Präsentismus vermeiden – Arbeitsbereitschaft fördern. Ein Zielkonflikt der Pandemieplanung?;...

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1 | Prävention und Gesundheitsförderung X · 2013 Arbeitswelt Hintergrund und Fragestellung Präsentismus bezeichnet das Verhalten, sich bei einer Erkrankung nicht krank zu melden, sondern arbeiten zu gehen [16]. Eine akute Atemwegserkrankung wird de- finiert als das Syndrom akute Pharyngitis (Hals-/Rachenentzündung), Bronchitis (Atemwegsentzündung) oder Pneumonie (Lungenentzündung) mit oder ohne Fie- ber [9]. Im Sinne des Infektionsschutzes sollte Präsentismus bei akuter Atemwegs- erkrankung vermieden werden. Denn wegen des Risikos einer Mensch-zu- Mensch-Übertragung beeinträchtigt Prä- sentismus bei akuter Atemwegserkran- kung nicht nur die eigene Genesung der Erkrankten, sondern setzt auch Kontakt- personen einem Infektionsrisiko aus. Da- her empfehlen Gesundheitsbehörden in Deutschland wie auch in anderen Län- dern, im Fall einer eigenen akuten Atem- wegserkrankung nicht arbeiten zu gehen. 1 Diese Empfehlung bildet im Verbund mit weiteren Empfehlungen über nicht-phar- mazeutische Interventionen [12] insbe- 1 http://www.cdc.gov/flu/protect/stopgerms. htm. Zugegriffen: 04. Mai 2013, http://www. impfen-info.de/hygienetipps/im-alltag/hygi- eneverhalten-im-krankheitsfall/. Zugegriffen: 15. Mai 2013, http://www.impfengegengrippe. ch/de-ch/vorsorge-und-hygienemassnahmen. html. Zugegriffen:15. Mai 2013, http://www.wir- gegen-viren.de/content/index/7?submenue_ id=29. Zugegriffen: 04. Mai 2013. sondere auch eine Botschaft für die Risi- ko- und Krisenkommunikation im Fall einer Influenzapandemie. Als weitere Zielsetzung findet auch die Förderung der Arbeitsbereitschaft von Beschäftigten während einer Influenza- pandemie Eingang in die Planung für den Fall einer Influenzapandemie. Schließ- lich ist es wichtig, gerade in Zeiten hohen Arbeitsvolumens bei gleichzeitig hohem Ausfall von Beschäftigten durch die pan- demische Influenza, die Arbeitsprozesse möglichst lange aufrecht zu erhalten. 2 Die betriebliche Gesundheitsförde- rung und die Pandemieplanung haben dadurch ein beträchtliches Spannungs- feld zu bewältigen. Zum einen soll der Infektionsschutz gewährleistet sein, was ein konsequentes Isolationsverhalten er- krankter Beschäftigter erfordert, zum an- deren ist eine möglichst hohe Arbeits- bereitschaft nötig, damit gerade wäh- rend einer Influenzapandemie immer noch ausreichend Arbeitskraft zur Ver- fügung steht. Die Verantwortlichen ste- hen damit vor der Frage, ob die Vermei- dung von Präsentismus bei akuter Atem- 2 http://dev.feuerwehr.dortmund. de/upload/binarydata_do4ud4c ms/65/74/21/00/00/00/217465/GenoPlan_web. pdf. Zugegriffen: 24. Sept. 2013, http://www. bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/ Downloads/GesBevS/Handbuch-Betriebl_Pan- demieplanung_2_Auflage.pdf?__blob=publi- cationFile. Zugegriffen: 24. Sept. 2013. wegserkrankung mit einer Förderung der Arbeitsbereitschaft im Fall einer Influ- enzapandemie überhaupt vereinbar sein kann, oder ob hier ein Zielkonflikt be- steht. Für eine effektive Pandemieplanung und deren Kommunikation an die Be- schäftigten ist daher die Kenntnis der Zu- sammenhänge zwischen Präsentismus bei akuter Atemwegserkrankung und der Arbeitsbereitschaft während einer Influ- enzapandemie eine wichtige Vorausset- zung. Spezifische Studien zum Präsentismus bei akuter Atemwegserkrankung gibt es bisher nur wenige. Eine Studie in Sedg- wick County, Kansas, USA beschränk- te sich dabei auf die Erhebung des Vor- kommens von Präsentismus bei aktuer Atemwegserkrankung in verschiedenen teilnehmenden Arbeitsstätten sowie der demografischen Angaben der Proban- den. Dabei gaben 39 % der Probanden an, schon einmal mit einer grippeähnlichen Erkrankung zur Arbeit gegangen zu sein. Ein daraus berechnetes multivariates Mo- dell konnte jedoch nur einen geringfügi- gen Anteil der Varianz des Präsentismus mit akuter Atemwegserkrankung erklä- ren [1]. Eine Studie bei den Beschäftigten eines Konsumgüterunternehmens in Deutsch- land ergab, dass in den vorangegangen drei Monaten 44,8 % mit einer Erkältung Gerald Meilicke 1 · Carolin von Gottberg 2 · Silvia Krumm 2 · Reinhold Kilian 2 1 Robert Koch-Institut, Berlin, Deutschland 2 Universitätsklinikum Ulm, Günzburg, Deutschland Präsentismus vermeiden – Arbeitsbereitschaft fördern. Ein Zielkonflikt der Pandemieplanung? Ergebnisse einer Beschäftigtenbefragung in der Stadtverwaltung Dortmund Präv Gesundheitsf 2013 DOI 10.1007/s11553-013-0421-2 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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1| Prävention und Gesundheitsförderung X · 2013

