . . .

79

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ANHÄNGE

Page 41: Ponge, Die Seife

ANHANG I

VARIANTE DER ANSPRACHE AN

DIE DEUTS CHEN HÖRER

Paris, den 6. Dezember 1964

Meine Damen und Herren,

Sie hören jetzt, Sie sind gerade dabei, den Anfang einer Lesung des ersten Textes zu hören, den ich je fur das Radio geschrieben habe.

Behalten Sie bitte dieses Wort: erster, der erste Text. Geschrieben, nicht um Ihnen vor Augen zu treten, sondern um durch den Kanal Ihrer

Ohren zu Ihrem Verständnis vorzudringen. Und Sie werden mir sagen, es sei, als hätte ich ihn für eine Schule oder Gesellschaft

vorbereitet: als Vorlesung oder Vortrag. Doch das stimmt nicht, dem1 Sie �tellen eitu ganz andere Zuhörerschaft dar: eine

Zuhörerschaft, von der man zunächst einmal annehmen darf, daß sie sehr viel zahlreicher ist als eine, die sich in einem Vortragssaal einfinden könnte; angenommen also, eine sehr zahlreiche, aber auch sehr verstreute, von unbestimmter Form, die ich unmöglich sehen oder mir auch unmöglich vorstellen kann, mit ihren verschiedenen Gesichtern, verschiede­nen Ohren, ihrer Höifähigkeit, der Stellung, in der sie erstarrt sind, um mir zuzuhören ­und im übrigen hören ma11che vielleicht sogar zu, während sie sich in ihrer Wohnung bewegen, ihren Beschäftigungen nachgehen; vielleicht unterhalter1 Sie sich sogar . . . Und ich müßte das wissen -bums! -, um die Stimme zu erheben, um Sie aufzuschrecken ­bums! -,um mich Ihrer Aufi1terksamkeit aufzudrängen, Sie zu einer gespanntermAuf merksamkeif zu zwingen, einer ernsthafteren . ..

Nun, das hätten wir, vermutlich ... Ich hingegen, versetzen Sie sich an meine Stelle, wie soll ich vorgehen? Comment

procede-je? Das heißt, ich hätte sagen müssen, comment est-ce que je procede? Und warum mt!ß ich sagen est-ce que je procede! - Weil ich für den Fall, daß Sie dies lesen statt es zu hören, hätte schreiben können

procede-je; es zeigt sich aber, daß diese Form beim Hören ungenau wirkt, zweideutig, nichtzu unterscheiden ist von der historischen Vergangenheit oder dem Imperfekt desselben Verbums. Also muß ich folgender Form den Vorzug geben: comment est-ce que je procede? Wie gehe ich vor?

Diese Frage werde ich jetzt beantworten. Nun, in Wirklichkeit gehe ich nicht in der Weise vor, daß ich Worte ausspreche -nein,

das stimmt auch nicht, aber ich spre-ehe nur im Inneren, ohne daß mein Mund dm gering­sten Laut von sich gibt -: ich gehe tatsächlich mit der Feder in der Hand vor, vollziehe Zeichen auf einem weißen Blatt Papier - und bin nicht weiter als Sie: ich bin bei den ersten Zeilen . . . (Genug über diesen Punkt.)

Page 42: Ponge, Die Seife

Meine Damm und Herren,

als man mir den Vorschlag machte, für Sie etwas vorzubereite11, kam mir die unge­mein eigennützige Idee, diese Gelegenheit zu nutzen, um eir1 sehr altes Projekt zu Ende zu führen, für das ich zah /reiche AtifzeichnurJgen gemacht hatte, das ich beharrlich in verschiedene Fortnerz zu bringen versud1te und dessen Akte ich verzweifelt in meiner Schublade verstaut l1atte, aus der ich sie jetzt wieder hervorgeholt und links neben mich - wenn Sie sich das bitte vorstellen wollen -auf den Tisch gelegt habe, an dem ich sitze, 11111 zu schreiben.

Doch arifgepaßt! Halt! Hören Sie das Geräusch dieses Aktenstoßes, den ich gerade ltochgehobez1 habe und nun eigens für Il1re Ohren auf den Tisch fallen lasse . . . {Ge­räusch)

Der in Großbuchstaben von mir handgeschriebene Titel auf dem Deckel dieser Akten­mappe - einer kartouierter1 Mappe mit Zugriemen - lautet: Die Seife.