Arbeitswelt

Hintergrund und Fragestellung

Präsentismus bezeichnet das Verhalten, sich bei einer Erkrankung nicht krank zu melden, sondern arbeiten zu gehen [16]. Eine akute Atemwegserkrankung wird de-finiert als das Syndrom akute Pharyngitis (Hals-/Rachenentzündung), Bronchitis (Atemwegsentzündung) oder Pneumonie (Lungenentzündung) mit oder ohne Fie-ber [9]. Im Sinne des Infektionsschutzes sollte Präsentismus bei akuter Atemwegs-erkrankung vermieden werden. Denn wegen des Risikos einer Mensch-zu-Mensch-Übertragung beeinträchtigt Prä-sentismus bei akuter Atemwegserkran-kung nicht nur die eigene Genesung der Erkrankten, sondern setzt auch Kontakt-personen einem Infektionsrisiko aus. Da-her empfehlen Gesundheitsbehörden in Deutschland wie auch in anderen Län-dern, im Fall einer eigenen akuten Atem-wegserkrankung nicht arbeiten zu gehen.1 Diese Empfehlung bildet im Verbund mit weiteren Empfehlungen über nicht-phar-mazeutische Interventionen [12] insbe-

1 http://www.cdc.gov/flu/protect/stopgerms.htm. Zugegriffen: 04. Mai 2013, http://www.impfen-info.de/hygienetipps/im-alltag/hygi-eneverhalten-im-krankheitsfall/. Zugegriffen: 15. Mai 2013, http://www.impfengegengrippe.ch/de-ch/vorsorge-und-hygienemassnahmen.html. Zugegriffen:15. Mai 2013, http://www.wir-gegen-viren.de/content/index/7?submenue_id=29. Zugegriffen: 04. Mai 2013.

sondere auch eine Botschaft für die Risi- ko- und Krisenkommunikation im Fall einer Influenzapandemie.

Als weitere Zielsetzung findet auch die Förderung der Arbeitsbereitschaft von Beschäftigten während einer Influenza-pandemie Eingang in die Planung für den Fall einer Influenzapandemie. Schließ-lich ist es wichtig, gerade in Zeiten hohen Arbeitsvolumens bei gleichzeitig hohem Ausfall von Beschäftigten durch die pan-demische Influenza, die Arbeitsprozesse möglichst lange aufrecht zu erhalten.2

Die betriebliche Gesundheitsförde-rung und die Pandemieplanung haben dadurch ein beträchtliches Spannungs-feld zu bewältigen. Zum einen soll der Infektionsschutz gewährleistet sein, was ein konsequentes Isolationsverhalten er-krankter Beschäftigter erfordert, zum an-deren ist eine möglichst hohe Arbeits-bereitschaft nötig, damit gerade wäh-rend einer Influenzapandemie immer noch ausreichend Arbeitskraft zur Ver-fügung steht. Die Verantwortlichen ste-hen damit vor der Frage, ob die Vermei-dung von Präsentismus bei akuter Atem-

2 http://dev.feuerwehr.dortmund.de/upload/binarydata_do4ud4cms/65/74/21/00/00/00/217465/GenoPlan_web.pdf. Zugegriffen: 24. Sept. 2013, http://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Downloads/GesBevS/Handbuch-Betriebl_Pan-demieplanung_2_Auflage.pdf?__blob=publi-cationFile. Zugegriffen: 24. Sept. 2013.

wegserkrankung mit einer Förderung der Arbeitsbereitschaft im Fall einer Influ-enzapandemie überhaupt vereinbar sein kann, oder ob hier ein Zielkonflikt be-steht.

Für eine effektive Pandemieplanung und deren Kommunikation an die Be-schäftigten ist daher die Kenntnis der Zu-sammenhänge zwischen Präsentismus bei akuter Atemwegserkrankung und der Arbeitsbereitschaft während einer Influ-enzapandemie eine wichtige Vorausset-zung.

Spezifische Studien zum Präsentismus bei akuter Atemwegserkrankung gibt es bisher nur wenige. Eine Studie in Sedg- wick County, Kansas, USA beschränk-te sich dabei auf die Erhebung des Vor-kommens von Präsentismus bei aktuer Atemwegserkrankung in verschiedenen teilnehmenden Arbeitsstätten sowie der demografischen Angaben der Proban-den. Dabei gaben 39 % der Probanden an, schon einmal mit einer grippeähnlichen Erkrankung zur Arbeit gegangen zu sein. Ein daraus berechnetes multivariates Mo-dell konnte jedoch nur einen geringfügi-gen Anteil der Varianz des Präsentismus mit akuter Atemwegserkrankung erklä-ren [1].

Eine Studie bei den Beschäftigten eines Konsumgüterunternehmens in Deutsch-land ergab, dass in den vorangegangen drei Monaten 44,8 % mit einer Erkältung

Gerald Meilicke1 · Carolin von Gottberg2 · Silvia Krumm2 · Reinhold Kilian2

1 Robert Koch-Institut, Berlin, Deutschland2 Universitätsklinikum Ulm, Günzburg, Deutschland

Präsentismus vermeiden – Arbeitsbereitschaft fördern. Ein Zielkonflikt der Pandemieplanung?

Ergebnisse einer Beschäftigtenbefragung in der Stadtverwaltung Dortmund

Präv Gesundheitsf 2013DOI 10.1007/s11553-013-0421-2

© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

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und 10,5 % mit einer Influenzaerkran-kung zur Arbeit gegangen sind [11].

Eine weitere US-amerikanische Stu-die konnte ebenfalls das Vorkommen von Präsentismus bei akuter Atemwegs-erkrankung bestätigen [14]. Die Ergebnis-se sind allerdings nicht vergleichbar, da dort ein anderes Verständnis des Phäno-mens Präsentismus zugrunde gelegt wird. Präsentismus wird dort als ein Maß für den Produktivitätsverlust verstanden, der dadurch entsteht, dass Beschäftigte zwar arbeiten gehen, aber durch die Erkran-kung in ihrer Produktivität eingeschränkt werden. Diese wird dann im Ergebnis als durchschnittlicher Verlust von beispiels-weise 1,8 h Arbeitszeit auf den gesamten Arbeitstag während einer akuten Atem-wegserkrankung dargestellt [14]. In der Folge geht es bei dieser Forschungsper-spektive vor allem darum, Maßnahmen zu entwickeln, die solchen Erkrankungen möglichst grundsätzlich vorbeugen. Für die Beschäftigten soll sich die Frage, krank zur Arbeit zu gehen oder nicht, möglichst selten stellen müssen. Diese Forschungs-perspektive kann stärker dem US-ameri-kanischen als dem europäischen Raum zugeordnet werden, wie eine Literatur-übersicht zeigte.3