Und wie kann ich hoffen, mei11e Dametz und Herren, heute und mit Hilfe des ge­sprochenen Wortes eine vor langem konzipierte und dantt aufgegebetze Arbeit Zll Ende zu bringen, die zur Lektüre bestimmt war?

Ur�d wie und warum habe ich mir das als eine Möglichkeit vorstellen könnm ? - Was den ersten Punkt betrifft, so zweifellos, weil der Gegenstand mir heute noch

interessant genug erschei11t, eine Bearbeitung, Formung, Darlegung wert zu sein, und darüber hinaus, weil ich die Hoffnrmg habe, er könnte sich mir, da ich seit langem nicht mehr darüber nachgedacht habe, in objektiver Weise dartun, tmd ich daher, um die Arbeit

fertig zustellet!, mit meinem kritischen Vermögen besser auf ihn einwirken könnte als zu dem Zeitpunkt, da ich damit vertraut war, oder, wie es heißt, mitten drin steckte.

- Was den zweiten P,mkt betrifft, so deshalb, weil die Tatsache, mich mittels des ge­sprochenen Wortes an Personen zu wenden, die zwar verstreut und dünn gesät sind wie Leser, die ich mir aber heJ1te tmd ZH eben dieser Stunde physisch gegenwärtig uud vereint vorstelle - wem1 nicl1t im Ramn, so doch wenigstens in der Zeit -, um meitztm Text zu hören, ohne daß es irgendwelcher Anstrengungen bedürfte - ich meine fiir sie -, außer daß sie hinhören, und - was mich betrifft - ohne daß ihre sichtbare Gegenwart (wie etwa in einem Vortragssaal) mich anregte, störte oder belästigte, oder gar - durch die Reaktionen, die ich im gegenwärtigen Fall einer Radiosendung nicht wahmehme, - mich von meinem Ko11zept abbringen könr1ten - weil mich also die Tatsache, mich mündlich an ein Pu.blikum dieser Art zu wenden, dazu zwittgt, innerhalb einer relativ kurzen Zeitspamze zu Ende zu kom111e11 -und ich meine damit sotvohl die Zeitspanne fiir die Beendigtmg meiner Arbeit wie die Zeitder Lesung, also ihrer Darlegung -anderer­seits dazu zwingt, meine Ausdruckstveise i11 gewisser Weise zu lockern, dwn da für das Ohr im Verlauf des Sprechens alles wieder ausgelöscht wird, darf ich keine übermäßig verdichteten Altsdrücke verwendm (die voraussetzm, daß man sie mehrmals lesen oder lm1ge genug dabei verweilen kann); es könnte sogar ratsam sein, manche davon mehr­

fach zu wiederholen, wie das in der Mt�sik üblich ist ... Auch scheint mir der Grund, zum Vortrag gerade diese Arbeit für Sie gewählt zu

haben, deren Akte neben mir auf dem Tisch liegt, darin zu liegen, daß diese Akte, die unter meinet! noch unfertigen Arbeiten am beträchtlichsten ur1d am meisten bearbeitet ist, mir wichtig genug erscheint, wn sie auf diesem Umweg zu eiuem möglichen Abschl0J ztl bringen - tmd darüber hinaus, um Sie an eir1er langjährigen Arbeit teilhaben zu lassen statt an einer verwegenen Improvisation über irgendein anderes Thema.

Wamm denn aber die Seife< Warum habe ich, vor nun mehr als zwan�ig]ahren, eine Übung über dieses Thema begonnen, das von vornherein" so diirfiig, so prosaisch wirkt?

- Nun, (wenn ich so sagen darf), das.wird sich zeigen . . .

85

Page 43: Ponge, Die Seife

ANHANG 11

Paris, den 28. Dezember 1964

Bestimmt verdanke ich viel meiner Faulheit. Ich gehorche meiner Faulheit, die sich auf das bcneht (bezogen hat), 'vas ich nicht zu tun brauchte.

Ich habe oft gesagt, daß der Mensch - das heißt nnan«, das heißt :.ich«- heut­zutage sehr danach verlangt, •sich zu verändern«. In Wirklichkeit nicht so sehr, sich in seinem �>Sein« zu verändern, als in dem, was er darin zu sein, davon zu zei­

gen oder daraus zu machen wünscht. Es ist faktisch nicht so sehr die Neuheit, die ich suche, als vielmehr die Unter­

scheidung, die Authentizität. Nun, was mich betrifft, so hatte ich nie den Eindruck, die Abhandlungen oder

Kunstwerke, die auf der menschlichen Psychologie (oder Moral) fußen, könn­ten je meine Sache sein. Ich meine die Werke einer direktm Psychologie oder Moral.

Denn das ist ja gemacht worden ; die Sache anderer; tmd aufs allerbeste ge­macht worden, woran ich nie gezweifelt habe.

Sooft ich die großen Autoren wieder las, die modernen wie die alten, wurde ich von Begeisterung und Bewunderung ergriffen, aber im gleichen Augenblick rief es in meinem Inneren: •Gemacht•! (und daher nicht ·wieder zu machen).

Einerseits erschienen mir tatsächlich die Modelle (des Geistes und des Charak­

ters und der Sitten), die diese Werke aufstellten, in jedem Sinne des Wortes außer Reiclnveite, etwa wie Götter oder Helden der alten Liturgie; andererseits emp­fand ich ein heftiges Verlangen, mich zum Boden zu neigen, im Wasser zu schöpfen. in der Erde zu wühlen, Früchte zu pflücken, mich an den Gegenstän­den zu stoßen. Nur das schien mir natürlich und menschenwürdig. Wobei ich allerdings damit rechnete, dort Prinzipien der Moral und des Geistes zu finden, die aber wenigstens neu sind und in denen ich mich wiedererkennen könnte, und diese müßte ich zur Würde von Helden, Göttern, Thronen und künftiger Herr­lichkeiten erheben, ohne mich sonderlich mit ihrer »Wahrheit« im absoluten Sinne zu strapazieren, indem ich sie durch die Tugenden einer neuen Sc!Jrijt gleichzeitig ein- und absetzte.

Und das ist das Warum der Dinge (auch zum Beispiel der Seife) in meinem Buch, meiner Bibel (in meinem biblion, hätte ich Lust zu schreiben).

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11. NEUE ARBEITEN AN DER SEIFE

Paris, den 29. Dezember 1964

Ballett von wehenden, wirbelnden, sich windenden Schleiern nnd Schärpen, die sich b lähen, wieder zusammenfallen, sich verwickeln, sich entfalten: so etwas nannten wir i n unserer Jugend Ballett a la Lcie Full:er.

Ballett von Tüll, Ballett von Hüllen, Blasen, Schaum, Ballett der Rage und Ekstase; Ballett der Entrüstung und des Jubels, der Flockenbildung, der Bered­samkeit.

Ballett der Emulsion und Verdunstung, der Gaze und Vergasung; Ballett der Auflösung.

Ballett der Explosion, langsamer Explosionen mit äußerster Verzögerung, kein geradliniges Zerstieben, sondern eher breite, sich windende Bänder.

Ja, eine Art von sehr langsamem Aufflackern in der Form gekrümmter Linien oder beredter Linien.

Und sind die Seifenstücke nicht wie angreifende Granaten, die mit großer Verzögerung bersten und eine Flugbahn sich windender Bänder beschreiben!

Es handelt sich nati.irlich eher um Niederlagen als um Siege, aber um beson­ders schäumende, hinreißende; voller Entzücken, Fingerschlecken, maßloser Verwicklungen und Entwicklungen - und letzten Endes läuternde.

Um eine Art von Nachgeben, bei dem der Raum auf eine ganz besondere Weise eingenommen wird. Um eine Verringerung und Ausdehnung des zentra­len Kerns, die sich b läht wie eine aufplatzende Wunde (ah! wie vorzüglich ist doch dieses »sich bläht<<, denn das Wesen der Emulsion ist damit buchstäblich ge­troffen).

Schließlich handelt es sich hier um ein Naturgeheimnis ... Und, frage ich mich jetzt, war da nicht, als ich diese Studie begann, irgendein stark auf seine Abstraktion hin verarbeiteter Nachklang in meinem Gedächtnis von jenem Exod11s von 1940, wie ich ilm einige Jahre zuvor erlebt hatte . . . 1

Page 44: Ponge, Die Seife

ANHANG III

DIE SEIFE, LB SAVON: DIE WÖRTER, D I E SACHE

Paris, den 1.]anuar 1965

Meiue Damen und Herren,

die Seife, die Seifenkugel: Sie wissen, was das ist. Sie kennen das gut, diese Sache, das Material, diese Art der Zusammensetzung aus Fetten (daher in Wasser nicht löslich) und kattstischer ( "avt't"ck, von "atetv, brennen) alkalischer Salze, die schmutz­lösende Tugenden hat und deren man sich bedient, um allerlei zu säubern und weißzu­waschen, insbesondere Ihre Wäsche und gar Ihre Haut.