Abgegrenzt von den bisherigen Stu-dien zum Präsentismus bei Atemwegs-erkrankungen stellt sich zurzeit das For-schungsfeld zur Arbeitsbereitschaft im Fall einer Influenzapandemie dar. Im Jahr 2008 gaben beispielsweise 61,8 % der ge-impften Verwaltungsmitarbeiter des Uni-versitätsklinikums Frankfurt in einer Be-fragung an, dass sie während einer Influ-enzapandemie zur Arbeit kommen wür-den [18]. Auch US-amerikanische Stu-

3 http://www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/Gd60.pdf?__blob=publicationFi-le&v=7. Zugegriffen: 24. Sept. 2013.

dien weisen auf die Problematik, dass nicht alle Beschäftigten während einer Influenzapandemie zur Arbeit kommen würden. Darüber hinaus konnte dort eine unterschiedlich hohe Arbeitsbereitschaft der Beschäftigten gezeigt werden, je nach-dem ob sie zur Arbeit während der Influ-enzapandemie verpflichtet wurden, oder ob keine Verpflichtung zur Arbeit wäh-rend der Influenzapandemie bestand [3, 4, 6].

Da der Präsentismus bei akuten Atem-wegserkrankungen und die Arbeitsbe-reitschaft im Fall einer Influenzapande-mie bisher unabhängig voneinander er-forscht wurden, hatte die vorliegende Studie zum Ziel, die erste Prüfung eines möglichen Zusammenhangs beider Grö-ßen zu unternehmen. Damit soll die Ent-scheidungsgrundlage verbessert werden, auf der für die Pandemieplanung eine diesbezügliche Zielsetzung festgelegt wer-den kann.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Stichprobe

Die Stadtverwaltung Dortmund hatte im Untersuchungszeitraum vom 14.02.2011 bis zum 04.04.2011 insgesamt 8969 Be-schäftigte. Davon verfügten 5976 über einen dienstlichen Rechnerzugang. Alle Beschäftigten mit dienstlichem Rechner-zugang wurden eingeladen, den Frage-bogen über das verwaltungsinterne Netz auszufüllen. Daraufhin nahmen 1562 Be-schäftigte an der Befragung teil. Das ent-spricht einer Rücklaufquote von 26,1 %.

Da die Informationen über Rechner-zugänge und die Personalstatistik von der Stadtverwaltung getrennt verarbeitet wer-den, ist keine spezifische Beschreibung der Beschäftigten mit Computerzugang

möglich. . Tab. 1 vergleicht die Stich-probe daher mit allen 8969 Beschäftigten in Bezug auf demografische Variablen. Hierbei zeigen sich nur geringe Abwei-chungen beim Durchschnittsalter, beim Dienstalter und bei der Geschlechterver-teilung. Alleinstehende nahmen deutlich seltener, Verbeamtete deutlich häufiger teil, als es ihrem jeweiligen Anteil an der Gesamtbelegschaft entspricht. Über zwei Drittel der Befragten besitzen Abitur oder einen höheren Bildungsabschluss. Über die Bildungsabschlüsse existiert für die Gesamtbelegschaft kein Vergleichswert, da diese in der Personalstatistik nicht er-fasst werden.

Operationalisierung

Im Rahmen einer Personalbefragung in der Stadtverwaltung Dortmund wurden den Beschäftigten Aussagen vorgelegt und abgefragt, inwieweit diese Aussagen auf sie persönlich zutreffen.

Die Aussage zum Präsentismusverhal- ten im Fall einer akuten Atemwegserkran-kung wurde anhand beispielhafter Symp-tome formuliert: „Wenn ich grippeartige Symptome (z. B. Husten, Fieber, Glieder-schmerzen) habe, gehe ich trotzdem zur Arbeit.“ Eine vergleichbare Formulierung hatte sich auch in einer englischsprachi-gen Studie bereits bewährt, um die Nei-gung zu Präsentismus bei akuter Atem-wegserkrankung zu erheben [1].

Zwei Aussagen zur Arbeitsbereitschaft während einer Influenzapandemie wur-den aus dem englischsprachigen Instru-ment „Johns Hopkins Public Health In-frastructure Response Survey Tool“ [4] ins Deutsche übersetzt: „Wenn ich von meinem Arbeitgeber gefragt, aber nicht verpflichtet würde, während einer Grip-pepandemie zur Arbeit zu kommen, würde ich kommen.“ sowie „Wenn mich mein Arbeitgeber verpflichtet, werde ich bei einer Grippepandemie zur Arbeit kommen.“ Die Validierung für die vor-liegende Studie erfolgte über Anschau-ung durch die beteiligten Arbeitsgrup-penmitglieder des Universitätsklinikums Ulm und des Robert Koch-Instituts. Die Arbeitsgruppe kam zum Schluss, zwei weitere Aussagen zur Arbeitsbereitschaft im Fall einer Influenzapandemie zu er-gänzen, um gegebenenfalls Auswirkun-

Tab. 1 Demografischer Vergleich der Stichprobe aus dem Erhebungszeitraum mit den Beschäftigten gesamt (Stand: 31. März 2011)

Stichprobe (1.562) Gesamt (8.969)

Alter (ø/σ in Jahren) 45,5/9,6 45,1/10,1

Dienstalter (ø/σ in Jahren) 21,2/10,8 18,6/11,1

Geschlecht weiblich (n/%) 810/53,3 4.970/53,7

Bildungsabschluss Abitur oder höher (n/%) 1.064/70,2 (nicht auswertbar)