Plinius lqßt durchblicken, daß es sich um eine gallische Erfindung handelt: >>Galliarum hoc inventtlm«, sagt er (XXXIII, 1 z, 51).

Das griechische Wort a&nwv- woher sicherlich das lateinische sapo, das französische savon, das englische soap stammen und vielleicht auch, obwohl mir das weniger auf der Hand zu liegen scheint, Ihr deutsches Seife-sei gleichfalls gallischen (keltischen.) Ur­sprungs.

Die Sache, die dieses Wort bezeichnet und die in unseren Bereichen seit immerhin zwei oder drei Jahrtausenden außerordentlich häufig verwendet wird, bietet sich in Form von Stücken, Steinen, Semmeln, Kugeln verschiedetter Modelle und Qualität dar; bisweilen als Paste, Pomade, Salbe. Sie ist im höchsten Grade wasserlöslich, aber wie bei allen viskosen Flüssigkeiten, auf die man einschlägt, die man quirlt oder hinabgießt, können die eingeschlossenen Luftblasen ihre Hülle sprengen und nehmen das Wasser mit, indem sie als Gischt oder Schaum aufsteigen.

Dadurch wird der Vorgang der Reinigung und des Weij3waschens, zu dem man sie benutzt, sehr gefördert. Außerdem macht es diesen Vorgang in gewisser Hinsicht erfreu­lich. Ut1d wie sollte es einem et1tgehen, daß die betreffende Freude mit Gewißheit da­durch ihren Höhepunkt erreicht, daß man dem durch plötzlichen und schwungvollen Zusatz einer weiteren Wassermenge leicht ein Ende machen kann! Welch herrliche Be­wimpelung resultiert alsbald, wenn es sich um Wäsche handelt - tmd überhaupt, ob es sich nun um Wäsche handelt oder Zähne oder Haut, selbst Geschirr oder Wagen, welcher Stolz, welch gutes Gewissen, welche Freude!

Und ist es bei den Worten und Figuren, die das adäquat bewußt machen können, nicht offensichtlich, daß sie auserkorene Zeichen und Modi des reinen Jubels an sich werden . . .

Ist dies nicht wert. daran zu arbeiten?

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ANHANG IV

V O N GEGENSTÄNDEN MENSCHLICHER HERSTELLUNG IM ALLGEMEINEN ;

V O N GEWISSENSCHLÜSSELNUND DECHIFPRIERRASTERN IMßESO NDEREN

·Paris, den z.Januar 1965

Hinsichtlich der vom Menschen hergestellten Gegenstände, die zu den gängig­sten, dem Aussehen nach schlichtesten oder elementarsten wie auch unentbehr­lichsten gehören -jedenfalls scheinen sie uns so -, sind wir >>zivilisierten« Men­schen, verglichen mit unseren fernen (nicht gar so fernen) Vorfahren, anders ge­worden: tatsächlich ga112 anders.

Wir sind dahin gelangt, diese Gegenstände als natürliche Gegenstände zu be­trachten, als Gegenstände, die die Natur uns schuldig ist, olme daß wir etwas dazutun müßten, es sei denn, (wenig) dafür zu bezahlen. Und wer wäre nicht in der Lage, zum Beispiel ein Stück Seife zu kaufem

Wenn es ausnahmsweise passiert, ·daß es uns an solchen Gegenständen mangelt, sie »nicht zu finden<< sind. erfüllt uns alsbald ein Gefühl der Überraschung und Enttäuschung, das uns irgendwie aus dem Gleichgewicht bringt. Moralisch (das heißt: praktisch) sehen wir uns vor eine Entscheidung gestellt. Wir können ent­weder lernen, olmesie auszukommen oder sie selbst von Grund aufherzustellen, das heißt tatsächlich beim Rohmaterial beginnen, das uns zur Verfügung steht. Jedenfalls werden uns im Hinblick auf sie die Augen geöffnet: endlich sehen wir sie, anstatt sie ganz einfach zu benutzen.