Verbeamtung (n/%) 530/35,1 2.196/23,7

Alleinstehend (n/%) 367/24,1 3.356/36,3

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gen auf weitere Dimensionen der Arbeits-bereitschaft zu erfassen. Es sollte zusätz-lich das eigene Verpflichtungsgefühl zur Arbeit im Fall einer Influenzapandemie berücksichtigt werden. Darüber hinaus hatte sich in der Diskussion mit der Stadt-verwaltung Dortmund gezeigt, dass es wegen Personalmangel bei hohem Kran-kenstand während einer Influenzapan-demie zunehmend wichtig werden kann, dass Beschäftigte in anderen Arbeitsberei-chen als ihren ursprünglichen aushelfen. Auch hierzu wurde deshalb eine Aussa-ge im Fragebogen ergänzt. Die beiden er-gänzten Aussagen im Fragebogen laute-ten „Solange ich nicht selbst erkrankt bin, ist es meine Pflicht während einer Grip-pepandemie zur Arbeit zu kommen.“ und „Während einer Grippepandemie wür-de ich auch Aufgaben außerhalb meines Aufgabenbereichs übernehmen.“ Eine Validierung der Aussagen der Arbeits-bereitschaft als gemeinsames Konstrukt wurde nicht durch geführt, da der Zu-sammenhang der einzelnen Dimensio-nen der Arbeitsbereitschaft mit dem Prä-sentismus bei akuten Atemwegserkran-kungen untersucht werden sollte.

Als Antwortmöglichkeit wurde jeweils eine fünfstufige Skala im Likert-Format vorgegeben mit den Ausprägungen „1“ als „stimmt überhaupt nicht“, „2“ als „stimmt eher nicht“, „3“ als „stimmt teilweise“, „4“ als „stimmt überwiegend“ und „5“ als „stimmt völlig“. Alternativ bestand für die Befragten auch die Möglichkeit, „weiß nicht“ auszuwählen.

Neben den hier operationalisierten In-dikatoren wurden von anderen Arbeits-gruppen weitere Fragestellungen in die Personalbefragung eingebracht und 43 weitere Aussagen zur Beurteilung durch die Probanden integriert. Aus Gründen einer kompakten Bearbeitung der Frage-stellung werden sie hier nicht vorgestellt.

Die anonyme Erhebung wurde vom zuständigen Fachbereich für Statistik der Stadtverwaltung Dortmund elektronisch durchgeführt. Über eine E-Mail-Benach-richtigung, Ansprache durch die jeweili-gen Amtsleiter sowie einen Artikel in der Mitarbeiterzeitschrift der Stadtverwal-tung Dortmund wurde die Studie den Be-schäftigten angekündigt und zur Teilnah-me eingeladen. Die Beschäftigten wurden vor ihrer Studienteilnahme über die be-

teiligten Institutionen, das grundsätzli-che Thema und die Freiwilligkeit der Be-fragung informiert. Der zuständige Perso-nalrat hat das vorliegende Studienkonzept und die hierfür operationalisierten Indi-katoren geprüft und der Studiendurch-führung zugestimmt.

Statistische Auswertung

Das für die Erhebung verwendete fünf-stufige Likert-Antwortformat wurde als intervallskaliert angenommen. Unter Kontrolle der Demografieeffekte für Al-ter, Dienstalter, Geschlecht, Familien-stand, Bildungsabschluss und Verbeam-tung wurde in einem linearen multivaria-ten Regressionsmodell überprüft, ob die

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G. Meilicke · C. von Gottberg · S. Krumm · R. Kilian

Präsentismus vermeiden – Arbeitsbereitschaft fördern. Ein Zielkonflikt der Pandemieplanung? Ergebnisse einer Beschäftigtenbefragung in der Stadtverwaltung Dortmund

Zusammenfassung

Hintergrund und Fragestellung. Beschäf-tigten wird empfohlen, im Fall einer akuten Atemwegserkrankung nicht zur Arbeit zu ge-hen. Doch andererseits wird während einer Influenzapandemie eine möglichst hohe Arbeitsbereitschaft der Beschäftigten erfor-dert. Für die betriebliche Pandemieplanung ergibt sich daraus die Frage, ob zwischen die-sen beiden Zielen ein Konflikt besteht.Studiendesign und Untersuchungsmetho-den. Befragung der Beschäftigten der Stadt-verwaltung Dortmund über Präsentismus bei akuter Atemwegserkrankung sowie zur Arbeitsbereitschaft im Fall einer Influenza-pandemie.Ergebnisse. Im Modell linearer multivariater Regression zeigte sich: Die untersuchten Aus-sagen zur Arbeitsbereitschaft im Fall einer In-

fluenzapandemie erklären nur 2,4 % der Ab-weichungen bei der Neigung zum Präsentis-mus bei akuter Atemwegserkrankung.Schlussfolgerung. Die Geringfügigkeit der Zusammenhänge insgesamt spricht gegen das Vorliegen eines Konflikts zwischen einer hohen Arbeitsbereitschaft im Pandemiefall und der gleichzeitigen Vermeidung von Prä-sentismus bei akuter Atemwegserkrankung. Zur weiteren Unterstützung der Pandemie-planung sollte zukünftige Forschung die Eig-nung von Interventionen untersuchen, bei-den Zielsetzungen zu entsprechen.

SchlüsselwörterPräsentismus · Influenza · Akute Atemwegserkrankung · Pandemie · Mitarbeiterbefragung

Reducing presenteeism, promoting willingness to report to work. A conflict of goals in pandemic planning? Results of an employee survey in the urban administration of Dortmund, Germany

AbstractIntroduction. Employees are recommended to stay at home when they show symptoms of an acute respiratory infection. Yet, in case of an influenza pandemic another challenge is to promote the employees’ high willing-ness to report to work. For pandemic plan-ning this raises the question, whether there is a conflict between these two goals.Method. Employee survey at the urban ad-ministration of Dortmund, Germany, about presenteeism with symptoms of an acute re-spiratory infection and the willingness to re-port to work during an influenza pandemic.Results. Results of multivariate linear regres-sion indicated: There is only little association between propensity for presenteeism with symptoms of an acute respiratory infection

and willingness to report to work during an influenza pandemic (R2 = 0,024).Conclusion. Results did not support the aforementioned conflict of goals between re-ducing presenteeism with symptoms of an acute respiratory infection and promoting willingness to report to work during an influ-enza pandemic. Further research should in-vestigate interventions, which will support both goals alike, in order to support pandem-ic planning.

KeywordsPresenteeism · Influenza · Acute respiratory infection · Pandemic · Employee survey

Zusammenfassung · Abstract

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Indikatoren für die Arbeitsbereitschaft während einer Influenzapandemie in Zu-sammenhang mit der Neigung zum Prä-sentismus bei akuter Atemwegserkran-kung stehen. Ein p-Wert < 0,05 wurde als statistisch signifikant gewertet. Fehlende Angaben bzw. „weiß nicht“-Antworten wurden aus der Analyse ausgeschlossen. Die Analysen wurden mit STATA in der Version 11 durchgeführt.

Ergebnisse

Deskriptive Statistik

Der Präsentismus bei akuter Atemwegs-erkrankung erhielt von den Beschäf-tigten insgesamt die niedrigste Zustim-mung unter den fünf vorgelegten Aus-sagen. Nur 5,5 % der Befragten stimmten völlig zu, dass sie mit grippeartigen Sym-ptomen weiterhin zur Arbeit gehen. Zu-sätzliche 13,8 % der Befragten stimmten dieser Aussage überwiegend zu.

Deutlich stärkere Bestätigung gab es zur Fragestellung, inwieweit die Befrag-ten bereit sind, selbst während einer Influ-enzapandemie zur Arbeit zu gehen. Am höchsten ist diese Bereitschaft, wenn der Arbeitgeber die Beschäftigten zur Arbeit während der Influenzapandemie ver-pflichtet. Für diesen Fall stimmten 54,6 % völlig und 21,5 % überwiegend zu, dass sie zur Arbeit kommen würden.

Eine ähnliche Verteilung ergibt sich, wenn man betrachtet, inwieweit es die Be-fragten als ihre Pflicht ansehen, während einer Influenzapandemie zu arbeiten, so-lange sie nicht selbst erkrankt sind. Die-ser Aussage stimmten 50,5 % der Befrag-ten völlig und 23,7 % überwiegend zu.

Etwas niedriger fällt die Arbeitsbe-reitschaft aus, wenn der Arbeitgeber die Beschäftigten zwar fragt, aber nicht ver-pflichtet, im Fall einer Influenzapande-

mie zur Arbeit zu kommen. Hier waren es 33,3 %, die völlig und weitere 22,5 %, die überwiegend zustimmten.

Noch etwas niedriger ist die Bereit-schaft, während der Pandemie Aufga-ben außerhalb des eigenen Arbeitsbe-reichs zu übernehmen. 22,7 % der Befrag-ten stimmten völlig und 21,6 % überwie-gend zu. . Tab. 2 zeigt die vollständige Verteilung der Antworten auf die fünf er-hobenen Items.

. Abb. 1 zeigt die Mittelwerte und Standardabweichungen der Antwor-ten zum Präsentismus bei akuter Atem-wegserkrankung und zur Arbeitsbereit-schaft im Fall einer Influenzapandemie. Auch hier wird deutlich: die Aussage zum Präsentismus bei akuter Atemwegs-erkrankung erzielt den niedrigsten Wert. Die beiden höchsten Werte erhalten die Arbeitsbereitschaft bei Verpflichtung durch den Arbeitgeber und das eigene Pflichtempfinden, während einer Influ-enzapandemie zu arbeiten, solange man nicht selbst erkrankt ist.

Inferenzstatistik

Je stärker sich die Befragten aus sich selbst heraus bereits verpflichtet fühlten, im Pandemiefall arbeiten zu gehen, des-to stärker neigten sie auch zum Präsentis-mus bei einer akuten Atemwegserkran-kung. Gleiches galt, wenn die Beschäftig-ten vom Arbeitgeber nur gefragt, nicht aber verpflichtet werden, im Pandemie-fall zur Arbeit zu kommen. Je positiver die Befragten darauf ansprachen, desto stärker neigten sie zum Präsentismus bei einer eigenen akuten Atemwegserkran-kung.

Umgekehrt war der Zusammenhang allerdings, wenn die Beschäftigten vom Arbeitgeber explizit verpflichtet werden, in einer Pandemie zur Arbeit zu erschei-

nen. In diesem Fall nahm mit steigender Arbeitsbereitschaft die Neigung zum Prä-sentismus ab.

Die Bereitschaft, während einer Pan-demie auch andere als die üblichen per-sönlichen Arbeitsaufgaben zu überneh-men zeigte keinen Zusammenhang mit der Neigung zum Präsentismus bei aku-ter Atemwegserkrankung. Gleiches galt für die geprüften demografischen Kont-rollvariablen Alter, Geschlecht, Familien-stand, Bildungsabschluss, Verbeamtung und Dienstalter.

Der R2-Wert von 0,024 zeigte, dass durch das Modell lediglich 2,4 % der Va-rianz der Neigung zum Präsentismus bei akuter Atemwegserkrankung erklärt wurde. Durch fehlende Werte der einbe-zogenen Variablen ergab sich für das Mo-dell der multivariaten Regression n = 1071 (. Tab. 3).

Diskussion

Das anhand der früheren Studien be-richtete Vorkommen von Präsentismus bei akuter Atemwegserkrankung [1, 14] hat sich in den vorliegenden Ergebnis-sen der Stadtverwaltung Dortmund be-stätigt. Die vorliegenden Ergebnisse zur Arbeitsbereitschaft im Fall einer Influen-zapandemie stimmen wiederum mit frü-heren Studien insoweit überein, dass zu-mindest von einem Teil der Beschäftigten angenommen werden muss, dass er unter den Umständen einer Influenzapandemie voraussichtlich nicht zur Arbeit kommen würde [3, 4, 6, 18]. Wegen der unter-schiedlichen Antwortskalen sind die er-mittelten Häufigkeiten früherer Studien allerdings nicht direkt mit den Ergebnis-sen der Stadtverwaltung Dortmund ver-gleichbar.