Ihre Kostbarkeit wird uns nun deutlich, ihr Wert offenbart sich uns. Gleich­zeitig verändert sich unser eigener Wert in unseren eigenen Augen: wir erfahren, daß er von ihnen abhängig ist. Die Welt wird wieder interessant, wie bei einem Spiel, das »gilt«: wenn bekanntlich die Partie plötzlichgelten soll, man nicht mehr »zum Spaß« spielt, sondern »richtig«, »um Geld4. Eine Leidenschaft (der Gefal len

am Risiko, das heißtim Grunde am Drama) kommt dann hinzu. Der Rhythmus des kreisenden Blutes beschleunigt sich; die Aktivität, der Verschleiß der Nerven wächst.

Betrachten wir nun die Dichter, die Künstler. Betrachten wir sie innerhalb der Gesellschaft, die sie umgibt, tmd versuchen wir herauszufinden, was sie von ihr unterscheidet. Nun, es kann zum Beispiel einem Maler passieren, daß er ein Stil­leben (einen Küchentisch zum Beispiel) in seinem Wert sieht, in dem Sinne, in dem ich in der vorangegangenen Analyse zu diesem Begriff, diesem Wort vorgedrun­gen bin. Oder es kann zum Beispiel geschehen, daß ein Dichter in dieser Weise einen beliebigen Gegenstand sieht: das Brot, die Kerze, ein Stöck Fleisch, ein Stück Seife.

Man ist gemeinhin der Ansicht, daß Künstler, die diese Art des Sehens ge­wohnt - und ihr irgendv.rie unterworfen sind, das heißt, die von Natur aus dem

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Gleichgewicht inmitten einer leichten, automatischen, gewöhnlichen, gängigen Welt geraten sind - daß diese Künstler dadurch zeigen, ja was? wenn nicht ihr mangelndes Gleichgewicht, ihre Narrheit oder wenigstens ihre unvorstellbare Naivität.

Möglich, möglich! Dennoch; erscheint Ihnen das nicht jetzt, im Gegenteil, ich meine: nach dieser

kleinen Analyse von vorhin, wie etwas eher Positives, wie ein Anzeichen einer Fähigkeit, eines zusätzlichen Vermögens vielleicht, wie ein Zeichen der über­legenhciu (Ich stelle die Frage nur.)

Man wird mir natürlich erwidern, daß die Künstler, da sie die Dinge so sehen und sichtbar machen. im Zustand der »geöffneten Augen« verharren und über diese Phase nicht hinauskommen, nicht zu dem Akt der Wiederanpassung vor­dringen, zur Askese oder zur Herstellung.

Seht an! (Und doch, wenn auch nur vorläufig, würde ich zustimmen.) Zu­mindest kann man sie bereits als nützliche Wegbereiter für eine gewisse •Reali­tät« der Welt betrachten, die gelegentlich schwieriger, interessanter, beglücken­der werden kann, als sie sich gewöhnlich gibt. Zuletzt als Trainer (im Sinne des ·

sportlichen Trainings), Turnlehrer, Tutoren, Krankenwärter, was weiß ich ­oder sagen wir doch grob: Moralisten.

Darin besteht möglicherweise die Nützlichkeit der Dichter, Künstler. Aber betrachten wir nun das Vergnügen, das sie bereiten.

Nun, dieses Vergnügen rührt im allgemeinen daher, daß sie ihre Nützlichkeit zu verstecken, zu überspielen wissen, daß sie sich nicht in Professoren verwan­deln, in Moralisten. Daß sie sich daraufbeschränken, Ihnen ihre Emotionen mit­zuteilen, ihre Überraschung, ·ihre Verwunderung, ihr Gefühl des Unerhörten, des Schicksalhaften, ja des Tragischen angesichts der alltäglichen Wirklichkeit. Daß sie nicht darauf ausgehen, sie zu verändern, sondern nur sie zu sehen - und dies unter den gleichen - eindeutig künstlichen - Bedingungen von Frieden, Sicherheit, Ruhe, Behagen, Ausgeglichenl1eit, deren Sie sich zur gleichen Zeit auch erfreuen.