Der neue Beitrag der vorliegenden Studie über die Stadtverwaltung Dort-

Tab. 2 Häufigkeitsverteilung der untersuchten Variablen über die Neigung zu Präsentismus bei akuter Atemwegserkrankung (PA) und über die Bereitschaft zur Arbeit während einer Influenzapandemie

Neigung zu PA n = 1.532 [% (n)]

Bereitschaft andere Aufgaben n = 1.333 [% (n)]

Bereitschaft bei Frage n = 1.383 [% (n)]

Bereitschaft bei Ver-pflichtung n = 1.344 [% (n)]

Pflichtempfinden Arbeit in Pandemie n = 1.467 [% (n)]

Stimmt völlig 5,5 (84) 22,7 (303) 33,3 (461) 54,6 (743) 50,5 (741)

Stimmt überwiegend 13,8 (211) 21,6 (288) 22,5 (352) 21,5 (289) 23,7 (347)

Stimmt teilweise 30,0 (459) 28,7 (383) 20,3 (281) 12,5 (168 18,2 (267)

Stimmt eher nicht 29,0 (444) 18,1 (241) 13,9 (192) 7,7 (103) 5,0 (73)

Stimmt überhaupt nicht 21,8 (334) 8,9 (118) 7,0 (97) 3,7 (50) 2,7 (39)

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mund liegt insbesondere darin, dass der Zusammenhang zwischen Präsentismus und Arbeitsbereitschaft untersucht wur-de. Frühere Studien zum Präsentismus bei akuter Atemwegserkrankung unter-suchten keine Zusammenhänge mit der Arbeitsbereitschaft im Fall einer Influ-enzapandemie, auch nicht mit der allge-meinen Arbeitsbereitschaft der Beschäf-tigten, solange sie nicht selbst erkrankt sind [1, 14]. Umgekehrt war die Neigung zum Präsentismus bei akuter Atemwegs-erkrankung bislang kein Bestandteil von Studien zur Arbeitsbereitschaft im Pande-miefall und es wurden in der Folge dies-bezüglich auch keine Zusammenhän-ge untersucht [2–5, 10, 18]. Beide For-schungsfelder sind also in der Vergan-genheit nicht verknüpft worden.

Die Studie in der Dortmunder Stadt-verwaltung zeigt: Der eingangs vermu-tete Konflikt zwischen der Vermeidung von Präsentismus bei akuter Atemwegs-erkrankung und der Förderung einer ho-hen Arbeitsbereitschaft im Fall einer In-fluenzapandemie kann aus den hier vor-gelegten Ergebnissen kaum interpretiert werden.

Ein generelles Pflichtgefühl der Be-schäftigten für die Arbeit im Fall einer Influenzapandemie scheint sich zwar teils bis in Phasen einer eigenen Erkran-kung auszuwirken. Doch die Vermei-dung von Präsentismus bei akuter Atem-wegserkrankung kann umgekehrt auch mit einer geringfügig erhöhten Arbeits-bereitschaft während der Influenzapan-

demie einhergehen. Ein Hinweis auf Ver-einbarkeit ist, dass die höchste Arbeits-bereitschaft während einer Pandemie bei der Verpflichtung durch den Arbeitge-ber auftritt, womit gleichzeitig die Nei-gung zum Präsentismus negativ assozi-iert ist. Wer bei Verpflichtung durch den Arbeitgeber stärkere Arbeitsbereitschaft zeigt, neigt also sogar weniger dazu, mit einer eigenen akuten Atemwegserkran-kung arbeiten zu gehen. Diese Erkennt-nis kann aussichtsreich für die Pandemie-planung sein, da in diesem Fall eine hohe Verfügbarkeit von Arbeitskraft mit gerin-gerem Ansteckungsrisiko am Arbeitsplatz im Einklang steht.

Für die ermittelten Zusammenhänge gilt allerdings: Das vorliegende Analyse-modell erklärt nur einen geringen Anteil der Varianz des Präsentismus bei akuter Atemwegserkrankung. Auch dies spricht letztlich gegen das Vorliegen eines Kon-flikts zwischen der Vermeidung von Prä-sentismus bei akuter Atemwegserkran-kung und einer hohen Arbeitsbereitschaft im Fall einer Influenzapandemie.

Die Ergebnisse lassen offen, welche Ursachen stattdessen zum Präsentismus bei akuter Atemwegserkrankung füh-ren. Aus anderen Studien über Präsentis-mus, die nicht spezifisch auf akute Atem-wegserkrankungen fokussieren, ist eine Vielzahl an allgemeinen Einflussfakto-ren berichtet worden. Für eine gesam-melte Darstellung sei auf die umfassende Übersichtsarbeit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ver-

wiesen.4 Zumindest erwähnt werden soll-ten hier insbesondere zwei der dort be-richteten Einflussfaktoren. Erstens ist das der Stellenwert des Pflichtempfindens der Beschäftigten [16]5. Das Pflichtempfin-den speziell im Fall einer Influenzapande-mie wurde auch in der vorliegenden Stu-die bei der Stadtverwaltung Dortmund erhoben, hat sich aber nur als geringfügi-ge Einflussgröße gezeigt. Zweitens nimmt aus unserer Sicht die Befürchtung der Be-schäftigten, berufliche Nachteile zu erlei-den, einen Sonderstatus ein [17]. Denn dadurch dass die Beschäftigten unmittel-bar bewegt, wie eine Krankmeldung vom Arbeitgeber aufgenommen wird, dürf-te ein nicht unwesentlicher Teil des Ent-scheidungsprozesses vermutlich von den wechselseitigen Erfahrungen zwischen Führungskräften und Beschäftigten be-einflusst sein. Eine intensivere Auseinan-dersetzung mit diesen und möglicherwei-se weiteren Einflussfaktoren speziell auf die Neigung zum Präsentismus bei aku-ten Atemwegserkrankungen erscheint zukünftig notwendig, sofern über dessen Ursachen, Zustandekommen und wir-kungsvolle Präventionsmaßnahmen Er-kenntnisse gewonnen werden sollen.

Dass der Zusammenhang zwischen Präsentismus und Arbeitsbereitschaft in den Ergebnissen aus der Stadtverwaltung Dortmund nur geringfügig festgestellt werden konnte, führt weiter zu der Fra-ge: Bedeutet diese Geringfügigkeit auch, dass Präventionsmaßnahmen für Prä-sentismus bei Atemwegserkrankungen durchgeführt werden können, ohne dass die Arbeitsbereitschaft im Fall einer Influ-enzapandemie darunter leidet? Und um-gekehrt: Kann die Arbeitsbereitschaft im Fall einer Influenzapandemie gefördert werden, ohne dass der Präsentismus bei Atemwegserkrankungen zunimmt? Um diese Fragen zu beantworten, muss letzt-lich die jeweilige Intervention auf Ihre Wirkung hin untersucht werden. Die Ergebnisse der hier vorgelegten Quer-

4 http://www.baua.de/de/Publikationen/Fachbeitraege/Gd60.pdf?__blob=publicationFi-le&v=7. Zugegriffen: 24. Sept. 2013.5 http://www.theworkfoundation.com/Dow-nloadPublication/Report/242_FINAL%20Why%20do%20employees%20come%20to%20work%20when%20ill.pdf. Zugegriffen: 24. Sept. 2013.

Abb. 1 8 Mittelwerte und Standardabweichungen der untersuchten Variablen über die Neigung zu Präsentismus bei akuter Atemwegserkrankung (PA) und über die Bereitschaft zur Arbeit wäh-rend einer Influenzapandemie. Ausprägungen: 1=stimmt überhaupt nicht, 2 = stimmt eher nicht, 3 =stimmt teilweise, 4 =stimmt überwiegend, 5 =stimmt völlig

2,52 3,31 3,64 4,16 4,141

2

3

4

5

Neigung zu PA Bereitschaft andere Aufgaben

Bereitschaft bei Frage

Bereitschaft bei Verpf lichtung

Pf lichtempf inden Arbeit in Pandemie

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Arbeitswelt

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schnittsstudie zeigen zunächst, dass beim Vergleich der Aussagen unterschiedlicher Probanden nur geringfügig ein regelmä-ßiger Zusammenhang zwischen beiden Größen erkennbar wird. Trotzdem bleibt denkbar, dass es Interventionen geben kann, die sich auf beide Größen auswir-ken. Das vorliegende Ergebnis wider-spricht bisher also lediglich der Befürch-tung, dass dies zwangsläufig der Fall sein muss, weil beide Phänomene zwei Folgen derselben Prädisposition der Beschäftig-ten wären.

Abschließend stellt sich die Frage: Auch wenn der Konflikt hier gering er-scheint, gibt es eventuell Möglichkeiten, ihn vollständig zu umgehen? In der Lite-ratur fallen hierzu insbesondere zwei Ar-gumentationen auf. Erstens wird die Ver-meidung der zugrundeliegenden Erkran-kungen angestrebt, bspw. durch Impfung [1]. Zudem sollte sich daraus ein Stellen-wert nicht-pharmazeutischer Interven-tionen ergeben [12]. Zweitens wird für Arbeiten, in denen keine persönliche An-wesenheit zwingend erforderlich ist, gera-de für den Fall einer Influenzapandemie Telearbeit erwogen. Nach ersten Ergeb-nissen einer US-amerikanischen Studie bestünde auch hierzu eine gewisse Bereit-schaft bei Beschäftigten [7]. Für die dort untersuchte Profession des Pflegeperso-nals im Krankenhaus scheint dieser An-satz allerdings weniger praxistauglich zu sein. Für die Idee der Telearbeit sollte al-so insbesondere zunächst geprüft wer-den, inwieweit diese arbeitsorganisato-

risch während einer Influenzapandemie umsetzbar ist.

Limitationen

Als Einschränkung muss berücksichtigt werden, dass die Ergebnisse ausschließ-lich aus der Stadtverwaltung Dortmund stammen. Zukünftige Studien in anderen Behörden sowie in Unternehmen können die allgemeine Gültigkeit der Ergebnisse überprüfen. Weiter ist zu berücksichti-gen, dass sich die vorliegenden Ergebnisse ausschließlich auf Beschäftigte mit dienst-lichem Rechnerzugang beziehen. Zusätz-liche Einschränkungen ergeben sich aus der geringen Antwortrate 26,1 %, sowie der Verringerung der Fallzahl für das Re-gressionsmodell durch fehlende Anga-ben auf 1071 Fälle, die 17,9 % aller Teil-nahmeberechtigten entsprechen. Da die Stichprobe nicht zufällig selektiert wur-de, sondern aus der Teilnahmeentschei-dung der Probanden resultierte, besteht auch hierdurch die Möglichkeit von Ver-zerrungen im Ergebnis. Anhand der de-mographischen Variablen zeigte sich bei-spielsweise, dass deutlich mehr Beamte und deutlich weniger Alleinstehende teil-nahmen, als ihrem Anteil in der Stadtver-waltung Dortmund entspricht. Die Über-tragbarkeit insbesondere der absoluten Größenangaben über Präsentismus bei Atemwegserkrankungen und Arbeitsbe-reitschaft im Fall einer Influenzapande-mie auf die übrigen Beschäftigten ist da-her nicht gegeben.

Die Ergebnisse der vorliegenden Stu-die können dadurch beeinflusst sein, dass die Probanden berücksichtigt haben, wel-che Antwort ihr Arbeitgeber sich ihrer Meinung nach von ihnen wünschen wür-de [15]. Schließlich wurden die Antwor-ten im Rahmen einer Beschäftigtenbefra-gung erhoben. Durch die anonymisierte Durchführung und Auswertung der Stu-die sollte die Verzerrung aufgrund sozial erwünschter Antworten möglichst gering gehalten werden. Eine zusätzliche Kont-rolle sozial erwünschter Antworten mit-tels entsprechender Instrumente im Fra-gebogen wurde aufgrund des begrenzten Anteils der vorliegenden Studie an der ge-samten Beschäftigtenbefragung nicht er-wogen [13].