Das heißt, es scheint sich wirklich um ein Spiel zu handeln, um eine Muße­beschäftigung mitten im automarisehen Alltag, zu dem Sie augenblicklich zu­rückkehren können. Um ein Spiel ohne Folgen, wenigstens scheint es so, und, wie man sagt, umsonst.

Und es versteht sich von selbst, daß die extreme Form dieses Spiels die Poesie ist, das rein verbale Spiel, ohne Nachahmung oder Darstellung des •Lebens« selbst, also nicht der Roman, die Geschichte, das Drama, sondern das Gedicht. Ich meine nicht das subjektive Stinunungsgedicht, sondern das ausdrucksstarke, engagierte Gedicht, das überdies so strukturiert, distanziert;. transponiert, so »kalt« wie möglich ist. .

Das wäre ein Gipfel, ein zweckfreies Objekt, zugleich natürlich und preziös, präzise bis zum äußersten und eben deshalb geheimnisvoll. »Zweckfrcic, so daß

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sein Wert erst im gewollten Augenblick erscheint, das heißt im gegebenen (dramatischen) Augenblick, ich meine im Augenblick des wahren I)Lesens«.

Wir sind in denBesitz eines überaus kostbaren Werkzeuges gesetzt, das schein­bar zu nichts dient, sich aber in bestimmten Augenblickenals unvorstellbar nütz­lich erweist.

Kurz, ein Patent- oder Universalwerkzeug. Und vielleicht sogar eine Art Universal-Schlüssel oder -Dechiffrimaster.

Und nunnehme man (nach einer kurzen Atempause) denlangen vorangegan­genen Text von seinem Anfang her wieder auf-nicht ohne sich zuvor von fol­gendem überzeugt zu haben: unter den vom Menschen hergestellten Gegen­ständen den gängigsten, unentbehrlichsten, die die Natur (scheint es) uns schul­det, die uns jedoch fehlen können, etc., etc., unter diesen, die man gewöhnlich braucht, ohne sich ihrer bewußt zu werden, wie Monsieur Jourdain die Prosa, -oder wie das Brot, die Seife oder die Elektrizität-befinden sich die WÖrter und Figuren der Sprache; und alsbald wird deutlich, daß die wahren Hersteller (und nicht einfach Betrachter) dieser Gegenstände die Schriftsteller, dieDichter sind­und daß uns, und nur uns, als Schriftstellern und Dichtern, die Macht zugefallen ist die Schlüssel der Welt oder die Dechiffrierraster zu schmieden, die es uns er­m�glichen, uns darin zu erkennen und damit die Türen zu ( . . . wenn Sie auf diesem Wort bestehen . . . ) unserer >>Freiheit« zu öffnen oder zu schließen.

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ANHANG V

SICH DIE HÄNDE RB I BEN. - MIT ETWAS. - SCHRIFT UND LEKTÜRE. ­

EINfÜHRUNG I N DIE MORAL DES OBJOIE. - ENDE DES BUCHES.

Paris, den J.]anuar 1965

Warum wohl ist das H.'indereiben in unseren Bereichen ein bevorzugtes Zei­chen der Zufriedenheit, ja des irmerlichenJubels?

Sicherlich sollten wir in der Lage sein, einige . . . mehr oder minder plausible ErklärWlgen zu formulieren.

Schon das Wort plausibel; wie kann man umhin, das Händereiben mit dem Applaudieren in Verbindung zu bringen, wobei auch beide Hände gegenein­ander eingesetzt werden: eine schlägt auf die andere, reibt sich nicht daran, zu­gegeben - und erzettgt so ein zusätzliches Phänomen akustischer Art: ein Ge­räusch. In diesem Fall nämlich gilt die kundgetane Zufriedenheit nicht mehr einem selbst, sondern einer anderen Person, der rnan es, deutlich und öffentlich, Zll verstehen geben möchte.

Aber kehren wir zum Händereiben zurück. Könnte man es nicht als das stille Zeichen für eine Art von »Koppelung« auffassen, körperlicher Identität, die als solche befriedigt, vergleichbar der, die ein Hund anstrebt, wenn er versucht, siehin den eigenen Schwanz zu beißen; und dann dieser Hypothese entsprechend festhalten, daß unter den doppelten und symmetrischen Organen, von denen es

im menschlichen Körper eine Fülle gibt (wie übrigens in den meisten wie auch immer gearteten natür lichen Körpern), die Hände zu jenen wenigen gehören, die sich leicht vereinigen können. Daher ist es ganz natürlich, daß sie sich dies nicl1t entgehen lassen -und sich gegenseitig beglückwünschen . . .

Was das Händereiben selbst angeht, so wäre es eine VerdoppelW1g, eine Ver­vielfältigung des einfachen Griffs, genauso wie sich eine Liebkosung zum Bei­spiel wiederholen muß, nachdrücklich werden muß, um ihre ganze WirkWlg zu erzielen und schließlich eine nervliche Veränderung zu erzeugen, ich meine einen Spasmus oder Orgasmus.

Das Hervorbringen seines eigenen Zeichens wirdsomit die Bedingung, irgend etwas zu vollenden . . . Doch! So muß man sich die Schrift denken: nicht als Transkription einer (äußeren oder vorgefaßten) Idee, nach einem konventionel­len Kode, sondern wirklich wie einen Orgasmus: wie den Orgasmus eines Wesens, oder sagen wir einer Struktur, die als solche natürlich durchaus kon­ventionell ist -die aber, um sich zu vollenden, sich jubelnd als solche geben muß : mit einem Wort, sich selbst bezeiclmend.

·

Kehren wir nun zur Seife zurück, das heißt zum Händereiben mit etwas und sozusagen mittels eines Mittels.

Das geschieht nicht mehr (wie das Applaudieren oder das stille Händereiben)

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als Folge oder Zeichen eines erreichten Resultats, sondern in der Absicht, ein Ergebnis zu erzielen: insbesondere eine Reinigung oder Weißwäsche.

Wenn wir nun diesem Mittel seine game Bedeutung zubilligen, damit es seinen größten Ertrag abwirft und wir seine letzte Gunst erlangen (eine ständige Spende an Speichel zum Beispiel) : so haben wir genau das Spiel, die Wortübung schlechthin; das heißt die •Poesie«; das heißt die »Moral« selber.

Und an diesem Punkt unserer Überlegung muß man den Begriff avec (mit) direkt angehen, das heißt das Wort selber. Und avec ist ja av-vec, apud hoc: bei diesem, in Begleitung von diesem.

Wäre es also nicht der Eintritt in die Gesellschaft, wenn man sich zu irgend­einem anderen (Wesen oder Ding) gesellt, letztlich zu einem Objekt, das es einem jeden erlaubte, seine persönliche Identität zu erfassen. sie von dem zu lösen, was sie nicht ist, sie zu säubern, rein zu ätzen? Sich zu bczcidmcn? Sich letzten Endes in dem objoie zu verewigen.

Kurz, unser Paradies - wären das nicht die anderen?

*

Und das Pararues dieses Buches? Was könnte es anderes sein, lieber Leser, als deine Lektüre (wie sie sich in dieselt letzten Zeilen in den Schwanz beißt).

*

Nun ist dieses Buch in sich abgerundet; unser Kreisel in Bewegung gesetzt; unsere SEIFE auf der Umlaufbahn.

(Und alle Raketenstufen oder aufeinanderfolgenden Kapitel, die für ihren Start gezündet wurden, mögen schon zurückgefallen sein in die Atmosphäre, den Gemeinplatz des Vcrgessens, wie er auch der des Vorhabens war.)

Ihr Schicksal wird nur noch von der materiellen Natur bestimmt, von der diese Zeichen Wld il1re Träger ein Teil sind.

ENDE DES BUCHES

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5 ANFANG D E S ßUCHBS

7 DIE SEIFE

81 ANHÄNGE

93 ENDE DES BUCHES

INHALT

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Die Sammlung der Luchterhand-Drucke wird herausgegeben von Helmut I Heißenbüttel und Otto F. Walter. Francis Ponge wurde 1899 in Montpellier; geboren. Er _lebt heute in Lebar-sur-Loup {Süclfrankreich). Die Typographie wurde von Christian Honig eingerichtet.. Das Buch wurde in der Bembo­Antiqua II auf 12 Punkt gesetzt; es wurde in der Passavia Passau gedruckt·und gebunden, unter Verwendung eines Büttenkupferdruckkartons.

Die Auflage bleibt auf 1200 Exemplare der einmaligen Auflage beschränkt. Alle Rechte der deutschen Ausgabe sind vorbehalten.