Für die hier vorgelegten Ergebnisse muss außerdem berücksichtigt werden: Die Gültigkeit der Antworten kann sich nur auf die Einstellung der Probanden be-ziehen. Zwar ist der Fragebogen verhal-tensbezogen formuliert, jedoch sollte von einer generalisierten Aussage über Prä-sentismus bei akuter Atemwegserkran-kung oder einer Aussage über das hypo-thetische Verhalten während einer Influ-enzapandemie kein unmittelbarer Schluss auf den Umfang gezogen werden, mit dem diese Phänomene tatsächlich auftre-ten. Was die Messung und genaue Bezif-ferung von tatsächlichem Präsentismus betrifft, so ist diese nach wie vor schwer zu leisten und mit vielen Unsicherheiten behaftet. Dazu zählen noch immer zent-rale Fragen wie die nach den Einheiten, in denen Präsentismus gemessen wer-den kann, oder nach dem Zeithorizont, in dem Beschäftigte über ihr Verhalten in der Vergangenheit zuverlässig Auskunft geben können [8].

Für die Ermittlung des grundsätzli-chen Vorkommens und der Einflussfak-toren ist eine solche aufwändige Messung allerdings auch nicht zwingend erforder-lich. Auch eine, wie im Rahmen dieser Studie vorgenommene, einfache Indika-torfrage zum Präsentismus kann sich als praktikabel und nützlich erweisen [1]. Was die Arbeitsbereitschaft im Fall einer Influenzapandemie betrifft, ist davon aus-zugehen, dass unter den außergewöhnli-chen Umständen einer tatsächlichen In-fluenzapandemie auch situationsabhängi-ge Einflussgrößen zum Tragen kommen

Tab. 3 Zusammenhang der untersuchten Indikatoren zur Arbeitsbereitschaft sowie der demografischen Kontrollvariablen mit der Neigung zu Präsentismus bei akuter Atemwegs-erkrankung. Aufgrund fehlender Werte ergibt sich für das gesamte Modell der multivariaten Regression n = 1.071.

Neigung zu Präsentismus bei aktuter Atemwegserkrankung

Anz. fehlend Koeffizient 95 % Konfidenzintervall p-Wert

Pflichtempfinden Arbeit in Pandemie

95 0,098 (0,020)–(0,176) 0,013

Bereitschaft bei Frage 179 0,075 (0,002)−(0,148) 0,045

Bereitschaft bei Verpflichtung 218 − 0,082 (− 0,158)−(− 0,006) 0,034

Bereitschaft andere Aufgaben 229 0,037 (− 0,020)−(0,096) 0,202

Alter 94 − 0,009 (− 0,019)−(0,001) 0,076

Geschlecht 42 − 0,081 (− 0,223)−(0,061) 0,263

Familienstand 39 0,015 (− 0,151)−(0,181) 0,862

Bildungsabschluss 47 − 0,010 (− 0,162)−(0,143) 0,902

Verbeamtung 53 0,096 (− 0,054)−(0,245) 0,211

Dienstalter 93 0,002 (0,007)−(0,011) 0,647

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können, die von den Probanden beim Ausfüllen eines Fragebogens in einer interpandemischen Phase nicht antizi-piert wurden. Wichtig im weiteren Um-gang mit den Ergebnissen ist daher, stets im Bewusstsein zu behalten, dass die dar-gestellten Ergebnisse nicht das tatsächli-che Verhalten quantifizieren.

Die Schwierigkeit, hypothetische Aus-sagen zu beurteilen, kann auch eine Ursa-che für die hohe Anzahl von fehlenden Werten bei den Aussagen zur Arbeitsbe-reitschaft im Fall einer Influenzapandemie sein. Ein Anteil der Beschäftigten kann sich offensichtlich noch nicht festlegen, bevor die Situation tatsächlich eintritt.

Für die Ausgangsfrage nach einem grundsätzlichen Zielkonflikt zwischen der Vermeidung von Präsentismus bei akuter Atemwegserkrankung und einer hohen Arbeitsbereitschaft im Fall einer Influen-zapandemie ist jedoch eine exakt bemes-sene Prognose weniger entscheidend als das in Bezug setzen der Varianz der ver-schiedenen Variablen.

Fazit für die Praxis

Die vorliegenden Ergebnisse können den eingangs vermuteten grundsätz-lichen Zielkonflikt zwischen einer ho-hen Arbeitsbereitschaft im Fall einer In-fluenzapandemie und der Vermeidung von Präsentismus bei akuter Atemwegs-erkrankung nicht bestätigen. Für die Pandemieplanung kann zunächst da-von ausgegangen werden, dass beide Ziele parallel verfolgt werden können. Denkbar sind beispielsweise Informa-tionsmaßnahmen für die Beschäftigten, in denen eine klare Formulierung der Aufgaben im Pandemiefall und genau-so auch der rücksichtsvolle Umgang mit einer eigenen akuten Atemwegserkran-kung thematisiert werden. Diesbezügli-che Strategien sollten bereits im Rahmen der Vorbereitung auf eine Influenzapan-demie entwickelt werden, damit sie bei Bedarf direkt zur Verfügung stehen.

Korrespondenzadresse

G. MeilickeRobert Koch-InstitutNordufer 2013353 [email protected]

Förderung. Die vorliegende Studie wurde durchgeführt innerhalb des Projekts Generischer Notfallplan und adaptives Prozessmodell zum Schutz der Kommunalverwaltung im Pandemiefall (GenoPlan). Das Projekt wurde gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Hightech-Strategie der Bundesregierung im Forschungsprogramm für die zivile Sicherheit, Themenfeld „Schutz und Rettung von Menschen“.

Interessenkonflikt. G. Meilicke, C. von Gottberg, S. Krumm und R. Kilian geben an, dass kein Interessen-konflikt besteht.

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